Die Edda -  - E-Book

Die Edda E-Book

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Beschreibung

Liederedda und Snorra-Edda bilden zusammen unsere wichtigste Quelle für die altnordische Mythologie. Dabei darf die eine nicht ohne die andere gebraucht und gelesen werden. In der Liederedda sind Götter- und Heldensagen vereinigt, die zum Teilbis in das 9. Jahrhundert zurückgehen. Sie schildern sagenhafte Begebenheiten aus Island, Norwegen und Grönland zur sogenannten Wikingerzeit. Die jüngere Edda war ursprünglich ein Lehrbuch für junge Sänger, Skalden, mit dem sie die Grundlagen ihrer Kunst lernen sollten. Durch ihre Beispiele aus zeitgenössischen und alten Liedern bildet sie heute eine unschätzbare Fundgrube für die in Deutschland damals längst verdrängte nordisch-germanische Mythologie.

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Die Absicht, in das Heiligtum der Edda, dieser Eltermutter germanischer Sage und Dichtung, einzuführen, möchten wir verfehlen, wenn Sie sich gleich an der Schwelle, wie leicht geschehen könnte, durch die dunkel tönenden und schwer auszudeutenden Worte der Seherin abschrecken ließen. Wollen Sie unserm Rate folgen, so lesen Sie zuerst die übrigen zur Göttersage gehörigen Lieder der älteren Edda, und die Wöluspa nicht eher, als bis Sie sich durch jene und die ersten Abschnitte der jüngeren Edda mit den Göttern Walhalls und ihren Schicksalen vertrauter gemacht haben. Es wird gut sein,jedes Lied erst für sich und dann noch einmal mit Zuziehung der Anmerkungen zu lesen. Mit der jüngeren Edda überhaupt den Anfang zu machen, raten wir nicht, da sie doch eigentlich nur die Götterlieder, freilich nicht bloß die uns erhaltenen, erläutern will. Am besten wird sie wohl neben den drei ersten Erzählungen der Skalda unmittelbar nach den Götterliedern (unter Ausnahme der Wöluspa) gelesen.

Die in den Text der älteren Edda eingefügten Zahlen verweisen auf diejenige Dämisaga der jüngeren Edda, in welcher die Erklärung der betreffenden Stelle zu finden ist, denn die jüngere Edda ist als der älteste und zuverlässigste, obgleich nicht untrügliche Kommentar der Eddalieder, besonders der Wöluspa, zu betrachten.

Die Edda

Nordische Götter- und Heldensagen

Übersetzt und mit Erläuterungen Karl Simrock

Der vorliegende Text folgt der 6. verbesserten Auflage,

erschienen 1876 beim Verlag der J. G. Cotta’schen Buchhandlung.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

© 2017 Nikol Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG,

Hamburg

 

Alle Rechte, auch das der fotomechanischen Wiedergabe (einschließlich Fotokopie) oder der Speicherung auf elektronischen Systemen, vorbehalten.

All rights reserved.

 

ISBN: 978-3-86820-930-3

 

www.nikol-verlag.de

 

I. Die ältere Edda - Göttersage

I.Die ältere Edda

Göttersage

1. Wöluspa

Der Seherin Ausspruch

1Allen Edlen gebiet ich Andacht,Hohen und Niedern von Heimdalls Geschlecht;Ich will Walvaters Wirken künden,Die ältesten Sagen, der ich mich entsinne.

2Riesen acht ich die Urgebornen,Die mich vor Zeiten erzogen haben.Neun Welten kenn ich, neun Äste weiß ichAn dem starken Stamm15 im Staub der Erde.

3Einst war das Alter, da Ymir4 lebte:Da war nicht Sand nicht See, nicht salzge Wellen,Nicht Erde fand sich noch Überhimmel,Gähnender Abgrund und Gras nirgend.

4Bis Börs Söhne8 die Bälle erhuben,Sie die das mächtige Midgard schufen.Die Sonne von Süden schien auf die FelsenUnd dem Grund entgrünte grüner Lauch.

5Die Sonne von Süden, des Mondes Gesellin,Hielt mit der rechten Hand die Himmelrosse.Sonne wußte nicht wo sie Sitz hätte,Mond wußte nicht was er Macht hätte,Die Sterne wußten nicht wo sie Stätte hatten.

6Da14 gingen die Berater zu den Richterstühlen,Hochheilge Götter hielten Rat.Der Nacht und dem Neumond gaben sie Namen,Hießen Morgen und Mitte des Tags,Under und Abend, die Zeiten zu ordnen.

7Die Asen einten sich auf dem Idafelde,Hof und Heiligtum hoch sich zu wölben.14(Übten die Kräfte alles versuchend,)Erbauten Essen und schmiedeten Erz,Schufen Zangen und schön Gezäh.

8Sie warfen im Hofe heiter mit WürfelnUnd darbten goldener Dinge noch nicht.Bis drei der Thursen- Töchter kamenReich an Macht, aus Riesenheim.14

9Da gingen die Berater zu den Richterstühlen,Hochheilge Götter hielten Rat,Wer schaffen sollte der Zwerge GeschlechtAus Brimirs Blut und blauen Gliedern.

10Da ward Modsognir der mächtigsteDieser Zwerge und Durin nach ihm.Noch manche machten sie menschengleichDer Zwerge von Erde, wie Durin angab.

11Nyi und Nidi, Nordri und Sudri,Austri und Westri, Althiof, Dwalin,Nar und Nain, Niping, Dain,Bifur, Bafur, Bömbur, Nori;Ann und Anarr, Ai, Miödwitnir.

12Weig, Gandalf, Windalf, Thrain,Theck und Thorin, Thror, Witr und Litr,Nar und Nyrad; nun sind diese Zwerge,Regin und Raswid, richtig aufgezählt.

13Fili, Kili, Fundin, Nali,Hepti, Wili, Hannar und Swior,Billing, Bruni, Bild, Buri,Frar, Hornbori, Frägr und Loni,Aurwang, Jari, Eikinskjaldi.

14Zeit ist’s, die Zwergevon Dwalins ZunftDen Leuten zu leiten bis Lofar hinauf,Die aus Gestein und Klüften strebtenVon Aurwangs Tiefen zum Erdenfeld.

15Da war Draupnir und Dolgtrasir,Har, Haugspori, Hläwang, Gloi,Skirwir, Wirwir, Skafid, Ai,Alf und Yngwi, Eikinskjaldi.

16Fialar und Frosti, Finnar und Ginnar,Heri, Höggstari, Hliodolf, Moin.So lange Menschen leben auf Erden,Wird zu Lofar hinauf ihr Geschlecht geleitet.

17Gingen da9 dreie aus dieser Versammlung,Mächtige, milde Asen zumal,Fanden am Ufer unmächtigAsk und Embla und ohne Bestimmung.

18Besaßen nicht Seele, und Sinn noch nicht,Nicht Blut noch Bewegung, noch blühende Farbe.Seele gab Odin, Hönir gab Sinn,Blut gab Lodur und blühende Farbe.

19Eine Esche weiß ich, heißt Yggdrasil,15,. 16Den hohen Baum netzt weißer Nebel;Davon kommt der Tau, der in die Täler fällt.Immergrün steht er über Urds Brunnen.

20Davon15 kommen Frauen, vielwissende,Drei aus dem See dort unterm Wipfel.Urd heißt die eine, die andre Werdani:Sie schnitten Stäbe; Skuld hieß die dritte.Sie legten Lose, das Leben bestimmten sieDen Geschlechtern der Menschen, das Schicksal verkündend.

21Allein saß sie außen, da der Alte kam,Der grübelnde Ase, und ihr ins Auge sah.Warum fragt ihr mich? Was erforscht ihr mich?Alles weiß ich, Odin, wo du dein Auge bargst:

22In der vielbekannten Quelle Mimirs.Met trinkt Mimir allmorgentichAus Walvaters Pfand! Wißt ihr, was das bedeutet?15

23Ihr gab Heervater Halsband und RingeFür goldene Sprüche und spähenden Sinn.Denn weit und breit sah sie über die Welten all.

24Ich sah Walküren36 weither kommen,Bereit zu reiten zum Rat der Götter.Skuld hielt den Schild, Skögul war die andre,Gunn, Hilde, Göndul und Geirskögul.Hier nun habt ihr Herjans Mädchen,Die als Walküren die Welt durchreiten.

25Da wurde Mord in der Welt zuerst,Da sie mit Geren Gulweig (die Goldkraft) stießen,In des Hohen Halle die helle brannten.Dreimal verbrannt ist sie dreimal geboren,Oft, unselten, doch ist sie am Leben.

26Heid hieß man sie wohin sie kam,Wohlredende Wala zähmte sie Wölfe.Sudkunst konnte sie, Seelenheil raubte sie,Übler Leute Liebling allezeit.

27Da42 gingen die Berater zu den Richterstühlen,Hochheilige Götter hielten Rat,Ob die Asen sollten Untreue strafen,Oder alle Götter Sühnopfer empfahn.

28Gebrochen war der Burgwall den Asen,Schlachtkundige Wanen stampften das Feld.Odin schleuderte über das Volk den Spieß:Da wurde Mord in der Welt zuerst.

29Da gingen die Berater zu den Richterstühlen,Hochheilge Götter hielten Rat,Wer mit Frevel hätte die Luft erfüllt,Oder dem Riesenvolk Odhurs Braut gegeben?

30Von Zorn bezwungen zögerte Thor nicht,Er säumt selten wo er solches vernimmt:Da schwanden die Eide, Wort und Schwüre,Alle festen Verträge jüngst trefflich erdacht.

