Die Fremden in meinem Haus - Louise Candlish - E-Book
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Die Fremden in meinem Haus E-Book

Louise Candlish

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Beschreibung

Stell dir vor, du kommst nach Hause, und da wohnt eine andere Familie. Der Albtraum beginnt...

Es ist ein sonniger Tag in einem Londoner Vorort. Als Fiona Lawson nach Hause kommt und feststellt, dass Fremde in ihr Haus eingezogen sind, stürzt sie in Angst und Verwirrung. Sie und ihr Ehemann Bram besitzen das Haus schon seit Jahren und hatten nicht die Absicht, es zu verkaufen. Wie kann es also sein, dass eine andere Familie glaubt, das Haus gehöre ihnen? Und wo ist eigentlich Bram, als Fiona ihn am meisten braucht?

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Zum Buch

Stell dir vor, du kommst nach Hause, und da wohnt eine andere Familie. Der Albtraum beginnt …

Es ist ein sonniger Tag in einem Londoner Vorort. Als Fiona Lawson nach Hause kommt und feststellt, dass Fremde in ihr Haus eingezogen sind, stürzt sie in Angst und Verwirrung. Sie und ihr Ehemann Bram besitzen das Haus schon seit Jahren und hatten nicht die Absicht, es zu verkaufen. Wie kann es also sein, dass eine andere Familie glaubt, das Haus gehöre ihnen? Und wo ist eigentlich Bram, als Fiona ihn am meisten braucht?

Zur Autorin

Louise Candlish ist eine der erfolgreichsten britischen Thrillerautorinnen, die mit Die Fremden in meinem Hausihren internationalen Durchbruch feierte. Der englische Nr.-1-Bestseller verkaufte sich über 250 000 Mal, wurde zu einer hochkarätig besetzten ITV-Serie (Our House) und erhielt zahlreiche Preise und Nominierungen. Louise Candlish lebt mit ihrer Familie in London.

Louise Candlish

Die Fremden in meinem Haus

Thriller

Aus dem Englischen von Beate Brammertz

Die englische Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel Our House bei Simon & Schuster, London.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Deutsche Erstveröffentlichung September 2023

Copyright © 2018 by Louise Candlish

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2023 in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: semper smile, München

nach einem Entwurf von Pip Watkins/S&S Art Dept.

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

MA ∙ Herstellung: sc

ISBN 978-3-641-27189-3V002

www.btb-verlag.de

www.facebook.com/penguinbuecher

Für die unnachahmliche und unglaubliche SJV

1

Freitag, 13. Januar 2017

London, 12:30 Uhr

Sie muss sich irren, aber es sieht wirklich so aus, als würde jemand in ihr Haus einziehen.

Der Lieferwagen ist halb auf der Trinity Avenue geparkt, sein viereckiges Maul steht weit offen, während ein großes Möbelstück die geriffelte Metallzunge hinabrutscht. Fi sieht zu, blinzelt gegen das buttrige Sonnenlicht an – ungewöhnlich für diese Jahreszeit, ein echtes Geschenk –, als das Möbelstück von zwei Männern geschultert und durch das Tor und den Weg entlanggetragen wird.

Mein Tor. Mein Weg.

Nein, das ist unlogisch: Natürlich ist es nicht ihr Haus. Es muss das der Reeces sein, drei Türen weiter. Im Herbst hatten sie ihr Haus auf den Wohnungsmarkt geworfen, und niemand wusste genau, ob der Verkauf bereits über die Bühne gegangen war. Die Häuser auf dieser Seite der Trinity Avenue sehen alle vollkommen gleich aus – edwardianische Doppelhaushälften aus rotem Backstein, ihre Besitzer vereint in ihrer Vorliebe für schwarz gestrichene Eingangstüren und in der allgemeinen Übereinkunft, wie leicht man sich verzählen konnte.

Einmal, als Bram von einer seiner »kurzen Stippvisiten« im Two Brewers nach Hause getaumelt war, stand er vor der falschen Tür, und durch das geöffnete Schlafzimmerfenster hörte sie das wiederholte Kratzen und Schnaufen, während es ihrem betrunkenen Gatten nicht gelang, seinen Schlüssel ins Schloss von Nummer 87, Merles und Adrians Haus, zu stecken. Seine Beharrlichkeit und sein unerschütterlicher Glaube, dass, wenn er es nur lang genug versuchte, der Schlüssel irgendwann passen würde, waren erstaunlich.

»Aber sie sehen alle gleich aus«, hatte er am nächsten Morgen protestiert.

»Die Häuser vielleicht, aber selbst völlig besoffen kann man doch die Magnolie nicht übersehen«, hatte Fi lachend entgegnet. (Das war damals gewesen, als es sie noch amüsiert und nicht mit Traurigkeit oder, je nach Stimmungslage, Verachtung erfüllt hatte, wenn er betrunken war.)

Ihre Schritte werden nun zögerlicher: die Magnolie. Sie ist eine Landmarke, ihr Baum – ein herrlicher Anblick, sobald er in voller Blüte steht, und selbst dann schön, wenn er kahl ist, so wie jetzt, die äußeren Zweige mit einem künstlerischen Schwung in den Himmel gereckt. Und er steht definitiv im Vorgarten des Hauses mit dem Transporter.

Denk nach! Es muss eine Lieferung sein, etwas für Bram, das er vergessen hat zu erwähnen. Nicht mehr jedes Detail wird besprochen – sie haben beide akzeptiert, dass ihr neues Arrangement nicht perfekt ist. Jetzt beeilt sie sich wieder, die Finger als Sonnenblende über den Augen, und ist nah genug, um die Aufschrift an der Seite des Fahrzeugs zu lesen: UMZÜGEDELUXE. Also doch ein Umzug. Freunde von Bram bringen wohl etwas auf dem Weg zu ihrem neuen Domizil vorbei. Ginge es nach ihr, wäre es ein altes Klavier für die Jungs. (Bitte, lieber Gott, kein Schlagzeug!)

Augenblick mal. Die beiden Umzugshelfer sind wieder aufgetaucht, und jetzt werden weitere Gegenstände aus dem Wagen zum Haus getragen: ein Esszimmerstuhl; ein großes, rundes Metalltablett; eine Kiste mit dem Aufdruck zerbrechlich; ein kleiner, schmaler Wandschrank von der Größe eines Sargs. Wem gehört dieses Zeug? Wut bringt ihr Blut zum Kochen, als sie zur einzig möglichen Erklärung gelangt: Bram lässt hier jemanden wohnen. Zweifellos irgendeinen in Not geratenen Zechkumpan, der sonst auf der Straße landen würde. (»Du kannst so lange bleiben, wie du willst, wir haben genug Platz.«) Wann zum Teufel wollte er ihr das sagen? Es kommt nicht infrage, dass ein Fremder bei ihnen einzieht, egal wie vorübergehend, egal wie löblich Brams Absichten sein mögen. Die Kinder stehen an erster Stelle: Ist das nicht Sinn und Zweck des Ganzen?

In letzter Zeit, denkt sie besorgt, hatten sie den Sinn und Zweck aus den Augen verloren.

Sie ist jetzt fast da. Als sie an Nummer 87 vorbeigeht, sieht sie Merle am Fenster im ersten Stock, die Stirn in Falten gelegt, einen Arm gereckt, um Fis Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Fi erwidert den Gruß mit einer kaum merklichen Handbewegung, während sie durch ihr Tor und über den gepflasterten Weg schreitet.

»Entschuldigung? Was soll das?« Doch in dem Durcheinander scheint niemand sie zu hören. Dann lauter, schärfer: »Was tun Sie hier mit all den Sachen? Wo ist Bram?«

Eine Frau, die sie nicht kennt, taucht aus dem Haus auf und stellt sich lächelnd auf die Türschwelle. »Hallo, kann ich Ihnen behilflich sein?«

Fi keucht auf, als wäre die Frau eine Geistererscheinung. Das soll Brams Freund sein, der in der Patsche steckt? Die Frau ist Fi zwar fremd, aber diesen Typ hat sie schon tausend Mal gesehen. Sie erinnert Fi an sich selbst – wenn auch eine jüngere Version, Mitte dreißig –, blond und aufgeweckt und fröhlich, die Sorte, die zupackt und Dinge in die Hand nimmt. Die Sorte, die, wie die Geschichte zeigte, einen Freigeist wie Bram zähmen kann. »Ich hoffe, ja. Ich bin Fi, Brams Frau. Was ist hier los? Sind Sie … eine Freundin von ihm?«

Die Frau tritt näher, entschlossen, höflich. »Tut mir leid, wessen Frau?«

»Von Bram. Ich meine Exfrau, natürlich.« Die Verbesserung bringt ihr einen eigentümlichen Blick ein, gefolgt von dem Vorschlag, dass sie zwei einen Schritt beiseitetreten und »den Männern« aus dem Weg gehen. Während ein riesiges, in Luftpolsterfolie eingewickeltes Gemälde vorbeigleitet, lässt Fi sich unter das Gerippe der Magnolie führen. »Wozu in aller Welt hat er sich hier nur breitschlagen lassen?«, will sie wissen. »Was auch immer es ist, ich weiß nichts davon.«

»Ich bin nicht sicher, was Sie meinen.« Die Stirn der Frau kräuselt sich leicht, während sie Fi mustert. Ihre Augen sind goldbraun und wirken ehrlich. »Sind Sie eine Nachbarin?«

»Nein, natürlich nicht.« Fi wird allmählich ungeduldig. »Ich wohne hier.«

Das Stirnrunzeln vertieft sich. »Das bezweifle ich. Wir ziehen gerade ein. Mein Mann wird gleich mit dem zweiten Umzugswagen hier sein. Wir sind die Vaughans.« Sie betont den Namen, als hätte Fi womöglich schon von ihnen gehört, und streckt sogar die Hand zu einer förmlichen Begrüßung aus. »Ich bin Lucy.«

