Die Erde - Émile Zola - E-Book

Die Erde E-Book

Émile Zola

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Beschreibung

Die dramatische Geschichte einer Landarbeiterfamilie kurz vor Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges: Jean Macquart, der sich als Wanderarbeiter und Tagelöhner durchschlägt, kommt in das kleine Dorf Rognes und verliebt sich dort in Françoise, die er später auch heiratet. Doch Buteau, ihr Schwager, hat auch ein Auge auf sie geworfen. Eine kompliziertes Erbangelegenheit, Eifersucht und Verlangen führen schließlich zu einem tragischen Ende...-

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Emile Zola

Die Erde

Übersetzt Hans Balzer

Saga

Die Erde ÜbersetztHans Balzer

OriginalLa terre

Coverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 1887, 2020 Emile Zola und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726683325

 

1. Ebook-Auflage, 2020

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

 

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk

– a part of Egmont www.egmont.com

ERSTER TEIL

KAPITEL I

An jenem Morgen hatte Jean über dem Bauch ein Sätuch aus blauer Leinwand zusammengeknüpft, dessen Beutel er mit der linken Hand offen hielt, und mit der rechten nahm er daraus alle drei Schritte eine Handvoll Getreide, das er mit weitausholender Gebärde aufs Feld warf. Im rhythmischen Wiegen seines Körpers traten seine schweren Schuhe Löcher in die fette Erde und schleppten sie mit sich fort, während man bei jedem Wurf inmitten der unaufhörlich fliegenden blonden Saat die beiden roten Tressen eines Soldatenrocks schimmern sah, den er abtrug. Wie er so allein vorausschritt, schien er gleichsam größer geworden; und hinter ihm rollte, um das Saatkorn zu verscharren, langsam eine Egge, mit zwei Pferden bespannt, die ein Fuhrknecht mit langgezogenen, regelmäßigen, über ihren Ohren knallenden Peitschenhieben antrieb.

Das bei dem Flurabschnitt Les Cornailles gelegene Ackerstück von kaum einigen fünfzig Ar war so unbedeutend, daß Herr Hourdequin, der Besitzer von La Borderie, die anderswo eingesetzte Sämaschine nicht hatte dort hinschicken wollen. Jean, der das Feld wieder von Süden nach Norden hinaufging, hatte die zwei Kilometer entfernten Gebäude des Gehöfts genau vor sich. Am Ende der Furche angelangt, blickte er auf, schaute hin, ohne etwas zu sehen, und verschnaufte eine Minute.

Niedrige Mauern waren das, ein brauner Fleck aus alten Schieferdächern, verloren an der Schwelle der Beauce 1 , deren Ebene sich in Richtung Chartres erstreckte. Unter dem weiten Himmel, dem bedeckten Himmel eines Spätoktobertages, breiteten zehn Meilen Ackerland die zu dieser Jahreszeit kahlen, gelben und schweren Äcker aus, große Sturzackervierecke, die mit den grünen Tüchern der Luzerne- und Kleefelder abwechselten, und das ohne einen Hügel, ohne einen Baum, unabsehbar, ineinander verschwimmend, absinkend hinter der Horizontlinie, die klar und gleichmäßig war wie auf einem Meer. Im Westen säumte allein ein Wäldchen den Himmel mit einem rotbraunen Band. In der Mitte verlief vier Meilen weit schnurgerade eine kreideweiße Landstraße, die Landstraße von Châteaudun nach Orleans, mit ihren in haargenau gleichen Abständen wie zur Parade aufgereihten Telegrafenstangen. Und nichts weiter, außer drei oder vier hölzernen Windmühlen auf ihrem Bockgerüst mit reglosen Flügeln. Dörfer bildeten Inselchen aus Stein, ein Glockenturm tauchte in der Ferne aus einer Geländefalte auf, ohne daß man die Kirche in den weichen Wellenlinien dieser getreidebringenden Erde sah.

Aber Jean drehte um und schritt von neuem aus mit seinem wiegenden Gang, diesmal von Norden nach Süden, wobei die linke Hand das Sätuch hielt und die rechte mit dem steten Schwung des Säens die Luft peitschte. Nun hatte er ganz dicht vor sich die schmale Talsenke des Aigre, die die Ebene wie ein Graben durchschnitt und hinter der wieder die Beauce begann, unermeßlich, bis Orleans. Man erriet die Wiesen und das Laubwerk nur an einer Linie großer Pappeln, von denen allein die gelb gewordenen Wipfel über die Ränder des Loches herausragten und so niedrigen Büschen glichen. Von dem auf dem Abhang erbauten Dörfchen Rognes waren einzig ein paar Dächer zu sehen, am Fuß der Kirche, die ihren von uralten Rabenfamilien bewohnten Glockenturm aus grauen Steinen hochreckte. Und im Osten, jenseits des Loir-Tals, in dem sich, zwei Meilen entfernt, Cloyes verbarg, der Hauptort des Cantons, hoben sich die im schieferfarbenen Tageslicht blaßvioletten fernen Hügel des Perche ab. Man war hier im ehemaligen Dunois, dem heutigen Arrondissement Châteaudun, zwischen dem Perche und der Beauce, und zwar unmittelbar am Saume der Beauce, dort, wo die weniger fruchtbaren Äcker ihr den Namen „lausige Beauce“ eintragen. Als Jean am Ende des Feldes war, blieb er nochmals stehen und blickte kurz hinunter, den Aigre-Bach entlang, der rasch und hell durch das Gras fließt und dem die Landstraße nach Cloyes folgt, die an diesem Sonnabend von den Wägelchen der zum Markt fahrenden Bauern durchfurcht wurde. Dann zog er das Feld wieder hinauf.

Und immer wieder, mit dem gleichen Schritt, mit der gleichen Gebärde, ging er nach Norden hinauf und kam nach Süden zurück, in den lebenden Staub des Saatkorns gehüllt, während hinten die Egge unter dem Knallen der Peitsche im selben gemächlichen und gleichsam bedächtigen Trott den Samen begrub. Lange Regengüsse hatten die Herbstaussaat verzögert; im August hatte man noch gedüngt, und die Äcker lagen seit langem bereit, tief gepflügt, von verunreinigendem Unkraut gesäubert, tauglich, nach dem Klee und dem Hafer im dreijährigen Fruchtwechsel wieder Getreide zu geben. Daher trieb die Angst vor den nahen Frösten, die nach diesen Sintfluten bedrohlich waren, die Landwirte zur Eile an. Das Wetter war jäh kalt geworden, ein rußfarbenes Wetter ohne einen Windhauch, mit gleichmäßigem und düsterem Licht über diesem reglosen Erdenmeer. Überall wurde gesät; ein anderer Sämann ging dreihundert Meter weiter links, zur Rechten, weiter entfernt, noch einer; und andere, noch viele andere gingen dort drüben ein in die fliehende Perspektive des flachen Landes. Kleine Schattenrisse waren das, einfache, dünner und dünner werdende Striche, die sich meilenentfernt verloren. Aber alle machten die gleiche Gebärde, ließen die Saat auffliegen, die man wie eine Lebenswoge rings um sie ahnte. Die Ebene erschauerte davon bis in die ertränkten Fernen, wo die einzelnen Säer nicht mehr zu erkennen waren.

Jean ging zum letztenmal hinunter, als er auf dem Weg von Rognes eine große fuchsrot und weiß gescheckte Kuh erblickte, die von einem jungen Mädchen, fast noch einem Kind, am Strick geführt wurde. Die kleine Bäuerin und das Tier folgten dem Pfad, der längs der Talsenke, am Rande der höher gelegenen Flächen verlief; beiden den Rücken zugekehrt, war er wieder hinaufgezogen, und er hatte gerade die Aussaat beendet, als das Geräusch hastender Schritte und halb erstickte Schreie ihn abermals den Kopf heben ließen, während er gerade sein Sätuch aufknotete, um aufzubrechen. Die Kuh war durchgegangen und galoppierte in ein Luzernefeld, hinterdrein das Mädchen, das sich abmühte, sie zurückzuhalten. Er befürchtete ein Unglück, er rief:

„Laß sie doch los!“

Sie ließ aber nicht los, sie keuchte, schimpfte mit zorniger und schreckerfüllter Stimme auf ihre Kuh:

„Coliche! Wirst du wohl, Coliche! – Ah, du Biest! – Ah, verfluchtes Mistvieh!“

Bis jetzt hatte sie ihr noch folgen können, rennend und springend, was ihre kleinen Beine hergaben. Aber sie strauchelte, fiel ein erstes Mal, raffte sich auf, fiel aber etwas weiter wieder hin, und da das Tier wie toll davonrannte, wurde sie mitgeschleift. Nun heulte sie. Ihr Körper hinterließ in der Luzerne eine Furche.

„Laß sie doch los, Himmelsakrament!“ rief Jean immerzu. „Laß sie doch los!“

Und er rief das mechanisch, vor Schreck, denn auch er rannte, als er endlich begriff: der Strick mußte sich ums Handgelenk geschlungen und bei jeder neuen Anstrengung fester zusammengezogen haben. Zum Glück kürzte Jean den Weg quer über einen Sturzacker ab, langte in einem solchen Galopp vor der Kuh an, daß diese erschrocken und verdutzt plötzlich stehenblieb. Schon knotete er den Strick auf und setzte das Mädchen ins Gras.

„Hast du dir nichts gebrochen?“

Aber sie war nicht einmal ohnmächtig geworden. Sie stand wieder auf, tastete sich ab, hob seelenruhig ihre Röcke bis zu den Schenkeln hoch, um ihre Knie zu betrachten, die ihr brannten, und war noch so außer Atem, daß sie kaum sprechen konnte.

