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David Deed hat das Gefängnis verlassen. Frei ist er deswegen jedoch noch lange nicht! Alte Rechnungen sind offen und neue Schulden zu begleichen. Dabei rinnt ihm die Zeit durch die Finger wie der staubige Wüstensand. Seit frühester Jugend träumt David von der Freiheit und davon, seine Heimatstadt im Nirgendwo mit seiner Jugendliebe Jules hinter sich zu lassen. Sein bester Freund Clive hat die Idee, sich den örtlichen Kleinkriminellen anzudienen und mit Autodiebstählen schnelles Geld zu machen. Doch David wird geschnappt und verliert alles. Als er zurückkehrt wartet niemand auf ihn - lediglich die Schulden der Vergangenheit, die er mit einem weiteren Diebstahl begleichen soll. David bleibt nur die Wahl, noch einmal zu wagen, was ihn schon beim ersten Versuch hinter Gitter gebracht hat. Erneut beginnt eine Hetzjagd, an deren Ende die Freiheit stehen soll, doch vorher führt sie David tief in die Vergangenheit zurück.
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Seitenzahl: 118
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Die Ehre eines Diebes
Danksagung
Epigraph
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Epilog
Impressum
(Andrew H. Young)
Ich danke Dir, Claudi, dass Du mich als Erste einen “zukünftigen Romanautoren” genannt hast und mit dem richtigen Geschenk zur rechten Zeit dafür gesorgt hast, dass mich das Schreiben nie wieder losgelassen hat.
Und ich danke Dir, Meike, dass Du mir den Anstoß gegeben hast, mein Geschriebenes gerade in diesen Tagen wieder auszugraben und noch einmal durchzusehen.
Manchmal ist es der Blick zurück, der uns geradewegs nach vorne führt.
Freedom's just another word for nothin' left to lose
Nothin' ain't worth nothin', but it's free
(Kris Kristofferson)
Seine Beine knackten vernehmlich, als sich David Deed aus dem engen Sitz des Überlandbusses schob. Auf seinen zitternden Knien streckte er sich kurz und unbefriedigend, denn der schmale Gang bot nicht viel mehr Platz als der alte, von vielen Reisenden über die Jahre bereits platt gesessene Sitz zuvor.
Trotz der sich immer noch weich anfühlenden Knie hatte er mit einem schnellen Griff die kleine, graue Tasche mit seinen wenigen Habseligkeiten aus dem Staufach genommen.
Wieder knackten seine Gelenke, als er hölzern die zwei Stufen hinunter auf den verwitterten Gehsteig trat. Die trockene Luft schlug ihm ins Gesicht, die Sonne brannte auf seiner Haut, und er spürte, wie er nach der langen Fahrt in dem klimatisierten Bus sofort zu schwitzen begann.
David atmete tief ein und schulterte seine Tasche.
Hinter ihm schloss Pressluft mit einem vernehmlichen Zischen die Türen des Busses, dann erklang ein dumpfes Grollen, und die Räder setzten sich langsam in Bewegung. Das Gefährt löste sich vom Bordstein und rollte auf der breiten, staubigen, fast unbefahrenen Straße davon.
David sah dem silbernen, in der Sonne blitzenden Riesen nach, bis er am Horizont verschwunden war. Dann wandte er sich um und ging langsam die Straße hinunter.
Mit tiefen Atemzügen sog er die Hitze in sich auf, seine Augen glitten flink umher und nahmen jedes Bild und jede Bewegung begierig in sich auf.
Da war er also wieder. In seiner Stadt. Im Nirgendwo.
An der nächsten Einmündung blieb er stehen. Seine kleine Tasche sank zu Boden, und mit einem raschen Rollen der Schultern fiel seine schwarze Lederjacke von ihm ab.
Darunter trug er ein enges weißes Shirt, aus dessen kurzen Ärmeln kräftige Oberarme wuchsen.
Er öffnete seine Tasche und fischte ein verwaschenes rosafarbenes Ticket heraus.
Achtlos stopfte er im Gegenzug die Jacke durch die Öffnung. Dann verschloss er die Tasche wieder und besah sich den Zettel.
Ein unbewusstes Lächeln huschte über seine Züge, während er sein Portemonnaie öffnete und das Stück Papier beinahe zärtlich neben die wenigen Dollarnoten schob, die er bei sich trug. Ansonsten war seine Brieftasche leer. Keine Kreditkarten, keine Fotos, nicht einmal Notizen.
David schob das Portemonnaie zurück an seinen Platz. Er schulterte die Tasche, die nun sehr viel gefüllter aussah, und bog in die Seitenstraße ab.