Baff erstaunt müht sich Fi vergeblich ab, ihren Ohren zu trauen und die falschen Botschaften zu entschlüsseln, die sie an ihr Gehirn weiterleiten. »Sehen Sie, mir gehört nämlich dieses Haus, und ich schätze, ich wüsste es, wenn ich es vermietet hätte.«

Ein verwirrtes Hellrosa kriecht über Lucy Vaughans Gesicht. Sie senkt die Hand. »Wir mieten es nicht. Wir haben es gekauft.«

»Das ist nicht lustig!«

»Das soll es auch nicht sein!« Die Frau wirft einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Offiziell sind wir seit zwölf Uhr die neuen Besitzer, aber der Makler hat uns die Schlüssel schon etwas früher gegeben.«

»Wovon reden Sie denn? Welcher Makler? Kein Makler hat einen Schlüssel für mein Haus!« Fis Gesicht verkrampft sich vor widerstreitenden Gefühlen: Angst, Frustration, Wut, sogar eine dunkle, unfreiwillige Belustigung, denn das muss ein Scherz sein, trotz des schier unglaublichen Ausmaßes. Was sollte es sonst sein? »Ist das ein Witz?« Über der Schulter der Frau sucht sie nach Kameras, einem Handy, das ihre Überraschung zur Unterhaltung anderer filmt, findet jedoch nichts – nur eine Karawane großer Kartons, die an ihnen vorbeischweben. »Denn ich finde es nicht lustig. Sie müssen dafür sorgen, dass die Leute hier aufhören.«

»Ich habe nicht die Absicht, dafür zu sorgen, dass die Leute hier aufhören«, sagt Lucy Vaughan klar und entschieden, genau wie Fi normalerweise redet, wenn sie nicht von etwas wie dem hier überrumpelt wird. Ihr Mund zieht sich gereizt zusammen, bevor sie ihn jäh verwundert öffnet. »Augenblick mal, Fi, sagten Sie? Für Fiona?«

»Ja. Fiona Lawson.«

»Dann müssen Sie …« Lucy hält inne, als sie die fragenden Blicke der Umzugshelfer bemerkt, und senkt die Stimme. »Ich glaube, Sie sollten lieber reinkommen.«

Und im nächsten Moment wird Fi wie ein Gast durch ihre eigene Tür geführt, in ihr eigenes Haus. Sie betritt ihre geräumige Diele mit der hohen Decke und bleibt sprachlos stehen. Das ist nicht ihre Diele. Der Grundriss ist derselbe, ja, das silberblaue Farbkonzept ebenfalls, und die Treppe ist nicht verschoben worden. Aber der Raum ist vollkommen kahl, bis auf den letzten Gegenstand geplündert: der Konsolentisch und die antike Truhenbank, der Berg an Schuhen und Taschen, die Fotos an den Wänden. Und ihr geliebter Palisander-Spiegel, ein Erbstück ihrer Großmutter – alles verschwunden! Sie berührt die Stelle, an der er hängen sollte, als erwarte sie, ihn im Putz versunken zu finden.

»Was haben Sie mit all unseren Sachen gemacht?«, will sie von Lucy wissen. Panik lässt ihre Stimme schrill klingen, und ein vorbeikommender Umzugshelfer wirft ihr einen strafenden Blick zu, als sei sie der bedrohliche Part.

»Ich habe gar nichts getan«, sagt Lucy. »Sie haben Ihre Sachen ausgeräumt. Gestern, schätze ich.«

»Ich habe nichts dergleichen getan. Ich muss nach oben«, sagt Fi und drängelt sich an ihr vorbei.

»Also …«, setzt Lucy an, doch es ist keine Bitte. Fi fragt nicht um Erlaubnis, ihr eigenes Haus besichtigen zu dürfen.

Nachdem sie nach oben gestürzt ist, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, bleibt sie auf dem obersten Treppenabsatz stehen, die Hand auf dem gewundenen Mahagonigeländer, als erwarte sie, das Gebäude könne sich aufbäumen und unter ihr zusammenbrechen. Sie muss mit eigenen Augen sehen, dass sie im richtigen Haus ist, dass sie nicht den Verstand verloren hat. Gut, sämtliche Türen scheinen am richtigen Platz zu sein: zwei Bäder, eins vorne raus, das andere auf der Rückseite, zwei Schlafzimmer links und zwei rechts. Selbst als sie das Treppengeländer loslässt und einen Raum nach dem anderen betritt, rechnet sie immer noch damit, die Habseligkeiten ihrer Familie dort stehen zu sehen, wo sie sein sollten, wo sie immer gewesen sind.

Aber da ist nichts. Alles, was ihnen gehört, ist fort, kein einziges Möbelstück übrig, nur Abdrücke im Teppich, wo noch vor vierundzwanzig Stunden die Betten und Bücherregale und Kleiderschränke gestanden hatten. Auf dem Teppich in einem der Kinderzimmer ein knallgrüner Fleck von einem Glibberball, der während eines Kampfs bei einer Geburtstagsfeier aufgeplatzt war. In der Dusche der Jungs, unten in der Ecke, steht ein Duschgel, das mit Teebaumöl – sie erinnert sich, wie sie es bei Sainsbury’s gekauft hat. Hinter den Wasserhähnen finden ihre Finger die Fliese, die erst kürzlich gesprungen ist (der Grund für die Zerstörung wurde nie gänzlich geklärt), und sie presst die Hand darauf, bis es wehtut, um sich zu vergewissern, dass sie immer noch aus Fleisch und Blut ist, ihre Nervenenden unversehrt sind.

Überall liegt der scharfe Zitronengeruch von Putzmitteln in der Luft.

Zurück im Erdgeschoss, weiß sie nicht, ob der Schmerz aus ihrem Innern herrührt oder aus den Wänden ihres entkernten Hauses.

Bei ihrem Näherkommen löst Lucy die Versammlung mit zwei Umzugshelfern auf, und Fi spürt, dass sie das Hilfsangebot abgelehnt hat – sich um sie zu kümmern, den Eindringling. »Mrs Lawson? Fiona?«

»Das ist unglaublich«, sagt Fi und wiederholt das Wort, das einzige, das passt. Nur ihre Fassungslosigkeit hält sie davon ab, zu hyperventilieren und hysterisch zu werden. »Ich verstehe das nicht. Können Sie mir bitte erklären, was um alles in der Welt hier los ist?«

»Das versuche ich doch schon die ganze Zeit. Vielleicht, wenn Sie sich die Beweise ansehen«, schlägt Lucy vor. »Kommen Sie in die Küche … hier stehen wir nur im Weg.«

Auch die Küche ist leer, abgesehen von einem Tisch und Stühlen, die Fi nie zuvor gesehen hat, und einer geöffneten Schachtel mit Teeutensilien auf der Arbeitsfläche. Lucy ist taktvoll genug, hinter sich die Tür zu schließen, damit die Augen ihres Gasts nicht vom Anblick der anhaltenden Invasion auf der anderen Seite beleidigt werden.

Gast.

»Hier sind die E-Mails«, sagt Lucy und reicht Fi ihr Handy. »Sie sind von unserer Immobilienanwältin, Emma Gilchrist von Bennett, Stafford und Co.«

Fi nimmt das Handy und befiehlt ihren Augen, sich scharf zu stellen. Die erste E-Mail ist von vor einer Woche und scheint den Austausch der Verträge in der Trinity Avenue 91, Alder Rise, zwischen David und Lucy Vaughan und Abraham und Fiona Lawson zu bestätigen. Die zweite stammt von diesem Morgen und verkündet den Abschluss des Hausverkaufs.

»Sie sagten Bram, nicht wahr?«, fragt Lucy. »Deshalb hat es ein bisschen gedauert, bis der Groschen gefallen ist. Bram ist natürlich die Abkürzung von Abraham.« Sie hat auch einen echten Brief zur Hand, die Anmeldung bei British Gas, adressiert an die Vaughans in der Trinity Avenue. »Wir haben die Strom- und Gasversorgung auf online umgestellt, aber aus irgendeinem Grund haben sie uns die Unterlagen per Post geschickt.«

Fi reicht ihr das Handy zurück. »All das bedeutet gar nichts. Die Mails könnten gefälscht sein. Phishing oder so was.«

»Phishing?«

»Ja, vor ein paar Monaten hatten wir drüben bei Merle einen Vortrag über Internetkriminalität, und die Polizistin hat uns alles darüber erzählt. Gefälschte E-Mails und Rechnungen sehen heutzutage erschreckend echt aus. Selbst Experten sind sich nicht immer sicher.«

Lucy deutet ein verzweifeltes Lächeln an. »Sie sind echt, das schwöre ich. Es ist alles echt. Das Geld müsste jetzt auf Ihrem Konto sein.«

»Welches Geld?«

»Das Geld, das wir für dieses Haus bezahlt haben! Es tut mir leid, aber ich kann mich nicht ständig wiederholen, Mrs Lawson.«

»Das verlange ich auch gar nicht von Ihnen«, faucht Fi. »Ich versichere Ihnen, Sie müssen sich irren. Ich versichere Ihnen, es ist unmöglich, dass Sie ein Haus gekauft haben, das nie zum Verkauf gestanden hat.«

»Aber es hat zum Verkauf gestanden, ganz sicher. Sonst hätten wir es ja nicht kaufen können.«

Fi starrt Lucy völlig verwirrt an. Was sie sagt, was sie tut, ist purer Wahnsinn, und dennoch sieht sie nicht wie eine Wahnsinnige aus. Nein, Lucy sieht aus wie eine Frau, die der festen Überzeugung ist, dass die Person, mit der sie spricht, die Verrückte ist.

