Die Erftquellhexe - Sandra Fariba - E-Book

Die Erftquellhexe E-Book

Sandra Fariba

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Beschreibung

Das Münster in der Eifel im 17. Jahrhundert: Der berüchtigte kurkölnische Hexenkommissar Buirmann, soll den Laienschöffengerichten in Rheinbach und umliegenden Gebieten mit seinem Spezialwissen über Hexen bei der Durchführung der Gerichtsbarkeit zur Seite stehen. Sein Arm reicht weit über das Land. Niemand scheint seine Macht und Unberechenbarkeit stoppen zu können. Als Herman Löher, Schöffe und Amtmann, versucht die Vorgehensweisen zu unterbinden, gerät er selbst in die Fänge des Juristen. In Münstereifel greift ein blutrünstiges Wolfsrudel die Bevölkerung an. Bis hoch zum Michelsberg erstreckt sich die Spur der grauen Monster. Auch hier erscheint Buirmann, um sich der Sache anzunehmen. Wie es scheint, ist der Hexenkommissar überall gegenwärtig. Was aber verbindet diesen mächtigen Mann mit der unscheinbaren Martha. Woher kommt die blinde Wut auf eine alte Kräuterfrau? Auszug Prolog: Panisch eilte Martha durch das Unterholz. Die Dornen der wilden Brombeeren zerrten an ihrem Unterrock und forderten ihren Tribut – ihre Beine waren von tiefen Schnittwunden übersät. Sie nahm den Schmerz wahr, konzentrierte sich aber nur auf ihr Vorankommen. Die lockeren, kleinen Steine, mit denen der Boden bedeckt war, erschwerten ihr das Gehen, und sie wusste, dass ihre Verfolger nicht von ihr ablassen würden. Mit einer Hand zog sie ihren Rock höher, um mehr Beinfreiheit zu haben. Wenn sie jetzt nicht stürzte, konnte sie ihnen entkommen. Mit der anderen Hand hielt sie ihren stark gewölbten Bauch fest, um das Ungeborene instinktiv zu schützen. Lautes Geheul hallte wie ein gewaltiges Echo durch den dichten Wald. Offenbar hatten die Verfolger doch ein wenig aufgeholt. Diese grauen, blutrünstigen Wesen holten sich von Zeit zu Zeit ihre Opfer. Martha spürte, wie das Blut aus den aufgerissenen Wunden an ihren Beinen herunterlief und ihre Kräfte nachließen, doch sie achtete nicht darauf, denn ihre Furcht war viel zu groß.

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Die

Erftquellhexe

Sandra Fariba

Eyfalia Publishing GmbH

www.spreeside.de

53902 Bad Münstereifel

Erste Auflage

Copyright © 2013 by

Eyfalia Publishing Verlag/ Edition Spreeside

Lektorat: Kerstin Fricke, Berlin

Satz: Ralf Berszuck, ErkrathUmschlagsgestaltung: Ralf Berszuck, Erkrath

Umschlagillustration: hoxdesign.de / Köln

eBook-Umetzung: Michael Sieger, Erkrath

Alle Rechte, auch die der fotomechanischen und

elektronischen Wiedergabe, vorbehalten.

ISBN: 978-3-939994-43-5

Sie finden uns im Internet unter

www.spreeside.de

Weitere Informationen zu

Die Erftquellhexe finden Sie unter

www.spreeside.de

Für Omilein

Inhalt

Prolog

Walram & Gunthild

Am Pranger

Buirmann & Löher

Markt & Straßen

Holzmühlheim

Trophäensammler

Jakob die Faust

Die Kräuterfrau

Kloster Schweinheim

Die Allmutter

Dünne Luft

Werwolf

Machtspiele

Schlechter Ruf

Die Verleumdung

Erftwasser

Flucht

Der Fall

Erklärungen

Prolog

Eyfalia

Münstereyffel

Zu jener Zeit Anfang des 17. Jahrhunderts

Nur, wer das Leid in sich trägt,

weiß, wonach ich strebe.

