Die ganze Wahrheit über Gluten - Dr. Alessio Fasano - E-Book
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Die ganze Wahrheit über Gluten E-Book

Dr. Alessio Fasano

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  • Herausgeber: Südwest
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2015
Beschreibung

Fundierter Rat zu Zöliakie und Glutensensitivität

Macht Brot tatsächlich dumm? Sollten wir alle auf Gluten verzichten? Was sind die wissenschaftlich erwiesenen Fakten und was kann man tun, wenn man wirklich an Zöliakie leidet? Dieses Buch hilft Betroffenen, deren Angehörigen und auch allen Fachleuten, weil es fundierten Rat zu einem heiß diskutierten Thema gibt. Und es ist ein Segen für alle Menschen, die eine Glutensensitivität bei sich vermuten und nicht als "eingebildete Kranke" abgetan werden wollen. Frei von Polemik und leicht verständlich erklärt der renommierte amerikanische Arzt Prof. Dr. Alessio Fasano neueste Forschungsergebnisse, Diagnosemethoden und Ernährungsempfehlungen. Was ist der Unterschied zwischen Zöliakie, Glutensensitivität und einer Weizenallergie? Wer darf was essen? Worauf müssen Menschen in unterschiedlichen Lebensphasen achten? Was ist beim Einkaufen und in Restaurants wichtig? Hier gibt es umfassende Antworten.

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Seitenzahl: 444

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Prof. Dr. med. Alessio FasanoSusie Flaherty

DIE GANZE WAHRHEITÜBER GLUTEN

Aus dem amerikanischen Englisch von Claudia Fritzsche

 

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2014 unter dem Titel Gluten Freedom bei Turner Publishing.

Copyright © 2014 Alessio Fasano and Susie Flaherty. All rights reserved.

This translation published under license with the original publisher Turner Publishing.

1. Auflage 2015

© 2015 by Südwest Verlag, einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Die Ratschläge/Informationen in diesem Buch sind von Autoren und Verlag sorgfältig erwogen und geprüft, dennoch kann eine Garantie nicht übernommen werden. Eine Haftung der Autoren bzw. des Verlags und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Projektleitung: Sarah Gast

Redaktion: Claudia Fritzsche, München

Layout und Satz: Christoph Dirkes, Neuenkirchen · www.mediathletic.com

Umschlaggestaltung: *zeichenpool, München

ISBN: 978-3-641-15499-8V003

Für meine Schwester Annamaria, die mit ihrer überirdischen Energie meine wissenschaftliche Laufbahn auf ein Ziel gelenkt hat, von dem ich zu Beginn dieser wundervollen Reise nicht einmal eine Vorstellung hatte.

AF

Meinem Neffen Martin

SMF

INHALT

Vorwort zur deutschen Ausgabe

Vorwort zur amerikanischen Ausgabe

VORREDE

EINFÜHRUNG

„NAVI“ FÜR DIESES BUCH

TEIL IGLUTEN TRITT AUF DEN PLAN

Kapitel 1GLUTEN GELANGT IN DEN DARM – UND AN ANDERE ORTE

DIE WELT VOR DEM GLUTEN

FRÜHE FÄLLE VON ZÖLIAKIE

DR. DICKE ENTLARVT WEIZEN ALS DEN ZÖLIAKIE-AUSLÖSER

GLUTEN ERLANGT INTERNATIONALE AUFMERKSAMKEIT

AUF DEN SPUREN DER ZÖLIAKIE

DIE ZÖLIAKIE IN DEN ENTWICKLUNGSLÄNDERN

DER UMSTIEG VON WEIZEN AUF REIS

NORDAMERIKA: DIE NEUE GRENZE FÜR DIE ZÖLIAKIE

WIE FINDE ICH DIE AMERIKANISCHEN „ZÖLIAKIS“?

MÄCHTIG GEGEN DEN STROM GESCHWOMMEN

DIE „ANKUNFT“ DER ZÖLIAKIE IN DEN USA

INFORMATIONEN ÜBER DIE ZÖLIAKIE VERBREITEN

AUF DER SUCHE NACH DEN UNDIAGNOSTIZIERTEN ZÖLIAKIE-BETROFFENEN

DER REST DER ZÖLIAKIE-GESCHICHTE

Kapitel 2WAS GLUTEN BEWIRKEN KANN – NEUE KLINISCHE ERSCHEINUNGSBILDER

DAS LEBEN BEGINNT MIT DEM DARM

GLUTEN: FREUND ODER FEIND?

WIR ZERLEGEN DEN GLUTEN-„PERLENSTRANG“

Kapitel 3DAS SPEKTRUM DER GLUTENBEDINGTEN GESUNDHEITSSTÖRUNGEN

DIE WELT IST EIN GIGANTISCHER BROTKORB

WOFÜR IST GLUTEN EIGENTLICH GUT?

DIE NEUE „ERRUNGENSCHAFT“

HABE ICH ZÖLIAKIE?

GLUTEN LÖST VERSCHIEDENE ANTWORTEN AUS

JOSEPHINE UND JENNIFER

DER KONSENS BEI GLUTENBEDINGTEN GESUNDHEITSSTÖRUNGEN

WARUM ES AUCH SCHLECHT SEIN KANN, EINFACH AUF GLUTEN ZU VERZICHTEN

AUF DER SUCHE NACH DEM „SCHLÜSSEL“ FÜR DIE WEIZENALLERGIE

NUR EINE FORM DER REAKTION AUF WEIZEN

DIE FAKTEN IN KURZFORM

Die Auswirkungen einer Weizenallergie

ATEMWEGSREAKTIONEN BEI DER WEIZENALLERGIE

WAS IST FDEIA?

ERNÄHRUNGSPROBLEME MIT WEIZEN

DIE WEIZENALLERGIE: SYMPTOME UND DIAGNOSE

Kapitel 4GLUTEN, DER LEAKY GUT UND AUTOIMMUNERKRANKUNGEN – EINE ZUSAMMENFASSUNG DES DERZEITIGEN WISSENSSTANDES

DIE ZUGBRÜCKE HINUNTERLASSEN

DIE „SCHRANKEN“ IN DER DARMWAND ÖFFNEN

DAS KLEINE EINMALEINS DER IMMUNANTWORT

SCHNELL ANTWORTEN ODER GENAU PASSEND?

DIE NEUDEFINITION DER ZÖLIAKIE

AUTOIMMUNITÄT AUS VERSCHIEDENEN BLICKWINKELN

Strapazen für das Immunsystem

EIN PARADIGMENWECHSEL BEI DER BEHANDLUNG VON AUTOIMMUNITÄT?

EIN KLINISCHES CHAMÄLEON

EINE NEUE KLASSIFIZIERUNG DER ZÖLIAKIE

WAS IM DARM PASSIERT, BLEIBT NICHT IM DARM!

DIE ZÖLIAKIE-DIAGNOSE ERHALTEN

Kapitel 5DIE RICHTIGE DIAGNOSE STELLEN

DIE WATSON-KAPSEL

NOCH MEHR BIOPSIEN

MAN KANN ES NUR FINDEN, WENN MAN GEZIELT DANACH SUCHT

DIE ENTDECKUNG DER GEWEBSTRANSGLUTAMINASE

DIE ROLLE DER GENE BEI DER ZÖLIAKIE-DIAGNOSE

NEUE DIAGNOSEKRITERIEN FÜR DIE ZÖLIAKIE

AUF DER SUCHE NACH DEN „VERLORENEN“ ZÖLIAKIE-PATIENTEN

DAS ERMITTELN VON TEST-ZIELGRUPPEN

AUCH DAS KANN ES GEBEN: ZÖLIAKIE-ÜBERDIAGNOSEN

WIE GUT SIND DIE AKTUELLEN SCREENING-TESTS?

LÄSST SICH ANHAND DER GENE VORHERSAGEN, WER ZÖLIAKIE BEKOMMT?

IST DIE DÜNNDARMBIOPSIE IMMER NOCH DER GOLDSTANDARD?

DIE FÜNF GRUNDPFEILER DER ZÖLIAKIE-DIAGNOSE

WIE MAN UM EINE DÜNNDARM-BIOPSIE HERUMKOMMT

DIE NICHT-REAKTIVE ZÖLIAKIE

GLUTEN-WÄCHTER IN HÖCHSTER ALARMBEREITSCHAFT

UND WENN ES TATSÄCHLICH KEINE (ODER NICHT NUR) ZÖLIAKIE IST?

DIE REFRAKTORISCHE ZÖLIAKIE

Kapitel 6GLUTEN UND UNSER GEHIRN

GLUTEN HAT ES NICHT NUR AUF DEN DARM ABGESEHEN

WESHALB GREIFT GLUTEN DAS GEHIRN AN?

ASS BETRIFFT EINES VON 88 KINDERN

GLUTEN UND SCHIZOPHRENIE

TEIL IIGLUTENFREI LEBEN LERNEN

Kapitel 7LASSEN SIE ES SICH GUTGEHEN – MIT EINER GLUTENFREIEN ERNÄHRUNG

„WAS SOLLEN WIR DENN NUN ESSEN, LIEBER HERR PROFESSOR FASANO?“

WIE VIEL GLUTEN IST ZU VIEL?

WEIZEN, ROGGEN UND GERSTE – HIER LAUERT DIE GEFAHR

UNTERNEHMEN SIE NICHTS IM ALLEINGANG!

WORIN IST GLUTEN ENTHALTEN?

UND WAS IST MIT HAFER?

SICHERE ZUTATEN

EINE GLUTENFREIE ERNÄHRUNG MIT HOHEM NÄHRWERT

GLUTEN KANN SICH IN MEDIKAMENTEN UND ANDEREN HEILMITTELN VERBERGEN

WAS IST MIT KREUZKONTAMINATIONEN?

DIE GESETZLICHEN VORSCHRIFTEN

WAS IST WEIZENSTÄRKE?

