Die Furchtlosen Fünf - Anna McPartlin - E-Book
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Die Furchtlosen Fünf E-Book

Anna McPartlin

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Beschreibung

Fette Beute. Irrer Plan. Was kann da schon schiefgehen? Irland 1990: Zum ersten Mal nimmt das Land an der Fußball-WM teil. Für Jeremy Finn und seine Freunde der perfekte Moment, um einen Raubüberfall zu begehen. Während der Rest des Landes vor dem Fernseher sitzt, schlagen sie erfolgreich zu. Natürlich brauchen Jeremy und seine Freunde Sumo, Walker, Charlie und Johnny J das Geld nicht einfach für sich. Sie haben gute Gründe für diese Tat, jedenfalls in moralischer Hinsicht. Eine dumme Idee ist es trotzdem, und sie haben noch jede Menge weitere … Denn einer von ihnen ist in großer Not, und das macht die Freunde furchtlos. Und auch wenn sie am Ende eindeutig das Falsche tun – irgendwie machen sie auch alles richtig.

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Seitenzahl: 325

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Anna McPartlin

Die Furchtlosen Fünf

… tun das Falsche, aber richtig!

Aus dem Englischen von Christine Strüh

Über dieses Buch

Irland 1990: Zum ersten Mal nimmt das Land an der Fußball-WM teil. Für Jeremy Finn und seine Freunde der perfekte Moment, um einen Raubüberfall zu begehen. Während der Rest des Landes vor dem Fernseher sitzt, schlagen sie erfolgreich zu. Natürlich brauchen Jeremy und seine Freunde Sumo, Walker, Charlie und Johnny J das Geld nicht einfach für sich. Sie haben gute Gründe für diese Tat, jedenfalls in moralischer Hinsicht. Eine dumme Idee ist es trotzdem, und sie haben noch jede Menge weitere … Denn einer von ihnen ist in großer Not, und das macht die Freunde furchtlos. Und auch wenn sie am Ende eindeutig das Falsche tun – irgendwie machen sie auch alles richtig. Zumindest, was ihre Freundschaft betrifft.

Vereint alles, was man sich von einem guten Kinderbuch wünscht: eine wahrhaftige Geschichte und beste Unterhaltung, Spannung und Humor, ein herrlich wildes Abenteuer und die Frage, ob man aus den richtigen Gründen das Falsche tun darf.

Vita

Anna McPartlin wurde 1972 in Dublin geboren und verbrachte dort ihre frühe Kindheit. Wegen einer Krankheit in ihrer engsten Familie zog sie als Teenager nach Kerry, wo Onkel und Tante sie als Pflegekind aufnahmen. Bereits ihr Debüt «Weil du bei mir bist» war international ein Bestseller. Mit dem Roman «Die letzten Tage von Rabbit Hayes» rührte und begeisterte sie unzählige Leserinnen und Leser und landete einen Riesenerfolg. «Die Furchtlosen Fünf» ist ihr erstes Buch für Kinder.

Drei Dinge, die man wissen sollte – DDDMWS

Die Wissbegier der Menschen ist unterschiedlich, und weil ich eine lange Geschichte zu erzählen habe, möchte ich nicht, dass jemand sich langweilt. Deshalb füge ich ein paar Infos ein, die man zwar nicht unbedingt braucht, aber jeden Wissbegierigen erfreuen.

Zum Beispiel:

Meine Katze beißt mich, um an meine Pommes zu kommen.

Sie jagt gerne Autos.

Sie ist unter den Rädern eines Ford Cortina zu Tode gekommen, das Maul voller Pommes.

RIP Mittens.

Lauter Sachen, die man nicht unbedingt wissen muss, aber wissen sollte. Ihr habt die Wahl, ihr entscheidet.

Die Fünf

Es gibt ein Foto, das damals in den Nachrichten kam und fünf Kinder zu den meistgesuchten Kindern in Irland gemacht hat. Das Bild hängt gerahmt bei meiner Mam, an der Wand über ihrem wertvollen Marmorkamin, neben dem Krankenpflegediplom meiner Schwester Rachel und der goldenen Schallplatte meines Bruders Rich. Auf dem Foto sind meine vier Freunde und ich zu sehen, von Kopf bis Fuß in Grün, Weiß und Gold, die Gesichter mit Kleeblättern und Harfen bemalt, und wir grinsen alle wie wild. Wir sehen aus, als wären wir irre. Wir waren auch irre. Nur wussten wir es nicht.

Ganz links ist Sumo Lane.

 

Sumos richtiger Name ist Brian, aber er war nie ein Brian. Das Hauptmerkmal echter Brians ist, dass sie bemerkenswert intelligent und manchmal langweilig sind. Sumo ist weder das eine noch das andere. Er ist gigantisch. Mit zwölf Jahren war er schon eins achtzig und breiter als eine Haustür.

 

Die Leute gingen aus dem Weg, wenn Sumo ihnen die Straße runter entgegenkam. Mir ist der Name Sumo eingefallen, als wir uns mit sechs Jahren kennengelernt haben. Zwar war er da noch keine eins achtzig, aber er hatte pechschwarze Haare, dicke Backen, und egal wo er hinkam, er war immer der Größte seiner Altersklasse. Der Name ist einfach hängengeblieben. Andere Kinder, Lehrer, Eltern (sogar seine eigenen) – alle nannten ihn Sumo.[*]

 

Der daneben ist Sumos bester Freund, Walker Brown. Wie ihr seht, ist er dünn und winzig. Auf dem Foto ist er dreizehn, könnte aber jederzeit als Achtjähriger durchgehen.

 

Walker ist der Einzige auf dem Foto, der keinen riesigen Plüschzylinder in den irischen Flaggenfarben auf dem Kopf hat, sondern sich geweigert hat, einen aufzusetzen, weil er seine Frisur nicht ruinieren wollte. Damals trug er die Haare an den Seiten kurz und oben lang und bürstete sie immer so nach hinten, dass sie sich wie eine polierte Welle auf seinem Kopf türmten. Und weil er so viel Haarspray draufsprühte, bewegten sie sich nicht das kleinste bisschen. Walker investierte ziemlich viel Mühe in seine Haare, aber durch die Frisur war er bestimmt fast fünf Zentimeter größer, also lohnte es sich. Seine große dicke Hornbrille war so schwer, dass er sie die meiste Zeit auf der Nase festhalten musste, damit sie nicht runterfiel. Er hatte Asthma, deshalb keuchte er oft und nuckelte an seinem Inhaliergerät, und ich machte gern den Witz, dass er «Walker» hieß, obwohl er definitiv kein Läufer war.[*] Das brachte immer ein paar Lacher. Walker ist der Einzige, der nicht so tut, als lächelte er in die Kamera. Er hat immer darauf bestanden, dass wir irre wären und garantiert erwischt würden. Er hatte recht.