Sanfter Wind kam auf und streichelte sein Gesicht.
Jeder Schritt dieses kurzen Weges von der Bushaltestelle war das Warten wert gewesen.
Erneut kam er an eine Kreuzung, die er diagonal überquerte, dann öffnete sich neben ihm ein riesiger Platz, an dessen gegenüberliegendem Ende sich Garage an Garage reihte - jede mit einer kleinen, ausgeblichen und verwitterten, kaum mehr lesbaren Nummer versehen.
Die große Fläche war windgeschützt, und während er einen Fuß nach dem anderen über den brüchigen Asphalt setzte, brannte die Sonne heißer und heißer auf ihn herunter. Die Haut seiner Arme begann zu glänzen, und er musste sich beherrschen, um nicht einfach seine Tasche fallen zu lassen, die Arme auszubreiten und sich ausgestreckt auf den harten Boden zu legen. Jeder Sonnenstrahl war ein Genuss.
Dann hatte David die Garagenfront erreicht. Nur zur Sicherheit warf er einen letzten Blick auf das verwaschene Ticket, doch die Nummer darauf kannte er seit Jahren auswendig.
Mit schneller werdendem Schritt passierte er ein Tor nach dem nächsten, bis er das richtige erreicht hatte. Mit einem Meter Abstand blieb er stehen und versuchte seinen Atem zu beruhigen. Die Innenflächen seiner Hände waren schweißnass, und dass er sie unbewusst an seinem Shirt abwischte, änderte kaum etwas daran.
Seine Hand fuhr in die Hosentasche und förderte einen blitzblank polierten Schlüssel zutage. Das Schloss passte wie angegossen. Mit einem hörbaren Klacken schnappte es auf. Das Tor hob sich mit einem laut kreischenden Schrei nach Öl, und kühle, abgestandene Luft schlug David entgegen.
Er blinzelte.
Da stand er.
David stellte seine Tasche ab, dann trat er zwei Schritte nach vorne. Seine Hand berührte fast zärtlich die schwarze Motorhaube mit der kleinen Wulst zwischen den mächtigen Kühlern.
Sein 71er Pontiac Firebird - seine Familie.
Ein Blick zu seiner Tasche, einer zur Decke der engen Garage und dann zurück zu dem bulligen Sportwagen, dessen zwei leicht zurückversetzte Rundscheinwerfer ihn wie blitzende Augen aus ihren verchromten Höhlen anzusehen schienen.
Das war alles, was er besaß.
Er war zuhause.
Es geschah alles beinahe gleichzeitig: Die harten Schritte von Schuhen erreichten die Garage, zwei große Schatten schoben sich vor das hart einfallende Sonnenlicht, und eine große Hand legte sich fest auf seine rechte Schulter.
David erschrak kaum. Die letzten Jahre hatten ihn gelehrt, zu erkennen, dass überall ringsherum etwas stiller wurde, bevor der Sturm die Ruhe ablöste. So hatte er gespürt, dass sich zwei Menschen in unmittelbarer Nähe befanden.
Seinen allerersten Reflex unterdrückte die Pranke auf seiner Schulter, deren Finger sich mit leichtem Druck durch den Stoff des T-Shirts in sein Fleisch bohrten. Ein Schläger war David nie gewesen, und solange er erst seine rechte Hand freiwinden musste, hatte er nicht einmal das Überraschungsmoment auf seiner Seite.
”Da bist Du also wieder!“ dröhnte eine langsame Stimme mit außergewöhnlich viel Bass in seinem Rücken. Diese Stimme hätte David unter tausenden, ja, er hätte sie unter abertausenden Stimmen wiedererkannt.
Der Druck auf seine Schulter ließ nach, und David wandte sich langsam um. Die massige Gestalt, die trotz der Hitze mit einem billigen und mindestens ebenso abgetragenen Anzug bekleidet vor ihm stand, klopfte ihm dabei noch zweimal auf den Oberarm, dann breitete der Mann die Arme aus und sah sich den Rückkehrer von oben bis unten und ein zweites Mal von unten bis oben an.
”Hast Dich ja kaum verändert“, verkündete er, bevor er die Arme an seinen Seiten hinabfallen ließ.
”Du Dich auch nicht, Mario“, erwiderte David langsam, fast vorsichtig, als würde er sich Schritt für Schritt vorpirschen. ”Mario Tino“, hängte er mit einem aufgesetzten Kopfschütteln an, wobei er höflich die musternde Geste seines Gegenübers wiederholte.
Ein kurzes Lachen dröhnte aus Marios Kehle.
