Die Fischtreppe - Katharine Norbury - E-Book

Die Fischtreppe E-Book

Katharine Norbury

4,8

Beschreibung

Als Neugeborenes war Katharine Norbury in einem Liverpooler Kloster zurückgelassen worden. Ihre Adoptiveltern zogen sie liebevoll auf, lehrten sie, die Wunder der Natur zu erkennen, und doch hatte sie stets das Gefühl, etwas Unnennbares zu vermissen. Nach der Diagnose einer schweren Krankheit und der Fehlgeburt eines lang ersehnten zweiten Kindes beschließt sie, zusammen mit ihrer neunjährigen Tochter Evie einem Flusslauf von der Meermündung bis zu dessen Quelle zu folgen. Was als Trauerarbeit und Ablenkung gedacht war, gerät im Laufe der Reise durch eine beeindruckende Natur mehr und mehr zu einer Suche nach dem Leben selbst. Am Ende findet Katharine nicht nur die Quelle des Flusses, sondern auch ihren eigenen Ursprung.

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Katharine Norbury

DIE FISCHTREPPE

Eine Reise flussaufwärts

Roman

Aus dem Englischen vonSigrid Ruschmeier

Für Jean Norburyund im Gedenken an Fred Norburyin unendlicher Liebe

Fischtreppe

Eine Anlage, mit deren Hilfe Fische bei ihren Wanderungen Hindernisse wie zum Beispiel einen Damm überwinden können. Die meisten Fischtreppen bestehen aus einer Reihe von flachen, abgestuften Becken (deshalb Fischtreppe), in die die Fische springen beziehungsweise die sie durchschwimmen können, um das offene Gewässer auf der anderen Seite zu erreichen. Die Geschwindigkeit des Wassers, das über die Stufen fließt, muss hoch genug sein, um die Fische zur Treppe zu locken, darf aber nicht so hoch sein, dass sie stromabwärts geschwemmt oder zu müde werden, um ihre Wanderung flussaufwärts fortzusetzen.

Inhalt

Teil I

Font del Mont

Swimmingpool

Humber

Mersey

Afon Geirch

Ffynnon Fawr

Traeth Porthdinllaen

Caherdaniel

Skell

Tummel

Garry

Spey

Dunbeath

Madryn

Teil II

Swimming Pool II

Der namenlose Bach

Die Themse

Der Severn

Afon Rhiw

Der Quell am Ende der Welt

Dank

Anmerkungen

Teil I

Nicht wenig Elend und Verwirrung kommen daher, dass wir durch eigene Schuld uns selbst nicht verstehen und nicht wissen, wer wir sind. Erschiene es nicht als eine schreckliche Unwissenheit, meine Töchter, wenn jemand keine Antwort wüsste auf die Frage, wer er ist, wer seine Eltern sind und aus welchem Lande er stammt?

Teresa von Avila

Font del Mont

Unser Thema für diesen Sommer lautet: Vom Meer zur Quelle – wir gehen an Wasserläufen entlang.

Der erste Ferientag. Meine neunjährige Tochter Evie nahm ihr Tagebuch. Sie schrieb meinen Satz auf, unterstrich ihn und verwandelte ihn so in eine Überschrift. Über dem kegelförmigen Gipfel des Garn Fadryn hinter ihr kreiste, als Rußflecken sichtbar, ein Dutzend Krähen.

»Was ist ein Wasserlauf?«, fragte sie.

»Ein Wasserlauf ist der Weg, dem das Wasser folgt. Und er kann alles sein: ein rieselnder Bach oder auch ein mächtiger Strom.«

»Und die Quelle?«

»Da kommen alle Wasserläufe her.«

»Entspringen dort, stimmt’s?«

»Ja. In einem Teich, aus einem Felsspalt oder als Springquell. Ich habe eigentlich nie darüber nachgedacht.«

Evie schaute mich an und legte ihren Stift hin. »Wie fangen wir an?«

Dies ist die Geschichte meiner Spaziergänge und Wanderungen – oft zusammen mit Evie. Es begann damit, dass wir uns etwas vornehmen mussten, um einen ansonsten verdorbenen Sommer zu überstehen. Denn ich war im vorhergehenden Winter schwanger gewesen, hatte aber das Baby im Frühjahr verloren.

Seit dem Tag, an dem sich ein rosa Streifen auf dem Plastikstäbchen des Schwangerschaftstests gezeigt hatte, war die Atmosphäre bei uns zu Hause angespannt. Ich freute mich, war aufgeregt, ja, überglücklich. Mein Mann Rupert hatte Bedenken. Wir lebten zu der Zeit in Barcelona, weil der Euro gegenüber dem Pfund schwach war, doch das änderte sich gerade. Evie war begeistert und schrieb ein Gedicht mit dem Titel »Mein kleiner Bruder«, das in der Schule an die Wand gehängt wurde. Rupert und ich stritten uns fast jeden Tag. Mir war übel, ich musste mich häufig erbrechen und wertete das als ein gutes Zeichen. Statistisch gesehen lag die Wahrscheinlichkeit einer Fehlgeburt aufgrund meines Alters bei fünfzig Prozent. Ich aber war überzeugt, es würde alles gutgehen.

Als die Anzeichen neuen Lebens schwächer wurden, blieb ich im Bett und redete mir ein, das Kind wachse. Obwohl sich alles anders anfühlte als bei Evie. Der Schlafwandler in mir schien meist tief und fest zu schlafen, doch dann war die Ruhe profunder; eines Tages hörte das Herz des Babys ganz auf zu schlagen. Mein Arzt legte mir nahe, die Geburt einleiten zu lassen. Aber ich liebte ihn – ich war sicher, es war ein Junge – und wollte nicht, dass er mich verließ. Ich beschloss, ihn so lange ruhen zu lassen, wie er wollte.

Fast jeden Tag ging ich auf den Tibidabo, den Berg zwischen Barcelona und dem Hinterland, auf dessen Tälern und Anhöhen immer reges Treiben herrschte. Nachdem meine Freundin Olga und ich eines Morgens die Kinder zur Schule gebracht hatten, wanderten wir einen der vielen schmalen Pfade hinauf zur Kammstraße, die Carretera de les Aigües. Olga fluchte leise, schwor, das Rauchen aufzugeben, und schob sich immer wieder das lange Haar hinters Ohr. Auf dem Tibidabo standen Pinien, Feigen und Kakteen, dazwischen tummelten sich Wildschweine, ein paar Schafherden und gelegentlich Spieler des FC Barcelona, die oberhalb ihres Stadions, dem Camp Nou, auf der unbefestigten Straße trainierten. Man sah Jogger und Morgenspaziergänger, je nachdem, mit Kinderwagen und Hunden, Radfahrer in ihrem engen Lycraoutfit, mit den glotzäugigen Brillen. Schwalben schossen zwitschernd vorbei. Trotz des Waldes war der Berg hell, denn das Mittelmeer, wie ein Schleier an den Saum der Stadt geheftet, spiegelte das Licht in die dunkelsten Schluchten und vertrieb die Schatten. Zu dieser Jahreszeit war der Berg dicht mit Wüstenblumen bewachsen, mit Agaven, verkrüppelten rosa Rosensträuchern, weit geöffnetem gelbem Mohn, Rosmarinbüschen mit ihren fusseligen blauen Blüten. Olga zeigte mir Stellen, wo man später im Jahr Pilze sammeln und in der Saison wilden Spargel ernten konnte, der bitter schmeckte wie dünne Algen.