 

In der Mitte und ein bisschen vor uns steht Charlie Eastman. Sie ist zwölf und sieht hier aus wie unsere Anführerin, was sie (manchmal) auch war, obwohl es mir überhaupt nicht gefiel!

 

Die grünen Irland-Shorts, die sie anhat, sehen an ihr eher aus wie eine ausgebeulte lange Hose, aber das ist mir damals nicht aufgefallen. Weil sie die Hände in die Hüften stemmt, zeigen ihre knochigen Ellbogen nach außen. So hat sie sich immer hingestellt, wenn sie deutlich machen wollte, dass man sie gefälligst ernst nehmen muss. Sie blinzelt unter dem riesigen Hut, und die roten, wilden Locken, die ihr über den Rücken hängen, sind ihre normalen Haare. Die Lippen hat sie sich grün geschminkt, damit sie zu den beiden großen Kleeblättern passen, die sie sich auf die Wangen gemalt hat. Ich wollte sie an dem Tag eigentlich nicht dabeihaben. Sie war neu in der Gang und hatte uns per Bestechung gezwungen, sie aufzunehmen. Aber ehrlich gesagt brauchten wir sie für unser Vorhaben (denn das war echt gefährlich).[*]

 

Neben Charlie steht noch jemand mit wilden Wuschelhaaren, und zwar mein bester Freund der Welt, Johnny J Tulsi. Er ist dreizehneinhalb und der Älteste von uns. Alle lieben Johnny J, sogar die Erwachsenen. Er ist einfach cool.

 

Johnny J sah ziemlich anders aus als der Rest von uns, denn wir waren allesamt blass, rotbackig, hatten Pickel und Sommersprossen. Seine Haut war glatt und karamellfarben, er hatte die braunen Augen und Wahnsinnslocken seines Vaters, nur dass seine hellbraun waren wie die von seiner Mutter.[*] Meine Mam nannte ihn immer «gutaussehend» und lud ihn jedes Mal, wenn sie ihn sah, zum Essen ein. Charlie folgte ihm wie ein Schatten und kicherte, wenn er was sagte, selbst wenn es überhaupt nicht komisch war. (Mich fand Charlie nie lustig, obwohl ich offiziell der Witzbold der Gang war.)

Doch Johnny J lachte immer über meine Witze. Wir hatten die tollsten Gespräche, die jemals von zwei noch nicht vierzehnjährigen Jungs geführt wurden, und wenn ich mal ängstlich oder traurig oder nervös war, sagte Johnny J immer genau das Richtige, und mir ging es sofort viel besser. Wir kannten uns so gut wie sonst niemand auf der Welt, und wir erzählten uns alles.

Auf dem Foto lächelt er, obwohl seine ganze Welt drauf und dran war, auseinanderzubrechen. Ich hab ihn echt bewundert, Johnny J war echt tapfer. Er war ein Einzelkind, sein Vater war bei einem Autounfall gestorben, als Johnny J erst zwei Jahre alt war, deshalb hat es ihm ziemlich zugesetzt, als seine Mam krank wurde. Aber er hat sich nie beklagt. Selbst als es richtig schlimm wurde und er wusste, dass sie stirbt. Nicht mal da hat er nach Hilfe gefragt. Aber was wären wir für Freunde, wenn wir sie ihm nicht angeboten hätten?

 

Also, das bin ich, Jeremy Finn, dreizehn Jahre und zwei Wochen, an meinen Freund gelehnt. Beide Daumen in die Luft gestreckt, breit und schnulzig grinsend, tue ich so, als hätte ich alles im Griff. (Was nicht stimmte.) Achtung, Spoiler – die Sache geht nicht gut aus.

 

Und ja, ich hatte damals schulterlange Haare (wie ein Mädchen!), so trug ich sie seit jeher. Ich hasste Veränderungen, und meine Mam fand, dass ich damit individuell wirkte.[*] Trotz der schiefen Kleeblätter auf meinem Gesicht sind meine Sommersprossen immer noch groß genug, um aufzufallen. Und natürlich sieht man das auf dem Bild nicht – aber ich hatte seit einer ganzen Woche Durchfall gehabt, und ich hatte mich zweimal übergeben müssen.

Die Überschrift auf dem Zeitungsausschnitt kreischt: «Wer hat die Furchtlosen Fünf gesehen?» Wir hatten keine Ahnung, worauf wir uns eingelassen hatten. Wir waren dumm und hätten unser Leben richtig versauen können, aber wir haben wirklich alles gegeben. Das denke ich immer, wenn ich mir diesen verblassten alten Zeitungsausschnitt anschaue, der über Mams geliebtem weißem Marmorkamin hängt, direkt neben dem Krankenpflegediplom meiner Schwester Rachel und der goldenen Schallplatte meines Bruders Rich. Wir haben alles gegeben … Und einen Riesenschlamassel angerichtet … Es war die traurigste, schrecklichste und sonderbarste Zeit meines Lebens. Aber es war auch die Zeit, die am meisten Spaß gemacht hat.

Und so hat alles angefangen …

1Das Match

Es war der 13. Juni 1990, und ein Fußballspiel, das in Italien bei der Weltmeisterschaft zwischen zwei ausländischen Nationen gespielt wurde, war ein Wendepunkt für uns – nicht nur für meine besten Freunde und mich, sondern für ganz Irland. Die Sowjetunion musste gegen Argentinien verlieren, und weil diese sowjetische Niederlage tatsächlich erfolgte, kam Irland in die K.-o.-Runde der Fußballweltmeisterschaft. Das war eine RICHTIG GROSSE SACHE. Wir schwebten auf Wolke sieben, meine Freunde und ich. Alles schien möglich. Vermutlich fing die ganze Geschichte eigentlich genau damit an.

