Der Junge, der immer in Ohnmacht fiel - Martina Frei - E-Book

Der Junge, der immer in Ohnmacht fiel E-Book

Martina Frei

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  • Herausgeber: Eichborn
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2018
Beschreibung

Warum kann es beim Autofahren durchaus Sinn machen, seine Geldbörse aus der vorderen oder hinteren Gesäßtasche zu entfernen? Was hat es mit der so genannten Silofüller-Krankheit auf sich? Und warum kann ein schöner Body-Builder-Rücken die Bewegungsfähigkeit des Kopfes so einschränken, dass das Linksabbiegen im Auto zum Glücksspiel wird?

Mit Sachverstand und feinem Humor präsentiert die Medizinerin und Journalstin Martina Frei in ihrem neuen Buch ein Kabinett aus skurrilen Verletzungen, Diagnosen und Fehldiagnosen, unbeabsichtigten Nebenwirkungen und verblüffenden Spontanheilungen.

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Seitenzahl: 358

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Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumVorwort»Geschockte« PatientenEin Schuss, der nach hinten losgingExplosion im OPSchwacher Strom – starker SchockDie Rakete im MundAuf verschlungenen PfadenEin steiniger WegBaden gegangenDas Jucken unter dem GipsZement im HerzenLange vergessen, längst verdrängtDas LöwengesichtEin schrecklicher Spu(c)kDer Test, an den niemand dachteDie Rückkehr des WürgeengelsBlinde PassagiereEin Baby und zwei blinde PassagiereVon einem Darm zum anderenDurchfall im 18. ArrondissementGiftige BewohnerEine »putzige« DiagnoseAuf den Hund gekommenDas neue AutoDie feste VerbindungDetektivarbeit auf der IntensivstationWaschen, bürsten, hustenTierisch schwierige DiagnosenDas Geschenk der GroßmutterMenschenleid und KatzenjammerDie IgelmutterDie Rache der HasenRätselhafte AllergienEine einfache DiagnoseDer ZeckenkrimiSechs LeidensjahreHarmlose TröpfchenDer Heuhüpfer schlägt zurückEssen & TrinkenVerrückter HonigHochfliegender GenussSich das Leben versüßenMassensterben beim RacletteDenken & FühlenPenicillin fürs GedächtnisDarm an HirnDie dicke FrauSüchtig nach SexSex & VerhütungPariser auf WanderschaftEin heißer NachmittagKein leuchtendes BeispielWeich & SanftLuft und LiebeSchwangerschaft & GeburtDie Schafe mit den roten AugenDie Schwangere, die nicht mehr Auto fahren konnteDas Baby mit der SoldatenkrankheitDer Kuchen der MutterTodestrankVorsicht, Eltern!Tödliches Spiel ITödliches Spiel IIDer Junge mit den kleinen PupillenDas Kleinkind mit dem großen PenisEin paar Züge zu vielAb-BerufenDer Bauer mit den gelben HändenDie Win-win-TherapieDer Geschäftsmann, der erfolgreich sein wollteIm Dienste der ArmeeKnallerei und FreudenschüsseFreizeit & HobbyDie Erdbeerpflücker-LähmungSchwerwiegende SchädenDer PfützenkeimWenn Musik ins Blut gehtPechvögelFatale KettenreaktionGrauenvoller MistEine fatale VerwechslungHiobsbotschaftenÜberdosis MedizinEine Untersuchung zu vielDie Frau mit den 49 KrankheitenNüchtern bleiben!Die »Schilddrüsenüberfiktion«Eine Untersuchung zu wenigQuizSchmetterlinge im BauchVerräterische PupillenDer Gummibärchen-TestSpäte DiagnoseEine teuflische KrankheitLösungen zum QuizSchmetterlinge im BauchVerräterische PupillenDer Gummibärchen-TestSpäte DiagnoseEine teuflische KrankheitQuellen»Geschockte« PatientenAuf verschlungenen PfadenLange vergessen, längst verdrängtBlinde PassagiereAuf den Hund gekommenTierisch schwierige DiagnosenRätselhafte AllergienEssen & TrinkenDenken & FühlenSex & VerhütungSchwangerschaft & GeburtVorsicht, Eltern!Ab-BerufenFreizeit & HobbyPechvögelÜberdosis MedizinQuizDank

Über dieses Buch

Kann es tatsächlich sein, dass man bei einer Darmspiegelung auf dem Untersuchungstisch explodiert? Oder heutzutage mitten in Paris an der Cholera erkrankt? Und wer hätte gedacht, dass ein dickes Portemonnaie zu Nervenschäden führt? Mit Sachverstand und feinem Humor präsentiert die Medizinerin Martina Frei in ihrem Buch ein Kabinett aus skurrilen Verletzungen, Diagnosen und Fehldiagnosen, unbeabsichtigten Nebenwirkungen und verblüffenden Spontanheilungen, die Fachmann wie Laien gleichermaßen überraschen werden.

Über die Autorin

Dr. Martina Frei, geboren 1965, hat in Freiburg und München Medizin studiert. Acht Jahre lang arbeitete sie als Ärztin in Deutschland und der Schweiz. Ungefähr nach der 1368. Mittelohrentzündung wechselte sie auf die Ringier-Journalistenschule und arbeitet heute als Wissenschafts-Redakteurin beim Zürcher Tages-Anzeiger. Die unglaublichen Medizin-Fälle erscheinen seit Oktober 2009 als wöchentliche Kolumne im Tages-Anzeiger. Martina Frei lebt in Zürich.

MARTINA FREI

DER JUNGE, DER IMMER IN OHNMACHT FIEL

Neue unglaubliche Fallgeschichten aus der Medizin

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Überarbeitete Taschenbuchausgabeder 2018 bei Eichborn erschienenen Paperbackausgabe Die Frau mit den 48,5 Krankheiten. Neue unglaubliche Fallgeschichten aus der Medizin

Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln

Titelillustration: © Jolygon / shutterstock.com

Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München

eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325-6050-9

luebbe.de

luebbe-sachbuch.de

lesejury.de

Vorwort

»Frau Doktor, kann es sein, dass …?« So beginnen die Fragen vieler Patienten. Die Antwort lautet fast immer: »Ja!«

Ja, es kann sein, dass man bei der Darmspiegelung auf dem Untersuchungstisch explodiert.

Ja, es kann sein, dass beim Sex Luft ins Hirn gepresst wird.

Und ja, es kann auch sein, dass man mitten in Paris an Cholera erkrankt.

Das beweisen die Fallberichte auf den folgenden Seiten. Nach der Lektüre werden Sie Krankheiten kennen, die Ihrem Arzt (noch) völlig fremd sind. Fragen Sie ihn doch mal nach Halicephalobus gingivalis – wetten, dass er Sie mit großen Augen ansehen wird?

Mit dem vorliegenden Buch verschaffen Sie sich aber nicht nur Respekt bei Ihren Ärzten. Vor allem wird es Ihnen ganz praktisch nützen: So liefert es beispielsweise beim Autokauf medizinisch fundierte Argumente dafür, weshalb es unbedingt ein Neuwagen sein muss und kein gebrauchter.

