Die Ehe ist eine Frage der Kultur - Claudia Nneka Hirsch - E-Book

Die Ehe ist eine Frage der Kultur E-Book

Claudia Nneka Hirsch

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Beschreibung

Die Ehe wird oft als Krönung der Partnerschaft empfunden. Aber macht eine Ehe wirklich glücklich? Ist sie das Happy End – oder der Anfang vom Ende? Inwieweit ändern sich die Vorzeichen, wenn man aus unterschiedlichen Kulturen stammt?   Die Nigerianerin Helena muss sich all diesen Fragen stellen, als sie Lukas trifft, der sie im Sturm erobert und schnell vom Geliebten zum Ehemann wird. Er stellt nicht nur ihre Gefühle, sondern gleich ihr gesamtes Leben auf den Kopf, denn er stammt aus Deutschland.   Bald darauf verliebt sich Helenas beste Freundin Claire in Edward und heiratet ihn, einen Menschen aus ihrer eigenen Kultur. Heißt das automatisch, dass sie und Edward eine harmonischere Beziehung führen als Helena und Lukas?   Werden es glückliche Ehen sein? Und bleiben Liebe und Vertrauen bestehen?

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EPUB
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Seitenzahl: 364

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2024 novum publishing

ISBN Printausgabe: 978-3-99146-891-2

ISBN e-book: 978-3-99146-892-9

Lektorat: Mag. Elisabeth Biricz

Umschlagabbildungen: Matthias Ziegler | Dreamstime.com;Foto Studio Megg / Claudia Nneka Hirsch

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

www.novumverlag.com

Einleitung

Liebe Leserinnen und Leser,

ich bin Claudia Hirsch, eine aufstrebende Stimme in der Welt der Literatur, und es ist mir eine aufrichtige Freude, mich vorzustellen. Als gebürtige Nigerianerin, die mittlerweile stolze deutsche Staatsbürgerin ist, schöpfe ich in meinem literarischen Schaffen aus einer fesselnden Mischung kultureller Einflüsse und persönlicher Begegnungen.

Die Tatsache, dass ich nicht nur eine leidenschaftliche Leserin bin, sondern auch in einer glücklichen binationalen Ehe lebe, ließ in mir ein tiefes Verständnis für die komplexen Nuancen und reizvollen Zwischentöne erwachsen, die mit solchen Beziehungen einhergehen. Die persönlichen Herausforderungen einer Ehe sind mir nicht zuletzt deswegen bewusst, weil ich das Glück habe, in einer liebevollen Familie geborgen zu sein, zu der auch meine wunderbaren Töchter Marion und Elisabeth gehören.

Mit meinem Schreiben möchte ich meine Lebenserfahrung, meine Einsichten und meine persönliche Odyssee teilen und dadurch andere inspirieren und unterstützen, die in ihrer Ehe ähnliche Wege beschreiten. Mein Ziel ist es, Verständnis, Liebe und Verbundenheit in den verschiedensten Beziehungen zu fördern, indem ich eine neue und einfühlsame Perspektive auf die Vielschichtigkeit und den Triumph der Liebe biete, die alle kulturellen Grenzen überwindet.

Beim Lesen dieses Buches erwartet Sie eine tiefgründige Auseinandersetzung mit sich selbst, der Liebe, der Ehe und einer wunderbaren Komplexität der Vielfalt. Meine Worte sollen eine Quelle der Inspiration und eine Möglichkeit zur Orientierung für all jene bieten, die sich in der bunten und verlockenden Welt der (binationalen) Ehe bewegen. Meine Worte spiegeln nicht nur meine eigenen Erfahrungen wider, sondern wurden außerdem von Menschen inspiriert, die mir ihre Geschichten erzählt haben und mir das Vertrauen schenkten, diese niederzuschreiben. Obwohl ich die Namen der realen Personen selbstverständlich geändert habe, ging es mir darum, ihre Worte so authentisch wie möglich wiederzugeben. Deshalb wurden viele nigerianische und Pidgin-Ausdrücke beibehalten – ihre Erklärung findet sich in einem gesonderten Glossar am Ende des Buches.

Ich lade Sie dazu ein, mich auf meiner Reise zu begleiten; einer Reise, bei der ich meine Geschichten und Einsichten mit Ihnen teilen möchte – und meine Leidenschaft, wenn es darum geht, belastbare und beständige Beziehungen zu fördern, die jede Kluft zwischen verschiedenen Nationalitäten und kulturellen Hintergründen überbrücken können.

Das Leben ist unberechenbar. Glücklich verheiratet? Was ist das?Gibt es das überhaupt?

Mein Name ist Helena Nwachukwu, verheiratete Helena Zimmerman, und dies ist meine Geschichte.

Wie alles begann

Ich wuchs mit vier Geschwistern und meinem Vater auf; meine Mutter starb, als mein jüngster Bruder noch ein Kleinkind war. Papa gab sein Bestes, hörte mehr zu als er sprach, und sorgte dafür, dass wir alles hatten, was wir brauchten.

Ich hatte mein ganzes Leben in Nigeria verbracht, aber es gab immer dieses starke Gefühl in mir, dass ich eines Tages die Chance bekommen würde, ins Ausland zu reisen. Ich war wirklich fasziniert von „Weißen“ – ich fand sie sehr attraktiv. Meiner Meinung nachführten hellhäutige Menschen bessere Beziehungen, vor allem im Hinblick auf die ungesunden Partnerschaften in meinem Umfeld, in denen ein Großteil der Frauen alle Arten von Missbrauch erleidet. Meiner Meinung nach gab es das bei den „Weißen“ nicht.

Nach meinem Schulabschluss zog ich gemeinsam mit meiner Freundin Claire nach Lagos. Der Lärm, die überfüllten Straßen und die ausgelassene Atmosphäre waren überwältigend. Lagos stand in scharfem Kontrast zu der kleinen Stadt, aus der ich stammte. Hinzu kam außerdem die erdrückende Luftfeuchtigkeit und die daraus folgende Tageshitze – zum Glück waren die Nächte etwas kühler. All das war jedoch unwichtig, denn ich hatte mich in Lagos und insbesondere in sein Nachtleben verliebt.

Hier lernte ich auch Lukas Zimmerman kennen, einen deutschen Auswanderer, der mein Herz stahl. Man sollte meinen, dass das Schicksal zu meinen Gunsten entschied und meine Träume wahr werden ließ, oder? Nun, ich fand mich an einem Freitagabend allein in einer Sportsbar in Lagos Island wieder. Ich hatte mich dort mit meiner Kollegin Esther verabredet, um ein wenig mit ihr abzuhängen, schließlich stand das Wochenende vor der Tür. Offensichtlich verspätete sie sich, also holte ich mir schon einmal einen Drink, um nicht tatenlos dazusitzen, und ließ meinen Blick umherschweifen. Undplötzlich war er da, ein echter Adonis in dunkelgrauem T-Shirt und tiefsitzenden Jeans, der durch die Eingangstür geschlendert kam, als gehöre ihm der Laden. Ich spürte, wie sich mein Herzschlag sofort beschleunigte. Er sah mich direkt an! Ich erstarrte für ein oder zwei Sekunden und schaute zurück, und dann wusste ich plötzlich nicht mehr, wohin mit meinen Augen. Ich blickte abwechselnd ins Leere und auf mein Glas, bis ich beschloss, aufzustehen und mich auf den Weg nach draußen zu machen.