”Unkraut vergeht nicht!“
David nickte, während seine Augen von dem gleichermaßen kantigen, wie bulligen Gesicht abschweiften. Seit ihrer letzten Begegnung hatte Mario noch ein wenig mehr zugelegt. Sein Doppelkinn war gewaltiger geworden, sein Nacken schien noch breiter - und auch die Zeit hatte mit mehr als einem Zahn an ihm genagt. Falten gruben sich um die Augen herum in die Haut, doch trotz allem war Mario noch immer eine beeindruckende Gestalt, mit der sich nur die wenigsten oder die dümmsten Männer freiwillig angelegt hätten.
Umso mehr wunderte sich David über den Mann, der ihn begleitete und der in einem Abstand von zwei Schritten auf der Schwelle der Garage verharrt war.
Seine Gestalt war schlank, sein Gesicht knöchern und gezeichnet mit einigen großen und hell hervorstechenden Narben. Die Augen hatte der Mann hinter einer schwarzen Sonnenbrille verborgen. Und sein Anzug war mindestens zwei Klassen teurer und viel besser geschnitten als Marios. Obwohl der fremde Mann nicht dessen Körpermaße besaß, spürte David die Gefahr, die von ihm ausging. Auch diesem Mann, so schien es, kam man besser nicht in die Quere.
Dennoch beschloss David, einen Versuch zu wagen.
”Wer ist denn das halbe Hemd, das Du da mitgebracht hast?“
Keine Reaktion.
Mario räusperte sich, und seine Stimme klang mit einem Mal gedämpft, fast schon peinlich berührt.
”Die Geschäfte…“, er ließ den Satz offen. ”Ich habe jetzt einen Teilhaber.“
David gab einen langgezogenen Laut des Verständnisses von sich und bedachte den Mann mit einem geringschätzenden Nicken.
”Simon Smith“, stellte Mario leise vor.
Der Mann rührte sich nicht.
”Simon also?“ fragte David, und er bemühte sich, das mitschwingende Amüsement in seiner Stimme besonders zu betonen.
An den Gestalten, die man in diesem Kaff traf, hatte sich wirklich nichts geändert.
”Warum nicht gleich John?“
Smiths Lippen öffneten sich. Seine Stimme war dunkel und klar, beinahe vertraut, allerdings seltsam gepresst. Eindeutig heraushören konnte David hingegen, dass sie bewusst gelangweilt und teilnahmslos klang.
”Kommen wir endlich zur Sache!“
Ein zweites Mal räusperte sich Mario, dann dämpfte er seine Stimme noch weiter. Er war kaum noch zu verstehen, als er sagte:
”Siehst Du, David, die Kosten… also, die Miete hier, für diese Garage… So ein Stellplatz, die ganzen Jahre…“
David unterbrach ihn.
”Ich bin pleite, Mario! Ich komme gerade raus…“
Mario streckte die Hände besänftigend nach vorne.
”Das wissen wir, das wissen wir…“
”Dann gebt mir ein wenig Zeit, und…“
”Zeit ist Geld“, grummelte Smith.
”Ja, wir… ich meine, ich… also, ich bin auch ein wenig knapp bei Kasse…“, Mario schien immer kleiner zu werden. Beinahe versank er im Boden.
So hatte David ihn noch nie zuvor erlebt.
”Zur Sache!“ wurde Mario von seinem neuen Geschäftspartner vorangetrieben.
Mario holte tief Luft und sammelte sich.
”Also…“, er benötigte einen weiteren Atemzug. ”Du erinnerst Dich noch an den Mustang…?
Und ob sich David noch daran erinnerte…
”Jetzt sieh Dir diesen Wagen an!“
Davids Blick folgte dem ausgestreckten Arm und dem deutenden Zeigefinger von Clive Granemy. Dort stand, was die unverhohlen in seiner Stimme mitschwingende Begeisterung auslöste.
Clive und David waren Freunde - enge, gute Freunde. Sie waren es seit vielen Jahren - vielleicht nicht von Kindesbeinen an, wie man es im Wortsinne verstehen mochte.
Sicher waren sie noch Kinder gewesen, als sie sich in der Siedlung eines Tages einfach auf der Straße getroffen hatten, doch beide riss diese Begegnung aus den Kreisen derer, mit denen sie bis dahin gespielt, Abenteuer erlebt und ihre freie Zeit verbracht hatten. Und wenn es hier in diesem verschlafenen, abgelegenen Städtchen auch nicht viel gab - freie Zeit gab es hier im Überfluss.
Heute waren sie nun knappe achtzehn Jahre alt. Die kindlichen Erlebnisse waren lange vorbei, die jugendlichen Abenteuer waren langweilig geworden. Es war an der Zeit, erwachsen zu werden. Neue Herausforderungen warteten am Horizont.