Überdies werden Sie einiges über Tiere lernen – zu welchen Verwicklungen eine Hirschzunge führen kann, warum Ihr Wellensittich keinesfalls am Raclette-Essen teilnehmen darf, wie brutal Mehlwürmer zuschlagen können und wieso sich Jäger vor Hasen in Acht nehmen sollten, um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Egal auch, ob frisch verliebt, schwanger, Vater oder Großmutter – in jeder Lebenslage gibt es spezifisches medizinisches Wissen, das Sie kennen sollten. Und hier finden. (Selbst für den Fall, dass Sie einmal fremdgehen, erhalten Sie wertvolle Hinweise, die Ihnen unter Umständen peinliche Befragungen ersparen …)

Außerdem sollen auch diese ungewöhnlichen Fallgeschichten wieder vor Gefahren warnen, mit denen kaum einer rechnet. Wer ahnt schon, dass er sich durch Wellness-Ferien die Gesundheit ruinieren kann? Oder dass Hirsebällchen zu Halluzinationen führen können?

Ganz zu schweigen davon, was ein gut gefülltes Portemonnaie alles anrichtet – hier sind vor allem Ärzte und Anwälte angesprochen.

An die Hobbygärtner richtet sich der ungewöhnliche Tipp, beim Setzen junger Pflanzen vielleicht besser einen Rock anzuziehen. Andernfalls könnte das Gärtnern übel in die Hose gehen. (Herzpatienten hingegen sollten mit modischen Kapuzenjacken aufpassen – diese Kleidungsstücke können umwerfende Wirkungen haben.) Weshalb, wird Ihnen nach der Lektüre klar sein.

Und bitte: Legen Sie sich als Kfz-Mechaniker bei Reparaturarbeiten nicht mit Ihrem Handy unters Fahrzeug. Versengte Augenbrauen sind noch das Harmloseste, das Ihnen sonst blühen kann …

Wenn Sie dieses Buch gelesen haben, werden Sie wegen alltäglicher Wehwehchen kaum noch jammern. Denn Sie wissen: Es kann alles noch viel schlimmer kommen …

»Geschockte« Patienten

Selbst wenn Ihr Arzt heute auch noch nach bestem Wissen behaupten mag: »Das kann nicht sein!« – warten Sie ab. In der Geschichte der Heilkunst mussten Mediziner schon oft vermeintliche Erkenntnisse über Bord werfen zugunsten neuer, überraschender Einsichten – von denen die Patienten in manchen Fällen bereits Monate früher hörten als ihre Doktoren.

Ein Schuss, der nach hinten losging

Alles bereitete sich auf Weihnachten vor. John Ridyard und Chris Evans machten im Royal Southern Hospital von Liverpool gerade ihre letzte Patientenvisite vor den Festtagen – als es jäh knallte. Es hörte sich an wie ein Pistolenschuss vom anderen Ende der Station. Die beiden Ärzte eilten sofort hin, fanden jedoch nichts Verdächtiges vor, weder eine Waffe noch einen vorzeitig gezündeten Silvesterkracher.

Stattdessen stand dort eine verschüchterte Patientin, der das Ganze hochnotpeinlich war: Der Knall sei aus ihren Gedärmen gekommen, erklärte sie den Ärzten und entschuldigte sich vielmals für den Aufruhr.

Bereits zwei Wochen zuvor war die 40-Jährige in eine ähnlich schamvolle Situation geraten. Damals stellte ein Fernsehtechniker bei ihr zu Hause gerade das TV-Gerät ein, als der Schuss losging. Der Techniker zog sofort den Stecker des Geräts. Er vermutete einen Kurzschluss und untersuchte den Fernseher, doch da war nichts zu finden.

Weil das Geräusch aus Richtung der Polstergarnitur gekommen war, auf der die Frau gesessen hatte, nahm er als Nächstes die Polster auseinander und suchte nach einer vermeintlich gebrochenen Sprungfeder – Fehlanzeige.

Die besagte Dame wusste, woher der Knall gekommen war. Doch sie schwieg beschämt.

Den beiden Ärzten verriet sie nun ihr Geheimnis: Schuld an der Knallerei seien die Kapseln, die der Hausarzt ihr gegen ein Geschwür am Zwölffingerdarm verschrieben habe. Seit sie dieses Medikament namens Duogastrone schlucke, schieße es in ihren Gedärmen, erklärte sie den verdutzten Medizinern.

Der Wirkstoff des Medikaments wurde aus Süßholz gewonnen und sowohl gegen Magen- als auch gegen Zwölffingerdarmgeschwüre eingesetzt. Er sollte die Schleimhaut widerstandsfähiger machen. Drei bis sieben Stunden nachdem sie eine Kapsel geschluckt habe, ertöne dann der Schuss, berichtete die Patientin. Um von dem Knall nicht aus dem nächtlichen Schlaf gerissen zu werden, hatten sie und ihr Mann sich inzwischen angewöhnt, nach der abendlichen Einnahme erst den »Zwei-Uhr-Schuss« abzuwarten, bevor sie zu Bett gingen …

Den beiden Medizinern war diese explosive Nebenwirkung völlig neu. Bekannt war bis dahin nur, dass Duogastrone Kaliummangel verursachen konnte, der wiederum gefährliche Herzrhythmusstörungen auslöste.

Ridyard und Evans verfassten daraufhin einen Brief an die britische Ärztezeitung BMJ und beschrieben den Fall, wobei sie die Frage anschlossen, ob auch andere Patienten von solchen Nebenwirkungen gehört hätten. Kaum war er im Januar 1969 erschienen, stand das Telefon im Royal Southern Hospital nicht mehr still. TV-Teams zeichneten die Schüsse auf, die Presse berichtete, von überallher meldeten sich Betroffene.

Darunter war zum Beispiel auch der Wirt eines italienischen Restaurants in London. Seine Gäste erschraken wegen der Knallerei immer wieder aufs Heftigste. Als zum ersten Mal ein Schuss in ihm losgegangen war, standen er und seine Frau um vier Uhr morgens senkrecht im Bett: Seine Frau dachte, er sei geplatzt, sein Cocker Spaniel Suzy fing an zu bellen, vermutlich weil er annahm, die Jagd habe begonnen. Auch der Wirt schluckte Duogastrone.

Den Ärzten war das Geknalle im Darm bis dahin verborgen geblieben. Auch der Hersteller von Duogastrone wurde von der Wirkung überrumpelt, er konnte die Patienten aber beruhigen: Das Ganze sei harmlos. Die Kapsel quelle im Magen auf das Doppelte ihrer ursprünglichen Größe auf. Bei der Passage in den Zwölffingerdarm werde sie dann vom Magenschließmuskel zusammengedrückt und platze. Man habe jedoch nicht erwartet, dass dies zu hören sei, rechtfertigte sich ein Firmensprecher.

Die Ohrenzeugen Ridyard und Evans nahmen trotzdem, so gut es ging, Abstand von Duogastrone, dessen Wirkung manche Ärzte sowieso bezweifelten. Sie verordneten das Medikament nach dem denkwürdigen vorweihnachtlichen Schuss nur noch sehr zurückhaltend.

Explosion im OP

Heutzutage muss kein Patient mehr fürchten, durch Duogastrone in peinliche Situationen zu geraten. Denn dieses explosive Medikament ist längst vom Markt verschwunden. Seit Jahren schon hatte der frühere Landwirt immer wieder Magen- und Darmbeschwerden. Mal plagte ihn ein Magengeschwür, mal war es eines am Zwölffingerdarm. Zweimal war er deswegen schon operiert worden, und mehrfach hatten diese Geschwüre bereits geblutet, sodass er sogar Bluttransfusionen benötigte. Nachdem der Patient rund zehn Jahre lang damit herumlaboriert hatte, schlugen ihm die Ärzte im September 1951 vor, sich nochmals operieren zu lassen. Routinemäßig wurde vorher der Verdauungstrakt des Patienten durchgecheckt. Dazu gehörte auch die Sigmoidoskopie. Dabei besieht sich der Arzt mit einem Endoskop den letzten Abschnitt des Dickdarms. Im Rahmen dieser Untersuchung fand man bei dem Kranken zwei kleine, harmlos erscheinende Polypen.

