Die Geheimnisse von Birdwood - Das Versteck - M. G. Leonard - E-Book

Die Geheimnisse von Birdwood - Das Versteck E-Book

M.G. Leonard

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Beschreibung

Ein tierlieber Junge kämpft für seine Überzeugungen

Corvus Featherstone, genannt »Twitch«, liebt Vögel über alles und weiß viel über sie. In der Schule ist er ein Außenseiter – besonders seit er die Klassen-Bullys daran gehindert hat, eine verletzte Taube zu töten. Während Twitch täglich mit ihrer Rache rechnet, pflegt er das gerettete Tier gesund. Bald schlüpfen im Taubenhaus zwei Küken. Im nahegelegenen Naturschutzgebiet Birdwood, wo Twitch sich eine Hütte gebaut hat, will er die Küken in den Ferien zu Brieftauben ausbilden. Doch in diesem Sommer ist Birdwood nicht der friedliche Rückzugsort, den Twitch sich erhofft hat. Erst tauchen die Bullys auf und drangsalieren ihn, dann ein Fremder, der Twitch vor seinen Peinigern rettet. Am nächsten Tag wimmelt Birdwood von Polizisten, die einen entflohenen Häftling suchen. Die Sache wird immer bedrohlicher ...

»Die Geheimnisse von Birdwood« ist eine spannende Krimi-Reihe, die ihre Leser*innen in den Bann zieht und das Potenzial zum Klassiker hat – wunderschön erzählt von einer preisgekrönten Autorin.

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M. G. Leonard

Das Versteck

Aus dem Englischen von Tanja Ohlsen

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Text © 2021 M. G. Leonard Ltd.

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Twitch« bei Walker Books U. K.

© 2022 für die deutschsprachige Ausgabe

cbj Kinder- und Jugendbuchverlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Aus dem Englischen von Tanja Ohlsen

Lektorat: Hjördis Fremgen

Umschlagillustration: Paddy Donnelly

Umschlaggestaltung: Maria Proctor

hf · Herstellung: BO

Satz: Uhl + Massopust GmbH, Aalen

ISBN 978-3-641-29406-9V002

www.cbj-verlag.de

In liebevollem Gedenken an Jane Sparling1949 – 2020

»Ich hoffe, dass ihr auch Vögel liebt. Es erspart einem den Weg in den Himmel ...«

Emily Dickinson

Die Felsentaube

»Töte sie!«

Twitch stoppte abrupt auf dem Weg ins Schulgebäude. Trotz des einsetzenden Regens blieb er stehen und lauschte.

»Los, mach schon!«

Twitch erkannte die Stimme. Sie gehörte Jack Cappleman. Der Junge mit den kupferblonden Haaren war erst vor ein paar Monaten nach Briddvale gezogen und bereits sehr beliebt. Kaum hatte er seinen Fuß ins Klassenzimmer gesetzt, tanzten alle nach seiner Pfeife und folgten ihm wie die Ratten dem Rattenfänger.

Alle außer Twitch.

»Mein Vater hat gesagt, wenn man eine Taube plattmacht, springen ihr die Augen raus«, sagte eine tiefe Stimme, die nur Vernon Boon gehören konnte. Vernon war schon so groß wie ein Erwachsener und so sensibel wie ein Sandsack. Seinem Vater gehörte der Schlachthof im Ort. Außerhalb der Schule trug Vernon stets Gummistiefel. Mit Twitch sprach er selten, dafür stieß und schubste er ihn regelmäßig und lachte, wenn Twitch stolperte oder hinfiel.

Als ein mehrstimmiges »Iiiihh!« erklang, war Twitch klar, dass es eine ganze Gang sein musste.

»Krass. Los, das will ich sehen.«

Twitch bückte sich und nahm einen Feuerstein aus dem kargen Beet, das um das Chemiegebäude herum angelegt war. Er ließ ihn in die Tasche seines Schul-Blazers fallen und ging dann um die Ecke zu dem Platz, auf dem die großen silberfarbenen Mülltonnen standen. Vier Jungen beugten sich dort über etwas, das am Boden lag.

Terry Vale, ein magerer Junge mit dunklen Locken und Zahnspange, jammerte: »Muss das echt sein? Ich meine … das mit den Augen ist doch echt eklig. Mir wird gleich schlecht. Nicht dass ich kotzen müsste oder so …«

Jack stieß mit der Faust in die Luft und rief: »Mach schon! Mach schon! Mach schon!«

»Mach was?«, fragte Twitch laut.

Die Jungen zuckten zusammen.

»Ozuru, du solltest doch Wache halten«, schimpfte Jack den kleinen Jungen, der am Rand der Gruppe stand. Ozuru Sawa zuckte nur mit den Schultern und sah zu Boden.

»Gurrr! Gurrr!«

Twitch erkannte die ängstlichen Rufe eines Vogels und sah den Ziegelstein in Vernons Hand. Twitch verschränkte die Arme vor der Brust und versuchte, seine Wut zu zügeln.

»Wollt ihr etwa eine Felsentaube töten?«

Er sah die Jungen durch seine langen, dunkelblonden Ponyfransen an. Twitch war ein wenig größer als Ozuru und etwas stärker als Terry, aber bei einer Auseinandersetzung mit Vernon oder Jack standen seine Chancen schlecht. Bei einem Kampf gegen alle vier gingen die Erfolgsaussichten gegen null.