„Seht, da, da tut’s weh ... Trotzdem kann ich mich bewegen, es ist nichts weiter ... Oh, ich habe Angst gehabt! Auf dem Wege wäre ich zu Mus geworden.“ Und sie untersuchte ihr arg mitgenommenes Handgelenk, das rot umrändert war, benetzte es mit Speichel, preßte ihre Lippen darauf und fügte erleichtert und von ihrem Schreck erholt mit einem tiefen Seufzer hinzu: „Sie ist nicht bösartig, die Coliche. Bloß seit heute früh ist es zum Rasendwerden mit ihr, weil sie hitzig ist ... Ich bringe sie zum Bullen nach La Borderie.“

 

„Nach La Borderie“, wiederholte Jean. „Das trifft sich gut, ich gehe dahin zurück, ich begleite dich.“ Er fuhr fort, sie zu duzen, und behandelte sie wie ein kleines Mädchen, so zierlich war sie noch für ihre vierzehn Jahre.

Wichtigtuerisch schaute sie mit ernster Miene diesen kräftigen kastanienbraunen Burschen mit dem kurzgeschorenen Haar, dem vollen und gleichmäßigen Gesicht an, der mit seinen neunundzwanzig Jahren für sie ein alter Mann war.

„Oh, ich kenne Euch, Ihr seid der Korporal, der Tischler, der als Knecht bei Herrn Hourdequin geblieben ist.“

Bei diesem Beinamen, den ihm die Bauern gegeben hatten, mußte der junge Mann lächeln; und nun betrachtete er sie, war überrascht, festzustellen, daß sie beinahe schon Frau war mit ihrem kleinen festen Busen, der sich zu runden begann, ihrem länglichen Gesicht mit den tiefschwarzen Augen, den dicken Lippen und dem frischen und rosigen Fleisch reifender Früchte. Sie war mit einem grauen Rock und einem Mieder aus schwarzer Wolle bekleidet, trug eine runde Haube auf dem Kopf und hatte eine sehr braune, von der Sonne verbrannte und vergoldete Haut.

„Aber du bist ja Vater Flieges Jüngste!“ rief er aus. „Ich habe dich gar nicht wiedererkannt ... Nicht wahr, deine Schwester war Geierkopfens Liebste im letzten Frühjahr, als er zusammen mit mir auf La Borderie arbeitete?“

Sie antwortete einfach:

„Ja, ich bin Françoise ... Das ist meine Schwester Lise, die mit Vetter Geierkopf ging und die jetzt im sechsten Monat schwanger ist ... Er hat sich aus dem Staube gemacht, er ist jetzt in der Gegend von Orgères auf dem Pachthof La Chamade.“

„Ganz richtig“, sagte Jean abschließend. „Ich habe sie zusammen gesehen.“

Und einen Augenblick lang standen sie sich stumm gegenüber; und er lachte bei dem Gedanken, daß er eines Abends die beiden Verliebten hinter einem Heuschober überrascht hatte, während sie immer noch ihr zerschundenes Handgelenk benetzte, als habe die Feuchtigkeit ihrer Lippen das Brennen gelindert; die Kuh riß inzwischen in einem benachbarten Feld seelenruhig Luzernebüschel aus. Der Fuhrknecht und die Egge waren davongefahren, wobei sie einen weiten Bogen machten, um die Landstraße zu erreichen. Man hörte das Krächzen zweier Raben, die in stetem Fluge um den Kirchturm kreisten. Die drei Glockenschläge des Angelus klangen in der leblosen Luft.

„Wie! Schon Mittag!“ rief Jean. „Beeilen wir uns!“ Als er dann Coliche im Feld erblickte, fügte er hinzu: „He, deine Kuh richtet Schaden an. Wenn man sie sieht ... Warte, du Luder, ich werd dir’s heimzahlen!“

„Nein, laßt nur sein“, sagte Françoise, die ihn zurückhielt. „Dies Stück gehört uns. Auf unserem Grund und Boden hat mich die Schlampe umgelegt! – Das ganze Ufer bis Rognes gehört zur Familie. Wir, wir reichen von hier bis da runter; nebenan das gehört dann unserm Onkel Fouan; dann, das Stück dahinter, der Großen, meiner Tante.“ Während sie mit einer Handbewegung die Landstücken bezeichnete, hatte sie die Kuh auf den Pfad zurückgebracht. Und erst da, als sie sie wiederum am Strick hielt, fiel es ihr ein, dem jungen Mann zu danken. „Trotzdem muß ich mich bei Euch ganz schön bedanken! Also, schönen Dank, recht herzlichen Dank!“

Sie hatten auszuschreiten begonnen und folgten dem schmalen Weg, der längs der Talsenke verlief, bevor er tief in die Äcker hineinführte. Der letzte Glockenschlag des Angelus war soeben verklungen, allein die Raben krächzten immer noch. Und hinter der am Strick zerrenden Kuh einhergehend, redete keiner von beiden mehr, waren sie zurückgesunken in jenes Schweigen der Bauern, die Seite an Seite Meilen zurücklegen, ohne ein Wort zu wechseln. Sie warfen einen Blick auf eine Sämaschine zu ihrer Rechten, deren Pferde in der Nähe wendeten. Der Fuhrknecht rief ihnen „Guten Tag!“ zu, und sie antworteten „Guten Tag!“, im gleichen ernsten Ton. Unten, zu ihrer Linken, zogen immer noch Wägelchen die Landstraße nach Cloyes entlang, da der Markt erst um ein Uhr begann. Sie wurden derb gerüttelt auf ihren beiden Rädern, sahen wie Grashüpfer aus, waren so winzig in der Ferne, daß man die Hauben der Frauen nur noch als weißen Punkt unterscheiden konnte.

 

„Da unten ist ja mein Onkel Fouan mit meiner Tante Rose, die zum Notar wollen“, sagte Françoise, die Augen auf ein nußschalengroßes Gefährt gerichtet, das in mehr als zwei Kilometer Entfernung dahineilte. Sie hatte jenen raschen Matrosenblick, jenen weitreichenden Blick der Leute aus der Ebene, der, auf Einzelheiten gerichtet, imstande ist, einen Menschen oder ein Tier in dem kleinen unruhigen Fleck zu erkennen, zu dem ihre Umrisse zusammengeschrumpft sind.

„Ach ja, man hat mir davon erzählt“, erwiderte Jean. „Es ist also abgemacht, der Alte teilt seinen Besitz zwischen seiner Tochter und seinen beiden Söhnen auf?“

„Es ist abgemacht, sie treffen sich heute bei Herrn Baillehache.“ Sie sah immer noch zu, wie das Wägelchen enteilte. „Uns, uns ist das Wurst, das macht uns weder fetter noch magerer ... Bloß, da ist Geierkopf. Meine Schwester denkt, daß er sie vielleicht heiratet, wenn er sein Teil bekommt.“

Jean fing an zu lachen.

„Dieser verdammte Geierkopf, wir waren Kumpels ... Ach, dem fällt es nicht gerade schwer, den Mädchen etwas vorzuschwindeln! Er braucht eben welche, er nimmt sie mit Faustschlägen, wenn sie nicht nett sind und nicht gleich wollen.“

„Klar, das ist ein Schwein!“ erklärte Françoise mit überzeugter Miene. „Man tut seiner Kusine so eine Schweinerei nicht an, sie mit dickem Bauch sitzenzulassen.“ Aber jäh von Wut gepackt, unterbrach sie sich: „Wart, Coliche! Ich werd dich kirre kriegen! – Da fängt sie wieder an, sie ist rasend, die Coliche, wenn das über sie kommt!“ Mit einem heftigen Ruck hatte sie die Kuh zurückgebracht.

An dieser Stelle verließ der Weg den Rand der höher gelegenen Fläche. Das Wägelchen verschwand, die beiden aber schritten weiter über das ebene Land und hatten dabei vor sich und links und rechts nur noch die endlos sich breitenden Felder. Zwischen den Sturzäckern und den Koppeln zog sich der Pfad hin, ganz eben, ohne einen Strauch, und führte auf das Gehöft zu, das man meinte, mit der Hand berühren zu können, und das unter dem Aschehimmel zurückwich. Sie waren in ihr Schweigen zurückgesunken, sie machten den Mund nicht mehr auf, gleichsam vom nachdenklichen Ernst dieser so traurigen und so fruchtbaren Beauce überkommen.

Als sie anlangten, war der große viereckige Hof von La Borderie, der auf drei Seiten von den Stallungen, den Schafställen und den Scheunen abgeschlossen wurde, menschenleer. Aber sofort erschien auf der Schwelle der Küche eine junge Frau, die ziemlich klein war und dreist und hübsch aussah.

„Was denn, Jean, wird heute vormittag nicht gegessen?“

„Ich komm ja schon, Madame Jacqueline!“

Seitdem die Tochter Cognets, des Chausseewärters von Rognes, die Cognette, wie man sie nannte, als sie mit zwölf Jahren das Geschirr auf dem Gehöft abwusch, in den Rang einer Haushälterin aufgerückt war, verlangte sie despotisch, als Dame behandelt zu werden.

„Ach, du bist’s, Françoise“, fuhr sie fort. „Du kommst wegen des Bullen ... Na schön! Du kannst warten. Der Schweizer ist mit Herrn Hourdequin in Cloyes. Aber er wird bald zurückkommen. Er müßte schon hier sein.“ Und da sich Jean entschloß, in die Küche zu gehen, faßte sie ihn um die Hüften und drückte sich lachend an ihn, ohne sich etwas daraus zu machen, daß sie gesehen wurde, denn sie war unersättlich in der Liebe, und der Herr allein genügte ihr nicht.