»Vielleicht sollten Sie Ihren Mann anrufen«, sagt Lucy schließlich.

Genf, 13:30 Uhr

Er liegt im Hotelzimmer auf dem Bett, seine Arme und Beine zucken leicht. Die Matratze ist von guter Qualität, entworfen, um Schlaflosigkeit, Leidenschaft und schlimmste Albträume zu absorbieren, aber sie versagt darin, eine innere Unruhe wie seine zu bekämpfen. Nicht einmal die zwei Antidepressiva, die er geschluckt hat, haben ihn beruhigt.

Vielleicht sind es die Flugzeuge, die ihn verrückt machen, die unbarmherzige Art, wie sie, eines nach dem anderen, knirschend vorbeirollen und unter ihrem eigenen Gewicht stöhnen. Doch es liegt wohl eher an der entsetzlichen Tat, die er begangen hat, an der Erkenntnis, die ihn jetzt mit aller Härte trifft, was er alles geopfert hat.

Denn jetzt ist es real. Die Schweizer Uhr hat geschlagen. Halb zwei hier, halb eins in London. Er ist jetzt auch körperlich, was er seit Wochen im Geiste ist: ein Flüchtiger, ein Mann, der selbstverschuldet auf der Straße sitzt. Ihm wird bewusst, dass er in seiner Trostlosigkeit auf Erlösung gehofft hatte, dass sich jedoch nun, da die Zeit gekommen ist, etwas noch Trostloseres eingeschlichen hat: Nichts. Nur dasselbe ekelhafte Gebräu an Emotionen, das er verspürt, seit er früh am Morgen das Haus verlassen hat, irgendwie erbittert fatalistisch und gleichzeitig auf Überleben getrimmt.

O Gott. Oh, Fi. Weiß sie es schon? Jemand wird es gewiss bemerkt haben? Jemand wird sie wegen der Neuigkeit angerufen haben. Womöglich ist sie schon auf dem Weg zum Haus.

Er stemmt sich hoch, lehnt sich mit dem Rücken gegen das Kopfteil und versucht, im Zimmer einen Anker zu finden. Der Sessel ist aus rotem Kunstleder, der Schreibtisch schwarzes Furnier. Ein Revival der 1980er-Ästhetik, irgendwie verstörend. Er schwingt die Beine über die Bettkante. Der Boden ist warm unter seinen nackten Füßen, Vinyl oder etwas anderes Künstliches. Fi würde wissen, was für ein Material es ist, sie liebt Innenarchitektur.

Bei dem Gedanken durchzuckt ihn ein Schmerz, eine neue Atemlosigkeit. Er steht auf, braucht unbedingt frische Luft – der Raum im fünften Stock wird von einer Zentralheizung gespeist –, aber hinter dem komplizierten Vorhangarrangement sind die Fenster abgeschlossen. Autos, weiß und schwarz und silbern, schießen über die Fahrbahnen zwischen Hotel und Flughafengebäude, dahinter erheben sich, trennend und beschützend zugleich, die Berge, ihre weißen Gipfel mit lichtblauem Schimmer. Wie ein Gefangener dreht er sich erneut zum Zimmer zurück und denkt unerwartet an seinen Vater. Seine Finger greifen nach dem Sessel, umklammern die Lehne. An den Namen dieses Hotels, das er wegen der Nähe zum Flughafen ausgewählt hat, kann er sich nicht erinnern, aber er weiß, dass es so seelenlos ist, wie er es verdient.

Denn er hat seine Seele verkauft. Nicht mehr und nicht weniger.

Aber es ist noch nicht so lange her, dass er vergessen hätte, wie es sich anfühlt, eine zu haben.

2

März 2017

Willkommen auf der Website von Das Opfer, dem vielgepriesenen Crime-Podcast und Gewinner des National Documentary Podcast Listeners’ Award. In jeder Episode wird die wahre Geschichte eines Verbrechens aus Sicht des Opfers erzählt. Das Opfer ist keine behördliche Ermittlung, sondern ein privilegierter Einblick in das Leiden eines unschuldigen Menschen. Von Stalking über Identitätsdiebstahl und häusliche Gewalt bis hin zu Immobilienbetrug ist die Erfahrung eines jeden Opfers eine erschreckende Reise, zu der wir Sie einladen – und ein warnendes Beispiel unserer Zeit.

Die brandneue Folge »Fionas Geschichte« ist jetzt verfügbar! Hier auf der Website oder bei einer unserer vielen Podcast-Apps. Und nicht vergessen: Schreiben Sie uns beim Zuhören auf Twitter unter #OpferFiona Ihre Theorien!

Warnung: Nicht für Zuhörer unter 16 Jahren geeignet!

Staffel 2, Episode 3: »Fionas Geschichte«> 00:00:00

Mein Name ist Fiona Lawson, und ich bin dreiundvierzig Jahre alt. Ich darf Ihnen nicht verraten, wo ich wohne, nur, wo ich früher gewohnt habe, denn vor sechs Wochen hat mein Ehemann unser Haus ohne mein Wissen und ohne meine Einwilligung verkauft. Ich weiß, ich sollte das Wort »behaupten« benutzen, genau genommen bei jeder einzelnen meiner Aussagen. Wie wäre es also damit: Ich »behaupte«, dass das, was ich in diesem Interview sage, der Wahrheit entspricht. Ich meine, rechtsgültige Verträge lügen nicht, oder? Und seine Unterschrift wurde von Experten auf ihre Echtheit überprüft. Ja, die genauen Details des Verbrechens müssen noch aufgeklärt werden – einschließlich der Identität seiner Komplizin –, aber wie Sie sich gewiss vorstellen können, muss ich selbst noch mit dem zentralen Punkt klarkommen, nämlich dass ich kein Zuhause mehr habe.

Ich habe kein Zuhause mehr!

Sobald Sie meine Geschichte gehört haben, werden Sie natürlich denken, dass ich niemandem außer mir selbst die Schuld geben darf – genau wie Ihre Zuhörer das tun werden. Ich weiß, wie das abläuft. Sie werden jetzt alle auf Twitter gehen und schreiben, wie naiv ich bin. Und das verstehe ich. Ich habe mir die gesamte erste Staffel angehört und mir genau dasselbe gedacht. Der Grat zwischen einem Opfer und einem Dummkopf ist schmal.

»Das hätte jedem passieren können, Mrs Lawson«, hat mir die Polizistin an dem Tag gesagt, als ich es herausfand, aber sie war nur nett, weil ich weinte, und weil sie wusste, dass es mit einer Tasse Tee nicht getan wäre. (Mit Morphium vielleicht.)

Nein, das hätte nur jemandem wie mir passieren können, einer, die zu idealistisch, zu gutgläubig ist. Einer, die sich selbst etwas vormacht, bis sie glaubt, sie könne sogar das Wesen eines Menschen verändern. Einem schwachen Mann Stärke verleihen. Ja, ich weiß, das klingt abgedroschen.

Warum nehme ich an dieser Sendung teil? Jeder, der mich kennt, wird Ihnen versichern, dass ich ein öffentlichkeitsscheuer Mensch bin. Warum setze ich mich dann Spott oder Mitleid oder noch Schlimmerem aus? Nun, teilweise, weil ich andere warnen will, dass so etwas wirklich passieren kann. Immobilienbetrug ist im Kommen: In den Zeitungen wird jeden Tag darüber berichtet, die Polizei und die Immobilienanwälte unternehmen große Anstrengungen, um mit der Technologie Schritt zu halten. Hausbesitzer müssen auf der Hut sein. Die Versuche von professionellen Kriminellen – oder in meinem Fall Amateuren – kennen keine Grenzen.

Außerdem ist es eine laufende Ermittlung, und meine Geschichte könnte dem einen oder anderen Gedächtnis auf die Sprünge helfen oder jemanden ermutigen, der wichtige Informationen hat, sich bei der Polizei zu melden. Manchmal weiß man überhaupt nicht, was wichtig ist, bis man den gesamten Kontext kennt, deshalb stört sich die Polizei nicht an meinem Vorhaben – nun ja, sagen wir mal so, man hat es mir zumindest nicht ausdrücklich verboten. Wie Sie wahrscheinlich wissen, kann ich dank des Aussageverweigerungsrechts, das Ehegatten haben, bei einem Prozess nicht gezwungen werden, gegen Bram auszusagen. (Ich lach mich tot!) Wir sind zwar noch verheiratet, aber ich erachte ihn seit dem Tag, an dem ich ihn aus dem Haus geworfen habe, als meinen Exmann. Natürlich darf ich gegen ihn aussagen, aber wir lassen die Sache erst einmal auf uns zukommen, meint meine Anwältin.

Um ehrlich zu sein, beschleicht mich allmählich das Gefühl, dass sie glaubt, es werde nie zu einer Anklage kommen. Mich beschleicht allmählich das Gefühl, sie glaubt, dass er längst eine neue Identität, ein neues Zuhause, ein neues Leben hat – alles gekauft mit seinem neuen Reichtum.

Sie meint, die Anzahl der Menschen, die immer weniger Skrupel haben, einander zu betrügen, nehme zu.

Selbst bei Ehemännern und Ehefrauen.

Apropos: Denken Sie, es bestünde die reelle Chance, dass er das hier hören und zum Anlass nehmen könnte, sich bei mir zu melden? Nun, lassen Sie sich eins gesagt sein, lassen Sie ihm eins gesagt sein – und es ist mir egal, wie das vielleicht bei der Polizei ankommt.