31Ich weiß Heimdalls27 Horn verborgenUnter dem himmelhohen heiligen Baum.Einen Strom seh ich stürzen mit starkem FallAus Walvaters Pfand: wißt ihr, was das bedeutet?15

32Östlich saß die Alte im EisengebüschUnd fütterte dort Fenrirs Geschlecht.Von ihnen allen wird eins das schlimmste:Des Mondes Mörder übermenschlicher Gestalt.12

33Ihn mästet das Mark gefällter Männer,Der Seligen Saal besudelt das Blut.Der Sonne Schein dunkelt in kommenden Sommern,Alle Wetter wüten: wißt ihr, was das bedeutet?

34Da saß am Hügel und schlug die HarfeDer Riesin Hüter, der heitre Egdir.Vor ihm sang im VogelwaldeDer hochrote Hahn, geheißen Fialar.

35Den Göttern gellend sang Gullinkambi,Weckte die Helden beim Heervater,Unter der Erde singt ein andrer,Der schwarzrote Hahn in den Sälen Hels.

36Ich sah dem Baldur49 dem blühenden Opfer,Odins Sohne, Unheil drohen.Gewachsen war über die Wiesen hochDer zarte, zierliche Zweig der Mistel.

37Von der Mistel kam, so dauchte michHäßlicher Harm, da Hödur schoß.(Baldurs Bruder, war kaum geboren,Als einnächtig Odins Erbe zum Kampf ging.30, 53

Die Hände nicht wusch er, das Haar nicht kämmt er,Eh er zum Bühle trug Baldurs Töter.)Doch Frigg beklagte in Fensal dortWalhalls Verlust: wißt ihr, was das bedeutet?

38In Ketten lag im QuellenwaldeIn Unholdgestalt der arge Loki.Da sitzt auch Sigyn unsanfter Gebärde,Des Gatten Waise: wißt ihr, was das bedeutet?50

39Gewoben weiß da Wala Todesbande,Und fest geflochten die Fessel aus Därmen.Viel weiß der Weise, weit seh ich vorausDer Welt Untergang, der Asen Fall.51Gräßlich heult Garm12 vor der Gnupahöhle,Die Fessel bricht und Freki rennt.

40Ein Strom wälzt ostwärts durch EitertälerSchlamm und Schwerter, der Slidur4 heißt.

41Nördlich stand an den NidabergenEin Saal aus Gold für Sindris Geschlecht.Ein andrer stand auf OkolnirDes Riesen Biersaal, Brimir genannt.52

42Einen Saal seh ich, der Sonne fernIn Nastrand52, die Türen sind nordwärts gekehrt.Gifttropfen fallen durch die Fenster nieder;Mit Schlangenrücken ist der Saal gedeckt.

43Im starrenden Strome stehn da und watenMeuchelmörder und Meineidige(Und die andrer Liebsten ins Ohr geraunt).Da saugt Nidhögg die entseelten Leiber,Der Menschenwürger: wißt ihr, was das bedeutet?

44Viel weiß der Weise, sieht weit vorausDer Welt Untergang, der Asen Fall.

45Brüder befehden sich und fallen einander,Geschwisterte sieht man die Sippe brechen.Der Grund erdröhnt, üble Disen fliegen;Der eine schont des andern nicht mehr.

46Unerhörtes ereignet sich, großer Ehbruch.Beilalter, Schwertalter, wo Schilde krachen,Windzeit, Wolfszeit eh die Welt zerstürzt.

47Mimirs Söhne spielen, der Mittelstamm entzündet sichBeim gellenden Ruf des Giallarhorns.Ins erhobne Horn bläst Heimdall laut,Odin murmelt mit Mimirs Haupt.

48Yggdrasil zittert, die Esche, doch steht sie,Es rauscht der alte Baum, da der Riese frei wird.(Sie bangen alle in den Banden HelsBevor sie Surturs4 Flamme verschlingt.)Gräßlich heult Garm vor der Gnupahöhle,Die Fessel bricht und Freki rennt.

49Hrym51 fährt von Osten und hebt den Schild,Jörmungand wälzt sich im Jötunmute.Der Wurm schlägt die Flut, der Adler facht,Leichen zerreißt er; los wird Naglfar.

50Der Kiel fährt von Osten, da kommen Muspels SöhneÜber die See gesegelt; sie steuert Loki.Des Untiers Abkunft ist all mit dem Wolf;Auch Bileists33 Bruder ist ihm verbündet.

51Surtur4, 51 fährt von Süden mit flammendem Schwert,Von seiner Klinge scheint die Sonne der Götter.Steinberge stürzen, Riesinnen straucheln,Zu Hel fahren Helden; der Himmel klafft.

52Was ist mit den Asen? Was ist mit den Alfen?All Jötunheim ächzt, die Asen versammeln sich.Die Zwerge stöhnen vor steinernen Türen,Der Bergwege Weiser: wißt ihr, was das bedeutet?

53Da hebt sich Hlins35 anderer Harm,Da Odin eilt zum Angriff des Wolfs.Belis Mörder35 mißt sich mit Surtur;Schon fällt Friggs einzige Freude.

54Nicht säumt Siegvaters erhabner SohnMit dem Leichenwolf, Widar, zu fechten:Er stößt dem Hwedrungssohn den Stahl ins HerzDurch gähnenden Rachen: so rächt er den Vater.

55Da kommt geschritten Hlodyns schöner Erbe,Wider den Wurm wendet sich Odins Sohn.Mutig trifft ihn Midgards Segner.Doch fahrt neun Fuß weit Fiörgyns SohnWeg von der Natter, die nichts erschreckte.Alle Wesen müssen die Weltstatt räumen.

56Schwarz wird die Sonne, die Erde sinkt ins Meer,Vom Himmel schwinden die heitern Sterne.Glutwirbel umwühlen den allnährenden Weltbaum,Die heiße Lohe beleckt den Himmel.

57Da53 seh ich auftauchen zum andernmaleAus dem Wasser die Erde und wieder grünen.Die Fluten fallen, darüber fliegt der Aar,Der auf dem Felsen nach Fischen weidet.

58Die Asen einen sich auf dem Idafelde,Über den Weltumspanner zu sprechen, den großen.Uralter Sprüche sind sie da eingedenk,Von Fimbultyr gefundner Runen.

59Da werden sich wieder die wundersamenGoldenen Bälle im Grase finden,Die in Urzeiten die Asen hatten,Der Fürst der Götter und Fiölnirs20 Geschlecht.

60Da werden unbesät die Acker tragen,Alles Böse bessert sich, Baldur kehrt wieder.In Heervaters Himmel wohnen Hödur und Baldur,Die walweisen Götter. Wißt ihr, was das bedeutet?

61Da kann Hönir selbst sein Los sich kiesen,Und beider Brüder Söhne bebauenDas weite Windheim. Wißt ihr, was das bedeutet?

62Einen Saal seh ich heller als die Sonne,Mit Gold bedeckt auf Gimils Höhn:3, 17, 52Da werden bewährte Leute wohnenUnd ohne Ende der Ehren genießen.

63Da reitet der Mächtige zum Rat der Götter,Der Starke von oben, der alles steuert.Den Streit entscheidet er, schlichtet Zwiste,Und ordnet ewige Satzungen an.

64Nun kommt der dunkle Drache geflogen,Die Natter hernieder aus Nidafelsen.Das Feld überfliegend trägt er auf den FlügelnNidhöggurs Leichen – und nieder senkt er sich.

 

2. Grimnismal

Das Lied von Grimnir

König Hraudung hatte zwei Söhne: der eine hieß Agnar, der andere Geirröd. Agnar war zehn Winter, Geirröd acht Winter alt. Da ruderten beide auf einem Boot mit ihren Angeln zum Kleinfischfang. Der Wind trieb sie in die See hinaus. Sie scheiterten in dunkler Nacht an einem Strand, stiegen hinauf und fanden einen Hüttenbewohner, bei dem sie überwinterten. Die Frau pflegte Agnars, der Mann Geirröds und lehrte ihn schlauen Rat. Im Frühjahr gab ihnen der Bauer ein Schiff, und als er sie mit der Frau an den Strand begleitete, sprach er mit Geirröd allein. Sie hatten guten Wind und kamen zu dem Wohnsitz ihres Vaters. Geirröd, der vorn im Schiffe war, sprang ans Land, stieß das Schiff zurück und sprach: Fahr nun hin in böser Geister Gewalt. Das Schiff trieb in die See, aber Geirröd ging hinauf in die Burg und ward da wohl empfangen. Sein Vater war eben gestorben, Geirröd ward also zum König eingesetzt und gewann große Macht. Odin und Frigg saßen auf Hlidskialf und überschauten die Welt. Da sprach Odin: „Siehst du Agnar, deinen Pflegling, wie er in der Höhle mit einem Riesenweibe Kinder zeugt; aber Geirröd, mein Pflegling, ist König und beherrscht sein Land.“ Frigg sprach: „Er ist aber solch ein Neidling, daß er seine Gäste quält, weil er fürchtet, es möchten zu viele kommen.“ Odin sagte, das sei eine große Lüge; da wetteten die beiden hierüber. Frigg sandte ihr Schmuckmädchen Fulla zu Geirröd und trug ihr auf, den König zu warnen, daß er sich vor einem Zauberer hüte, der in sein Land gekommen sei, und gab zum Wahrzeichen an, daß kein Hund so böse sei, daß er ihn angreifen möge. Es war aber eine große Unwahrheit, daß König Geirröd seine Gäste so ungern speise; doch ließ er Hand an den Mann legen, den die Hunde nicht angreifen wollten. Er trug einen blauen Mantel und nannte sich Grimnir, sagte aber nicht mehr von sich, auch wenn man ihn fragte. Der König ließ ihn zur Rede peinigen und setzte ihn zwischen zwei Feuer, und da saß er acht Nächte. König Geirröd hatte einen Sohn, der zehn Winter alt war und Agnar hieß nach des Königs Bruder. Agnar ging zu Grimnir, gab ihm ein volles Horn zu trinken, und sagte, der König täte übel, daß er ihn schuldlos peinigen ließe. Grimnir trank es aus; da war das Feuer so weit gekommen, daß Grimnirs Mantel brannte. Er sprach:

 

1Heiß bist du, Flamme, zuviel ist der Glut:Laß uns scheiden, Lohe!Schon brennt der Zipfel, zieh ich ihn gleich empor,Feuer fängt der Mantel.