Darmpolypen sind bei älteren Menschen sehr häufig. Etwa ein Drittel dieser sogenannten Adenome verschwindet von allein wieder, mindestens ein weiteres Drittel verändert sich nicht. Die restlichen bergen das Risiko, dass sie entarten und schließlich bösartig werden.

Deshalb entschied der Arzt, die beiden Darmpolypen zu entfernen. Dabei fließt Strom zwischen zwei kleinen Elektroden. Die entstehende Hitze »verschmurgelt« das Gewebe und stillt so auch etwaige Blutungen, die beim Abtragen der Polypen entstehen.

Vom zweiten Polypen war noch ein kleiner Geweberest übrig. Der Darmspezialist setzte den Elektrokauter nochmals an.

Mit dem, was dann folgte, hatte niemand gerechnet: Kaum floss der Strom, kam es zur Explosion – im Innern des Patienten. Aus dem Ende des Endoskops schoss eine über 30 cm lange blaue Flamme, der Patient kreischte auf und versuchte vom Untersuchungstisch zu klettern. Der Explosionsknall war so laut, dass er sogar im Nebenraum zu hören war.

Als der Arzt den Patienten wieder einigermaßen beruhigt hatte, führte er das Sigmoidoskop nochmals in dessen Enddarm ein. So weit er sehen konnte – also etwa auf eine Distanz von 25 Zentimetern – war der Darm unverletzt geblieben.

Eine Stunde nach der Explosion wurde der Patient sicherheitshalber geröntgt. Auf dem Bild war viel Luft im Bauch zu sehen. Binnen einer weiteren Stunde lag der 65-Jährige deshalb auf dem Operationstisch.

Etwa auf der Höhe der Milz, also viel weiter oben als vermutet, war der Dickdarm an insgesamt sieben Stellen komplett gerissen. Etwa ein halber Meter des Organs war bläulich verfärbt und blutete. Der Chirurg schnitt 54 Zentimeter Dickdarm heraus und legte dem Patienten vorübergehend einen künstlichen Darmausgang an.

Drei Monate später wurden die beiden Darmenden in einer zweiten Operation miteinander verbunden, sodass die Ausscheidung wieder vonstattenging wie zuvor. Der Mann erholte sich im Weiteren gut von dem erlebten Horror und den Operationen.

Dem Patienten waren die Verdauungsgase zum Verhängnis geworden. Wie jeder weiß, dem schon einmal ein Wind entfleucht ist, enthält der Darm Gase. Rund drei Viertel der etwa 200 Milliliter Gas pro Darm werden von den unzähligen Darmbakterien produziert. Sie verarbeiten oder fermentieren das, was der menschliche Verdauungstrakt nur teilweise oder gar nicht verdauen kann: den Zuckeraustauschstoff Sorbitol zum Beispiel oder das als Abführmittel eingesetzte Mannitol.

Den größten Anteil am Darmgas macht Stickstoff aus, daneben finden sich dort aber auch Sauerstoff, Wasserstoff, Kohlendioxid und Methan. Explosiv wird die Mischung, wenn der Anteil des Wasserstoffs vier Prozent übersteigt und/oder derjenige des Methans fünf Prozent. Beträgt der Sauerstoffanteil in der Darmgaswolke überdies mehr als fünf Prozent, genügt ein Funke – und es passieren furchterregende Dinge im Operationssaal.

Wie häufig solche Schreckensereignisse sind, lässt sich nicht beziffern, weil vermutlich nicht jeder Fall an die Öffentlichkeit gelangt. In der Fachliteratur wird etwa einer pro Jahr beschrieben.

Im besten Fall führen solche Explosionen »nur« dazu, dass Kot des Patienten ins Gesicht des Arztes klatscht und alle Beteiligten mit dem Schrecken davonkommen. Oder dass der Untersuchte eine Woche lang unter einem prall gespannten, schmerzenden Bauch und Fieber leidet.

Im schlechtesten Fall ergeht es ihm jedoch wie jenem 69-Jährigen, der die Ärzte im August 1977 wegen rechtsseitiger Oberbauchschmerzen konsultierte. Schuld daran waren Gallensteine. Im Zuge der Abklärungen entdeckten die Ärzte als Nebenbefunde noch Darmpolypen, die sie mittels Darmspiegelung entfernen wollten.

Vorbereitend bekam der Mann am Abend zuvor Darmspülungen mit einer Mannitol-Lösung, um den Darm gut zu reinigen. Woran wohl niemand dachte: Die bakteriellen Darmbewohner, darunter beispielsweise Escherichia coli, können aus dem Zucker Mannitol ein explosives Gasgemisch herstellen.

Langsam schob der Untersucher anderntags das Endoskop bis zum größten Polypen vor und trug ihn mithilfe einer Schlinge ab. Dann wollte er die wunde Stelle mittels Strom veröden. Keine zehn Sekunden später knallte es, das Endoskop wurde aus dem Darm hinauskatapultiert, und der Patient sprang vom Untersuchungstisch auf.

Der Mann zeigte sofort Schockzeichen. Sein Bauch war prall gespannt, bei der Punktion mit einer Nadel entwich viel Gas. Eine Viertelstunde später war er im Operationssaal. In seinem Bauchinneren herrschte ein Desaster: Der Darm war an diversen Stellen geplatzt, ein Teil komplett zerstört, die Milz hatte ebenfalls Risse, überall blutete es. 45 Blutkonserven bekam der Schwerverletzte. Aber es war nichts mehr zu machen. Er verstarb. Der 15 Millimeter kleine Polyp, dessentwegen die ganze Aktion stattgefunden hatte, war übrigens gutartig gewesen, wie sich später bei der mikroskopischen Untersuchung herausstellte.

Das Ganze liegt mehr als 40 Jahre zurück, werden nun manche Leser denken. Heute passiert das nicht mehr.

Ohne Sie beunruhigen zu wollen: Die aktuelle Leitlinie der amerikanischen Gesellschaft für gastrointestinale Endoskopie ASGE weist darauf hin, dass »explosive Komplikationen bei der Darmspiegelung selten sind, aber schwerwiegende Folgen haben«. Aus Angst davor die Darmspiegelung abzusagen, wäre keine gute Idee. Denn die Explosionen sind wirklich extrem selten.

Koloskopien sind indes nicht die einzigen Prozeduren, bei denen Patienten schon explodierten. Einer 75-jährigen Frau in Australien platzte nach dem Genuss von Schweinekoteletts mit Gemüse zuerst der Magen. Vermutlich bahnten sich danach Verdauungsgase einen Weg in die Bauchhöhle. Das Resultat: Der Operateur erlitt eine Verbrennung zweiten Grades am Finger, die Patientin eine Milzverletzung. Beide erholten sich jedoch von dem Vorfall.

Bei einem 75-Jährigen in Indien explodierten nach 55 Minuten Operationszeit plötzlich Gase in der Harnblase, während der Operateur eine gutartige Prostatavergrößerung beseitigte. Er hörte ein lautes Knacken und sah plötzlich Gedärme in der Harnblase, die gerissen war. Auch dieser Patient genas.