Als ich meine Tasche nahm, schaute ich auf und sah, dass er den Weg zu meinem Tisch gefunden hatte. Mit einem Lächeln streckte er seine Hand aus und stellte sich vor: „Hi, ich bin Lukas.“ Nach einem festen Händedruck und einem „Hallo,ich bin Helena“, zog ich meine Hand zurück, schnappte meine Tasche und flüchtete. Während ich buchstäblich wegrannte, warfich einen kurzen Blick hinter mich, um zu sehen, obich ihn abgehängt hatte. Wie es das Schicksal wollte, entkam ich diesem Traum von einem Mann jedoch nicht.

„Hey, warum so eilig?“, fragte er, als er zumir aufschloss.

„Tut mir leid, ich habe wirklich keine Zeit“ wardas Beste, was mir einfiel, während ich versuchte, die Fassung zubewahren und nicht zu keuchen.

„Dann kann ich dich doch wenigstens mitnehmen“, bot er an. „Wo wohnst du?“ Ich lehnte sein Angebot ab; denn ich war sprachlos und wollte in einem solchen Zustand auf keinen Fall mit diesem Mann mitfahren. „Alles klar“, erwiderte er mit einem gedehnten Grinsen, fast so, als wüsste er genau, was in meinem Kopf vor sich ging.

„Kann ich deine Handynummer haben?“ Er klang zögerlich, als erwartete er eine weitere Absage.

„Sicher, warum nicht?“, lächelte ich schwach. Was sollte ich sagen? Ich hatte schon häufiger Weiße gesehen, aber noch nie aus der Nähe, und erst recht keinen Mann mit großen blauen Augen, die mich direkt anschauten.

Esther hat sich nie gemeldet, um sich dafür zu entschuldigen, dass sie mich versetzt hatte. Ich konnte ihr das allerdings nicht übelnehmen; vielleicht wollte das Universum Lukas und mich auf diese Weise zusammenbringen?

Den Rest der Nacht und den ganzen Samstag verbrachte ich damit, von der unglaublichen Anziehungskraft dieses Mannes zu träumen. Er hatte genauso blaue Augen wie der Clark Kent meiner Fantasie, und dieses Haar! Herrlich zerzaust und ganz sicher so weich, wie es aussah.

Am Sonntagnachmittag, gleich nach dem Gottesdienst, klingelte mein Handy. Lukas wollte wissen, ob wir an diesem Abend essen gehen könnten. Zu sagen, dass ich aufgeregt gewesen wäre, ihn wiederzusehen, wäre komplett untertrieben: Ich war wie im Delirium. Sofort rief ich meine treue Freundin Claire an, damit sie mir bei der Kleiderwahl helfen konnte. „Bitte stell dich darauf ein mitzukommen, ich gehe nicht alleine aus“, flehte ich. Meine Aufregung würde ganz sicher nicht die Oberhand über meinen gesunden Menschenverstand gewinnen!

„Wenn deinBoboeinverstanden ist, kein Problem“, stimmte sie zu, „ich möchte ihn auf jeden Fall mit eigenen Augen sehen.“

Drei Stunden lang leerten wir meinen gesamten Kleiderschrank und ich probierte alles mindestens zweimal an, bis die Wahl schließlich auf ein kleines schwarzes Trägertop, einen roten hochgeschlossenen Minirock und schwarze Stiefeletten fiel. Das ließ mich deutlich selbstsicherer aussehen, als ich mich fühlte. Da wir nur noch eine Stunde Zeit hatten, ging ich unter die Dusche, um mich frisch zu machen, legte ein wenig Make-up auf und sprühte mir etwas Coco Mademoiselle auf die Handgelenke und hinter die Ohren, um mich noch unwiderstehlicher zu machen. Pünktlich um sechs klingelte es an der Tür.

Auf die Minute! Was für ein Gentleman!Claire eilte an mir vorbei zur Tür. Von meinem Platz an der Küchentür aus konnte ich hören, wie sie sich vorstellte und ihm ziemlich entschlossen mitteilte, dass sie sich uns „anschließen“ würde. Nun, das hatte er jetzt davon, nicht jeder war ein solcher Hasenfuß wie ich. Er stieß sein mir bereits vertrautes Kichern aus, sagte: „Unbedingt“, und schaute zu mir herüber. „Du siehst bezaubernd aus“, sagte er und zog mich zu sich heran. Wieder einmal verwandelten sich mein Gehirn und meine Zunge in Watte. Wenigstens schaffte ich es, „Danke, du auch“ zu erwidern.

Wir gingen hinunter zu seinem Wagen, wo sein Fahrer auf uns wartete. Obwohl ich nicht viel über Autos wusste, erkannte ich, dasses sich um einen schicken roten Mercedes handelte.Lukas hielt Claire und mir die hintere Tür auf, schloss sie dann und setzte sichauf den Beifahrersitz. Ich stupste Claire sofort an und warfihr unserenJetzt weißt du, was ich meine-Blick zu. Sie verdrehte die Augen und groovte ein bisschen auf ihrem Sitz. Wir platzten beide vor unbändiger Aufregung.

„Wohin gehen wir?“, fragte ich, als ich sicher war, dass ich meine Stimme unter Kontrolle hatte.

„Lass dich überraschen“, antwortete er über seine Schulter hinweg. Wir unterhielten uns während der ganzen Fahrt. Soweit es mich betraf, lief der Abend einfach perfekt.

Der Fahrer hielt auf dem Parkplatz des Hotels Le Méridien. Ich war zum ersten Mal dort, Claire auch, das wusste ich. Von einem solchen Luxusetablissement hatten wir bislang nur träumen können. „Warst du schon einmal hier?“, fragte er mich ins Ohr, als wir den Club betraten. Aus den Lautsprechern ertönte lauter Afrobeat. „Nein“, antwortete ich knapp.

So sehr ich das Nachtleben auch genoss, musste ich doch noch an meinen Umgangsformen feilen, vor allem in solch heiklen Situationen; aber ich tat mein Bestes. Im Vergleich zu Claire verblasste ich allerdings: Sie war ausgelassen und der absolute Mittelpunkt der Party. Sie schien ihren Auftritt in vollen Zügen zu genießen, während sie neben mir tanzte. Als Lukas sie amüsiert beobachtete, nutzte ich die Gelegenheit, einen Blick auf sein Gesicht zu erhaschen. Einen Augenblick lang war ich fasziniert von seinem markanten Kiefer, dem ausgeprägten Kinn und den vollen, üppigen Lippen – bis ich aufblickte und sah, dass er auf mich herabstarrte. Verlegen wandte ich den Blick ab und murmelte, dass ich mich hinsetzen müsse.