Wir waren im Park und machten uns bereit für einen Boxkampf. Gerade hatten wir den allerletzten Tag der Grundschule hinter uns gebracht und freuten uns auf einen ganzen Sommer voller Vergnügungen, ehe wir im September in unserer jeweiligen weiterführenden Schule anfangen würden. Überall wimmelte es von Kids, alle waren wie berauscht, sangen Fußballhymnen und redeten aufgeregt über Fußball und darüber, dass Irland wirklich und wahrhaftig bei der WELTMEISTERSCHAFT mitmischte!

Johnny J hüpfte auf und ab, und seine Korkenzieherlocken wippten in mein Gesicht, als ich ihm die Boxhandschuhe überzustreifen versuchte. Er sollte gegen einen Jungen namens Fitzer boxen, einen miesen Schlägertypen, der größer war als Johnny J und außerdem bösartig. Er hatte eine tiefe Stimme, fettige Haare, die ihm schlapp vom Kopf hingen, und einen vagen dunklen Schnurrbart, der halbwegs auf seiner Oberlippe aufhörte, und sah einfach nur verquer aus. Aber Freaky Fitzer hielt sich für flink, stark und knallhart.[*] Eigentlich war ich ziemlich sicher, von den Jungs, die gegen Johnny J antraten, wäre er am einfachsten zu schlagen.

Das Zuschauen kostete pro Kopf ein Pfund, hundertfünfundzwanzig Kids kreuzten auf. Nachdem wir Fitzer den vereinbarten Zehner ausgezahlt und ihm noch einen Marsriegel gekauft hatten (den wir ihm ebenfalls versprochen hatten), belief sich unser Profit auf 114 Pfund 51 Pence, unabhängig davon, ob unser Kandidat gewann oder verlor. Das war auch deshalb gut, weil Johnny J eigentlich überhaupt kein Kämpfer war. Aber er brauchte unbedingt Geld für seine Mam.

Damals nahm niemand das Wort in den Mund, aber wir wussten alle, dass Mrs. Tulsi schon seit ein paar Jahren Krebs hatte. Allem Anschein nach wurde es trotz allem, was sie versuchte, nicht besser, und Johnny J war verzweifelt. Es war Walker, der als Erster meinte, wenn sie in Amerika leben würde, wäre alles gut. In Amerika war man in medizinischer Hinsicht wesentlich weiter. Das behauptete Walker jedenfalls, und weil er für seine große Schwester April den Young Scientist of the Year, den Preis für den besten Nachwuchswissenschaftler des Jahres, gewonnen hatte[*] und der einzige Mensch in unserer Bekanntschaft war, der einen Computer hatte, glaubten wir ihm.

«Mrs. Tulsi muss nach Amerika. Fakt», sagte er. Er überzeugte uns, dass wir für Mrs. Tulsi nur ein Flugticket und Geld für ein Taxi zur Verfügung stellen mussten, dann konnte sie in jedes Krankenhaus Amerikas marschieren, die würden sie willkommen heißen und im Handumdrehen heilen. Da wir selbst nicht bei Google nachschauen konnten, glaubten wir ihm. Wir waren naiv, aber wenn wir Walker nicht glaubten, was dann? Mrs. Tulsi durfte nicht sterben! Johnny J völlig elternlos auf dieser Welt?! Nein, das ging gar nicht, das konnte ich nicht zulassen. Wir würden sie retten. Und ihn ebenfalls. FAKT!

Ich machte mir oft Sorgen um Johnny J und seine Mam und seinen armen Onkel Ted, den Bruder seines toten Vaters. Onkel Ted war sehr nett und kümmerte sich sehr gut um Johnny J und seine Mutter. Jedes Mal, wenn er mich sah, zwinkerte er mir zu und sagte, ich sei ein guter Junge, was mir natürlich gefiel. Sonst sagte mir das nie jemand. Onkel Ted war brauner als Johnny J, hatte dunkle lockige Haare und trug coole Klamotten, Lederhosen und Band-T-Shirts. Er spielte Gitarre, und als Johnny J noch klein war, hatte er es ihm auch beigebracht. Johnny J sagte, Onkel Ted hätte Rockstar werden können, aber nach dem Tod von Johnny Js Vater hatte er die Autowerkstatt übernommen und die Musik aufgegeben. Er war voller Elan, was man schon an seinem beschwingten Schritt erkannte, und als ich noch klein war, wollte ich unbedingt lernen, so zu gehen wie Ted Tulsi. Doch sosehr ich es versuchte, es klappte nicht. Wahrscheinlich war ich einfach nicht cool genug.

Nachdem Walker uns das von Amerika erzählt hatte, lag ich nachts wach im Bett und dachte darüber nach, was ich tun könnte, um Geld zu beschaffen. Vom vielen Denken bekam ich manchmal Magenschmerzen. Mein nervöser Magen war mein Fluch. Meine Mam sagte immer, das hätte ich von der Mutter meines Vaters geerbt, von Nanna Finn, die so viel Zeit auf der Toilette verbrachte, dass sie dort ein Bücherregal und Pflanzen und immer eine Gartenschere griffbereit hatte.

Während eines Denkmarathons, der zusätzlich dadurch befeuert wurde, dass ich Bauchkrämpfe hatte wie verrückt, kam ich auf die Idee, Boxkämpfe zu veranstalten und dafür Eintritt zu verlangen. Damals waren die Flüge nach Amerika noch echt teuer, über tausend Pfund. Das sind viele Boxkämpfe für einen Jungen, der nicht wirklich Lust hat, zu kämpfen, aber es war meine einzige Idee.

Also waren wir jetzt hier im Park. Freaky Fitzer und Johnny J tanzten und hüpften umeinander herum, ein paar Zuschauer jubelten, ein paar buhten.

«Zeig’s ihm, Johnny J!»

«Hau ihn aufs Maul, Fitzer!»

«Jetzt legt mal ’nen Zahn zu, ihr ollen Omis!»

«Das können ja die Muppets besser!»

Der Boxring war einfach ein mit unseren vier Jacken gekennzeichneter Bereich, eine Jacke pro Ecke. Breitbeinig, mit verschränkten Armen hielt Sumo Wache, wie der Rausschmeißer, der immer vor Barrys Wettbüro stand. Schließlich musste er ja dafür sorgen, dass das Publikum nicht in den Ring stürmte, und er nahm seinen Job sehr ernst.