Nicht aber die 77-Jährige in Großbritannien, bei der sich zuerst ein Teil des Magens in ihrem Zwerchfellbruch verfangen und stranguliert hatte. Als Nächstes erlitt sie einen Herzstillstand, wurde aber erfolgreich wiederbelebt. Und schließlich kam es bei der anschließenden Notfalloperation wegen des Magens zur Explosion, bei der es dem Chirurgen Augenbrauen und Wimpern versengte. Die Patientin trug schwere innere Verletzungen davon und verstarb drei Stunden nach der Operation.

Kann man solch furchtbaren Verläufen vorbeugen? Ja, teilweise. Etwa 33 Prozent der Menschen sind vermutlich etwas gefährdeter, denn sie sind »Methan-Produzenten«. Verantwortlich dafür sind die Bakterien in ihren Gedärmen. Da lässt sich nichts machen. Menschliche Fürze können Wasserstoff-Konzentrationen von bis zu 47 Prozent enthalten und Methan-Gehalte von bis zu 34 Prozent, ermittelten Forscher.

Sinnvoll ist allerdings, vor Darmspiegelungen für eine gründliche Reinigung des Organs zu sorgen: Je weniger Kot, desto weniger Bakterien, desto weniger Gasproduktion. (Normal sind übrigens 500 bis 1500 Milliliter Gasabgang pro Tag.)

Aufzupassen gilt es auch bei der Wahl des Abführmittels. Am sichersten scheinen Polyethylenglycol (Makrogol) oder Natriumphosphat-Lösungen zu sein – wobei es auch bei Makrogol schon einen Explosionsfall gab.

Die Wahl des Krankenhauses und des Gastroenterologen oder Chirurgen spielt ebenfalls eine Rolle. In westlichen Ländern sollte es jedenfalls nicht vorkommen, dass defekte Geräte Strom an Stellen abgeben, wo es nicht vorgesehen ist. Ebenso wenig dürfte es heutzutage passieren, dass die Gasflaschen verwechselt werden, wie bei einer Gallenblasen-Operation in den USA in den 1990er-Jahren. Damals verwendeten die Ärzte zum »Aufblasen« des Bauches bei der Schlüsselloch-Chirurgie anstelle des üblichen reinen Kohlendioxids unwissentlich eine hochprozentige Sauerstoffmischung – und der Bauch des Patienten war plötzlich von innen hell erleuchtet. (Der Eingriff ging nach der Explosion übrigens ohne weitere Komplikationen vonstatten.)

Ins Kapitel Medizingeschichte schließlich gehört auch, dass ein Operateur – trotz Warnung des Anästhesisten – bei einer Äthernarkose unbedingt den Elektrokauter einsetzen wollte: Im Jahr 1935, als sich dieser Fall ereignete, war anschließend der gesamte Operationssaal verwüstet. Und der Patient tot.

Noch zwei Warnungen an alle Gesunden:

Sollten Sie jemals bei jemandem Erste Hilfe leisten, der wegen Herzproblemen ein Nitroglycerin-Pflaster auf der Haut trägt, so entfernen Sie es bitte, bevor Sie den automatischen Defibrillator ansetzen. Andernfalls könnte es Ihnen ergehen wie Nothelfern in den USA, die einen 58-jährigen Mann retten wollten. Sein Nitroglycerin-Pflaster explodierte mit einem lauten Knall und einer stichartigen Flamme. Grund dafür ist übrigens nicht der (auch als Sprengstoff bekannte) Wirkstoff Nitroglycerin, sondern eine Aluminiumfolie im Pflaster …

Und: Passen Sie auf beim Rülpsen. Auch hier werden entflammbare Gase freigesetzt, wie ein Kartenspieler schmerzhaft erfahren musste. Er beugte sich über den Tisch, um sich von seinem Gegenüber die Zigarette anzünden zu lassen. Beim Nach-vorn-Beugen überkam ihn der Drang zu rülpsen. Aus Höflichkeit gab er dem aber nicht nach, sondern ließ den Rülpser diskret durch die Nase entweichen – woraufhin aus seinen Nasenlöchern Flammen schossen.

Schwacher Strom – starker Schock

So weit zu den Explosionen, von denen Chirurgen und Magen-Darm-Spezialisten berichten. Was Kardiologen – und Modedesigner – zu diesem Thema beisteuern, ist leider auch nicht gerade prickelnd.

Besonders übel erwischte es einen 82-jährigen Mann auf einer Camping-Tour. Er stand gerade im Waschraum unter der Dusche, als draußen ein Gewitter tobte. Dann schlug der Blitz ein. Den Duschenden durchfuhr ein elektrischer Schlag. Sekunden später bekam der Senior einen zweiten heftigen elektrischen Schock verpasst – diesmal vom eingepflanzten Defibrillator.

Bei einer 73-jährigen Frau hingegen genügte es, warm zu duschen, damit ihr der Defibrillator einen schmerzhaften Stromstoß versetzte. Duschte sie hingegen kalt, passierte nichts – weshalb sich die Frau drei Monate lang nur noch mit kaltem Wasser wusch. Ein anderer 60-jähriger Mann putzte gerade seinen Fischteich, als sein Defibrillator ohne Vorwarnung losging. Das Hightech-Gerät versetzte ihm einen solchen Schlag, dass er bewusstlos umkippte. Glücklicherweise nicht nach vorn in den Teich, sondern rücklings.

Wer nun vermutet, dass die Defibrillatoren auf Wasser reagierten, liegt falsch. Einen 77-Jährigen warf sein Defibrillator zu Boden, als er gerade etwas aus dem Kühlschrank nehmen wollte. Eine 36-Jährige dagegen berührte eine Waschmaschine und bekam daraufhin vom Defi eins »gepfeffert«. Geradezu perfide schien der Defibrillator eines 57-jährigen Mannes zu reagieren, der extra etwas für seine Gesundheit tun wollte. Um seine Bauchmuskeln zu trainieren, hatte er sich einen »Ab Max II Pro« besorgt, eine Art Gurt, der die Bauchmuskeln elektrisch stimulieren und derart stärken soll. Den Mann brachte sein vermeintliches Training stattdessen ins Kantonsspital im schweizerischen Freiburg. Dort mussten die Herzspezialisten nachsehen, was in den Defi gefahren war. Er hatte einen Schock abgegeben.

Eigentlich hätten die kleinen Geräte alle diese Patienten schützen sollen. Im Ernstfall, bei bedrohlichen Herzrhythmusstörungen, setzt der Defibrillator einen kräftigen Stromstoß ab, um das Herz wieder in den richtigen Takt zu bringen. Oft bemerken die Patienten vorher noch Warnsignale: Die Herzrhythmusstörungen bewirken, dass ihnen schummrig wird oder sie zum Beispiel Herzklopfen verspüren. Doch in den geschilderten Fällen hatten ihnen ihre Defibrillatoren völlig unnötige und sehr schmerzhafte Stromstöße verpasst, die sogar selbst gefährliche Herzrhythmusstörungen hätten heraufbeschwören können. Das Komische war nur: Alle diese Geräte funktionierten einwandfrei, wie die Abklärungen zeigten.

Das Problem lag woanders: Feine elektromagnetische Schwingungen können einen Defibrillator in die Irre leiten. Genau das war bei diesen Patienten geschehen.