Am südlichsten Kamm des Tibidabo entsprang eine Süßwasserquelle, die Font del Mont. Man gelangte über eine Straße hinter dem Bergrücken zu ihr, und jeden Tag standen dort ältere katalanische Männer mit breiten Hosenträgern und orthopädischen Schuhen Schlange, in der Hand Plastikbehälter. Sie stützten sich auf knorrige Stöcke, die auch als Pilzstocher dienten. Über der Quelle hatte man einen Steinhaufen errichtet und das Wasser durch ein Stahlrohr geleitet, von wo es in einen Plastikeisbehälter floss und sich dann einfach auf den Boden ergoss. Hunde, die ihren Besitzern vorausgelaufen waren, versammelten sich in wechselnden Gruppen um den Behälter und wedelten mit den Schwänzen Staub auf. Die alten Männer winkten uns an der Schlange vorbei, damit wir unsere Wasserflaschen auffüllen konnten, kurze Blicke streiften über meinen leicht gewölbten Bauch. Wir fragten sie, ob an dem Wasser etwas Besonderes sei, ob es Heilkräfte besitze. Sie schauten uns an, als seien wir verrückt, und lachten. »Es ist Wasser«, sagten sie. »Und es ist gratis!«

Bei Olga zu Hause erwartete uns schon ihre Mutter mit einem Auflauf aus Kalbfleisch, Eiern und Erbsen. Sie sprach Katalanisch mit mir, und Olga übersetzte. »Liebes, du musst genug Eiweiß essen. Und viel, viel trinken.« Zu Hause bestückte ich den Kühlschrank mit isotonischen Getränken, die für einen Marathon gereicht hätten.

Das Baby beschloss, meinen Körper fast einen Monat, nachdem sein Herz stehen geblieben war, zu verlassen. Wir waren zu Hause, Evie schlief, Olgas Nummer steckte am Telefon, Rupert war zur Premiere eines Films in London, der Verfilmung eines seiner Bücher. Den genauen Zeitpunkt, zu dem es geschehen würde, hatte man nicht bestimmen können, und das übrige Leben sollte deshalb nicht stillstehen.

Zu Beginn des Sommers begriff ich, dass unser Baby hätte bei uns sein sollen, in meinen Armen liegen, warm und knuddelig und nach Sonne duften, und ich sah ein, dass ich nur unter großen Anstrengungen mein Leben bewältigen konnte. Nicht zum ersten Mal fiel mir in einer Zeit der Trauer alles entsetzlich schwer, nicht zum ersten Mal erlebte ich, wie die Welt mich in einer engen, harten Kapsel einschloss, und nachdem es mir wieder besser ging, sagte ich sogar, meine Angst vorm Wahnsinnigwerden sei nun viel größer als die vorm Sterben. Schließlich stellte sich das aber als ebenso unbedachte wie oberflächliche Bemerkung heraus, es stimmte absolut nicht, und ich sollte Gelegenheit haben, meine Einstellung gründlich zu revidieren.

Da ich eine Tochter hatte und wegen ihr stark sein musste, suchte ich etwas, das die Luft weiter atembar, den Klang des Windes weiter hörbar machte und den Geruch eines Holzfeuers oder den ätzenden Geschmack des Meersalzes auf meiner Zunge bewahrte. Etwas, das eine mögliche – Depression ist ein viel zu vages Wort –, einen möglichen Stillstand verhinderte.

Ich hatte also die Idee, einem Fluss vom Meer bis zur Quelle zu folgen. Ich kam auf Umwegen dazu, und ich will Ihnen davon erzählen, obwohl ich es lange nicht schaffte, sie in die Tat umzusetzen. Ja, der Plan rückte so schnell in den Hintergrund, dass bald schon alles, was überhaupt mit Wasser zu tun hatte, ausreichte. Doch während der Sommer verging, merkte ich, dass ich mich auf eine Reise zum Beginn des Lebens selbst begeben wollte. Nicht im abstrakten oder metaphorischen Sinn, es ging nicht darum, wer wir sind und was wir hier wollen. Sondern ich unternahm eine tatsächliche Reise zum Ursprung meines Lebens. Denn obwohl meine Kindheit glücklich gewesen war und ich als Erwachsene ein erfülltes, wenn auch kein besonderes oder bemerkenswertes Leben führte, waren meine Anfänge eher ungewöhnlich.

Ich war als Baby adoptiert worden und in die Familie gekommen, weil meine Eltern ein zweites Kind wollten und meine Mutter nach der Geburt meines Bruders keines mehr hätte austragen können. Viele, viele Jahre lang hatte ich mir gar keine weiteren Gedanken über meine Adoption gemacht. Begann mich aber nun aus irgendeinem Grunde, vielleicht durch den Verlust des Babys, mit diesem Rätsel zu beschäftigen. Dem Rätsel, wer ich war und woher ich kam und von wem wir sprechen, wenn wir über »unsere Familie« reden. Wochen vergingen, Monate, sogar Jahre, bis ich zu meiner Überraschung Orte entdeckte, leere Räume, »Orte im Herzen«, deren Existenz ich mir schlicht nicht hatte vorstellen können.

Swimmingpool

Auf einem Hügel steil und schier

Und riesig, steht die Wahrheit. Wer zu ihr

Gelangen will, muss drum herum sich ringen

Und so des Hügels Widerstand bezwingen.

John Donne

Die Idee, einem Fluss vom Meer zu seiner Quelle zu folgen, stammt aus dem Roman des schottischen Schriftstellers Neil M. Gunn, Der Quell am Ende der Welt. Leider besaß ich das Buch nicht mehr, denn ich hatte es nur ein paar Tage, bevor wir in die langen Sommerferien nach Wales reisten, meiner Freundin Sofia in Barcelona geschenkt.

In Evies internationaler Grundschule war Sofia eindeutig die reichste Mutter, verheiratet mit einem der wohlhabendsten Männer der Welt. Wir lernten uns kennen, als ich mich bei Evies Lehrerin darüber beschwerte, dass ein offenbar bewaffneter Mann dem Bus der Kinder zum Schwimmbad gefolgt war. Miss Linda hatte nachdenklich dreingeschaut und erwidert, Bodyguards seien der neueste Hype, eine der russischen Familien habe einen und eine der bulgarischen auch, obwohl der eher ein Diener sei und überdies als Chauffeur fungiere. Da trat eine nette Frau im Jogginganzug vor und sagte, der Wachmann sei ihrer. An ihrem Finger funkelte ein eurogroßer Diamant. Sie entschuldigte sich für die Aufregung, war aber überzeugt, es sei für alle Kinder besser, wenn vor der Schule ein Bodyguard Dienst tue, und darauf wusste ich nichts mehr zu sagen.