«Schon gut, Jungs, jetzt beruhigt euch mal ein bisschen. Kommt schon. Lasst den Kämpfern ein bisschen Platz zum Atmen.»

Alle wichen ein paar Schritte zurück, Sumo nickte zufrieden und holte ein Spam-Sandwich aus der Tasche, Toastbrot mit Frühstücksfleisch, klopfte die Flusen ab und verschlang es mit zwei Bissen. Walker saß am Picknicktisch, hielt mit der einen Hand seine Brille fest und zählte mit der anderen unsere Einnahmen. Ich stand in Johnny Js Ecke, hoffte, dass er nicht abgemurkst wurde, und rief ihm aufmunternde Worte zu, während er auf den Zehenspitzen durch die Gegend turnte. Noch bevor der erste Schlag niederging, war er schon so viel gehopst und getänzelt, dass er gar keine Energie mehr übrig hatte. Ich hörte Charlie, bevor ich sie sah, sie brüllte von irgendwo am Himmel zu uns herunter.

«Lass die Hände oben, los, Johnny J, hör auf zu trippeln, fang an zu schlagen.»

Aber die Aufmunterungen gehörten doch zu meinem Job! Diese Nervensäge. Als ich aufblickte, sah ich sie auf dem höchsten Baum wie die Black Widow aus dem Marvel Comic, die leuchtend roten Haare rechts und links am Kopf zu zwei Büscheln gebunden, wie sie alles beobachtete und mich mit blitzenden Augen anfunkelte. Diese Wichtigtuerin! Wie sie da rumschrie. Schaut mich an, ich bin ein Mädchen und kann auf Bäume klettern! Na und? Das war alles andere als hilfreich. Ich hatte die Nase echt voll davon, dass sie in letzter Zeit überall auftauchte. Sie verfolgte uns wie ein schlechter Geruch, wir wurden sie einfach nicht los. Ich hatte versucht, ihr den Spitznamen Stinki anzuhängen, aber das hatte sich, anders als bei Sumo und bei Freaky Fitzer, überhaupt nicht durchgesetzt. Frustrierend.

Und während Charlie Johnny J mit ihren blöden Kommentaren ablenkte, landete Freaky Fitzer seinen ersten Treffer, und zwar auf Johnnys linkes Auge. Game over, Johnny ging zu Boden. Freaky Fitzer griff sich seinen Zehner und sein Mars und war weg, ehe Sumo Johnny wieder auf die Beine kriegte. Der Kampf war vorbei, bevor er angefangen hatte.

2Der Knock-out

Nach dem kürzesten Boxkampf aller Zeiten machten die Zuschauer mit lautem Buhen und Zischen unmissverständlich klar, dass sie das Preis-Leistungs-Verhältnis nicht okay fanden. Also rief ich Sumo zu, dass er Walker und das Geld zu einem Treffpunkt tiefer im Wald des Parks bringen sollte, ehe beides dem wütenden Mob in die Hände fiel. Dann platzierte ich mich zwischen dem noch völlig benommenen Johnny J und einem Haufen fieser Kids und versuchte, sie mit dem Versprechen zu beschwichtigen, dass der nächste Kampf besser sein würde.

«Und wer kämpft als Nächster?», brüllte einer.

«Sumo», sagte ich, was selbstverständlich eine Lüge war. Sumo kämpfte nicht. Er hielt nichts vom Kämpfen, weil es angeblich Gott weh tat oder so. Manchmal war er ein bisschen überfromm (das sagte mein Vater manchmal von Leuten, die jeden Tag zur Messe gingen und alle, die das nicht taten, verdammten).

Schweigen trat ein. «Wer würde denn gegen Sumo antreten?», fragte ein Junge aus dem Publikum.

«Ah, nein», meinte ein anderer, «der hat doch Hände wie Bratpfannen!»

«Also, wer von euch hat den Mumm?», fragte ich.

Alle sahen ihren Nachbarn an, niemand meldete sich. Natürlich war keiner mutig genug.

«Dann sagt es eben euren Freunden weiter. Der Gewinner kriegt fünfundzwanzig Pfund», rief ich, und alle schnappten hörbar nach Luft. Fünfundzwanzig Pfund waren eine Menge Geld. Munter schwatzend wanderten die Zuschauer davon, und der schreckliche Kampf war vergessen. Charlie kletterte vom Baum herunter.

«Gut gemacht», sagte sie.

«Geh bloß weg», sagte ich.

Charlie schnappte sich ihr Fahrrad, ein rosa Triumph 20, das sie immer dabeihatte, als wäre es ein Teil von ihr. Immer noch benommen saß Johnny J auf dem Gras.

«Alles klar bei dir?», fragte Charlie ihn.

«Ja, alles super.»

«Ich hab Gefriererbsen mitgebracht, in meinem Fahrradkorb. Kannst du auf dein Auge legen, damit es nicht so anschwillt.»

«O ja, cool. Danke», sagte er und hielt sich die Erbsen ans Auge. Johnny J war immer höflich zu Charlie, was mir gewaltig auf die Nerven ging. Ich half Johnny J beim Aufstehen, und wir gingen los. Sie radelte neben ihm her.

«Wir versuchen hier ein Geschäft zu machen», erklärte ich und hoffte, Charlie würde nach Hause gehen.

«Ich weiß, ich möchte helfen.»

«Geht aber nicht.»

«Ich kann boxen», sagte sie.

Johnny und ich lachten beide los.

«Nein, im Ernst. Ich verprügle meine Brüder regelmäßig. Mein Dad sagt, wenn ich ein Junge wäre, wäre ich der nächste Barry McGuigan.»[*] Johnny J und ich lachten wieder. Charlie Eastman war echt die eitelste Person, der ich je über den Weg gelaufen war.

«Du prügelst dich aber nicht», sagte Johnny J.

«Keine Ahnung, warum ihr dauernd lacht. Ich würde gewinnen.»

«Gegen Sumo?», sagte ich und lachte.

«Der würde ja bloß dastehen, natürlich würde ich ihn besiegen, aber ich würde auch ein paar raffinierte Schläge einbauen, um die Zuschauer zu unterhalten», sagte sie, nahm die Hände vom Lenker und fing an, in die Luft zu boxen.