Beim Duscher auf dem Campingplatz hatte der Blitzeinschlag auch den Sicherungskasten getroffen und die elektrischen Leitungen erwischt. So stand das Duschwasser unter schwachem elektrischem Strom – gerade so schwach und frequent, dass der Defibrillator des 82-Jährigen auf Herzrhythmusstörungen tippte und einen Stromstoß abgab.

Bei den anderen Geschockten wurde das Gleiche durch ein Stromleck an der Wasserpumpe des Teichs ausgelöst oder vom elektrischen Wasserwärmer für das Duschwasser. Nicht geerdete Kühlschränke oder Waschmaschinen und der elektrisch betriebene Bauch-Trainingsgurt in unmittelbarer Nähe zum Defi sorgten in den weiteren Fällen für die Probleme.

Bei einer 71-jährigen Frau tappten die Ärzte eine ganze Weile im Dunkeln, was den Grund betraf. Ihr Defibrillator gab plötzlich Warntöne von sich und piepste über 50 Mal am Tag. Zeitgleich stellte das Gerät phasenweise ab. Die Ärzte waren alarmiert, der Hersteller konnte sich keinen Reim darauf machen.

Notfallmäßig ersetzten die Herzspezialisten den Defibrillator darum gegen einen neuen. Doch auch das neue Gerät piepste. Schließlich nahmen sich die Ärzte die Kleidung der Patientin vor – und fanden in der Kapuzenjacke eingenäht vier kleine Magnete. Die sorgten dafür, dass die Kapuze schön über die Schultern fiel – und ganz nebenbei brachten sie den Defibrillator durcheinander.

Die Rakete im Mund

Er habe Mühe beim Schlucken, gab der junge Mann an. Es fühle sich an, als stecke etwas in seinem Hals. Die Schmerzen seien jedoch moderat, erklärte er den Ärzten auf der Notfallstation. Trotz seiner Verletzungen – seine oberen Schneidezähne waren gebrochen, die Haut auf den Lippen teilweise verbrannt und die Zunge geschürft – wirkte der 27-Jährige gefasst.

Ihn zu untersuchen und in seinen Mund zu schauen war nicht ganz einfach, denn er konnte den Kiefer nicht richtig öffnen. Um sich ein besseres Bild zu verschaffen, schoben die Ärzte den Patienten in den Computertomografen. Danach klappten wohl ihnen die Kiefer herunter.

Auf der Höhe des ersten Halswirbels steckte das Mundstück seiner E-Zigarette. Es war mit solcher Wucht in den Mund des jungen Mannes katapultiert worden, dass es die hintere Rachenwand durchschlagen hatte – dort klaffte ein acht Millimeter großes Loch – und im ersten Halswirbelknochen zum Stillstand gekommen war. Der Halswirbel war dabei gebrochen.

Er habe die Lithium-Ionen-Batterie der E-Zigarette gegen eine neue ausgetauscht, gab der Mann an, als plötzlich diese Zigarette in seinem Mund explodiert sei – kein Einzelfall, wie weitere Fachartikel belegen.

Die Folgen: Kieferbruch, ausgeschlagene Zähne oder auch schwere Verbrennungen an den Händen oder am Oberschenkel, wenn die Batterie ohne Vorwarnung losging »wie eine Rakete«. So beschrieben es Betroffene, bei denen plötzlich Flammen aus der Hosentasche loderten.

Einer Schätzung zufolge landeten allein im Jahr 2016 in den USA etwa 1.000 »E-Raucher« wegen Verbrennungen auf einer Notfallstation. Fast 30 Prozent mussten stationär behandelt werden. Im Gegensatz zu herkömmlichen Zigaretten kommen E-Zigis ohne Tabak aus. Mithilfe einer Batterie wird darin eine aromatisierte Flüssigkeit verdampft, die auch Nikotin enthalten kann. Um die E-Zigarette »kräftiger« zu machen, würden manche Konsumenten sie mit stärkeren Batterien aufpeppen – nicht ahnend, dass sie damit ein erhöhtes Risiko für eine Explosion heraufbeschworen, warnten US-Notfallärzte. Auch unsachgemäßes Aufladen oder der Einsatz beschädigter Batterien können zu solchen schockierenden Erlebnissen führen.

Auch Handynutzer sollten sich in Acht nehmen. Ein 21-Jähriger ahnte nichts Böses, als er über zwei Ohrstöpsel mit dem Handy Musik hörte. Es war gerade an der Ladestation eingesteckt, als es dem jungen Mann um die Ohren flog. Das Resultat: Verbrennungen an beiden Ohrmuscheln. Die meisten derartigen Verletzungen passieren, wenn das Handy aufgeladen und in dem Moment ein Anruf entgegengenommen wird. Ob Blitze in der Batterie daran schuld sind, elektromagnetische Wellen, die einen Stromfluss in nahen Gegenständen induzieren, oder andere Mechanismen, ist unklar.

Ein 50-jähriger Automechaniker in Wales kann – leider – ebenfalls ein Lied davon singen: Er lag gerade unter einem Auto, um den Benzintank auszuwechseln, als sein Handy läutete. Im selben Moment schossen Flammen über ihm hervor, die er mit den Händen zu ersticken versuchte.

Mit Verbrennungen an Händen und Armen, angesengtem Bart, Augenbrauen und Haaren kam der Mann zum Arzt. Zum Glück verheilten die Explosionsverletzungen innerhalb von zwei Wochen.

Auf verschlungenen Pfaden

Die richtige Krankheit zu diagnostizieren ist ganz einfach – wenn sich der Kranke so präsentiert, wie der Arzt das aus dem Lehrbuch kennt. Heftiger Schmerz in der Brust nach einem opulenten Mahl, wenn der Mensch aus der Wärme des Restaurants hinaus in die Kälte tritt – klassischer Fall von Herzinfarkt. Lernt jedenfalls der Medizinstudent. Plötzliches hohes Fieber, Schüttelfrost, heftige Gliederschmerzen, Husten oder andere Erkältungszeichen im Winter – vermutlich eine Grippe. Kolikartige Schmerzen im rechten Oberbauch nach fettigem Essen – Gallensteine. Und so weiter. Das Problem ist nur, dass es oft ganz anders kommt als im Lehrbuch.

Ein steiniger Weg

Hing es mit dem Rauchen zusammen, dass die 54-Jährige seit einem Jahr kränkelte? Mehrmals hatte sie in den letzten zwölf Monaten eine Lungenentzündung gehabt. Sie fühlte sich schwach. Außerdem, so berichtete sie den Ärzten, schwitze sie seit etwa einem Jahr nachts immer wieder stark. Und seit zwei Wochen hustete sie kleine schwarze Steinchen aus. Rund 60 Stück hatte sie bisher produziert.

Ihr Hausarzt hatte sie bereits geröntgt und im rechten unteren Lungenlappen eine Entzündung ausgemacht. Das daraufhin verschriebene Antibiotikum brachte jedoch keine Besserung.

Ihre medizinische Akte beinhaltete: Bluthochdruck, behandelt mit zwei Blutdrucksenkern. Eine frühere Venenthrombose. Eine Gallenblasenentfernung wegen Gallensteinen. 40 »pack years« Nikotin. (Mit diesem Begriff beschreiben die Mediziner die Menge an Zigaretten, die ein Patient in seinem Leben geraucht hat. Raucht ein Patient 40 Jahre lang täglich eine Schachtel mit 20 Zigaretten oder aber 20 Jahre lang täglich zwei Schachteln, ergibt das beide Male 40 »pack years«.)