Wage es bloß nicht, zurückzukommen, Bram. Ich schwöre, wenn du das tust, dann bringe ich dich um.

#OpferFiona

@rachelb72: Wo steckt nun der Ehemann? Hat er sich aus dem Staub gemacht?

@patharrisonuk @rachelb72: Er ist wohl mit dem Geld abgehauen. Wie viel das Haus wohl wert war?

@Tilly-McGovern @rachelb72 @patharrisonuk: Das war ihr EHEMANN? Wow. Die Welt ist ein dunkler Ort.

Bram Lawson, Auszug aus einem Word-Dokument, im März 2017 per E-Mail verschickt aus Lyon, Frankreich

Lassen Sie mich jeden Zweifel sofort ausräumen und seien Sie versichert, dass dies ein Abschiedsbrief ist. Wenn Sie das hier lesen, habe ich es längst getan. Bringen Sie die Nachricht den beiden bitte schonend bei. Ich mag ein Monster sein, aber ich bin immer noch ein Vater, und es gibt zwei Jungen, die es bedauern werden, mich verloren zu haben, und die mich in besserer Erinnerung behalten sollen.

Vielleicht ja auch ihre Mutter, diese ganz besondere Frau, deren Leben dank mir gerade ein Albtraum sein muss.

Und die ich – nur fürs Protokoll – immer noch liebe.

3

»Fionas Geschichte«> 00:03:10

Schrecklich, wenn nicht gar katastrophal, wie die Situation ist, passt es irgendwie, dass sie so ein Ende genommen hat, denn es hat sich alles immer ums Haus gedreht. Unsere Ehe, unsere Familie, unser Leben: Das alles schien nur zu Hause richtig Sinn zu ergeben. Wenn man uns herausriss – selbst bei einem der schicken Urlaube, die wir uns gegönnt haben, als die Kinder sehr klein waren und wir unter gewaltigem Schlafmangel litten – und der Lack allmählich Kratzer abbekam. Das Haus gab uns Sicherheit und beschützte uns, aber es definierte uns auch. Es hielt uns noch lang nach unserem Verfallsdatum auf Kurs.

Und seien wir mal ehrlich: Wir sind hier in London, und in den letzten Jahren hat uns das Haus mehr Vermögenszuwachs beschert, als Bram oder ich durch unsere Gehälter hätten beisteuern können. Er war damals der Hauptverdiener in unserer Familie, unser gütiger Ernährer. Freunden und Nachbarn ging es ähnlich, als hätte man uns unserer menschlichen Kraft beraubt und sie in Ziegel und Mörtel investiert. Alles, was am Monatsende übrig war, wurde nicht in Rentenfonds oder Privatschulen oder eherettende Wochenenden in Paris gesteckt, sondern ins Haus. Du weißt, es wird sich auszahlen, versicherten wir einander. Keine Frage.

Da fällt mir etwas ein, das ich ganz vergessen hatte. An jenem Tag – dem entsetzlichen Tag, als ich nach Hause kam und die Vaughans in meinem Haus entdeckte – fragte Merle sie unverblümt, woran ich bis dahin keinen Gedanken verschwendet hatte: »Wie viel haben Sie bezahlt?«

Und obwohl meine Ehe, meine Familie, mein Leben zerstört waren, hielt ich mit Schluchzen inne, um der Antwort zu lauschen:

»Zwei Millionen«, sagte Lucy Vaughan in einem gebrochenen Flüsterton.

Und ich dachte: Es ist mehr wert.

Wir sind mehr wert.

Wir hatten es für ein Viertel davon gekauft – immer noch eine stattliche Summe, die uns damals schlaflose Nächte bereitet hatte. Doch sobald mein Blick auf die Trinity Avenue 91 fiel, konnte ich mir nicht vorstellen, irgendwo anders an Schlaflosigkeit zu leiden. Es war die gutbürgerliche Zuversicht der Backsteinfassade, mit ihren hellen Steinornamenten und dem Kalkanstrich, dem Blauregen, der sich um das schmiedeeiserne Geländer des schmalen Balkons über der Tür rankte. Eindrucksvoll, aber trotzdem nicht unnahbar. Solide, aber romantisch. Ganz zu schweigen von den Nachbarn mit derselben Sicht auf die Dinge wie wir. Nach langer Suche hatten wir dieses wunderbare Fleckchen Erde aufgestöbert, auf einen U-Bahnhof für diese Beschaulichkeit verzichtet, die man in den Vororten bekommt – dieses wohlige Gefühl, als sei die Luft mit Puderzucker bestäubt wie köstliches Konfekt.

Das Innere war eine andere Sache. Wenn ich jetzt an all die Renovierungsarbeiten denke, die wir im Lauf der Jahre vorgenommen haben, an die Energie, die das Haus schluckte, ganz zu schweigen das Geld, kann ich nicht glauben, dass wir das alles überhaupt auf uns genommen haben. Da waren, in keiner spezifischen Reihenfolge: die aufpolierte Küche, die aufgefrischten Bäder, der aufgepeppte Garten vorne und hinten, die restaurierte Garderobe im Erdgeschoss, die reparierten Schiebefenster, das renovierte Parkett. Dann, als uns die »auf«- und »re«-Verben ausgingen, gab es einen Haufen mit »neu«: eine neue Verandatür von der Küche in den Garten, neue Küchenschränke und eine neue Arbeitsplatte, neue Einbauschränke in den Zimmern der Jungen, eine neue Glas-Trennwand zum Essbereich, ein neuer Zaun und ein neues Tor zur Straße, ein neues Spielhaus samt neuer Rutsche im Garten … So ging es immer weiter, eine unaufhörliche Abfolge an Erneuerungen, mit Bram und mir – nun ja, hauptsächlich mir – wie das Gremium einer gemeinnützigen Einrichtung, die ihr jährliches Budget zusammenkratzt, sämtliche Freizeit investiert, um Angebote einzuholen, Handwerker zu finden und zu beaufsichtigen, on- und offline nach Einrichtungsgegenständen und Einbauten und dem nötigen Werkzeug zu suchen, um alles einzurichten und einzubauen, Farben und Textilien aufeinander abzustimmen. Und das Tragische ist, dass ich mich niemals, kein einziges Mal, zufrieden zurückgelehnt und mir gesagt habe: »Es ist fertig!« Die Vorstellung vom perfekten Haus verführte mich wie der Wüstling in einem altmodischen Groschenroman.

Natürlich, wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich wahrscheinlich keinen Finger mehr krümmen. Ich würde mich auf die Menschen konzentrieren. Ich würde ihnen ein anderes Ziel geben, bevor sie sich selbst zerstören.

#OpferFiona

@ash-buckley: Wow, unglaublich, wie billig damals Häuser waren.

@loumacintyre78 @ash-buckley: Billig? 500.000? Nicht in Preston. Es gibt auch ein Leben außerhalb von London!

@richieschambers: Aufgepeppte Gärten? Farben abstimmen? Gibt es diese Frau wirklich?

Die früheren Eigentümer waren ein älteres Ehepaar, genau die Sorte, die wir in meiner Vorstellung einmal werden würden. Mäßig erfolgreich als Lehrer (sie hatten das Haus gekauft, als man noch keine Jobs in Unternehmen brauchte wie bei uns, oder später welche in der Finanzwelt wie bei den Vaughans, um sich ein nettes Einfamilienhaus leisten zu können) und voller Zuversicht, weil die Kindererziehung abgeschlossen war, wollten sie Eigenkapital freisetzen, um selbst frei zu sein. Sie wollten reisen, und ich stellte sie mir als wiedergeborene Nomaden vor, die eine Wüstendurchquerung unter den Sternen unternahmen.

»Es muss schwer sein, sich von einem Haus wie diesem zu verabschieden«, sagte ich zu Bram auf der Rückfahrt zu unserer Wohnung, nachdem wir zum Ausmessen für die Vorhänge hingefahren waren, was mit einer oder zwei Flaschen Wein geendet hatte. Höchstwahrscheinlich hatte er die Geschwindigkeitsbegrenzung und auch die Promillegrenze überschritten, aber damals, bevor die Jungs da waren, als nur unser eigenes Leben auf dem Spiel stand, störte es mich nicht. »Ich finde, sie wirkten etwas melancholisch«, fügte ich hinzu.

»Melancholisch? Sie werden sich den ganzen Weg zur Bank die Augen aus dem Kopf heulen«, sagte Bram.

Bram, Word-Dokument

Wie bin ich nur an diesen Punkt gelangt? Diese ausweglose Verzweiflung? Wirklich, es wäre für alle Beteiligten besser gewesen, hätte ich ihn viel früher erreicht. Selbst die Kurzfassung ist eine lange Geschichte (okay, das hier ist also ein bisschen mehr als ein kleiner »Abschiedsbrief« – es ist ein umfassendes Geständnis).

Bevor ich anfange, muss ich diese Frage stellen: War das Haus selbst verdammt? Hat es einfach jeden, der darin wohnt, mit in den Abgrund gezogen?

Das alte Ehepaar, von dem wir es kauften, hatte sich getrennt. Es war dem Immobilienmakler herausgerutscht, als er und ich nach einem Treffen mit dem Handwerker einen Abstecher ins Two Brewers machten. (»Lust, die Kneipe um die Ecke auszuprobieren?«, fragte er, und ich brauchte wohl keine zweite Einladung.)

