Die Geige - Rudolf Georg Binding - E-Book

Die Geige E-Book

Rudolf Georg Binding

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Beschreibung

Binding war ein unpolitischer, nationaler Autor, der aus seinen Kriegserlebnissen heraus, die deutsche Nation hochhielt. Seine Novellen sind fein gesponnen, seine Sprachbeherrschung phänomenal.

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Veröffentlichungsjahr: 2013

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Rudolf Georg Binding

Die Geige

vier Novellen

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Binding: Die Geige

Rudolf Georg Binding

 

 

Die Geige

Vier Novellen

 

 

 

 

Verlag.bucher@gmail.com

Die Waffenbrüder

Es ist noch nicht lange her, daß in einer Stadt im Westen unseres Landes, wie keine schönere gleich einer lächelnden Frau ihre Füße in den Wellen eines raschfließenden Stromes badet und ihr Antlitz in seinem Spiegel betrachtet, sich die Geschichte zutrug, die ich hier erzählen will. Obzwar sie sich recht eigentlich im Herzen jener Stadt abgespielt hat und es Blut dabei gab und Tränen, so hat sie davon wohl kaum etwas gespürt; und wenn sie etwas von ihr bemerkte, so hat sie es im Herzen bewahrt, treu und verschwiegen, wie es gut war und notwendig; denn sie ist – auch hierin den Frauen gleichend – minder schwatzhaft als minder schöne. Jetzt aber, da – nach kaum zwanzig Jahren – niemand mehr übrig ist, dem die Erzählung dieser Begebenheiten einen Schmerz erneuern könnte, und die Geschichte schon dem unermeßlichen Meere der Vergessenheit zurollt, das, gnädig und grausam, die Schicksale der Menschen in sich aufnimmt, scheint es an der Zeit, sie diesem Ende zu entreißen. Denn selbst der letzte und gewichtigste, wenn auch stumme Zeuge, welcher ihren Ausgang gesehen hat, ist gefallen, da ich jüngst eines Abends vor den Trümmern des Hauses stand, in welchem sie zum Austrag kam.

Es war das Haus, in dem zu unserer Studentenzeit unser Fechtmeister wohnte und seinen Fechtboden hielt; nicht der von der Universitätsbehörde angestellte, bei dem man die herkömmlichen Gänge unter Geklirr und Getrampel erlernte, sondern einer, der die feine Kunst auf eigene Hand übte und lehrte, und ein sonderlicher vor andern, wie die Bibel sagen würde. Noch waren die Arbeiter, um ihres Tages Mühen zu enden, am Werk, die letzte Mauer niederzureißen; aus dem weißen Schutt ragten einige Dielen des knorrigen, abgetretenen Fußbodens, auf dem wir bei unseren jugendlichen Ausfällen gestanden hatten. Als die Mauer mit den hilflosen, leeren Fensteröffnungen kraftlos fiel und eine Wolke gelblichen feinen Staubes mir die formlosen, in sich zusammengesunkenen Trümmer verhüllte, wurde ich seltsam angerührt; wie von einem leisen Zauber. Ich ging nach Hause, fast wie geleitet; und er bannte mich, die Schattenschleier festzuhalten, die er in der wachsenden Dämmerung um mich heraufzog.

Dies aber war es, was ich ergriff.

Im Kriege gegen Frankreich fochten auf deutscher Seite in einem jener Reiterregimenter, denen die langatmigen Attacken von Mars-la-Tour und Vionville zu reiten beschieden waren, zwei junge Männer Seite an Seite, welche die gemeinsame Mühsal des Krieges in einer engeren Kameradschaft aneinanderschloß, als es die Verkettung, die ihr späteres Leben verband, je vermocht hätte. Es war Daniel Roux, trotz seines französischen Namens ein guter Deutscher und seines Zeichens Fechtmeister, und Thomas Woller, in Friedenszeiten wohlbestellter Waffen- und Messerschmied.

Daniel, der seinem Namen und seiner Herkunft als für seinen eigenen Wert ganz unwesentlichen Dingen nicht nachzugehen für gut befand, stammte wohl aus einem eingewanderten Geschlecht, war aber aus den Grenzlanden gebürtig; wenigstens besagte das sein Taufschein, der auf einen kleinen Ort im Badischen lautete. Aber nie hat ihn jemand von seiner Heimat, von Vater oder Mutter oder irgendeiner Familienbeziehung reden hören, und selbst die entfernten Vettern, die ein jeder hat, gab es für Daniel Roux in keinem Teil der bewohnten Erde. Das erwähnte Taufzeugnis, welches er notgedrungen gegen die ihm gänzlich überflüssig und neugierig erscheinenden Fragen der Behörden als einzigen Beleg seines Daseins mit sich führte, pflegte er, wenn er es wirklich einmal vorlegen mußte, nach Möglichkeit zu entkräften, indem er darüber so obenhin die Bemerkung fallen ließ, Wasser und Pfaffen gebe es überall auf der Welt; als ob er gefürchtet hätte, daß das fatale Papier ihm irgendeine Art Erkenntlichkeit oder Anhänglichkeit gegen den darin namhaft gemachten Ort auferlege. Solche Empfindungen fanden nämlich nicht den kleinsten Raum in seinem Herzen, welches wie das eines Vogels war, der, einmal flügge geworden, nicht wieder an das Nest zurückdenkt, in dem er ausgebrütet wurde.