2Acht Nächte fanden mich zwischen Feuern hier,Daß mir niemand Nahrung botAls Agnar allein; allein soll auch herrschenGeirröds Sohn über der Goten Land.

3Heil dir, Agnar, da Heil dir erwünschtDer Helden Herrscher.Für einen Trunk mag kein andrer dirBeßre Gabe bieten.

4Heilig ist das Land, das ich liegen seheDen Asen nah und Alfen.Dort in Thrudheim21 soll Thor wohnenBis die Götter vergehen.

5Ydalir31 heißt es, wo Uller hatDen Saal sich erbaut.Alfheim17 gaben dem Freyr die Götter im AnfangDer Zeiten als Zahngebinde.

6Die dritte Halle hebt sich, wo die heitern GötterDen Saal mit Silber deckten.Walaskialf 12, 30 heißt sie, die sich erwählteDer As in alter Zeit.

7Sökkwabeck35 heißt die vierte, kühle FlutÜberrauscht sie immer;Odin und Saga trinken alle TageDa selig aus goldnen Schalen.

8Gladsheim14 heißt die fünfte, wo golden schimmertWalhalls weite Halle:Da kiest sich Odin alle TageVom Schwert erschlagne Männer.

9Leicht erkennen können, die zu Odin kommen,Den Saal, wenn sie ihn sehen:Aus Schäften ist das Dach gefügt und mit Schilden bedeckt,Mit Brünnen die Bänke bestreut.

10Leicht erkennen können, die zu Odin kommen,Den Saal, wenn sie ihn sehen:in Wolf hängt vor dem westlichen Tor,ber ihm dräut ein Aar.

11Thrymheim23 heißt die sechste, wo Thiassi hauste,Jener mächtige Jote.Nun bewohnt Skadi, die scheue GötterbrautDes Vaters alte Veste.

12Die siebente ist Breidablick:22 da hat Baldur sichDie Halle erhöhtZu jener Gegend, wo der Greuel ichDie wenigsten lauschen weiß.

13Himinbiörg17, 27 ist die achte, wo Heimdall sollDer Weihestatt walten.Der Wächter der Götter trinkt in wonnigem HauseDa selig den süßen Met.

14Volkwang23 ist die neunte: da hat Freyja GewaltDie Sitze zu ordnen im Saal.Der Walstatt Hälfte wählt sie täglich,Odin hat die andre Hälfte.

15Glitnir17, 32 ist die zehnte; auf goldnen Säulen ruhtDes Saales Silberdach.Da thront Forseti den langen TagUnd schlichtet allen Streit.

16Noatun23 ist die elfte: da hat NiördrSich den Saal erbaut.Ohne Mein (Fehl) und Makel der MännerfürstWaltet hohen Hauses.

17Mit Gesträuch begrünt sich und hohem GraseWidars Land Widi.Da steigt der Sohn auf den Sattel der MähreDen Vater zu rächen bereit.

18Andhrimnir38 läßt in EldhrimnirSährimnir sieden,Das beste Fleisch; doch erfahren wenige,Was die Einherjer essen.

19Geri und Freki38 füttert der krieggewohnteHerrliche Heervater,Da nur von Wein der waffenhehreOdin ewig lebt.

20Hugin und Munin38 müssen jeden TagÜber die Erde fliegen.Ich fürchte, daß Hugin nicht nach Hause kehrt;Doch sorg ich mehr um Munin.

21Thundr ertönt, wo ThiodwitnirsFisch in der Flut spielt;Des Stromes Ungestüm dünkt zu starkDurch Walglaumir zu waten.

22Walgrind heißt das Gitter, das auf dem Grunde stehtHeilig vor heilgen Türen.Alt ist das Gitter; doch ahnen wenigeWie sein Schloß sich schließt.

23Fünfhundert Türen und viermal zehnWähn ich in Walhall.40Achthundert Einherjer ziehn aus je einer,Wenn es dem Wolf zu wehren gilt.

24Fünfhundert Stockwerke und viermal zehnWeiß ich in Bilskirnirs21 Bau.Von allen Häusern, die Dächer haben,Glaub ich meines Sohns das größte.

25Heidrun39 heißt die Ziege vor Heervaters Saal,Die an Lärads Laube zehrt.Die Schale soll sie füllen mit schäumendem Met;Der Milch ermangelt sie nie.

26Eikthyrnir39 heißt der Hirsch vor Heervaters Saal,Der an Lärads Laube zehrt.Von seinem Horngeweih tropft es nach Hwergelmir:Davon stammen alle Ströme.

27Sid und Wid, Sökin und Eikin, Swöll und Gunthro,Fiörm und Fimbultul,Rin und Rennandi, Gipul und Göpul,Gömul und Geirwimul.Um die Götterwelt wälzen sich Thyn und Win,Thöll und Höll, Grad und Gunthorin.

28Wina heißt einer, ein anderer Wegswinn,Ein dritter Diotnuma.Nyt und Nöt, Nönn und Hrönn,Slid und Hrid, Sylgr und Ylgr,Wid und Wan, Wönd und Strönd,Giöll und Leiptr: diese laufen den Menschen näherUnd von hier zur Hel hinab.4, 39

29Körmt und Örmt und beide KerlaugWatet Thor täglich,Wenn er reitet Gericht zu haltenBei der Esche Yggdrasil;Denn die Asenbrücke steht all in Lohe,Heilige Fluten flammen.15

30Gladr15 und Gyllir, Gler und Skeidbrimir, Silfrintopp und Sinir,Gisl und Falhofnir, Gulltopp und Lettfeti:Diese Rosse reiten die AsenTäglich, wenn sie reiten Gericht zu haltenBei der Esche Yggdrasil.

31Drei Wurzeln strecken sich nach dreien SeitenUnter der Esche Yggdrasil:Hel wohnt unter einer, unter der andern Hrimthursen,Aber unter der dritten Menschen.

32Ratatösk16 heißt das Eichhorn, das auf und ab renntAn der Esche Yggdrasil:Des Adlers Worte oben vernimmt esUnd bringt sie Nidhöggern nieder.

33Der Hirsche16 sind vier, die mit krummem HalseAn der Esche Ausschüssen weiden:Dain und Dwalin,Duneyr und Durathror.

34Mehr Würme liegen unter den Wurzeln der EscheAls einer meint der unklugen Affen.Goin und Moin, Grafwitnirs Söhne,Grabak und Grafwöllud,Ofnir und Swafnir sollen ewigVon der Wurzeln Zweigen zehren.

35Die Esche Yggdrasil duldet UnbillMehr als Menschen wissen.Der Hirsch weidet oben, hohl wird die Seite,Unten nagt Nidhöggr.

36Hrist und Mist sollen das Horn mir reichen,Skeggöld und Skögul,Hlöck und Herfiötur, Hild und Thrud,Göll und Geirölul;Randgrid und Rathgrid und ReginleifSchenken den Einherjern Ael.36

37Arwak und Alswid11 sollen immerdarSchmachtend die Sonne führen.Unter ihre Bugen bargen milde Mächte,Die Asen, Eisenkühle.

38Swalin heißt der Schild, der vor der Sonne steht,Der glänzenden Gottheit.Brandung und Berge verbrennten zumal,Sänk er von seiner Stelle.

39Sköll12 heißt der Wolf, der der scheinenden GottheitFolgt in die schützende Flut;Hati der andre, Hrodwitnirs Sohn,Eilt der Himmelsbraut voraus.

40Aus Ymirs6, 8 Fleisch ward die Erde geschaffen,Aus dem Schweiße die See,Aus dem Gebein die Berge, die Bäume aus dem Haar,Aus der Hirnschale der Himmel.

41Aus den Augenbrauen schufen gütge AsenMidgard den Menschensöhnen;Aber aus seinem Hirn sind alle hartgemutenWolken erschaffen worden.

42Ullers31 Gunst hat und aller Götter,Wer zuerst die Lohe löscht,Denn die Aussicht öffnet sich den Asensöhnen,Wenn der Kessel vom Feuer kommt.

43Iwalts Söhne43, 61 ging in UrtagenSkidbladnir zu schaffen,Das beste der Schiffe, für den schimmernden Freyr,Niörds nützen Sohn.

44Die Esche Yggdrasil16, 41 ist der Bäume erster,Skidbladnir der Schiffe,Odin der Asen, aller Rosse Sleipnir,Bifröst der Brücken, Bragi der Skalden,Habrok der Habichte, der Hunde Garm.

45Mein Antlitz sahen nun der Sieggötter Söhne,So wird mein Heil erwachen:Alle Asen werden Einzug haltenZu des Wütrichs Saal,Zu des Wütrichs Mahl.

46Ich heiße20 Grimr und Gangleri,Herjan und Hialmberi,Theck und Thridi, Thudr und Udr,Helblindi und Har.

47Sadr und Swipal und Sanngetal,Herteitr und Hnikar,Bileig, Baleig, Bölwerk, Fiölnir,Grimur und Glapswid.