Im Frühjahr verstärkte man die Sicherheitsmaßnahmen für Sofia und ihre Kinder. Ihr Schwiegervater übergab die Leitung des Familienunternehmens, einer Telekommunikationsgesellschaft, an ihren Mann. Der tägliche Schulweg erfolgte nun in Begleitung eines dichten Pulks von Ex-Marines und schwarz gekleideten Geheimpolizisten mit Walkie-Talkies. Das Arrangement war eindeutig nicht allen genehm, aber es war nur von kurzer Dauer. Im Verlauf des Sommers kehrten Sofia und ihre Familie in ihr Heimatland zurück, wo man das Sicherheitsnetz noch enger um sie zurren und die Kinder im Allrad-Jeep zur Schule bringen konnte.

Kurz vor ihrem Wegzug lud Sofia einige der Schulmütter zum Abendessen ein, auch mich. Als ich an ihrem elektrischen Tor klingelte, bat mich ihr Sicherheitschef, meine Personalien und den Zweck meines Besuches anzugeben. Als das Tor sich öffnete und ich vor der Haustür stand, rief der Wachmann Sofia an, die alle Informationen, die ich ihm gegeben hatte, bestätigte. Er ließ mich in den Korridor und öffnete eine zweite Tür. An ihm vorbei gelangte ich in einen stilvollen, minimalistisch eingerichteten Raum, wo ein Glastisch mit Damastservietten und schwerem Silberbesteck gedeckt war. Mir unbekannte Blumen in einem Tafelaufsatz ließen von ihren langen Staubgefäßen mit kugeligen Köpfen ockerfarbenen Staub, zart wie Sternenstaub, auf den Tisch fallen.

Hinter dem Tisch saßen die Frauen auf zwei niedrigen Sofas und unterhielten sich. Sofia, das Telefon in der Hand, winkte mir zur Begrüßung zu. Eine zweiflügelige Verandatür führte auf die Holzterrasse. Im Swimmingpool sammelte sich anthrazitfarbener Schatten. Die Lichter im Haus spiegelten sich, zuckten über die Oberfläche und beleuchteten abgebrochene Zweige und Insekten. Es war zwar heiß, aber das Wasser wirkte kalt. Es zitterte, weil die Filteranlage vibrierte. Einmal hatte Sofia mich zum Schwimmen eingeladen, und ich hatte mir einen schwarzen Calvin-Klein-Bikini gekauft. Solch teure Badebekleidung hatte ich noch nie besessen. Es war aber nicht zu dem Badevergnügen gekommen und würde es wahrscheinlich auch nicht mehr. Die gummierte Oberfläche des Tennisplatzes war von Pinienharzflecken und heruntergefallenen Nadeln bedeckt. Für die Kinder gab es eine Schaukel und ein Klettergerüst. Eine hohe, mit Bougainvillea überwucherte Mauer verhieß Schatten und Ungestörtheit. Quietschende Reifen und Bremsen verrieten eine Verkehrsampel auf der anderen Seite der Mauer. Eine Elster zeterte in einer hohen Pinie, und eine blauschwarze Feder trudelte zur Erde herab. Es erinnerte alles an ein Kloster, aber ein seltsam säkulares.

Im Zimmer tranken die Frauen Champagner aus Kristallgläsern. Ein libanesischer Butler bediente uns. Mein Blick blieb immer wieder an ihm hängen, weil er mich an einen berühmten englischen Schauspieler erinnerte. Schließlich fragte ich ihn, ob er mit ihm verwandt sei.

»Wer ist Steven Berkoff, Señora?«, lautete seine Gegenfrage.

Die Frauen hatten sich schier überschlagen, um Sofia etwas zur Erinnerung zu schenken: einen Hermès-Schal. Etwas von Gucci. Fleur de Thé Rose Bulgare, ein Parfüm, das von Creed angeblich für Ava Gardner kreiert worden ist, die sich in Tossa de Mar, eine Stunde entfernt von dort, wo wir saßen, in Old Blue Eyes Frank Sinatra verliebt hatte. Ich wusste partout nicht, was ich schenken sollte.

Meine außergewöhnlichste Entdeckung in diesem Jahr war das erwähnte Buch, Der Quell am Ende der Welt, von Neil M. Gunn. Er erzählt darin von einer Quelle, »deren Wasser so klar ist, dass es unsichtbar ist: Wenn zwei Liebende sie finden, glauben sie zuerst, sie sei trocken …« Als ich Sofia von dem Roman erzählte, bat sie mich, ihr Inhalt und Autor aufzuschreiben, aber nun schenkte ich ihr mein Exemplar. Ich hatte keine Zeit gefunden, ihr eins zu kaufen, und freute mich, etwas Gutes weiterzugeben.

Der Quell am Ende der Welt ist die Geschichte einer Reise. Der Protagonist geht allein in Schottlands wilde Natur und erzählt allen, die ihn nach seinen Gründen fragen, er suche den Quell am Ende der Welt. Er heißt Peter Munroe, was vielleicht auf »Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich bauen meine Gemeinde« anspielt und darauf, dass in Schottland alle Berge, die höher als dreitausend Fuß sind, Munro genannt werden. Peter ist ein erfolgreicher Professor, dessen Jugend vergangen ist. Auch die Schönheit seiner Frau verblüht allmählich. Ihr einziges Kind – wie das Kind Gunns – ist tot geboren worden. Ihn treibt ein unbestimmtes, bittersüßes Sehnen und die Vorahnung, dass er, sollte er dem Impuls nicht folgen, traurig und enttäuscht sein wird.

Er ist unfähig, diesem Gefühl Ausdruck zu verleihen – aber die Quelle, die will er suchen. Also macht er sich in die wildesten Teile Schottlands auf und erlebt Abenteuer sowohl in der Natur als auch bei den Begegnungen mit Menschen und entdeckt die unterschiedlichsten Eigenschaften an sich selbst. Die Wahrheit ist immer an den Rändern seines Blickfeldes. Manchmal flackert sie in der Landschaft ganz dicht vor ihm auf, manchmal seitab. Doch wenn er sie direkt zu fixieren versucht, verschwindet sie.

Mir war klar, dass Sofia niemals eine solche Reise unternehmen würde, selbst wenn sie gewollt hätte. Es hätten ja Bodyguards und Köche, Diener und Zelte, Tische und Stühle, ein Geländewagen mit Vierradantrieb sowie Überwachungskameras dabei sein müssen wie bei Außenaufnahmen einer hochgerüsteten Filmcrew. Sofia konnte nicht einfach losgehen. Ich schon. Nicht sehr vermögend und völlig unbekannt zu sein, gaben mir eine andere Art Freiheit. Je mehr ich darüber nachdachte, desto entschiedener wollte ich Peter Munroes Reise machen. Warum, hätte ich nicht erklären können. Aber auch meine Jugend war vorüber, auch ich hatte ein Kind verloren. Das waren womöglich die einzigen Verbindungspunkte zwischen mir und dem Romanhelden. Vielleicht reichten sie ja. Ich war aber auf jeden Fall wie er überzeugt, dass es jenseits meines Begreifens etwas gab, das sich mir entzog, an das ich nicht herankam, und dem entsprach das Bild einer geheimen Quelle.

