Die Frau im zitronengelben Kleid - Klaus Neuhaus - E-Book

Die Frau im zitronengelben Kleid E-Book

Klaus Neuhaus

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Beschreibung

Das Leben und Lieben des erfolgreichen Malers Peer Geestert ist so farbenfroh wie seine Bilder. Immer auf der Suche nach Inspiration entdeckt er über eine Ostsee-Webcam eine geheimnisvolle Frau. In ihrem zitronengelben Kleid zieht sie ihn sofort in ihren Bann und er verewigt sie in mehreren Bildern, dabei wird er den Gedanken nicht los, der geheimnisvollen Schönheit schon einmal begegnet zu sein ...Ein Roman über das turbulente Leben eines Künstlers voller Dramen, Affären und Exzessen.

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Table of Contents

Im Atelier

Bernt Brock

Kunstakademie Düsseldorf

It’s Funny

Witzhausen

Ein neues Bild

Eine erste Romanze

Die Marotte

Graz

Tanjas Anruf

Funny again.

Gruß aus Graz

Zwischenbilanz

Das Modell

Café Brase

Was für ein Akt

Laura

Im Hintergrund

Zurück aus Graz

Fotos und Bilder

Der nächste Akt

Kleine Zwischenbilanz

Bernt aus Berlin

Die neue Funny

Bereit für Berlin?

Der Mann aus Wien

Bernt ruft an

Mittwoch in Berlin

Donnerstag in Berlin

Freitag in Berlin

Samstag in Berlin

Sonntag in Berlin

Die Brase hat ihn wieder

Das Ende der Roboterwoche

Bernt zurück aus Leipzig

Das grüne Sofa freut sich

Nochmal Funny

Monday, Monday

Professioneller Umgang

Die Frau im zitronengelben Kleid IV

Wacker, wacker

Süßforst

Kunstglocke

Ausstellungseröffnung Wien

Nach Wien

Der „kleine Strolch“

Ein dicker Hund

Gitarre und Kunst

Eine neue Karriere?

Madame

Hammer-Bernt

All Around The World

Telefonitis

Funny am nächsten Tag

Funny am übernächsten Tag

Falk am überübernächsten Tag

Die Kopfwäsche

Buntes Treiben

Neue Aufgaben

Ruhige Tage

Chaos in Berlin

Galerie Brock an der Brasestraße

Pholippe

Bernt hat viel zu tun

Laura meldet sich

Treffen mit Tanja?

Pressetermin bei Turm

Ausstellung bei Turm

Eine letzte Zwischenbilanz

Alles auf Gelb

Hat Ihnen das Buch gefallen?

Impressum

Im Atelier

P

eer steht breitbeinig vor dem Panoramafenster seines Ateliers und schaut auf die Brase, den kleinen Fluss gegenüber.

Die Böschung der Brase ist mannshoch bewachsen mit dem, was man früher Unkraut nannte.

Er hat die Hände gespreizt auf die Fensterbank gestellt und schaut und schaut. Seit einer halben Stunde. Ob sein Blick auf die Brase oder in sich gerichtet ist, weiß man bei ihm nie so genau. Der Brase ist es auch egal, wer auf sie schaut. Sie fließt in einem kaum wahrnehmbaren Tempo aus südlicher Richtung gen Norden. Immer.

Die Sonne hat Peers Blickfeld vor einigen Stunden in umgekehrter Richtung verlassen, ihm jedoch noch ein ordentliches Mal-Licht hinterlassen.

Einem Fluss beim Kaumfließen zuzuschauen ist eine Gabe, die schon lange nicht mehr jedem Menschen gegeben ist. Die Brase ist in viele seiner Bilder eingeflossen, ohne dass man auf einem seiner Werke einen Fluss erkennen kann.

Das trifft auch auf ein sehr farbiges großformatiges Bild zu, das er in der letzten Woche gemalt hat. Es trägt den Arbeitstitel Buntes Treiben und ist eher untypisch für den Künstler Peer Geestert. Selbst in diesem hohen Raum, im Erdgeschoss einer ehemaligen Brotfabrik, wirkt es noch wuchtig und prall von der Südwand. Gegenüber an der Nordwand befindet sich in der Nähe des Fensters die Tür zum Flur und zur Toilette. Links neben der Tür stehen ein Rennrad, eine alte Harman-Kardon-Stereoanlage, ein altes grünes Sofa mit einem kleinen runden Glastisch.