Kapitel 8GLUTENFREI KOCHEN UND ESSEN

MEHR ALS NUR EINE ERNÄHRUNGSWEISE

SO VERKRAFTEN SIE IHRE DIAGNOSE

WIE SIE SICH EINEN GLUTENFREIEN „SICHEREN HAFEN“ ANLEGEN

REISEN FÜR ZÖLIAKIE-BETROFFENE

Kapitel 9FESTMAHL MIT PROFESSOR FASANO

AUSFLUG IN DIE KÜCHE DER AMALFIKÜSTE

TEIL IIIGLUTENFREI – EIN LEBEN LANG

Kapitel 10DIE GLUTENFREIE ERNÄHRUNG IN DER SCHWANGERSCHAFT

ZÖLIAKIE UND FORTPFLANZUNG

GLUTENSENSITIVITÄT UND SCHWANGERSCHAFT

SIE SIND SCHWANGER – UND HABEN GERADE IHRE ZÖLIAKIE-DIAGNOSE ERHALTEN

Kapitel 11GLUTENFREI DURCH DIE KINDHEIT

SICHERHEIT BEIM ESSEN – AUCH IN DER SCHULE

HELFEN SIE IHREM KIND DABEI, UNABHÄNGIG ZU WERDEN

WIE DEFINIERT MAN „BEHINDERUNG“?

AUCH FÜR ELTERN NICHT GANZ EINFACH: TEENAGER MIT ZÖLIAKIE

Kapitel 12DIE ORGANISATION EINES GLUTENFREIEN FAMILIENLEBENS

KEINE ANGST VOR HERAUSFORDERUNGEN!

TEIL IVEIN BLICK IN DIE ZUKUNFT

Kapitel 13GLUTENBEDINGTEN GESUNDHEITSSTÖRUNGEN VORBEUGEN

AUF DER SUCHE NACH ALTERNATIVEN

Kapitel 14NEUE BEHANDLUNGSMETHODENUND THERAPIEN

ANSÄTZE DER KLINISCHEN FORSCHUNG

SCHLUSSWORT

WÜNSCHE WAHR WERDEN LASSEN

DANKSAGUNG

ANHANG

LITERATURVERZEICHNIS

BÜCHER ÜBER ZÖLIAKIE, GLUTENFREIE ERNÄHRUNGUND VERWANDTE THEMEN

Zeitschriften und Websites

AUSGESUCHTE FACHZEITSCHRIFTENARTIKEL

EMPFEHLENSWERTE BÜCHER AUF DEUTSCH

ZÖLIAKIE-ZENTREN UND -GESELLSCHAFTEN

APPS

GLOSSAR

REGISTER

Vorwort zur deutschen Ausgabe

von Klaus-Dietrich Runow

Dieses Buch wird die Medizinwelt verändern! Ich musste nicht lange überlegen, ob ich mit dieser vermeintlich pathetisch klingenden Aussage mein Vorwort zu Dr. Fasanos Buch beginne. Als umweltmedizinisch tätiger Arzt habe ich in den letzten 30 Jahren zahlreiche chronisch kranke Patienten behandelt, für deren Leiden immer wieder Umweltfaktoren als Ursache gefunden werden konnten. Zu den Umweltfaktoren gehören nicht nur die Umweltgifte, mit denen wir Menschen täglich konfrontiert sind, sondern auch die Nahrungsmittel selbst, die zu entzündlichen Reaktionen im ganzen Körper führen können. Getreide und auch andere häufig verzehrte Grundnahrungsmittel sollten bei allen chronischen Erkrankungen als mögliche Ursache bzw. Verstärker in Betracht gezogen werden. Auf der Grundlage von Fasanos Erkenntnissen rate ich meinen Patienten, u. a. bei Autoimmunerkrankungen und allen unklaren neurologischen Erkrankungen an eine Glutenunverträglichkeit, Nahrungsmittelallergien und eine Störung der Darmökologie zu denken.

Auf dem Internationalen Symposium des „Institute for Functional Medicine“ im Mai 2013 in Dallas, Texas, hatte ich das Glück, einen der wohl wichtigsten Vorträge mit klinischer Relevanz zu hören, der die Diagnostik und Therapie in den nächsten Jahren revolutionieren wird. Ich sagte damals zu meiner Frau Hiltrud und meinem Sohn Christian, die mich nach Dallas begleitet hatten: „Ihr erlebt gerade einen historischen Augenblick in der Medizingeschichte.“ Dr. Alessio Fasano wurde für seine bahnbrechende Entdeckung des Zonulins mit dem Linus Pauling Preis geehrt. Zonulin ist ein Eiweiß, das die Verbindungen zwischen unseren Darmzellen, die sogenannten tight junctions, reguliert. Wenn Zonulin freigesetzt wird, öffnen sich die „Schranken“ zwischen den Darmzellen, und es kommt zu einer erhöhten Durchlässigkeit mit der Folge eines verstärkten Einstroms von unverdauten Nahrungsbestandteilen, Bakterienbruchstücken und anderen Eiweißbausteinen, die im Blutkreislauf Entzündungsreaktionen und Allergien auslösen. Das Ergebnis dessen wird als leaky gut bezeichnet. Alessio Fasano konnte zeigen, dass einer der Auslöser für die Zonulinfreisetzung der Kontakt der Darmzellen mit Gluten ist. Bei Gluten handelt es sich um Speichereiweiße (Prolamine), die in verschiedenen Getreiden vorkommen.

Die Mehrheit der Menschen verträgt Gluten, vollständig verdauen kann es trotzdem niemand. Wenn man bedenkt, dass Gluten dem Kollagen – einem Protein des Bindegewebes tierischer Organismen – ähnlich ist, wird verständlich, warum immunologische bzw. toxische Reaktionen gegen Gluten eine Vielzahl von Beschwerden an unterschiedlichen Organen verursachen können. Es ist noch immer ungeklärt, wie und warum die Toleranz von Produkten mit Gluten, d. h. Weizen, Roggen oder Gerste verloren geht. Umwelteinflüsse scheinen den Ausschlag dafür zu geben, dass das Immunsystem eine Unverträglichkeit entwickelt. So kann es zehn Jahre oder länger dauern, bis eine Zöliakie bzw. eine Glutensensitivität als Ursache chronischer Erkrankungen diagnostiziert wird. Alessio Fasano und seinem Team an der Harvard Medical School in den USA verdanken wir es zu verstehen, wie sich die genetisch bedingte Glutenunverträglichkeit, also die Zöliakie, von der Weizenallergie unterscheidet und diese von einer dritten Variante, der Glutensensitivität. Die LeserInnen dieses Buches, die selbst an chronischen Krankheiten leiden, werden dieses komplizierte Gebiet nun besser verstehen und können vielleicht ihren behandelnden Arzt auf eine wichtige Fährte bei der Diagnose bringen. Uns Ärzte stellen Fasanos Erkenntnisse einmal mehr vor die Frage, ob die „Krankheit“, die wir bei einem chronisch kranken Patienten diagnostiziert haben, wirklich eine Krankheit oder vielleicht nur eine Reaktion auf Umweltfaktoren wie unser tägliches Brot ist?

Vorwort zur amerikanischen Ausgabe

VATERSORGEN

von Rich Gannon

Als Sie dieses Buch aufschlugen, haben Sie sich vielleicht gefragt, wie ausgerechnet ein früherer Football-Nationalspieler dazu kommt, das Vorwort zu einem Buch zu schreiben, das sich um Gluten, Zöliakie und darum dreht, wer um Weizen lieber einen ganz großen Bogen machen sollte. Ganz einfach: Ich bin nicht nur ein glücklicher Ex-Footballspieler, sondern auch Vater – und das ist die wichtigste Position, die ich je in meinem Leben innehatte! Als junge Eltern wurden meine Frau und ich mit einer Situation konfrontiert, die der Albtraum aller Eltern sein dürfte: Shelley und ich mussten um das Leben unserer kleinen Tochter kämpfen.

Es war Ende der 1990er-Jahre, ich spielte damals für die Kansas City Chiefs, wir waren gerade nach Kansas City umgezogen, und unsere kleine Danielle hatte noch nicht einmal ihr erstes Lebensjahr vollendet. Sie war sehr wählerisch, was das Essen betraf, und ganz gleich, womit wir sie fütterten – sie behielt es einfach nicht bei sich. Sie war schon lange krank und nahm ständig weiter ab, ohne dass wir einen Grund oder eine Erklärung für ihr Leiden gefunden hätten. Nach zahlreichen entmutigenden Arztbesuchen und noch mehr medizinischen Tests waren wir verzweifelt auf der Suche nach Antworten auf unsere Fragen, als wir Danielle im August 1998 in ein Kinderkrankenhaus in Minnesota und dort zu einem Magenspezialisten für Kinder brachten.

Zu diesem Zeitpunkt war unsere Tochter schon sehr schwer krank, und wir befürchteten, dass sie die ganze Quälerei nicht lebend überstehen würde. Eines Nachts rief mich Shelley in Tränen aufgelöst in unserem Trainingslager an, ganz außer sich vor Angst um Danielle. Ich verließ das Trainingscamp in Wisconsin augenblicklich und kehrte zurück nach Minneapolis. Dort wurde dann endlich die Diagnose gestellt und geklärt, was unsere Kleine so sehr hatte leiden lassen: Es war Zöliakie. Wie Sie in diesem Buch erfahren werden, handelt es sich dabei um eine Autoimmunerkrankung, die den Dünndarm schädigt und die Aufnahme der Nährstoffe aus der Nahrung sehr stark einschränkt. Das in Weizen, Roggen und Gerste enthaltene Gluten bildet den Auslöser für die Zöliakie; die Erkrankung wird in den USA bei einer von 133 Personen diagnostiziert.

Endlich hatten wir eine Antwort auf die Frage, was Danielle so krank machte. Ich kehrte zurück ins Trainingslager in Wisconsin, und Shelley stellte die Ernährung unserer kleinen Tochter auf komplett glutenfrei um – das Ganze wuchs sich zu einem regelrechten „Familienunternehmen“ aus, wie es meine Frau hier in Kapitel 12 schildert. Zu dem Zeitpunkt, als wir endlich die Diagnose bekamen, hatte Danielle schon besorgniserregend viel Gewicht verloren, deshalb dauerte es eine ganze Weile, bis sie sich erholte und wie ein normales, gesundes Baby verhielt.