48Sidhött, Sidskegg, Siegvater, Hnikud,Allvater, Walvater, Atrid und Farmatyr;Eines Namens genüge mir nieSeit ich unter die Völker fuhr.

49Grimnir hießen sie mich bei Geirröd,Bei Asmund Jalk;Kialar schien ich, da ich Schlitten zog;Thror dort im Thing;Widr den Widersachern;Oski und Omi, Jafnhar und Biflindi,Göndlir und Harbard bei den Göttern.

50Swidur und Swidrir hieß ich bei Söckmimir,Als ich den alten Thursen trog,Und Midwitnirs, des mären Unholds, SohnIm Einzelkampf umbrachte.

51Toll bist du, Geirröd, hast zuviel getrunken,Der Met ward dir Meister.Viel verlorst du, meiner Liebe darbend:Aller Einherjer und Odins Huld.

52Viel sagt ich dir: du schlugst es in den Wind,Die Vertrauten trogen dich.Schon seh ich liegen meines Lieblings SchwertVom Blut erblindet.

53Die schwertmüde Hülle hebt nun Yggr auf,Da das Leben dich ließ:Abhold sind dir die Disen, nun magst du Odin schauen:Komm heran, wenn du kannst.

54Odin heiß ich nun, Yggr hieß ich eben,Thund hab ich geheißen.Wak und Skilflng, Wafud und Hroptatyr,Gaut und Jalk bei den Göttern,Ofnir und Swafnir: deren Ursprung weiß ichAller aus mir allein.

König Geirröd saß und hatte das Schwert auf den Knien halb aus der Scheide gezogen. Als er aber vernahm, daß Odin gekommen sei, sprang er auf und wollte ihn aus den Feuern führen. Da glitt ihm das Schwert aus den Händen, der Griff nach unten gekehrt. Der König strauchelte und durch das Schwert, das ihm entgegenstand, fand er den Tod. Da verschwand Odin und Agnar war da König lange Zeit.

3. Vafthrudnismal

Das Lied von Wafthrudnir

Odin:

1Rat du mir nun, Frigg, da mich zu fahren lüstetZu Wafthrudnirs Wohnungen;Denn groß ist mein Vorwitz über der Vorwelt LehrenMit dem allwissenden Joten zu streiten.

Frigg:

2Daheim zu bleiben, Heervater, mahn ich dichZu der Asen Gehegen,Da vom Stamm der Joten ich stärker keinenAls Wafthrudnirn weiß.

Odin:

3Viel erfuhr ich, viel versucht ich,Befrug der Wesen viel;Nun will ich wissen wie’s in WafthrudnirsSälen beschaffen ist.

Frigg:

4Heil denn fahre, heil denn kehre,Heil dir auf deinen Wegen!Dein Witz bewähre sich, da du, Weltenvater,Mit Riesen Rede tauschest. –

5Fuhr da Odin zu erforschen die WeisheitDes allklugen Joten.Er kam zu der Halle, die Ims Vater hatte;Eintrat Yggr alsbald.

Odin:

6Heil dir, Wafthrudnir! In die Halle kam ichDich selber zu sehen.Zuerst will ich wissen ob du weise bistUnd ein allwissender Jote.

Wafthrudnir:

7Wer ist der Mann, der in meinem SaalDas Wort an mich wendet?Aus kommst du nimmer aus unsern Hallen, Wenn du nicht weiser bist.

Odin:

8Gangrad heiß ich, die Wege ging ichDurstig zu deinem Saal.Bin weit gewandert, des Wirts, o Riese,Und deines Empfangs bedürftig.

Wafthrudnir :

9Was hältst du und sprichst an der Hausflur, Gangrad?Nimm dir Sitz im Saale:So wird erkannt wer kundiger sei,Der Gast oder der graue Redner.

Gangrad:

10Kehrt Armut ein beim Überfluß,Spreche sie gut oder schweige.Übeln Ausgang nimmt ÜbergeschwätzigkeitBei mürrischem Manne.

Wafthrudnir:

11Sage du, so du von der Flur versuchen willst,Gangrad, dein Glück,Wie heißt der Hengst, der herzieht den TagÜber der Menschen Menge?

Gangrad:

12Skinfari10 heißt er, der den schimmernden Tag ziehtÜber der Menschen Menge.Für der Füllen bestes gilt es den Völkern,Stets glänzt die Mähne der Mähre.

Wafthrudnir:

13Sage denn, so du von der Flur versuchen willst,Gangrad, dein Glück,Den Namen des Rosses, das die Nacht bringt von OstenDen waltenden Wesen?

Gangrad:

14Hrimfaxi heißt es, das die Nacht herziehtDen waltenden Wesen.Mehltau fällt ihm am Morgen vom GebißUnd füllt mit Tau die Täler.

Wafthrudnir:

15Sage denn, so du von der Flur versuchen willst, Gangrad, dein Glück,Wie heißt der Strom, der dem Stamm der RiesenDen Grund teilt und den Göttern?

Gangrad:

16Ifing heißt der Strom, der dem Stamm der RiesenDen Grund teilt und den Göttern.Durch alle Zeiten zieht er offen,Nie wird Eis ihn engen.

Wafthrudnir:

17Sage denn, so du von der Flur versuchen willst,Gangrad, dein Glück,Wie heißt das Feld, wo zum Kampf sich findenSurtur und die selgen Götter?

Gangrad:

18Wigrid51 heißt das Feld, da zum Kampf sich findenSurtur und die selgen Götter.Hundert Rasten zählt es rechts und links:Solcher Walplatz wartet ihrer.

Wafthrudnir:

19Klug bist du, Gast: geh zu den RiesenbänkenUnd laß uns sitzend sprechen.Das Haupt stehe hier in der Halle zur Wette,Wandrer, um weise Worte.

Gangrad:

20Sage zum ersten, wenn Sinn dir ausreichtUnd du es weißt, Wafthrudnir,Erd und Überhimmel, von wannen zuerst sieKamen? kluger Jote!

Wafthrudnir:

21Aus Ymirs Fleisch6, 8 ward die Erde geschaffen,Aus dem Gebein die Berge,Der Himmel aus der Hirnschale des eiskalten Hünen,Aus seinem Schweiße die See.

Gangrad:

22Sag mir zum andern, wenn der Sinn dir ausreichtUnd du es weißt, Wafthrudnir,Von wannen der Mond kommt, der über die Menschen fährt,Und so die Sonne?

Wafthrudnir:

23Mundilföri11 heißt des Mondes VaterUnd so der Sonne.Sie halten täglich am Himmel die RundeUnd bezeichnen die Zeiten des Jahrs.

Gangrad:

24Sag mir zum dritten, so du weise dünkstUnd du es weißt, Wafthrudnir,Wer hat den Tag gezeugt, der über die Völker zieht,Und die Nacht mit dem Neumond?

Wafthrudnir:

25Delling10 heißt des Tages Vater,Die Nacht ist von Nörwi gezeugt.Des Mondes Mindern und Schwinden schufen milde WesenDie Zeiten des Jahrs zu bezeichnen.

Gangrad:

26Sag mir zum vierten, wenn du’s erforscht hastUnd du es weißt, Wafthrudnir,Wannen der Winter kam und der warme SommerZuerst den gütgen Göttern?

Wafthrudnir :

27Windswalt19 heißt des Winters Vater,Und Swasud des Sommers.Durch alle Zeiten ziehn sie selbanderBis die Götter vergehen.

Gangrad:

28Sag mir zum fünften, wenn du’s erforscht hastUnd du es weißt, Wafthrudnir,Wer von den Asen der erste, oder von Ymirs GeschlechtIm Anfang aufwuchs?

Wafthrudnir:

29Im Urbeginn der Zeiten vor der Erde SchöpfungWard Bergelmir7 geboren.Drudgelmir war dessen Vater,Örgelmir sein Ahn.

Gangrad:

30Sag mir zum sechsten, wenn du sinnig dünkstUnd du es weißt, Wafthrudnir,Woher Örgelmir kam den Kindern der RiesenZuerst? allkluger Jote.

Wafthrudnir:

31Aus den Eliwagar5 fuhren EitertropfenUnd wuchsen bis ein Riese ward.Dann stoben Funken aus der südlichen WeltUnd Lohe gab Leben dem Eis.

Gangrad:

32Sag mir zum siebenten, wenn du sinnig dünkstUnd du es weißt, Wafthrudnir,Wie zeugte Kinder der kühne Jötun,Da er der Gattin irre ging?

Wafthrudnir:

33Unter des Reifriesen Arm wuchs, rühmt die Sage5,Dem Thursen Sohn und Tochter.Fuß mit Fuß gewann dem furchtbaren RiesenSechsgehäupteten Sohn.

Gangrad:

34Sag mir zum achten, wenn man dich weise achtet,Daß du es weißt, Wafthrudnir,Wes gedenkt dir zuerst, was weißt du das älteste?Du bist ein allkluger Jötun.

Wafthrudnir:

35Im Urbeginn der Zeiten, vor der Erde SchöpfungWard Bergelmir7 geboren.Des gedenk ich zuerst, daß der allkluge JötunIm Boot geborgen ward.

Gangrad:

36Sag mir zum neunten, wenn man dich weise nenntUnd du es weißt, Wafthrudnir,Woher der Wind kommt, der über die Wasser fährtUnsichtbar den Erdgebornen.

Wafthrudnir:

37Hräswelgr18 heißt der an Himmels Ende sitztIn Adlerskleid ein Jötun.Mit seinen Fittichen facht er den WindÜber alle Völker.

Gangrad:

38Sag mir zum zehnten, wenn der Götter ZeugungDu weißt, Wafthrudnir,Wie kam Niörd aus NoatunUnter die Asensöhne?23Höfen und Heiligtümern hundert gebietet erUnd ist nicht asischen Ursprungs.