Allein geblieben, wartete Françoise geduldig auf einer Steinbank vor der Mistgrube, die ein Drittel des Hofes einnahm. Gedankenlos betrachtete sie eine Schar Hühner, die mit dem Schnabel pickten und sich die Füße auf der niedrigen Dungschicht wärmten, aus der ein leichter blauer Dampf in die schon recht kühle Luft aufstieg.

Als Jean nach einer halben Stunde, noch an einer Butterschnitte kauend, wieder erschien, hatte sie sich nicht von der Stelle gerührt. Er setzte sich neben sie, und da die Kuh unruhig wurde, sich brüllend mit dem Schwanz schlug, sagte er schließlich:

„Das ist ärgerlich, daß der Schweizer nicht heimkommt.“

Das junge Mädchen zuckte die Achseln. Nichts drängte sie. Nach einem abermaligen Schweigen fragte sie dann:

„Also, Korporal, kurzweg Jean heißt Ihr?“

 

„Aber nein, Jean Macquart.“

„Und Ihr seid nicht aus unserer Gegend?“

„Nein, ich bin Provenzale, aus Plassans, einer Stadt da unten.“

Sie hatte aufgeschaut, um ihn zu mustern, weil sie überrascht war, daß man von so weit her sein könne.

„Nach Solferino“, fuhr er fort, „bin ich dann vor achtzehn Monaten mit meiner Entlassung aus Italien zurückgekommen, und ein Kamerad hat mich hierher mitgenommen ... Da hat mir mein alter Beruf als Tischler nicht mehr gepaßt, allerlei Geschichten haben mich veranlaßt, auf dem Gehöft zu bleiben.“ „Ach“, machte sie bloß, ohne ihn aus ihren großen schwarzen Augen zu lassen.

Aber in diesem Augenblick stieß die Coliche ein gedehntes, vor Begierde verzweifeltes Brüllen aus; und ein heiseres Schnaufen kam aus dem Kuhstall, dessen Tür geschlossen war.

„Sieh mal einer an!“ rief Jean. „César, dieser Kerl hat sie gehört! – Horch, er macht sich da drin bemerkbar ... Oh, er versteht seine Sache, nicht eine kann man auf den Hof bringen, ohne daß er sie riecht, und er weiß, was man von ihm will ...“ Dann unterbrach er sich: „Hör mal, der Schweizer hat wohl bei Herrn Hourdequin bleiben müssen ... Wenn du willst, bring ich dir den Bullen. Wir würden’s gut machen, wir beide.“

„Ja, das ist eine Idee“, sagte Françoise und stand auf.

Er machte schon die Tür des Kuhstalls auf, als er noch fragte:

„Und deine Kuh, muß man die anbinden?“

„Coliche anbinden, nein, nein! Nicht nötig! Sie ist richtig aufgelegt, sie wird sich nicht mal rühren.“

Nachdem die Tür aufgemacht war, erblickte man in zwei Reihen, zu beiden Seiten des Mittelganges, die dreißig Kühe des Gehöftes; die einen lagen auf der Streu, die anderen zermalmten die Runkelrüben aus ihrem Trog; und einer der Bullen, ein schwarzer, weißgefleckter Holländer, streckte aus der Ecke, in der er sich befand, den Kopf vor, in Erwartung der Arbeit, die er zu verrichten hatte.

Sobald César losgebunden war, ging er langsam hinaus. Aber sofort blieb er stehen, gleichsam überrascht von der frischen Luft und dem hellen Tageslicht; und er verharrte eine Minute reglos, erstarrt, nervös den Schwanz schwenkend, den Hals geschwellt, das Maul vorgestreckt und witternd. Ohne sich zu rühren, wandte ihm die Coliche, heiser brüllend, ihre großen, starren Augen zu. Da ging er vor, preßte sich an sie und legte mit einem kurzen und derben Druck den Kopf auf ihre Kruppe; seine Zunge hing heraus, er schob den Schwanz beiseite, leckte bis zu den Schenkeln; sie ließ ihn gewähren und bewegte sich immer noch nicht, nur die Haut kräuselte sich unter einem Erschauern. Untätig und ernst standen Jean und Françoise dabei.

Und als César richtig aufgelegt war, bestieg er die Coliche mit einem jähen Sprung, mit einer gewaltigen Schwere, die den Erdboden erschütterte. Die Coliche hatte nicht gewankt, er umpreßte sie an den Flanken mit seinen beiden Vorderbeinen. Aber sie, ein Tier aus dem Cotentin und von großem Wuchs, war so hoch, so breit für ihn, der von weniger kräftiger Rasse war, daß er nicht zu Rande kam. Er fühlte es, wollte sich vergeblich wieder ermannen.

„Er ist zu lütt“, sagte Françoise.

„Ja, ein bißchen zu lütt“, sagte Jean. „Das macht nichts, er wird trotzdem reinkommen.“

Sie schüttelte den Kopf; und da César noch immer danebenstieß und sich abmühte, faßte sie einen Entschluß.

„Nein, man muß ihm helfen ... Wenn er schlecht reinkommt, geht’s verloren, behält sie nichts.“

Mit ruhiger und aufmerksamer Miene war sie vorgetreten, wie zu einer ernsten Verrichtung. Die Sorgfalt, die sie darauf verwandte, vertiefte das Schwarz ihrer Augen, öffnete leicht ihre roten Lippen in dem reglosen Gesicht. Sie mußte weit ausholen mit dem Arm, sie ergriff mit der ganzen Hand das Glied des Bullen, das sie wieder hochrichtete. Und als er fühlte, daß er am Rande war, raffte er all seine Kraft zusammen und drang mit einem einzigen Lendenstoß tief ein. Dann zog er wieder heraus. Es war getan: der Stoß mit dem Pflanzholz, das ein Samenkorn tief in die Erde drückt. Standfest und mit der empfindungslosen Fruchtbarkeit der Erde, die besät wird, hatte die Kuh ohne eine Bewegung diesen befruchtenden Strahl des Mannestiers empfangen. Sie hatte nicht einmal bei dem Stoß gezittert. Er war bereits zurückgesunken, wobei er von neuem den Erdboden erschütterte.

Françoise, die ihre Hand zurückgezogen hatte, verharrte mit dem Arm in der Luft. Schließlich nahm sie ihn herunter und sagte:

„Das ist geschafft.“

„Und ob!“ antwortete Jean mit einem Ausdruck der Überzeugung, in die sich Zufriedenheit mischte, die Zufriedenheit des guten Arbeiters mit der rasch und gut getanen Arbeit. Er dachte nicht daran, einen jener Späße loszulassen, mit denen die Knechte des Gehöfts mit den Mädchen ihren Ulk trieben, die solcherweise ihre Kühe herbrachten.

Dieses junge Ding schien so was dermaßen einfach und notwendig zu finden, daß es wirklich nichts darüber zu lachen gab, wenn man anständig war. Das war eben ganz natürlich.

Aber seit einem Augenblick hielt sich Jacqueline wiederum an der Tür auf; und mit einem kehligen Gurren, das ihr eigen war, warf sie lustig hin:

„He! Du hast die Hand überall! Dein Liebster findet sich wohl nicht allein zurecht mit dem Ende da!“

Jean brach in schallendes Lachen aus, und Françoise wurde plötzlich über und über rot. Um ihre Verlegenheit zu verbergen, durchwühlte sie – während César von allein in den Stall zurückging und die Coliche einen Fußbreit Hafer abgraste, der in der Mistgrube gewachsen war – verwirrt ihre Taschen, zog schließlich ihr Taschentuch heraus und knotete den Zipfel auf, in den sie die vierzig Sous Deckgeld eingebunden hatte.

„Da! Hier ist das Geld!“ sagte sie. „Schönen guten Abend!“ Sie brach auf mit ihrer Kuh, und Jean, der wieder sein Sätuch nahm, folgte ihr und sagte zu Jacqueline, daß er gemäß den Anordnungen, die Herr Hourdequin ihm für den Tag gegeben hatte, zum Feld Le Poteau gehe.

„Gut!“ antwortete sie. „Die Egge muß dort sein.“ Als der Bursche die kleine Bäuerin dann einholte und sie sich im Gänsemarsch auf dem schmalen Pfad entfernten, rief sie ihnen mit ihrer geilen Possenreißerstimme noch nach: „Keine Gefahr, wenn ihr euch zusammen verirrt, denn die Kleine findet sich schon zurecht.“

Hinter ihnen wurde das Gehöft wieder menschenleer. Keiner von beiden hatte dieses Mal gelacht. Sie schritten langsam dahin, allein das Geräusch ihrer gegen die Steine stoßenden Schuhe war um sie. Er sah von ihr nur den kindlichen Nacken, auf dem sich unterhalb der runden Haube schwarze Härchen kräuselten.

Nach einigen fünfzig Schritten endlich sagte Françoise bedächtig:

„Es ist nicht recht von ihr, die andern mit den Männern aufzuziehen. Ich hätte ihr antworten können ...“ Und sie drehte sich zu dem jungen Mann um und fragte ihn mit schelmischer Miene: „Nicht wahr, es stimmt doch, sie betrügt Herrn Hourdequin, ganz so, als ob sie schon seine Frau wäre ... Ihr wißt vielleicht was darüber, stimmt’s?“

Die Frage verwirrte ihn, er stellte sich dumm.

„Freilich! Sie macht, was ihr gefällt, das ist ihre Sache.“

Françoise hatte ihm den Rücken zugekehrt und sich wieder in Marsch gesetzt.