Ich machte mich auf die Suche nach einem Platz, wo ich michsetzen und in Ruhe darüber nachdenken konnte, wie viel peinlicher dieser Abend noch werden würde.

Als Claire sah, dass ich nicht mit meinemBobotanzen wollte, zog sie ihn auf die Tanzfläche. Ich machte mir keine Sorgen, Claire war nun einmal sehr aufgeschlossen. Aber ich bemerkte, dass seine Augen die ganze Zeit über auf mir ruhten.

Das Universum war gnädig mit mir, und der Rest des Abends zog schnell und reibungslos vorüber. Lukas setzte uns an Claires Wohnung ab, wo ich die Nacht verbringen wollte. Als wir ausstiegen, hielt er mich zurück und fragte, ob wir Freitag wieder ausgehen könnten – ohne Claire. „Nur wir beide“, sagte er. Tausend Gedanken schossen mir in einem Sekundenbruchteil durch den Kopf. Ich war nervös, weil ich mit Lukas allein sein wollte, aber ich war noch nie ohne Claire zu einem Date gegangen. Ihre fröhliche und manchmal nervtötend laute Anwesenheit gab mir ein Gefühl der Sicherheit; ich konnte mich dann einfach im Hintergrund halten und alles beobachten. Trotzdem stimmte ich einem echten Date mit ihm zu.

Am nächsten Tag war ichgroggy und auf der Arbeit unkonzentriert. Claire und ich hatten kaum zwei Stunden geschlafen. Wir waren wach geblieben und hatten über Lukas geplaudert, Was-wäre-wenn-Spiele gespielt und uns endlos lange märchenhafte Situationen ausgemalt. Sie war etwas verärgert darüber, dass sie bei der nächsten Verabredung nicht dabei sein konnte, fand sich jedoch schnell damit ab. „Ich freue mich für dich, Helena, ich glaube, dass du und Lukas ein gutes Paar abgeben werdet“, sagte sie in den frühen Morgenstunden.

„Na, ob wir ein Paar sind, weiß ich noch nicht. Lass uns erst mal schauen, wie es am Freitag läuft.“

Der Donnerstag brach an, und ich war völlig erschöpft von der ganzen Aufregung. Am späten Vormittag schleppte ich mich zum Büro meiner Vorgesetzten, Frau Ernest, um ihr mitzuteilen, dass ich nach Hause gehen musste.

„Bist du krank?“, fragte sie.

„Ichglaube schon, Ma. Ich fühle mich nicht sehr gut.“

„In einem solchenZustand habe ich dich noch nie gesehen. Du kannst gehen.“

Wiesollte ich meiner Chefin erklären, dass es die pausenlos flatternden Schmetterlinge in meinem Bauch waren, die mich von der Arbeit ablenkten?

Ich kam nach Hause und rief Claire an, dass sie nach der Arbeit vorbeikommen solle.Kurz nach fünf hörte ich sie an der Haustür. „Ichhabe dein Lieblingsessen mitgebracht!“, zwitscherte sie, als sie hereinkam, „Moi-Moiund gepfefferte Schnecken“, und stellte dieMr. Bigg’s-Tüten auf mein Bett.

„Im Ernst?“ Ich war schon dabei, mich über die Tütenherzumachen. „Woher wusstest du, dass ich Hunger habe?“

„Ich kenne dich, Helena, und weiß, dass du seit letztem Sonntagnichts Richtiges mehr gegessen hast.“

Ganz ehrlich: Wenn es jemanden gab, der mich kannte, dann Claire. Wir waren seit der weiterführenden Schule eng befreundet.

„Helena, Helena,wach auf!“ Ein wiederholtes Klopfen auf meinem Arm.

Ich öffnete die Augen und sah auf mein Handy, 00:28 Uhr. Also drehte ichmich um und schloss die Augen. „Nein, Claire. Ich muss jetzt wirklich schlafen.“

„Helena“, sagtesie eindringlicher und schüttelte mich. „Bitte, wach auf, irgendetwas beunruhigt mich, und wir müssen jetzt darüber reden.“

„Ach du meineGüte, Claire“, stöhnte ich ins Kissen.

„Es geht um Lukas.“

Okay, das machte mich hellwach. Ich setzte mich auf und drehte mich zu ihr um.

„Was?“

„Ich glaube, Lukas istzu gut, um wahr zu sein.“

Das war es also? Das war der Grund, warum sie mich geweckt hatte?

„Claire, bistdu eifersüchtig, weil du morgen nicht mitkommst? Geht es dir darum?“

„Nein, ich sagenur, dass diese ganze Sache einfach unwirklich und … und ein bisschen verdächtig erscheint. Was, wenn er ein Hochstapler ist?“

„Meinst du das ernst?Was kann schon schiefgehen? Wir haben noch nicht einmal ein richtiges Date gehabt.“

Was war bloß mitClaire los? Sie fing an, mich zu nerven.

„Keine Ahnung, ich mache mir nur Sorgen.“

„Gute Nacht,Claire – und weck mich bitte nicht nochmal.“

Ich legte mich hin und schloss die Augen, bemüht, wieder einzuschlafen.

„Sag nicht, ichhätte dich nicht gewarnt.“

Ich schätze, sie konnte auch nicht wieder einschlafen, denn einen Moment später hörte ich, wie sieaufstand, sich ins Wohnzimmer schlich eine unserer Lieblingsserienim Fernsehen einschaltete. Wir schauten diese Serie eigentlich immer gemeinsam, aber ich hielt meine Augen geschlossen und zwang mich loszulassen.

Unser erstes richtiges Date

Am Freitagmorgen wachte ich früh und aufgeregt auf. Zum Glück war ich noch krankgeschrieben. Claire benahm sich komisch, also ignorierte ich sie. Sie würde mir heute nicht die Laune verderben. Sie machte sich selbst Frühstück, während ich an einem Glas Orangensaft nippte. Das war alles, zu dem mein Magen bereit war. Nachdem ich gebadet und mich fertig gemacht hatte, fragte ich Claire, ob sie mich zum Friseur begleiten würde. „Natürlichkomme ich mit. Ich will nichts verpassen“, antwortete sie. Wir nahmen ein Taxi und Claire redete die ganze Fahrt über, offensichtlich wieder ganz die Alte. Ich war froh, dass ich nicht an Lukas denken musste, während ich über ihre dummen Witze lachte.