Wafthrudnir:

39In Wanaheim schufen ihn weise MächteUnd gaben ihn Göttern zum Geisel.Am Ende der Zeiten soll er aber kehrenZu den weisen Wanen.

Gangrad:

40Sag mir zum elften, wenn der Asen GeschickeDu weißt, Wafthrudnir,In Heervaters Halle was die Helden schaffenBis die Götter vergehen?

Wafthrudnir:

41Die Einherjer41 alle in Odins SaalStreiten Tag für Tag;Sie kiesen den Wal und reiten vom Kampf heimMit Asen Ael zu trinken,Und Sährimnirs sattSitzen sie friedlich beisammen.

Gangrad:

42Sag mir zum zwölften, wenn der Götter ZukunftDu alle weißt, Wafthrudnir,Von der Joten und aller Asen GeheimnissenSag mir das Sicherste,Allkluger Jötun.

Wafthrudnir:

43Von der Joten und aller Asen GeheimnissenKann ich Sicheres sagen,Denn alle durchwandert hab ich die Welten,Neun Reiche bereist ich bis Nifelheim nieder;Da fahren die Helden zu Hel.

Gangrad:

44Viel erfuhr ich, viel versucht ich,Befrug der Wesen viel.Wer lebt und leibt noch, wenn der lang besungneSchreckenswinter schwand?

Wafthrudnir:

45Lif und Lifthrasir leben verborgenIn Hoddmimirs Holz.53Morgentau ist all ihr Mahl:Von ihnen stammt ein neu Geschlecht.

Gangrad:

46Viel erfuhr ich, viel versucht ich,Befrug der Wesen viel.Wie kommt eine Sonne an den klaren Himmel,Wenn diese Fenrir fraß?

Wafthrudnir:

47Eine Tochter entstammt der strahlenden GöttinEh der Wolf sie würgt:Glänzend fahrt nach der Götter FallDie Maid auf den Wegen der Mutter.53

Gangrad:

48Viel erfuhr ich, viel versucht ich,Befrug der Wesen viel.Wie heißen die Mädchen, die das Meer der ZeitVorwissend überfahren?

Wafthrudnir:

49Drei über der Völker Vesten schwebenMögthrasirs Mädchen,Die einzigen Huldinnen der Erdenkinder,Wenn auch bei Riesen auferzogen.

Gangrad:

50Viel erfuhr ich, viel versucht ich,Befrug der Wesen viel.Wer waltet der Asen des Erbes der Götter,Wenn Surturs Lohe losch?

Wafthrudnir:

51Widar und Wali walten des Heiligtums,Wenn Surturs Lohe losch.53Modi und Magni sollen Miölnir schwingenUnd zu Ende kämpfen den Krieg.

Gangrad:

52Viel erfuhr ich, viel versucht ich,Befrug der Wesen viel.Was wird Odins Ende werden,Wenn die Götter vergehen?

Wafthrudnir:

53Der Wolf erwürgt den Vater der Welten:Das wird Widar rächen.Die kalten Kiefern wird er klüftenIm letzten Streit dem starken.51

Gangrad:

54Viel erfuhr ich, viel versucht ich,Befrug der Wesen viel:Was sagte Odin ins Ohr dem SohnEh er die Scheitern bestieg?

Wafthrudin:

55Nicht einer weiß was in der Urzeit duSagtest dem Sohn ins Ohr.Den Tod auf dem Munde meldet ich SchicksalsworteVon der Asen Ausgang.Mit Odin kämpft ich in klugen Reden:Du wirst immer der Weiseste sein.

4. Hrafnagaldr Odins

Odins Rabenzauber

1Allvater waltet, Alfen verstehn,Wanen wissen, Nornen weisen,Iwidie nährt, Menschen dulden,Thursen erwarten, Walküren trachten.

2Die Asen ahnten übles Verhängnis,Verwirrt von widrigen Winken der Seherin.Urda sollte Odhrärir57 bewachen,Wenn sie wüßte so großem Schaden zu wehren.

3Auf hub sich Hugin38 den Himmel zu suchen;Unheil fürchteten die Asen, verweil er.Thrains Ausspruch ist schwerer Traum,Dunkler Traum ist Dains Ausspruch.

4Den Zwergen schwindet die Stärke. Die HimmelNeigen sich nieder zu Ginnungs Nähe.5Alswid11 läßt sie oftmals sinken,Oft die sinkenden hebt er aber empor.

5Nirgend haftet Sonne noch Erde,Es schwanken und stürzen die Ströme der Luft.In Mimirs klarer Quelle versiegtDie Weisheit der Männer. Wißt ihr, was das bedeutet?

6Im Tale weilt die vorwissende GöttinHinab von Yggdrasils Esche gesunken,Alfengeschlechtern Idun genannt,Die Jüngste von Iwalts61 älteren Kindern.

7Schwer erträgt sie dies NiedersinkenUnter des Laubbaums Stamm gebannt.Nicht behagt es ihr bei Nörwis10 Tochter,An heitere Wohnung gewöhnt so lange.

8Die Sieggötter sehen die Sorge NannasUm die niedre Wohnung: sie geben ihr ein WolfsfellDamit bekleidet verkehrt sie den Sinn,Freut sich der Auskunft, erneut die Farbe.

9Wählte Widrir3 den Wächter der Brücke,Den Giallarertöner27, die Göttin zu fragenWas sie wisse von den Weltgeschicken.Ihn geleiten Loptr33 und Bragi.26

10Weihlieder sangen, auf Wölfen rittenDie Herrscher und Hüter der Himmelswelt.Odin spähte von Hlidskialfs9 SitzUnd wandte weit hinweg die Zeugen.

11Der Weise fragte die Wächterin des Tranks,Ob von den Asen und ihren GeschickenUnten im Hause der Hel sie wüßtenAnfang und Dauer und endlichen Tod.

12Sie mochte nicht reden, nicht melden konnte sie’s: Wie begierig sie fragten, sie gab keinen Laut.Zähren schossen aus den Spiegeln des Haupts,Mühsam verhehlt, und netzten die Hände.

13Wie schlafbetäubt erschien den GötternDie Harmvolle, die des Worts sich enthielt.Je mehr sie sich weigerte, je mehr sie drängten;Doch mit allem Forschen erfragten sie nichts.

14Da fuhr hinweg der Vormann der Botschaft,Der Hüter von Herjans gellendem Horn.Den Sohn der Nal nahm er zum Begleiter;33Als Wächter der Schönen blieb Odins Skalde.26

15Gen Wingolf3 kehrten Widrirs Gesandte,Beide von Forniots Freunden getragen.Eintraten sie jetzt und grüßten die Asen,Yggrs Gefährten beim fröhlichen Mahl.

16Sie wünschten dem Odin, dem seligsten Asen,Lang auf dem Hochsitz der Lande zu walten;Den Göttern, beim Gastmahl vergnügt sich zu reihen,Bei Allvater ewiger Ehren genießend.

17Nach Bölwerks58 Gebot auf die Bänke verteilt,Von Sährimnir38 speisend saßen die Götter.Skögul36 schenkte in Hnikars SchalenDen Met und maß ihn aus Mimirs Horn.

18Mancherlei fragten über dem MahleDen Heimdal die Götter, die Göttinnen Loki,Ob Spruch und Spähung gespendet die Jungfrau –Bis Dunkel am Abend den Himmel deckte.

19Übel, sagten sie, sei es ergangen,Erfolglos die Werbung, und wenig erforscht.Nur mit List gewinnen ließe der Rat sichDaß ihnen die Göttliche Auskunft gäbe.

20Antwort gab Omi3, sie alle härten es:„Die Nacht ist zu nützen zu neuem Entschluß.Bis Morgen bedenke wer es vermagGlücklichen Rat den Göttern zu finden.“

21Über die Wege von Wallis MutterNieder sank die Nahrung Fenrirs.Vom Gastmahl schieden die Götter entlassendHroptr und Frigg, als Hrimfari10 auffuhr.

22Da hebt sich von Osten aus den Eliwagar5Des reifkalten Riesen10 dornige Rute,Mit der er in Schlaf die Völker schlägt,Die Midgard bewohnen, vor Mitternacht.

23Die Kräfte ermatten, ermüden die Arme,Schwindelnd wankt der weiße Schwertgott.27Ohnmacht befällt sie in der eisigen Nachtluft,Die Sinne schwanken der ganzen Versammlung.

24Da trieb aus dem Tore wieder der TagSein schön mit Gestein geschmücktes Roß;Weit über Mannheim glänzte die Mähne:Des Zwergs Überlisterin zog es im Wagen.

25Am nördlichen Rand der nährenden ErdeUnter des Urbaums äußerste WurzelGingen zur Ruhe Gygien und Thursen,Gespenster, Zwerge und Schwarzalfen.

26Auf standen die Herrscher und die Alfenbestrahlerin;Die Nacht sank nördlich gen Nifelheim.Ulfrunas Sohn stieg Argiöl27 hinan,Der Hornbläser, zu den Himmelsbergen.

5. Vegtamskvida

Das Wegtamslied

1Die Asen eilten all zur VersammlungUnd die Asinnen all zum Gespräch:Darüber berieten die himmlischen Richter,Warum den Baldur böse Träume schreckten?

2(Ihm schien der schwere Schlaf ein Kerker,Verschwunden des süßen Schlummers Labe.Da fragten die Fürsten vorschaunde Wesen,Ob ihnen das wohl Unheil bedeute?