Als wir von Dr. Fasanos Arbeit und dem Zentrum für Zöliakie-Forschung erfuhren, machten wir einen Termin aus und fuhren mit Danielle dorthin. Ich erinnere mich noch genau an unsere erste Begegnung mit Herrn Dr. Fasano: Es berührte mich tief, wie liebenswürdig er mit uns umging und dass er kein bisschen abgehoben war. Doch die Hauptrolle spielte natürlich seine Fachkompetenz auf dem Gebiet der Zöliakie. In unserem Gespräch zeigte er sich sehr zugänglich und offen für unsere Nöte, und wir spürten sein ehrliches Interesse daran, herauszufinden, was das Beste für unsere Familie sein würde.

Da Shelley und ich es anderen Familien ersparen wollten, dieselbe Hölle zu erleben wie wir, bevor wir endlich Danielles Diagnose erhielten, bot ich dem Zöliakie-Zentrum meine Dienste als Pressesprecher an. Im Jahr 2000 nahm ich zusammen mit Danielle einen Werbespot für öffentliche Einrichtungen auf, der vom nationalen Fernsehen gesendet wurde und die Zöliakie-Erkrankung im Bewusstsein der Allgemeinheit nach vorn rücken sollte.

Falls Sie diesen Spot zufällig gesehen haben, ist Ihnen sicher aufgefallen, dass Danielle damals schon gut zugenommen hatte und herumsprang wie jedes andere normale dreijährige Kind auch. Unsere Bemühungen um eine möglichst große und breite Öffentlichkeitswirkung erhielten Verstärkung durch die Aktivitäten zahlreicher anderer Mitglieder der Zöliakie-Gemeinschaft. So verkaufte beispielsweise die „Glutenfreie Speisekammer“ in Glastonbury, Connecticut, unter dem Namen „Danielles dekadenter Schokoladenkuchen“ eine glutenfreie Schokokuchen-Köstlichkeit und spendete den Erlös dem Zöliakie-Zentrum. Unsere Familie nimmt nach wie vor an dem jährlich stattfindenden Zöliakie-Lauf teil, dessen Einführung in Minneapolis, Minnesota, wir unterstützt haben. Er ist Teil der Spendenbeschaffungsaktionen, die das Zentrum alljährlich auf nationaler Ebene veranstaltet – und immer im Mai, um ihn als Monat des „Zöliakie-Bewusstseins“ zu etablieren.

Ich hoffe, unsere Arbeit – im Zusammenwirken mit den „Freunden des Zöliakie-Forschungszentrums“ sowie zahlreichen anderen Organisationen und Einzelpersonen – konnte wenigstens einigen Familien die Ängste und Qualen ersparen, die Shelley und ich in jenen schrecklichen Monaten durchgemacht haben, bevor Danielles Diagnose feststand. Ich weiß, dass die kollektiven Anstrengungen so vieler anderer Mitglieder der Zöliakie-Gemeinschaft das Bewusstsein und die Wahrnehmung der Allgemeinheit auf eine neue Stufe gehoben haben, auf der eine breitere Erfassung der Fälle von Zöliakie und anderer glutenbedingter Gesundheitsstörungen möglich wurde.

Einige Jahre später, nachdem bei Shelley und Alexis, unserer zweiten Tochter, eine Glutensensitivität festgestellt worden war, wandten wir uns erneut an Dr. Fasano und das Zöliakie-Forschungszentrum, um Antworten auf unsere Fragen zu erhalten. Er behandelte uns voller Mitgefühl und Achtsamkeit, während wir lernten, mit dieser neuen Befindlichkeit namens „Glutensensitivität“ umzugehen. So erhielten wir auch diesmal große Unterstützung von Dr. Fasano und seinem Team vom Zöliakie-Forschungszentrum.

Während meiner 18-jährigen Laufbahn als aktiver Football-Nationalspieler habe ich eine Menge über Leidenschaft, Engagement und Kompetenz gelernt – all jene nicht konkret fassbaren Eigenschaften, die ein Team oder eine Organisation auszeichnen und dazu befähigen, die Konkurrenz hinter sich zu lassen. Ganz gleich, ob man nun Footballspieler, Vater oder Arzt ist – diese Eigenschaften machen einen gewaltigen Unterschied. Dr. Fasanos leidenschaftliches Engagement für die Verbesserung der Lebensqualität von Menschen mit glutenbedingten Gesundheitsproblemen hebt dieses Buch aus der Masse aller Werke über Zöliakie und glutenbedingte Gesundheitsstörungen hervor. Wenn Sie die Fakten über Gluten erfahren wollen – in Die ganze Wahrheit über Gluten werden Sie fündig!

Rich mit der kleinen Danielle auf dem Arm, nachdem ihre Diagnose feststand

VORREDE

„Oft ist der Misserfolg der Wegbereiter in neue Länder, für neue Unternehmungen und neue Ausdrucksformen.“

Eric Hoffer

WIE MAN ES INS WÖRTERBUCH SCHAFFT

Ich kam 1993 in die USA, war Facharzt der Magen-Darm-Heilkunde für Kinder und forschte auch wissenschaftlich auf diesem Gebiet, weil ich ein Heilmittel für Durchfallerkrankungen bei Kindern finden wollte. Es gibt ein altes Sprichwort, das sagt: „Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, dann erzähl ihm von deinen Plänen.“ Auf mich trifft das voll zu.

Mein Ziel, einen Impfstoff gegen die Cholera zu entwickeln, habe ich nicht erreicht – der Zufall lenkte mich auf einen anderen Pfad. Und der Rückblick auf die letzten zwanzig Jahre zeigt mir die Fehlschläge und vielen Kreuzwege, die notwendig waren, um mich auf das Gebiet meiner heutigen Arbeit zu bringen, durch die das Leben von Menschen mit Zöliakie und anderen glutenbedingten Gesundheitsstörungen verbessert und die komplexen Mechanismen der Autoimmunantwort erschlossen werden.

Wenn ich mich so in meinem Büro umschaue, fällt mein Blick auf zahlreiche Erinnerungsstücke von Patienten und anderen Menschen, die den Unternehmer- und Gemeinschaftsgeist des Zentrums für Zöliakie-Forschung beflügelten und förderten. Wir haben Untersuchungen durchgeführt und Entdeckungen gemacht, die den Entwicklungsverlauf und die Behandlung der Zöliakie und der Glutensensitivität in den Vereinigten Staaten und auf der ganzen Welt verändert haben.

In meinem Büro steht ein dickes Buch von 1994, das mich immer wieder daran erinnert, wie weit wir bei der Therapie glutenbedingter Gesundheitsstörungen in einem sehr kurzen Zeitraum gekommen sind. Im Mai jenes Jahres veröffentlichten das Ministerium für Gesundheitspflege und Soziale Dienste der Vereinigten Staaten und seine Behörde, die Nationalen Gesundheitsinstitute für Diabetes sowie Erkrankungen des Verdauungsapparats und der Nieren, einen 800-seitigen Bericht zur Epidemiologie und zu den Auswirkungen der Erkrankungen des Verdauungsapparats in den Vereinigten Staaten.

In diesem Werk sind sämtliche Magen-Darm-Erkrankungen aufgelistet und detailliert beschrieben, die als wichtig in den USA erachtet werden, darunter auch seltene und ausgefallene Erkrankungen. Das Stichwort „Zöliakie“ fehlt jedoch. 1994 war sich die oberste Behörde für den Schutz der Gesundheit der amerikanischen Bevölkerung nicht darüber im Klaren, dass die Zöliakie in diesem Land existierte – die Erkrankung war ihr nicht einmal eine Fußnote wert.

Folglich war ich am Anfang meiner wissenschaftlichen Reise erst einmal damit beschäftigt, meinen Kollegen beizubringen, wie man „Zöliakie“ buchstabiert. Als ich vor einigen Jahren mit der Niederschrift dieses Buchs begann, benutzte ich dabei eine ältere Version von Microsoft Word. Und jedesmal wenn ich „Zöliakie“ eintippte, unterringelte das Programm dieses Wort rot – zum Zeichen, dass es falsch geschrieben oder nicht erkannt worden war.

Mittlerweile arbeite ich mit einer neueren Version von Word, in deren Sprachschatz „Zöliakie“ enthalten ist. Der Begriff hat es also endlich in ein gängiges Wörterbuch geschafft. Und auch wenn das keine große Sache zu sein scheint – für mich ist es ein fabelhaftes Symbol dafür, in welch hohem Maß das allgemeine Bewusstsein für Zöliakie und glutenbedingte Gesundheitsstörungen in einer so kurzen Zeitspanne gewachsen ist.

Wie Sie in diesem Buch erfahren werden, ist die Geschichte des Glutens und der Zöliakie eng mit der Entwicklung und den Untersuchungsergebnissen des Zentrums für Zöliakie-Forschung verknüpft. Obwohl uns nur ein schmales Budget plus freiwillige Spenden zur Verfügung stehen, konnte unser kleines Team Großes bewirken.

Wir haben die Sichtweise der Welt verändert – nicht nur auf die Zöliakie, sie ist nun als Autoimmunerkrankung ausgewiesen, sondern auch auf andere glutenbedingte Gesundheitsprobleme. Die Begriffe „Gluten“, „Zöliakie“ und „Glutensensitivität“ (auch als „nicht-zöliakische Glutensensitivität“ bekannt) sind mittlerweile zahlreichen Menschen in den Vereinigten Staaten und darüber hinaus auf der ganzen Welt geläufig. Supermärkte und Restaurants nehmen immer mehr glutenfreie Alternativprodukte in ihr Angebot auf. In Die ganze Wahrheit über Gluten trennen wir buchstäblich die „Spreu vom Weizen“, das heißt, die Fakten von den bloßen Vermutungen, um Ihnen die Wahrheit über Zöliakie, Glutensensitivität und eine glutenfreie Ernährungsweise zu präsentieren.