»Das ist nicht die Art Information, die man potenziellen Käufern gern auf die Nase bindet«, gestand er. »Niemand will wissen, dass er in ein Haus einzieht, das Zeuge des Scheiterns einer Ehe war.«

»Hmm.« Ich nahm das Glas und hob es mir an die Lippen, wie ich es in Zukunft an diesem Tresen noch unzählige Male tun würde. Das Pale Ale war angenehm süffig, und das Pub hatte seinen alten Charme behalten, war im Gegensatz zu vielen anderen in der Nähe noch nicht zu einem Gastropub aufgehübscht worden.

»Sie wären überrascht, wie häufig Scheidungen bei Paaren vorkommen, deren Kinder das Nest verlassen«, fuhr er fort. »Das jüngste schwirrt zur Uni ab, und auf einmal haben er und die Göttergattin Zeit und stellen fest, dass sie sich hassen, und das schon seit Jahren.«

»Wirklich?« Ich war überrascht. »Ich dachte, es wäre nur die Generation unserer Eltern, die den Kindern zuliebe zusammenbleibt.«

»Stimmt nicht. Nicht in Gegenden wie dieser, mit Menschen wie denen. Hier geht es traditioneller zu, als Sie glauben.«

»Nun, es ist nur eine Scheidung. Könnte schlimmer sein. Es könnten Leichenteile sein, die im Abwasserrohr gefunden werden.«

»Das hätte ich Ihnen definitiv nicht erzählt«, erwiderte er lachend.

Fi habe ich nichts davon erzählt. In ihrer romantischen Vorstellung haute das ältere Ehepaar seine Pension auf den Kopf und ritt wie Lawrence von Arabien auf Kamelen durch die Wüste oder flog mit einem Heißluftballon über den Vesuv. Als hätten sie nicht bereits vierzig Jahre Schulferien hinter sich, um die Welt zu bereisen.

Zu dem Zeitpunkt hatten wir uns schon mindestens zwei Dutzend andere Häuser angesehen, und ich wollte keinesfalls riskieren, dass sie beim ersten, das unseren Vorstellungen entsprach, ihre Meinung mit der Begründung änderte, »Melancholie« sei eine Art ansteckende Krankheit. Wie Windpocken oder Tuberkulose.

»Fionas Geschichte«> 00:07:40

War mir bewusst, dass das Haus an Wert gewann? Natürlich, wir waren alle ständig auf Portalen wie Rightmove unterwegs. Aber ich hätte es niemals verkauft. Ganz im Gegenteil: Ich hegte die Hoffnung, es in der Lawson-Familie zu belassen, irgendeinen steuerlichen Trick zu finden, damit die Jungs ihre Kinder dort großziehen, und die Köpfe meiner Enkel nachts auf denselben Kissen liegen könnten, unter denselben Fenstern wie meine Söhne damals.

»Wie soll das funktionieren?«, fragte meine Freundin Merle. Sie wohnt zwei Türen weiter neben meinem Haus, die Straße runter – neben meinem früheren Haus, es fällt mir immer noch schwer, das zu sagen. »Ich meine, wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Frauen unter einem Dach zusammenleben wollen?«

Es verstand sich von selbst, dass die Frauen der Zukunft das Ruder in der Hand haben würden. In der Trinity Avenue, Alder Rise, würde das Matriarchat vorherrschen.

»Über die genauen Details habe ich noch nicht nachgedacht«, sagte ich. »Darf ich nicht einfach ein kleines Luftschloss bauen?«

»Mehr ist es auch nicht, Fi.« Merle bedachte mich mit ihrem sanften, geheimnisvollen Lächeln, das einem das Gefühl gab, auserwählt zu sein, als würde sie es nur ganz besonderen Menschen schenken. Von den Frauen in meinem Freundeskreis war sie diejenige, die sich am wenigsten um ihr Äußeres kümmerte – klein und athletisch, mit dunklen Augen, gelegentlich leicht verpeilt –, was sie zwangsläufig zu einer besonders attraktiven Frau machte. »Du weißt so gut wie ich, dass wir alle früher oder später verkaufen müssen, um unser Altenheim zu bezahlen und unsere Demenzpflege.«

Die Hälfte der Frauen in der Straße fürchtete, dement zu sein, aber in Wirklichkeit waren sie nur überlastet oder litten an generalisierter Angststörung. Das war der Grund, der Merle, Alison, Kirsty und mich zueinandergeführt hatte: Wir »pflegten« keine Neurosen. Wir behielten immer einen kühlen Kopf. (Wir hassten diese Redewendung »Keep calm and carry on«!)

Wenn ich mich jetzt höre, klingt es lächerlich: Wir »pflegten« keine Neurosen? Was ist mit denen, die durch gescheiterte Ehen, Verrat und Betrug ausgelöst werden? Für wen hielt ich mich damals?

Das haben Sie wahrscheinlich längst entschieden. Ich weiß, jeder wird ein Urteil über mich fällen. Glauben Sie mir, das habe ich auch. Aber was wäre der Sinn davon, das hier zu tun, wenn ich nicht ehrlich bin, mit all meinen Fehlern und Schwächen?

#OpferFiona

@PeteYIngram: Hmm. M.E. kann man den Verlust einer Luxusimmobilie nicht damit vergleichen, Opfer eines Gewaltverbrechens zu sein.

@IsabelRickey101 @PeteYIngram: Was denken Sie denn? Sie ist obdachlos!

@PeteYIngram @IsabelRickey101: Sie lebt nicht auf der Straße, oder? Sie hat immer noch ihren Job.

Womit verdiene ich meinen Lebensunterhalt? Ich arbeite vier Tage die Woche als Account-Managerin für ein großes Handelsunternehmen von Wohnaccessoires – seit Kurzem bin ich für unser neues Portfolio fair produzierter Teppiche zuständig, ebenso wie für wunderschöne, mit Spiralen gestaltete Dekoartikel von italienischen Glasherstellern.

Es ist eine tolle Firma, mit einem ganzheitlichen und zukunftsorientierten ethischen Konzept. Können Sie sich vorstellen, dass sie mir einen Teilzeitvertrag angeboten haben, damit ich Beruf und Kinder besser unter einen Hut bekomme? Und das bei einem Handelsunternehmen? Sie haben sich einer EU-Initiative verpflichtet, um berufstätige Mütter zu unterstützen, und ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Nun, Sie wissen, was man sagt, wenn so etwas passiert: niemals kündigen.

Es stimmt, ich hätte wahrscheinlich mehr verdient, wenn ich für einen dieser riesigen, halsabschneiderischen Großkonzerne gearbeitet hätte, aber mir war die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben schon immer wichtiger als das Gehalt. Ein paar von uns wollen anderen nicht den Hals abschneiden, nicht wahr? Ich weiß, es ist ein Klischee, aber ich liebe es, mit handgefertigten Produkten zu arbeiten, die ein Haus in ein Zuhause verwandeln.

Ja, selbst jetzt, wo ich kein eigenes mehr habe.

Bram, Word-Dokument

Ich habe seit fast zehn Jahren für einen Hersteller von Orthopädiebedarf in Croydon gearbeitet, als regionaler Vertriebsleiter für den Südosten. Ich war viel unterwegs, besonders in den ersten Jahren. Ich habe alle möglichen Stützvorrichtungen verkauft – für Knie, Ellbogen, was auch immer –, und Nackenkissen und Abdominalbandagen, aber im Grunde hätte es auch irgendetwas anderes sein können. Büroklammern, Hundefutter, Sonnenkollektoren, Reifen.

Es spielte damals keine Rolle, und es spielt auch jetzt keine.

4

»Fionas Geschichte«> 00:10:42

Ja, Bram und ich haben uns letzten Sommer getrennt. Soll ich Ihnen verraten, warum? Ich werde es Ihnen ganz genau sagen, und auch ganz genau, wann: Am 14. Juli 2016, um zwanzig Uhr dreißig. Genau zu diesem Zeitpunkt habe ich bemerkt, wie er im Spielhaus der Kinder hinten im Garten mit einer anderen Frau vögelte.

Ich weiß, ausgerechnet dort! In einer wunderschönen, abgelegenen, lichtdurchfluteten Oase voller Hortensien und Fuchsien und Rosen, eingebettet in ein schiefes Rechteck aus niedergetretenem Rasen und einem blau-weißen Fußballtor, dem Schauplatz zahlreicher Strafstöße. Ein Rückzugsort für Kinder.

Fast so unverzeihlich wie der Akt selbst.

Eigentlich war ich mit Kollegen im Pub verabredet, und Bram sollte auf die Jungs aufpassen, aber das Treffen war abgesagt worden, und anstatt vorher zu Hause anzurufen und der Familie Bescheid zu geben, wollte ich sie lieber überraschen … Sie wissen, dieses Klischee, unverhofft zur Gute-Nacht-Geschichte hereinzuplatzen und ihre kleinen Gesichter zu sehen, die vor Freude aufleuchten. Mami, du bist da! Etwas Anerkennung einheimsen für etwas, das normalerweise als gegeben vorausgesetzt wird. Na gut, ich gebe zu, dass ich vielleicht auch überprüfen wollte, ob Bram sich an die Abendroutine hält. Aber nur, weil ich hoffte, dass dem auch so war.

Natürlich würde er argumentieren, dass ich ihn in Wirklichkeit nur dabei ertappen wollte, wie er die Sache vergeigt, und jetzt frage ich mich, ob da nicht vielleicht ein Körnchen Wahrheit drinsteckt. Vielleicht hat er gesündigt, weil er wusste, dass ich es erwartete, vielleicht war dieses gesamte Horrorszenario eine selbsterfüllende Prophezeiung.

(Opfer neigen dazu, sich selbst die Schuld zu geben. Ich schätze, das wissen Sie.)