Panisch eilte Martha durch das Unterholz. Die Dornen der wilden Brombeeren zerrten an ihrem Unterrock und forderten ihren Tribut – ihre Beine waren von tiefen Schnittwunden übersät. Sie nahm den Schmerz wahr, konzentrierte sich aber nur auf ihr Vorankommen. Die lockeren, kleinen Steine, mit denen der Boden bedeckt war, erschwerten ihr das Gehen, und sie wusste, dass ihre Verfolger nicht von ihr ablassen würden. Mit einer Hand zog sie ihren Rock höher, um mehr Beinfreiheit zu haben. Wenn sie jetzt nicht stürzte, konnte sie ihnen entkommen. Mit der anderen Hand hielt sie ihren stark gewölbten Bauch fest, um das Ungeborene instinktiv zu schützen.

Lautes Geheul hallte wie ein gewaltiges Echo durch den dichten Wald. Offenbar hatten die Verfolger doch ein wenig aufgeholt. Diese grauen, blutrünstigen Wesen holten sich von Zeit zu Zeit ihre Opfer.

Martha spürte, wie das Blut aus den aufgerissenen Wunden an ihren Beinen herunterlief und ihre Kräfte nachließen, doch sie achtete nicht darauf, denn ihre Furcht war viel zu groß. Sie warf einen ängstlichen Blick über die Schulter, konnte aber niemanden sehen. Ihre Verfolger schienen sich unterhalb des Hanges zu befinden und so durch die Bäume und das Gestrüpp verdeckt zu sein.

Nur noch wenige Schritte, dann hätte sie die Anhöhe des Michelsbergs erreicht. Von dort aus war es ihr möglich, in dem nahe gelegenen Wald Unterschlupf zu finden. Vielleicht hielt sich aber auch jemand an der kleinen Kapelle auf und konnte ihr beistehen.

»Heiliger Michael«, sie brachte die Worte kaum heraus, so trocken war ihre Kehle, »bitte hilf mir.« Sie bekam kaum Luft, viel zu sehr hatte sie der weite Weg bis hier oben angestrengt. Diese Wolfswesen hatten sie von Schönau bis hierher gejagt und regelrecht mit ihr gespielt. Immer wieder hatten sie ihr einen kleinen Vorsprung gelassen, obwohl sie ihr so manches Mal dicht auf den Fersen waren. Ein Katz- und Mausspiel, fuhr es Martha durch den Kopf, und keinerlei Chance zu entkommen.

Ein stechender Schmerz zuckte durch ihre rechte Schulter und ließ sie zusammenfahren. Einen Augenblick hielt sie inne, stützte sich auf den Knien ab, um zu verschnaufen, und sah dabei den Stein neben sich liegen, der sie anscheinend getroffen hatte. Auf einmal hörte sie hinter sich ein Keuchen. Sie wollte davonlaufen, doch ihr Verfolger packte ihren Arm und drehte ihn blitzschnell nach hinten.

Mit einem hämischen und zugleich verächtlichen Grinsen schaute er sie mit seiner teuflischen Fratze an. An seinen Lefzen triefte der Speichel herab und verriet seine Gier. Er stieß ein drohendes Knurren aus. Seine Augen, rote Schlitze voller Hass, funkelten im Abendlicht, als er ihre große Angst spürte. Er zitterte vor Aufregung wie ein wildes Tier und konnte es anscheinend kaum noch erwarten, seine Beute endlich zu erlegen. Martha liefen Schweißperlen die Wangen herunter.

Dann riss er seinen Mund auf und stieß durch die braunen, faulenden Zähne ein Heulen aus. Martha glaubte schon, er würde ihr den Arm, den er noch immer eisern festhielt, ausreißen. Ihre Gedanken ließen sich vor Angst nicht ordnen, und eine Flucht schien nunmehr unmöglich.

Zwei weitere Gestalten erschienen hinter der ersten und riefen etwas, das Martha aber nicht verstand, da ein heftiger Schmerz durch ihren Leib jagte.

Das Kind, dachte sie, nicht jetzt.

In völliger Panik nahm sie ihre letzte Kraft zusammen, riss sich los und rannte so schnell sie konnte weiter. Das Kind – sie musste es retten. Sie kreischte immer wieder hysterisch, sie schrie um ihr Leben. Ihre Stimme hallte durch den Wald, nur um kurz darauf als Echo wieder zu ihr zurückzukommen. Als sie einige Schritte gemacht hatte, fiel ihr Peiniger sie mit einem gekonnten Sprung von hinten an. Tief gruben sich seine Krallen in ihre Schultern. Sie verloren beide das Gleichgewicht und stürzten die Böschung hinunter, wo sie von einem Baum gestoppt wurden, der sich Martha in den Rücken bohrte.