Prof. Dr. med. Alessio Fasano

Direktor des Zentrums für Zöliakie-Forschung

am Massachusetts General Hospital für Kinder

Gastprofessor an der Medizinischen Fakultät der Harvard-Universität

Boston, Massachusetts

29. April 2014

EINFÜHRUNG

DEN PATIENTEN ZUHÖREN

Als international arbeitender Experte für Zöliakie und glutenbedingte Gesundheitsstörungen habe ich Tausende Kinder und Erwachsene behandelt, die an mit dem Konsum von Gluten in Zusammenhang stehenden Erkrankungen leiden. Am besten erforscht ist die Zöliakie, eine Autoimmunerkrankung, die vom Verzehr glutenhaltiger Produkte herrührt, wobei Gluten hauptsächlich in Weizen vorkommt.

Wenn man vom heutigen Stand ausgeht, wo das Angebot glutenfreier Produkte in Supermärkten und Restaurants ständig erweitert wird, wo immer mehr Prominente und Sportler öffentlich für eine glutenfreie Ernährungsweise eintreten, kann man sich kaum mehr vorstellen, wie schwierig sich die Lebenssituation für Menschen mit Zöliakie in den 1990er-Jahren gestaltete. Damals waren erst sehr wenige glutenfreie Nahrungsmittel im Handel und frei erhältlich. Und es machte der Witz die Runde, dass man sich nicht sicher sein konnte, ob man wirklich das Produkt verspeiste oder die Verpackung – denn beides schmeckte absolut gleich!

Bevor ich 1996 das Zentrum für Zöliakie-Forschung gründete, lernte ich ungeheuer viel von der kleinen Schar Zöliakie-Patienten, die ich bereits im Rahmen meiner klinischen Praxis betreute. In dieser frühen Phase beschloss ich während einer Zusammenkunft von Mitgliedern einer Selbsthilfegruppe, ein Experiment durchzuführen – es sollte von grundlegender Wirkung sein: auf meine berufliche Zukunft wie auch auf die Priorisierung der Aufgaben des Forschungszentrums.

Dazu verteilte ich leere Blätter an die Teilnehmer und bat sie, ihre drei wichtigsten Wünsche bezüglich ihrer Zöliakie-Erkrankung aufzuschreiben, so, als wollten sie den Dschinn in Aladins Wunderlampe ansprechen. Am Ende des Treffens sammelte ich die Zettel ein und war kein bisschen überrascht, als ich die Ergebnisse las: Wunsch Nr. 1: Eine Behandlungsalternative zur glutenfreien Ernährung; Wunsch Nr. 2: Die Verbesserung ihrer Lebensqualität durch eine bessere Ausbildung der Ärzte auf dem Gebiet der Zöliakie und durch die Entwicklung wohlschmeckender glutenfreier Lebensmittel; Wunsch Nr. 3: Ein Verfahren, das die – insbesondere für Kinder – strapaziöse Prozedur der Entnahme von Dünndarmgewebeproben (notwendig für die Diagnose der Zöliakie) überflüssig macht.

Ich führte dieses Experiment mit verschiedenen Gruppen im ganzen Land durch und erhielt stets dieselben Antworten. Seitdem wurden die Aktivitäten des Zöliakie-Forschungszentrums ganz auf diese drei Ziele ausgerichtet. Der Rückblick auf unsere Geschichte und die fast schon explosiv gewachsene öffentliche Wahrnehmung der Zöliakie und die sprunghaft angestiegenen Zahlen von diagnostizierten Fällen zeigen mir, dass alle drei Ziele mittlerweile schon beinahe erreicht sind.

„NAVI“ FÜR DIESES BUCH

Ist es wirklich möglich, die Zöliakie und andere glutenbedingte Gesundheitsstörungen – wie etwa Glutensensitivität und Weizenallergie – zu beheben? Meiner Ansicht nach kann das Realität werden – für die nachfolgende Generation. Doch bevor wir uns mit den nächsten Schritten zu einer weltweiten glutenfreien Gemeinschaft beschäftigen, lassen Sie uns erst einmal schauen, woher wir gekommen sind und wo wir gegenwärtig stehen auf diesem Weg zu einem von Gluten befreiten Leben.

Die ganze Wahrheit über Gluten ist in vier Teile gegliedert. Teil I zeigt, wie sich glutenhaltige Produkte durch das Wachstum der Agrarwirtschaft über den ganzen Globus verbreitet haben. Heute sind die Zöliakie und andere glutenbedingte Gesundheitsstörungen auf allen von Menschen bewohnten Kontinenten zu finden – sozusagen als „Einwanderer“. Sie kamen zusammen mit dem Weizen, dem Roggen und der Gerste, die unverdauliche Peptide („kleine Proteine“) enthalten.

Im Anschluss erläutere ich, auf welche Weise diese Gluten-Peptide für genetisch entsprechend veranlagte Personen gefährlich werden. Dazu werde ich eine Reise um den Globus antreten und über das weltweit epidemisch zunehmende Auftreten der Zöliakie berichten. Angereichert mit den jüngsten Erkenntnissen über glutenbedingte Gesundheitsstörungen schildert Kapitel 1 die unwahrscheinliche Geschichte, wie Forscher des Zöliakie-Zentrums die Spitze des amerikanischen Zöliakie-Eisbergs freilegten.

In Kapitel 2 zeige ich anhand der chemischen Zusammenhänge auf, was Gluten zu einem so ungewöhnlichen und problematischen Eiweiß macht. In Kapitel 3 stelle ich das Spektrum der Reaktionen auf Gluten dar und grenze die Zöliakie und die Weizenallergie sowie die neueste „Errungenschaft“ auf diesem Gebiet, die Glutensensitivität, im Einzelnen voneinander ab. Wie wir wissen, handelt es sich bei der Zöliakie um eine Autoimmunerkrankung – daher werde ich Ihnen in Kapitel 4 einige Erkenntnisse über die Autoimmunität nahebringen. Bei der Glutensensitivität sind wir noch nicht sicher, wodurch sie ausgelöst wird: Stecken genetische Faktoren dahinter oder ist es eine Reaktion des Immunsystems? Eines wissen wir aber genau: Die Zahl der Menschen, die unter einer Glutensensitivität leiden, wächst rasend schnell. Derzeit arbeiten Wissenschaftler unseres Forschungszentrums an Verfahren zur Diagnose der Glutensensitivität – auch darüber werde ich Ihnen in Kapitel 4 Genaueres berichten.

Wie können Sie feststellen, ob Sie selbst oder jemand aus Ihrer Familie ein Problem mit Gluten hat? In Kapitel 5 werde ich mich auf die diagnostischen Aspekte bei der Zöliakie und den glutenbedingten Gesundheitsstörungen konzentrieren und Sie in die „Fasano-Diät“ einführen, eine erprobte Methode zur völligen Ausschaltung von Gluten aus der Ernährung. In Kapitel 6 erläutere ich Ihnen die Auswirkungen von Gluten auf Ihr Gehirn und die Rolle, die eine glutenfreie Ernährung vermutlich bei Autismus-Spektrum-Störungen und Schizophrenie spielen könnte, dazu stelle ich Ihnen die neuesten Forschungsergebnisse auf diesem umstrittenen, kontrovers diskutierten Gebiet vor.

In Teil II lernen Sie das Ganze aus der Perspektive der wahren Experten kennen: Aus Sicht derjenigen Patienten, die ihren Weg zurück zur Gesundheit gefunden haben, indem sie auf eine glutenfreie Lebensweise umstellten. Ich werde ihre Erkenntnisse in Geschichten, Tipps, Rezepte, warnende Beispiele und anderes einfließen lassen, um Ihnen bei der Umstellung zu helfen.

Die erfolgreiche Behandlung ist der Schlüssel zum Gesundwerden, daher werde ich Sie in Kapitel 7 mit den Basisrichtlinien der glutenfreien Ernährung im Zusammenhang mit Überlegungen zur Ernährung allgemein bekannt machen. In Kapitel 8 lernen Sie und Ihre Familie, wie Sie beim Essen „auf der sicheren Seite“ bleiben – ganz gleich ob in der heimischen Küche, in der Schule, bei sozialen und beruflichen Anlässen oder auf Auslandsreisen. In Kapitel 9 fahren wir dann gemeinsam nach Süditalien, wo ich Ihnen beibringen werde, wie Sie ein glutenfreies klassisches Vier-Gänge-Menü zubereiten können. Wie Untersuchungen gezeigt haben, handelt es sich bei der Zöliakie und den glutenbedingten Gesundheitsstörungen nicht um Erkrankungen, die man bereits im Kindesalter entwickelt, vielmehr können sie bei Menschen jeden Alters auftreten. In Teil III stelle ich Ihnen Strategien vor, auf deren Basis Sie eine glutenfreie Lebensweise realisieren können, dazu erhalten Sie Unterstützung in Form der eigenen, hautnahen Erfahrungen meiner Patienten, Freunde und Kollegen.

Kapitel 10 behandelt die Herausforderung, die es für eine von Zöliakie betroffene Schwangere bedeutet, die Diagnose einer glutenbedingten Gesundheitsstörung zu bekommen. In Kapitel 11 berät Sie ein Fachmann darüber, was Sie in der Schule und bei schulischen Anlässen für Ihr betroffenes Kind durchsetzen können.

Und in Kapitel 12 zeigt uns die Familie eines berühmten Football-Stars, wie man seine ganze Familie glutenfrei ernährt – und damit glücklich macht!

Der abschließende Teil IV versetzt uns in die Zukunft – mit den neuesten Strategien zu Behandlung, Prävention und einer möglichen Heilung. Das letzte Kapitel beschreibt die jüngsten und für unser Zentrum aufregendsten Entwicklungen in unserer neuen Existenzphase an einer der weltbesten Kliniken. Durch seinen Sitz im Mucosal Immunology and Biology Research Center im MGHfC (MassGeneral Hospital for Children) in Boston, Massachusetts, arbeitet das Zöliakie-Forschungszentrum auch eng mit dem Zöliakie-Zentrum im Beth Israel Deaconess Medical Center und dem Bostoner Kinderkrankenhaus zusammen, um die Forschungsmöglichkeiten auszudehnen und die Lebensqualität von Menschen mit glutenbedingten Gesundheitsstörungen zu verbessern. Und auf der anderen Seite des „großen Teichs“ kehre ich mit der Unterstützung des MGHfC für ein visionäres neues Forschungsinstitut in meiner Heimatstadt Salerno zu meinen italienischen Wurzeln zurück, um neue Synergien internationaler Kooperation zu schaffen, mit deren Hilfe wir die einzelnen Puzzleteilchen finden und zusammentragen wollen, um das Bild der Autoimmunität und anderer Gesundheitsstörungen zu vervollständigen.