Wie dem auch sei, das Haus lag still da, als ich die Tür aufsperrte – bei der Bahn hatte es mal wieder Verspätungen gegeben, und ich hatte die Insbettgehzeit der Kinder doch verpasst. Ich nahm an, dass Bram immer noch oben wäre, eingedöst beim Vorlesen von James und der Riesenpfirsich – es gab keinen Mann in Alder Rise, dem das nicht schon mal passiert war, eingelullt durch die eigene Stimme, betäubt durch den parallelen Erzählstrang von der Arbeit in seinem Kopf. Doch als ich auf Zehenspitzen hoch in den ersten Stock schlüpfte, um dort nachzusehen, fand ich die Jungen in den richtigen Betten in den richtigen Zimmern vor, die Verdunklungsrollos nach unten gezogen, die Nachtlichter angeschaltet auf ihren blau lackierten Nachttischen. Alles war, wie es sein sollte – abgesehen davon, dass jede Spur von ihrem Vater fehlte.

»Bram?«, flüsterte ich. Während ich von einem Zimmer ins andere schlich, spürte ich, wie sich meine Verärgerung auf eine unschöne, selbstgerechte Art zuspitzte. Er hat sie allein gelassen, dachte ich auf dem Weg zurück ins Erdgeschoss. Er hat sie verdammt noch mal allein gelassen, einen Sieben- und einen Achtjährigen! Wahrscheinlich, um sich auf der Hauptstraße ein widerliches Abendessen zu holen, oder sogar für ein Bierchen im Two Brewers. Doch dann dachte ich: Nein, sei nicht unfair, das hat er noch nie getan. Er ist ein guter Vater, das weiß jeder. Es ist viel wahrscheinlicher, dass er sein Handy im Auto vergessen und kurz rausgesprungen ist, um es zu holen. Dank der Nähe zur Hauptstraße und gleichzeitig dem Umstand, dass so viele Haushalte in der Trinity Avenue mindestens zwei Autos besaßen, war uns nur höchst selten ein Parkplatz vor dem eigenen Haus vergönnt, und es kam oft vor, dass wir die Straße runter parken mussten, jenseits der Kreuzung mit Wyndham Gardens. Höchstwahrscheinlich hatten wir uns auf dem Gehsteig um Sekunden verpasst: Er würde jeden Moment durch die Tür spazieren. Wenn wir den Vorgarten betonieren, würde uns dieses Theater erspart bleiben, würde er dann sagen und die Autoschlüssel in die Designerschale auf dem Konsolentisch im Gang werfen.

Doch er sagte es nicht, weil er nicht durch die Tür spazierte und weil weiterhin der Umstand im Raum stand, dass die Kinder ohne einen Erwachsenen, der auf sie aufpasste, im Haus wären, wenn meine Verabredung nicht abgesagt worden wäre.

Ja, natürlich war ich besorgt, dass ihm irgendetwas zugestoßen sein könnte, aber nur sehr kurz, denn als ich in die Küche kam, erspähte ich auf der Arbeitsplatte eine geöffnete Weißweinflasche. Die Kondenströpfchen deuteten darauf hin, dass sie erst vor Kurzem aus dem Kühlschrank geholt worden war – wenn ihn also Außerirdische entführt hatten, war er zumindest mit einem Glas Sancerre in der Hand verschwunden.

Die Küchentür war nicht abgesperrt, und ich trat hinaus in den windstillen Abend, wo alles grün und rosa und golden leuchtete. Obwohl ich im Garten keine menschliche Gegenwart wahrnahm, brachte mich eine unklare Eintrübung meiner Stimmung dazu, den Pfad zum Spielhaus am hinteren Ende des Gartens einzuschlagen. Es war erst ein paar Monate alt, ein süßes, kleines Ding mit einer Leiter zum Dach und einer Rutsche, die sich an der Seite hinabschlängelte, maßgefertigt und erbaut von Bram. Die Tür, normalerweise sperrangelweit offen, war geschlossen.

Aus den Gärten der angrenzenden Häuser hörte ich die typischen Geräusche eines Sommerabends – Ehemänner und Ehefrauen, die zum Essen an den Tisch riefen, eine letzte Ermahnung an die Kinder, zum Schlafen ins Haus zu kommen, Hunde und Füchse und Vögel und Katzen, die etwas an der Nähe des jeweils anderen auszusetzen hatten –, aber ich reihte mich nicht bei ihnen ein, indem ich Brams Namen rief, denn inzwischen war ich sicher, dass er im Spielhaus war.

Was hatte ich erwartet, als ich über den Fuß der Rutsche trat und durch das Fenster spähte? Eine Haschpfeife? Ein geöffnetes Laptop mit dem eingefrorenen Bild von etwas unsäglich Entsetzlichem? Ganz ehrlich, im Grunde erwartete ich, ihn heimlich eine Zigarette rauchen zu sehen, und beruhigte mich schon wieder, während ich den Plan fasste, den Rückzug anzutreten. Immerhin gab es schlimmere Vergehen, und ich war nicht seine Hausärztin.

Ein Augenblick verstrich, in der die Umrisse zu abstrakt waren, um sie genau zu bestimmen, aber es währte nur eine Sekunde, denn der Rhythmus war durchaus real, wenn nicht gar banal: ein Mann und eine Frau, die miteinander schliefen. Ein verheirateter Mann und eine Frau, die nicht seine Ehefrau war, schoben eine schnelle Nummer, denn Zeit war hier von essenzieller Bedeutung. Ja, sie war an diesem Abend fort, aber trotzdem waren die Kinder im Haus, und es durfte nicht passieren, dass sie aufwachten und allein waren. Und ihrer Mum am nächsten Morgen, noch atemlos vor Schreck, erzählten, ein regelrechter Wettstreit, wer die dramatischste Behauptung aufstellte: »Das ganze Haus war total leer!« – »Wir dachten, Daddy wäre ermordet worden!«

Mein Magen schien sich selbst zu zerfressen, als ich dort stand, überwältigt von einem unerwarteten Gefühl von Macht. Sollte ich die Tür aufreißen, wie er es verdiente, oder mich davonstehlen und den rechten Augenblick abpassen? (Aber weshalb? Um abzuwarten, ob er es noch einmal tun würde? Das hier war gewiss Beweis genug.) Dann erhaschte ich einen flüchtigen Blick auf sein Gesicht, die widerliche, wilde Fratze der Erregung, und ich wusste, dass mir keine andere Wahl blieb. Ich stieß die Tür auf und beobachtete, wie sie wie Tiere erschraken. Ein halbvolles Weinglas, das links neben der Tür stand, wackelte, fiel jedoch nicht um.

»Fi!«, formte er mit den Lippen tonlos, atemlos, benommen.

Sie müssen wissen, etwa ein Jahr zuvor hörte ich zufällig mit an, wie meine Schwester Polly mit einer Freundin über mich sprach: »In jeder anderen Hinsicht ist sie ein völlig normaler, intelligenter Mensch, aber wenn es um Bram geht, hat sie einen blinden Fleck. Sie verzeiht ihm einfach alles.« Und am liebsten wäre ich damals hineingestürmt und hätte sie angeschnauzt: »Ein Mal, Polly! Er hat es ein Mal getan!«

Nun, jetzt war es das zweite Mal. Und ich meine es ernst, wenn ich sage, es war eine Erleichterung, ihn beim Fremdgehen zu ertappen. Eine Erleichterung, die so mächtig war, dass sie fast an Freude grenzte.

»Bram«, erwiderte ich.

Bram, Word-Dokument

Ich werde mit der Sache im Spielhaus beginnen, mit der – da bin ich mir sicher – Fi anfangen würde, auch wenn es eine falsche Fährte ist, das versichere ich Ihnen. Doch es war der offizielle Katalysator, sozusagen unsere Ermordung des Erzherzogs Franz Ferdinand, und deshalb hat sie ihren angestammten Platz in dieser Geschichte – das akzeptiere ich.

Der Name meiner Komplizin spielt keine Rolle, und da ich bezweifle, dass ihr Ehemann von dem Seitensprung weiß, und weil er es nicht gutheißen würde, wenn sie mit mir und meinen Verbrechen in Verbindung gebracht wird, werde ich sie in diesem Dokument Constance nennen, nach Lady Chatterley. (Sie werden mir diesen kleinen Scherz hoffentlich nicht übelnehmen. Und nein, ich bin keiner großer Leser klassischer Literatur. Ich habe den Film einmal gesehen – es war Fis Wahl.)

»Ich dachte, ich schau mal kurz vorbei«, sagte sie an jenem Abend an der Tür, mit dem unverkennbaren Auftreten eines Menschen, der Waren feilbietet. Sie wirkte betrunken, aber es könnte sein, dass sie sich daran berauscht hat, die Sache initiiert zu haben – ein Aphrodisiakum an sich, wie Männer seit Jahrtausenden wissen. »Du hast mir angeboten, mir das Spielhaus von innen zu zeigen, weißt du noch?«

»Wirklich? Ich glaube nicht, dass es da viel zu sehen gibt«, sagte ich grinsend.

Sie fuchtelte mit ihrem iPhone herum. »Kann ich ein Foto machen, um es meinem Schreiner zu zeigen?«

»Deinem Schreiner?«, zog ich sie auf. »Nun, na klar, ja, aber du weißt, dass du diese Dinger zur Selbstmontage bei B&Q kaufen kannst? Ich habe nichts weiter getan, als es zusammenzuschrauben und dann die Rutsche zu bauen.«

»Aber die Rutsche ist das Beste dran«, rief sie. »Vielleicht probier ich sie aus – wenn mein Hintern nicht steckenbleibt.«

Was war das anderes als eine Einladung zum Hinsehen?