Johnny lachte wieder, aber diesmal mit ihr, deshalb lachte ich nicht mit. «Kein Mädchenboxen», sagte ich.

«Wer sagt das?»

«Ich.»

«Johnny J?» Sie sah ihn an, damit er sich auf ihre Seite schlug und gegen mich Stellung bezog – als wäre das möglich!

«Er hat recht. Sorry», sagte Johnny J.

«Keiner würde dafür bezahlen, ein Mädchen boxen zu sehen», erklärte ich. Wieder starrte Charlie zu Johnny J, er sollte für sie Partei ergreifen. Was er nicht tat.

«Er hat recht. Tut mir leid», sagte er, und ich wünschte, er würde aufhören, sich zu entschuldigen. Sie war beleidigt. «Natürlich können Mädchen kämpfen. Mädchen können alles», sagte sie und sah aus, als würde sie gleich anfangen zu weinen. (Das Weinen war auch einer der Gründe, weshalb ich es hasste, mit Mädchen rumzuhängen.)

Wir wanderten zu dem Treffpunkt, wo Sumo und Walker auf uns warteten. Sumo legte Johnny J seine Riesenpranken auf die Schultern. «Zeig es mir», sagte er. Johnny J nahm die Gefriererbsen vom Auge.

«Ohhhhh, das nenn ich ein Veilchen!», rief Walker. Johnny Js Auge war schwarz, blau und ein bisschen geschwollen.

«Tut aber nicht weh.»

«Wie viel fehlt uns noch für das Flugticket?», fragte ich.

«Ein ganzer Batzen», meinte Walker. «Wir haben bloß 114 Pfund und 51 Pence eingenommen.» Also fehlte ein Batzen von mindestens siebenhundert Pfund.

«Aber wir müssen meine Mam bald nach Amerika schicken», meinte Johnny J sorgenvoll.

«Ich weiß. Wir finden eine Möglichkeit», versprach ich.

«Die Chemo setzt ihr echt zu», fügte er hinzu[*]und sah dabei so traurig aus, dass Charlie plötzlich Tränen in den Augen hatte. Sie heulte nicht rum oder so, die Tränen schimmerten nur nass in ihren Augen, und als eine entwischte, putzte sie sie schnell mit dem Ärmel weg und wandte sich ab.

Ich wurde panisch. Mit Tränen konnte ich nicht umgehen! «Na gut! In Ordnung! Ich mach den nächsten Kampf. Ich mach sie alle.»

«Das bringt doch nichts, Jeremy. Johnny J ist beim ersten Versuch k.o. geschlagen worden, keiner wird dafür bezahlen, dich zu sehen», meinte Walker, zuckte die Achseln und fügte dann auch noch das Wort «Fakt» hinzu.

«Er hat recht, du wärst garantiert furchtbar», pflichtete Charlie ihm bei.

«Sorry, Jeremy, aber du hast ihnen Sumo versprochen, und du selbst würdest einfach nur ausgeknockt», sagte Johnny J. So was von Mr. K.-o.-beim-ersten-Schlag zu hören, tat schon weh.

«Ich will nicht kämpfen, und Jeremy kann nicht.» Sumo schlug die Arme übereinander und nahm eine noch breitbeinigere Haltung ein, genau wie besagter Rausschmeißer vor Barrys Wettbüro.

«In Ordnung, in Ordnung. Was soll das denn? Darf heute jeder mal auf Jeremy rumhacken, oder was?», fragte ich, und da entspannte sich Sumo und legte den Arm so ungestüm um meine Schultern, dass er mich fast erstickte.

«Aber ich glaube, du wärst großartig», meinte er, was alle verwirrte.

«Gerade hast du noch behauptet, ich kann nicht kämpfen», erinnerte ich ihn.

«Ich meine, du wärst großartig bei was anderem.» Er grinste mich an und klopfte mir auf den Rücken.

«Danke», sagte ich sarkastisch. Er grinste weiter. «Bitte sehr.» Er meinte es ernst und streckte sogar den Daumen in die Höhe, um es zu beweisen.

Auf dem Heimweg war Johnny J äußerst schweigsam. Wir wohnten vier Häuser auseinander, und ich ging oft mit ihm an meinem Haus vorbei, um ihn zu seinem zu begleiten. Manchmal saßen wir auf seiner Gartenmauer und redeten noch eine Weile, aber an diesem Abend nicht. Als wir zu seinem Gartentor kamen, hörten wir seine Mam aus dem offenen Fenster oben nach ihm rufen.

«Ich muss zu ihr.» Er rannte zum Haus, ohne das Gartentor zu schließen. Eine Minute stand ich noch da, lange genug, um zu sehen, wie er zwei Stufen auf einmal die Treppe hinaufrannte und hinter der Badezimmertür verschwand.

Ich hätte nicht bleiben sollen, aber ich konnte mich einfach nicht losreißen, keine Ahnung, warum. Stattdessen ging ich rein, durch die kleine Diele und halb die Treppe rauf, setzte mich auf den verschossenen orangefarbenen Teppich, der nach Desinfektionsmittel und Pfefferminz roch, und hörte, wie Mrs. Tulsi sich übergab und Johnny J «Ich sehe was, was du nicht siehst» mit ihr spielte, wenn sie grade sprechen konnte.

«Ich sehe was, was du nicht siehst, und das ist blau», sagte Johnny.

«Dein Auge mit dem Veilchen», sagte Mrs. Tulsi wie aus der Pistole geschossen. «Müssen wir darüber reden, was da passiert ist?»

«Ich bin bloß hingefallen.»

«Nein, bist du nicht», entgegnete sie und übergab sich wieder. «Muss ich mir Sorgen machen?»

«Nein, Mam, ich schwöre. Alles gut.»

«Ich sehe was, was du nicht siehst, und das ist hellgelb», sagte sie.

«Deine Zahnbürste.»

«Nein.»

«Das Waschbecken.»

«Nein.»

«Ich geb auf. Was denn?», fragte er.

«Ausgekotzte Galle», sagte sie, und er lachte.[*]

«Krass», sagte er, und sie lachten beide.

«Ich kann das nicht mehr, Schatz», sagte sie, und Johnny J hörte auf zu lachen.

«Was kannst du nicht mehr?»

«Die Chemo, Liebes. Ich hör auf damit.»