Nachdem Sofia weggezogen war, wollte ich mir das Buch wieder kaufen, doch es war vergriffen. Ich hatte es erst vor drei Monaten gefunden, und nun war es buchstäblich schon wieder verschwunden. Ich stieß jedoch auf eine Gesellschaft, die sich dem Werk des lange verstorbenen Schriftstellers widmete, und setzte mich mit Leuten in seiner Heimatstadt in Verbindung. Ich wollte wissen, ob die in dem Roman beschriebene Wanderung stattgefunden hatte, und wenn ja, wo sie begonnen und wohin sie geführt hatte. Gab es die Orte, die in dem Buch erwähnt wurden? Hatte eine echte Quelle den Autor inspiriert? Man nahm an, dass die Reise unternommen worden war, dass es eine Quelle gegeben und Neil M. Gunn seinen Kessel mit ihrem Wasser gefüllt hatte, doch niemand konnte sich erinnern, wo sie war. Mr Gunns Neffe, Dairmid Gunn, wisse es wohl am ehesten, aber der sei gerade nicht da, und niemand wisse, wie man ihn erreichen könne. Ich legte die Idee mit der Quelle erst einmal ad acta.

Gunn hatte auch das Buch Highland River geschrieben, und ich spürte ein Taschenbuch davon aus dem Jahr 1975 auf, kurz bevor Evie und ich in die Ferien nach Großbritannien flogen, fand allerdings nicht mehr die Zeit, es zu lesen, und schlug daher eine beliebige Seite auf:

»Und was fängst du da mit dir an?«

»Ach, ich wandere rum und angle und so was … Aber eigentlich habe ich schon eine vage Idee – ich will an einem bestimmten Fluss bis zu seinem Ursprung entlanglaufen. Das will ich schon seit Langem. Mehr eigentlich nicht.«

»Keine Pilgerreise?«

»Eher nicht.«

»Du meinst, ein bisschen doch?«

Ich betrachtete die Worte »eine vage Idee«, spürte sie in mich einsinken wie Steine in einen Teich und wusste, dass etwas geschehen war, etwas geschah, und dass ich bereit war, mich verstören zu lassen. »Ich will an einem bestimmten Fluss bis zu seinem Ursprung entlanglaufen … Das will ich schon seit Langem.«

Ich auch, dachte ich, aber ich hatte es vergessen. Eine Erdkundestunde kam mir in den Sinn. »Der Grundwasserspiegel«. Ich hatte Zöpfe und trug eine Zahnspange. Marienkäfer flitzten über mein verschrammtes Pult. In dem Sommer waren sie überall. Ich schnipste ihre rubinroten Leiber in das leere Tintenfass, aus dem ich sie in der Pause wieder befreien wollte. Ich musste sie vor dem Rabauken verstecken, der Wettrennen mit ihnen veranstalten wollte und ihnen die zarten Flügel ausriss, damit sie nicht wegfliegen konnten. Als ich die Worte »porös« und »vulkanisch« in schön geschwungener Kreideschreibschrift vor mir sah, merkte ich, dass es zu spät war, nach ihrer Bedeutung zu fragen. Ich hatte verpasst, wo das Wasser seinen Ursprung hatte, und das Schaubild im Buch bot keinerlei Anhaltspunkte. Falls ich aber nachsitzen musste, würden die Marienkäfer wahrscheinlich doch noch sterben.

Ich schlug Highland River zu und strich mit der Hand über den Umschlag; die alten Seiten waren weich wie Fensterleder. Darauf las ich:

»Der Fluss in den Highlands mit seinen dunkelbraunen Teichen und den jähen rauschenden Untiefen ist ein magischer Spielplatz für den kleinen Kenn und seine Gefährten. Hier angelt er mit selbstgebastelten Haken nach Lachsen … Kenns Wanderung flussaufwärts, auf der er nur seinem Jagdinstinkt folgen möchte, wird zu einer aufregenden Erkundung der Quelle und des Ursprungs seiner selbst.«

Ich drehte das Buch um und betrachtete die darauf abgebildeten Fotografien: ein Fluss, der zielstrebig über flache Felsplatten floss. Im Vordergrund waren ein paar Bauernhäuser, ein paar bläuliche Berge dahinter. Den Fluss gab es wirklich. Er hieß Dunbeath Water.

Ich steckte das Buch in einen Koffer.

Als Evie und ich in Großbritannien ankamen, fuhren wir zuerst zu meiner Mutter nach Cheshire. Rupert war in Barcelona geblieben, um an seinem Buch zu arbeiten, und wollte in ein paar Wochen nachkommen. Ich suchte Dunbeath Water auf einer Straßenkarte. Der Fluss war sehr weit weg. Und sah nicht nach viel aus. Etwa fünfzehn Meilen lang, in die oberste rechte Ecke Schottlands geschmiegt, nur einen Katzensprung von John O’Groates entfernt. Auf der Karte waren weder Quelle noch ein Teich verzeichnet, kein Anfang, und Dunbeath Water verschwand einfach, ein dünner blauer Schnörkel schlängelte sich über eine blendend weiße Seite, durch die offenbar kargste Gegend der Britischen Inseln. Ich versuchte, eine bessere Karte zu finden, eine Flurkarte. Aber keine Buchhandlung hatte sie vorrätig. Mir war klar, wenn ich diesem Fluss vom Meer zur Quelle folgen wollte, musste ich eine Autofahrt von hin und zurück etwa fünfzehnhundert Meilen auf mich nehmen. Für eine Fußwanderung von etwa dreißig Meilen! Vielleicht sollte ich erst mal näher an Zuhause anfangen.

Humber

Auf der Landkarte sieht der Spurn Point, ein wenig rechts von Hull, wie eine auseinandergebogene Haarnadel aus. Er ragt in die Nordsee und biegt dann wieder landeinwärts. Die Landzunge trennt die breite Mündung des Humber von der mächtigen Nordsee. An ihrer Spitze stehen zwei mittlerweile funktionslose Leuchttürme, weil die Landzunge alle zweihundertfünfzig Jahre bricht und sich wieder neu bildet. Hinter einem Leuchtturm ist eine Seenotrettungsstation, aber auch sie wird mit Sicherheit bald aufgegeben. Denn die momentane Inkarnation des Spurn geht angeblich ihrem Ende entgegen. Die über ihn verlaufende Straße aus flachen, quadratischen Platten, unter der sich die Landzunge geschmeidig wie eine Katze bewegt, muss ständig ausgebessert und dort neu angelegt werden, wo der Rücken des Landes zur Ruhe gekommen ist.

Ich hatte Evie gerade ihren Gutenachtkuss gegeben.

»Wo willst du hin?«, fragte sie.

»Zum Spurn Point.«

»Wo ist der?«

»Auf der anderen Seite von England. Mehr oder weniger in einer geraden Linie von hier aus. Ich bin morgen Nachmittag zurück«, sagte ich.

Evie bettete ihren Kuschelhund Jerome neben das Kopfkissen.