Sie trug ein weißes Baumwollkleid, das an den Schultern gerafft und unter den Brüsten mit einer Schleife zusammengebunden war, der Stoff so leicht, dass er sich bei jedem Schritt um ihre Oberschenkel schmiegte.

»Könnte ich vielleicht ein Glas Wein haben?«, fragte sie, als wir die Küche durchquerten.

Sie wissen, dass es nicht stimmt, dass Männer in Momenten der sexuellen Versuchung zu niederen Tieren degenerieren und sämtliche rationalen Gedanken über Bord werfen. Es ist mehr ein schrittweises Schwachwerden. Zuerst, als das Kleid langsam nach oben glitt, dachte ich: Denk nicht mal dran. Auf gar keinen Fall. Dann, als ich den Wein öffnete: Nun ja, irgendwann wäre es sowieso passiert. Danach, als ich sie den Gartenweg hinabführte (das klingt schlimm): Komm schon, zumindest nicht hier, nicht wenn deine Kinder oben schlafen. Schließlich: Okay, nur dieses eine Mal und dann nie wieder.

Zu diesem Zeitpunkt waren wir bereits im Spielhaus, die Tür hinter uns geschlossen, und sie presste sich leidenschaftlich an mich: Ihr Körper war überhitzt, ihre Haare dampfig, ihr Gesicht glühte. Es war die Hitze, der ich nicht widerstehen konnte – nicht der Umstand, dass sie weich oder kess oder feucht war, auch nicht der Geruch nach Schweiß oder Chanel oder Wein. Heiße Haut und das spürbare Pochen des Blutes eines anderen Menschen haben eine solche Intensität, dass man reagiert, als würde man von einem Magneten angezogen.

Es sagt dir, dass das, was dir geboten wird, die Sache wert ist.

Es sagt dir, dass es mehr wert ist als alles, was du besitzt. Alles, was du liebst.

Okay, vielleicht werden doch sämtliche rationalen Gedanken über Bord geworfen.

»Fionas Geschichte«> 00:17:36

Nein, ihren Namen werde ich Ihnen nicht verraten. Es gilt Rücksicht auf andere zu nehmen, nicht wahr? Das öffentliche An-den-Pranger-Stellen betrifft nicht nur den Angeklagten allein. Menschen haben Familie, geliebte Angehörige, die ins Kreuzfeuer geraten würden. Und letztlich spielt es keine Rolle. Sie hätte eine Maske tragen können, und ich hätte dasselbe empfunden. Das stimmt wirklich. Ich habe sie mit keinem Wort direkt angesprochen. Ich habe ihnen Zeit gelassen, sich aus dem Spielhaus zu schleichen, und im Wohnzimmer auf ihn gewartet. Ich habe den Fernseher eingeschaltet, um dem schuldbewussten Geflüster ihrer Verabschiedung nicht lauschen zu müssen, doch sobald ich hörte, dass sich die Haustür schloss, stellte ich ihn wieder ab.

Ich hörte seine Stimme, noch bevor sich der Türknauf zum Wohnzimmer drehte: »Fi, ich …«

Ich wirbelte herum und fiel ihm ins Wort: »Spar dir die Worte, Bram. Ich weiß, was ich gesehen habe, und ich habe keine Lust, es mit dir zu diskutieren. Das ist der Punkt, an dem es endet. Ich will, dass du ausziehst.«

»Was?« Er stand hilflos im Türrahmen und versuchte krampfhaft, den Schlag mit einem Lachen abzuwehren – zwei Drittel gespielte Tapferkeit, ein Drittel Angst. Seine Haare waren zerzaust und feucht an den Schläfen, und seine Haut war immer noch gerötet, hatte die sonderbare Verletzlichkeit eines Mannes, der beim Sex gestört worden war.

»Ich will die Trennung. Unsere Ehe ist vorbei.«

Ich konnte in seinem Gesicht ablesen: Er suchte verzweifelt nach der richtigen Reaktion, da mein Ton absoluter Entschlossenheit verstörender als jede Hysterie war, die er wohl erwartet hatte.

»Du dachtest, ich hätte die Jungs allein gelassen, nicht wahr?«, sagte er.

Ich kannte ihn in- und auswendig und wusste, dass seine Technik bei Konfrontationen nicht die war, seinen Standpunkt zu vertreten, sondern zu versuchen, meinen Blick darauf zu verändern, sodass das eigentliche Fehlverhalten unter den Teppich gekehrt wird.

»Du hast wirklich geglaubt, ich wäre einfach aus dem Haus gegangen und nicht hier, wenn sie mich brauchen?«

Das war selbst für ihn gewieft: Er stellte mich als die Schuldige hin, weil ich ihn zu Unrecht der Vernachlässigung beschuldigte. Wobei ich es nicht einmal laut ausgesprochen habe – ein Gedankenverbrechen. »Du hast das Haus verlassen«, zeigte ich auf.

»Aber nicht das Grundstück.«

»Nein, da hast du recht. Lass es uns ins rechte Licht rücken: Was du getan hast, war nichts anderes, als den Müll rauszutragen oder ein bisschen Unkraut zu jäten.«

Er hob die Augenbrauen, als hätte Sarkasmus keinen Platz in dieser Unterhaltung, als wäre er in der Position, den Moralapostel zu spielen. Doch seine Finger glitten an seine Lippen, wie immer, wenn er unsicher war.

»Geh und zieh zu deiner Mutter«, sagte ich kühl. »Wir können morgen reden und uns einen Weg überlegen, dass du die Jungen in den Schulferien sehen kannst.«

»In den Schulferien?« Er war erschüttert, als hätte er angenommen, jeglicher Rauswurf wäre nichts weiter als eine Auszeit, ein vorübergehendes Dampfablassen auf der Strafbank.

»Wenn es dir lieber ist, nehme ich sie und fahre zu meinen Eltern, aber ich denke, du wirst mir zustimmen, dass es weniger verstörend für sie wäre, wenn du gehst und wir bleiben.«

»Ja. Ja, natürlich.« Darauf bedacht, jetzt maximale Kooperation an den Tag zu legen, hastete er nach oben, um ein paar Dinge zusammenzusuchen. Es folgte eine kurze Pause in seiner Geschäftigkeit, bei der ich annahm, dass er sich an der Tür der Jungen herumdrückte und noch einmal nach ihnen sah, bevor er ging, und dieses Bild versetzte mir einen kleinen Stich.

»Fi?« Er war zurück im Türrahmen, eine Reisetasche zu seinen Füßen, doch ich stellte keinen Blickkontakt her.

»Ich will es nicht hören, Bram.«

»Nein, bitte«, flehte er mich an, »ich muss dir nur Eines sagen.«

Seufzend hob ich den Blick. Was könnte dieses Eine wohl sein? Ein Hypnosezauber, um mein Kurzzeitgedächtnis zu löschen?

»Was auch immer ich als Ehemann getan habe, dieser Mensch bin ich nicht als Vater. Ich werde alles tun, was du willst, damit die Jungs so wenig wie möglich leiden. Und ich in ihrem Leben bleiben kann.«

Ich nickte, nicht gänzlich ungerührt.

Dann verließ er das Haus. Er verschwand mit dem Gesichtsausdruck eines Mannes, der erkannt hat, dass der Felsvorsprung unter seinen Füßen abbröckelt und gleich völlig nachgeben wird.

#OpferFiona

@Emmashannock72: F***, wäre das mein Ehemann, würde ich ihn kastrieren!

@crime_addict: Sie hätte ihn an Ort und Stelle wie eine Weihnachtsgans rupfen sollen.

5

»Fionas Geschichte«> 00:21:25

Sie haben richtig gehört: Ich sagte »zweimal«. Er hat mich schon mal betrogen.

Was nicht bedeutet, dass wir niemals glücklich gewesen sind, denn das waren wir, das schwöre ich, viele Jahre lang. Am Anfang waren wir unzertrennlich, wir steckten uns nicht gegenseitig in eine Schublade, bis wir einander sicher waren. Da war eine physische Anziehungskraft, ja, aber auch eine mentale, eine echte Faszination von einer anderen Art Lebensstil. Ich war äußerlich ruhig, aber im Innern selbstbewusst, er war laut zur Welt, aber zu sich selbst, keine Ahnung … verloren, würde ich sagen, vielleicht sogar leer. Ich schätze, ich wollte ihn erfüllen. Bei unserer Heirat glaubte ich, mir wäre das Unmögliche gelungen, nämlich einen Mann zu binden, der sich niemals binden wollte – bis er mich traf, natürlich.

Okay, ich habe das Wichtige aus den Augen verloren und mich ablenken lassen, als das Haus nach meiner Aufmerksamkeit heischte, und dann waren da noch die Kinder, aber so geht es in dieser Lebensphase doch jedem. Ablenkungen gab es überall in der Trinity Avenue, man gewöhnte sich einfach daran, den Blick auf Unbedeutendes zu richten.

Dann, vor ein paar Jahren, schlief er bei einem Teambuilding-Event mit einer seiner Arbeitskolleginnen. Das Seminar beinhaltete eine Übernachtung in einem Hotel. Kostenlose Drinks, eine »Was in Vegas passiert, bleibt in Vegas«-Stimmung: das übliche Klischee. Ich sah Textnachrichten von ihr, die jedes Leugnen unmöglich machten, selbst für einen Mann wie Bram, der ein Meister der Ausreden ist.

Ich war mit den Jungs zu Hause, während dieses »Teambuilding« vonstattenging. Die beiden waren damals klein, vielleicht vier und fünf, und genauso anstrengend, wie man es sich vorstellt, selbst ohne meine eigene Arbeit und andere Verpflichtungen. Es war ein verabscheuungswürdiger Verrat, ja, aber verabscheuungswürdig auf eine vertraute, althergebrachte Art, und was auch immer die Menschen sagen mögen, es steckt ein gewisses Maß an Trost in dem Wissen, dass auch andere denselben Schmerz erlebt haben.