«Aber die hält dich am Leben!», rief mein Freund, und in seiner Stimme hörte ich die reine Panik.

«Die Ärzte sagen, es ist Zeit, Johnny J.»

«Ach nein, bitte nicht, Mam!», rief Johnny J.

«Es funktioniert nicht mehr, Johnny J. Es tut mir so leid», sagte Mrs. Tulsi, und obwohl ich keinen von beiden sehen konnte, hörte ich sie beide weinen. Mich überfiel eine solche Traurigkeit und Übelkeit, dass ich mich umdrehte, die Treppe runterrannte, zur Haustür hinaus, den kleinen Gartenweg zur Straße und vorbei an den vier Häusern, die mein Haus und das von Johnny J trennten. Aber in meinem Kopf hörte ich weiter das Echo des schrecklichen Gesprächs.

3Die Familie

Als ich nach Hause kam, lehnte Dad an der Gartenmauer und unterhielt sich mit unserem Nachbarn, Mr. Lucey.[*] Natürlich redeten sie darüber, dass Irland sich bei der Fußballweltmeisterschaft so hervorragend schlug.

«Ich sag dir, beim nächsten Spiel kommt alles zum Erliegen, im ganzen Land. So was erleben wir doch nie wieder. Sogar meine Frau geht mit in den Pub», sagte mein Dad.

«Na klar, das ganze Land nimmt sich den Tag frei», meinte auch Mr. Lucey. «In ganz Irland wird kein Mensch dieses Spiel verpassen, egal ob Mann, Frau oder Kind.»

«Ich war vorhin in Rolands Tankstelle, die müssen den Laden offen lassen und haben ihre Omi überredet aufzupassen, solange das Spiel dran ist», erzählte mein Dad.

«Ach komm, die Omi ist doch mindestens hundert.»

«Nee, sie ist Mitte siebzig, aber sie war lange in Spanien», erklärte mein Dad.

«Ah», sagte Mr. Lucey. «Sie ist ja echt nett, aber sie hat ein Gesicht wie ein ramponiertes Ledersofa.» (Das sagte der Richtige.)

«Die Sonne ist mörderisch, Lucey», meinte mein Vater. «Da gibt’s nichts dran zu deuteln.»

«Ich würde durchaus ein bisschen davon in Kauf nehmen, um unsere Jungs in Italien spielen zu sehen», meinte Mr. Lucey.

«Gott, ich würde jederzeit eins meiner Kinder für ein Ticket verkaufen», verkündete mein Vater, und dann merkte er plötzlich, dass ich auf der Mauer saß und ihm zuhörte. «Da bist du ja, mein Sohn!», rief er, ohne sich dafür zu entschuldigen, dass er gedroht hatte, mich zu verkaufen. Er grinste bloß und fuhr dann fort: «Ich sag dir, Lucey, ich würde einen glücklichen Tod sterben, wenn ich runterfahren und unsere Jungs für Irland spielen sehen könnte.»

«Weißt du was? Ich glaube, der richtige Spaß findet hier statt, garantiert, Ron»,[*] entgegnete Mr. Lucey und wischte sich die Nase am Pulloverärmel ab. «Kein Mensch auf der Straße, alle Pubs brechend voll, da geht richtig was ab. Lass es dir gesagt sein.» Mein Dad nickte ernst. «Da hast du sicher nicht unrecht, Lucey.» Dann trennten sie sich, und mein Dad ging ins Haus.

Mein Dad und Mr. Lucey waren total aufgeregt, regelrecht glücklich sogar, und ich fühlte mich schrecklich, weil für Irland zwar gerade das Beste aller Zeiten passierte, aber für meinen Freund das Allerschlimmste. So saß ich auf der kleinen Gartenmauer, kämpfte gegen den Drang zu kotzen und dachte an Mrs. Tulsi und daran, was Johnny J bevorstand, wenn sie starb.

Dann spielte ich mit dem Gedanken, mich für eine Weile in Sumos Gartenhaus zu verstecken. Er war Einzelkind und wurde behandelt wie ein König. Dabei hatte er keine großen Bedürfnisse, wichtig waren ihm eigentlich nur seine Comics und die Spam-Sandwiches. Er hatte eine vollständige Sammlung der Marvel-Comics. Durch ihn habe ich Iron Man, Spider-Man, die X-Men, die Avengers, den Hulk, Captain America, die Black Widow und den ganzen Rest überhaupt erst entdeckt. Wir hingen oft stundenlang über seinen Comics und diskutierten, welcher Superheld stärker, schneller, besser oder welcher Schurke der übelste, gefährlichste oder schrecklichste war. Sumo schätzte sein Privatreich sehr. Sein Vater arbeitete als Bauunternehmer und hatte das Gartenhäuschen zur Feier von Sumos achtem Geburtstag gebaut, ganz für ihn allein. Es bestand aus einem großen Raum, ausgestattet mit einem Videorekorder, einem Atari Computer und einem Ghettoblaster. Außerdem gab es auch noch einen Fernseher, ein Sofa und einen Sitzsack – für einen Jungen, der nicht viel brauchte, hatte Sumo eigentlich alles.

Als ich das erste Mal reinkam, war das der coolste Moment meines bisherigen Lebens, und ziemlich schnell gehörte das Gartenhaus uns allen. Ein echtes Zuhause! Wir hingen die ganze Zeit dort rum, selbst wenn Sumo mal nicht da war. Wenn mir das Leben bei den Finns zu viel wurde, ging ich in Sumos Häuschen, sah mir ein Video an, spielte Space Invaders[*] auf dem Atari oder las einen Comic. Das Gartenhaus war für uns immer offen und sehr gemütlich. Hier fühlten wir uns vollkommen geborgen. Mrs. Lane respektierte das, sie klopfte immer erst, wenn sie uns Sandwiches, Tee und Kekse brachte. Sumo lebte praktisch von Spam-Sandwiches, und Mrs. Lane machte immer genug für alle, aber das bedeutete nur, dass Sumo alle Sandwiches verdrückte, die für ein ganzes Zimmer voller Jungs gedacht waren. Er konnte sich in weniger als zwei Minuten den ganzen Teller voll einverleiben. Ein Anblick für die Götter. Aber obwohl Sumo dieses supercoole Häuschen mit Atari, Fernseher, Videorekorder und Tausenden Comics hatte, sagte er immer, er würde jederzeit alles gegen einen kleinen Bruder oder eine kleine Schwester tauschen. Hab ich schon erwähnt, dass Sumo verrückt war?