Ihr Schmerzensschrei wurde sogleich erstickt, da das Wesen, das sie gefasst hatte, auf sie einschlug, bis sie apathisch am Boden lag. Majestätisch thronte es auf ihrem Schoß und drückte seine Oberschenkel fest zusammen, um sein Opfer nicht entkommen zu lassen. Dann legte er den Kopf in den Nacken und heulte triumphierend auf, woraufhin die anderen beiden ebenfalls mit einfielen.

Nebelschleier verhüllten ihren Blick, als das Ungetüm an seiner Hose herumnestelte. Martha ahnte, was nun folgen würde, und verlor das Bewusstsein.

Irgendwann kam sie zu sich und spürte im ganzen Körper nichts als gewaltige Schmerzen. Sie versuchte, sich zu bewegen, was sie jedoch rasch aufgab, da ihr sofort schwarz vor Augen wurde. Kurz darauf setzten die Presswehen ein – ein warmer Schwall lief ihr an den Schenkeln herunter, und kurz darauf brachte sie auch schon unter Qualen ihr Kind zur Welt.

Martha machte sich nicht die Mühe, nach dem Baby zu sehen, da sie bereits wusste, dass es tot sein musste.

Ein Knurren ließ sie erstarren. Mit einem Sprung auf ihren Bauch packte sich ihr Peiniger das tote Kind und eilte damit fort.

Im nächsten Moment war Martha erneut von nichts als Schwärze umgeben.

Walram & Gunthild

»Ich werde die Tücher ins Gewandhaus schaffen, danach können Friedrich und Jakob die Nacht dort verbringen.« Walram Hardt, ein Kaufmann mit Leib und Seele, hantierte an dem alten Karren herum. Gunthild setzte den Trog ab, aus dem sie gerade die Hühner füttern wollte. Derweil zurrte Walram stöhnend die Bänder am Karren fest, um die Tücher zu sichern, wobei der Karren lautstark knarrte.

»Bist du sicher, ich meine, ist das nicht zu gefährlich? All die kostbaren Tücher und Stoffe. Unsere monatelange Arbeit wäre zunichtegemacht, wenn sie gestohlen werden.« Fragend blickte sie in die von Falten umgebenen Augen ihres Mannes.

Sie waren beide nicht mehr die Jüngsten, und ihre Kinder wären bald alt genug, um die Arbeit der Eltern zu übernehmen. Gunthild griff nach der Hand ihres Mannes, der für einen Augenblick innehielt, sie ihr aber dann schnell entzog, um die Stoffe zu befestigen.

»Ich weiß schon, was ich tue. Mach dir keine Sorgen. Es wird wie immer ablaufen, nur dass ich nicht schon mitten in der Nacht aufladen muss. Morgen früh kann unsere Ware als erste das Gewandhaus verlassen, um den netten Damen in Köln zu einem schöneren Aussehen zu verhelfen. Du weißt doch, wer zuerst da ist, der verkauft auch zuerst. Zudem habe ich mit Johann gesprochen, und er wird besonders gut darauf achtgeben.« Walram straffte die Riemen und lächelte.

Gunthild war beruhigt, denn das Lächeln verriet ihr, dass er genau wusste, was er tat. Johann, einer der Ratsherren, würde vermutlich auch vom Verkauf der Ware profitieren, und ein paar Münzen mehr schadeten bekanntlich nicht. Sie hob den Trog auf und ging zu ihren recht mageren Hühnern herüber, fütterte sie und blickte ihrem Mann versonnen nach. Kurz darauf verließen ihr Mann und die beiden Söhne die Weberei und Gunthild ging zu den Mägden in die Spinnstube, um zusammen mit ihnen bis zur Dämmerung die Wolle zu feinen Fäden zu spinnen.