»Dieser Vogel hat genauso viel Recht zu leben wie ihr.«

»Nein, Tauben sind Ungeziefer«, widersprach Jack und verzog das Gesicht zu einem Grinsen. »Wir tun der Allgemeinheit einen Gefallen, wenn wir sie töten. Stimmt’s, Vernon?«

Der Anblick des Steins in Vernons Hand und die Angstrufe des Vogels am Boden ließen die Zornesadern auf Twitchs Stirn anschwellen. Er blinzelte schnell und versuchte, sich zu beruhigen. »Nein, das stimmt nicht.«

»Willst du uns etwa daran hindern?«, fragte Jack und sah demonstrativ an Twitch vorbei. »Du allein?«

Die drei anderen stellten sich hinter Jack. Der blinzelte heftig und imitierte damit Twitchs nervöse Angewohnheit.

»Sag mal, Spatzenhirn, wie ist es eigentlich, wenn man so ein Loser ist, dass man nur Freunde mit Federn hat?«

»Genau! Federn! Haha!«, echoten die anderen.

Jack machte einen Schritt auf die verängstigte Taube zu. »He, Vögelchen, dein bester Kumpel ist hier, um dich zu retten!« Mit einem fiesen Gesichtsausdruck tat er so, als zähle er die Jungen. »Das Dumme ist nur, er ist allein und wir sind zu viert.« Jack zog die Mundwinkel herunter. »Oh nein!« Dann nahm er Vernon den Ziegelstein ab und hielt ihn über seinen Kopf.

»Nein!« Twitch sprang auf Jack zu, holte dabei den Feuerstein aus der Tasche und warf ihn. Der Stein segelte durch die Luft und traf Jack an der Schläfe.

Jack schrie auf, ließ den Ziegelstein fallen und hielt sich den Kopf. Der Ziegel landete auf Vernons Fuß, der jaulend herumhüpfte. Twitch rannte mit dem Kopf voran gegen Terrys Bauch, sodass der mit einem Aufschrei zu Boden ging. Twitch spürte, dass Vernon ihn um die Taille fasste und wegschleuderte, während Ozuru mit großen Augen zusah.

»Ich blute!«, beschwerte sich Jack und starrte auf den roten Fleck auf seiner Hand.

Twitch verspürte eine gewisse Genugtuung, die jedoch schnell verging, als ihn Vernon von sich stieß, sodass er rückwärts gegen die Mülleimer flog. Als er auf dem Boden aufkam, blieb ihm die Luft weg. Während er vergeblich versuchte, zu Atem zu kommen, riss er die Augen auf. Dann bekam er einen schmerzhaften Tritt in die Seite. Ozuru stand vor ihm.

»Das muss genäht werden!«, rief Jack, dem Blut über das Gesicht lief.

»Meine Zehe!«, stöhnte Vernon. »Ich glaube, sie ist gebrochen!«

»Er hat mein Gesicht verletzt!«, zischte Jack. »Das wirst du bereuen, Twitch!« Im Davonmarschieren rief er über die Schulter: »Wir sprechen uns noch!«

»Wir sprechen uns noch!«, wiederholte Ozuru, als er Terry aufhalf, der sich zusammengekrümmt den Bauch hielt. Ozuru und Terry folgten Jack.

Vernon grinste Twitch an. Der machte sich schon auf einen Schlag gefasst, doch Vernon schnaufte nur wie ein Stier und humpelte hinter den anderen her.

Twitch blieb einen Moment sitzen und wartete, bis er wieder regelmäßig atmen konnte. Die Rippen taten ihm weh, aber so etwas hatte er schon hundert Mal erlebt. Hauptsache, der Vogel lebte.

Auf den Knien krabbelte er auf das panische Gurren zu. Er strich sich den Pony aus dem Gesicht und betrachtete die unglückliche Felsentaube, die zwischen der Mauer des Chemiegebäudes und einer silberfarbenen Mülltonne eingeklemmt war.

Der Kopf des Vogels zuckte vor und zurück. Sein Brustgefieder schimmerte smaragdgrün. Aus dem aufgeplusterten sturmgrauen Federball sahen ein paar orangefarbene Augen Twitch erschrocken an.

Der Vogel hatte nur einen gesunden Fuß, der andere endete in einem verknorpelten Stumpf. Einer der grauen Flügel war ebenfalls verletzt.

»Was haben sie mit dir nur gemacht?«, flüsterte Twitch. Ihm lief ein Schauer über den Rücken. »Du bist ja halbtot vor Angst.«

Twitch setzte den Rucksack ab und zog Blazer und Pullover aus. Den Pulli legte er auf seine Knie und bewegte sich vorsichtig und langsam auf den Vogel zu. Mit einer raschen Bewegung legte er beide Hände um das Tier und setzte es auf den weichen Pulli.

»So«, sagte er und zog den Pulli so hoch, dass er wie eine Höhle um den verängstigten Vogel lag. Dann stand Twitch auf und nahm das Bündel auf einen Arm. Mit der freien Hand öffnete er den Müllcontainer. Dort sah er einen Stapel zusammengefalteter Kartons. Er nahm einen heraus und baute ihn mit einer Hand zusammen, legte dann das Bündel hinein und formte den Pulli zu einem weichen Nest um das Tier.