„Warte, was willst du anziehen?“, fragte sie, während die Friseurin mein Haar zurechtmachte und glättete. Ich hatte mich noch nicht entschieden, also sagte ich ihr, dass ich vielleicht einfach das kleine rote Kleid anziehen würde, das sie mir letztes Jahr zum Geburtstag geschenkt hatte. Es war ein Seidenkleid mit offenem Rücken, einem Schlitz, der auf beiden Seiten fast bis zur Hüfte reichte, und einem Rundhalsausschnitt.

„Neeeiiin“, flüsterte sie laut, während sie mich mit gespieltem Entsetzen ansah.

„Warum nicht?“, wollte ich wissen.

„Ist das nicht ein bisschen zu freizügig? Wirwollen doch nicht, dass er auf dumme Gedanken kommt, oder?“

„Darüber machst du dir Sorgen?“ Ich lachte. „Werde erwachsen, Claire!Du hast mir das Kleid gekauft, und ich werde es tragen.Finito.“

Als ich ihr sagte, dass ich mirim Spa eine Gesichtsbehandlung gönnen würde, war sie leicht geschockt. „Du gibstdeine gesamten Ersparnisse für dieses Date aus, Helena.“

„Ja, und ich bereue es nicht. Wenn du keineGesichtsbehandlung brauchst, dann setz dich einfach zu mir.“

Sie gluckste: „Ich leiste mir auch eine, Süße. Glaub nicht, dass ich dich alleine Geld verschleudern lasse!“

Als wir zu meiner Wohnung zurückfuhren,fragte Claire, ob sie über Nacht bleiben könne. Ich konnte mir schon denken, warum, aber ich fragte trotzdem.

„Das weißt du genau“, kicherte sie. „Ich will, dass du mir alles Wesentliche sofort erzählst.“

Esging langsam auf 19:30 Uhr zu, und Lukas rief an, um zusagen, dass er fast bei mir war. Claire war plötzlich noch aufgeregter als ich. Ich musste sie beruhigen.

„Bleib sitzen, du machst mich nervös!“

„Dann lassmich mitkommen.“ Bei diesen Worten setzte sie ihren umwerfenden Bambi-Blick auf.

„Als Babysitter? Du kannst nicht ewig auf michaufpassen! Und du musst auch nicht wach bleiben, bis ich wieder da bin.“ „Das ist jetzt eine echte Beleidigung“, gab sie sich entrüstet. „Warum sollte ich aufbleiben?Na me born you?Bin ich etwa deine Mutter?“

Dingdong!Die Türklingel! Und ich war immer noch im Morgenmantel und stritt mich mit Claire! Wir starrten uns mit großen Augen an und wussten nicht, was wir als nächstes tun sollten. Dann sprangen wir gleichzeitig auf; Claire ging zur Tür, während ich mich fertig anzog.

Ich hörte, wie Claire Lukas hereinließ und ihm einen Platz anbot, dann setzte sie sich ebenfalls hin und begann, ihn mit Fragen zu löchern – Fragen, die ich irgendwann auchgestellt hätte, wenn Claire nicht beschlossen hätte, mir zuvorzukommen.

„Wie lange bist du schon in Nigeria?“, fragte sieihn. „Ungefähr fünf Jahre“, antwortete er.

„Das ist lang, hattest du in der Zeit irgendwelche nigerianischen Freundinnen?“

„Nun, ichhabe mich nicht immer zu dunkelhäutigen Mädchen hingezogen gefühlt.“

Oh-oh.Das war für Claire die falscheAntwort, wenn ich mich nicht sehr irrte. Und ich wusste, dass sie ihre Wut an ihm auslassen würde. „Und was findest du dann an Helena?“ Ich musste Lukas vor ihr retten, wenn ich wollte, dass er anschließend noch lebendig genug sein würde, um mit mir auszugehen.

„Claire!“, rief ich. „Kannst du mir bitte mal helfen?“

„Ich bin gleich wieder da“, versprach sieihm, als sie aufstand und zu mir ins Schlafzimmer ging.

Ich zog sie hinein und schloss die Tür.„Was soll das Verhör?You well so?Tickst du noch ganz richtig?“, fragte ich sie.

„Na datoyibo man weydey your parlour no well – der weiße Typ in deinem Wohnzimmer tickt nicht ganz richtig! Wie kann er behaupten, fünf Jahre lang in Lagos zu leben, ohne jemals eine nigerianische Freundin gehabt zu haben?“

Ich hielt ihr den Mund zu und sagte ihr, sie solle mir einfach helfen, mein Kleid hinten zuzubinden, und bedankte mich anschließend bei ihr. Bevor ich sie aufhalten konnte, hastete sie zurück ins Wohnzimmer. Schnell zog ich meine Stöckelschuhe an, trug etwas Parfüm auf und eilte zu Lukas‘ Rettung. Er stand auf, als er mich entdeckte, und hielt mir die Hand hin. Er sah noch hinreißender aus als beim letzten Mal: in einem burgunderroten Polohemd, das seinen Bizeps und seine breite Brust betonte, einerdunkelbraunen Hose und Turnschuhen, die aussahen, als wären sie nagelneu. Und er blickte mich an, als wäre ich aus Sternenstaub! Ich ließ meine Hand in seine gleiten, und er drehte mich herum, um mich genau in Augenschein zu nehmen. „Du siehst hinreißend aus“, sagte er schlicht. In diesem Moment hatte ich das Gefühl, ihn schon ewig zu kennen. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie Claire uns ansah und versuchte, meinen Blick zu erhaschen, wahrscheinlich, um mir in letzter Minute ein Zeichen zu geben. Ich ignorierte ihre wenig subtilen Gesten, während Lukas mir die Haustür aufhielt.

„Tschüss, Claire“, rief ich ihr zu und ging zu Lukas‘Auto.

Lukas hielt mir einmal mehr die Autotür auf, nur dass er diesmal neben mir einstieg. Er beugte sich zum Fahrer, Steve, und sagte: „Le Méridien, bitte.“ Er schien kein Freund vieler Worte zu sein.

„Was ist so besonders am Le Méridien? Es ist schon das zweite Mal, dass wir dorthin ausgehen.“

Er antwortete: „Das ist der einzige Ort, der mich nicht wahnsinnig macht.“ Dort werde er nicht so oft wie sonst von Frauen belästigt, fügte er hinzu.

Am Hotel stieg er aus und hielt mir die Tür auf. Die Tatsache, dass er immer darauf bestand, bedeutete mir sehr viel, so klein die Geste auch sein mochte.

Hand in Hand, als wären wir schon ewig ein Paar, gingen wir zur Poolbar. Nachdem wir Platz genommen hatten, kam ein Kellner, um unsere Bestellungen aufzunehmen. Ich fragte nachSuya, während Lukas gegrillten Fisch und Pommes Frites und eine Flasche Weißwein für uns beide orderte.

Aus den Lautsprechern ertönte Tina Turner mitWhat’s Love Got to Do with It.