Dazu kamen bei der Patientin aktuell eine Blutarmut und eine erhöhte Blutsenkungsgeschwindigkeit. Um die zu messen, lässt man ein Röhrchen mit Blut mindestens eine Stunde lang ruhig stehen. Sinken die roten Blutkörperchen rasch zu Boden, liefert das einen Hinweis, dass irgendetwas im Körper los ist. Das kann eine Entzündung sein, ein bösartiger Tumor oder eine andere Krankheit. Viel schlauer waren die Ärzte nach diesen Untersuchungen also noch nicht, was den Grund für die Erkrankung betraf.

Deshalb schauten sie mit einer endoskopischen Kamera in die Luftwege. Dort war aber – bis auf eine kleine Stelle in der unteren Luftröhre mit irgendwelchem »dunklen Zeug« – nichts Auffälliges zu sehen. Die Steinchen, die sie ausgehustet hatte, ähnelten ihren früheren Gallensteinen, berichtete die Patientin. Sie hatte diese nach der Gallenblasen-OP zu Hause auf den Kaminsims gelegt und konnte sie deshalb mit denen vergleichen, die sie nun immer wieder beim Husten herausschleuderte.

Tatsächlich waren ihre »Lungensteinchen« aus dem gleichen Material wie viele Gallensteine. Sie bestanden aus Cholesterin, das zumindest ergab die biochemische Analyse. Daraufhin besorgten sich die Ärzte die frühere Krankenakte der Frau und stießen so auf die Lösung des Rätsels: Elf Monate bevor die Probleme begonnen hatten, war sie mittels Schlüsselloch-Chirurgie an der Gallenblase operiert worden. Dabei hatte der Chirurg das Organ verletzt, sodass viele Gallensteinchen in den Bauchraum purzelten. Er spülte den Bauchraum zwar, in der Hoffnung, die entfleuchten Steine wiederzufinden. Offensichtlich aber nur mit bescheidenem Erfolg. Vermutlich hatten sich welche davon unterhalb des Zwerchfells versteckt, dort eine Entzündung hervorgerufen und sich schließlich einen Weg zur Lunge gebahnt.

Wie oft es zu einer solchen Gallenblasen-Verletzung kommt, darüber gehen die Ansichten ziemlich auseinander. Die Rede ist von etwa 6 bis 36 Prozent bei laparoskopischen Gallenblasen-Operationen, abhängig nicht zuletzt vom Geschick des Chirurgen und davon, ob die Gallenblasenwand stark entzündet ist und deshalb leichter reißt. Bei etwa neun Prozent dieser Gallenblaseneingriffe entkommen Gallensteine – in einem von fünf Fällen sogar unbemerkt. Bei den meisten betroffenen Patienten findet der Chirurg die Abhandengekommenen wieder und kann sie herausholen. Die restlichen Steinchen bleiben verschollen – und können an den unterschiedlichsten Stellen wieder auftauchen. Die Häufigkeitsangaben zu solchen Komplikationen schwanken sehr, von einem unter 13.000 Patienten bis zu fünf von 100.

Bei einem 63-jährigen Mann in den USA begannen die Probleme zwei Monate nach der Gallenblasenoperation. Er litt immer wieder an Bauchschmerzen und Fieber, verschiedene Antibiotika halfen nicht. Acht Monate nach dem Eingriff spürte er eine Schwellung am Rücken, auf Höhe der rechten Flanke – ein Abszess. Inmitten des Eiters: ein Gallenstein. Acht Monate seines Lebens habe ihn diese Gallenblasen-OP gekostet, schimpfte der Patient nachher.

Bei einer 82-Jährigen in Australien kamen zwei Gallensteine an der rechten Hüfte wieder hervor. Bis es nach acht Monaten so weit war, hatte sie zwölf Kilogramm abgenommen. Eine 41-jährige Leidensgenossin wiederum litt im Verlauf von drei Jahren unter immer stärkeren Menstruationsbeschwerden. Schließlich traten die krampfartigen Unterbauchschmerzen auch außerhalb der Periode auf. Die Gynäkologinnen versuchten alles Mögliche: Entzündungshemmer, Antibabypillen, Hormonspirale – die Schmerzen blieben.

Schuld daran waren nämlich 13 im Unterbauch verteilte Gallensteine, mit der Blase verwachsen, mit dem rechten Eierstock und mit den Innenwänden des Beckens. Das kam aber erst bei der Bauchspiegelung heraus. Als die Gallensteine endlich entfernt waren, ging es der Frau wieder gut. Neun Jahre zuvor hatte sie ihre Gallenblase operieren lassen …

In Südkorea vermuteten die Ärzte bei einem ihrer Patienten mit Bauchschmerzen einen großen bösartigen Tumor nahe der rechten Niere. In Wahrheit aber handelte es sich um einen Abszess, verursacht durch Gallensteine.

Riskanter als Cholesterin- sind übrigens die sogenannten Pigmentsteine. Sie bestehen aus dem Farbstoff Bilirubin, der beim Abbau des roten Blutfarbstoffs entsteht. Pigmentsteine beherbergen weit häufiger Bakterien als Cholesterinsteine, was das Risiko für Infektionen erhöht, wenn sie abhandenkommen.

Manchmal ist es nur ein einziger Stein – bis zu fünf Zentimeter große Exemplare machten sich schon davon –, manchmal sind es über 40, die vielfältigste Beschwerden verursachen: Schmerzen beim Sex, Übelkeit oder Erbrechen, Bauchfellentzündung, Abszess im Bauch mit Darmverschluss, Gallensteine, die sich Richtung Darm, Harnblase oder durch den Nabel herausarbeiten, und anderes mehr erlebten die Betroffenen schon.

Dabei hatten die Chirurgen in der Anfangszeit der Schlüsselloch-Chirurgie Ende der 1980er-Jahre noch geglaubt, dass sie verlorenen Gallensteinen gar nicht nachspüren müssten. Denn Tierversuche an Ratten und Kaninchen hatten keinen Anlass zur Sorge geboten.

Beim Menschen machen sich die abtrünnigen Steine im Durchschnitt 5,5 Monate nach der Gallenblasenoperation erstmals bemerkbar. Weitere fünf Monate vergehen dann oft noch, bis sie entdeckt werden. Das sind aber nur Durchschnittswerte. Manche Steine machen auch erst Jahrzehnte später auf sich aufmerksam, andere verhalten sich ganz still: Bei einer 60-jährigen Frau in Chile wunderten sich die Ärzte bei einer Bauchspiegelung über eine Handvoll runder Kügelchen, die Blaubeeren ähnelten. Diese Gallensteine lagen seit rund 14 Jahren zwischen Darm und Gebärmutter im Becken.

Damit solche Dinge nicht passieren, treffen die Chirurgen heutzutage Vorsorge, indem sie die Gallenblase noch im Bauch erst in eine Art Säcklein stecken und sie mitsamt diesem sogenannten Endobag dann herausziehen. Trotzdem entkommen hin und wieder Steine.

Bei der 54-jährigen Patientin übrigens, die ihre Gallensteine aushustete, heilte zwar die Lungenentzündung, das Steinehusten aber ging weiter. Deshalb kam die Patientin auch noch einmal in den Operationssaal, um die verbliebenen Steine unter dem Zwerchfell herauszuspülen.