”Nett“, murmelte David tonlos und erntete dafür einen verständnislosen Blick.
”Nett?“ Clive unterdrückte ein wildes Kopfschütteln in ein Zucken. ”Nur nett? Der Wagen ist die Schau!“
Durch die Frontscheibe des biederen braunen Kombis, den sie sich wie so häufig von Clives Eltern ausgeborgt hatten, hafteten Davids Augen auf dem gelben Sportwagen, der vor ihnen mit hörbar blubberndem Motor an der roten Ampel stand. Die schwarzen Streifen, die wie Kriegsbemalung über die Karosserie des Fahrzeugs zum Heck verliefen gaben der kraftvollen Gestalt noch mehr Präsenz, und obwohl es dämmerte, und leichter Regen aus dunkeln Wolken fiel, schienen die verchromten Teile förmlich zu blitzen.
”Du hast ja recht“, antwortete David verspätet.
Clive grinste ihn an. Erkennend, wissend - es war einfach mehr als nur ein Grinsen.
Vor ihnen sprang die Ampel auf Grün. Das Blubbern schwoll zu einem Brüllen an, und die breiten Reifen des vorwärts stürmenden Mustangs sprühten Wasser auf die Frontscheibe, als Clive den braunen Kombi hinter dem gelben Sportwagen her steuerte.
Und ob David sich daran erinnerte…
Das war wieder einer dieser Momente, in denen David einen Freund gebraucht hätte.
Er saß auf dem Fahrersitz des Firebird - die Tür geöffnet, einen Fuß auf dem Boden der Garage - und kämpfte gegen dieses Gefühl im Magen an. Dieses Gefühl, als hätte man einen aufgeblasenen Luftballon verschluckt - oder einen Amboss.
Dieses Gefühl, das erst verschwand, wenn man das Problem gelöst hatte, aus dem es entstanden war - oder wenn jemand redete und man für eine kurze Zeit abgelenkt war.
Als er am Morgen dieses Tages aus dem Gefängnis entlassen worden war, hatte er genau das gewusst. Ihm war klar gewesen, dass er nichts haben würde außer dieser Garage, nichts außer seinem kleinen Traum auf vier Rädern, der darinstand.
Niemand hatte es ihm sagen müssen. Er hatte gewusst, dass er mehr würde tun müssen, als sich anzustrengen - er würde kämpfen müssen. Und David war auch darauf vorbereitet gewesen.
Diesen ersten Tag jedoch hatte er als unschuldig in Erinnerung behalten wollen.
Nicht einmal den Einbruch der Dunkelheit hatte dieser Wunsch erlebt, bevor er in den Staub getreten worden war.
David fuhr sich mit der Hand durch die Haare, wieder und wieder. Dann schüttelte er langsam den Kopf und lehnte ihn über die Rückenlehne des Sitzes und starrte gegen den Dachhimmel seines Firebird.
”Mann, ich weiß, was Dir dieses Baby hier bedeutet…“ hörte er Marios Stimme in seinem Kopf widerhallen, auch wenn der mit seinem Partner schon längst gegangen war.
Ihre Schritte über den Platz waren aus seinem Kopf verschwunden, dafür sahen seine Augen noch, wie Marios Finger bei diesen Worten über die Motorhaube gestrichen hatten.
Selbst wenn sie den Wagen als Pfand nahmen, würde er doch ein Ding drehen müssen, um seine Schulden zu bezahlen. Bei den Chancen, die sich einem frisch entlassenen Knastvogel auf dem Arbeitsmarkt boten, würde ein Monatslohn wahrscheinlich nicht für die Deckung seiner Schulden reichen.
Objektiv gesehen war es nicht viel Geld, das er erarbeiten musste, doch das Wenn war die Schwierigkeit - das Wenn es denn überhaupt so weit käme, dass er Arbeit finden würde.
Natürlich war das Mario nicht schnell genug - nicht mit diesem neuen Partner im Nacken.
David seufzte.
Das war nicht mehr der Mario, den er gekannt hatte. Der war ein verlässlicher und geduldiger Gläubiger gewesen, der immer auch ein Ohr für die Sorgen und Nöte gerade der Jungen an diesem Flecken gehabt hatte.
Die Welt aber drehte sich weiter, auch wenn man das in einem kleinen Raum mit vergitterten Fenstern nicht unbedingt mitbekam. Menschen veränderten sich.
Für einen Augenblick musste David an sich halten, um nicht wütend auf das Lenkrad zu schlagen. Erstens brachte ihn das auch nicht weiter - und wenn jemand am wenigsten für seine Lage konnte, dann war es dieses Auto. Seine Familie.