3Die Gefragten sprachen : „Dem Tode verfallen istUllers31 Freund, so einzig lieblich.“Darob erschraken Swafnir und Frigg,Und alle die Fürsten sie faßten den Schluß:

4"Wir wollen besenden die Wesen alleFrieden erbitten, daß sie Baldurn nicht schaden.“Alles schwur Eide, ihn zu verschonen;Frigg nahm die festen Schwür in Empfang.

5Allvater achtete das ungenügend,Verschwunden schienen ihm die Schutzgeister all.Die Asen berief der Rat zu heischen;Am Mahlstein gesprochen ward mancherlei.)

6Auf stand Odin der Allerschaffer,Und schwang den Sattel auf Sleipnirs42 Rücken.Nach Nifelheim hernieder ritt er;Da kam aus Hels Haus ein Hund ihm entgegen,

7Blutbefleckt vorn an der Brust,Kiefer und Rachen klaffend zum Biß,So ging er entgegen mit gähnendem SchlundDem Vater der Lieder und bellte laut.Fort ritt Odin, die Erde dröhnte,Zu dem hohen Hause kam er der Hel.

8Da ritt Odin ans östliche Tor,Wo er der Wala wußte den Hügel.Das Wecklied begann er der Weisen zu singen,(Nach Norden schauend schlug er mit dem Stabe,Sprach die Beschwörung Bescheid erheischend)Bis gezwungen sie aufstand Unheil verkündend.

Wala:

9Welcher der Männer, mir unbewußter,Schafft die Beschwere mir solchen Gangs?Schnee beschneite mich, Regen beschlug mich,Tau beträufte mich, tot war ich lange.

Odin:

10Ich heißte Wegtam, bin Waltams Sohn.Wie ich von der Oberwelt, sprich von der Unterwelt.Wem sind die Bänke mit Baugen (Ringen) bestreut,Die glänzenden Betten mit Gold bedeckt?

Wala:

11Hier steht dem Baldur der Becher eingeschenkt,Der schimmernde Trank, vom Schild bedeckt.Die Asen alle sind ohne Hoffnung.Genötigt sprach ich, nun will ich schweigen.

Wegtam:

12Schweig nicht, Wala, ich will dich fragenBis alles ich weiß. Noch wüßt ich gerne:Welcher der Männer ermordet Baldurn,Wird Odins Erben das Ende fügen?

Wala:

13Hierher bringt Hödur28 den hochberühmten,Er wird der Mörder werden Baldurs,Wird Odins Erben das Ende fügen.49Genötigt sprach ich, nun will ich schweigen.

Wegtam:

14Schweig nicht, Wala, ich will dich fragenBis alles ich weiß. Noch wüßt ich gerne:Wer wird uns Rache gewinnen an Hödur,Und zum Bühle bringen Baldurs Mörder?

Wala:

15Rinda30,36 im Westen gewinnt den Sohn,Der einnächtig, Odins Erbe, zum Kampf geht.Er wäscht die Hand nicht, das Haar nicht kämmt erBis er zum Bühle brachte Baldurs Mörder.Genötigt sprach ich, nun will ich schweigen.

Wegtam:

16Schweig nicht, Wala, ich will dich fragenBis alles ich weiß. Noch wüßt ich gerne:Wie heißt das Weib, die nicht weinen willUnd himmelan werfen des Hauptes Schleier?Sage das eine noch, nicht eher schläfst du.

Wala:

17Du bist nicht Wegtam, wie erst ich wähnte,Odin bist du der Allerschaffer.

Odin:

18Du bist keine Wala, kein wissendes Weib,Vielmehr bist du dreier Thursen Mutter.

Wala:

19Heim reit nun, Odin, und rühme dich:Kein Mann kommt mehr mich zu besuchenBis los und ledig Loki der Bande wirdUnd der Götter Dämmerung verderbend einbricht.

6. Havamal

Des Hohen Lied

1Der Ausgänge halber bevor du eingehstStelle dich sicher,Denn ungewiß ist, wo WidersacherIm Hause halten.

2Heil dem Geber! Der Gast ist gekommen:Wo soll er sitzen?Atemlos ist, der unterwegsSein Geschäft besorgen soll.

3Wärme wünscht der vom Wege kommtMit erkaltetem Knie;Mit Kost und Kleidern erquicke den Wandrer,Der über Felsen fuhr.

4Wasser bedarf, der Bewirtung sucht,Ein Handtuch und holde Nötigung.Mit guter Begegnung erlangt man vom GasteWort und Wiedervergeltung.

5Witz bedarf man auf weiter Reise;Daheim hat man Nachsicht.Zum Augengespött wird der Unwissende,Der bei Sinnigen sitzt.

6Doch steife sich niemand auf seinen Verstand,Acht hab er immer.Wer klug und wortkarg zum Wirte kommtSchadet sich selten:Denn festern Freund als kluge VorsichtMag der Mann nicht haben.

7Vorsichtiger Mann, der zum Mahle kommt,Schweigt lauschend still.Mit Ohren horcht er, mit Augen späht erUnd forscht zuvor verständig.

8Selig ist, der sich erwirbtLob und guten Leumund.Unser Eigentum ist doch ungewißIn des andern Brust.

9Selig ist, wer selbst sich magIm Leben löblich raten,Denn übler Rat wird oft dem MannAus des andern Brust.

10Nicht beßre Bürde bringt man auf ReisenAls Wissen und Weisheit.So frommt das Gold in der Fremde nicht,In der Not ist nichts so nütze.

11Nicht üblern Begleiter gibt es auf ReisenAls Betrunkenheit ist,Und nicht so gut als mancher glaubtIst Ael den Erdensöhnen,Denn um so minder je mehr man trinktHat man seiner Sinne Macht.

12Der Vergessenheit Reiher überrauscht GelageUnd stiehlt die Besinnung.Des Vogels Gefieder befing auch michIn Gunnlöds57,58 Haus und Gehege.

13Trunken ward ich und übertrunkenIn des schlauen Fialars57 Felsen.Trunk mag taugen, wenn man ungetrübtSich den Sinn bewahrt.

14Schweigsam und vorsichtig sei des Fürsten SohnUnd kühn im Kampf.Heiter und wohlgemut erweise sich jederBis zum Todestag.

15Der unwerte Mann meint ewig zu leben,Wenn er vor Gefechten flieht.Das Alter gönnt ihm doch endlich nicht Frieden,Obwohl der Speer ihn spart.

16Der Tölpel glotzt, wenn er zum Gastmahl kommt,Murmelnd sitzt er und mault.Hat er sein Teil getrunken hernach,So sieht man welchen Sinns er ist.

17Der weiß allein, der weit gereist ist,Und vieles hat erfahren,Welches Witzes jeglicher waltet,Wofern ihm selbst der Sinn nicht fehlt.

18Lange zum Becher nur, doch leer ihn mit Maß,Sprich gut oder schweig.Niemand wird es ein Laster nennen,Wenn du früh zur Ruhe fährst.

19Der gierige Schlemmer, vergißt er der Tischzucht,Schlingt sich schwere Krankheit an;Oft wirkt Verspottung, wenn er zu Weisen kommt,Törichtem Mann sein Magen.

20Selbst Herden wissen, wann zur Heimkehr Zeit istUnd gehn vom Grase willig;Der Unkluge kennt allein nichtSeines Magens Maß.

21Der Armselige, ÜbelgesinnteHohnlacht über allesUnd weiß doch selbst nicht was er wissen sollte,Daß er nicht fehlerfrei ist.

22Unweiser Mann durchwacht die NächteUnd sorgt um alle Sachen;Matt nur ist er, wenn der Morgen kommt,Der Jammer währt wie er war.

23Ein unkluger Mann meint sich alle hold,Die ihn lieblich anlachen.Er versieht es sich nicht, wenn sie Schlimmes von ihm redenSo er zu Klügern kommt.

24Ein unkluger Mann meint sich alle hold,Die ihm kein Widerwort geben;Kommt er vor Gericht, so erkennt er bald,Daß er wenig Anwälte hat.

25Ein unkluger Mann meint, alles zu können,Wenn er sich einmal zu wahren wußte.Doch wenig weiß er was er antworten soll,Wenn er mit Schwerem versucht wird.

26Ein unkluger Mann, der zu andern kommt,Schweigt am besten still.Niemand bemerkt, daß er nichts versteht,So lang er zu sprechen scheut.Nur freilich weiß wer wenig weißAuch das nicht, wann er schweigen soll.

27Weise dünkt sich schon wer zu fragen weißUnd zu sagen versteht;Doch Unwissenheit mag kein Mensch verbergen,Der mit Leuten leben muß.

28Der schwatzt zuviel, der nimmer geschweigtEitel unnützer Worte.Die zappelnde Zunge, die kein Zaum verhält,Ergellt sich selten Gutes.

29Mach nicht zum Spott der Augen den Mann,Der vertrauend Schutz will suchen.Klug dünkt sich leicht, der von keinem befragt wirdUnd mit heiler Haut daheim sitzt.

30Klug dünkt sich gern, wer Gast den GastVerhöhnend, Heil in der Flucht sucht.Oft merkt zu spät, der beim Mahle Hohn sprach,Wie grämlichen Feind er ergrimmte.

31Zu oft geschiehts, daß sonst nicht VerfeindeteSich als Tischgesellen schrauben.Dieses Aufziehn wird ewig währen:Der Gast grollt dem Gaste.

32Bei Zeiten nehme den Imbiß zu sich,Der nicht zu gutem Freunde fährt.Sonst sitzt er und schnappt und will verschmachtenUnd hat zum Reden nicht Ruhe.

33Ein Umweg ist’s zum untreuen Freunde,Wohnt er gleich am Wege;Zum trauten Freunde führt ein RichtsteigWie weit der Weg sich wende.

34Zu gehen schickt sich, nicht zu gasten stetsAn derselben Statt.Der Liebe wird leid, der lange weiltIn des andern Haus.