Baden gegangen

Im Sommer 2015 war Europa ein Glutofen. Der Juli brach in Österreich alle Temperaturrekorde seit Beginn der Messungen im Jahr 1767. Ganze 41 Prozent weniger Regen als sonst verzeichneten die Meteorologen für Niederösterreich. Ab in den Badeweiher, beschloss eine 73-jährige Frau.

Am nächsten Tag hatte sie Fieber. Ihr linker Unterschenkel schmerzte höllisch, er war bläulich violett verfärbt, heiß und infiziert. Das Gewebe war so stark geschwollen, dass es die Blutzufuhr abklemmte – ein Notfall, der eine sofortige Operation erforderte.

Das Ausmaß der Infektion war verheerend: Bis auf die Muskeln hinab entfernten die Chirurgen die Haut und mehrere Zentimeter tief zerstörtes Gewebe am ganzen linken Unterschenkel. Insgesamt vier Mal musste die Frau unters Messer. Außerdem erhielt sie Antibiotika. Am fünften Tag entfieberte sie, und am siebten traf das Resultat der bakteriologischen Untersuchung endlich ein: Sie hatte sich mit einem nichtgiftbildenden Stamm von Vibrio cholerae infiziert. Vibrionen kommen typischerweise in leicht salzhaltigem Wasser vor. Meeresküsten, Brackwasser oder Flussmündungen ins Meer sind ihre Lieblingsorte. Die Seniorin aber hatte im Süßwasser gebadet!

Sie erinnerte sich, dass sie eine kleine aufgekratzte Stelle am linken Bein gehabt hatte. Vermutlich waren die Erreger dort eingedrungen und hatten sich im Nu ausgebreitet. Nur zwölf Stunden dauert es bei dieser Erkrankung unter Umständen von der Ansteckung bis zur Blutvergiftung.

Während die Schwerkranke langsam genas, ging Mitte August 2015 ein 80-jähriger Mann baden. Viele Male war er schon in dem Teich geschwommen, der 20 Kilometer entfernt von dem Weiher lag, in dem die Frau gebadet hatte.

Tags darauf wurde der Senior in einer Notfallambulanz vorstellig. Er fühlte sich elend, sein linker Unterschenkel schmerzte, er hatte Fieber und Atemnot – Blutvergiftung mit Vibrionen. Seit Langem schon litt er an einer Hauterkrankung, die eventuell den Eintritt der Bakterien begünstigt hatte.

Die österreichischen Behörden waren besorgt: In den Weihern, in denen die beiden Patienten gebadet hatten, schwammen über 100 Vibrionen pro Milliliter Wasser. Vibrionen können Magen-Darm-Infekte verursachen, Entzündungen der Ohren und leichte bis furchtbare Hautinfektionen mit Blutvergiftung. Setzt die (richtige) Antibiotikatherapie nicht rasch ein, ist die Prognose ernst.

Bereits im Sommer 2014 hatte es in Schweden und Finnland eine ungewöhnliche Häufung von Vibrio-Infektionen gegeben. Damals lag Skandinavien unter einer Hitzeglocke. Angesteckt hatten sich die meisten der 89 Erkrankten beim Baden im Meer. Sechs davon fast auf Höhe des Polarkreises – ein ungewöhnlicher Ort für Vibrionen, die es gern mindestens 20 Grad Celsius warm haben.

Außer Salz und Wärme brauchen diese Bakterien Eisen. Menschen mit Lebererkrankungen haben oft viel davon gespeichert. Das ist ein Grund, weshalb sie besonders gefährdet sind. Der zweite Grund ist ihr geschwächtes Abwehrsystem. Letzteres trifft auch auf Personen mit Herz- oder Krebserkrankungen oder Diabetes zu. Insbesondere Personen mit solchen Vorerkrankungen sollten deshalb nicht mit offenen Wunden im Meer baden, raten die Gesundheitsbehörden.

Die 73-jährige Patientin hatte Diabetes. Der entscheidende Faktor für die Infektion im Teich war aber wohl ein anderer: Durch die anhaltende Hitze, bei der viel Wasser verdunstete, stieg der Salzgehalt in den warmen Badeseen. Das begünstigte das Wachstum der Vibrionen, die vermutlich durch Vögel oder Mücken verbreitet wurden. Vom Neusiedler See in Österreich ist seit über zehn Jahren bekannt, dass darin Vibrionen schwimmen können. Das Wasser in diesem Steppensee ist flach und salzhaltiger als in anderen Seen.

Letztlich waren die beiden Patienten also wohl Opfer der Klimaerwärmung geworden.

Die Seniorin konnte das Spital glücklicherweise nach 73 Tagen wieder verlassen. Der Senior hingegen erlebte seine Entlassung nicht mehr.

Das Jucken unter dem Gips

Selbst an Orten wie Krankenhäusern, in denen man sich als Patient behütet fühlen möchte, blühen den Patienten gelegentlich Überraschungen. Bei einem Patienten in den USA etwa genügte es, die Bettdecke zu heben.

Ein Unglück kommt selten allein. Das erfuhr der 57-Jährige an Armen und Bein. Zuerst stürzte der arme Mann von der Leiter und brach sich beide Arme, die linke Kniescheibe und den Schädel. Die Arme und ein Bein kamen komplett in Gips. Bald schon durfte der Verunfallte das Universitätskrankenhaus wieder verlassen. Kurz darauf kehrte er wegen einer Hirnhautentzündung wieder zurück.

Und als ob das noch immer nicht reichte, juckte es ihn am nächsten Tag überall. Am unerträglichsten war es unter den Gipsen, wo er sich nicht kratzen konnte. Auch seine Ehefrau und zwei Töchter juckte es.

Um dem Kranken Linderung zu verschaffen, nahmen ihm die Ärzte die Gipse ab – und die Diagnose krabbelte ihnen entgegen: Milben. Es wimmelte davon. Auch unter den Bettlaken und an anderen Stellen auf dem Körper des Kranken wurden sie entdeckt.

Ein Fachmann identifizierte die winzigen Parasiten als Rote Vogelmilben. Sie leben normalerweise auf Vögeln, können aber auch den Menschen plagen. Da sie das Tageslicht scheuen und gern im Dunkeln Blut saugen, waren die eingegipsten Arme und das im Gips ruhiggestellte Bein ein Refugium für die Tierchen, die vollgesaugt einen Millimeter groß werden können.

Woher aber stammten sie? Von Tauben, die in einem Lüftungskanal in der Zimmerdecke – direkt über dem Bett des Patienten – ihr Nest gebaut hatten. Zahllose Milben bevölkerten dieses Nest sowie zwei weitere Taubennester, die sich in zwei anderen Lüftungsschächten auf demselben Stockwerk befanden. Nach gründlicher Waschung des Patienten, Reinigung und Desinfektion seines Zimmers sowie der Lüftungsschächte kehrte wieder Ruhe ein. Damit war dem geplagten Mann wenigstens schnell geholfen.

Eine 44-jährige Frau dagegen musste monatelang mit Juckreiz herumlaufen. Immer am Spätnachmittag begann es sie zu jucken. Am Bauch, am Rücken, gelegentlich auch an Armen und Beinen erschienen dann leicht erhabene rote Knötchen, die an Mückenstiche erinnerten. Sie konsultierte sechs Ärzte, darunter drei Hautspezialisten, ohne dass einer die winzigen Gründe dafür fand.

Nach rund drei Monaten kontaktierte einer der Ärzte schließlich einen Insektenspezialisten.