Rund um Münstereifel wurde das Land wirtschaftlich intensiv genutzt. Riesige Schaf- und Rinderherden sowie Getreidefelder hatten nach und nach den Wohlstand in die Stadt gebracht und damit auch Gunthild und Walram zu recht angesehenen Bürgern gemacht. Walram war Kaufmann und dadurch zu einem der vierzehn Ratsmitglieder geworden. Dem Rat durften nur Kaufleute, Gelehrte und Fabrikanten angehören, Handwerker waren nicht stimmberechtigt. Walram nutzte seine Stellung aber nur in geringem Maße für die Familie aus. Er galt als äußert ehrlich und zuverlässig. Doch die Familie sorgte sich von Tag zu Tag mehr um ihre Existenz.

Zwar pulsierte noch immer das Leben im Ortskern mit den schmalen Gassen, und das saubere Wasser der Erft floss weiterhin durch das Städtchen. Die Burganlage thronte oberhalb der Stadt, und die Stadtmauern, die von den imposanten, nach den vier Himmelrichtungen ausgerichteten Toren durchbrochenen wurde, versprachen den Menschen Schutz und Sicherheit.

Dennoch hatte sich Münstereifel verändert. Die Wirrungen und Irrungen der langen Kriege in den letzten Jahren hatten das Bild der Stadt und der Menschen geprägt. Die Wirtschaftskraft sank zusehends, und so mancher Kaufmann oder Weber suchte sich anderswo eine neue Heimat. Walram und Gunthild trotzten dem Ganzen, allerdings hing es vor allem vom Verkauf ihrer Waren ab, wie lange sie das noch durchhalten konnten.

Mehr und mehr wurden die Bürger Münstereifels dazu gedrängt, die Erzeugnisse der Stadt und der Region zu sammeln und auf dem Krammarkt an fremde Kaufleute zu veräußern.

Diese Art von Zwischenhandel war weniger profitabel, was jedoch die Wollweber, Tuchscherer und Gewandschneider, die das Rückrat der städtischen Wirtschaft bildeten, nicht ganz so hart traf, da sie als Produzenten und Händler in einer Doppelrolle fungierten. Aber auch sie blieben nicht verschont. Der Freiheitskampf der Niederländer und der Kölnische Krieg hatte all das ausgelöst und das wirtschaftliche Desaster in Gang gesetzt. Als dann in den Jahren, als sich die Jesuiten in Münstereifel niederließen, erneut eine spanische Garnison einmarschiert war und auch noch die Pest Einzug gehalten hatte, mussten Walram und Gunthild ums nackte Überleben kämpfen.

Gunthild hatte jahrelang, manchmal ganze Nächte hindurch, nach dem perfekten Faden gesucht. Er sollte fein und rein, gleichmäßig laufend und von höchster Qualität sein. Eine ihrer Mägde hatte sich gar im nächtlichen Kerzenschein die Augen verdorben, doch Gunthild wollte niemals aufgeben und hatte wie eine Besessene weiter gesucht, bis sie den perfekten Faden schließlich gefunden hatte!

Nebenbei hatte sie nach und nach auch eine Schneiderei aufgebaut. Viele Bürger kamen zu ihr und ließen sich hier ihre Kleider nähen. Sie profitierte von den Wochenmärkten, die auch von besser betuchten oder höher gestellten Damen besucht wurden, die ihr hin und wieder einige Aufträge erteilten. Doch obwohl sie sehr ehrgeizig war und viele verschiedene Pläne umgesetzt hatte, liefen die Geschäfte nicht zufriedenstellend. So manches Mal waren sie froh über eine Schale Hirsebrei am Tag. Der kommende Markt sollte die Haushaltskasse aufbessern.

Gunthild betrat die Kammer, in der die Mägde saßen. Sie machte wie jeden Abend ihre Runde zwischen den Mädchen und kontrollierte die Arbeit des Tages. Von den Mägden war keine älter als 16 Jahre. Sie kamen aus ärmlichen Verhältnissen und waren Gunthild dankbar, dass sie hier für ihre Arbeit Kost und Logis erhielten. Daher machte es ihnen auch nichts aus, dass sie täglich viele Stunden mit dem Spinnen, Putzen, Kochen und Waschen zubringen mussten und es kaum Pausen gab. Sie wollten alle um nichts in der Welt dorthin zurückkehren, von wo sie gekommen waren. Ihre Lager bestanden aus einigen alten, mit Stroh gefüllten Leinsäcken, dazu bekam jedes Mädchen eine Decke und eine warme Mahlzeit. Geschlafen wurde in der Spinnstube. Hier fand das Leben der Mädchen die meiste Zeit statt, und jede war froh darüber. Gunthild hatte ihre Mägde ins Herz geschlossen.