Dazu könnte ich tatsächlich tanzen, dachte ich mir. „Möchtest du tanzen, bevor das Essen kommt?“, fragte Lukas. Konnte der Mann meine Gedanken lesen?

Als wirtanzten, liefCareless Whispersvon George Michael. Lukas drückte mich ein bisschen enger an sich, ich konnte seinen Atem an meinem Ohr spüren. Mein Herzschlag beschleunigte sich. War er genauso nervös wie ich,aber mutig genug, das zu verbergen? Seine Lippen berührten mein Ohr, und ein Schauer lief mir über den Rücken. Im Handumdrehen verpuffte all mein Mut. „Ich glaube, ich muss mich setzen“, sagte ich atemlos. Als wir zu unseren Plätzen zurückkehrten, war unser Essen zum Glück schonda. Ich stürzte mich sofort darauf, weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Er lächelte wissend und sahmir beim Essen zu. Es musste ihm klar sein, dass mich seine Nähe verunsicherte. „Durstig?“, fragte er, und ich nickte stumm. Er füllte mein Glas halbvoll mit Wein, der süß und trocken zugleich schmeckte.

Im Laufe des Abends verließen die Gäste langsam aber sicher die Bar. Lukas wollte mit mir in das benachbarte Casino gehen. Mir war nicht danach, also sagte ich, dass wir das beim nächsten Mal tun könnten.

„Das heißt, es gibt ein nächstes Mal? Toll!“ Zum ersten Mal klang er wirklich aufgeregt, als er mich in den Arm nahm. Ich konnte nur lächeln. Dieses Lächeln gefror allerdings bei seinen nächsten Worten: „Ich liebe dich, Helena.“ Er sah aus, als wäre er genauso überrascht von seinen Worten wie ich. Nun, es war gut zu wissen, dass es mir diesmal nicht alleine so ging.

Er verlangte die Rechnung, bezahlte,und wir gingen schweigend zum Auto.

Ich hatte keine Ahnung, was ich sagen sollte, also fragte ich das Erste, was mir einfiel: „Was machst du beruflich?“ Keine Antwort.

„Wie lange bist du schon inLagos?“ Schweigen.

Als wir ins Auto stiegen, drehte er sich zu mir um und nahm meine Hände in seine. Er schaute mir tief in die Augen und begann: „Ich bin Ingenieur und lebe seit fünf Jahren hier. Meine Eltern sind Deutsche, ich bin ledig und war noch nie verheiratet. Zufrieden?“

„Nicht ganz. Aber weitere Fragen stelle ich dir dann, wenn sie mir in den Sinn kommen.“

„Es wird mir ein Vergnügen sein, sie dir zu beantworten.“

Im Gegenzug wollte er etwas über mich wissen, über meine Familie, aus welchem Staat ich stammte, warum ich von zu Hause weggegangen war, und über meine Ängste und Träume. Ich beantwortete alle Fragen außer den letzten beiden. Er fragte noch einmal nach und wollte wissen, warum ich diese Fragen nicht beantwortet hatte. „Eines Tages werde ich es dir erzählen“, sagte ich.

Wir kamen gegen Mitternacht wieder bei mir an, und Lukas stieg aus, um mir die Tür zu öffnen. Steve, der Fahrer, ergriff zum ersten Mal das Wort: „Madam, irgendetwas muss an Ihnen anders sein;OgaLukas hat noch nie eine andereNaija-Frau angeschaut.“ Ich betrachtete ihn schweigend und stieg aus dem Auto. Lukas begleitete mich zu meiner Tür und reichte mir die Hand; wir verabschiedeten uns und er ging zurück zu seinem Auto.

Ich war fassungslos, als ich das Haus betrat. Kein Licht, alles war still. „Wiekann man einen Menschen lieben und ihm dann einfach nur eine gute Nacht wünschen?“, fragte ich mich laut. „Das ergibt doch keinen Sinn.“

Ich erschrak, als ich das Licht im Wohnzimmer anschaltete und Claire erblickte, die mir direkt in die Augen sah. „Was soll das, du Creep?“, fragte ich sie. Ich ging an ihr vorbei und legte mich aufs Bett. Sie folgte mir aufgeregt. „Wie ist es gelaufen?“ „Kein Kommentar“, antwortete ich, weil ich die Erinnerungen noch eine Weile alleine auskosten wollte, bevor ich ihr etwas erzählte.

„You won make I beg you abi? Soll ich jetzt auf die Knie fallen? Bitte mach schon, ich binganz Ohr; ich muss alles über deinenOyinbo Bobo,erfahren.“

Ich schob Müdigkeit vorund versprach, ihr am nächsten Tag alles zu erzählen.

„These eyes resemble who wan sleep? Sehen diese Augen aus, als ob sie schlafen wollten?“, fragte sie. „Wir könnenden ganzen Samstag schlafen;tonight na gist night, heute Nacht wollen wir ratschen!“

Ich wusste, dass sie nicht aufgebenwürde, bevor ich alles erzählt hatte, also gab ich nach.

Claire hörte aufmerksam zu, ohne ein Wort zu sagen, was sehr untypisch für sie war. Schließlich fragte ich sie, ob es ihr gut ginge. Sie nickte nur und sagte, ich solle weitermachen. „Das ist alles“, antwortete ich.

„Hmm. Wie auch immer, mach dir keine Sorgen. Wenn er dich so liebt, wie er sagt, wird er sich bald wieder mit dir verabreden.“

„Wir werden sehen. Können wir jetzt schlafen?“

Ich schlief keine Sekunde, sondern starrte an die Decke und ließ den ganzen Abend in meinem Kopf Revue passieren, erlebte jede Szene noch einmal. Irgendwann, kurz vor dem Morgengrauen, schlief ich ein. Nach gefühlten fünf Minuten wurde ich von Claires Stimme geweckt, die in besorgtem Flüsterton meinen Namen rief.

Sie stand am Wohnzimmerfenster, noch im Schlafanzug, und spähte durch die zugezogenen Vorhänge. Ich eilte zu ihr, um zu sehen, was los war, und spähte ebenfalls hinaus. Lukas schlief tief und fest in seinem Auto, das vor meinem Haus geparkt war. Was machte er da bloß? Ich eilte in meinem Pyjama hinaus und klopfte leicht an Steves Scheibe. Er kurbelte das Fenster herunter, schlapp und erschöpft, weil er die Nacht im Auto verbracht hatte. „Was ist hier los? Was ist passiert?“, fragte ich.

„Madam,Ogasagte, er wolle in Ihrer Nähe schlafen und bat mich, ihn hierher zu fahren. Er wollte Sie nicht stören; deshalb haben wir im Autoübernachtet.“

Ich war sprachlos, ging zurück ins Haus und erzählte Claire, was vor sich ging. „Warum hast du sie nicht hereingebeten?“, fragte sie, und wollte sich schon auf den Weg machen, um genau das zu tun. Wir sahen jedoch nur noch das Heck des Autos, als es die Straße hinunterfuhr, fort von meinem Haus. Alles ging so schnell. „Your bobo don go;dein Süßer ist abgehauen“, stellte Claire nüchtern fest. Ich nickte und versuchte immer noch zu begreifen, was gerade passiert war. „Nun steh nicht einfach so da, ruf ihn an“, drängte sie mich, als wir wieder reingingen und die Tür schlossen.