»Ich dachte, wir fahren morgen zum Cottage.«

»Das können wir doch auch übermorgen machen. Schafft ihr das so lange allein, du und Grannie?«

»Ja!«, sagte sie. »Wir wollen backen.« Sie warf mir einen langen einschmeichelnden Seitenblick zu. »Sing ›Long and Winding‹.« Ich nahm ihre Hand und fing an, »The Long and Winding Road« von den Beatles zu singen. Bald schlief Evie tief und fest. Ich schob ihr eine Locke hinters Ohr, beugte mich über sie, gab ihr einen Kuss auf die Stirn und legte meinen Kopf neben ihr Gesicht. Eine Weile lang lauschte ich ihrem Atmen.

Ich hatte immer schon zu dem Leuchtturm laufen wollen, und meine Mutter redete mir nun gut zu. Außer in den paar Stunden, die Evie in der Schule verbrachte, war ich das ganze letzte Jahr nicht allein gewesen, aber meine Mutter und ihre Enkeltochter sahen sich nur in den Schulferien. Da der Spurn Point den äußersten Rand einer Flussmündung bildet, passte er sogar zu unserem Ferienthema, wenn auch der Humber kein Fluss ist, dem man vom Meer zur Quelle folgen kann. Sein Name bezieht sich nämlich nur auf die Mündung. Vor langer Zeit, als das Eis zu schmelzen begann, war dort ein Süßwasserfluss entstanden. Doch er wurde von der ansteigenden Nordsee verdrängt, und heute bezeichnet der Name den Abschnitt ab dem Zusammenfluss der Flüsse Ouse und Trent; später kommen noch der Ancholme und der Hull hinzu.

Um Mitternacht war ich immer noch unschlüssig. Ich saß am Fußende des Bettes meiner Mutter, und wir tranken Tee.

»Wenn du jetzt losfährst«, sagte sie, »bist du rechtzeitig zum Sonnenaufgang da.« Ihre Augen waren vergissmeinnichtblassblau, und ihre knochigen Hände lagen zart, aber biegsam wie Federn in meinen. Sie war einundachtzig. Eine wunderbare Frau und passionierte Wanderin; sie hätte keine Sekunde lang gezögert. Ich küsste sie auf die weiche Wange, lachte und ging in die Sommernacht hinaus, die wegen des Scheins der Straßenlaternen schwarz erschien. Eine Karte brauchte ich nicht. Ich ließ den Motor an und fuhr nach Osten, an Manchester vorbei, in den Morgen.

Die Pennines zu überqueren war aufregend – die M62 ist die höchstgelegene Autobahn Englands –, die Fahrt ging überraschend schnell. Dann verlief die Straße entlang des nördlichen Humberufers. In Hull reihten sich Meile um Meile die Hafenanlagen aneinander. Jetzt hätte ich doch gern eine Karte gehabt. Aber ich kannte ja mein Ziel: die Landzunge, die das Meer vom Fluss trennt. Wenn ich dem Fluss folgte, würde ich dort ankommen. Und trotzdem … Ich hatte nicht angenommen, dass der Spurn Point so weit hinter der Stadt lag.

Gegen Osten erstreckte sich weit das flache Land, zeichnete sich ab vor der unvollkommenen, mäßigen Dunkelheit. Ich fuhr durch einen Weiler: malerisch, verschlafen. Eine weiße Triple-Stretchlimousine parkte frech auf dem Dorfanger. Der Hof einer Farm war vollgestellt mit Roma-Wohnwagen, eine Holzwindmühle ließ den Kopf einer lebensgroßen Clownspuppe nicken. Ein Kraftwerk. Ein Windpark. Müll und Strandgut am Rand der bewohnten Welt.

Ich musste an Dungeness denken, wo der Filmemacher Derek Jarman seine letzten Jahre in einem geschindelten, schwarz geteerten Fischerhaus verbrachte und dem blaugrauen Kies, auf dem es stand, einen Garten abrang, während sich sein einst so scharfer Blick zunächst verdunkelte und dann ganz erlosch. Es gibt ein Foto von ihm als Knut der Große, in einen Umhang gehüllt und mit einer Halskette aus Schwimmern einer Angelrute. Lächelnd inszeniert er sich zwischen Land und Meer und gebietet den Wellen zurückzurollen. Vielleicht auch als König Lear. Ein Kämpfer gegen das sterbende Licht, die näherkommende See. Obwohl ich an Dungeness erinnert wurde, kam es mir zugleich ganz anders vor. Enger und härter. Diese Landschaft hatte etwas unerwartet Weiches und Weites.

Im Dorf Easington sah ich Schilder zum Spurn Point. Auf dem Parkplatz dort zu parken wirkte übertrieben. Es gab ja gar keinen Verkehr. Ich stellte das Auto trotzdem dort ab. Neben dem Parkplatz lag ein Campingplatz. Ich schloss ab, ging zurück, prüfte, ob wirklich abgeschlossen war. Ärgerte mich, weil ich das tat. Es war nicht mal zwei Uhr nachts. Wer würde jetzt hierher kommen? Ich ging durch Felder und Wiesen, an einigen Häusern vorbei, und war überrascht, in wie vielen Fenstern Licht brannte. Ich hatte nicht gedacht, dass hier so viele Menschen wohnten, beziehungsweise mir vorgestellt, dass sie jetzt schliefen.

Ich versuchte, eine in mir aufsteigende Panik zu unterdrücken, eine kribbelnde Angst. Sie hatte sicher mit der unerwarteten Nähe so vieler anderer Menschen zu tun und meiner Schutzlosigkeit allein auf dem Weg zum Spurn Point. Es war wie über die Planke gehen. Natürlich hatte ich mit dem einen oder anderen Vogelbeobachter gerechnet, eine Begegnung zu dieser Jahreszeit und an einem so entlegenen Ort aber für unwahrscheinlich gehalten. Doch nun spürte ich förmlich all die hinter zugezogenen Vorhängen auf Fernseher gehefteten Blicke, sah das an kalten Bierdosen in dieser warmen Sommernacht herunterlaufende Kondenswasser vor mir. Empfand die tiefe Müdigkeit der jungen Mütter mit ihren schlaflosen Kindern, der Schichtarbeiter, der Greise.

Scheinwerfer leuchteten auf: ein Range Rover der Polizei. Er hielt an – teigige Gesichter, kleine, harte Augen musterten mich skeptisch. Vorsichtshalber hob ich die Hand. Wen suchten sie? Schmuggler? Selbstmörder? Prostituierte? Sie erwiderten meine Geste nicht und fuhren weiter, hinaus zum Point, zur Spitze.

Wo der Sandarm sich aus dem Land erhob – sodass beide, Fluss und Meer, zu sehen waren –, befand sich eine Ansammlung von Fertighütten aus Wellblech und Beton. Autos standen verstreut davor. Die Chromteile eines alten BMW schimmerten, die Fenster waren von innen beschlagen. Eine Nissenhütte hatte offenbar als Café für Leute gedient, die zum Point wollten, doch die verwitterten Schilder schienen mittlerweile nutzlos zu sein. Die Autos wiesen allerdings darauf hin, dass hier noch jemand lebte, Außenseiter, Randgestalten. Ich hatte geplant, bis zur Spitze der Landzunge zu laufen, an der Fluss und Meer sich trafen, und mich dann irgendwo hinter dem Leuchtturm schlafenzulegen. Ich hatte den Tag hier verbringen, alles erkunden, in mich aufnehmen und dann zurück zu meiner Mutter fahren wollen. Aber mir war nicht klar gewesen, wie hell die Nacht sein würde. Bald nach Mitternacht hatte sich alles verschattet, verfüllt, doch seitdem hellte sich der Himmel allmählich auf. Zuerst war er dunkelblau, jetzt mit lichteren Streifen durchsetzt. Die Formen im blassen Sand vor mir waren leicht zu erkennen, die Farben traten langsam hervor wie auf einem sich entwickelnden Polaroidfoto. Die Polizisten fuhren wieder an mir vorbei. In ein paar Minuten hatten sie die Reise gemacht, für die ich durch die Nacht gefahren war.