Als ich auf die Uhr sah, wurde mir klar, dass ich vor dem Abendessen keine Zeit mehr hatte, irgendwohin zu gehen. Ich seufzte laut und ging schweren Herzens rein.

Ich war der Jüngste der Familie. Meine Schwester Rachel war neunzehn und machte eine Ausbildung als Krankenschwester. Sie wohnte nicht mehr zu Hause, besuchte uns aber hin und wieder mit ihrem schicken Freund Rupert, der Arzt werden wollte, selbst im Sommer einen Wollschal trug und redete, als gurgelte er mit Murmeln. Meine Freunde fanden meine Schwester alle schön, und viele Jungs blieben stehen, um sie anzustarren, wenn sie an ihnen vorbeiging. Echt krass. Rachel war blond wie meine Mam, ungefähr so groß wie ich, hatte komische stahlblaue Augen, die im Dunkeln leuchteten, und oft schlechte Laune. Sie hasste es, wenn man ihr sagte, was sie tun sollte. Aber wenn man sie in Ruhe ließ und nichts von ihren Sachen anfasste, war sie die meiste Zeit über ganz nett.

Mein Bruder Rich war fünfzehn und im Gegensatz zu mir ziemlich klein. Auf meinen älteren Bruder runterschauen zu können war cool, mal abgesehen davon, dass er sich deswegen umso mehr anstrengte, mir das Leben zur Hölle zu machen. Obwohl er so klein war, war er trotzdem stark, und wenn er mich in den Schwitzkasten nahm, war ich erledigt. Er hatte kurze braune Haare, kleine braune Augen, stummelige kurze Finger und zwei echt scharfe Reißzähne auf beiden Seiten. Meine Mutter wollte unbedingt, dass er sie sich abfeilen ließ, ehe er sich womöglich selbst damit verletzte, aber Rich fand, dass er damit gefährlich aussah. Außerdem sang und tanzte er gern und spielte in einer Boyband. Wenn er grade nicht damit befasst war, mich in den Schwitzkasten zu nehmen, seine scharfen Zähne mit der Zunge zu bearbeiten, zu singen oder zu tanzen, dann kommandierte er mich rum. Er nannte mich gern Doofkopparschgesicht statt Jeremy und hoffte, der Name würde irgendwann hängenbleiben, aber das passierte nicht, weil er viel zu kompliziert auszusprechen war.

Der wahre Boss im Haus war meine Mam. Dad schien das nicht weiter zu stören, denn er konnte ja im Wohnzimmer verschwinden, sich in seinen Lieblingssessel setzen, die Füße hochlegen und mit der Zeitung auf dem Schoß Nachrichten oder Sport im Fernsehen anschauen, während sie mit Rumkommandieren beschäftigt war. Mein Dad hatte den Fleischerladen, deshalb kannte er jeden. Alle mochten ihn, weil er sich um Leute kümmerte, die kein Geld hatten. Wenn jemand sich nichts zu essen kaufen konnte, ging er zu meinem Dad. Nicht dass wir reich waren. Wir wohnten in einem kleinen Haus, das seit zwanzig Jahren nicht renoviert worden war, aber immer nach Rosen duftete, und meine Mam gab gern damit an, dass man bei uns vom Fußboden essen konnte, weil er so sauber war. Aber als Rich ausprobieren wollte, ob das stimmte, und sein runtergefallenes Eis vom Boden auflecken wollte, drohte Mam, ihn mit dem Kochlöffel zu verdreschen.

Mein Vater bekam irgendwann Mitte zwanzig graue Haare, und etwa um die gleiche Zeit ließ er sich einen Bart wachsen. Er rasierte ihn nie, und Mam sagte, dass er damit sehr gut aussah. Im Großen und Ganzen waren wir eine glückliche Familie.[*] Trotzdem wünschte ich mir, ich wäre ein Einzelkind wie Sumo und Johnny J. Johnny J störte es nicht, dass er Einzelkind war, er hatte seine Mam und seinen Onkel Ted, das reichte ihm voll und ganz. Sie hatten auch nicht viel Geld. Zwar gab Onkel Ted sein Bestes, sie zu unterstützen, aber seine Autowerkstatt lief auch nicht besonders, er hatte alle Angestellten entlassen müssen und reparierte die Autos jetzt allein. Nur samstags half Johnny J ihm immer. Er schrubbte die Böden und kaufte Sandwiches im Laden gegenüber, wusch die Autos und schleppte für Onkel Ted die Werkzeuge an, wenn er grade unter einem Auto lag. Als Johnny J elf wurde, brachte Onkel Ted ihm bei, die Autos vom Arbeitsbereich nach draußen auf den Parkplatz zu fahren. Das war nur eine sehr kurze Strecke, und Onkel Ted hatte natürlich immer ein wachsames Auge auf ihn, aber Johnny J fuhr ein echtes Auto, und das war das Coolste überhaupt. Wenn er nicht in der Werkstatt seines Onkels arbeitete, mit uns rumhing oder sich um seine Mutter kümmerte, spielte er in seinem Zimmer Gitarre. Zu seinem Glück kam niemand reingestürzt, um sich auf seinem Bett zu fläzen und alles durcheinanderzubringen. Er hatte Ruhe und Frieden. An seiner Tür hing ein Schild «Zutritt verboten», und er schwor, dass Mrs. Tulsi nie reinkam. Tja, meine Mam wäre mit dem Bulldozer angerückt und hätte meine Tür einfach niedergewalzt, wenn ich es gewagt hätte, so ein Schild aufzuhängen. Meine Schwester Rachel hat ihr Temperament von meiner Mam geerbt. Früher hab ich mir immer gewünscht, ich wäre Johnny J, aber das war, bevor seine Mam krank geworden ist.

4Die Idee

Eine Woche vor dem Freaky-Fitzer-Boxdesaster saßen wir auf dem Fußweg und sahen einer Gruppe von Jungs zu, die auf dem Grasplatz Fußball spielten. Ich war Fan von Manchester United, Johnny J von Liverpool, und wir stritten uns gerade, wer besser war, als er sich plötzlich zu mir umdrehte und sagte: «Ich hab gestern Abend zufällig mitgekriegt, wie meine Ma und Onkel Ted sich unterhalten haben.»