Der Computertisch auf Rollen samt Apple-Computer steht im Ruhezustand auf der linken Seite, kurz vor der Ecke zur Westwand. Dank der vielen Steckdosen über den breiten Fußleisten an allen Wänden wandert er oft dahin, wo Peer ihn grade einsetzt.

Die zahlreichen Steckdosen hat Peer der praktisch veranlagten Tanja zu verdanken, die seinerzeit vor der Renovierung den Vermieter darum bat. Und WLAN ist auch nicht die schlechteste Erfindung

Vor der Westwand stehen zwei neue großformatige Bilder: Frau im zitronengelben Kleid I und Frau im zitronengelben Kleid II. Sie riechen noch frisch nach den Farben seiner Mischtechnik.

Peer hat diese Räumlichkeit vor über 20 Jahren gemeinsam mit Tanja angemietet, als es das junge Paar nach dem Studium an der Kunstakademie Düsseldorf in diese Stadt im mittleren Westen zog. Tanja hatte hier Freunde.

Peer verabschiedet sich vorerst von der Brase, geht zu seinem Computerplatz und sucht über Google die Grömitz-Webcam Promenade.

Kurz vor 16 Uhr sieht er sie. Die Frau im zitronengelben Kleid. Nicht besonders groß, schulterlanges blondes Haar, schlank, schwarze Sandalen. Viel mehr ist nicht zu erkennen. Sie kommt von der linken Promenadenseite zur Seebrücke, geht bis hinten zum Wasser, wo auf der linken Seite eine große Kugel zu sehen ist.

Nach der zehnminütigen Pause, die sie immer auf einer Bank einlegt, kehrt sie zurück und verlässt die Brücke zur anderen Promenadenseite.

Vielleicht hat sie dort ihr Lieblingscafé. Das wird für Peer ein Geheimnis bleiben.

Seit einer Woche das gleiche Ritual. Die Frau ist zuverlässig.

Peer hat seine Screenshots, schließt das Google Fenster und fährt den Apple herunter.

Bernt Brock

A

m nächsten Tag in aller Frühe bekommt Peer einen Anruf von Bernt Brock, seinem Galeristen.

Bernt verkauft Peers Bilder oder stellt sie aus. Von Beginn an. Er war der erste Galerist, den Peer in der Stadt im mittleren Westen kennenlernte.

Galerist war Bernt zu der Zeit nicht wirklich. Er hatte einige Häuser weiter, zwischen dem Atelier und der Wohnung des jungen Paares Tanja und Peer, ein Immobilienbüro. Genau in diesen Räumen fand Peers erste Ausstellung statt. Dank Bernts zahlungskräftiger Klientel war die Ausstellung ein Riesenerfolg. Zwölf von zwölf Bildern wurden verkauft.

Bernt Brock hieß damals noch Bernd Brock und hatte Blut geleckt.

Er gab kurze Zeit später sein Immobilienbüro auf und verwandelte es in eine Galerie, in die Galerie Bernt Brock. Er gab ein Wahnsinnsgeld für das Corporate Design aus, mit dem er Rigobert Lux, einen der teuersten deutschen Designer, beauftragte.

Ich liebe die Künstler, ich liebe die Kunst war fortan sein Lebensmotto.

Ach ja, der Bernt. Er liebt in Wahrheit das Geld. Machen wir uns nichts vor. Seine erste Anschaffung als Freund der Künstler war ein Mustang Oldtimer, den er in Ferrari Rot RAL 3001 glänzend lackieren ließ. Seitdem ist Bernt Peers Mr. 50 Prozent, also gut an allen Einnahmen beteiligt.

Ende der Neunziger kam in Berlin die zweite Galerie Bernt Brock hinzu, in der Nähe der Hackeschen Höfe.

Tanja war ein wenig neidisch und fragte gelegentlich bei Bernt wegen einer Zusammenarbeit nach. Bernt jedoch wollte die Dinge auseinanderhalten, weil er ja schon Pferde vor der Apotheke kotzen gesehen hat.

Wenn es nach Bernt gegangen wäre, hätte Peer schon früh die Stadt im mittleren Westen verlassen sollen.

Peer, Junge, du musst unbedingt nach Köln. In Köln boxt der Papst. Alle gehen jetzt nach Köln.

Peer, Junge, du musst unbedingt nach Frankfurt. Alle gehen jetzt nach Frankfurt.

Peer, alle gehen von Frankfurt zurück nach Köln. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt. Du musst unbedingt nach Köln.

Peer, Junge, du musst genau jetzt nach Berlin. In Berlin brummt der Bär. Alles andere kannst du hochgradig vergessen. In Berlin wird die Kohle gemacht.

Peer lebt und arbeitet immer noch in der Stadt im mittleren Westen und ist sehr geduldig mit Bernt. Bernt hat ihm, von kleinen Künstlerdaseinslöchern abgesehen, ein finanziell sorgenfreies Leben beschert.

Hey, Bernt.

Hey, Peer. Die drei Fotos, die du mir von deinem iPhone geschickt hast, Hammer.

Buntes Treiben, Hammer.

Die Frau im zitronengelben Kleid I und II, Hammer.

Da schwirren mir schon zwei bis drei Interessenten im Kopf herum.

Kann ich dir morgen früh die Funny Fleck vorbeischicken? Die studiert zwar noch Fotografie an der FH, ist aber schon richtig gut. Und noch nicht so teuer.

Besser so gegen 15 Uhr, wenn sich die Sonne verabschiedet hat, Bernt.

Kein Problem, Punkt 15 Uhr steht die Dame bei dir auf der Matte. Und dann gehen die drei Bilder an die frische Luft, da bin ich mir sicher.

Wir werden sehen. Mach’s gut, Bernt.

Du auch. Und denk mal über Leipzig nach. Da geht es momentan richtig ab.

Bye.

Bye.

Kunstakademie Düsseldorf

P

eer schaffte im Jahr des Mauerfalls mit seiner Mappe und einem Gespräch das, wovon viele kunstinteressierte Abiturienten träumen: Die Aufnahmeprüfung an der Kunstakademie Düsseldorf. Seine Zeichnungen, Bilder und eine kleine Installation überzeugten die Jury.

Peer malt und zeichnet seit frühester Kindheit. Ein Jahr vor dem Abi gründete er mit seinen gleichgesinnten Freunden Stefan und Michael die Künstlergruppe Staffel-Ei. Im Abi-Jahr hatte Staffel-Ei eine erste Ausstellung in der heimatlichen Sparkasse am Niederrhein. Stefans Vater arbeitete dort als Banker. Eine erste Form von Netzwerken.

Stefan studierte nach dem Abi Jura und Michael BWL. Die drei von Staffel-Ei gingen fortan getrennte Wege.

Es waren nicht zuletzt die Bilder aus dem Abijahr, die die Düsseldorfer Jury überzeugen konnten. Deine Bilder strotzen vor Kraft. Sie springen einem mit dem nackten Arsch ins Gesicht, meinte Witzhausen.

Peer studierte Malerei bei Professor Conrad Witzhausen.

Keine Scherze mit Namen. Von wegen. Witzi und eine Stadt mit zehn Buchstaben waren noch die harmlosesten.

Politiker, Künstler, Schauspieler oder Fernsehstars waren nicht wirklich wichtig und berühmt, wenn sie nicht von Witzhausen porträtiert wurden.

Es entwickelte sich im Laufe der Jahre so etwas wie eine Hassliebe zwischen Peer und Conrad.

Was du da machst, Geestert, ist Grafik. Das ist keine Kunst. Du machst eine Nullkunst. Du hast Talent für drei und was machst du damit? Eine scheiß Nullkunst machst du. Witzhausen hatte eine Gabe, Studenten, die ihm zu groß zu werden schienen, kleinzumachen. Noch im letzten Semester vor der großen Ausstellung sprühten die Funken zwischen Conrad und Peer. Was wärst du denn ohne mich, Geestert? Sag schon, was wärst du denn? Du wärst immer noch klitzeklein am Niederrhein. Das wärst du, Geestert. Mach endlich Kunst. Wann verdammt noch mal beginnst du endlich Kunst zu machen?

Peer behielt die Nerven.

Außerdem hatte er seit dem zweiten Semester in Tanja eine Gefährtin. Zuerst eine Weggefährtin, die kurz später seine Lebensgefährtin wurde. Mit Tanja konnte Peer alles aushalten, auch den cholerischen Witzhausen.

Peer hatte Tanja immer im Auge behalten. Seit dem ersten Tag. Tanja Kaas, auch vom Niederrhein. So etwas verbindet. Tanja und Peer, die beiden ruhenden Pole vom Niederrhein.

Gefunkt hat es zwischen ihnen auf einer von Witzhausens Protzpartys in seiner Villa am Hofgarten.

Na, Geestert, warum willst du überhaupt Künstler werden? Komm, erzähl.

Weil ich auch mal so ein reicher Hajo werden will wie du, Witzhausen.

Tanja mit den kurzen blonden Haaren und der roten Baskenmütze bekam einen Lachflash, den sie an diesem Abend nicht mehr bremsen konnte.

Stunden später waren sie die letzten Gäste und ließen sich von Witzhausen bereitwillig hinauskomplimentieren.

Hand in Hand gingen sie durch den Hofgarten und verabschiedeten sich vor Tanjas Wohnung mit einem Kuss.

Der Rest ist Geschichte. Kunstgeschichte.

It’s Funny

F

unny steht pünktlich um 15 Uhr auf der Matte.

Hey, Peer, ich bin Funny.

Hey, Funny. Soll ich uns einen Kaffee kochen?

Für mich lieber ein Wasser.

Hol ich uns. Du kannst ja schon mal deine Fotoausrüstung aufbauen.

Peer geht zur kleinen Küchenecke im Flur und holt zwei Gläser und eine Flasche Wasser.

Ich stell die Gläser auf den Glastisch. Du kannst dich bedienen.

Danke.

Funny schraubt ihre Kamera auf das Stativ, geht einige Male vor und zurück, nach links und rechts.

Ich fotografiere zuerst das linke von den beiden Frauenbildern. Wie heißt es?

Frau im zitronengelben Kleid I.

Superschön. Ich mache immer nach den Farbfotos noch ein paar Schwarzweiß-Fotos. Sicherheitshalber, weil ich den Bernt noch nicht so gut kenne.

Sehr gerne. Darf ich die Fotos sehen?

Ja klar, komm und schau sie dir an.

Peer guckt auf den Monitor und ist begeistert, ein wenig auch von Funny.

Eine Frau Mitte zwanzig im bunten Hippie-Look. Langer Schlabberrock, die braunen Haare mit farbigen Perlen zu Rastazöpfen geflochten. So etwas gibt es also noch. Zum Glück.

Nach einem Schluck Wasser baut sich Funny vor dem nächsten Frauenbild auf.

Wie heißt es?

Frau im zitronengelben Kleid II.

Wie einfallsreich.

Peer schmunzelt.

So, Frau Nummer zwei ist auch verarztet. Willst du die Bilder sehen?

Peer will und schaut sich die Fotos der Frau Nummer zwei an.

Wahnsinn. Und ich dachte schon, ich hätte mit meinem iPhone gute Fotos gemacht.

Du möchtest doch, dass Bernt deine Bilder verkauft.

Ja, klar.

Also.

Peer, lass uns die Frau eins mit dem bunten Bild tauschen. Bei Frau eins haben wir ein besseres Licht.

Frau eins wird gegen Buntes Treiben ausgetauscht. Buntes Treiben wird fotografiert.

Nach der gemeinsamen Beschau nehmen sie auf dem Sofa Platz und prosten sich mit Wasser zu.

Warum wolltest du ausgerechnet hier an der FH Fotografie studieren?

Wegen Professor Falk Brommel aus Frankfurt. Er hat hier einen Lehrstuhl und ist mein großer Foto-Guru.

Na denn.

Danach gibt es ein erstes Händchenhalten und einen ersten zaghaften Kuss.

Peers rechte Hand kuschelt sich unter den Hippie-Rock.

Dann schlafen sie miteinander.

Auf dem grünen Sofa.

Witzhausen

W

itzhausen war an vielen Tagen ein Choleriker. Ein Arschloch. Ein astreines hochwohlgeborenes Arschloch.

Andererseits war er auch Philosoph, Visionär, Provokateur und Mahner.

Er konnte ansatzlos von Arschloch auf Mahner umschalten. Ohne Mühe. Aus dem Stand.

Sein Credo war

Leute, genießt die Zeit hier an der Akademie.

Es wird im Nachhinein wahrscheinlich die glücklichste Zeit eures Lebens gewesen sein.

Macht euch nicht zu viele Gedanken darüber, ob ihr später die großen Ausstellungen, die großen Verkäufe habt oder ob ihr Taxi fahren müsst, um eure Miete bezahlen zu können. Macht einfach Kunst, Kunst und noch mal Kunst.

Ihr werdet nie wieder so viele Verrückte und Idioten treffen wie hier während eurer Studienzeit. Genießt das bitte, verdammt noch mal.

Im Rückblick hat Peer nie so wenig gemalt wie in Düsseldorf. Wer malt denn heute noch? Dann hättest du auch Maler und Anstreicher werden können. Malen ist völlig out.

Malen war in den Sechzigern schon out, sagte Witzhausen.

Malen war in den Siebzigern schon out, sagte Witzhausen.

Malen war in den Achtzigern schon out, sagte nicht nur Witzhausen.

Und trotzdem haben die Menschen immer wieder gemalt.

Nicht zuletzt Witzhausen.

Bist du ein guter Maler, wenn du berühmte Persönlichkeiten gemalt hast, oder ist es nur ein Prestigegewinn?

Witzhausen hat extrem gut seine Skulpturen für den öffentlichen Raum verkauft. Wenn du erst einmal die wichtigsten Politiker gemalt hast oder die, die sich dafür halten, laufen die Aufträge über sehr spezielle Kanäle.

Conrad liebte besonders die asiatischen Studenten. Die hingen an seinen Lippen und waren formbar. Das war ganz nach seinem Geschmack.

Und er liebte Tanja. Tanja wusste immer, was sie wollte und wohin sie wollte. Tanja wollte in die großen Ausstellungen.

Peer wusste das für sich in Düsseldorf noch nicht. Seine Abschlussarbeit war eine Rauminstallation mit dem Titel Gefühlter Raum.

Selbstverständlich ist es verführerisch, einen großen Raum für eine einzige Arbeit zur Verfügung zu haben. Du wirst aufgeblasen. Du wirst wichtig gemacht. Du erlebst Großzügigkeit. Du wirst bewundert.

Peer wurde bewundert für seine Arbeit und über den grünen Klee gelobt. Vom Publikum, den Kennern und den Kritikern. Peers Gefühlter Raum war ein Magnet der Ausstellung.

Denk an meine Worte. Aus dem wird mal was.

Der Künstler Peer Geestert kann sich schon lange nicht mehr mit dieser Arbeit identifizieren.

Die war für Witzhausen.

Ein neues Bild

P

eer ist schon kurz vor 9 Uhr in seinem Atelier. Für seine Verhältnisse außergewöhnlich früh.

Er sitzt lustlos vor seinem Apple und hat die Mails geöffnet. Der Fragebogen einer Wochenzeitung aus Süddeutschland. Bernt hatte ihn vorgewarnt.

Die Frage 8 zaubert ihm ein Lächeln ins Gesicht.

Bleibt Ihnen bei aller Kreativität noch Zeit für Hobbys? Wenn ja, für welche?

Polo, Golf und Tennis.

Peer hat noch nie auf einem Pferd gesessen.

Peer findet sich deutlich zu jung, um auch nur einen Gedanken an das Golfspielen zu verschwenden.

Peer kennt Tennis nur von langatmigen Fernsehübertragungen. Spätestens nach zwei Ballwechseln zappt er weiter.

Peer löscht die Antwort und ersetzt sie durch Nein.

Bernt hat Peer eindringlich gebeten, diese Fragebögen seriös zu beantworten.

Das wird erledigt, Bernt. Später.

Außerdem hat diese Wochenzeitung aus Süddeutschland erst vor einigen Wochen ein ganzseitiges Porträt über Peer veröffentlicht. Die Journalistin und ein Fotograf hatten die Bedingung gestellt, das Interview in seinem Atelier führen zu dürfen mit den entsprechenden Fotos. Das treibt die Preise für Peers Bilder immer ein Stück weiter nach oben. Bernt war glücklich und durfte sich die Hände reiben.

Sogar Tanja rief aus Berlin an, um Peer zu gratulieren.

Die Frau im zitronengelben Kleid konnte er gestern nicht über die Webcam sehen, weil die Fotosession mit Funny auf dem Sofa in die Verlängerung ging. Da Peer in letzter Zeit ein wenig untervögelt war, freute er sich über diese unerwartete Gelegenheit.

Es wurden keine Telefonnummern ausgetauscht.

Soll er Bernt anrufen und nach Funnys Handynummer fragen?

Nein.

Gestern ist gestern und heute ist heut. Ein Schlagertext? Irgendwann mal im Radio gehört.

Peer schnappt sich sein altes Peugeot-Rennrad und fährt über eine kleine Brücke auf den Radweg hinter der Brase in nördlicher Richtung bei angenehmen 18 Grad.

Um 11 Uhr ist er zurück und tauscht im Atelier die Bilder aus.

An der Südwand stellt er Buntes Treiben nach links, um daneben Platz zu schaffen für Frau im zitronengelben Kleid I. An der Westwand stellt er Frau im zitronengelben Kleid II nach links, um rechts daneben Platz zu schaffen für die neue Leinwand, die er gestern noch vorbereitet hat.

Peer schiebt den Computertisch vor der neuen Leinwand links neben sich, stöpselt den Netzstecker ein, fährt den Computer hoch und öffnet die Screenshots von vorgestern.

Frau im zitronengelben Kleid III ist in Arbeit.

Eine erste Romanze

A

m Tag nach Witzhausens Protzparty hatten sich Tanja und Peer im Hofgarten verabredet.

Tanja hatte sich schon mit einer Decke auf einem kleinen Stück Rasen in der Nähe des Spielplatzes niedergelassen. Eine mächtige Weide spendete ihr Schatten.

Peers Herz schlug merklich schneller, als er ihr näher kam. Tanja stand auf und umarmte ihn.

Eine Umarmung, die nicht enden wollte.

Eine Umarmung, die sie in ihrem Leben nie wieder vergessen werden. Komme, was wolle.

Es war für Peer und auch für Tanja die erste große Romanze, die erste große Liebe. Kleine Liebeleien während der Schulzeit mal nicht mitgerechnet.

Sie erzählten sich Geschichten aus ihrer Kindheit, aus ihrer Schulzeit und frühen Jugend. Sprachen über ihre Eltern, über tolle LehrerInnen und blöde LehrerInnen.

Lästerten über Profs und einige Studenten und Studentinnen. Das volle Programm einer Begegnung, die das Leben komplett umkrempelt.

Sie verließen das kleine Stück Paradies nur ein einziges Mal, um auf der Terrasse des benachbarten Museumscafés einen Kaffee und eine Schokotarte zu genießen. Ein Träumchen, die Tarte, wie der Kellner meinte.

Vier Tische weiter saß Conrad Witzhausen.

Mit dem Ministerpräsidenten des Landes NRW.

Tanja und Peer nahmen es mit einem Lächeln zur Kenntnis.

Es war der erste von nicht gezählten Tagen im Hofgarten, auf den Rheinwiesen oder Händchen haltend auf der Rheinpromenade. Nicht zu vergessen die abendlichen Treffen auf ein Fuchsi-Bier in der Altstadt.

Sie besuchten abwechselnd ihre Eltern am Niederrhein und wurden an der Akademie zu den Unzertrennlichen. Zwei wie Pech und Schwefel.

Die Marotte

W

ar die Frau im zitronengelben Kleid I noch Teil einer stilisierten Szenerie am Meer, geriet sie von Mal zu Mal immer mehr in den Mittelpunkt und wurde auch größer.

Die Frau im zitronengelben Kleid II verschmolz mit der kaum erkennbaren Brücke zu einer Einheit.

Nach Peers Plan soll nun die Frau mit dem zitronengelben Kleid III wie ein Engel über dem Wasser schweben.

Peer trägt zu einer kurzen Jeans ein dunkelblaues T-Shirt und hat sich wie vor jeder neuen Arbeit einen langen grauen Hausmeisterkittel übergezogen.

Er liebt es, sich bei der Malerei so richtig einzusauen.

Seit Tagen fragt er sich, weshalb ausgerechnet die Frau im zitronengelben Kleid zum Zentrum seiner neuen Bilder wurde. Warum ausgerechnet diese Frau? Was fasziniert ihn an dieser Frau? Ist es wirklich nur ihr zitronengelbes Kleid, oder ist da mehr? Sie bewegt sich sehr grazil. Ist es das? Er hat sie bei dem ersten Blick auf die Grömitz-Webcam nach einer Millisekunde gesehen. Sie hat im künstlerischen Sinne Besitz von ihm ergriffen.

Steht sie in irgendeiner Beziehung zu ihm? Sind sie sich schon einmal begegnet?

An so etwas glaubt Peer nicht. Er glaubt momentan nur an das neue Bild, das er mit einer unfassbaren Sicherheit ohne eine einzige Korrektur malt. Die Frau im zitronengelben Kleid III ist fertiggestellt.

Die Idee mit der Webcam trägt er schon seit Wochen mit sich herum und hat mehr als zwanzig verschiedene Webcams ausprobiert, bis es die Grömitz-Webcam Promenade wurde. Beim ersten Mal hatte er seit 15 Uhr nur zugeschaut, bis kurz vor 16 Uhr die Frau im zitronengelben Kleid erschien. Da war es um ihn geschehen. Peer wusste nun, was zu tun war.

Peer schaut sich das neue Bild von allen Seiten, aus allen Entfernungen und den Ecken des Ateliers an. Er ist rundum zufrieden.

Anschließend holt er sein iPhone und schickt einige Fotos der Frau im zitronengelben Kleid III an Hammer-Bernt.

Als letzte Aktion entledigt er sich des farbbetupften Hausmeisterkittels, fotografiert ihn und versteigert den Kittel anschließend bei eBay.

Eine Marotte von ihm seit einigen Monaten.

Er fühlt sich dabei wie ein Rockstar, der schmerzverzerrt nach dem Konzert seine E-Gitarre auf dem Boden zerdeppert, weil dieses Konzert ein Gesamtkunstwerk war.

Graz

D

er Bernt hier. Hallo, Peer. Hast du einen Moment Zeit für mich? Sag bitte ja oder ja.

Ja.

Das wollte ich hören. Schmeiß schon mal den Kaffee an. Bin gleich da.

Läuft schon. Bis gleich, Bernt.

Zehn Minuten später steht der Bernt im Atelier.

Hammer. Hammer. Hammer. Ich könnte heulen, so schön ist das Bild.

Danke.

Bei manchen Künstlern fällt der Euro centweise. Aber du weißt genau, was grad geht.

Das ist aber nicht der Grund, weshalb ich das Bild gemalt habe. Ich musste es malen.

Schon gut, Peer. Ich kenn dich doch, alte Künstlerseele. Lass mich raten. Die Frau im zitronengelben Kleid III.

Genau. Frau im zitronengelben Kleid III.

Morgen früh fahr ich für ein paar Tage zur Kunstmesse nach Graz. Die Koje ist nicht billig. Es könnte aber interessant werden. Die Fotos von deinen gelben Frauen I und II habe ich im kleineren Format ausdrucken lassen und werde die Drucke mitnehmen. Für Buntes Treiben habe ich schon eine Lizenzanfrage für einen Kunstdruck. Auflage 250 Stück. Hab mich aber noch nicht entschieden.

Das überlasse ich dir. Da mische ich mich nicht ein. Fährt Andreas mit nach Graz?

Ja, Andreas kommt heute Abend aus Berlin. Wir feiern übermorgen in Graz unser Fünfjähriges. Vielleicht fahren wir von Graz noch kurz nach Nizza.

Privat oder geschäftlich?

Das bleibt mein Geheimnis. Darf ich dir morgen nochmal die Funny vorbeischicken wegen eines Fotos der gelben Frau III? Hab gehört, dass ihr euch ganz gut versteht.

Ja, die Chemie stimmt. Gerne wieder um 15 Uhr.

Ich mach mich jetzt auf den Heimweg und rufe sie gleich an. Mach’s gut.

Du auch. Und viel Erfolg in Graz. Grüß mir den Andreas.

Wird gemacht. Bye.

Bye.

Tanjas Anruf

S

preche ich etwa mit dem berühmten Künstler Peer Geestert persönlich?

In der Tat, gnädige Exfrau.

Und was macht der große Geestert grad?

Der große Geestert zählt grad die Fantastilliarden, die er in den letzten Monaten verdient hat.

Verdient hat oder bekommen hat?

Jetzt seien Sie mal nicht so spitzfindig.

Ein gutes Thema, um gleich zum Punkt zu kommen.

Dann punkte mal los.

Ich möchte mir Geld von dir pumpen.

Wie viel und wozu?

Wenn’s geht, 3.000 Euro. Dana hat eine Ausstellung in Madrid und möchte mich mit ins Boot nehmen. Um den Transport und die Versicherung muss ich mich zum Glück nicht kümmern.

Und wo stellt ihr aus? Im Reina Sofia?