Ich ging zur Flussmündung. Ihr Ufer war flach und fruchtbar, grüne Marsch, brauner Schlick. Es knallte in einem fort, als schnalzten hundert Zungen. Marschgase, nahm ich an. Und der Humber selbst. So weit und real wie der Tod. Ein paar Meilen flussaufwärts verband eine bei Selbstmördern beliebte Hängebrücke Lincolnshire mit dem East Riding von Yorkshire. Ich fragte mich, ob einer von ihnen bis hierher getrieben und angeschwemmt worden war. Ich hatte Angst, aufs Wasser zu schauen, Angst davor, was ich sehen würde. Einen aufgeblähten Hund, die bleichen Glieder wie Stuhlbeine in den blinden Himmel gereckt. Oder Schlimmeres.

Mein Unbehagen wurde stärker, als ich ein unverkennbares Geräusch hörte, ein tiefes Vibrieren, einen Cantus planus, das Zusammenfließen vieler Stimmen. Zuerst hielt ich die Luft, das Zusammentreffen des Flusswindes mit dem Meereswind für die Ursache, aber in der bleichen Nacht erkannte ich das Instrument, das diese Töne erzeugte: die Strommasten, die bis zum Leuchtturm aufgestellt, und die Leitungen, die zwischen ihnen aufgespannt waren. Das leise Summen des elektrischen Stroms, der durch die Leitungen fließen mochte, wurde von einem Gesang übertönt, der endlos und tief, unaufhörlich war wie der Wahnsinn.

Ich wandte mich ab und lief zur anderen Seite der Landzunge, zum Strand.

Je mehr Abstand ich zwischen mich und die schlaflosen Bewohner auf dem Spurn Point brachte, desto besser fühlte ich mich. Das Meer glänzte perlgrau, opak, und darüber wurde der Himmel heller, zart und weich wie die Haut einer Pflaume. Der Sonnenaufgang schien unmittelbar bevorzustehen, aber ich wusste, es würde noch eine Stunde dauern. Ein verrosteter Bast-Metall-Stuhl, aus dem Meer gefischt und in den Sand gestellt, zeugte davon, dass hier manchmal Angler oder Vogelbeobachter waren. Ich fand in meinen Rhythmus und war zufrieden, dass meine Fußspuren heute die ersten waren im Sand, als sei er Neuschnee.

Jahrzehntelang hatte man versucht, die Landzunge gegen die vereinten Kräfte der Meeresbrandung und der Strömung des Flusses zu schützen, die sie gebildet und zerstört hatten und sie wieder bilden und zerstören würden. Überbleibsel der verschiedenen Maßnahmen waren immer noch zu sehen. Betonklötze als Wellenbrecher. Buhnenrippen, jede aus einem einzigen Baum, die Stangen eines gigantischen Käfigs entlang der Küste. Die Querstangen waren längst weggespült oder entfernt, die verbleibenden senkrechten Pfähle wie ehrwürdige Götterstatuen, jeder so dick wie ein Mann und zweimal so groß. Ich dachte an die Osterinseln, die blinden Köpfe, die das Land bewachen. Auch an das Gerippe eines Wikingerschiffs, dessen König und Fracht längst schon Asche sind. Ich fand den Ort wunderschön, vergaß meine Furcht und lief immer noch durch den Wald aus Pfählen, als die orangefarbene Sonne aus dem Meer in einen indigoblauen Himmel aufstieg. Sie leuchtete mir ins Gesicht, und ich war überrascht, wie warm sie war. Als berühre mich ein Fremder zur Begrüßung oder tadelnd. Und dann die Schatten! Lange, spinnenartige Schatten. Zu meiner Rechten entdeckte ich plötzlich meinen eigenen. Groß und gespenstisch dünn, mein langes Haar wehte zur Seite, die Arme schlenkerten über endlosen Scherenbeinen. Und plötzlich kamen mir wie aus dem Nichts die Tränen. Mein Schatten. Mein Schatten! Ich stand zwischen ihm und der Sonne, er floss von meinen Füßen über die Erde, und einen Moment lang begriff ich, dass ich lebte. Diese Momente der Erkenntnis sind so rar; man schaut nicht zurück und nicht nach vorn. Die Zeit vergeht, sobald wir in sie eintreten.

Ich gewöhnte mich an den Tag, genoss den leichten Wind, langsam zog sich das Wasser zurück. Das Strandgut warf scharfe Schatten, jedes Stück Tau, Treibholz, altes Spielzeug, ein Fetzen Netz, ein Kinderwagen. Und dann eine Ruine! Eine Hütte, ohne Dach, weder Türen noch Fenster, halb im Sand versunken. Sie musste auf der Landzunge gebaut worden sein, bevor deren schlangenartiger Verlauf sich geändert hatte, und, längst verlassen, am Strand gelandet sein, wo sie mit jeder Springflut mehr im Wasser verschwand. Ich erkundete die sandigen Spinnwebmuster auf den Böden der Räume, wollte aber weiter. Über den Strand zu laufen war anstrengend, bei jedem Schritt sank ich ein. Ich lief in die niedrigen Dünen und freute mich sehr über die wilden Löwenmäulchen und Stranddisteln, die Winden und Strand-Grasnelken. Den Steinbrech, rosa – alles rosa. Die blühende Rosa rugosa bog sich zu den Seiten wie Brombeerranken, ausgesät aus irgendeinem Garten, und dann die gelben sternenförmigen Blüten, Johanniskraut. Wie weich die Landschaft war, ich war hingerissen.

Ich entdeckte den Leuchtturm. Wie aus einem Kinderbuch. Und dann sah ich den Mann. Zuerst dachte ich, er angle. Er stand, oder vielmehr agierte, auf halbem Weg zwischen mir und dem Leuchtturm. Sein Alter konnte ich nicht ausmachen. Ich wollte ihm auf keinen Fall näherkommen. Zwischen fünfundzwanzig und fünfzig mochte er alles sein. Als ich sicher war, dass er mich nicht bemerkt hatte, ließ ich mich ins lange Gras fallen und spürte plötzlich, wie müde ich war. Der Mann ähnelte dem Maler Frank Auerbach, untersetzt, welliges Haar, energiegeladen, kraftvoll. Er rannte aufs Meer zu wie ein Tänzer, blieb stehen, beinahe auf Zehenspitzen, seine Arme flogen nach vorn, er umschlang sich, dann rannte er – rückwärts! – wieder zurück, ohne den Blick vom Wasser abzuwenden, hob einen Stein auf, rannte wieder bis ans Wasser, drückte den Stein an die Brust und schleuderte ihn von sich. Diese Bewegung hatte ich für das Auswerfen einer Angel gehalten. Befreit von der Last fielen seine Arme herab, und er blieb stehen, um zu sehen, wo der Stein gelandet war. Im Wasser. Aber der Mann verharrte nur einen Moment lang. Als verfluche er das Meer, hob er verzweifelt oder flehend die Arme und rannte erneut los. Immer wieder vollführte er seinen seltsamen Tanz. Unentwegt drückte er einen Stein an sich, warf, beobachtete, rannte wieder rückwärts. Bisweilen erreichte er das Meer mit leeren Händen, als habe er in der Zeit, die er für jede Runde anberaumte, keinen passenden Stein gefunden, und dann flogen nur die Arme nach vorn, und er umarmte sich wieder.