„Und was soll ich sagen?“ „Irgendwas! Hauptsache, du rufst an.“

„Irgendwas bedeutet nichts, Claire. Ich spiele dieses Spiel nicht mit, und ich lasse auch nicht zu, dass Lukas Psychospielchen mit mir treibt. Wenn er vor meinem Haus schlafen kann, kann er auch anrufen. Wenn nicht, auch gut. Ich schaue nach vorn.“

„So now you dey make shakaraabi?Lässt du ihn jetzt zappeln?“

„E don do abeg,bitte, das reicht jetzt.Was sein soll, wird sein. Wenn es nicht sein soll, dann führt nichts, was wir tun, dazu dass es etwas ist. Du weißt, ich dränge mich niemandem auf.“

„Nicht niemandem“, sagte sie bestimmt. „Das ist derOyinbo Bobo, auf den du vorher so versessen warst.“

„Na und? Du kannstihn haben, wenn du willst.“

Ich zog meinen Schlafanzug aus und ging unter die Dusche. Ich erinnerte Claire daran, dass unsere Freundin Naomi an diesem Tag eine Willkommensparty für ihren Freund geben würde. Beim WortPartywar für sie jeder Gedanke an Lukas verflogen – typisch. „Das ist genau das, was wir nach diesem ganzenOyinbo-Theater brauchen.“ Pause. „Moment mal, ist Naomis Freund nicht auch weiß?“

„Eh-hen – na und? Was hat das mit mir zu tun? Komm baden, lass uns entspannen. Es ist Samstag.“

Als ich mich anzog, erhielt ich einen Anruf von einer Nummer, die ich nicht gespeichert hatte. Ich war skeptisch, ob ich den Anruf annehmen sollte; schließlich war dies Lagos, wo alles möglich war, also ließ ich es einfach klingeln.Claire kam mit ihren Sandalen in der Hand aus dem Schlafzimmer. „Warum hast du den Anruf nicht angenommen? Ich habe dein Telefon klingeln gehört.“

„Es war eineunbekannte Nummer“, antwortete ich.

„Und wenn es Lukas war?“, fragtesie mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Sehr witzig. Los, ruf uns ein Taxi.“ Für den Bruchteil einer Sekunde erwog ich die Möglichkeit, dass es sich bei dem Anrufer tatsächlich um Lukas gehandelt hatte, verwarf sie aber schnell wieder. Ich hatte Lukas‘ Handynummer bereits gespeichert. Unser Taxi kam, und bald waren wir auf dem Weg zu Naomis Wohnung.

Als ich vor dem Bungalow anhielt,bemerkte ich ein Auto, das genauso aussah wie das von Lukas.Ich hatte mir sein Nummernschild nicht gemerkt, also konnte ich nicht mit Sicherheit sagen, ob es seines war, aber wie groß war die Chance, dass wir einen gemeinsamen Freund hatten? Ich tat das Ganze als Zufall ab.

Naomi begrüßte uns fröhlich, sagte, wir sollten uns wie zu Hause fühlen, und verschwand in der Menge. Ich war froh, dass ich Claire bei mir hatte. Ich hätte mich in dem Meer von fremden Gesichtern in Naomis Haus vollkommen deplatziert gefühlt. Je länger die Party dauerte, desto stärker wurde jedoch das unangenehme Gefühl, beobachtet zu werden. Ich wandte mich an Claire, um ihr mitzuteilen, dass ich mich nicht wohl fühlte und gehen wolle. „Komm schon, tanz‘ und genieß die Party; hör auf, dich so komisch zu verhalten“, sagte sie und wischte mein Unbehagen beiseite.

„Ich will nur kurz an die frische Luft“, sagte ich und ging durch die Vordertür hinaus. Mein Blick fiel auf das Auto, das Lukas‘ Wagen so ähnlich war, und auf Steve, der auf der Fahrerseite einstieg. Mein Kopf musste mir einen Streich spielen! Ich ging auf das Auto zu und klopfte an das Sicherheitsglas der Fahrerseite. Stevekurbelte die Scheibe herunter und wirkte nicht sehr überrascht, mich dort zu sehen. „Guten Abend, Madam“, sagte er.

„Bitte nenn mich Helena“, erwiderte ich und versuchte, normal zu klingen. „Wo ist Lukas?“

„Er muss irgendwo da drin sein.“

„Verfolgt ihrmich etwa? Diese ganze Sache wird mir langsam unheimlich.“

Erversuchte mir zu erklären, wie sehr sich die Liebe zueiner Nigerianerin auf seinen Chef auswirkte, aber darauf hatte ich keine Lust und winkte ab.

„Ich gehe rein und suche ihn. Jemand muss ihm sagen, dass er sich wie ein Erwachsener benehmen sollte!“

Ich schlich mich wieder ins Haus, um Lukas zu finden, der aber irgendwie schwer zu entdecken war. Stattdessen kam Claire auf mich zu und sagte aufgeregt: „Rate mal, wen ich gerade gesehen habe!“

„Lukas“, antwortete ich trocken.

„Woher weißt du das?“ „Ich habe vorhin sein Auto gesehen und gerade mit Steve, seinem Fahrer, gesprochen. Wenn ich so darüber nachdenke, woher kennt Lukas eigentlich Naomi?“ Wir hatten uns auf eine Couch im Wohnzimmer gesetzt, um zu plaudern. Ein Großteil der Gäste verlagerte sich gerade in den Essbereich, der zur Tanzfläche umfunktioniert worden war, als sich direkt hinter mir jemand räusperte. Noch bevor ich mich umdrehte, wusste ich, wer es war.

„Hallo, Helena“, sagte er, „möchtest du tanzen?“ Er sah einfach beunruhigend gut aus – was war das für eine ungesunde Faszination, die von diesemMann ausging, selbst jetzt, wo ich nicht wirklich begeistert von ihm war? Ich legte meine Hand in seine, und er führte mich auf die Tanzfläche. Beim Tanzen war zu spüren, dass wir beide abgelenkt waren; ich durch seine Nähe und die Tatsache, dass ich vermutete, dass er mich verfolgte, und er durch Gott weiß was. Ich schlugvor, dass wir stattdessen rausgehen sollten, um zu reden. „Sicher,wirkönnenunsinsAutosetzen“,stimmteerzu.Steve zog sich unauffällig zurück, als er unsnäherkommen sah. Wir setzten uns beide auf den Rücksitz und ließen die Tür offen.