„Ja, das stimmt ... Ich mache Spaß, weil Ihr beinahe mein Vater sein könntet und das mit Euch keine Folgen nach sich zieht ... Aber seht mal, seit Geierkopf meiner Schwester diese Schweinerei angetan hat, habe ich mir fest geschworen, mir eher alle vier Glieder abzuhacken, als mir einen Liebsten zuzulegen.“

Jean schüttelte den Kopf, und sie redeten nicht mehr. Das kleine Feld Le Poteau lag am Ende des Pfades, auf halbem Wege nach Rognes. Als der Bursche dort war, blieb er stehen. Die Egge wartete auf ihn. Ein Sack Saatgetreide war in einer Furche abgeladen worden. Er füllte sein Sätuch und sagte dabei:

„Also, leb wohl!“

„Lebt wohl!“ antwortete Françoise. „Nochmals, schönen Dank!“

Aber er wurde von einer Furcht erfaßt, er richtete sich wieder auf und rief:

 

„Hör mal, wenn die Coliche wieder anfängt ... Willst du, daß ich dich bis nach Hause begleite?“

Sie war bereits weit weg, drehte sich um, rief ihm mit ihrer ruhigen und starken Stimme durch das große Schweigen der Flur zu:

„Nein! Nein! Nicht nötig, keine Gefahr mehr! Sie hat ihr Maß voll!“

Das Sätuch über dem Bauch zusammengeknüpft, hatte sich Jean daran gemacht, das Stück Sturzacker hinunterzugehen, mit dem steten Schwung des Armes, mit dem Auffliegen des Korns; und er blickte auf, er sah, wie Françoise winziger wurde zwischen den Feldern, ganz klein ward hinter ihrer trägen Kuh, die ihren großen Körper wiegte. Als er wieder hinaufging, sah er sie nicht mehr; aber bei der Rückkehr fand er sie wieder, noch kleiner geworden, so dünn, daß sie einer Pusteblume ähnelte bei ihrem schlanken Wuchs und mit ihrer weißen Haube. Dreimal wurde sie solchermaßen immer kleiner; dann suchte er sie vergebens, sie mußte vor der Kirche um die Ecke gebogen sein.

Es schlug zwei Uhr. Der Himmel blieb grau, dumpf und eisig; und Schaufeln voll feiner Asche schienen dort die Sonne für lange Monate, bis zum Frühling, begraben zu haben. In dieser Traurigkeit ließ ein hellerer Fleck die Wolken in Richtung Orleans blaß wirken, als habe in dieser Gegend, meilenweit entfernt, irgendwo die Sonne gestrahlt. Auf diesem fahlen Ausschnitt hob sich der Kirchturm von Rognes ab, während, in der unsichtbaren Geländefalte der Aigre-Mulde verborgen, das Dorf zum Tal hin abfiel. Aber in Richtung Chartres, im Norden, bewahrte die ebene Linie des Horizonts zwischen der erdigen Einförmigkeit des weiten Himmels und der sich grenzenlos entrollenden Beauce die Deutlichkeit eines Tintenstrichs, der eine Tuschzeichnung durchschneidet. Seit dem Mittagessen schien die Zahl der Säer dort zugenommen zu haben. Nun hatte jedes Stückchen des leichten Ackerbodens seinen Sämann, sie vermehrten sich, wimmelten wie emsige schwarze Ameisen, die durch irgendeine schwere Arbeit in Aufregung versetzt waren und sich wild auf ein übermäßiges, im Vergleich zu ihrer Winzigkeit riesiges Werk stürzten; und dennoch unterschied man sogar bei den Fernsten die eigensinnige Gebärde, immer die gleiche Gebärde, diese Starrköpfigkeit von Insekten im Ringen mit der Unermeßlichkeit des Bodens, diese letzten Endes über die Weite und das Leben siegende Starrköpfigkeit.

Bis zum Einbruch der Nacht säte Jean. Nach dem Feld Le Poteau kamen die Felder Les Rigoles und Les Quatre-Chemins dran. Mit langen rhythmischen Schritten ging er die Sturzäcker auf und nieder, und das Getreide in seinem Sätuch brauchte sich auf, die Saat befruchtete hinter ihm die Erde.

KAPITEL II

Das Haus von Maître Baillehache, dem Notar in Cloyes, lag in der Rue Grouaise, links, wenn man nach Châteaudun geht: ein weißes einstöckiges Häuschen, an dessen Ecke das Seil der einzigen Laterne befestigt war, die diese in der Woche verödete, am Sonnabend von der Woge der zum Markt kommenden Bauern belebte breite gepflasterte Straße erleuchtete. Von fern sah man in der kreidigen Zeile der niedrigen Bauten die beiden Notariatschilder glänzen; und hinten reichte ein schmaler Garten bis zum Loir hinunter.

An diesem Sonnabend hatte in dem Raum rechts von der Diele, der als Kanzlei diente und der zur Straße hinausging, der kleine Schreiber, ein schmächtiger und blasser Bengel von fünfzehn Jahren, einen der Musselinvorhänge hochgehoben, um die vielen Leute vorübergehen zu sehen. Die beiden anderen Schreiber, ein dickbäuchiger und sehr schmuddliger Alter und ein abgezehrter, vor Ärger verhärmter jüngerer Mann, schrieben auf einem Doppeltisch aus geschwärzter Fichte; dieser Tisch, sieben oder acht Stühle und ein eiserner Ofen, den man erst im Dezember anzündete, selbst wenn es zu Allerseelen schneite, stellten die ganze Einrichtung dar. Die an den Wänden aufgestellten Regale und die an den Ecken abgebrochenen grünlichen Papphefter quollen über von vergilbten Akten, vergifteten den Raum mit dem Geruch verdorbener Tinte und alter staubzerfressener Papiere.

Und inzwischen saßen und warteten Seite an Seite ein Bauer und eine Bäuerin in ehrfurchtsvoller Reglosigkeit und Geduld. So viele Papiere und vor allem diese so schnell schreibenden Herren, diese beiden gleichzeitig kratzenden Federn stimmten sie ernst und rührten in ihnen Vorstellungen von Geld und Prozeß auf. Die vierunddreißigjährige brünette Frau mit dem freundlichen Gesicht, das durch eine große Nase verunziert wurde, hatte ihre trockenen Arbeiterinnenhände über dem mit Samt verbrämten schwarzen Tuchmieder verschränkt; und mit ihren lebhaften Augen durchwühlte sie die Ecken und träumte dabei offensichtlich von all den dort schlafenden Besitzansprüchen, während der fünf Jahre ältere Mann, fuchsrot und sanft, in schwarzer Hose und ganz neuem langem Kittel aus blauem Leinen, seinen runden Filzhut auf den Knien hielt, ohne daß der Schatten eines Gedankens sein sorgfältig rasiertes, von zwei großen fayenceblauen Augen durchlöchertes breites Terracottagesicht belebte, das unerschütterlich wie ein ruhender Ochse war.

Aber eine Tür ging auf, Maître Baillehache, der soeben in Gesellschaft seines Schwagers, des Hofbesitzers Hourdequin, zu Mittag gespeist hatte, kam zum Vorschein, hochrot, frisch noch für seine fünfundfünfzig Jahre, mit dicken Lippen, eng beieinanderstehenden Augen, deren Fältchen ihm einen stets lachenden Blick gaben. Er trug einen Kneifer und hatte den Tick, ständig an den langen, grau werdenden Haaren seines Backenbarts zu zupfen.

„Ah! Sie sind’s, Delhomme!“ sagte er. „Vater Fouan hat sich also zur Aufteilung entschlossen?“

Es war die Frau, die antwortete:

„Gewiß doch, Herr Baillehache ... Wir haben uns alle verabredet, um uns einig zu werden und damit Sie uns sagen, wie man’s machen soll.“

„Gut, gut, Fanny, wir werden sehen ... Es ist eben erst ein Uhr, wir müssen auf die andern warten.“ Und der Notar plauderte noch einen Augenblick, fragte nach dem seit zwei Monaten sinkenden Getreidepreis, erwies Delhomme die freundliche Beachtung, die man einem Landwirt schuldete, der einige zwanzig Hektar, einen Knecht und drei Kühe sein eigen nannte. Dann ging er in sein Arbeitszimmer zurück.

Die Schreiber, die das Kratzen ihrer Federn übertrieben, hatten nicht den Kopf gehoben; und von neuem warteten die Delhommes reglos. Die hatte Glück gehabt, diese Fanny, daß sie von einem ehrbaren und reichen Liebsten geheiratet worden war, sogar ohne schwanger zu sein, sie, die für ihr Teil von Vater Fouan nur ungefähr drei Hektar erwartete. Übrigens bereute ihr Mann es nicht, denn er hätte weder eine verständigere noch eine rührigere Hausfrau finden können, so daß er sich in allen Dingen lenken ließ, weil er von beschränktem Geist war, aber so ruhig, so rechtschaffen, daß man ihn häufig in Rognes als Schiedsmann nahm.

In diesem Augenblick erstickte der kleine Schreiber, der auf die Straße hinausschaute, ein Lachen zwischen seinen Fingern und flüsterte seinem Nachbarn, dem dickbäuchigen und sehr schmuddligen Alten, zu: „Oh! Jesus Christus!“

Rasch hatte sich Fanny zum Ohr ihres Mannes hinübergebeugt.

„Du weißt, laß mich machen ... Ich liebe Papa und Mama sehr, aber ich will nicht, daß man uns bestiehlt; und mißtrauen wir Geierkopf und Hyacinthe, diesem Strolch.“

Sie sprach von ihren beiden Brüdern, sie hatte durchs Fenster gesehen, daß der ältere eintraf, dieser Hyacinthe, den die ganze Gegend unter dem Beinamen Jesus Christus kannte, ein Faulpelz und Trunkenbold, der bei seiner Rückkehr vom Militärdienst, nachdem er die Feldzüge in Afrika mitgemacht, angefangen hatte, sich auf den Feldern herumzutreiben, jede regelmäßige Arbeit ablehnte und von Wilddieberei und Plünderei lebte, als habe er noch ein zitterndes Volk von Beduinen zu prellen.