Ich war neugierig, hatte aber Angst. Ich verscheuchte die Gedanken an Virginia Woolfs Roman Zum Leuchtturm, in dem sich eine Familie in den Ferien vornimmt, einen Leuchtturm zu besuchen, das aber erst nach Jahren schafft, nach dem Ersten Weltkrieg, als schon etliche ihrer Mitglieder tot sind und die Kinder erwachsen und alles zu spät ist. Ich verspürte nicht den Wunsch, an diesem Mann vorbeizugehen. Und ich war unendlich müde. In den Dünen waren viele Kuhlen, windgeschützte Lichtungen in den Stranddisteln und dem Strandhafer. Ich behielt den Mann im Auge, während ich einen Bogen um ihn machte. Auf meiner Seite parkte ein staubiges grünes Auto an der Straße, wahrscheinlich seins. Die einzigen Fußspuren am Strand waren von mir. Zwischen mir und dem Auto führte ein schmaler Pfad von der Straße auf den Strand. In den Dünen waren keine Fußspuren. Also war er entweder hierher gefahren oder gelaufen, aber weder über die Dünen noch am Strand entlang. Blieben nur die Straße und das Flussufer, denn hier war die Landzunge nur wenige Meter breit. Und er war ein Mensch mit einer ziemlichen Zwangsstörung.

Ich zog mich in die Dünen zurück, hielt mehr oder weniger gleichen Abstand vom Pfad, dem Strand und der Straße und grub in dem wärmer werdenden Sand eine Mulde an der Stelle, die am weitesten von dort entfernt war, wo der Mann meiner Vermutung nach vorbeigehen würde. Ich legte mich in die Mulde und rollte mich ein. Sah nichts als Gras und Himmel und den Rand der Düne über mir. Den Mann sah ich nicht. Was gewiss bedeutete, dass er mich auch nicht sah.

Der weiche Sand wehte in einem fort. Ich schloss die Augen. Und dachte an eine Wochen zurückliegende Begebenheit in London. Rupert und ich hatten in einem Hotel übernachtet, ich war früh aufgewacht, zum Fenster gegangen und hatte beobachtet, wie das harsche Sommerlicht die Schatten auf der Straße unter mir tilgte, zuerst die Einzelheiten zeichnete, das Mauerwerk, die Pflastersteine, und sie dann bleichte, bis alles glühte und vor Hitze flimmerte. Ein Mann trat aus einem der ehemaligen Stallgebäude, als wolle er zur Arbeit gehen. Er trug einen Anzug, das leuchtende Weiß musste sein Hemd sein, ob er eine Krawatte umhatte, konnte ich im grellen Licht nicht erkennen. Überrascht sah ich einen Becher in seiner Hand und begriff: Er war Raucher. Ich sah ein Kind im Hochstuhl am Küchentisch vor mir und die Mutter oder ein Au-pair. In dem Moment, als der Mann die Zigarette anzündete, kam alles an ihm irgendwie zusammen, seine Atome verbanden sich, bildeten einen Hülle um ihn, einen Testosteronwirbel. Ich beobachtete, wie er sich in sich entspannte, und eine Weile blieb ich neugierig am Fenster stehen.

Als ich später an dem Haus vorbeiging, sah ich, dass es keine Wohnung war, sondern ein Ingenieurbüro. Das erklärte, warum er einerseits losgelöst, andererseits konzentriert war und auch seine Gier nach einer Zigarette – wenn man etwas will und nicht tun oder haben kann, wohnt der Situation eine Spannung inne. Jetzt überlegte ich, was dem Mann hier am Strand passiert sein mochte, was ihn hierhergeführt hatte, was ihn zu diesem erratischen Tanz veranlasste, diesem zwanghaften Handeln. Aber schon zerrte und zupfte der Schlaf am Stoff meines Bewusstseins, schüttelte ihn, bevor er ihn hob, und dann flatterte er über den Sand wie die Lieblingsdecke eines Kindes. Er trug meine Gedanken mit sich fort.

Etwa eine Stunde später erwachte ich. Mit der satten Zufriedenheit, die nur der Schlaf schenkt. Ich war von einer dünnen Schicht Sand bedeckt; auch mein Haar war voller Körner. Mit schweren Lidern setzte ich mich in der warmen Kuhle auf. Vorsichtig. Und unglaublich hungrig. Ich hatte etwas zu essen dabei, aber mir war unwohl, weil ich nicht wusste, wo der Mann war.

Ich ging auf die Düne, gebückt, damit er mich nicht sah, den Leuchtturm zu meiner Rechten, den Strand zu meiner Linken und vor mir. Er war wirklich immer noch da und warf Steine. Ich hörte nun auch seine Stimme, wieder und wieder ein »Oh!«, keine Worte, der Wind hatte sich gedreht. Es war, als sei nichts geschehen (war es ja auch nicht). Vielleicht war er ein wenig langsamer geworden, aber nicht viel. Zum ersten Mal fragte ich mich, wie lange er schon dort war. Waren wir mehr oder weniger gleichzeitig angekommen? Oder war er schon die ganze Zeit hiergewesen, während ich noch über die Pennines, an der Flussmündung entlang, unter dem dunkler werdenden Himmel entlanggefahren war? Doch im Grunde wollte ich das gar nicht wissen, jetzt nicht, und überhaupt nie. Ich wollte ihn los sein, weg sein. Ich hatte große Angst vor ihm, Angst vor seiner Rastlosigkeit, und ich fühlte, wie sich die Furcht in meine Eingeweide fraß.

Das Herz schlug mir bis zum Hals; mein Mund war trocken. Und ich war immer noch unendlich müde. Eine Stunde Schlaf war nicht viel, und ich zitterte vor Adrenalin. Wir waren drei Meilen weit in der Nordsee, die mörderische Flussmündung lag im Westen. Irgendwann würde der Mann weggehen – ich hatte gehofft, das würde geschehen, während ich schlief, damit ich die Halbinsel in aller Ruhe nach ihm verlassen konnte. Aber nun würde er es sein, der mir folgte. Ich glaubte nicht, dass er über den Strand gekommen war, das Gehen im Sand war zu langsam und beschwerlich. Die Straße würde der Mann voll im Blick haben. Aber ich beschloss, sichtbar zu bleiben – es schien, als werde er in seinem Tun noch eine Weile fortfahren – und Distanz zwischen ihn und mich zu bringen. Sobald ich die Straße aus Betonplatten erreichte, fing ich an zu rennen.