„Helena“, begann er, „es tut mir aufrichtig leid, dass sich unser Verhältnis rapide zu verschlechtern scheint. Ich hatte meine Gefühle nicht unter Kontrolle; ich dachte, ich würde dich verlieren, wenn sie zu früh offenbarte. Aber es ist einfach passiert. Und ich hoffe, ich habe dich nicht schon verloren.“

„Bist du mir hierher gefolgt?“, fragte ich unverblümt; bemüht, mich nicht in diesen traurig dreinblickenden blauen Augen zu verlieren.

„Ja, das bin ich.“

„Das ist Stalking, Lukas. Und es ist unheimlich. Es gibt Hunderte schöner Mädchen in Lagos. Warum ich?“ Mein Kopf und mein Herz lagen miteinander im Zwiestreit. Ich wolltekonsequent sein. Der Mann war mir ein Rätsel mit seinen wenigen Worten, seinem Lächeln und seinen Stalking-Gewohnheiten. Aber gleichzeitig konnte ich nicht leugnen, dass ich von knisternder Elektrizität erfüllt war, seit ich ihn vor zwei Wochen zum ersten Mal durch diese Tür hatte kommen sehen. Meine Gefühle für ihn wurden stärker, und insgeheim wünschte ich mir, dass er mir noch einmal sagen würde, dass er mich liebte. Und zu all dem kam noch hinzu, dass er weiß war – was eine große Rolle spielte.

Er nahm meine Hände in seine und sagte die schönen Worte, die ich hören musste: „Weil ich gleich in der ersten Sekunde, in der ich dich sah, irgendwie wusste, dass du genau das bist, was ich brauche. Ich habe mich in dich verliebt. Und deshalb bitte ich dich ganz förmlich, meine Liebste zu werden und mit mir zusammen zu leben.“

Meine Vernunft erlag diesem Ansturm: Bevor ich zu eingehend darüber nachdenken konnte, fiel ich ihm in die Arme. „Ja“, antwortete ich schlicht. Ich umarmte ihn, und wir saßen einfach da und bewunderten uns gegenseitig, sagten nichts, sondern genossen den Moment, der durch Claires Klopfen an der Windschutzscheibe unterbrochen wurde. Claire! Ich hatte sie völlig vergessen. „Ihr solltet zurück zur Party kommen“, sagte Claire, „ich habe mir schon Sorgen gemacht, wo ihr bleibt.“

„Wie du siehst, geht es uns gut“, antwortete Lukas. „Ja, das tue ich“, sagte Claire und schaute ihn an.

Als wir reingingen, um weiter zu feiern, zog mich Claire zur Seite und fragte: „Was ist los? Ihr seid einfach verschwunden. Ich habe mir Sorgen gemacht, bis ich Steve sah und er mir sagte, ihr wärt beide im Auto. Habe ich etwas verpasst?“ „Du verpasst nichts“, antwortete ich, „ich lasse mich einfach treiben.“ „Was soll das heißen?“, fragte Claire. „Dass ich verliebt bin – wünsch mir Glück!“ „Genieße einfach den Augenblick. Wenn der Zug anhält, steigst du aus und nimmst wieder deinen Mädchennamen an. Trotzdem wünsche ich dir das Allerbeste, liebste Freundin, und das weißt du auch.“ Sie nahm meine Hand, legte sie in Lukas‘ und sagte zu ihm: „Bitte tu ihr niemals weh! Helena ist eine bessere Freundin als eine Schwester es sein könnte!“ Lukas lächelte nur und stimmte ihr zu, woraufhin Claire sagte: „Ich nehme dich beim Wort!“

Die Liebesreise

Die Party war vorüber. Lukas lud mich zu sich nach Hause ein, und ich nahm an. Steve freute sich, mich wiederzusehen, und tat so, als hätten wir uns noch nicht gesehen. „Guten Abend, Madam.“ „Was soll der Quatsch mitMadam? Ich heiße Helena, also nenn mich auch bitte so“, forderte ich. Steve nickte. Lukas sagte ihm, er solle uns zu seinem Haus fahren, das auf Banana Island lag, einem Teil der Victoria Island von Lagos. Es war größer als meines, zu groß für eine Person.Was soll’s, dachte ich,er ist eben ein Auswanderer. Lukas konnte seine Hände nicht von mir lassen. Aufgeregt zeigte er mir das ganze Haus. Seine Köchin verkündete, dass das Abendessen fertig sei und brachte gebackene Kartoffeln, Salat, gegrillten Fisch und Soße. Bei dem ganzen Theater hatte ich völlig vergessen, auf Naomis Party etwas zu mir zu nehmen.

„Ich muss etwas sagen, bevor wir mit dem Essen beginnen: Ich esse gerne Fischaugen und kaue Gräten, aber bei diesem ersten offiziellen Treffen werde ich darauf verzichten.“ Lukas lachte laut auf. „Schon gut, das stört mich nicht, solange du es nicht vor meinen Gästen tust, wenn ich welche habe.“ „Natürlich nicht, ich bin nicht derart wild auf Gräten, das ist einfach nur ein nigerianisches Ding, das du nicht verstehst“, lachte ich. Im Speisezimmer fragte ich: „Und wo übernachten deine Köchin und dein Fahrer?“ „Steve ist schon weg, aber die Köchin, Mary, bleibt in der Einliegerwohnung“, erwiderte er. Danach gingen wir ins Wohnzimmer, und er fragte, ob ich einen Film sehen wollte. Als ich bejahte, sagte er: „Such einenFilm für uns aus.“ Ich hatte schon viel von dem Film gehört, in dem Demi Moore einen Striptease hinlegt, hatte aber nie die Gelegenheit gehabt, das Video anzusehen oder zu kaufen. Ich war wirklich froh, als ich sah, dass er es hatte. „Wenn Claire mich jetzt sehen könnte“, dachte ich laut, dann beruhigte ich mich. „Ich kenne den Film schon, schaue ihn mir aber gerne noch einmal mit dir zusammen an“, sagte er, als ich das Video hochhielt. „Danke“, erwiderte ich, während ich die Videokassette in den Rekorder einlegte. Wir saßen auf der längsten Couch dicht beieinander, mein Kopf ruhte auf seiner Schulter. Er stand auf, als Demi ihren Striptease hingelegt hatte, um eine Flasche Baileys und zwei Gläser zu holen, jedes mit Eiswürfeln darin, und schenkte uns beiden ein. „Lukas, versuchst du, mich betrunken zu machen, um mich ins Bett zu kriegen?“