«Und?»

«Und …» Er stockte und schwieg ein, zwei Augenblicke. Dann fuhr er sich mit den Händen in seine Korkenzieherlocken und schüttelte heftig den Kopf. Mir war sofort klar, was er damit meinte. Er brauchte ein bisschen Zeit, also schaute ich zu den Fußball spielenden Kids rüber.

«Tante Alison findet, ich sollte zu ihr ziehen.»[*]

Das erschreckte mich dermaßen, dass ich aufsprang wie von der Tarantel gestochen. «Was?», schrie ich. «Das geht aber nicht, sie wohnt in England!»

«Ich weiß», flüsterte er.

«Nein», wiederholte ich. «Nein, nein, nein.» Darüber wollte ich nicht mal nachdenken.

«Alles gut, ich muss da bestimmt nicht hin, dafür wird meine Mam schon sorgen», versuchte er mich zu trösten.

«Was hat Onkel Ted denn dazu gesagt?» Vor Aufregung kreischte ich beinahe.

«Nichts. Er ist bloß ganz still geworden.»

«Nein», jammerte ich. «Also, das geht wirklich nicht, du kannst nicht weg, fertig.» Dann fing ich an zu weinen, und zwar so heftig, dass mir grüner Rotz aus der Nase und übers Kinn lief, und ich musste husten, bis ich fast erstickte. Es war extrem peinlich und nicht nur ein bisschen schockierend.

Johnny J wusste, dass ich mit Veränderungen nicht besonders gut zurechtkam.[*]

«Fang nicht wieder an, ins Bett zu machen», sagte er leise.

«Wir haben abgemacht, dass wir darüber nie mehr sprechen», murmelte ich.

Da sah er auf einmal aus, als würde er anfangen zu weinen, dabei weinte er NIE. «Ich kann meine Mam nicht allein lassen, Jeremy. Ich will nicht nach England.»

«Gut, du gehst nämlich hier auch nicht weg», sagte ich und glaubte fest daran. ICH KONNTE MEINEN BESTEN FREUND NICHT VERLIEREN!

Johnny J brachte das Thema nie mehr auf, und ich auch nicht. Stattdessen steckten wir unsere ganze Energie in die Geldbeschaffung, um Mrs. Tulsi nach Amerika schicken zu können. Mir fiel auf, dass Johnny J auf einmal mehr mit Charlie redete, keine Ahnung, warum. Aber es gefiel mir überhaupt nicht.

Charlie Eastmans Mutter war Gemeindeschwester. Sie machte Hausbesuche bei kranken Menschen und half ihnen mit ihren Medikamenten. Schon im Jahr davor hatte sie angefangen, sich um Mrs. Tulsi zu kümmern. Anfangs hatte Charlie immer allein draußen auf der Mauer gesessen und auf sie gewartet. Aber eines Tages gesellte Johnny J sich zu ihr, und am nächsten Tag fing sie an, uns auf ihrem Fahrrad zu verfolgen.

Charlie hatte drei große Brüder, Louis, Sean und Ben. Ben ging noch zur Schule, aber die anderen waren fertig und arbeiteten in der Papierfabrik. Sie hatten alle rote Haare und Louis, der Älteste, außerdem einen verrückten roten Bart. Ich kannte sie alle, weil sie riesig waren und super beim Hurling. Auch Mrs. Eastman war rothaarig, ebenso ihr Mann Declan Eastman, Charlies Vater. Eigentlich sah man die Eastmans immer schon von fern orange leuchten, aber trotzdem hatte Charlie so eine Art, sich unbemerkt anzuschleichen, die mich nervös machte.

Walker Brown verbrachte viel Zeit damit, nervös zu sein, und behauptete immer, das käme von den Asthmaanfällen. Seinen Inhalator musste er immer dabeihaben, denn wenn nicht, konnte er an einem Anfall sterben. Jedenfalls behauptete er das. Allerdings meinte Mam, es würde genauso gut funktionieren, einfach in eine Papiertüte zu atmen, aber Mam glaubte auch, dass jede Krankheit auf der ganzen Welt mit abgestandener 7Up geheilt werden konnte, also ging sie im medizinischen Bereich nicht gerade als zuverlässige Quelle durch. Mam war bei uns der Boss im Haus, aber Walkers Mutter wäre glatt als Oberstabsfeldwebel durchgegangen. Sheila Brown marschierte in engen Hosen, hohen Lederstiefeln, Hemd und Blazer durch die Gegend. Die Haare zurrte sie zu einem straffen Dutt zusammen, und wenn sie einem einen ihrer Blicke zuwarf, war es schwierig, sich nicht in die Hose zu machen. Ihr Mann Denis fuhr die Geldtransporte für die Bank, und Johnny J und ich machten immer Witze, dass er echt gut bezahlt werden musste. Oder dass er sich womöglich jedes Mal ein paar Pfund abgriff, denn Walker und seine Familie lebten in einem schicken Haus, und Walkers Dad – Denis Brown – war der einzige Mensch in unserer ganzen Bekanntschaft, der zur Weltmeisterschaft nach Italien gereist war. Als ich meinem Dad davon erzählte, schüttelte er den Kopf und meinte: «Ich hätte nie gedacht, dass ich den Mann jemals beneiden würde.» Dann ging er ins Bett und machte ein Nickerchen.

Walker hatte drei Schwestern, April, May und June (kein Witz). Sie waren Drillinge, achtzehn Jahre alt und wohnten in London. Walker war das, was meine Mam gern als «Überraschung» bezeichnete. Rich meinte, Überraschung wäre ein Codewort für unerwünscht, und erzählte mir dann, dass ich auch eine Überraschung gewesen sei. Einmal fragte ich Walker, ob er gern drei Schwestern hatte, und er antwortete, dass er es hasste.

«Mädchen sind bösartig», erklärte er. «Fakt.»

Genau wie ich wünschte Walker sich, Einzelkind zu sein. «Hochbegabte Kinder entwickeln sich am besten ohne Geschwister. Ohne April, May und June könnte ich jetzt schon Astronaut sein.» Als er das behauptete, war er zehn Jahre alt und glaubte das tatsächlich.