Ein großer fideler Kerl trat ein, in der ganzen muskulösen Kraft seiner vierzig Jahre, mit lockigen Haaren, langem und ungepflegtem Spitzbart, dem Gesicht eines verkommenen Christus, eines Christus, der Säufer, Mädchenschänder und Straßenräuber war. Da er sich seit dem Morgen in Cloyes aufhielt, war er bereits angetrunken, hatte eine verdreckte Hose, einen vor Flecken starrenden Kittel an und eine hintüber ins Genick geschobene, zerlumpte Schirmmütze auf, und er rauchte eine feuchte und schwarze Zigarre zu einem Sou, die schrecklich stank. Auf dem Grunde seiner ertränkten schönen Augen lag indessen Spottlust, die nicht bösartig war, das offene Herz eines gutmütigen Lumpen.

„Vater und Mutter sind also noch nicht da?“ fragte er. Und da ihm der hagere, vor Ärger grünlich gewordene Schreiber wütend mit einem verneinenden Kopfschütteln antwortete, verharrte er einen Moment mit dem Blick zur Wand, während seine Zigarre von ganz allein in seiner Hand rauchte. Er hatte seine Schwester und seinen Schwager keines Blickes gewürdigt, und auch sie schienen nicht gesehen zu haben, daß er eintrat. Dann ging er, ohne ein Wort hinzuzufügen, hinaus, schickte sich an, auf dem Bürgersteig zu warten.

„Oh, Jesus Christus, oh, Jesus Christus!“ sagte mehrmals der kleine Schreiber mit gekünstelter Baßstimme, die Nase der Straße zugewandt, und schien mehr und mehr belustigt über den Spitznamen, der in ihm spaßige Geschichten wachrief.

Aber kaum fünf Minuten vergingen, da trafen endlich die Fouans ein, zwei alte Leute mit langsam gewordenen und vorsichtigen Bewegungen. Der jetzt siebzig Jahre alte, einst sehr stämmige Vater war vertrocknet und zusammengeschrumpelt bei einer so harten Arbeit, bei einer so gierigen Leidenschaft nach Erde, daß sein Leib sich krümmte, wie um zu dieser heftig begehrten und endlich besessenen Erde zurückzukehren. Er war jedoch noch rüstig, bis auf die Beine, war gut beieinander, hatte untadlig als Hasenpfoten geschnittene weiße Backenbärtchen, die lange Nase der Familie, die sein hageres Gesicht mit den von großen Furchen durchschnittenen Lederflächen spitzer machte. Und in seinem Schatten, nicht einen Fußbreit von ihm weichend, schien die Mutter, die kleiner war, üppig geblieben zu sein mit dem dicken Bauch beginnender Wassersucht, dem haferfarbenen Gesicht, das durchlöchert war von runden Augen, einem runden Mund, der durch eine Unmenge von Runzeln zusammengeschnürt war wie die Geldbeutel von Geizhälsen. Stumpfsinnig, im Haushalt auf die Rolle eines folgsamen und arbeitsamen Tieres beschränkt, hatte sie stets vor der despotischen Autorität ihres Mannes gezittert.

„Ah, ihr seid’s also!“ rief Fanny und erhob sich.

Delhomme war ebenfalls von seinem Stuhl aufgestanden. Und hinter den Alten war Jesus Christus, sich in den Hüften wiegend, ohne ein Wort soeben wieder zum Vorschein gekommen. Er drückte den Stummel seiner Zigarre aus, stopfte dann den stänkrigen Qualmer in eine Tasche seines Kittels.

„Da sind wir also“, sagte Fouan. „Es fehlt nur Geierkopf ... Niemals pünktlich, niemals wie die andern, dieser Kerl!“ „Ich habe ihn auf dem Markt gesehen“, erklärte Jesus Christus mit einer vom Schnaps heiseren Stimme. „Er wird gleich kommen.“

Geierkopf, der Jüngste, war siebenundzwanzig Jahre alt und verdankte diesen Beinamen seinem eigensinnigen, unausgesetzt in Auflehnung begriffenen Kopf, der sich auf seine Ideen versteifte, die seine und niemand anderes Ideen waren. Sogar als Bengel hatte er sich nicht mit seinen Eltern vertragen können; und später war er, nachdem er eine gute Nummer gezogen hatte, von ihnen ausgerückt, um sich zu verdingen, zuerst auf La Borderie, danach auf La Chamade.

Aber während der Vater noch schimpfte, trat er lebhaft und fröhlich ein. Bei ihm war die große Nase der Fouans abgeplattet, während sich der Unterteil des Gesichts, die Kiefer als gewaltige Fleischfresserkinnladen vorschoben. Die Schläfen flohen zurück, der ganze Oberteil des Kopfes verschmälerte sich, und hinter dem lustigen Lachen seiner grauen Augen lag bereits Verschlagenheit und Gewalttätigkeit. Er hatte von seinem Vater das rohe Verlangen, die Versessenheit aufs Besitzen, was beides verschlimmert wurde durch den engstirnigen Geiz der Mütter. Bei jeder Streitigkeit pflegte er den beiden Alten, wenn sie ihn mit Vorwürfen überhäuften, zu antworten: „Hättet mich nicht so machen müssen!“

„Hört mal, es sind fünf Meilen von La Chamade nach Cloyes“, antwortete er auf das Schimpfen. „Und außerdem, was denn? Ich treffe zur selben Zeit ein wie ihr ... Will man wieder über mich herfallen?“

Nun stritten sich alle, schrien mit ihren gellenden und lauten Stimmen, die an den Wind auf freiem Felde gewöhnt waren, erörterten heftig ihre Angelegenheiten, ganz so, als wären sie bei sich zu Hause. Die Schreiber, die dadurch gestört wurden, warfen ihnen scheele Blicke zu; da kam auf den Lärm hin der Notar und öffnete abermals die Tür seines Arbeitszimmers.

 

„Seid ihr alle da? Na las, kommt rein!“

Dieses Arbeitszimmer lag zum Garten hin, dem schmalen Erdstreifen, der bis zu den blattlosen Pappeln am Loir hinabreichte, die man in der Ferne erblickte. Als Kaminschmuck stand da eine Stutzuhr aus schwarzem Marmor zwischen Aktenpacken, und nichts weiter als der Mahagonischreibtisch, ein Aktenschrank und Stühle.

Sofort hatte sich Herr Baillehache an diesem Schreibtisch niedergelassen wie bei einer Gerichtssitzung, während die Bauern, die hintereinander eingetreten waren, voller Verlegenheit zögerten, nach den Stühlen schielten, weil sie nicht wußten, wo und wie sie sich setzen sollten.

„Nun, setzt euch!“

Da fanden sich Fouan und Rose, von den anderen geschoben, in der ersten Reihe auf zwei Stühlen; Fanny und Delhomme setzten sich dahinter, ebenfalls Seite an Seite, während sich Geierkopf dicht an der Wand in einer Ecke absonderte und Hyacinthe vor dem Fenster, dessen Licht er mit seinen breiten Schultern wegnahm, allein stehen blieb.

Ungeduldig geworden, redete ihn der Notar jedoch vertraulich an:

„Setzt Euch doch, Jesus Christus!“ Und Herr Baillehache mußte als erster die Angelegenheit anschneiden: „So, Vater Fouan, Ihr habt Euch also entschlossen, Euern Besitz zu Lebzeiten zwischen Eure beiden Söhne und Eure Tochter aufzuteilen?“

Der Alte antwortete nicht, die anderen verharrten reglos, ein tiefes Schweigen entstand.

Der Notar, der diesen schleppenden Gang der Verhandlung gewohnt war, beeilte sich übrigens auch nicht. Sein Amt lag seit zweihundertfünfzig Jahren in der Familie, vom Vater auf den Sohn waren die Baillehaches in Cloyes aufeinander gefolgt, waren vom uralten Blut der Beauce und nahmen von ihrer Bauernkundschaft die bedächtige Schwerfälligkeit, die heimtückische Umsicht an, die mit langen Pausen und unnützen Worten die geringste Verhandlung ertränken. Er hatte ein Federmesser aufgeklappt, er schnitt sich die Fingernägel.

„Nicht wahr, man muß annehmen, daß Ihr Euch entschlossen habt“, wiederholte er schließlich, die Augen starr auf den Alten gerichtet.