„Nein, Helena, ich möchte, dass du dich entspannst, und selbst wenn ich solche Absichten hätte, dann bestimmt nicht heute Abend.“ Ich liebte seine Ehrlichkeit! Er ging und kam mit einer Glasschale voll gerösteter, gesalzener Erdnüsse zurück und reichte sie mir, wofür ich ihm dankte. Wir prosteten uns zu und sahen uns den Film bis zum Ende an. „Du kannst das Gästezimmer nehmen, wenn du willst, oder dich zu mir ins Bett legen“, sagte er. Bevor ich den Mund öffnen konnte, um etwas zu erwidern, fügte er schnell hinzu: „Ich beiße nicht, versprochen.“ „Okay, dann also dein Bett, du gehst vor.“ Sein Schlafzimmer war geräumig, mit ordentlich bezogener weißer Bettwäsche, lila- und beigefarbenen Vorhängen und einem angeschlossenen Bad. „Beeindruckend“, sagte ich. „Ich bin froh,dass es dir gefällt; ich hätte Mary geweckt, um alles umzugestalten, wenn es nicht nach deinem Geschmack gewesen wäre. Willst du zuerst ins Bad?“ „Ich habe nichts zum Anziehen dabei, vielleicht kannst du mir ein T-Shirt leihen, nur für heute Nacht?“ „Keine Sorge, ich habe dir etwas gekauft, hier ist es.“

Er öffnete tatsächlich die Schublade neben seinem Bett und reichte mir ein nagelneues rotes, sexy Nachthemd, an dem noch das Preisschild hing.

„Bitte sehr“, sagte er verlegen.

„Aber warum das Preisschild, und woher wusstest du, was mirpassen würde?“ „Es gefiel mir einfach, und ich sagte mir:Wenn ich jemals eine Freundin habe, werde ich es ihr samt Etikett geben, damit sie sich sicher sein kann, dass niemand sonst es getragen hat.Und es hat genau die Größe, die meine Freundin haben sollte.“

Das Nachthemd befand sich noch in seiner Victoria’s Secret-Tasche, ich hatte noch nie etwas von Victoria’s Secret besessen, sondern nur davon gehört.

Ich nahm das Nachthemd mit ins Bad und zog es nach dem Duschen an. Lukas war noch nichtim Zimmer, als ich das Bad verließ, kam dann aber in seinem Pyjama herein. „Hast du geduscht?“, fragte ich. „Ja, im Gästezimmer.“

Lukas ist so sexy und gutaussehend! „Welche Seite des Bettes möchtest du?“ Mir war jede Seite recht. Er nahm schließlich die linke und ich die rechte. Eng umschlungen schliefen wir bis zum nächsten Morgen. Lukas ist ein Frühaufsteher, und er war schon auf und machte mir ein Omelett und Toast.

Ich bin kein großer Esser, wurde aber vom Essensduft geweckt. Noch in meinem Nachthemd (oder besser gesagt: in dem Nachthemd, das Lukas mir geschenkt hatte) ging ich in die Küche und sahihm beim Kochen zu. Das war das Romantischste, was je ein Mann für mich getanhatte! Er drehte sich um, als er mich hörte, und sagte mir, ich solle wieder ins Bett gehen, weil er mir das Frühstück dorthin bringen würde. Wie konnte ich dazu Nein sagen? Ich lächelte und legte mich wieder ins Bett. Er brachte das Frühstück etwa eine Minute später und teilte mir mit, dass er Mary gebeten hatte, das Mittagessen zu kochen. Er fragte, ob ich damit einverstanden sei, bis dahin zu bleiben. „Ich weiß es noch nicht, lass mich Claire anrufen und sehen, was sie vorhat.“

Eine Frage fiel mir ein, die ich Lukas längst hatte stellen wollen, die mir aber immer wieder entglitten war: „Woher kennst du Naomi?“ „Sie ist die Freundin meines Chefs. Wir kommen beide aus derselben Stadt in Deutschland. Ich kam, um mit ihm über meinen nächsten Urlaub zu sprechen, und wusstenicht, dass dort gerade eine Party am Gange war. Ich wusste auch nicht, dass du Naomi kennst, bis ich dich dort sah. Ich war schockiert und habe Steve gebeten nachzuforschen, ob es wirklich du warst.“ „Hast du mir sonst noch nachgestellt?“

Das stritt er nicht ab und entschuldigte sich dann erneut. „Ist schon in Ordnung“, sagte ich, woraufhin wir beide lachten und Witze darüber machten.

Ich rief Claire an; sie ging beim ersten Klingeln an ihr Handy. „Also, was ist passiert? Ist er so heiß im Bett, wie er aussieht? Küsst er gut?“ „Claire, Claire“, gebot ich ihr Einhalt, bevor sie etwas Unanständiges sagen konnte. „Gib mir nicht die Schuld, du warst den ganzen Tag mit Lukas zusammen und hast sogar bei ihm geschlafen. Was soll mein armer Kopf da denken?“ „Es ist nichts passiert! Ist dir schonmal in den Sinn gekommen, dass zwei Verliebte sich auch ohne Sex kennenlernen können?“ „Zeit für die Beichte, ich bin ganz Ohr“, kicherte sie. „Das ist nicht lustig.“ „Bist du dir da ganz sicher?“ Ich erzählte Claire alles, was passiert war, und auch von dem Vorfall auf Naomis Party. „Wann sehen wir uns,abi you don marry? Wenn du verheiratet bist?“ „Das ist einer der Gründe, warum ich angerufen habe: Lukas hat mich gebeten, die ganze Woche über bei ihm zu bleiben.“ „Was ist mit der Arbeit und mit mir, willst dumich jetzt im Stich lassen?“ „Ich lasse dich nicht im Stich, und ich werde von hier aus zur Arbeit gehen.“

„Ich verbiete dir, eine Woche lang dort zu bleiben“, warf sie ein. „Claire, seit wann bist du meine Mutter?“, schrie ich sie an. „Nun, jemand muss diese Rolle übernehmen, wenn du dich wie ein Kind aufführst“, sagte sie ruhig.

„Gib mir seine Adresse, dann störe ich dich die ganze Woche über nicht.“

„Versprochen?“ „Ja, versprochen“, versicherte sie mir.

Ich schickte ihr die Lukas‘ Adresse und sagte ihr, sie solle mir ein paar Kleider, Unterwäsche und Toilettenartikel bringen; aus Sicherheitsgründen hatte sie einen Ersatzschlüssel für meine Wohnung und ich einen für ihre.

Claire kam später am Abend um 19:30 Uhr. Lukas und ich waren in ein Restaurant gegangen und schon wieder zurück – ich hatte noch einmal das Kleid anziehen müssen, das ich schon auf Naomis Party getragen hatte. Zum Glück war es nicht zu sexy. Zwischendurch rief ich Claire an, und sie ging nicht ans Telefon. Ich war besorgt, aber Lukas versicherte mir, dass Claire ein großes Mädchen sei, das auf sich selbst aufpassen könne. „Du hast keine Ahnung, das hier ist Lagos, und Claire ignoriert meinen Anruf nicht einfach. Sie geht normalerweise beim ersten Klingeln ans Telefon.“ Lukas hatte die Sicherheitsleute bereits informiert, dass sie Claire hereinlassen