»Cheyletiella blakei!«, lautete sein Befund, Katzenmilben. Sie beißen sich an der menschlichen Haut fest, stechen mit ihren Mundwerkzeugen zu und saugen nicht Blut, sondern Gewebeflüssigkeit. Auf dem Menschen überleben diese Pelzmilben nur etwa einen Tag, im Fell der Katze aber fühlen sie sich daheim und befestigen ihre Eier an ihren Haaren.

Vier Wochen vor dem Ausbruch der Erkrankung hatte die Familie ein Perserkätzchen gekauft, das völlig gesund schien. Nach wiederholter Behandlung des Stubentigers verschwanden der Juckreiz und der Ausschlag bei der 44-Jährigen.

Bei einer Sechsjährigen wiederum gingen vier Monate ins Land, während derer das Mädchen unter einem unerklärlichen wiederkehrenden juckenden Hautausschlag litt. Ihren Vater juckte nichts, ihre Mutter und ihr Bruder aber hatten ebenfalls mehrfach phasenweise Juckreiz verspürt. Und auch der Familienhund kratzte sich ständig. Er wurde jedoch regelmäßig gegen Flöhe behandelt, und es waren auch nirgends Flöhe zu sehen. Deshalb schied er als Verursacher aus – dachte die Familie.

Im Nachhinein, nachdem bei der kleinen Patientin schlussendlich die Milbenart Cheyletiella yasguri entdeckt worden war, erinnerte man sich: Begonnen hatte alles, als das Mädchen auf einer Decke im Hundezwinger geschlafen hatte …

Falls Sie nun selbst auch Juckreiz verspüren: Denken Sie nicht nur an Hund, Katze, Vogel. Sondern auch an das Kaninchen. Den Hasen. Oder den Fuchs.

Verschont werden übrigens nicht einmal die Jüngsten. Auf den Frühgeborenen- und Kinder-Intensivstationen der Thammasat Universitätsklinik in der thailändischen Provinz Pathum Thani hatten plötzlich vier kleine Patienten – und 41 Mitarbeiter – kleine rote Knötchen auf der Haut, vor allem an den Knöcheln, Unterschenkeln und -armen, im Nacken und am Rücken.

Die Ursache dafür fanden die zu Hilfe gerufenen Hygiene- und Infektionsspezialisten an den Wänden, auf Gegenständen und Oberflächen: rötlich braune flügellose Insekten mit vielen Stacheln am Kopf und am Brustkorb: Katzenflöhe. Sie stammten von Kätzchen, die es sich im Kanal der Belüftungs- und Klimaanlage über der Zimmerdecke bequem gemacht hatten. Weil an der Klinik gerade umgebaut wurde, hatten die Katzen dort eindringen können.

Vier Wochen lang kamen nun auf den Stationen alle acht Stunden ausgiebig Dampfreiniger zum Einsatz. Zusammen mit diversen anderen Reinigungsmaßnahmen gelang es so, sie wieder flohfrei zu bekommen.

Zement im Herzen

Nicht nur winzige Parasiten schaffen es immer wieder, die Ärzte, die allesamt jahrelang studiert haben, zu foppen. Sogar Medizinprodukten gelingt dies. Dabei legen sie erstaunliche Wege zurück.

Eigentlich hätte es nur ein Routine-Check-up werden sollen. Doch als die Ärzte das Röntgenbild des 59-jährigen Mannes betrachteten, wurde daraus ein spezieller Krankheitsfall: In seinen beiden Lungen steckten mehrere längliche Fremdkörper. Sie ähnelten filigranen Drähten und schienen dem Verlauf der Lungenarterien zu folgen.

Bei einer 66-Jährigen war das Ganze bedrohlicher. Sie kam ins Spital, nachdem sie einen Tag lang starke Brustschmerzen gehabt hatte. Auch bei ihr sahen die Ärzte auf dem Röntgenbild des Brustkorbs viele längliche Fremdkörper, die dem Verlauf der Lungenarterien folgten. Noch beunruhigender war, dass die Patientin im rechten Herzvorhof und in der rechten Herzkammer zwei ebensolche Fremdkörper beherbergte. Derjenige in der Hauptkammer hatte bereits die Herzwand durchstochen. Die Folge: ein großer Bluterguss im Herzbeutel.

So landete die Frau rasch auf dem Operationstisch der Herzchirurgen. Als diese das Herz öffneten, sahen sie die Bescherung: Ein weißer, nadelähnlicher Fremdkörper hatte sich in die Herzwand gebohrt, ein zweiter, strangähnlicher schwamm im Herzvorhof: Es war harter Knochenzement, wie er bei Operationen von Wirbelkörpern verwendet wird.

Sieben Tage vorher war die Frau am achten Brustwirbel operiert worden. Wie kam der Knochenzement, der zum Stabilisieren gebrochener Wirbel verwendet wird, ins Herz?

Es gab nur eine Möglichkeit: über den Blutkreislauf. Die Venen, die das Blut von der Wirbelsäule wegleiten, münden in die große Körpervene, die das Blut zum rechten Herzvorhof bringt, von wo es weiterfließt in die rechte Herzkammer und von da in die Lungen. Gelangt der Knochenzement bis in große Lungengefäße und verstopft diese, kann der Körper nicht mehr genügend Sauerstoff aufnehmen. Zu solchen Komplikationen kommt es insbesondere, wenn der Zwei-Komponenten-Zement, der im Körper des Patienten aushärtet, bei der Verarbeitung noch zu flüssig ist.

Schätzungen zufolge ereignen sich solche «Zementembolien» bei 2 bis 26 von 100 Patienten. Wie häufig sie aber wirklich sind, weiß niemand, denn vermutlich bleiben viele unentdeckt. Der erwähnte 59-jährige Mann, der nur zur Routineuntersuchung ging, ist ein Beispiel dafür. Er war ein Jahr zuvor in einen Verkehrsunfall verwickelt worden, hatte sich dabei an der Wirbelsäule verletzt und wurde operiert.

Je nachdem, wie die Zementstränge liegen, sind sie jedoch selbst auf dem Röntgenbild nicht immer zu erkennen. Auch das Spektrum der Symptome, die sie verursachen können, ist breit. Es reicht vom Nierenschaden (bei Zementembolien bis in die Nierenvenen) über Herzrhythmusstörungen bis zu Husten.

Das Extrem sind Fälle wie jener einer 83-jährigen Patientin, von der Ärzte am Berner Inselspital berichteten. Sie erlitt noch während der Behandlung eines osteoporotischen gebrochenen Wirbelkörpers eine derart schwere Zementembolie in der Lunge, dass es Stunden später zum Herzstillstand kam. Trotz erfolgreicher Wiederbelebung konnten die Ärzte ihr nicht mehr helfen. Ihr Hirn war irreversibel geschädigt, die Seniorin verstarb.

Lange vergessen, längst verdrängt

Nach dem eben Geschilderten ist jedem klar, dass Krankheiten sich oft nicht an das halten, was im Lehrbuch vorgesehen ist – wer erwartet denn schon, dass er sich ausgerechnet in einer Universitätsklinik Parasiten holt?

Einzelne Bakterienarten gehen aber noch weiter. Sie pfeifen auch auf den Zeitrahmen, den die Ärzte ihnen üblicherweise für eine Ansteckung zugestehen. Kein Wunder, tappen die Doktores dann im Dunkeln.

Das Löwengesicht

Eigentlich hätte er es ahnen können. Aber der 51-jährige Mann war sich sicher, dass seine Schmerzen in den Fußknöcheln Arthritis bedeuteten.