Dieser drehte sich um, warf einen Blick auf alle, bevor er, die Worte suchend, sagte:

„Ja, das kann wohl sein, Herr Baillehache ... Ich habe mit Ihnen bei der Ernte davon gesprochen. Sie haben mir gesagt, ich soll mir das mehr durch den Kopf gehen lassen, und ich habe mir das mehr durch den Kopf gehen lassen, und ich sehe, daß es damit trotzdem dahin kommen muß.“ Er setzte in unterbrochenen, von fortgesetzten Einwürfen zerschnittenen Sätzen auseinander warum. Was er aber nicht sagte, was aus der in seiner Kehle zurückgestauten Erregung hervorging, war die unendliche Traurigkeit, der dumpfe Groll, das Zerreißen seines ganzen Leibes, weil er sich von diesem Besitz trennen sollte, den er vor dem Tode seines Vaters so heiß begehrt, später mit einer brünstigen Erbitterung bebaut, dann Fetzen um Fetzen um den Preis filzigsten Geizes vermehrt hatte. Solch ein Stückchen Land bedeutete Monate bei Käse und Brot, Winter ohne Feuerung, Sommer voller Arbeit bei brennender Hitze ohne andere Stärkung als ein paar Schluck Wasser. Er hatte die Erde als Frau geliebt, die tötet und für die man mordet. Weder Gattin noch Kinder, noch irgend jemand, nichts Menschliches: die Erde! Und da war er nun alt geworden, mußte diese Geliebte an seine Söhne abtreten, wie sein Vater sie ihm selber abgetreten hatte, wütend über sein Unvermögen. „Sehen Sie, Herr Baillehache, man muß Vernunft annehmen, es geht nicht mehr mit den Beinen, die Arme sind kaum besser, und freilich, die Erde leidet darunter ... ʼs hätte noch gehen können, wenn man sich mit den Kindern verständigt hätte ...“ Er warf einen kurzen Blick auf Geierkopf und auf Jesus Christus, die sich nicht rührten, die Augen in die Ferne gerichtet hatten, gleichsam hundert Meilen weit weg waren von dem, was er sagte. „Aber was? Soll ich Leute nehmen, Fremde, die uns ausplündern? Nein, das Gesinde, das ist zu teuer, das frißt heutzutage den Verdienst weg ... Ich, ich kann also nicht mehr. Sehen Sie, zu dieser Jahreszeit, nun ja, da habe ich kaum die Kraft gehabt, von den neunzehn Sestern, die ich besitze, ein Viertel zu bebauen, gerade genug zum Essen, Getreide für uns und Heu für die beiden Kühe ... Na ja, das zerreißt mir das Herz, zu sehen, wie diese gute Erde verkommt. Ja, lieber lasse ich alles fahren, als daß ich diese Pfuscherei mitmache.“ Die Stimme versagte ihm, mit einer hilflosen Gebärde brachte er all seinen Schmerz und seinen Verzicht zum Ausdruck.

Fügsam, erdrückt von mehr als einem halben Jahrhundert Gehorsam und Arbeit, hörte seine Frau neben ihm zu.

„Neulich“, fuhr er fort, „ist Rose beim Käsemachen mit der Nase reingefallen. Mich, mich haut’s schon um, bloß wenn ich im Wägelchen zum Markt fahre ... Und dann die Erde, man kann sie nicht mitnehmen, wenn man von hinnen geht. Man muß sie rausrücken, man muß sie rausrücken ... Schließlich haben wir genug gearbeitet, wir wollen in Ruhe verrecken ... Nicht wahr, Rose?“

„Gerade so ist’s, wie der liebe Gott uns sieht!“ sagte die Alte.

Ein neues Schweigen herrschte, ein sehr langes Schweigen. Der Notar schnitt sich die Fingernägel fertig. Er legte schließlich das Federmesser auf seinen Schreibtisch zurück und sagte dabei:

„Ja, das sind vernünftige Gründe, man ist oft gezwungen, sich zur Schenkung zu entschließen ... Ich muß hinzufügen, daß sie für die Familien eine Ersparnis ist, denn die Erbschaftssteuern sind höher als die Steuern für die Güterabtretung ..."

Geierkopf konnte trotz seiner gespielten Gleichgültigkeit nicht den Ausruf zurückhalten:

„Das stimmt also, Herr Baillehache?“

„Aber zweifellos. Ihr werdet dabei ein paar Hundert Francs verdienen.“

Die anderen gerieten in Bewegung, selbst Delhommes Gesicht erhellte sich, während der Vater und die Mutter ebenfalls diese Genugtuung teilten. Es war abgemacht, von dem Augenblick an war es eine beschlossene Sache, da das weniger kostete.

„Es bleibt mir noch, euch die üblichen Einwände darzulegen“, fügte der Notar hinzu. „Viele tüchtige Köpfe mißbilligen die Güterabtretung, die sie als unmoralisch ansehen, denn sie beschuldigen sie, die Familienbande zu zerstören ... Man könnte wirklich beklagenswerte Tatsachen anführen, die Kinder benehmen sich mitunter sehr schlecht, wenn sich die Eltern von allem entäußert haben ...“

Die beiden Söhne und die Tochter hörten offenen Mundes, mit zuckenden Augenlidern und bebenden Wangen zu.

„Mag Papa alles behalten, wenn er so was denkt!“ unterbrach Fanny barsch, die sehr empfindlich war.

„Wir sind immer in der Schuld gewesen“, sagte Geierkopf. „Und vor der Arbeit haben wir keine Angst“, erklärte Jesus Christus.

Mit einer Handbewegung beruhigte Herr Baillehache sie.

„Laßt mich also zum Ende kommen! Ich weiß, daß ihr gute Kinder seid, ehrbare Arbeiter; und bei euch besteht sicher keine Gefahr, daß eure Eltern es eines Tages bereuen.“ Er legte keinerlei Ironie hinein, er wiederholte den freundlichen Satz, der ihm bei seiner fünfundzwanzigjährigen Berufsgewohnheit glatt über die Lippen floß.

Die Mutter aber ließ, obgleich sie nicht begriffen zu haben schien, ihre eng zusammenstehenden Augen umherschweifen, von ihrer Tochter zu ihren beiden Söhnen. Sie hatte sie alle drei aufgezogen, ohne Zärtlichkeit, mit der Kälte einer Frau, die sparsam wirtschaftet und die den Kleinen vorwirft, zuviel von dem zu essen, womit sie spart. Dem Jüngsten, dem grollte sie, weil er von Hause ausgerückt war, als er endlich verdiente; die Tochter, mit der hatte sie sich niemals vertragen können, sie war verletzt, weil sie sich an ihrem eigenen Blut stieß, an einer rührigen, kräftigen Person, bei der der Verstand des Vaters in Hochmut umgeschlagen war; und ihr Blick wurde erst milder, als er auf dem Ältesten verweilte, diesem Taugenichts, der weder von ihr noch von ihrem Mann irgend etwas hatte, dieses Unkraut, von dem man nicht wußte, woher es gesprossen war, und vielleicht übte sie deshalb Nachsicht mit ihm und zog ihn vor.

Auch Fouan hatte seine Kinder eines nach dem anderen angesehen mit dem dumpfen Unbehagen, was sie wohl mit seinem Besitz machen würden. Die Faulheit des Trunkenbolds ängstigte ihn weniger als die genießerische Begehrlichkeit der beiden anderen. Er schüttelte seinen zitternden Kopf: Wozu sich das Blut vergällen, wo es doch sein mußte!

„Da nun die Aufteilung beschlossen ist“, fuhr der Notar fort, „handelt es sich darum, die Bedingungen festzusetzen. Seid ihr euch einig über das zu zahlende Jahresgeld?“

Auf einen Schlag wurden alle wieder reglos und stumm. Die gegerbten Gesichter hatten einen starren Ausdruck angenommen, den undurchdringlichen Ernst von Diplomaten, die die Abschätzung eines Kaiserreiches vornehmen. Dann tasteten sie sich mit einem kurzen Blick ab, aber noch sprach niemand. Wieder war es der Vater, der die Dinge erläuterte.

„Nein, Herr Baillehache, wir haben nicht darüber geredet, wir haben gewartet, bis wir alle zusammen sind hier ... Das ist aber sehr einfach, nicht wahr? Ich habe neunzehn Sester oder neun und einen halben Hektar, wie man jetzt sagt. Wenn ich also verpachte, würde das doch neunhundertfünfzig Francs machen, den Hektar zu hundert Francs ...“

Geierkopf, der am wenigsten Geduld hatte, fuhr hoch von seinem Stuhl.

„Wie! Zu hundert Francs den Hektar! Macht Ihr Euch über uns lustig, Vater?“

Und eine erste Auseinandersetzung entspann sich über die Zahlen. Da war ein Sester Wein: das, ja, das würde man für fünfzig Francs gepachtet haben. Aber wäre man jemals auf diesen Preis gekommen, wenn es um die zwölf Sester Ackerland ging und besonders um die sechs Sester Naturweiden, diese Wiesen am Ufer des Aigre, deren Heu nichts wert war? Die Äcker selber waren auch nicht gerade gut, hauptsächlich ein Stück, das längs der höher gelegenen Fläche verlief, denn die pflügbare Schicht wurde dünner, je mehr man sich der Talsenke näherte. „Spaß beiseite, Papa“, sagte Fanny mit vorwurfsvoller Miene, „man darf uns nicht reinlegen.“

„Das ist hundert Francs den Hektar wert“, wiederholte der Alte immer wieder eigensinnig und klatschte sich dabei auf die Schenkel. „Morgen werde ich für hundert Francs verpachten, wenn ich will ... Und was ist das denn für euch wert? Ein bißchen raus mit der Sprache, damit man sieht, was das wert ist!“

 

„Das ist sechzig Francs wert“, sagte Geierkopf.

Außer sich, hielt Fouan seinen Preis aufrecht, stimmte ein übertriebenes Loblied auf seine Erde an, eine so gute Erde, die von ganz allein Getreide bringe, als Delhomme, der bis dahin geschwiegen hatte, im Tonfall unbedingter Ehrbarkeit erklärte:

„Das ist achtzig Francs wert, nicht einen Sou mehr, nicht einen Sou weniger.“

Sofort beruhigte sich der Alte.

„Gut, setzen wir achtzig ein, ich will für meine Kinder gern ein Opfer bringen.“

Aber Rose, die ihn an einem Zipfel seines Kittels gezupft hatte, ließ ein einziges Wort fallen, das Aufbegehren ihrer Knauserigkeit:

„Nein! Nein!“

Jesus Christus hatte kein Interesse mehr. Die Erde lag ihm seit seinen fünf Afrikajahren nicht mehr am Herzen. Er brannte nur von dem einen Verlangen, seinen Teil zu bekommen, um ihn zu Geld zu machen. Deshalb wiegte er sich weiter mit spöttelnder und überlegener Miene in den Hüften.