35Eigen Haus, ob eng, geht vor, Daheim bist du Herr,Zwei Ziegen nur und dazu ein StrohdachIst besser als Betteln.

36Eigen Haus, ob eng, geht vor,Daheim bist du Herr.Das Herz blutet jedem, der erbitten mußSein Mahl alle Mittag.

37Von seinen Waffen weiche niemandEinen Schritt im freien Feld:Niemand weiß unterwegs, wie baldEr seines Speers bedarf.

38Nie fand ich so milden und kostfreien Mann,Der nicht gerne Gab empfing,Mit seinem Gute so freigebig keinen,Dem Lohn wär leid gewesen.

39Des Vermögens, das der Mann erwarb,Soll er sich selbst nicht Abbruch tun:Oft spart man dem Leiden was man dem Lieben bestimmt;Viel fügt sich schlimmer als man denkt.

40Freunde sollen mit Waffen und Gewändern sich erfreun,Den schönsten, die sie besitzen:Gab und Gegengabe begründet Freundschaft,Wenn sonst nichts entgegen steht.

41Der Freund soll dem Freunde Freundschaft bewährenUnd Gabe gelten mit Gabe.Hohn mit Hohn soll der Held erwidern,Und Losheit mit Lüge.

42Der Freund soll dem Freunde Freundschaft bewähren,Ihm selbst und seinen Freunden.Aber des Feindes Freunde soll niemandSich gewogen erweisen.

43Weißt du den Freund, dem du wohl vertraustUnd erhoffst du Holdes von ihm,So tausche Gesinnung und Geschenke mit ihm,Und suche manchmal sein Haus heim.

44Weißt du den Mann, dem du wenig vertraustUnd erhoffst doch Holdes von ihm,Sei fromm in Worten und falsch im DenkenUnd zahle Losheit mit Lüge.

45Weißt du dir wen, dem du wenig vertraust,Weil dich sein Sinn verdächtig dünkt,Den magst du anlachen, und an dich halten:Die Vergeltung gleiche der Gabe.

46Jung war ich einst, da ging ich einsamVerlaßne Wege wandern.Doch fühlt ich mich reich, wenn ich andere fand:Der Mann ist des Mannes Lust.

47Der milde, mutige Mann ist am glücklichsten,Den selten Sorge beschleicht;Doch der Verzagte zittert vor allemUnd kargt verkümmernd mit Gaben.

48Mein Gewand gab ich im WaldeMoosmännern zweien.Bekleidet dauchten sie Kämpen sich gleich,Während Hohn den Nackten neckt.

49Der Dornbusch dorrt, der im Dorfe steht,Ihm bleibt nicht Blatt noch Borke.So geht es dem Mann, den niemand mag:Was soll er länger leben?

50Heißer brennt als Feuer der BösenFreundschaft fünf Tage lang;Doch sicher am sechsten ist sie ersticktUnd alle Lieb erloschen.

51Die Gabe muß nicht immer groß sein:Oft erwirbt man mit wenigem Lob.Ein halbes Brot, eine Neig im BecherGewann mir wohl den Gesellen.

52Wie Körner im Sand klein an VerstandIst kleiner Seelen Sinn.Ungleich ist der Menschen Einsicht,Zwei Hälften hat die Welt.

53Der Mann muß mäßig weise sein,Doch nicht allzuweise.Das schönste Leben ist dem beschieden,Der recht weiß, was er weiß.

54Der Mann muß mäßig weise sein,Doch nicht allzuweise.Des Weisen Herz erheitert sich seltenWenn er zu weise wird.

55Der Mann muß mäßig weise sein,Doch nicht allzuweise.Sein Schicksal kenne keiner voraus,So bleibt der Sinn ihm sorgenfrei.

56Brand entbrennt an Brand, bis er zu Ende brennt,Flamme belebt sich an Flamme.Der Mann wird durch den Mann der Rede mächtigIm Verborgnen bleibt er blöde.

57Früh aufstehen soll, wer den andern sinntUm Haupt und Habe zu bringen:Dem schlummernden Wolf glückt selten ein Fang,Noch schlafendem Mann ein Sieg.

58Früh aufstehen soll, wer wenig Arbeiter hat,Und schaun nach seinem Werke.Manches versäumt, wer den Morgen verschläft:Dem Raschen gehört der Reichtum halb.

59Dürrer Scheite und deckender SchindelnWeiß der Mann das Maß,Und all des Holzes, womit er ausreichtWährend der Jahreswende.

60Rein und gesättigt reit zur VersammlungUm schönes Kleid unbekümmert.Der Schuh und der Hosen schäme sich niemand,Noch des Hengstes, hat er nicht guten.

61Zu sagen und zu fragen verstehe jeder,Der nicht dumm will dünken.Nur einem vertrau er, nicht auch dem andern,Wissens dreie, so weiß es die Welt.

62Verlangend lechzt, eh er landen magDer Aar auf der ewigen See.So geht es dem Mann in der Menge des Volks,Der keinen Anwalt antrifft.

63Der Macht muß der Mann, wenn er klug ist,Sich mit Bedacht bedienen,Denn bald wird er finden, wenn er sich Feinde macht,Daß dem Starken ein Stärkerer lebt.

64Umsichtig und verschwiegen sei ein jederUnd im Zutraun zaghaft.Worte, die andern anvertraut wurden,Büßt man oft bitter.

65An manchen Ort kam ich allzufrüh;Allzuspät an andern.Bald war getrunken das Bier, bald zu frisch;Unlieber kommt immer zur Unzeit.

66Hier und dort hätte mir Labung gewinkt,Wenn ich des bedurfte.Zwei Schinken noch hingen in des Freundes Halle,Wo ich einen schon geschmaust.

 

67Feuer ist das Beste dem Erdgebornen,Und der Sonne Schein;Nur sei Gesundheit ihm nicht versagtUnd lasterlos zu leben.

68Ganz unglücklich ist niemand, ist er gleich nicht gesund:Einer hat an Söhnen Segen,Einer an Freunden, einer an vielem Gut,Einer an trefflichem Tun.

69Leben ist besser, auch Leben in Armut:Der Lebende kommt noch zur Ruh.Feuer sah ich des Reichen Reichtümer fressen,Und der Tod stand vor der Tür.

70Der Hinkende reite, der Handlose hüte,Der Taube taugt noch zur Tapferkeit.Blind sein ist besser als verbrannt werden:Der Tote nützt zu nichts mehr.

71Ein Sohn ist besser, ob spät geborenNach des Vaters Hinfahrt.Gedenksteine stehn am Wege selten,Wenn sie der Freund dem Freund nicht setzt.

72Zweie gehören zusammen und doch schlägt die Zungedas Haupt.Unter jedem Gewand erwart ich eine Faust.

73Der Nacht freut sich wer des Vorrats gewiß ist,Doch herb ist die Herbstnacht.Fünfmal wechselt oft das Wetter am Tag:Wie viel mehr im Monat!

74Wer wenig weiß, der weiß auch nicht,Daß einen oft der Reichtum äfft;Einer ist reich, ein andrer arm:Den soll niemand narren.

75Das Vieh stirbt, die Freunde sterben,Endlich stirbt man selbst;Doch nimmer mag ihm der Nachruhm sterben,Welcher sich guten gewann.

76Das Vieh stirbt, die Freunde sterben,Endlich stirbt man selbst;Doch eines weiß ich, daß immer bleibt:Das Urteil über den Toten.

77Volle Speicher sah ich bei Fettlings Sprossen,Die heuer am Hungertuch nagen:Überfluß währt einen Augenblick, Dann flieht er, der falscheste Freund.

78Der alberne Geck, gewinnt er etwaGut oder Gunst der Frauen,Gleich schwillt ihm der Kamm, doch die Klugheit nicht;Nur im Hochmut nimmt er zu.

79Was wirst du finden befragst du die Runen,Die hochheiligen,Welche Götter schufen, Hohepriester schrieben?Daß nichts besser sei als Schweigen.

 

80Den Tag lob abends, die Frau im Tode,Das Schwert, wenn’s versucht ist,Die Braut nach der Hochzeit, eh es bricht, das Eis,Das Ael, wenn’s getrunken ist.

81Im Sturm fällt den Baum, stich bei Fahrwind in See,Mit der Maid spiel im Dunkeln: manch Auge hat der Tag.Das Schiff ist zum Segeln, der Schild zum Decken gut,Die Klinge zum Hiebe, zum Küssen das Mädchen.

82Trink Ael am Feuer, auf Eis lauf Schrittschuh,Kauf mager das Roß, und rostig das Schwert,Zieh den Hengst daheim, den Hund im Vorwerk.

83Mädchenreden vertraue kein Mann,Noch der Weiber Worten.Auf geschwungnem Rad geschaffen ward ihr Herz,Trug in der Brust verborgen.

84Krachendem Bogen, knisternder Flamme,Schnappendem Wolf, geschwätziger Krähe,Grunzender Bache, wurzellosem Baum,Schwellender Meerflut, sprudelndem Kessel;

85Fliegendem Pfeil, fallender See,Einnächtgem Eis, geringelter Natter,Bettreden der Braut, bruchigem Schwert,Kosendem Bären und Königskinde;

86Siechem Kalb, gefälligem Knecht,Wahrsagendem Weib, auf der Walstatt Besiegtem,Heiterm Himmel, lachendem Herrn,Hinkendem Köter und Trauerkleidern;

87Dem Mörder deines Bruders, wie breit wär die Straße,Halbverbranntem Haus, windschnellem Hengst,(Bricht ihm ein Bein, so ist er unbrauchbar):Dem allen soll niemand voreilig trauen.