Die Mittagspause war schon fast vorbei. Er konnte den Vogel nicht hinter dem Chemiegebäude zurücklassen. Nach der nächsten Doppelstunde würden Jack und seine Freunde wiederkommen und die Taube töten. Wenn er sie aber erst nach Hause brachte, wäre er auf keinen Fall rechtzeitig zum Nachmittagsunterricht zurück. Twitch überlegte, ob es in der Schule nicht vielleicht doch einen sicheren Ort gab, an dem er die Taube bis Schulschluss verstecken könnte, aber es fiel ihm keiner ein.

»Hier kannst du nicht bleiben«, sagte er zur Taube. »Die kommen wieder.«

»Gurrr! Gurrr!«

Twitch sprang auf, zog seine Jacke wieder an und setzte den Rucksack auf. Seine schmerzenden Rippen hatte er schon fast vergessen. Das würde zwar Ärger geben, aber es gab Wichtigeres als eine Doppelstunde Sport. Also nahm er die Schachtel mit der Taube, verließ das Schulgelände und lief nach Hause.

Vogelfutter

Zwei Monate waren vergangen, seit Twitch die verletzte Taube gerettet hatte. Das Verlassen des Schulgeländes mit dem Vogel in der Schachtel hatte ihn zwei Wochen Nachsitzen gekostet, ihn zum Feind von Jack Cappleman und damit zu einem noch größeren Außenseiter gemacht. Aber es hatte sich gelohnt. Er hatte die Taube wegen des fehlenden Füßchens »Stummel« getauft und gehofft, dass der Vogel bei ihm bleiben würde. Aus einem hohen, schmalen Spind, den er auf dem Sperrmüll gefunden hatte, hatte er ein Taubenhaus gebaut. Die einbeinige Taube schien gerne in seiner Nähe zu bleiben, solange es Futter und einen Unterschlupf gab. Und zu Twitchs Freude freundete sich Stummel mit einem Taubenweibchen an. Nach kurzer Zeit begannen die beiden zu flirten. Schließlich bauten sie zusammen ein Nest im Taubenschlag. Das Weibchen war ein hübsches Tier mit dunklen Augen im schwarzen Gesicht. Sie hatte einen schlanken weißen Hals. Twitch nannte sie Maude, nach seiner Großmutter.

Eine Woche, nachdem Maude bei Stummel eingezogen war, lagen zwei Eier im Nest. Aus diesen Eiern schlüpften Quieker und Strubbel, zwei Junge, die ihr Leben als dodoartige rosa Klumpen mit feinem gelbem Federflaum begannen. Erstaunt beobachtete Twitch, wie sie sich innerhalb der folgenden zehn Tage entwickelten, größer, dunkler und stärker wurden. Jetzt, mehr als einen Monat nach dem Schlüpfen, sahen sie schon fast wie richtige Tauben aus.

Am letzten Schultag vor den Sommerferien war es sehr heiß. Als Twitch die Schule verließ, klebten seine Schuhe immer wieder am aufgeweichten Asphalt fest. Die dunkelgrünen Berge in der Ferne schienen ihn zu rufen. Das Gefühl von Freiheit ließ die Luft förmlich knistern. Vor ihm lagen die Sommerferien wie ein Zauberteppich aus tollen Möglichkeiten. Keine Schule, keine Hausaufgaben – und Tauben, die unterrichtet werden mussten.

»He, Twitch! Duck dich!«

Plötzlich traf ihn etwas am Rücken. Twitch sah nach unten und erblickte eine Take-Away-Schale aus Alu, daneben Geflügelknochen und verbrannte Haut. Das Gelächter hinter ihm ließ ihn unwillkürlich den Kopf senken, sodass ihm sein langer Pony ins Gesicht fiel. Er vergrub seine Hände in den Hosentaschen, zog die Schultern hoch und ging schnell weiter. Er wusste, wenn er rennen würde, würden sie ihn verfolgen.

»Hast du Hunger, Twitch?«, rief jemand. »Willst du einen deiner Freunde essen?«

Jetzt traf ihn eine weitere Alu-Schale am Bein und Geflügelknochen fielen heraus.

Ein Mädchen namens Pamela Hardacre begann zu quaken. Dann stimmten alle mit ein. Ein fieser Chor aus Enten-Gequake und -Geschnatter.

»Duck!«, schrie Jack. »Kapiert? Wie Donald Duck! Das ist Ente, Twitch, also duck dich!«

Ein silberfarbenes Geschoss traf Twitch am Hinterkopf. Er spürte, wie ihm Essensreste in den Kragen seines Schulhemdes rutschten. Ein Schauer lief ihm über den Rücken.

»Ja, ja, schon kapiert!«, rief er. Er setzte weiter einen Fuß vor den anderen und sagte sich, dass jeder Schritt ihn näher nach Hause bringen würde.

»Warum lachst du dann nicht?« Jacks Stimme hatte einen bedrohlichen Tonfall angenommen. »Das war ein Witz, Mann! Wo ist dein Sinn für Humor?«

»Lass mich in Ruhe«, erwiderte Twitch genervt. Jack würde ihn nach der siebten Klasse nicht in die Sommerferien gehen lassen, ohne sich ein letztes Mal für die winzige rosa Narbe über seinem Wangenknochen zu rächen.

»Oh, ist Corvus traurig?«, spottete Jack. »Bringt ihn das tote Vögelchen zum Weinen?«

Die Kinder, die in der Nähe herumstanden, begannen Blut zu wittern und rotteten sich zu einer Meute zusammen.

Es ärgerte Twitch, dass Jack seinen richtigen Namen, Corvus, benutzt hatte. Normalerweise wurde der nur verwendet, wenn es Ärger gab. »Twitch« war sein Spitzname, den er als kleines Kind bekommen hatte, weil er immer, wenn er unter Stress stand, nervös blinzelte. Er hatte den Spitznamen immer gemocht, weil sein Großvater ihm erzählt hatte, dass ein »Twitcher« ein Vogelbeobachter war, der sich für seltene Vogelarten interessierte. Jeder nannte ihn Twitch. Sogar er sich selbst.

Plötzlich packte ihn jemand am Rucksack und zerrte ihn nach hinten. Jack baute sich vor ihm auf.

»Du solltest mir dankbar sein.«

»Wofür?«

»Dafür, dass ich dir einen kleinen Imbiss bringe«, antwortete Jack und wedelte mit den Resten eines Entenschlegels vor seiner Nase herum. Mit dem linken Arm nahm er Twitch in den Schwitzkasten.

»Iss das!«, knurrte Jack und stieß Twitch das Entenbein ins Gesicht.

»Ich bin Vegetarier«, sagte Twitch und versuchte, sich wegzudrehen.

»Iss das!«, rief Jack und legte ihm das Entenbein an die Lippen.

»Lass mich los!«, stieß Twitch zwischen den Zähnen hervor. Wegen des Fleischgeruchs drehte sich ihm der Magen um. So etwas wollte er nicht mal in der Nähe seines Mundes haben. »Ich kotze gleich!«

Als Twitch würgen musste, ließ Jack ihn los. Jemand zog Twitch die Beine weg, sodass er zu Boden stürzte. Er landete auf dem Grasstreifen neben dem Gehweg zwischen Jack und der hellen Rinde einer Birke.

»Ach ja, Twitch liebt Vögel zu sehr, um sie zu essen«, höhnte Jack von oben herab.

»Wenn er Vögel so sehr liebt, warum isst er dann nicht das, was sie essen?«, erklang Pamelas schrille Stimme.

»Ja!«, rief Jack erfreut. »Würmer!« Er sah sich über die Schulter nach den Zuschauern um. »Sucht mir einen Wurm. Twitch hat Hunger!«

Twitch versuchte aufzustehen, doch Jack stellte ihm einen Fuß auf den Brustkorb. »Oh nein, du bleibst hier!«

Vernon kniete sich hin und grub mit dem Lineal aus seiner Schultasche im Boden. Terry neben ihm ließ sich auf die Knie fallen.

»Hab einen!«, verkündete Vernon triumphierend und zog einen sich windenden, rosafarbenen Spaghetti-Wurm aus dessen kühlen und dunklen Versteck.

»Mjamjam«, machte Jack und streckte die Hand nach dem Wurm aus. »Schön den Mund aufmachen, Twitch. Sei ein braves Küken!«

Triumphierend reichte Vernon Jack den Wurm. Gespannt warteten die anderen darauf, dass Twitch den Wurm essen würde.

Neben Pamela stand ein Mädchen namens Tara Dabiri, die ganz blass wurde. »Ich kann gar nicht hinsehen!«, murmelte sie und hielt sich die Hand vor den Mund. »Das ist grausam.«

»Ja, das findet der Wurm auch!«, sagte Pamela lachend.

Jack packte mit der freien Hand Twitchs Unterkiefer und versuchte, ihm den Mund aufzudrücken. Twitch warf den Kopf hin und her und versuchte, Jack abzuschütteln.

»Vernon, halt seinen Kopf fest!«, befahl Jack. Twitch spürte, wie sein Kopf in die richtige Position gebracht wurde. »Terry, setz dich auf seine Beine!« Grinsend packte Jack Twitchs Nase und ließ den Wurm vor seinem fest zusammengepressten Mund baumeln. »Du wirst diesen Wurm jetzt essen, Spatzenhirn!«

»Hey!«, war plötzlich die Stimme eines Mannes zu hören. »Was ist hier los?«

Die Kinder zerstreuten sich wie ein Schwarm aufgescheuchter Stare. Bevor Twitch sich aufgesetzt hatte, rannten Jack, Vernon, Terry und die anderen schon die Straße hinunter.

Ein Mann, der einen Filzhut mit schmaler Krempe auf dem Kopf hatte und über seinem weißen T-Shirt ein blau-kariertes Hemd trug, schlenderte auf ihn zu. Auf seinem Gesicht, das von einem kurzen Bart eingerahmt wurde, lag ein wissendes Lächeln. Seine blauen Augen blitzten und als er die Hand ausstreckte, um Twitch aufzuhelfen, fiel ein schweres Goldarmband über sein Handgelenk.

»Alles in Ordnung, Kleiner?«

Twitch nickte.

»Sind das Freunde von dir?«, erkundigte sich der Mann. Sein singender Tonfall ließ Twitch vermuten, dass er aus Schottland oder Irland stammte. Twitch schüttelte den Kopf.

»Feinde?«

Twitch zuckte mit den Schultern.

»Ist mir in der Schule genauso gegangen.« Der Mann lächelte ihn verständnisvoll an. »Aber warum ein Wurm?«

Der Mann kam ganz sicher aus Irland. Im Hinterkopf hörte Twitch die Stimme seiner Mutter, die ihn immer davor warnte, mit Fremden zu sprechen. Allerdings hatte sie ihm nicht gesagt, was er tun sollte, wenn ein Fremder ihn gerade davor bewahrt hatte, einen Wurm essen zu müssen. Da sollte man wahrscheinlich höflich sein.

»Ich mag Vögel und halte sie als Haustiere.«

»Echt?«, fragte der Mann überrascht. »Was für welche denn?«

»Tauben und Hühner, aber in unserem Garten nisten auch noch andere.« Twitch spürte, wie er blinzelte. Er erzählte Erwachsenen nicht gern von sich. »In unserem Nistkasten brüten zurzeit Blaumeisen. Und Schwalben kommen auch jedes Jahr.«

»Echt? Meine Lieblingsvögel sind Mauersegler«, sagte der Mann und schaute interessiert.

»Der Flugschläfer mit den Sichelflügeln«, sagte Twitch und wurde rot. »So nenne ich Mauersegler. Sie können während des Fluges schlafen.«

»Ja, Mauersegler sind tolle kleine Vögel!« Der Mann sah Twitch an, als würden sie beide etwas verstehen, von dem nur wenige Menschen eine Ahnung hatten. Twitch nickte lächelnd.

»Ich bin auf der Durchreise. Aber während ich hier bin, würde ich die Zeit gern nutzen, um Vögel zu beobachten. Gibt es hier gute Plätze dafür? Einen Wald oder so?«

»Oh, die Plätze gibt es!« Twitch war begeistert, dass sein Retter auch ein Vogelfreund war. »Sie sollten es im Naturschutzgebiet versuchen. Es heißt Birdwood. Da gibt es unterschiedliche Brutgebiete. Birdwood liegt auf der Vogelfluglinie …«

»Auf der Vogelfluglinie?«

»Ja, Sie wissen schon, das ist die Strecke, die Zugvögel nutzen. Da kann man immer seltene Vögel entdecken. Es gibt aber auch Spechte, Gimpel und Eisvögel.«

»Gut, das ist toll, Junge.« Der Mann sah über seine Schulter. Twitch konnte in der Ferne Polizeisirenen hören. »Vielleicht bleibe ich in der Nähe. Oh, da ist ja ein Zeitungsladen. Ich brauche eine Zeitung. Wie wäre es, wenn ich dir etwas Süßes kaufe, damit du den Wurmgeschmack loswirst. Als Gegenleistung für deine touristischen Tipps?« Er streckte die Hand aus. »Ich heiße übrigens Billy.«

»Ich heiße Twitch«, antwortete Twitch verlegen und schüttelte Billy die Hand, während sie über die Straße gingen. »Sie müssen mir aber nichts kaufen. Schließlich musste ich den Wurm ja gar nicht essen.«

Billy drückte die Tür zum Zeitungsladen auf und ließ ihn vorgehen. »Rein mit dir, Twitch. Ungewöhnlicher Name. Such dir doch etwas zu trinken und einen Schokoriegel aus. Ich lade dich ein. Es heißt, Zucker ist gut nach einem Schock.«

»Das war kein Schock«, erklärte Twitch. »Das machen die ständig.«

»Noch ein Grund, dir etwas zu gönnen«, behauptete Billy und nickte Twitch aufmunternd zu.

Twitch lächelte Mr Bettany, den Ladenbesitzer, schüchtern an. Twitch arbeitete samstags für ihn und trug Zeitungen aus. Twitch betrachtete die bunten Flaschen durch die Glastüren des Kühlschranks.

Seine Mutter wäre sauer, wenn sie wüsste, dass er von einem Fremden Süßigkeiten annahm. Aber wenn er sie in seinem Versteck essen würde, müsste sie das ja gar nicht erfahren. Und Billy schien nett zu sein und war ein Vogelbeobachter. Twitch vermisste es, mit jemandem über Vögel reden zu können. Als er klein gewesen war, hatte ihn sein Großvater mitgenommen, um Vögel zu beobachten. Aber seit sein Großvater gestorben war, musste Twitch immer allein losziehen.

Twitch wählte eine Tüte mit Fruchtgummis und platzierte sie auf den Tresen, auf den Billy schon eine Zeitung gelegt hatte. Die Überschrift lautete »Räuber Ryan auf der Flucht«. Daneben war das Foto eines Mannes mit rasiertem Kopf abgedruckt. Beim Zahlen unterhielt sich Billy freundlich mit Mr Bettany über das Wetter und den Zustand der Straßen.

»Bis morgen, Twitch!«, sagte Mr Bettany und winkte.

Draußen blieben sie einen Moment verlegen stehen, dann sagte Twitch höflich: »Vielen Dank, dass Sie mich vor Jack gerettet haben. Und vielen Dank für die Süßigkeiten!«

»Kommst du allein nach Hause?«

Twitchs Herzschlag setzte kurz aus. Er wusste, dass er einem Fremden nicht verraten sollte, wo er wohnte.

»Ich nehme eine Abkürzung«, log er. »Mum wird schon auf mich warten.«

Er warf einen Seitenblick auf Billy. Twitch hatte nicht vor, gleich nach Hause zu gehen, aber das wollte er einem Fremden nicht verraten.

»Sehr klug«, fand Billy. »Aber bevor du gehst … Ich würde mir gern Birdwood etwas näher ansehen, wandern und Vögel beobachten. Ich reise mit meinem Wohnmobil. Gibt es hier vielleicht einen etwas abgelegenen Ort, wo ich meinen Camper parken kann? Du weißt schon …« Er neigte sich vor und sprach aus dem Mundwinkel: »… wo ich nichts bezahlen muss.«

»Wenn man von der Briddvale Road abbiegt, gibt es ein Feld, das zur Patchem Farm gehört«, erwiderte Twitch, dem diese verstohlene Bitte merkwürdig vorkam. »Dort darf man manchmal kostenlos parken.«

»Patchem Farm. Danke, das hilft mir weiter.« Billy zwinkerte ihm verschwörerisch zu. »Wir sehen uns, Twitch! Und halte dich von Würmern fern!« Er kicherte, winkte kurz und ging dann die Straße entlang.

Twitch starrte ihm nach und hatte ein schlechtes Gewissen, dass er so misstrauisch gewesen war. Dann betrachtete er die Fruchtgummis und grinste. Die Ferien hatten doch nicht so schlecht angefangen. Dann drehte er sich um und ging in die entgegengesetzte Richtung davon, Richtung Birdwood, wo er sich ein geheimes Versteck gebaut hatte. Dort wollte er seine Sommerferien verbringen.

Birdwood

Das Naturschutzgebiet Birdwood war auf einer alten Schlackenhalde entstanden. Die Flugasche aus den alten Kohleminen hatte den Boden alkalisch gemacht, sodass hier seltene Pflanzen wuchsen. Das Gebiet bestand trotz seines Namens nicht nur aus Wald, sondern auch aus Wiesen. Und ein großer Teil davon war sogar ein Sumpf. Es war der ideale Platz für Insekten und Vögel. Daher wusste man nie, welche Vögel gerade die Ufer des Briddvale Rivers besuchten oder im Sumpfgebiet um den kleine See ihre Nester bauten.

Twitch betrat Birdwood durch einen Durchlass am Weidezaun neben dem Kanal, der parallel zum Fluss Bridd verlief. Gleich darauf verließ er den Fußweg und lief durch das Unterholz, wobei er sich ständig umsah, ob ihn jemand beobachtete.

Bald erreichte er den See, atmete den Duft des Kiefernharzes ein und lächelte in sich hinein, während er vorsichtig über Wurzeln und Dachsbauten stieg. Twitch achtete darauf, dass er keine Fußabdrücke hinterließ, die jemanden zu seinem Versteck führen könnten.

Allmählich wurde der Boden weicher und feuchter und die Bäume spärlicher. Dann lag der kleine See vor ihm, dessen Wasseroberfläche an diesem heißen Julitag wie eine Fata Morgana schimmerte. Er hörte das mausartige Quieken eines Austernfischers und suchte das Ried mit den Augen nach dem schwarz-weißen Watvogel mit dem langen orangefarbenen Schnabel ab. Plötzlich schreckte ihn Hundegebell aus seiner Konzentration auf und er duckte sich schnell. Zwischen Brombeerranken hindurch sah er zwei Polizeibeamte, die von aufgeregten Schäferhunden an Leinen vorwärtsgezerrt wurden. Sie waren nur zehn oder elf Meter vom Fußweg entfernt. Twitch war überrascht. Polizei war in Birdwood sehr ungewöhnlich. Und Polizisten mit Hunden hatte er hier noch nie gesehen. Er schnupperte, weil er sich fragte, ob ein paar ältere Schüler vielleicht ein Feuer gemacht hatten. Doch er konnte keinen Rauch riechen, nur den beruhigenden, erdigen Duft des Waldes.

Vorsichtig schlich er um den See herum und wich geschickt den tiefen Wasserpfützen aus, die sich mit Rohrkolbengras als fester Boden tarnten. Über eine Lichtung ging Twitch auf eine Gruppe dicht stehender Bäume zu und war erleichtert, dass er wegen des dichten Laubes und der Entfernung jetzt vom Pfad aus nicht mehr zu sehen war.

Ohrenbetäubendes Ffft-ffft-fffft ließ ihn nach oben sehen, wo ein Polizeihubschrauber erstaunlich tief vorüberflog. Aufgeregte Vögel, die aus ihren Nestern im Riedgras am Wasser aufgeschreckt worden waren, schrien panisch. Twitch fühlte sich plötzlich schutzlos und rannte geduckt auf die dunkle Baumgruppe zu, obwohl ihn dünne Zweige peitschten und zerkratzten. Er sah sich nervös um und fragte sich, was die Polizei wohl suchte. Sein Herz klopfte und sein Atem ging schnell. Er befand sich in einem verborgenen Teil des Naturschutzgebietes. Normalerweise kam wegen der gefährlichen Wasserlöcher nie jemand hierher. Twitch verhielt sich ruhig, wartete, dass der Hubschrauber verschwand und das friedliche Zirpen und Zwitschern des Waldes wiederkehren würde.

Dann griff er in eine Menge herabhängender grüner Farnblätter und löste einen Kleiderbügel heraus, den er an einem dünnen Seil oben im Baum befestigt hatte. Als er daran zog, ging eine Klappe im Farn auf, hinter der sich dicht über dem Boden eine Öffnung zeigte. Twitch hängte den Kleiderbügel über einen Zweig, ging auf alle viere und kroch in sein Versteck.

Links vom Eingang befand sich eine breite rechteckige Öffnung. Die Klappe, die sie verschloss, konnte man zur Vogelbeobachtung hochklappen. Twitch öffnete sie und sah hinaus. Auf der anderen Seite des Sees entdeckte er Boote und Polizeibeamte in Rettungswesten, die das Schilf mit langen Stangen durchsuchten. Twitch musste an die Überschrift auf Billys Zeitung denken. Er ließ den Schulrucksack von der Schulter gleiten und setzte sich auf einen blauen Plastikträger für Milchflaschen, der ihm sowohl als Stuhl als auch als Tisch diente. Twitch wartete, bis sich seine Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten. Mitten auf dem Boden befand sich eine Feuerstelle, eine flache Vertiefung, die er ausgegraben und mit Feuersteinen umgeben hatte und die direkt unter der Spitze des tipiartigen Verstecks lag, durch dessen kreisrunde Öffnung Rauch entweichen konnte. Er hatte seine Feuerstelle jedoch noch nie benutzt, weil er fürchtete, dass ein Feuer Aufmerksamkeit auf ihn lenken könnte.

Ursprünglich war Twitchs Versteck ein Tipi aus Stangen gewesen, das er im Unterholz unter einer großen alten Birke in einem Ring aus Haselnussbäumen aufgestellt hatte. Er hatte es gebaut, um die Vögel am See beobachten zu können, ohne sie zu stören. Doch im letzten Sommer, als seine Baupläne immer ehrgeiziger geworden waren, war das Tipi fast zu einer Festung geworden. Hinter dem Tipi-Raum lag ein weiterer, den er mit einer Plastikplane, die er über einen Birkenast geworfen hatte, regensicher gemacht hatte, damit er dort auch einmal übernachten konnte. Er hatte die Größe eines dreieckigen Zweimannzeltes. Dann hatte er lange Äste entlang der Wände in einen Graben gesteckt und sie oben zusammengebunden. Die Gräben hatte er mit Erde gefüllt und so geformt, dass sie Wasserrinnsale abhielten. Die Lücken hatte er mit belaubten Zweigen gefüllt, Farne dazwischengewebt und die Löcher mit Moos ausgestopft, bis das Versteck von allen Seiten aussah wie der Wald drum herum und fast unsichtbar wurde. Doch die Pflanzen, die er für seinen Unterschlupf benutzt hatte, verwelkten. Deshalb hatte er am Ende des letzten Sommers seinen Spaten mit nach Birdwood genommen und Farne, Klee, Disteln, Brennnesseln und Brombeeren ausgegraben und um die Außenwände herum wieder eingepflanzt. Im nächsten Frühling hatte er die sprießenden Brombeerranken in seine Außenkonstruktion eingewebt. Die Karden schossen in die Höhe, die Disteln verbreiteten sich und die Brennnesseln vermehrten sich. Zusammen bildeten sie seine Verteidigungslinie, stachelige Wachmänner, die Neugierige mit Dornen und Stacheln fernhielten.

In seinem Versteck war alles so, wie er es am letzten Sonntag verlassen hatte. Mit den Händen wischte er eine Schicht Erde vom Deckel einer eingegrabenen Vorratskiste und klappte ihn auf. Darin lagen ein kariertes Kissen, trockenes Feuerholz, ein Stück Zeitung, ein Regenschirm, eine Taschenlampe, ein Paar Gartenhandschuhe und eine Schachtel Streichhölzer in einer wasserdichten Sandwichtüte. Er legte die Fruchtgummis von Billy in die Kiste und holte seinen wertvollsten Besitz hervor: das zerschrammte Lederetui mit dem alten Fernglas seines Großvaters. Es erinnerte ihn an die stillen Stunden, die er neben dem freundlichen alten Mann verbracht hatte, den er als Vater betrachtet hatte, während er die Namen von Pflanzen lernte und auch lernte, Geduld zu haben. »Geduld«, hatte sein Großvater immer gesagt, »ist der Lockruf für Eulen, Habichte und Falken.«

Twitch hängte sich das Fernglas um den Hals und krabbelte in den wasserdichten Raum, wo er an der hinteren Wand einen dicken Aststumpf zur Seite schlug, der wie ein Bolzen festsaß. Dadurch wurde ein Loch in der Wand sichtbar, durch das nur sein Fernglas passte. Er legte es in die Öffnung und drehte an der Schraube zwischen den Linsen, bis er den Pfad scharf im Blick hatte.

Was ging da in Birdwood vor sich? Er wollte wissen, was los war. Durch die Bäume und die Dornenbüsche konnte er nur undeutlich sehen, aber an drei Stellen hatte er freie Sicht auf den Fußweg. Geduldig und konzentriert wartete er und wurde mit dem Anblick einer Frau in einem Hosenanzug belohnt, der eine Truppe uniformierter Beamter folgte. Offensichtlich gab sie ihnen Anweisungen, woraufhin sich die Truppe verteilte.

Twitch war beunruhigt. Die Polizei suchte in Birdwood etwas oder jemanden. Wenn sie sein Versteck fanden, würde das seine Pläne für den Sommer verderben! Dabei hatte er so viele. Am nächsten Tag wollte er die beiden Taubenküken Quieker und Strubbel zu ihrem Jungfernflug mit hinausnehmen. Dann wollte er den Tag hier verbringen, die Vögel am See beobachten, sein Notizbuch vervollständigen und sein Versteck verbessern.

Plötzlich erhaschte er abseits des Pfades einen Blick auf etwas Gelbes und richtete das Fernglas darauf. Überrascht zwinkerte er, als er zwei Mädchen erkannte, die sich im Unterholz versteckten und über einen umgestürzten Baumstamm hinweg auf den Pfad sahen. Das ältere Mädchen hatte lange dunkle Locken und ernste, elfenhafte Gesichtszüge. Sie trug Jeans, Stiefel und ein T-Shirt in Regenbogenfarben. Sie hatte eine Plastiktüte dabei. Das andere Mädchen, das mindestens zwei Jahre jünger war, hatte honigbraunes, gewelltes Haar, das sie oben auf dem Kopf zu einem unordentlichen Dutt zusammengebunden hatte. Über ihren Shorts trug sie einen gelben Tüllrock und ein rosa Hemd unter einer taubenblau gemusterten Strickjacke. Ängstlich drückte sie sich an das ältere Mädchen. Die beiden sahen sich so ähnlich, dass Twitch sie für Schwestern hielt. Was sie sagten, konnte er nicht hören, aber es war klar, dass das ältere Mädchen die jüngere beruhigte. Sie machten ernste Gesichter und flüsterten aufgeregt miteinander. Ob die Polizei wohl nach ihnen suchte?

Momentan trampelten zu viele Menschen in Birdwood herum, um Vögel beobachten zu können. Außerdem wollte Twitch unbedingt wissen, was die Anwesenheit so vieler Polizisten, Hunde und sogar eines Hubschraubers zu bedeuten hatte. Er ließ das Fernglas um seinen Hals hängen und klappte seine Kiste wieder zu. Dann strich er Erde über die Kiste, um sie zu tarnen, und setzte den Rucksack wieder auf. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass in seinem Versteck alles in Ordnung war, verließ er es. Er wollte dem Kaninchenpfad folgen, der sich als dünne Linie durch die Brennnesseln zog, und so zu der Stelle gelangen, an dem sich die beiden Mädchen versteckten. Es wollte herausfinden, was sie vorhatten.

Ein silberner Eisvogel

Als Twitch das Ende des Kaninchenpfads erreicht hatte, waren die beiden Mädchen verschwunden. Er war enttäuscht. Er wollte doch herausfinden, wer sie waren und was sie hier taten. Es hatte nicht den Anschein, als seien sie aus der Gegend. Twitch hatte sie hier noch nie zuvor gesehen. Und Briddvale war eine kleine Stadt. Wahrscheinlich waren sie frühe Sommertouristen, was bedeutete, dass er wohl nie den Grund erfahren würde, warum sie sich hier versteckt hatten oder warum sie so verängstigt gewirkt hatten. Er ging zu dem umgestürzten Baum und hockte sich dorthin, wo die Mädchen eben noch gesessen hatten. Wenn er über den Baum hinweg sah, konnte er den Pfad klar erkennen. An einer Wegkreuzung ein Stück weiter standen einige Polizisten und machten ernste Gesichter. In Birdwood passierte gerade etwas Gefährliches. Twitch erkannte schaudernd, dass er wohl besser nicht hier sein sollte.

Er wollte gerade gehen, als sein Blick auf einen violetten Käfer fiel, der sich eiligst unter dem Blättermulch versteckte, wahrscheinlich auf der Jagd nach Nacktschnecken. Dabei entdeckte Twitch ein blau-grünes Perlenarmband. Er nahm es mit Daumen und Zeigefinger auf und sah einen kleinen silbernen Eisvogel daran hängen. Das war ein Zeichen. Er steckte das Armband ein. Wenn er die Mädchen noch einmal treffen sollte, konnte er es als Anlass nehmen, sie anzusprechen und vielleicht herausfinden, warum sie die Polizisten beobachtet hatten.

Da Twitch der Meinung war, dass es besser wäre, sich möglichst auffällig zu verhalten, marschierte er aufrecht und geräuschvoll auf den Pfad zu. Es dauerte tatsächlich nicht lange, bis ihn ein Polizist ansprach.

»He, du, Junge, komm mal her!«

»Ja, Sir«, antwortete Twitch und fragte: »Was ist denn los? Warum sind hier so viele Polizisten?«

»Wir durchsuchen den Wald«, erklärte der Beamte. »Bist du allein?«

Twitch nickte.

»Willst du Vögel beobachten?« Der Polizist lächelte und deutete auf das Fernglas um Twitchs Hals.

Wieder nickte Twitch.

»Hast du hier irgendjemanden gesehen, den du nicht kennst?«

Twitch dachte an die beiden Mädchen, aber er schüttelte bereits den Kopf. Die beiden hatten die Polizisten ängstlich beobachtet, und er wollte sie nicht in Schwierigkeiten bringen.

»Na gut. Und jetzt möchte ich, dass du bitte auf direktem Weg nach Hause gehst.«

»Ja, gut.« Twitch hielt inne. »Ist ein schlimmes Verbrechen passiert? Ist jemand ermordet worden?« Das letzte flüsterte er beinahe.

»Nein, nichts dergleichen«, amüsierte sich der Polizist. »Letzte Nacht ist ein gefährlicher Gefangener aus dem Gefängnis von Dovelock ausgebrochen. Er ist in dieser Gegend gesehen worden. Und wir haben Grund zu der Annahme, dass er noch einmal hierherkommt.«

»Warum?«

»Um etwas zu holen«, sagte der Polizist mit bedeutungsvollem Blick.

»Ist es Räuber Ryan?« Twitch fiel wieder die Schlagzeile auf Billys Zeitung ein.