„Achtzig habe ich gesagt“, schrie Fouan, „dabei bleibt’s, achtzig! Bei mir hat’s immer nur ein Wort gegeben: vor Gott schwöre ich es! – Neun und einen halben Hektar, seht mal, das macht siebenhundertsechzig Francs, rund gerechnet achthundert ... Na schön, das Altersgeld wird achthundert Francs betragen, das ist gerecht!“

Geierkopf brach ungestüm in Lachen aus, während Fanny, gleichsam bestürzt, mit einem Kopfschütteln Einspruch erhob. Und Herr Baillehache, der seit der Auseinandersetzung mit verschwommenen Augen in seinen Garten hinausschaute, wandte sich wieder seinen Klienten zu, schien ihnen zuzuhören, wobei er sich am Backenbart zupfte, wie es sein Tick war, eingeschläfert durch die Verdauung des erlesenen Mittagessens, das er zu sich genommen hatte.

Dieses Mal jedoch hatte der Alte recht: das war gerecht.

Aber hitzig geworden, mitgerissen von der Leidenschaft, den Handel zum möglichst niedrigen Preise abzuschließen, benahmen sich die Kinder schrecklich, feilschten, fluchten, waren unredlich wie Bauern, die ein Schwein kaufen.

„Achthundert Francs!“ feixte Geierkopf. „Ihr wollt wohl wie Stadtleute leben? – Na schön, achthundert Francs, vierhundert könnte man verzehren! Sagt sofort, daß Ihr das bloß macht, um an verdorbenem Magen zu verrecken!“

Fouan wurde noch nicht ärgerlich. Er fand das Feilschen natürlich, er bot lediglich diesem vorhergesehenen Toben die Stirn und ging, ebenfalls in Feuer geraten, stracks bis zum Äußersten mit seinen Forderungen.

„Und das ist nicht alles, wartet mal! – Selbstverständlich behalten wir bis zu unserm Tode das Haus und den Garten ... Da wir nichts mehr ernten und auch die beiden Kühe nicht mehr haben werden, wollen wir außerdem jährlich ein Stückfaß Wein, hundert Bündel Reisig und wöchentlich zehn Liter Milch, ein Dutzend Eier und drei Käse.“

„Oh, Papa!“ stöhnte Fanny schmerzlich und niedergeschmettert. „Oh, Papa!“

Geierkopf ging darauf überhaupt nicht ein. Er war mit einem Satz aufgestanden, er ging mit schroffen Bewegungen auf und ab; er hatte sogar seine Schirmmütze aufgestülpt, um aufzubrechen.

Jesus Christus hatte sich gleichfalls soeben von seinem Stuhl erhoben, beunruhigt bei der Vorstellung, daß alle diese Geschichten die Aufteilung zum Scheitern bringen könnten.

Allein Delhomme zuckte mit keiner Miene, hatte einen Finger an seine Nase gepreßt und verharrte in einer Haltung tiefer Nachdenklichkeit und großer Langerweile.

Da fühlte Herr Baillehache die Notwendigkeit, die Dinge ein wenig zu beschleunigen. Er schüttelte seine Schläfrigkeit ab, und seinen Backenbart mit rührigerer Hand durchwühlend, sagte er:

„Ihr wißt, meine Freunde, daß der Wein und die Bündel Reisig ebenso wie die Käse und die Eier üblich sind ...“

Aber er wurde durch eine Salve schriller Sätze unterbrochen.

„Eier mit Hühnchen dran vielleicht!“

„Trinken wir denn unsern Wein? Wir verkaufen ihn!“

 

„Nichts machen und sich wärmen, das ist bequem, wenn die Kinder sich abplacken!“

Der Notar, der schon ganz anderes gehört hatte, fuhr phlegmatisch fort:

„Über alles das gibt’s überhaupt nichts zu reden ... Zum Donnerwetter! Jesus Christus, setzt Euch doch! Ihr nehmt das Licht weg, das bringt einen ja hoch! – Und das ist nun von euch allen vereinbart, nicht wahr? Ihr entrichtet die Naturalabgaben, weil man sonst mit Fingern auf euch zeigen würde ... Es ist also nur noch die Höhe des Jahresgeldes zu erörtern ...“

Schließlich machte Delhomme ein Zeichen, daß er zu reden habe. Jeder nahm wieder seinen Platz ein; in die allgemeine Aufmerksamkeit hinein sagte er langsam:

„Verzeihung, das scheint mir gerecht, was der Vater verlangt. Man könnte ihm achthundert Francs zahlen, denn für achthundert Francs würde er seinen Besitz verpachten ... Bloß wir, wir rechnen nicht so. Er verpachtet uns das Land nicht, er gibt es uns, und es muß eine Berechnung angestellt werden, um in Erfahrung zu bringen, was der Vater und die Mutter zum Leben brauchen ... Ja, was sie zum Leben brauchen, nicht mehr.“

„In der Tat“, bekräftigte der Notar, „das ist gewöhnlich die Grundlage, die man nimmt.“

Und ein neuer Streit zog sich ewig in die Länge. Posten um Posten wurde das Leben der beiden Alten durchwühlt, ausgebreitet, erörtert. Man wog das Brot, das Gemüse, das Fleisch ab; man schätzte die Kleidung ab und beschnitt dabei das Leinen und die Wolle; man ging sogar bis zu den kleinen Annehmlichkeiten hinunter, zu Vaters Rauchtabak, für den die zwei Sous täglich nach unendlichen Gegenvorwürfen auf einen Sou herabgesetzt wurden. Wenn man nicht mehr arbeitet, muß man sich einzuschränken wissen. Könnte die Mutter nicht auch ohne den schwarzen Kaffee auskommen? Ebenso war es mit dem Hund der beiden, einem alten Hund von zwölf Jahren, der unnütz viel fraß: es war höchste Zeit, daß man ihm einen Flintenschuß versetzte. Als die Berechnung fertig war, begann man wieder von vorn, suchte, was man noch streichen konnte: zwei Hemden, sechs Taschentücher im Jahr, einen Centime von dem, was man pro Tag für Zucker eingesetzt hatte. Und durch Beschneiden und Wiederbeschneiden, durch Ausschöpfen der winzigen Einsparungen gelangte man solcherweise zu einer Zahl von fünfhundertfünfzig und einigen Francs, was die Kinder aufregte, außer sich brachte, denn sie hatten es sich in den Kopf gesetzt, die runde Summe von fünfhundert Francs nicht zu überschreiten.

Fanny indessen wurde es müde. Sie war keine schlechte Tochter, war mitleidiger als die Männer, weil ihr Herz und ihre Haut nicht durch das rauhe Dasein in der freien Luft verhärtet waren. Deshalb sprach sie davon, dem ein Ende zu machen, und schickte sich in Zugeständnisse. Jesus Christus seinerseits zuckte die Schultern, war sehr großzügig mit dem Geld, selber von einer Trunkenboldsrührung überkommen und bereit, einen Zuschuß von seinem Teil anzubieten, den er übrigens niemals gezahlt hätte.

„Seht mal“, fragte die Tochter, „geht das nicht mit fünfhundertfünfzig?“

„Freilich, freilich“, antwortete er. „Sie müssen schon ein bißchen schwelgen, die Alten!“

Die Mutter sah ihren Ältesten mit einem lächelnden und vor Zuneigung feuchten Blick an, während der Vater den Kampf mit dem Jüngsten fortsetzte. Er hatte nur Schritt um Schritt nachgegeben, zankte bei jeder Einschränkung herum und hielt eigensinnig an bestimmten Zahlen fest. Aber unter der kühlen Starrköpfigkeit, die er an den Tag legte, wuchs Zorn in ihm angesichts der Raserei seines eigen Fleischs und Bluts, sich noch zu seinen Lebzeiten mit seinem Fleisch zu mästen, ihm das Blut auszusaugen. Er vergaß, daß er seinen Vater ebenso aufgefressen hatte. Seine Hände hatten angefangen zu zittern, er schimpfte:

„Ach, abscheuliche Brut! Wenn man bedenkt, daß man so was großgezogen hat und daß einem so was das Brot vom Munde wegnimmt! – Mich ekelt das an, auf Ehre! Ich möchte lieber schon in der Erde verfaulen ... Also es gibt keine Möglichkeit, daß ihr anständig seid, ihr wollt nur fünfhundertfünfzig Francs geben?“

 

Er willigte ein, da zupfte ihn seine Frau abermals am Kittel und flüsterte ihm zu:

„Nein, nein!“

„Das ist nicht alles“, sagte Geierkopf nach einigem Zögern, „und das Geld von Euern Ersparnissen? – Wenn Ihr Geld habt, werdet Ihr unseres doch sicher nicht annehmen, nicht wahr?“ Er sah seinen Vater starr an, hatte diesen Schlag bis zum Schluß aufgehoben.

Der Alte war ganz blaß geworden.

„Was für Geld?“ fragte er.

„Na, das Geld, das Ihr angelegt habt, das Geld von den Wertpapieren, die Ihr versteckt haltet.“

Geierkopf, der den Schatz lediglich vermutete, wollte sich Gewißheit verschaffen. An einem bestimmten Abend hatte er zu sehen geglaubt, wie sein Vater hinter einem Spiegel eine kleine Rolle Papier vorholte. Am nächsten Tage und an den folgenden Tagen hatte er sich auf die Lauer gelegt; aber nichts war wieder zum Vorschein gekommen, es blieb nur das leere Loch.