88Frühbesätem Feld trau nicht zu viel,Noch altklugem Kind.Wetter braucht die Saat und Witz das Kind:Das sind zwei zweiflige Dinge.

89Die Liebe der Frau, die falschen Sinn hegt,Gleicht unbeschlagnem Roß auf schlüpfrigem Eis,Mutwillig, zweijährig, und übel gezähmt;Oder steuerlosem Schiff auf stürmender Flut,Der Gemsjagd des Lahmen auf glatter Bergwand.

90Offen bekenn ich, der beide wohl kenne,Der Mann ist dem Weibe wandelbar;Wir reden am schönsten, wenn wir am schlechtesten denken:So wird die Klügste geködert.

91Schmeichelnd soll reden und Geschenke bietenWer des Mädchens Minne will,Den Liebreiz loben der leuchtenden Jungfrau:So fängt sie der Freier.

92Der Liebe verwundern soll sich kein WeiserAn dem andern Mann.Oft fesselt den Klugen was den Toren nicht fängt,Liebreizender Leib.

93Unklugheit wundre keinen am andern,Denn viele befällt sie.Weise zu Tröpfen wandelt auf ErdenDer Minne Macht.

 

94Das Gemüt weiß allein, das dem Herzen innewohntUnd seine Neigung verschließt,Daß ärger Übel den Edlen nicht quälen magAls Liebesleid.

95Selbst erfuhr ich das, als ich im Schilfe saßUnd meiner Holden harrte.Herz und Seele war mir die süße Maid;Gleichwohl erwarb ich sie nicht.

96Ich fand Billungs Maid auf ihrem Bette,Weiß wie die Sonne, schlafend.Aller Fürsten Freude fühlt ich nichtig,Sollt ich ihrer länger ledig leben.

97„Am Abend sollst du, Odin, kommen,Wenn du die Maid gewinnen willst.Nicht ziemt es sich, daß mehr als ZweiVon solcher Sünde wissen.“

98Ich wandte mich weg Erwidrung hoffend,Ob noch der Neigung ungewiß;Jedoch dacht ich, ich dürft erringenIhre Gunst und Liebesglück.

99So kehrt ich wieder: da war zum KampfStrenge Schutzwehr auferweckt,Mit brennenden Lichtern, mit lodernden ScheiternMir der Weg verwehrt zur Lust.

100Am folgenden Morgen fand ich mich wieder ein,Da schlief im Saal das Gesind;Ein Hündlein sah ich statt der herrlichen MaidAn das Bett gebunden.

101Manche schöne Maid, wer’s merken will,Ist dem Freier falsch gesinnt.Das erkannt ich klar, als ich das kluge WeibVerlocken wollte zu Lüsten.Jegliche Schmach tat die Schlaue mir anUnd wenig ward mir des Weibes.

102Munter sei der Hausherr und heiter bei GästenNach geselliger Sitte,Besonnen und gesprächig: so schein er verständig,Und rate stets zum Rechten.

103Der wenig zu sagen weiß, wird ein Erztropf genannt,Es ist des Albernen Art.

 

104Den alten Riesen besucht ich, nun bin ich zurück:Mit Schweigen erwarb ich da wenig.Manch Wort sprach ich zu meinem GewinnIn Suttungs57,58 Saal.

105Gunnlöd schenkte mir auf goldnem SesselEinen Trunk des teuern Mets.Übel vergolten hab ich gleichwohlIhrem heiligen Herzen,Ihrer glühenden Gunst.

106Ratamund ließ ich den Weg mir räumenUnd den Berg durchbohren;In der Mitte schritt ich zwischen RiesensteigenUnd hielt mein Haupt der Gefahr hin.

107Schlauer Verwandlungen Frucht erwarb ich,Wenig mißlingt dem Listigen.Denn Odhrörir ist aufgestiegenZur weitbewohnten Erde.

108Zweifel heg ich, ob ich heim wär gekehrtAus der Riesen Reich,Wenn mir Gunnlöd nicht half, die herzige Maid,Die den Arm um mich schlang.

109Die Eisriesen eilten desandernTagsDes Hohen Rat zu hörenIn des Hohen Halle.Sie fragten nach Bölwerk58 ob er heimgefahren seiOder ob er durch Suttung fiel.

110 Den Ringeid, sagt man, hat Odin geschworen:Wer traut noch seiner Treue?Den Suttung beraubt er mit Ränken des MetsUnd ließ sich Gunnlöd grämen.

 

Loddfafnirs-Lied

111Zeit ist’s zu reden vom Rednerstuhl.An dem Brunnen UrdasSaß ich und schwieg, saß ich und dachteUnd merkte der Männer Reden.

112Von Runen hört ich reden und vom Ritzen der SchriftUnd vernahm auch nütze Lehren.Bei des Hohen Halle, in des Hohen HalleHört ich sagen so:

113Dies rat ich, Loddfafnir, vernimm die Lehre,Wohl dir, wenn du sie merkst.Steh nachts nicht auf, wenn die Not nicht drängt,Du wärst denn zum Wächter geordnet.

114Das rat ich, Loddfafnir, vernimm die Lehre,Wohl dir, wenn du sie merkst.In der Zauberfrau Schoß schlaf du nicht,So daß ihre Glieder dich gürten.

115Sie betört dich so, du entsinnst dich nicht mehrDes Gerichts und der Rede der Fürsten,Gedenkst nicht des Mahls noch männlicher Freuden,Sorgenvoll suchst du dein Lager.

116Das rat ich, Loddfafnir, vernimm die Lehre,Wohl dir, wenn du sie merkst.Des andern Frau verführe du nicht.Zu heimlicher Zwiesprach.

117Das rat ich, Loddfafnir, vernimm die Lehre,Wohl dir, wenn du sie merkst.Über Furten und Felsen so du zu fahren hast,So sorge für reichliche Speise.

118Dem übeln Mann eröffne nichtWas dir Widriges widerfährt:Von argem Mann erntest du nimmer dochSo guten Vertrauns Vergeltung.

119Verderben stiften einem Degen sah ichÜbeln Weibes Wort:Die giftige Zunge gab ihm den Tod,Nicht seine Schuld.

120Gewannst du den Freund, dem du wohl vertraust,So besuch ihn nicht selten,Denn Strauchwerk grünt und hohes GrasAuf dem Weg, den niemand wandelt.

121Das rat ich, Loddfafnir, vernimm die Lehre,Wohl dir, wenn du sie merkst.Guten Freund gewinne dir zu erfreuender Zwiesprach;Heilspruch lerne so lange du lebst.

122Altem Freunde sollst du der ersteDen Bund nicht brechen.Das Herz frißt dir Sorge, magst du keinem mehrDeine Gedanken all.

123Das rat ich, Loddfafnir, vernimm die Lehre,Wohl dir, wenn du sie merkst.Mit ungesalznem Narren sollst duNicht Worte wechseln.

124Von albernem Mann magst du niemalsGuten Lohn erlangen.Nur der Wackere mag dir erwerbenGuten Leumund durch sein Lob.

125Das ist Seelentausch, sagt einer getreulichDem andern alles, was er denkt.Nichts ist übler als unstet sein:Der ist kein Freund,der zu Gefallen spricht.

126Das rat ich, Loddfafnir, vernimm die Lehre,Wohl dir, wenn du sie merkst.Drei Worte nicht sollst du mit dem Schlechten wechseln:Oft unterliegt der Gute,Der mit dem Schlechten streitet.

127Schuhe nicht sollst du noch Schäfte machenFür andre als für dich:Sitzt der Schuh nicht, ist krumm der Schaft,Wünscht man dir alles Übel.

128Das rat ich, Loddfafnir, vernimm die Lehre,Wohl dir, wenn du sie merkst.Wo Not du findest, deren nimm dich an;Doch gib dem Feind nicht Frieden.

129Das rat ich, Loddfafnir, vernimm die Lehre,Wohl dir, wenn du sie merkst.Dich soll andrer Unglück nicht freuen;Ihren Vorteil laß dir gefallen.

130Das rat ich, Loddfafnir, vernimm die Lehre,Wohl dir, wenn du sie merkst.Nicht aufschaun sollst du im Schlachtgetöse:Ebern ähnlich wurden oft Erdenkinder;So aber zwingt dich kein Zauber.

131Willst du ein gutes Weib zu deinem Willen beredenUnd Freude bei ihr finden,So verheiß ihr Holdes und halt es treulich:Des Guten wird die Maid nicht müde.

132Sei vorsichtig, doch sei’s nicht allzusehr,Am meisten sei’s beim MetUnd bei des andern Weib; auch wahre dichZum dritten vor der Diebe List.

133Mit Schimpf und Hohn verspotte nichtDen Fremden noch den Fahrenden.Selten weiß, der zu Hause sitztWie edel ist, der einkehrt.

134Laster und Tugenden liegen den MenschenIn der Brust beieinander.Kein Mensch ist so gut, daß nichts ihm mangle,Noch so böse, daß er zu nichts nütze.

135Haarlosen Redner verhöhne nicht:Oft ist gut was der Greis spricht.Aus welker Haut kommt oft weiser Rat;Hängt ihm die Hülle gleich,Schinden ihn auch Schrammen,Der unter Wichten wankt.

136Das rat ich, Loddfafnir, vernimm die Lehre,Wohl dir, wenn du sie merkst.Den Wandrer fahr nicht an, noch weis ihm die Tür:Gib dem Gehenden gern.

137Stark wär der Riegel, der sich rücken sollteAllen aufzutun.Gib einen Scherf; dies Geschlecht sonst wünschtDir alles Unheil an.

138Dies rat ich, Loddfafnir, vernimm die Lehre,Wohl dir, wenn du sie merkst: