Die Frau mit dem roten Schal - Michel Bussi - E-Book
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Die Frau mit dem roten Schal E-Book

Bussi Michel

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Beschreibung

»Michel Bussi, der neue Star!« Nouvel Observateur.

Jamal sieht zuerst nur den roten Schal. Dann die verzweifelte junge Frau, die am Rand der Klippen steht. Er will sie retten, wirft ihr den Schal zu. Doch die Frau springt. Und niemand glaubt ihm seine Geschichte, denn es sind bereits zwei Frauen zu Tode gekommen, nach exakt dem gleichen Muster. Verzweifelt versucht Jamal zu beweisen, dass er nichts mit dem Tod der Frau zu tun hat, aber alles spricht gegen ihn. Und schon bald weiß er selbst nicht mehr, was wahr ist und wem er noch vertrauen kann … 

Ein hochspannendes und emotionales Spiel zwischen Schein und Wirklichkeit.

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Seitenzahl: 340

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Informationen zum Buch

»Michel Bussi, der neue Star!« Nouvelle Observateur

Jamal sieht zuerst nur den roten Schal. Dann die verzweifelte junge Frau, die am Rand der Klippen steht. Er will sie retten, wirft ihr den Schal zu. Doch die Frau springt. Und niemand glaubt ihm seine Geschichte, denn es sind bereits zwei Frauen zu Tode gekommen, nach exakt dem gleichen Muster. Verzweifelt versucht Jamal zu beweisen, dass er nichts mit dem Tod der Frau zu tun hat, aber alles spricht gegen ihn. Und schon bald weiß er selbst nicht mehr, was wahr ist und wem er noch vertrauen kann …

Ein hochspannendes und emotionales Spiel zwischen Schein und Wirklichkeit.

Michel Bussi

Die Frau mit dem roten Schal

Roman

Aus dem Französischen vonOlaf Matthias Roth

Für Arthur,der morgen 18 wird!

Wenn Sie am Rand einer Klippe

einer schönen jungen Frau begegnen,

reichen Sie ihr nicht die Hand.

Man könnte glauben, Sie hätten sie hinabgestoßen.

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

Fécamp 13.Juli 2014

Fünf Monate zuvor, 19. Februar 2014

I Ermittlung

Kapitel 1

Jamal Salaouis Tagebuch

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Akte Morgane Avril – Sonntag, 6. Juni 2004

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Akte Morgane Avril – Juni 2004

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Akte Myrtille Camus – Donnerstag, 26. August 2004

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

II Verhaftung

Rosny-sous-Bois, den 22. Juli 2014

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Akte Myrtille Camus – Montag, 30. August 2004

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Akte Myrtille Camus – Freitag, 8. Oktober 2004

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Tagebuch von Alina Masson – Dezember 2004

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Akte Avril/Camus – Frühjahr 2007

Kapitel 36

III Urteil

Rosny-sur-Bois, 3. August 2014

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

IV Vollstreckung

Rosny-sur-Bois, 10. August 2014

Kapitel 46

V Revision

Fécamp, 13. August 2014

Achtzehn Tage später, 31. August 2014

Über Michel Bussi

Impressum

Wem dieses Buch gefallen hat, der liest auch gerne …

Fécamp13. Juli 2014

An

Gérard Calmette

Direktor Abt. Identifizierung von Katastrophenopfern

Sehr geehrter Monsieur Calmette,

in der Nacht vom 12. auf den 13. Juli 2014 brach von der Klippe bei Étigues, drei Kilometer westlich der Gemeinde Yport, Gestein mit einem Volumen von etwa 45000 Kubikmetern ab. Ein derartiger Erdrutsch ist an dieser Küste keine Seltenheit.

Die knapp eine Stunde nach dem Unglück herbeigeeilten Rettungskräfte konnten ausschließen, dass Personen zu Tode gekommen waren, man machte jedoch eine sehr seltsame Entdeckung. Zwischen den über den Strand verteilten Kreideblöcken lagen die Knochen dreier Skelette.

Die hinzugerufenen Kriminalbeamten fanden bei diesen Knochen keine Bekleidungsstücke und auch keinerlei persönliche Gegenstände, die eine Identifizierung ermöglicht hätten. Es liegt die Vermutung nahe, dass es sich bei den Toten um Höhlenforscher handelt, die in dem durchlöcherten Kreidemassiv eine Erkundungstour unternommen hatten und durch einen Felssturz von der Außenwelt abgeschnitten worden waren. Allerdings wurde in den letzten Monaten, sogar Jahren niemand als vermisst gemeldet.

Ich möchte vorsorglich darauf hinweisen, dass die Knochen über einen etwa vierzig Meter langen Strandabschnitt verteilt aufgefunden wurden. Die von Colonel Bredin eingesetzte gerichtsmedizinische Untersuchungskommission hat bereits mit der Bergung begonnen. Erste Analysen zeigen, dass die einzelnen Knochenfunde nicht dasselbe Stadium der Zersetzung aufweisen, es scheint, dass die einzelnen Personen zu unterschiedlichen Zeitpunkten an demselben Abschnitt der Steilküste ums Leben gekommen sind und das, so seltsam es auch klingen mag, wahrscheinlich sogar im Abstand von einigen Jahren. Eine Todesursache ist in keinem Fall ersichtlich, eine oberflächliche Untersuchung der Knochen und Schädel ergab keinerlei Hinweis auf Gewaltanwendung.

Da wir weder ein schlüssiges Indiz noch sonst irgendeinen Ansatzpunkt für eine weiterführende Untersuchung haben, ist es uns nicht möglich, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten.

Folglich bleiben drei Fragen unbeantwortet: Wer sind die drei Toten? Wann sind sie gestorben? Was hat ihren Tod verursacht?

Natürlich ist die Neugier der Bevölkerung groß, vor allem da sie aufgrund einer makabren Entdeckung in der jüngsten Vergangenheit bereits deutlich beunruhigt ist.

Sehr geehrter Monsieur Calmette, ich bin mir sehr wohl bewusst, dass Sie Dringenderes zu tun haben. Dennoch bitte ich um Verständnis dafür, dass ich mich in Anbetracht dieser Situation und der Ungewissheit, in der sich die Familien der Opfer befinden mögen, an Sie wende und Sie ersuche, diese Angelegenheit vordringlich von Ihren Abteilungen bearbeiten zu lassen, damit die drei Skelette baldmöglichst identifiziert werden können.

Hochachtungsvoll,

Lieutenant Bertrand Donnadieu,

Gendarmerie Nationale, Étretat

Fünf Monate zuvor,19. Februar 2014

»Pass auf, Jamal, das Gras auf der Klippe ist bestimmt rutschig!«

Mit einem Trenchcoat über den Schultern stand André Jozwiak, der Besitzer des Hotels La Sirène, in der morgendlichen Kälte. Die Quecksilbersäule des Thermometers war kaum über den Nullpunkt geklettert. Nachtfrost überzog das Hotelemblem, einen schmiedeeisernen Segler, das an einem Balken der Fassade hing.

Jozwiak betrachtete den Sonnenaufgang über dem nahegelegenen Strand, dessen eng aneinandergepresste Kiesel so aussahen, als hätte ein riesiger Raubvogel seine Eier zurückgelassen. Die vor dem benachbarten Casino geparkten Autos waren mit einer dünnen Eisschicht bedeckt.

Jamal entfernte sich mit kleinen, schnellen Schritten. André sah ihn am Casino vorbei- und dann die Rue Jean-Hélie hinauflaufen. Anfangs war er ihm seltsam vorgekommen, dieser junge Mann mit nordafrikanischen Wurzeln, der jeden Morgen an den Klippen entlangjoggte. Sein eines Bein war muskulös, das andere endete in einer Carbonprothese, die in einem Joggingschuh steckte. Doch mittlerweile war er ihm richtig sympathisch geworden. Und dass er Lust hatte, gleich bei Tagesanbruch eine Runde laufen zu gehen, das konnte er gut nachvollziehen. Schließlich war er in seinem Alter auch jeden Sonntag mehr als hundert Kilometer mit dem Fahrrad gefahren; drei herrliche Stunden, in denen ihm niemand auf die Nerven gehen konnte.

Die Silhouette Jamals tauchte am Fuß der Treppe auf, die zur Steilklippe hinaufführte, und verschwand gleich darauf wieder hinter den Müllcontainern des Casinos. André trat einen Schritt vor und zündete sich eine Wilson an. Er war nicht der Einzige in Yport, der um diese Uhrzeit der Kälte trotzte. Drüben am Strand ging eine alte Dame mit einem lächerlich kleinen Hund, der hysterisch die Möwen ankläffte, spazieren. Etwa zweihundert Meter weiter stand ein ziemlich großer Typ, die Hände in den Taschen seiner ausgebeulten Lederjacke vergraben, und starrte aufs Meer hinaus.

Nachdem er aufgeraucht hatte, warf André seine Kippe weg und ging zurück ins Hotel. Es war Zeit, den wenigen Gästen, die er zu dieser Jahreszeit beherbergte, das Frühstück zu servieren, und er wollte nicht, dass man ihm so begegnete, unrasiert, im Schlabberlook und mit zerzausten Haaren.

Jamal Salaoui erklomm mit gleichmäßigen, schnellen Schritten die Steilklippe. Nachdem er die letzten Villen hinter sich gelassen hatte, führte nur noch ein schmaler Trampelpfad weiter nach oben, von wo aus man bis ins zehn Kilometer entfernte Étretat blicken konnte. Jamal beobachtete die beiden Gestalten unten am Strand, eine alte Dame mit dem Hündchen und den Mann, der aufs Meer starrte. Drei Möwen, vielleicht von dem Hundegekläff aufgeschreckt, flogen plötzlich laut kreischend über den Rand der Klippe.

Den roten Schal sah Jamal kurz nach dem Eingangsschild zum Campingplatz Le Rivage. Er hing über dem Zaun des Geländes, so als würde er auf eine Gefahr hindeuten. Das zumindest war Jamals erster Gedanke.

Der Hinweis auf einen Erdrutsch, eine Überschwemmung, ein totes Tier.

Im selben Moment verwarf er den Gedanken wieder: Unsinn, es war schließlich nur ein Schal, der sich im Stacheldraht des Zauns verfangen hatte, sicherlich hatte ein Spaziergänger ihn verloren.

Zunächst hatte er gezögert, seinen Laufrhythmus zu unterbrechen, um sich nach dem Schal umzudrehen, und wäre beinahe einfach geradeaus weitergelaufen. Dann wäre alles ganz anders gekommen. Doch Jamal lief langsamer und blieb stehen. Der Schal wirkte ganz neu und leuchtete in einem kräftigen Rot. Jamal berührte ihn, studierte das Etikett.

Kaschmir, von Burberry. Dieses Teil war sicherlich ein kleines Vermögen wert! Vorsichtig löste er die Wolle vom Stacheldraht, er würde den Schal nachher mit ins Hotel nehmen. André Jozwiak kannte Gott und die Welt in Yport, er wusste bestimmt, wem er gehörte. Andernfalls würde Jamal ihn einfach behalten. Während er weiterlief, strich er behutsam über den Stoff. Zu Hause, in der Hochhaussiedlung von La Courneuve, würde er ihn wohl kaum tragen können. Ein teurer Kaschmirschal, dafür würden sie ihn glatt umlegen! Aber er fand bestimmt ein hübsches Mädchen in seinem Viertel, das bereit war, ihn zu nehmen.

In der Nähe des alten Bunkers rechts von ihm weideten Schafe, die ihre Köpfe hoben, als er sich ihnen näherte.

Gleich dahinter, am Rand der Klippe, sah er die junge Frau.

Sie stand weniger als einen Meter vom Abgrund entfernt. Unmittelbar hinter ihr ging es mindestens einhundert Meter steil in die Tiefe. Jamal verlangsamte seine Schritte, seine Gedanken überschlugen sich: Das Gelände fiel zum Meer hin leicht ab, das Gras war vom Raureif rutschig – ein falscher Schritt, und die junge Frau schwebte in höchster Gefahr. »Alles in Ordnung bei Ihnen?« Seine Worte verhallten in der Kälte.

Keine Antwort.

Jetzt war er noch etwa fünfzig Meter von der Frau entfernt. Trotz der Kälte trug sie lediglich ein Kleid. Es schien zerrissen zu sein, zwei lange rote Stoffbahnen flatterten im Wind und bedeckten nur dürftig ihre Oberschenkel und die Körbchen eines fuchsiafarbenen BHs. Sie zitterte am ganzen Leib.

Jamal hatte sofort bemerkt, wie schön sie war. Doch dafür hatte er in diesem Augenblick keinen Sinn. Die Frau überraschte ihn, rührte ihn, verwirrte ihn, aber ihre sexuelle Anziehungskraft blieb wirkungslos. Als er später darüber nachdachte, fiel ihm am ehesten der Vergleich mit einem geschändeten Kunstwerk ein. Ein Sakrileg, eine unentschuldbare Verletzung der Schönheit.

»Alles in Ordnung bei Ihnen?«, wiederholte er jetzt seine Frage.

Endlich hob sie mit einer langsamen Bewegung den Kopf und blickte zu ihm herüber. Das Gras war kniehoch, und während er sich ihr behutsam näherte, schoss ihm durch den Kopf, dass sie vielleicht seine Beinprothese noch nicht bemerkt hatte.

Jetzt stand er ihr direkt gegenüber.

Die Frau war noch ein Stück näher an den Abgrund herangerückt und ließ ihn nicht aus den Augen. Sie sah verheult aus, ihre Wimperntusche war völlig verschmiert und ihre Augen gerötet. In Jamals Kopf tobten die Gedanken: Gefahr, Zeitnot. Vor allem aber: Beklemmung.

Noch nie hatte er eine derart schöne Frau gesehen. Das perfekte Oval ihres Gesichts, eingerahmt von zwei pechschwarzen Haarsträhnen, die kohlrabenschwarzen Augen, die fein gezeichneten Brauen und Lippen. Später versuchte er sich vergeblich daran zu erinnern, ob die seltsame Unbeholfenheit der schönen Fremden, das Bedürfnis, ihre Hand zu ergreifen, sein Reaktionsvermögen beeinflusst hatten.

»Mademoiselle …«, mit einer vorsichtigen Bewegung streckte Jamal den Arm aus.

»Bleiben Sie, wo Sie sind.«

Es war eher eine Bitte als ein Befehl. Ihre Augen wirkten wie erloschen.

»Kei… keine Sorge …«, stammelte Jamal. »Verstehe. Bewegen Sie sich nicht, bleiben Sie ganz ruhig.«

Sein Blick wanderte über das zerrissene Kleid. Vielleicht war sie aus dem Casino unten am Strand gekommen. Abends verwandelte sich der große Saal im Seaview in eine Disko.

Hatte es beim Tanzen eine unliebsame Begegnung gegeben? Die junge Frau war groß, schön, sexy …

Jamal bemühte sich um einen möglichst ruhigen Tonfall.

»Ich komme jetzt langsam näher und reiche Ihnen meine Hand.«

Zum ersten Mal senkte sie den Blick. Als sie seine Prothese sah, konnte sie ihr Erstaunen nicht verbergen, fasste sich aber sofort wieder. »Einen Schritt näher, und ich springe!«

»Nicht … ich bleibe, wo ich bin.«

Jamal erstarrte in seiner Bewegung und wagte nicht einmal mehr zu atmen. Nur seine Augen schnellten hin und her, zwischen der verzweifelten jungen Frau und dem Horizont, der sich allmählich orange färbte.

Er stellte sich vor, wie eine Gruppe betrunkener Jungs sie vom Rand der Tanzfläche aus angeglotzt hatte. Wie einer von ihnen, vielleicht sogar mehrere, sie dann bis zum Ausgang verfolgten, ihr den Weg verstellten, versuchten, ihr das Kleid vom Leib zu reißen …

»Sind Sie … sind Sie verletzt?«

Aus ihren dunklen Augen flossen Tränen.

»Das können Sie nicht verstehen. Gehen Sie!«

Dann plötzlich hatte er die Eingebung. Ganz langsam führte Jamal seine Hände an den Hals. Und doch nicht langsam genug. Die junge Frau machte einen hastigen Schritt zurück, er zuckte zusammen, beinah wäre sie ins Leere getreten.

»Ich werde mich nicht von der Stelle rühren, Mademoiselle. Ich werfe Ihnen nur den Schal zu. Ich halte ihn an einem Ende. Sie brauchen nur das andere zu ergreifen. Und Sie entscheiden selbst, ob Sie loslassen oder nicht.«

Die junge Frau zögerte, erneut wirkte sie überrascht. Jamal nutzte die Gelegenheit und warf mit einer behutsamen Handbewegung das eine Ende des roten Kaschmirschals in ihre Richtung. Nicht mal ein Meter trennte sie.

Der Schal fiel vor ihre Füße. Zögernd beugte sie sich nach vorn und hob ihn auf.

»Ganz vorsichtig«, sagte Jamal leise. »Lassen Sie sich zu mir ziehen, nur etwas weiter weg vom Abgrund.«

Sie klammerte sich jetzt noch ein wenig fester an den Stoff, und Jamal spürte, wie ihn Erleichterung durchströmte. Er hatte genau das Richtige getan. Unglaublich behutsam zog er sie zu sich heran, Zentimeter um Zentimeter.

»Vorsichtig«, raunte er. »Kommen Sie vorsichtig zu mir.«

Plötzlich wurde ihm wieder bewusst, wie schön sie war. Die schönste Frau, die er je gesehen hatte. Und gerade hatte er ihr das Leben gerettet.

Der Gedanke genügte, um ihn für einen kurzen Moment abzulenken. Plötzlich spürte er eine ruckartige, heftige Bewegung, die Frau riss an dem Schal. Jamal hatte mit allem gerechnet, nur nicht damit. Der Stoff entglitt ihm.

Dann ging alles blitzschnell. Mit einem Ausdruck von Schicksalsergebenheit blickte sie ihm in die Augen und sprang in die Tiefe, den roten Kaschmirschal fest zwischen den Fingern.

Ihn hatte sie ebenfalls mit sich gerissen, nur wusste Jamal das zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

IERMITTLUNG

1

Jamal Salaouis Tagebuch

Lange Zeit hatte ich immer nur Pech.

Glück, das war etwas für die anderen, nicht für mich. Und so hielt ich das Leben immer für eine riesige Verschwörung, deren Mitglieder nur eines im Sinn hatten: mir Steine in den Weg zu legen. Dann, im Lauf der Jahre, begriff ich allmählich, dass ich mir etwas vorgemacht hatte. Da war niemand, der mir schaden wollte, ich selbst war für mein Glück verantwortlich. Und um im Leben Glück zu haben, musst du danach suchen, unablässig, immer wieder von vorn anfangen. Beharrlich sein. Es ist nur eine Frage der Wahrscheinlichkeit. Und letztendlich … des Glücks.

Ich heiße Jamal.

Jamal Salaoui.

Ich teile meinen Vornamen mit Jamal Malik, dem kleinen Jungen aus Slumdog Millionär. Wir haben noch mehr gemeinsam: Beide sind wir Muslime, leben aber in einem nicht muslimischen Land, was uns aber ziemlich egal ist. Er wuchs in Dharavi auf, dem Slum von Mumbai, ich in einer Hochhaussiedlung in der Banlieue von Paris. Ich weiß nicht, ob man das vergleichen kann. Körperlich sind wir ziemlich unterschiedlich. Obwohl er nicht besonders hübsch ist, mit seinen abstehenden Ohren und diesem furchtsamen Blick, wie ein Vögelchen, wenn’s donnert. Ich bin auch nicht so hübsch. Was das Ganze noch schlimmer macht, ist die Tatsache, dass ich nur ein Bein habe, na ja, eineinhalb, um genau zu sein, das zweite hört oberhalb des Knies auf und steckt in einer Carbonprothese. Aber das erzähle ich mal bei Gelegenheit. Wieder mal so eine Geschichte, bei der ich einfach Pech hatte.

Aber unsere größte Gemeinsamkeit sitzt direkt vor mir. Was für Jamal Malik zählt, ist ja nicht seine Million Rupien, für ihn ist Latika das Wichtigste – wunderschön ist sie, vor allem am Ende, wenn sie den roten Schleier trägt und die beiden sich am Bahnhof in Mumbai wiederfinden. Sie ist sein eigentlicher Hauptgewinn.

Genauso bei mir. Ich sitze der tollsten Frau gegenüber, die man sich vorstellen kann. Gerade hat sie ein blaues Tulpenkleid angezogen. Ihre Brüste zeichnen sich deutlich unter der Seide ab, und ich darf ihr aufs Dekolleté starren, sooft und solange ich will. Wie soll ich das erklären? Sie ist einfach die Frau, von der ich tausendmal geträumt habe, bis sie schließlich einfach so vor mir stand.

Und jetzt sitze ich mit ihr beim Abendessen.

In ihrer Wohnung.

Die Flammen im Kamin scheinen die weiße Haut ihres Gesichts zu liebkosen. Wir trinken Champagner. In ein paar Stunden werden wir uns lieben, vielleicht sogar noch bevor wir zu Ende gegessen haben. Wir werden uns die ganze Nacht lang lieben, mindestens. Vielleicht sogar mehrere Nächte. Vielleicht alle Nächte meines Lebens, es ist wie ein Traum, der auch beim Aufwachen nicht zerplatzt, der mich unter die Dusche begleitet, in den verdreckten Aufzug im letzten Häuserblock unserer Trabantenstadt, dem einzigen, der noch nicht demoliert worden ist, und dann bis zum S-Bahnhof Courneuve-Aubervilliers.

Sie lächelt mir zu. Ich berühre ihre Lippen mit den meinen. Sie sind champagnerfeucht.

Ich habe dieses Glück verdient. Schließlich habe ich alles riskiert. Und mich immer wieder aufgerappelt, ohne je die Hoffnung aufzugeben.

Ich bin ihr in einem kleinen Ort in der Normandie begegnet, da, wo man am wenigsten damit rechnet, auf seine Traumfrau zu stoßen.

Ich war mehrmals kurz davor zu sterben.

Aber ich lebe noch.

Ich war des Mordes angeklagt. Des mehrfachen Mordes. Des niederträchtigsten Mordes, den man sich vorstellen kann. Und ich hätte es beinahe selbst geglaubt.

Aber ich bin unschuldig.

Ich wurde gehetzt. Verurteilt. Verdammt.

Aber ich bin frei.

Auch Ihnen wird es nicht leichtfallen, mir zu glauben. Sie werden es nicht für möglich halten. Auch Sie werden zweifeln. Bis ganz zum Schluss. Sie werden mich für verrückt halten, werden glauben, ich hätte alles erfunden. Aber ich habe nichts erfunden. Ich bin nicht verrückt. Und eine Falle ist es auch nicht. Deswegen: Vertrauen Sie mir. Bis ganz zum Schluss.

Alles begann vor zehn Tagen, an einem Freitagabend, am 14., zu dem Zeitpunkt, als wir Mitarbeiter vom Pflegeheim Saint-Antoine in die Ferien geschickt wurden.

2

Plötzlich fing es an zu regnen. Kalte Tropfen fielen auf die drei roten Backsteingebäude des Pflegeheims Saint-Antoine, auf den drei Hektar großen Park und die Büsten der großzügigen, längst vergessenen Wohltäter aus vergangenen Jahrhunderten. Ärzte, Pfleger und Sanitäter eilten ins Trockene.

Jeden Freitagabend fuhren die Älteren, die einigermaßen selbständig waren, mit ihren Familien übers Wochenende weg. Diesmal schlossen sich noch zwei Wochen Winterferien an.

Auch ich war losgerannt, um mich unterzustellen. Ich warf noch rasch einen Blick auf den Krankenwagen, dessen Blaulicht im Regen blinkte, und hielt nach Ophélie Ausschau, dann ging ich in den Aufenthaltsraum des Pflegepersonals. Die Stimmung war ausgelassen. Die Kollegen des Pflegeheim beinahe ausschließlich Frauen, wärmten sich ihre eisigen Finger an Bechern mit Tee oder Kaffee. Einige sahen nicht einmal in meine Richtung, andere streiften mich mit dem Blick oder lächelten mir kurz zu. Die meisten Kolleginnen mochten mich eigentlich, je nach Alter, Beziehungsstatus und professioneller Einstellung. Bei den mütterlichen Typen stand ich deutlich höher im Kurs als bei den attraktiven jüngeren.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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