Fouan wurde, so bleich er eben noch war, plötzlich hochrot unter der Woge seines Zorns, der schließlich zum Ausbruch kam. Er stand auf, schrie mit einer wütenden Gebärde:

„Ach! So was, Himmelsakrament! Jetzt durchwühlt ihr auch noch meine Taschen! Ich habe nicht einen Sou, nicht einen Liard angelegt. Dafür habt ihr zuviel gekostet, ihr schlechten Kerle! – Aber geht euch das was an, bin ich nicht der Herr, der Vater?“ Er schien zu wachsen in diesem Wiedererwachen seiner Autorität. Jahrelang hatten alle, die Frau und die Kinder, unter ihm, unter diesem rohen Despotismus des Oberhaupts der Bauernfamilie gezittert. Man täuschte sich, wenn man glaubte, es sei vorbei mit ihm.

„Oh, Vater“, sagte Geierkopf feixend.

„Schweig, Himmelsakrament!“ fuhr der Alte fort, die Hand noch immer erhoben. „Schweig, oder ich verprügel dich!“ Der Jüngste stammelte, machte sich ganz klein auf seinem Stuhl. Er hatte den Wind der Backpfeife gefühlt, er war wieder von seinen Kindheitsängsten erfaßt und hob den Ellbogen, um sich zu decken.

 

„Und du, Hyacinthe, mach nicht ein Gesicht, als ob du lachst! Und du, Fanny, schlag die Augen nieder! – So wahr wie die Sonne uns bescheint, werd ich euch kirre kriegen, ich!“ Drohend stand er allein.

Die Mutter zitterte, als habe sie Furcht vor verirrten Ohrfeigen. Unterworfen, bezähmt, muckten die Kinder sich nicht mehr, sagten keinen Ton mehr.

„Hört ihr, ich will, daß sich das Jahresgeld auf sechshundert Francs beläuft ... Sonst verkaufe ich meine Erde, ich werde sie auf Leibrente setzen. Ja, um alles aufzuessen, damit ihr nicht ein Radieschen nach meinem Tode habt ... Gebt ihr sie, die sechshundert Francs?“

„Aber, Papa“, murmelte Fanny. „Wir werden geben, was Ihr verlangt.“

„Sechshundert Francs, es ist gut“, sagte Delhomme.

„Ich“, erklärte Jesus Christus, „ich will, was alle wollen.“

Mit vor Groll zusammengepreßten Zähnen schien Geierkopf durch sein Schweigen einzuwilligen.

Und Fouan beherrschte sie immer noch, ließ seine harten Blicke, die Blicke des Gebieters, dem gehorcht wird, umherschweifen. Schließlich setzte er sich wieder und sagte:

„Also, nun geht’s, wir sind uns einig.“

Wieder von Schläfrigkeit befallen, hatte Herr Baillehache, ohne sich aufzuregen, das Ende des Streits abgewartet. Er machte die Augen wieder auf, und abschließend sagte er friedfertig:

„Da ihr euch einig seid, ist’s jetzt genug damit ... Ich werde nun, da ich die Bedingungen kenne, das Schriftstück aufsetzen ... Laßt eurerseits das Land vermessen, nehmt die Aufteilung vor und sagt dem Landvermesser, daß er mir eine Aufstellung schicken soll, die die Bezeichnung der Parzellen enthält. Wenn ihr sie ausgelost habt, brauchen wir nur noch hinter jedem Namen die gezogene Nummer einzusetzen, und wir unterschreiben.“

Er hatte sich von seinem Lehnsessel erhoben, um sie zu verabschieden.

Aber zaudernd, überlegend, rührten sie sich noch nicht. War das auch wirklich alles? Vergaßen sie nichts? Hatten sie nicht ein schlechtes Geschäft gemacht, das zu widerrufen vielleicht noch Zeit wäre?

Es schlug drei Uhr, sie waren seit fast zwei Stunden da.

„Geht“, sagte schließlich der Notar zu ihnen. „Andere warten.“

Sie mußten sich entschließen, er drängte sie in die Kanzlei, wo sich tatsächlich Bauern reglos und steif auf den Stühlen geduldeten, während der kleine Schreiber durch das Fenster eine Hundebalgerei verfolgte und die beiden anderen mürrisch immer noch ihre Federn auf dem Stempelpapier kratzen ließen. Draußen verharrte die Familie einen Augenblick, mitten auf der Straße hingepflanzt.

„Wenn ihr wollt“, sagte der Vater, „wird die Vermessung übermorgen, am Montag, stattfinden.“

Sie nahmen mit einem Kopfnicken an; die einen ein paar Schritte hinter den anderen, gingen sie die Rue Grouaise hinunter.

Als dann der alte Fouan und Rose in die Rue du Temple zur Kirche zu eingebogen waren, entfernten sich Fanny und Delhomme durch die Rue Grande. Geierkopf war auf dem Place Saint-Lubin stehengeblieben; er fragte sich immer noch, ob der Vater Geld versteckt hatte oder nicht. Und allein geblieben, ging Jesus Christus, nachdem er seinen Zigarrenstummel wieder angezündet hatte, sich in den Hüften wiegend, ins Café „Bon Laboureur“.

KAPITEL III

Das Haus der Fouans war das erste in Rognes am Rande der Landstraße von Cloyes nach Bazoches-le-Doyen, die durch das Dorf verläuft. Und am Montag ging der Alte gleich bei Tagesanbruch um sieben Uhr aus dem Haus, um sich zum vereinbarten Treffpunkt vor der Kirche zu begeben, als er an der Nachbartür seine Schwester, die Große, erblickte, die trotz ihrer achtzig Jahre bereits aufgestanden war.

Seit Jahrhunderten waren diese Fouans da gesprossen und gewachsen wie eigensinnige und zähe Pflanzen. Als ehemalige Leibeigene der Rognes-Bouquevals, von denen keine Spur übriggeblieben war, kaum ein paar eingegrabene Steine eines zerstörten Schlosses, hatten sie wohl unter Philipp dem Schönen die Freiheit erhalten; und von da an waren sie Grundbesitzer geworden; ein Arpent, zwei Arpents vielleicht, die sie dem Grundherrn bei Geldverlegenheit abkauften und deren Preis mit Schweiß und Blut zehnfach bezahlt wurde. Dann hatte das lange Ringen begonnen, ein vierhundertjähriges Ringen in leidenschaftlicher Verbissenheit, die die Väter ihren Söhnen vermachten, um diesen Besitz zu verteidigen und zu vergrößern: verlorengegangene und zurückgekaufte Landstücke, unaufhörlich wieder in Frage gestellter lächerlich kleiner Besitz, von so hohen Steuern erdrückte Erbschaften, daß sie dahinzuschmelzen schienen, nach und nach jedoch durch dieses Besitzbedürfnis mit einer allmählich siegreichen Zähigkeit vergrößerte Wiesen und Ackerstücke. Generationen erlagen dabei, lange Menschenleben düngten den Boden; als aber die Revolution von 1789 kam und die Rechte des damaligen Fouan, Joseph-Casimir, bestätigte, besaß dieser einundzwanzig Arpents, die in vierhundert Jahren dem ehemaligen herrschaftlichen Gut abgerungen worden waren.

Im Jahre 1793 war dieser Joseph-Casimir siebenundzwanzig Jahre alt; und an dem Tag, da das, was von dem Gut übriggeblieben war, zum Nationalbesitz erklärt und parzellenweise versteigert wurde, brannte er darauf, einige Hektar davon zu erwerben. Heruntergekommen, verschuldet, überließen die Rognes-Bouquevals schon seit langem, seit sie den letzten Turm des Schlosses hatten einstürzen lassen, ihren Gläubigern das Pachtgeld von La Borderie, von dessen Anbauflächen drei Viertel brach blieben. Es war da vor allem neben einer seiner Parzellen ein großes Stück, nach dem der Bauer mit dem rasenden Verlangen seines Geschlechts gierte. Aber die Ernten waren schlecht, er besaß kaum hundert Taler Ersparnisse in einem alten Topf hinter seinem Ofen; und andererseits hatte ihn, wenn ihm einen Augenblick der Gedanke gekommen war, bei einem Geldverleiher in Cloyes ein Darlehen aufzunehmen, eine ängstliche Vorsicht davon abgehalten: diese Besitztümer der Adligen machten ihm Angst; wer wußte, ob man sie ihm nicht später wieder wegnehmen würde? So daß er, zwischen Verlangen und Mißtrauen schwankend, zu seinem Herzeleid sehen mußte, wie bei den Versteigerungen La Borderie zu einem Fünftel seines Werts Stück um Stück von einem Bürger aus Châteaudun, Isidore Hourdequin, einem ehemaligen Angestellten vom Salzhof, gekauft wurde.

Joseph-Casimir Fouan hatte, als er alt geworden war, seine einundzwanzig Arpents – sieben für jedes Kind – zwischen seiner Ältesten, Marianne, und seinen beiden Söhnen, Louis und Michel, aufgeteilt; eine jüngere Tochter, Laure, die schneidern gelernt hatte und in Châteaudun untergekommen war, wurde mit Geld abgefunden. Aber die Heiraten zerbrachen diese Gleichheit. Während Marianne Fouan, die Große genannt, einen Nachbarn ehelichte, Antoine Péchard, der ungefähr achtzehn Arpents hatte, lud sich Michel Fouan, Fliege genannt, eine Liebste auf den Hals, der ihr Vater nur zwei Arpents Wein hinterlassen sollte. Louis Fouan, der mit Rose Maliverne, Erbin von zwölf Arpents, verheiratet war, hatte auf diese Weise seinerseits die neun und einen halben Hektar zusammengebracht, die er sich nun anschickte, zwischen seine drei Kinder aufzuteilen, da die Reihe an ihn kam.