Weil ich den Mann aber offenbar im Grunde für harmlos hielt, hatte ich nicht den nötigen Biss. Meine Kampf-oder-Flucht-Reaktion schlummerte unter der Oberfläche. Ich hatte keinen Zugriff darauf. Ich ärgerte mich. Jetzt war ich so weit gefahren, diesen Ort zu sehen, und rannte davon. Was für eine (literarische) Ironie, dass auch ich nicht zu diesem wunderschönen Leuchtturm gelangte, der mich mit seiner runden Form und seinen schwarzen und weißen Streifen an ein Everton Mint, ein schwarzweiß geringeltes Pfefferminzbonbon, erinnerte und dessen nun überflüssiges Licht hinter rautenförmigen Scheiben aus Zucker in einem Lakritzkäfig gehalten wurde. Ich wusste, dass ich mich vermutlich nicht geängstigt hätte, wäre ich ein Mann oder zehn Jahre jünger gewesen. Ich war verärgert, dass mein langes blondes Haar und meine nicht gerade kräftige Statur mich bestimmt verletzlich wirken ließen. Hätte ich doch einen Hut mitgenommen.

Ein Hase tauchte auf; riesig, braun, mit unverwechselbar schwarzen Ohren, der Blick nicht von dieser Welt. Er wirkte, als nähme er die gesamte Straße ein. Ich blieb stehen. Unbeeindruckt sprang er in Richtung des Flusses davon. War er vom Strand gekommen? Was für ein Gedanke. Ich freute mich – auf einmal war alles in Ordnung. Wäre ich nicht vor dem Verrückten weggelaufen, hätte ich den Hasen nicht gesehen. Ich folgte ihm. Das Flussufer, eben noch ein Ort des Schreckens, sah unter der warmen Sonne schön aus. Im Licht auf dem Wasser erschien es mir freundlich, wahrscheinlich lag das auch an der einsetzenden Ebbe. Und während ich schaute, fuhr ein Frachter in die Flussmündung, leuchtend bunt und flach, wie aus Pappe ausgeschnitten, hielt er auf Hull zu. Am gegenüberliegenden Ufer, unerreichbar weit entfernt, war eine Stadt, Türme und Würfel, wie in einem Kinderfilm aus Streichholzschachteln und Toilettenpapierrollen gebaut. Nicht der Hades, aber Cleethorpes.

Ich ging über einen schmalen Pfad durch kurzes helles Gras. Folgte dem Hasen. Immer wieder tauchte er vor mir auf, in immer der gleichen Haltung, nach Westen gewandt, dem Fluss zu. Sein haselnussbraunes Auge schien mich zu taxieren, dann drehte er sich wieder um und sprang davon, zahm wie eine Katze. Plötzlich waren lauter Austernfischer um mich herum. Ich hörte sie, bevor ich sie sah, und lachte dann laut auf. Sie schwebten wie ein fliegender Teppich aus Tausendundeiner Nacht, überschwemmten den Sand und das Flussufer, strömten durchs Gras, über den Pfad, trennten sich, um einen Stein oder ein Stück Holz zu umgehen, schlossen sich wieder zusammen, bewegten sich schwankend wie auf Rollen, in immer anderen Mustern. Ihr witziges, tschirpendes, rollendes Pfeifen klang zart wie von Spielzeugvögeln. Dann liefen sie offenbar zum Fluss, denn sie verschwanden so plötzlich, dass es schien, sie seien nie dagewesen.

Nun sah ich wirklich einen Angler vor mir. Breitschultrig, aber schlank. Mein Blick wurde von der Bewegung seines Rückens angezogen. Ich hätte unbemerkt an ihm vorbeigehen können, hatte aber keine Angst. Ich ging weiter auf dem Pfad entlang. Er holte seine Angelschnur ein, warf mir einen kurzen Blick zu und nickte. In der Geste steckte ein Lächeln, er sah gutmütig aus, hatte die Augen wegen des Sonnenlichts zusammengekniffen. Ich erwiderte den Gruß, neigte den Kopf ein bisschen, unser stummer Austausch hatte etwas Japanisches. Ich dachte an das Willow-Muster, an blau-weiße Teller, obwohl sie aus China sind und eine Figur auf dem Teller eine Peitsche in der Hand hat. Der Angler nestelte ein wenig ostentativ an der Spitze seiner Angel, vielleicht hatte ich ihn überrascht. Ich wusste, dass er den Sitz des Hakens meinetwegen überprüfte. Ich schlug also einen großen Bogen hinter ihm, damit er Platz zum Auswerfen hatte, und ging dann, ohne mich umzusehen, weiter.

Der Hase war weg, ich ging zur Straße hoch und dann denselben Weg am Strand entlang zurück, Richtung Festland.

Ich war seltsam enttäuscht, als ich an den Fertighütten vorbeikam. Jetzt ärgerte mich meine Angst und dass ich die Wanderung abgebrochen hatte noch einmal. Am Auto bemerkte ich sofort, dass aus einem Reifen Luft entwichen sein musste und aus dem Motor Flüssigkeit austrat. Ich bückte mich, es war Wasser. Glück gehabt. Ich untersuchte das Vorderrad an der Fahrerseite und prüfte den Reifen. Er war ein wenig weich, aber offenbar unbeschädigt. Ich lauschte, kein Zischen. Die Ventilkappe fehlte. Gut. Kein Loch im Reifen. Ich öffnete die Tür und nahm eine Flasche Wasser heraus, drückte auf den Schalter, um den Kofferraum zu entriegeln. In einer Hand hielt ich die Flasche, trank in langen Zügen. Kühl. Mit der anderen öffnete ich die Motorhaube. Ich trat mit dem Fuß gegen die Stoßstange, schaute, wie sich das Wasser in dem Kühler bewegte, überprüfte die Scheibenwaschanlage, kippte den Rest aus der Flasche hinein.

Plötzlich stand ein Mann neben mir. Ich hatte ihn nicht gehört, und es war auch kein Auto in Sicht, aber zu diesem Zeitpunkt überraschte mich schon nichts mehr. Er war ungefähr sechzig, korpulent, trug ausgebeulte Latzjeans und Crocs. Keine Socken, kein Hemd; unter der Latzhose schien er nackt zu sein, man sah das bleiche Fleisch an den offenen Seiten. Auf dem Kopf trug er ein marineblau-weißes Bandana, à la Hell’s Angels. Vermutlich wollte er seine fortgeschrittene Glatze verbergen. Um seinen Hals hing ein großes Fernglas, goldene Münzringe schmückten seine Finger. Ein Vogelfreund.

»Jemand hat Luft aus Ihrem Reifen gelassen«, sagte er, überraschend gut informiert. »Und aus dem Motor kommt Flüssigkeit.« Seine näselnde Stimme stand zusammen mit seinen in die Länge gezogenen Huller Vokalen in merkwürdigem Gegensatz zu seiner Körperfülle. Im Ohr trug er eine mächtige Creole.

»Ich glaube, die kommt aus der Klimaanlage«, sagte ich. Er stand im hohen Gras am Rand des Parkplatzes und wollte offenbar nicht auf den Asphalt treten.