»Wo ist Martha?« Suchend blickte sich Gunthild in der Kammer um. Die Mädchen waren noch immer fleißig bei der Arbeit, überall lagen Wollwolken herum und flogen mit jedem Luftzug in die hinteren Ecken, als ob sie fliehen wollten. In der Kammer war es warm, obwohl nur eine spärliche Flamme im Kamin züngelte.

»Sie ist schon seit heute Morgen fort. Der Herr hat sie nach Reckerscheid geschickt, um Adele zum Weben zu holen.« Marie schaute schuldbewusst zu Boden. »Eigentlich sollte ich gehen, aber wir hatten so viel mit der Wäsche zu tun, da ist Martha kurzerhand an meiner statt gegangen.«

»Was? Es wird schon dunkel, wo mag sich das Weibsbild in ihrem Zustand nur herumtreiben?« Gunthild tat empört und schimpfte noch ein wenig, aber eigentlich verbarg sie dadurch nur ihre Sorge um die Magd, deren Niederkunft in wenigen Wochen bevorstand.

Martha war ausgesprochen zuverlässig und eine ihrer besten Mägde. Sie würde nicht einfach Hals über Kopf davonlaufen. Irgendetwas musste geschehen sein. Die Wehen hatten sie doch nicht etwa auf dem Feld überkommen? Gunthild eilte hinaus auf den Hof.

»Josef! Wo steckst du? Komm her!« Sie blieb mitten auf dem Hof stehen und blickte in die düstere Umgebung, in der nur noch die Silhouetten der Gebäude zu erkennen waren. Ein Rascheln und das vertraute Hüsteln des Arbeiters verrieten ihr, dass er noch im Lager arbeitete.

»Hier, Herrin, was wünscht Ihr?« Der Knecht wischte sich Staub und Wollkügelchen von den Beinlingen und kam aus dem Wolllager heraus.

»Nimm dir eine Lampe und eile mit Franz zu den Schafen. Schau nach Martha, sie ist seit dem Mittag verschwunden. Sucht auch in der Umgebung, und nun eilt euch!«, rief Gunthild mit lauter Stimme.

Sofort ließ Josef alles stehen und liegen und hastete davon.

Martha war als kleines Kind von gerade mal sechs oder sieben Jahren zu ihr auf den Hof gekommen, die Kleider zerschlissen, die Haut verkrustet von Schmutz und die Haare verfilzt. Waldarbeiter hatten sie gefunden, als sie sich wie ein wildes Tier in einer Bergspalte versteckt hatte. Die Arbeiter, die dabei gewesen waren, Lohe zu schneiden, hatten das arme Ding mit einem Stock gepeinigt und ihr dabei zwar nicht wehgetan, das wild um sich schlagende Kind jedoch hin und her geschubst. Walram war an diesem Tag durch den Wald gefahren und hatte das Kind sofort zu sich auf den Wagen geholt. Gunthild hatte die Kleine gewaschen und ihr die Haare geschoren. Ihr kleiner Körper war übersät mit blauen Flecken. Sie hatte kein Wort gesprochen, kein Weinen und kein Schmerzenslaut war über ihre Lippen gekommen. Das Mädchen hatte eine Kette, die aus edlem Metall zu sein schien und um ihren Hals hing, verbissen umklammert und sogar nach Gunthild geschlagen, als sie versucht hatte, diese zu berühren. Doch auch dann hatte sie noch keinen Ton von sich gegeben.

Dennoch hatte Gunthild gewusst, dass dieses Mädchen nicht stumm war, sondern ihr irgendetwas die Kraft zum Sprechen geraubt haben musste. Sie ließ die Kleine bei einer Magd schlafen, gab ihr zu essen und nahm sie, wann immer sie Zeit dafür hatte, auf den Schoß, um sie wie einen Säugling in ihren Armen zu wiegen.

Leise hatte sie ihr Melodien vorgesummt und ihr mit sanfter Stimme vom guten Leben hier bei ihr und den anderen erzählt. Sie hatte ihr Sicherheit versprochen und Liebe geschenkt.