»Erzähl niemandem sonst, was er getan hat«, erinnerte ich mich an Alisons Worte, als ich ihr und Merle erklärte, dass ich die Entscheidung getroffen hatte, ihm zu verzeihen (nicht ganz das richtige Wort, aber der Einfachheit halber benutze ich es hier). »Es wird das Verhalten der Menschen dir gegenüber viel stärker verändern als ihm gegenüber.«

Es war ein Ratschlag, den ich glücklicherweise befolgt habe, denn selbst als ich mich mit meinen Sorgen an Polly wandte, wusste ich, dass es ein Fehler war. Sie, die Brams Charme von Anfang an ablehnend gegenüberstand, hatte jetzt den Beweis für ihre Intuition, den Beweis, der mit nichts zu entschuldigen war, selbst wenn ich genau das tat. Und genau wie Alison es vorausgesehen hatte, fand Polly den Fehler bei mir. »Du kannst dich doch nicht zu jemandem hingezogen fühlen, der so offensichtlich – nun ja, du weißt schon –, und dann erwarten, dass andere sich nicht auch zu ihm hingezogen fühlen«, sagte sie.

»So offensichtlich was?«

»Sexy, Fi. Und ruhelos, du weißt schon, auf diese coole Art.«

»Ist es das, was alle anderen von ihm denken?«

»Natürlich. Er ist dieser Typ Mann. Ein Draufgänger. Egal, wie sehr er sich bemüht, er lässt sich nicht gänzlich domestizieren.«

»Das sind dumme Klischees«, entgegnete ich.

Genau wie das Gespräch, das ich mit Bram selbst führte.

»Ich weiß nicht, ob ich dir jemals wieder vertrauen kann«, sagte ich zu ihm.

»Versuch es«, flehte er mich an. »Es wird nie wieder passieren, das musst du mir glauben.«

Versuchen, hoffen, glauben: tausendmal verlockender als die Alternative, wenn man zwei kleine Kinder hat. Und danach war er mir treu, da bin ich sicher – bis zu jenem Abend im vergangenen Juli.

War ich ihm treu? Sehr lustig. Natürlich war ich ihm treu. Ich verweise noch einmal auf die zwei kleinen Kinder. Selbst wenn ich das Verlangen nach einer Affäre gehabt hätte – was nicht der Fall war –, nun ja, dann hätte ich nicht die Zeit dafür gefunden.

Und nein, Polly ist nicht verheiratet.

Bram, Word-Dokument

Wenn es Ihnen noch nicht erzählt wurde, wird es bald passieren: Schon vorher gab es einen Ausrutscher. Ich werde nicht näher darauf eingehen, denn wie schon gesagt, es geht hier nicht um den Sex. Liebe und Treue sind nicht dasselbe, egal was Frauen behaupten. (Wiederum sehe ich keinen Grund, Namen zu nennen. Es war eine Kollegin bei einem Firmenevent, eine einmalige Sache. Kurz darauf hat sie die Firma verlassen.)

Warum habe ich die Frau betrogen, die ich liebe? Ich kann es wohl am besten erklären, indem ich Ihnen beteuere, dass es keine Sucht oder auch nur ein sexuelles Verlangen war, sondern mehr eine Erinnerung an den Hunger nach Jahren des guten Essens. Der Glaube, ich wäre besser, wenn ich verzweifelt war, meine Sinne schärfer, die Lust intensiver. Die Nostalgie eines Egomanen.

Ich werde das nicht weiter ausführen. Höchstwahrscheinlich verdrehen Sie bereits die Augen. Diesen letzten Absatz werden Sie Ihrem Kollegen zeigen und sagen: »Alles klar, genug gehört.«

»Fionas Geschichte«> 00:24:41

Apropos, glauben Sie ja nicht, ich wusste nach der Affäre mit der Arbeitskollegin nicht, dass Polly ihn »Wham Bram Thank You Ma’am« nannte, nach dem Lied von Dean Martin.

Ziemlich clever, das muss ich gestehen.

Wie sie ihn nach dem Vorfall im Spielhaus nannte, ist zu anstößig fürs Radio.

Bram, Word-Dokument

Als die Kinder klein waren, nannten wir Fi, wenn sie das Kriegsbeil ausgrub, »Fee Fi Fo Fum«. Liebevoll gemeint, natürlich, aber meinerseits zunehmend weniger liebevoll, je mehr mir dämmerte, dass sie es neun von zehn Mal mit diesem Beil auf mich abgesehen hatte.

6

Freitag, 13. Januar 2017

London, 13:00 Uhr

Die Nummer, die Sie gewählt haben, ist nicht erreichbar.

»Kein Glück?«, fragt Lucy Vaughan.

»Nein.« Sie muss diese Frau mit ihren gefälschten E-Mails und falschen Fantasien darüber, dass ihr das Haus einer anderen gehörte, endlich loswerden. Soll sie lieber gleich die Polizei rufen? Oder abwarten, bis sie Bram erreicht hat, damit sie sich dieses ungeheuerlichen Überfalls gemeinsam erwehren können? Und nun, wo so viele Möbel der Vaughans bereits ausgeladen sind, haben sie da irgendwelche Hausbesetzerrechte? Sind sie streng genommen schon die rechtmäßigen Bewohner?

Auf die Fragen gibt es keine Antworten. Sie fühlen sich so irreal an wie die Bilder vor ihren Augen. Die ganze Geschichte wirkt wie eine Halluzination, der nicht zu trauen ist.

Sie versucht es erneut bei Bram. Ein drittes Mal.

Die Nummer, die Sie gewählt haben, ist nicht erreichbar.

Sie kann ihm nicht einmal eine Nachricht hinterlassen. »Wo zum Teufel steckt er?«

Lucy beobachtet sie, ihr eigenes Handy fest in der Hand. »Sie haben Kinder, nicht wahr? Könnte er bei ihnen sein?«

»Nein, sie sind in der Schule.« Woher weiß diese Lucy Dinge von ihr, wo Fi von ihrer Existenz erst vor ein paar Minuten erfahren hat?

Mum, denkt sie. Sie wird sie bitten, die Jungs von der Schule abzuholen und zu sich zu nehmen. Sie können nicht hierherkommen, es wäre zu verstörend für sie, ihre Zimmer völlig leer vorzufinden, ihre kostbaren Habseligkeiten wie weggezaubert.

Wohin weggezaubert? Das Haus zu besitzen, mag die Wahnvorstellung dieser Fremden sein – Fi klammert sich weiterhin an die Idee eines Streichs –, aber es ist ganz offensichtlich, ohne jeden Zweifel, seines rechtmäßigen Inhalts beraubt worden. Jemand hat ihr gesamtes Hab und Gut weggeschafft.

Das ist der Moment, als es sie trifft – nicht so sehr ein Gedanke als ein jähes Aufblitzen, eine Woge der düsteren Vorahnung, die in Form von überwältigender, nackter Angst ihr Bewusstsein überschwemmt: Wenn ihre Möbel während ihrer zweitägigen Abwesenheit verschwinden konnten, könnten es auch ihre Kinder? »O mein Gott«, sagt sie. »Bitte, nein, bitte …« Mit zitternden Händen scrollt sie durch ihre Kontakte.

»Was ist los?«, fragt Lucy aufgeregt. »Was ist passiert? Wen rufen Sie an?«

»Die Schule meiner Kinder. Ich muss … Oh, Mrs Emery! Hier spricht Fi Lawson. Mein Sohn Harry ist in der dritten und Leo in der vierten Klasse.«

»Natürlich. Wie geht es Ihnen, Mrs …«, setzt die Schulsekretärin an, doch Fi unterbricht sie.

»Sie müssen für mich nach ihnen sehen – es ist dringend.«

»Nach ihnen sehen? Ich bin nicht sicher, ob ich Sie richtig verstehe.«

»Können Sie einfach nachprüfen, dass sie da sind, wo sie sein sollen? In ihren Klassenzimmern oder auf dem Schulhof, wo auch immer. Es ist wirklich wichtig.«

Mrs Emery zögert. »Nun, die vierte Klasse wird gerade beim Mittagessen sein, glaube ich …«

»Bitte!« Stärker als ein Wehklagen: ein Kreischen, eindringlich genug, um Lucy zusammenzucken zu lassen. »Es interessiert mich nicht, wo sie sind, schauen Sie einfach nach, ob sie da sind.«

Es folgt ein schockiertes Schweigen, dann: »Können Sie einen Moment dranbleiben …?«

Fi spitzt die Ohren, um im Hintergrund einem Wortwechsel zwischen Mrs Emery und einer Kollegin zu folgen, mindestens zehn qualvolle Sekunden eines halblauten Hin und Hers, und schließlich kommt Mrs Emery ans Telefon zurück. »Es tut mir leid, Mrs Lawson, aber mir wurde eben gesagt, dass Ihre Jungen tatsächlich nicht hier sind.«

»Was?« Augenblicklich setzt ein schreckliches Hämmern in ihrem Brustkorb ein, und ihr Magen droht sich zu entleeren.

»Sie sind heute nicht in der Schule.«

»Wo sind sie dann?«

»Nun, soweit wir wissen, bei ihrem Vater. Hören Sie, ich verbinde Sie mit der Direk…«

Fi zittert jetzt, die Krämpfe sind nicht mehr im Rhythmus mit ihrem peitschenden Herzen. Sie ist eine Maschine, die jegliche Kontrolle über ihre Funktionen verloren hat.