Mit meinem Buch habe ich mir das Ziel gesetzt, Menschen mit glutenbedingten Gesundheitsstörungen zu ermöglichen, wieder bedenkenlos und gut zu essen. Menschen mit glutenbedingten Gesundheitsstörungen wird dieses Buch die Freude am sorglosen Essen zurückbringen. Und schließlich liefert es allen jenen, die es aus intellektueller Neugier zur Hand nehmen, einfach weil sie Fakten von Fiktion unterscheiden lernen möchten, genau das richtige „Gedankenfutter“ über Gluten und seine Rolle für Ihre Gesundheit. Ich hoffe, Sie werden die Lektüre von Die ganze Wahrheit über Gluten genauso ausgiebig genießen können wie ein gutes Essen mit engen Freunden oder wie ich, als ich das Buch gemeinsam mit meinen Kollegen und Freunden geschrieben habe.

Mit den besten Wünschen für Ihre Gesundheit!

TEIL IGLUTEN TRITT AUF DEN PLAN

Kapitel 1GLUTEN GELANGT IN DEN DARM – UND AN ANDERE ORTE

„Wer das Bier erfand, war ein weiser Mann.“

Platon

DIE WELT VOR DEM GLUTEN

Es war einmal eine Zeit, da gab es noch kein Gluten. Dieses komplexe und uralte Protein, der Hauptbestandteil von Weizen, entwickelte sich zusammen mit dem Menschen über viele Jahrtausende hinweg. Es ist ein sehr eigenartiges und einzigartiges Protein. Gluten und seine nahen Verwandten – das Secalin im Roggen und das Hordein in der Gerste – sind die einzigen Proteine, die wir Menschen nicht verdauen können.

Lassen wir einmal Zahlen sprechen: Jeder Mensch hat rund 25.000 Gene – Weizen fünf Mal mehr! Und mit diesen über 150.000 Genen präsentiert sich der Weizen den Wissenschaftlern als eine Art komplexer und schier undurchdringlicher „Gen-Dschungel“.

Im Vergleich mit dem Weizen und seinen Eiweißbestandteilen, das Gluten eingeschlossen, erscheint die Struktur von uns Menschen weit weniger kompliziert, als wir selbst es vielleicht gerne sähen.

Die Geschichte der Menschheit und die Evolution der Zöliakie sind mit der Evolution des Weizens und des Glutens verknüpft: in der Art ihrer Entwicklung, in ihrer fortgesetzten Evolution und in der Art und Weise, wie sie heutzutage die Menschen überall auf der ganzen Welt mit einer ganzen Vielzahl glutenbedingter Symptome und Gesundheitsstörungen beeinträchtigen und schädigen.

Die bei Weitem längste Zeit unserer Evolution ernährten wir Menschen uns glutenfrei. Bis sich vor über 10.000 Jahren ein evolutionärer Wandel vollzog: Die Menschen wurden sesshaft, sie begannen mit dem Anbau von Feldfrüchten und der Viehzucht.

Die allmähliche Verbreitung der Landwirtschaft führte zur Ausbildung größerer Gemeinschaften und infolge kreativer Beschäftigungen zur Herausbildung von Kulturen.

In stabilen landwirtschaftlichen Gesellschaften (Ackerbaukulturen) avancierte der Weizen zu einem der kostbarsten Güter und zum Maßstab für Wohlstand. Die Vermögenswerte, die für Reichtum und Sicherheit standen, waren nutzbringende und unverderbliche Tauschwaren. Weizen gehörte zu den wertvollsten dieser Erzeugnisse. Doch musste eine kleine Schar von Menschen für den Konsum von Weizen einen unerwartet hohen Preis bezahlen.

FRÜHE FÄLLE VON ZÖLIAKIE

Vor fast 2000 Jahren, in der ersten Hälfte des 2. nachchristlichen Jahrhunderts, berichtet einer der berühmtesten griechischen Ärzte, Aretaios von Kappadokien, über den wohl allerersten dokumentierten Zöliakie-Fall der Geschichte. Er nannte das Phänomen „koiliakós“, vom griechischen Wort für „zum Bauch gehörend“, und beschrieb es als „Schmerzen in den Eingeweiden“.

Nach Aretaios dauerte es beinahe 1800 Jahre, bis die Zöliakie das zweite Mal in der medizinischen Literatur erwähnt wird. Als Medizinstudent arbeitete ich in den 1980ern ein paar Monate in London, in der Kinderklinik in der Great Ormond Street. Ein Jahrhundert zuvor hatte der englische Arzt Dr. Samuel Gee im selben Krankenhaus ein Referat gehalten, worin er die Zöliakie als „eine Art chronische Verdauungsstörung“ bezeichnet, „der man zwar bei Personen aller Altersstufen begegnet, die jedoch bevorzugt Kinder im Alter zwischen einem und fünf Jahren zu betreffen scheint“.

Seinem Gespür als Mediziner folgend, bezeichnete Dr. Gee die Zöliakie als ein Syndrom der Malabsorption, der mangelhaften Aufnahme von Nährstoffen aus dem Speisebrei, ausgelöst durch unbekannte Lebensmittel. Mit seiner Beschreibung der Erkrankung hat er genau ins Schwarze getroffen, doch mit seiner anschließenden Behandlungsempfehlung lag er meilenweit daneben: Dr. Gee empfahl nämlich, Zöliakie-Patienten „dünn geschnittene und beidseits kross getoastete Brotscheiben“ zu essen zu geben.

Von seinem verfehlten Ernährungsvorschlag abgesehen, stellte Dr. Gees Arbeit einen wichtigen Durchbruch im Verständnis der Zöliakie dar. Leider folgten auf diesem Gebiet beinahe ein ganzes Jahrhundert lang keine weiteren, ähnlich bedeutsamen Forschungsergebnisse mehr.

WAS GENAU IST ZÖLIAKIE?

Zöliakie ist eine genetische Störung, die Kinder und Erwachsene haben können. Die Betroffenen vertragen keine Lebensmittel, die Gluten enthalten, das in Weizen und anderen Getreidearten vorkommt. Im Körper von Zöliakie-Patienten setzt das Gluten eine sogenannte Autoimmunreaktion in Gang, die irgendwann schließlich zur vollständigen Zerstörung der Villi oder Darmzotten, der kleinen fingerartigen Ausstülpungen der Schleimhaut, womit der Dünndarm ausgekleidet ist, führen kann.

Für eine richtige Verdauung und Nährstoffaufnahme aus der Nahrung sind gesunde Darmzotten unerlässlich. Menschen mit Zöliakie produzieren Antikörper, die in Verbindung mit löslichen Botenstoffen, hormonähnlichen Substanzen, sogenannten Zytokinen, und der direkten Wirkung von Immunzellen, den Dünndarm angreifen und die Darmzotten buchstäblich „plattmachen“, was zu Malabsorption und Krankheit führt.

Zöliakie kommt zwei Mal so häufig vor wie Morbus Crohn, Colitis ulcerosa und Mukoviszidose zusammengenommen! In den USA betrifft sie eine von 133 Personen. Inzwischen gibt es eine Serie von Tests, mit denen sich das Vorhandensein bestimmter Antikörper im Blut nachweisen lässt. Zur Erstellung einer endgültigen Diagnose ist (vor der Umstellung auf eine glutenfreie Ernährung) meistens eine Biopsie aus dem Dünndarm nötig.

Zöliakie-Patienten tendieren auch stärker zu Gesundheitsproblemen im Zusammenhang mit Malabsorption, wie etwa Durchfall, Gasansammlungen im Bauch (Blähungen), Gewichtsverlust, Übelkeit, Erbrechen, Anämie, Osteoporose und Zahnschmelzdefekte (Erosionen, Karies). Die Autoimmunität der Zöliakie kann auch eine Entzündung des zentralen und peripheren Nervensystems zur Folge haben, wie auch Funktionsstörungen der Bauchspeicheldrüse und anderer Organe, beispielsweise der Gallenblase, der Leber und der Milz, dazu kommen geburtshilfliche und gynäkologische Probleme, etwa Fehlgeburten oder eine Empfängnisunfähigkeit.

Eine unbehandelte Zöliakie wurde auch – allerdings in extrem seltenen Fällen – mit einem erhöhten Risiko für bestimmte Krebsarten in Verbindung gebracht, im Besonderen mit dem Dünndarm-Lymphom. Derzeit gibt es zur Behandlung der Zöliakie keine Medikamente und keine Heilungsmethode. Doch Menschen mit Zöliakie können ein normales, gesundes Leben führen, wenn sie auf eine glutenfreie Ernährungsweise umstellen. Das bedeutet, sie müssen sämtliche Produkte, die Weizen, Roggen, Gerste und Dinkel enthalten, komplett von ihrem Speisezettel streichen.

Die Zöliakie ist keine Nahrungsmittelallergie. Nahrungsmittelallergien, darunter auch die Weizenallergie, zählen zu den Gesundheitsproblemen, die ein Mensch überwinden kann (mehr dazu in Kapitel 3). Die Zöliakie hingegen ist eine Autoimmunerkrankung, verursacht durch eine überschießende Reaktion des Immunsystems gegen das körpereigene Gewebe des betreffenden Menschen. Wenn Sie Zöliakie haben, haben Sie sie ein Leben lang.

DR. DICKE ENTLARVT WEIZEN ALS DEN ZÖLIAKIE-AUSLÖSER

Der wirkliche Durchbruch, der schließlich zur glutenfreien Ernährungsweise als Behandlungsmethode der Zöliakie führte, gelang dem holländischen Kinderarzt Dr. Willem-Karel Dicke an einem Ort, wo man das nicht unbedingt erwartet hätte: in den Niederlanden. Wie seine Untersuchungen zeigen, hegte Dr. Dicke schon geraume Zeit den Verdacht, dass Weizen bei der Symptomatik und dem Leiden seiner jungen Patienten eine Rolle spielen könnte.

Während des Zweiten Weltkriegs, als Weizenmehl schwer zu bekommen war, sank die Sterblichkeitsrate von Kindern mit Zöliakie drastisch. Dr. Dicke folgte seinem Ursprungsverdacht, dass dieser Umschwung, die dramatische Verringerung der Sterblichkeit, mit dem Konsum von Kartoffelstärke statt Weizenmehl in Verbindung stand. Als sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Versorgungslage besserte und das Weizenmehl in die Ernährung der Kinder zurückkehrte, stieg die Zöliakierate wieder an und erreichte ihre Vorkriegswerte. Das bestärkte Dr. Dicke in seiner früheren Vermutung, dass Weizenmehl für die Symptome verantwortlich war, die die als „Zöliakis“ bekannten Kinder ertragen mussten.

In den Jahrzehnten vor Dr. Dickes Entdeckungen bekamen viele Kinder mit Verdacht auf Zöliakie drei bis sechs Monate lang fast ausschließlich Bananen zu essen. Sidney Haas, ein Kinderarzt aus New York City, hatte diese Diät in den 1920er-Jahren aufgebracht. Sie blieb fast dreißig Jahre lang die führende Therapiemethode, bis Dr. Dicke 1950 seine Dissertation veröffentlichte, worin er anhand einer akribisch durchgeführten klinischen Studie dokumentierte, dass Gluten der Auslöser der Zöliakie in der Ernährung ist.

GLUTEN ERLANGT INTERNATIONALE AUFMERKSAMKEIT

Ausgehend von Dr. Dickes klinischen Studien und seinen Forschungsarbeiten aus den 1950er-Jahren, betrachtete man die Zöliakie als Problem des Magen-Darm-Trakts, das ausschließlich Kinder und überwiegend solche aus weißen Familien betraf. Das typische „Zöliakie-Kind“ wurde beschrieben als hellhäutig, blauäugig und blondhaarig, zudem sollte es nordeuropäischer Abstammung sein.

Anfang der 1970er-Jahre wurden die ersten Diagnosemittel für die Zöliakie entwickelt und epidemiologische Studien durchgeführt, das heißt, Untersuchungen hinsichtlich ihrer Ursachen, Folgen und ihrer Verbreitung in der Bevölkerung. Wie diese Studien ergaben, war die Zöliakie ein Leiden, dessen Auftreten sich hauptsächlich auf Nordeuropa beschränkte, während es auf anderen Kontinenten praktisch nicht vorkam. Daraufhin befassten sich die Wissenschaftler mit den Ursachen dieses eigentümlichen und auffälligen Verbreitungsmusters der Zöliakie.

Zehn Jahre später brachte der berühmte italienische Humangenetiker Prof. Luigi Luca Cavalli-Sforza eine interessante, jedoch letztlich unhaltbare Theorie auf: Er vertrat die Ansicht, dass sich die landwirtschaftlichen Methoden, die einst in den fruchtbaren Flusstälern von Euphrat und Tigris entstanden waren (vor allem im Gebiet der heutigen Türkei), mit einer Geschwindigkeit von etwa einem Kilometer pro Jahr von Süden nach Norden und von Osten nach Westen bewegten. Seiner Theorie zufolge kamen Landwirtschaft und glutenhaltige Getreidearten sehr viel später in Nordeuropa an als in anderen Teilen der entwickelten Welt.

Aus der Tatsache, dass die Menschen mit Zöliakie im Altertum eine hohe Sterblichkeitsrate hatten, zog Prof. Cavalli-Sforza den Schluss, dass die Menschen mit Zöliakie in jenen Gegenden, wo sich die Landwirtschaft zuerst entwickelt hatte, durch natürliche Selektion eliminiert worden waren. Er legte dar, dass die Krankheit – obwohl sie (wie auch die für diese Veranlagung verantwortlichen Gene) in vielen Gebieten, wo die Landwirtschaft ursprünglich herstammte, bereits verschwunden war – , in Gegenden wie Nordeuropa, wo die glutenhaltigen Getreidesorten erst viel später eingeführt wurden, immer noch existierte. Das schien eine plausible Erklärung für die Verbreitung zu sein, doch sorgfältige epidemiologische Studien, in der Hauptzahl von den Wissenschaftlern des Zöliakie-Forschungszentrums durchgeführt, widerlegten sie.

AUF DEN SPUREN DER ZÖLIAKIE

Seit 1984, als Prof. Cavalli-Sforza seine Theorie präsentierte, haben etliche Forscher sehr breit angelegte und gut systematisierte epidemiologische Untersuchungen durchgeführt, um die Verbreitung der Zöliakie überall auf der Welt exakt zu bestimmen. Prof. Carlo Catassi, Kodirektor des Zöliakie-Forschungszentrums und enger Freund von mir, ist ein Pionier und eine führende Autorität auf dem Gebiet der epidemiologischen Aspekte der Zöliakie.

Seine bahnbrechenden Studien, deren Anfänge in Italien liegen, verhalfen uns zu der Erkenntnis, dass die Zöliakie sehr viel mehr Menschen betrifft, als wir vorher angenommen hatten. Prof. Catassi testete im Jahr 1996 Blutproben von 17.201 gesunden italienischen Studenten. Ergebnis: Bei einer von 184 Personen ließ sich Zöliakie nachweisen. Prof. Catassis Testreihe zeigte außerdem, dass die meisten atypischen Fälle von Zöliakie (d. h. Menschen ohne die „klassischen“ Magen-Darm-Symptome, die man üblicherweise mit der Zöliakie assoziiert) undiagnostiziert bleiben, außer wenn Ärzte im Krankenhaus gezielt danach suchen, weil sie den Verdacht haben, Zöliakie könnte die Ursache der entsprechenden außerhalb des Darms angesiedelten Symptome sein.

Unter Leitung von Prof. Catassi und mit Beteiligung zahlreicher Kollegen auf der ganzen Welt hat das Zöliakie-Forschungszentrum epidemiologische Studien in Regionen begonnen, in denen Prof. Cavalli-Sforza das Vorkommen der Zöliakie bezweifelt hatte – darunter der Nahe Osten, Nordafrika, Südamerika und Asien. Die Ergebnisse dieser Studien stießen seine Theorie um, denn wir konnten die Existenz der Zöliakie in Libyen, Ägypten, Nordafrika, Indien und – neuestens – auch in China nachweisen.

DIE HOHE STERBLICHKEITSRATE IN WÜSTENLÄNDERN

Die Geschichte des Saharawi-Volksstamms in der Westsahara bildet ein sehr dramatisches Beispiel dafür, was Gluten bei dem darauf empfindlich reagierenden Teil eines Volkes anrichten kann. Als ein Resultat des Bürgerkriegs in Nordafrika sind die Menschen des Saharawi-Stamms seit dem Ende der 1970er-Jahre in Flüchtlingscamps interniert. Nachdem dieses Nomadenvolk aus seinem ursprünglichen Stammesgebiet vertrieben worden war, wurden Hungersnöte bei den Saharawi und eine erhöhte Sterblichkeit infolge von Unterernährung zu einer Hauptsorge der international tätigen Menschenrechtsorganisationen.

Das Maßnahmenpaket zur Rettung der Saharawi schloss auch ihre Versorgung mit Nahrung ein. Internationale Hilfsorganisationen fragten an: „Welche Art von Lebensmitteln können wir schicken, die vielseitig verwendbar und nicht leicht verderblich sind?“ Es lag nahe, dass die Wahl auf Weizen fiel.

So wurde ein Nomadenvolk, dessen Ernährung jahrtausendelang hauptsächlich aus Obst, Gemüse, Kamelmilch und Kamelfleisch bestanden hatte, zum ersten Mal mit glutenhaltigem Getreide in Kontakt gebracht. Das Ergebnis war die – bis zu diesem Zeitpunkt jemals dokumentierte – weltweit höchste Rate an Zöliakie-Fällen: Die Erkrankung betraf beinahe 6 Prozent der Gesamtbevölkerung. Bei den meisten Kindern der Saharawi, die Zöliakie haben, ist sie immer noch nicht diagnostiziert, und sie laufen Gefahr, früh zu sterben, weil sie unter chronischem Durchfall und Unterernährung leiden.

Die unglückseligen Erfahrungen des Saharawi-Volksstamms vermitteln uns schlaglichtartig eine Vorstellung der Wechselwirkungen zwischen Menschen und Gluten in der Frühzeit. Sie führt uns 10.000 Jahre zurück in die Vergangenheit, als alle Menschen mit der genetischen Veranlagung für Zöliakie noch am Leben waren und die Krankheit ihre tödliche Auslese vornahm. Nur die Menschen mit einer schwächer ausgeprägten Form von Zöliakie hätten während der folgenden Jahrtausende überlebt. Wir können vorausberechnen, dass die Verbreitung der Zöliakie bei den Saharawi ohne Einwirkung von außen schließlich auf 1 Prozent der Bevölkerung gesunken wäre. Das entspräche letztendlich derselben Rate wie in den meisten Teilen der Welt – nach dem Stattfinden der Negativ-Selektion.

In Nordafrika stellt das Volk der Saharawi einen Sonderfall dar. Obwohl die Zöliakie in Ägypten, Libyen und anderen Regionen Nordafrikas stärker verbreitet ist, kommt die Krankheit laut Prof. Catassi in Schwarzafrika nicht häufig vor. Die dortigen Grundnahrungsgetreide, darunter Hirse und Reis, sind überwiegend glutenfrei, und die mit der Zöliakie in Beziehung stehenden Gene sind weit weniger häufig zu finden als in Ländern der westlichen Welt.

DIE ZÖLIAKIE IN DEN ENTWICKLUNGSLÄNDERN

Dank Prof. Catassis Studien wissen wir, dass wir unterschätzt haben, welche Belastung die Zöliakie für die Entwicklungsländer bedeutet. Behandelnde Ärzte gehen vielleicht davon aus, dass die Zöliakie in Entwicklungsländern nicht vorkommt oder erkennen ihre zahlreichen klinischen Erscheinungsformen nicht. Geht das Hand in Hand mit unzureichenden Diagnosemitteln, und liegt das Hauptaugenmerk bei Schädigungen des Dünndarms obendrein auf anderen Ursachen, wird das Leiden verwundbarer Bevölkerungen zunehmen.

In Entwicklungsländern haben Kinder mit Zöliakie oftmals einen geblähten Bauch und ausgezehrte Gliedmaßen, Symptome, die mit chronischer Energie- und Eiweißmangelernährung in Verbindung gebracht werden (beispielsweise Wachstumsstörungen, Kwashiorkor und Marasmus). Häufig begegnen wir chronischem Durchfall, geblähten Bäuchen, Wachstums-/Entwicklungsstörungen und Blutarmut. Die ausgeprägten Wachstumsstörungen erhöhen das Sterblichkeitsrisiko, vor allem bei Kindern mit chronischem Durchfall. Das Risiko, dass sie schwere Durchfälle bekommen und an Dehydratation sterben, ist bei den kleinsten Kindern am größten, insbesondere während der heißen Sommermonate.

In den meisten entwickelten Ländern ist es einfach, glutenhaltige Getreide durch glutenfreie Sorten zu ersetzen – beispielsweise durch Reis und Mais; hier können Menschen mit Zöliakie aus einem breiten Angebot wohlschmeckender, frei im Handel erhältlicher, eigens für sie hergestellter glutenfreier Produkte wählen. In den meisten Entwicklungsländern ist das keineswegs der Fall. Die Anbieter müssen lokale Ernährungsgewohnheiten berücksichtigen, wenn sie glutenfreie Naturprodukte verwenden, die an Ort und Stelle verfügbar sind – etwa Hirse, Maniokwurzeln und Reis – und zur Verarbeitung gesonderte, ausschließlich dafür bestimmte Maschinen einsetzen, um jedwede Verunreinigung mit Gluten zu vermeiden.

Sowohl in den Industrienationen wie auch in weniger entwickelten Ländern müssen Ärzte, Krankenschwestern, Schulmitarbeiter, betroffene Familien und die Bevölkerung ganz allgemein eingehend über die Behandlung und die glutenfreie Ernährungsweise informiert werden. Die Gründung von Selbsthilfegruppen für Zöliakie-Patienten und Patientenfamilien kann dazu beitragen, dass Betroffene die alltäglichen Schwierigkeiten im Umgang mit der Zöliakie leichter bewältigen.

DER UMSTIEG VON WEIZEN AUF REIS

Aus den erwähnten epidemiologischen Studien wissen wir, dass keine Region auf unserem Planeten von der Zöliakie-Epidemie verschont ist. Ein weiteres faszinierendes und zugleich besorgniserregendes Szenario entfaltet sich gerade in China, einem Land mit über 1,3 Milliarden Einwohnern. Das „Reich der Mitte“ galt bisher immer als immun gegen die Zöliakie. Die nächstliegende und offensichtlichste Erklärung dafür ist die Tatsache, dass die Ernährung der Chinesen – mit Ausnahme einiger Regionen im Norden – hauptsächlich auf Reis basiert.

Chinas Wirtschaftswachstum schreitet weiterhin rasant voran, wobei der Einfluss des Westens auf Ernährung und Lebensweise der Bevölkerung zunimmt. Die Kette Kentucky Fried Chicken eröffnete ihre erste chinesische Filiale in Peking im November 1987, 1992 folgte das erste McDonald’s am Tiananmen-Platz. Parallel zur boomenden Wirtschaft stellen immer mehr Chinesen ihre Lebensführung vom althergebrachten tu- („dörflich-bäuerlich“ oder „rückständig“) auf den neuen yan-Lebensstil („ausländisch“ oder „fortschrittlich“) um.

In China wurde der Konsum von Lebensmitteln nach westlichem Vorbild – und damit verbunden die Aufnahme immer höherer Mengen an Gluten – zum äußerlichen Zeichen dafür, dass man es auf der sozialen Leiter der chinesischen Wirtschaft weiter nach oben geschafft hatte. Die vorhersehbare Begleiterscheinung bestand in sich häufenden Befunden von Zöliakie-Fällen in China. Meine pessimistische Prognose geht dahin, dass China mit der Erweiterung seiner wirtschaftlichen Grenzen zugleich auch der Zöliakie und anderen glutenbedingten Gesundheitsstörungen seine Tore öffnen wird.

NORDAMERIKA: DIE NEUE GRENZE FÜR DIE ZÖLIAKIE

Wir gingen davon aus, dass die Menschen in Nordamerika ein ganz anderes Verhältnis zu Gluten und zur Zöliakie hätten als die zwangsumgesiedelten Menschen des Saharawi-Volksstamms und die wachsende chinesische Mittelklasse. Wir dachten noch in jüngster Zeit, die Zöliakie träte in Nordamerika nicht auf. Es schien, als säße die Natur – oder eine andere unbestimmte Macht – in der Mitte des Atlantiks und schickte alles, was mit Zöliakie zu tun hatte, Richtung Osten zurück nach Europa und lenkte sämtliche anderen Magen-Darm-Erkrankungen, beispielsweise entzündliche Darmerkrankungen, gen Westen, nach Nordamerika.

Das ergibt klarerweise keinen Sinn. Genauso wenig wie die Vorstellung, dass Zöliakie in Nordamerika nicht vorkomme. Für die wenigen Menschen, bei denen vor zwanzig Jahren Zöliakie korrekt und eindeutig diagnostiziert worden war, ließ das Angebot glutenfreier Produkte beides schmerzlich vermissen: Qualität und Quantität.

WIE FINDE ICH DIE AMERIKANISCHEN „ZÖLIAKIS“?

Diese Frage stellte sich mir, als ich 1993 aus Neapel in die Vereinigten Staaten kam, um die Position des Leiters der neu geschaffenen Abteilung für Pädiatrische Gastroenterologie an der Medizinischen Fakultät der Universität von Maryland zu übernehmen.

Aus meiner Sicht hatte sich an der Wahrnehmung der Zöliakie in Nordamerika während der vier Jahrzehnte, die seit den Entdeckungen und Erkenntnissen von Dr. Dicke vergangen waren, nicht viel geändert: Die meisten Ärzte – falls sie überhaupt je davon gehört hatten – hielten die Zöliakie für äußerst selten und glaubten zudem, es wären ausschließlich Kinder davon betroffen und das klinische Erscheinungsbild der Erkrankung bestünde einzig und allein in Magen-Darm-Beschwerden.

Ganz anders dagegen die Situation in Neapel: Im Europa der 1990er-Jahre ging man davon aus, dass eine von 300 Personen betroffen war. Als Magen-Darm-Facharzt für Kinder hatte ich es üblicherweise mit 15 bis 20 an Zöliakie erkrankten Kindern pro Woche zu tun.

Das war das Ergebnis einer Informationskampagne bei den für das Gesundheitswesen Verantwortlichen, sie hatte zu ausgedehnten Reihenuntersuchungen bei Schulkindern geführt. Seitens der Politik gab es fortschrittliche Ansätze, darunter eine allgemeine Reihenuntersuchung sämtlicher Kinder im Grundschulalter, die inzwischen allerdings aus Kostengründen wieder abgeschafft wurde. Der italienische Staat gewährt jedoch Privatpersonen mit Zöliakie nach wie vor Zuschüsse für glutenfreie Nahrungsmittel.

Zu Beginn meiner Zeit in den USA, wo die Zöliakie als extrem seltene Erkrankung galt, erwartete ich nicht, vielen klinischen Fällen zu begegnen. Doch nachdem erst Wochen, dann Monate und schließlich ein Jahr vergangen waren, und ich immer noch kein einziges Kind mit Zöliakie zu Gesicht bekommen hatte, fragte ich mich, was denn eigentlich los sei. Damals waren wir der Ansicht, die „Rezeptur“ für die Zöliakie basiere auf zwei „Zutaten“: bestimmten Genen und der Aufnahme von glutenhaltigem Getreide über die Nahrung.

Wenn das stimmte – weshalb bestand dann ein so gewaltiger Unterschied zwischen der Zöliakie-Rate in Europa und der in den Vereinigten Staaten? Immerhin hatten viele Einwanderer europäische Vorfahren. Wir besaßen dieselben Gene und aßen dieselben Getreidesorten. 1996 veranlasste mich meine Wissbegier dazu, einen Artikel zu schreiben, den ich betitelte mit „Sag mir, wo die amerikanischen ‚Zöliakis’ sind“ – als Versuch, eine Antwort auf diese verzwickte Frage zu finden.

MÄCHTIG GEGEN DEN STROM GESCHWOMMEN

Zur Begründung des enormen zahlenmäßigen Unterschieds der Zöliakie-Raten zwischen den beiden Kontinenten schien es nur zwei Möglichkeiten zu geben: Entweder existierte in den USA eine dritte „Zutat“, ein weiterer Faktor, der das Zusammenwirken der für die Entwicklung der Zöliakie ursächlichen Faktoren verhinderte, oder die Erkrankung wurde schlicht übersehen.

Das zweite Szenario erwies sich dann als das richtige. Doch es kostete uns viele Jahre Arbeit – die Widerstände gegen unsere Untersuchungen hielten sich hartnäckig –, bis Forscher unseres Zentrums schlüssig beweisen konnten, dass die Gesamtbevölkerung der Vereinigten Staaten im selben Maß von der Zöliakie betroffen ist wie die europäische.

1996 gründeten wir das Zentrum für Zöliakie-Forschung an der Medizinischen Fakultät der Universität von Maryland, Baltimore, im selben Jahr organisierten wir das erste Treffen zum wissenschaftlichen Austausch über die Zöliakie in Nordamerika. Dann begannen wir mit der breit angelegten Untersuchung von Spender-Blutproben, um die kostengünstigste und schnellste Vorgehensweise zur Beantwortung unserer Frage zu finden.

Das wurde zu einem harten Kampf, denn wir standen vor einer nahezu unlösbaren Aufgabe: Außer mit der weitverbreiteten Skepsis der Wissenschaftsgemeinde mussten wir auch mit der Tatsache fertigwerden, dass es in den USA keine Laboratorien gab, wo wir Bluttests in Massen hätten durchführen lassen können, um die Zöliakie zu diagnostizieren. Unter der Leitung unseres ungarischen Kollegen Dr. Karoly Horvath richteten wir unser eigenes, nach den Richtlinien zur Erhöhung der Qualität der klinischen Laboruntersuchungen zertifiziertes Labor ein, um nach den gültigen Standards zertifizierte Diagnoseergebnisse aus Blutproben zu erhalten.

Ohne großtechnische Labors, ohne wirtschaftliche Unterstützung – denn die Zöliakie war weder für die Industrie noch für die staatlichen Stellen von Interesse –, und in der Annahme, dass sich unsere Anstrengungen auf ein extrem seltenes Krankheitsbild ausrichteten, begannen wir ein Unternehmen, das einige meiner Kollegen schlicht als „beruflichen Selbstmord“ bezeichneten.

Unser erster Ansatz bestand in einer groß angelegten Untersuchung von Spender-Blutproben, um die kostengünstigste und schnellste Vorgehensweise zur Beantwortung unserer Frage zu finden. Wir suchten in den Blutproben nach hohen Konzentrationen von Antikörpern, die auf Zöliakie hindeuteten. Da vergleichbare Studien in Europa bereits durchgeführt worden waren, beschloss ich, dieselbe Strategie anzuwenden wie in Neapel. Ich ging also in das Büro des Amerikanischen Roten Kreuzes in Baltimore und erläuterte unser Vorhaben, in der Hoffnung, nicht verwendete Blutproben zu erhalten, die beim ursprünglichen Screening zur Überprüfung der Spender bezüglich ihrer Tauglichkeit durch das Raster gefallen waren.

Der Angestellte hörte sich meine Ausführungen höflich an, dann gab er mir einige Formulare zum Ausfüllen und eine Rechnung, die sich auf sechs Dollar pro Blutprobe belief. Da mich die Blutproben vom Roten Kreuz in Neapel nichts gekostet hatten, fragte ich, ob ich sie hier nicht auch umsonst bekommen könnte. Daraufhin erklärte mir der Mann, dass sie selbst mit den Blutproben auch Unkosten hätten: für die Aufbereitung, das Etikettieren und für die Lieferung.

Das forderte den Neapolitaner in mir heraus, und getreu unserem Motto „Handle, was das Zeug hält!“ bot ich dem Mann einen Bruchteil des geforderten Betrags. Der Rot-Kreuz-Angestellte betrachtete mich wie ein Wesen von einem anderen Stern, und ich war mir sicher, er würde mir sehr bald nahelegen, sein Büro zu verlassen. Doch tatsächlich entspann sich zwischen uns eine hitzige Debatte über den Vertrag, die einem italienischen Marktplatz alle Ehre gemacht hätte, und wir einigten uns schließlich auf den halben Preis.

Wir reichten einander die Hände, feixten und brachen dann über das gelungene Geschäft in herzhaftes Gelächter aus. Keiner von uns beiden wusste damals, was wir mit diesem Handschlag in Gang brachten: eine Bewegung hin zu einer Bewusstseinsschärfung für glutenbedingte Gesundheitsstörungen, deren Zahl in den USA exponentiell anstieg. Das direkte Ergebnis dieses Handels war der Nachweis dessen, dass die Zöliakie in den Vereinigten Staaten keineswegs eine Ausnahmeerscheinung darstellte.

DIE „ANKUNFT“ DER ZÖLIAKIE IN DEN USA

Wir kauften dem Roten Kreuz 2000 Blutproben ab. Und innerhalb nur weniger Wochen konnten wir die allgemein akzeptierte Behauptung, wonach die Zöliakie in den Vereinigten Staaten extrem selten wäre und nur eine von 10.000 Personen beträfe, durch die Resultate unserer Untersuchungen ersetzen: Bei den Blutproben unserer Spender ergab sich eine Zöliakie-Rate von 1 : 250.

Die Reaktionen aus der Wissenschafts- und der Medizingemeinschaft fielen kühl aus – im besten Fall. Unsere Freunde meinten, wir vergeudeten unsere Zeit. Unsere härtesten Kritiker betonten erneut entschieden, die Zöliakie existiere in den Vereinigten Staaten nicht. Mir war klar, dass der einzige Weg zu einem schlüssigen Beweis unserer Hypothese über eine breit angelegte epidemiologische Studie führte.

Ich weiß, dass man die Epidemiologie, die Untersuchung der Ursachen, Häufigkeit, Verbreitung und der Kontrolle von Krankheiten, die „lange (oder schriftliche) Division der Wissenschaft“ nennt, weil sie solche Unmengen von Faktoren hat, die alle berücksichtigt werden müssen! Es dauerte über fünf Jahre und kostete zwei Millionen Dollar, dazu kamen Dokumentationen und Papierkram ohne Ende sowie Hunderte freiwilliger Mitarbeiter und Studenten, bis unsere epidemiologische Studie abgeschlossen war. Mit den Ergebnissen der Untersuchungen von mehr als 13.000 Personen aus den gesamten Vereinigten Staaten konnten wir 2003 der Zöliakie endgültig ihren Platz auf der Medizinlandkarte der USA zuweisen. In jenem Jahr erschien unsere Studie „Prevalence of celiac disease in at-risk and not-at-risk groups in the United States“ („Die Verbreitung der Zöliakie in Risiko- und Nicht-Risikogruppen in den Vereinigten Staaten“) in der Zeitschrift Archives of Internal Medicine („Archive für Innere Medizin“).

Die Ergebnisse der umfassendsten epidemiologischen Studie über die Zöliakie in den USA eröffneten das erste Kapitel der Geschichte der Zöliakie in der Moderne außerhalb Europas. Die Studie lieferte den schlüssigen Beweis, dass eine von 133 Personen in der Gesamtbevölkerung der USA von Zöliakie betroffen war. Diese Zahl entsprach der damals für Europa gültigen Statistik. Die Resultate unserer riesigen Untersuchungsreihen legten dar, dass die Zöliakie in meiner neuen Wahlheimat über einen sehr langen Zeitraum hinweg übersehen worden war.

Die Verbreitungsrate der Zöliakie in den USA in unserer 2003 veröffentlichten Studie entspricht den Zahlen, die für Europa ermittelt wurden. Auch Kanada, Australien und Neuseeland – allesamt Industrienationen, die einen hohen Bevölkerungsanteil mit europäischen Vorfahren haben – verzeichnen ähnliche Zöliakie-Raten. In vielen Ländern Südamerikas – jenen, die ebenfalls einen hohen Bevölkerungsanteil mit europäischen Wurzeln haben – sind die Zahlen über die Verbreitung der Zöliakie ungefähr denen in Europa und Nordamerika vergleichbar.

In Nordamerika brauchen wir weitere Tests, um die Zöliakie-Raten bei den Afroamerikanern zu ermitteln. Laut bisher unveröffentlichtem Datenmaterial unseres Forschungszentrums, das auf einer begrenzten Anzahl untersuchter Menschen beruht, liegt die Zöliakie-Rate für Afroamerikaner bei 1 : 200. Und genauso wie es bei der Erkrankung keine Unterschiede zwischen den verschiedenen Rassen und den beiden Geschlechtern gibt, so sind auch Menschen aller Altersgruppen betroffen.

Zudem fanden wir heraus, dass bei vielen Zöliakie-Patienten Magen-Darm-Beschwerden bzw. -Auffälligkeiten nicht im Vordergrund der Symptomatik stehen, und dass die Schädigungen des Darms grundsätzlich weniger schwerwiegend waren als in den vorausgegangenen Jahrzehnten. Mit anderen Worten: Wir begannen zu begreifen, dass klassische Magen-Darm-Symptome und die Zöliakie nur einen Teil des Spektrums der möglichen Reaktionen im großen Gesamtzusammenhang der glutenbedingten Gesundheitsstörungen ausmachen.

INFORMATIONEN ÜBER DIE ZÖLIAKIE VERBREITEN

Sobald andere Studien die Ergebnisse unserer Untersuchungen zur Verbreitung der Zöliakie bestätigten, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis sich das medizinische Establishment allmählich darüber klar wurde, dass unsere Studie tatsächlich ein exaktes, unverfälschtes Bild der amerikanischen Realität lieferte. Mit anderen Worten: Es existierten eine Menge Menschen, deren Zöliakie noch nicht diagnostiziert war. Und die hatten sich nicht etwa in Luft aufgelöst!

WAS VERSTEHT MAN UNTER GLUTENSENSITIVITÄT?

Wie die Bezeichnung „sensitiv“ (oder „empfindlich“) bereits nahelegt, ist eine nicht-zöliakische Glutensensitivität bzw. die Glutensensitivität, von der ich spreche, eine Reaktion auf die Aufnahme glutenhaltigen Getreides. Obwohl die Symptome (insbesondere die im Magen-Darm-Bereich) häufig denen der Zöliakie ähneln, ist das klinische Gesamtbild weniger schwerwiegend. Und wie die Zöliakie kann auch die Glutensensitivität sämtliche Körpersysteme betreffen und sehr vielfältige Symptome hervorrufen.

Symptome im Magen-Darm-Trakt äußern sich beispielsweise in Form von Durchfall, Gasansammlungen (Blähungen), Krämpfen, Bauchschmerzen und Verstopfung, Symptome auf der Verhaltensebene als „umnebelter Verstand“ (Konzentrationsschwierigkeiten), Depression und als dem Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS) ähnliches Verhalten. Weitere Symptome sind etwa Anämie, Hautausschläge, Gelenkschmerzen, Osteoporose und Taubheitsgefühle in den Gliedmaßen.