Wenn Daniel Roux eine erkleckliche Anzahl von Jahrhunderten eher auf die Welt gekommen wäre, so würde er unfehlbar ein fahrender Ritter geworden sein; und ein solcher von der feinen Art, wie es vielleicht einer seiner Vorfahren im ritterfrohen Frankreich gewesen war. Denn woher er diesen Hang hatte, den keinerlei Anschauung aus Büchern oder bildlicher Darstellung geboren und keinerlei Vorbild oder Anleitung großgezogen haben konnte, ist ihm selbst immerdar dunkel geblieben. Doch waren es keine aus der Zeit fallenden Träume von mittelalterlichen Waffenfahrten und Turnieren, die ihn beseelten, und ebensowenig zog es ihn, die Waffenführung als ein Handwerk zu erlernen, das seinen Mann nährt. Ein künstlerischer, ja fast virtuoser Geist war vielmehr in ihm mächtig: denn das Waffenspiel betrachtete er wie eine Kunst, der man sich ergeben könne, gleich irgendeiner andern; und es war die blanke Klinge, besonders aber die des krummen Reitersäbels, welche er zu seinem Instrument machte, das er spielen lernen wollte, wie ein Meister. Ihr brachte er alle seine jugendliche Neigung entgegen, und ein feingeschmiedetes Stück, das er mit natürlichem Gefühl bald von anderen handwerksmäßigen zu unterscheiden vermochte, konnte er ebenso verliebt, verträumt und in einer Art Ehrfurcht betrachten, wie etwa ein großer Violinspieler eine aus den kunstfertigen Händen der Stradivari oder Amati hervorgegangene Geige.

So erlernte Daniel Roux die Fechtkunst; und dies da, wo sie in deutschen Landen ihre gehegte Zuflucht und Pflege hatte, also bei den studentischen Fechtmeistern besonders des Südens und Westens. Da aber Daniel, wie jeder wirkliche Künstler, sozusagen ein geborener Meister war, so konnten ihm seine Lehrer, denen er als Gehilfe seine Dienste anbot, bald nichts mehr beibringen, denn er führte seine Klinge nicht anders als Michelangelo seinen Meißel, Rembrandt seinen Stichel oder Paganini seinen Bogen; und so erwog er schon in seinem Innern den Gedanken, auszuwandern, um in anderen Ländern ebenbürtige Rivalen zu suchen, die er hier nicht mehr traf, als ihn die Pflicht, im Heere zu dienen, auf einige Jahre an die wenig geachtete Heimat band. Wie er dabei in das preußische Reiterregiment kam, in dem er später gegen Frankreich zu Felde zog, ist nicht klar; aber Daniel, dem die Heimatlosigkeit des Künstlers im Blute lag, kümmerte diese Frage ganz und gar nicht, und es war ihm genug, irgendwo den Flamberg nach Herzenslust schwingen zu können, was er denn auch weidlich tat, wennschon der Reitersäbel ungefüger war, als die fein ausbalancierten Klingen, die er zu schlagen pflegte.

Von der ritterlich-fahrenden Art des Fechtmeisters war die Thomas Wollers, des Waffenschmieds, weit genug verschieden. Denn er, der einem alten Solinger Geschlecht mit einem ebenso alten Handwerk entstammte, war vor dem Kriege schon seßhaft in jener Stadt, die im Eingang dieser Geschichte genau genug beschrieben wurde. Dorthin hatte ihn wegen seiner Kunstfertigkeit, die feinsten chirurgischen Messer und absonderlichsten Instrumente zu schmieden, die auch heutzutage noch der Kunst der Hand vorbehalten sind, ein berühmter Arzt der Universität berufen, dem er trefflich in die Hände zu arbeiten wußte. Die Studenten aber holten sich bei ihm die scharfen Klingen für ihre Mensuren und seltenen ernsthafteren Waffengänge; denn sie mußten immer vom Besten haben, und Thomas Woller stand in dem Ruf, daß er auf Verlangen selbst eine Klinge nach toledanischer oder damaszener Art hätte schmieden können, wenn sie’s hätten bezahlen mögen.

Wenn vergangene Zeiten aus Daniel Roux einen fahrenden Ritter gemacht hätten, so wäre Thomas Woller nun und nimmer etwas anderes geworden, als er war. Denn er liebte sein Handwerk nicht nur als sein eigenes, sondern auch als das seiner Vorfahren und betrieb es in einer besonderen vornehmen Art und Führung, wie nur solche pflegen, die einen überkommenen Ruf zu hüten haben; und so hätte er sich für einen Stümper gehalten, wenn er nicht alle die sorgfältig bewahrten Kunstgriffe und Schmiedegeheimnisse gekannt und anzuwenden gewußt hätte wie die Besten seines Namens. Als der Feldzug begann, konnte er seine Werkstatt wohlbestellt einem graubärtigen Gesellen überantworten und brauchte nicht zu fürchten, daß der Krieg sein Handwerk ohne Arbeit lassen würde.

Es war auf dem Kasernenhof ihres Regiments in X, daß sich Daniel Roux und Thomas Woller das erstemal von Angesicht zu Angesicht erblickten. Dort standen sie unter der Menge der anderen, die der Mobilmachungsbefehl zur gleichen Stunde auf dem Platz versammelt hatte, geduldig und ungeduldig zugleich darauf wartend, daß sie zu den einzelnen Schwadronen überwiesen und eingekleidet würden. Eine kecke Julisonne überblitzte wohlgefällig den Haufen der mannhaften Streiter, als ob sie sich die hübschesten hätte hervorsuchen wollen, und auch die Leute blitzten sich aus hellen Augen an, gegenseitig sich musternd und Kameradschaft suchend.

Aus einiger Entfernung trafen sich auch die Blicke von Daniel Roux und Thomas Woller, und bei den wiederholentlichen Begegnungen und kurzen Ruhepausen, die sie ihren Augen auf ihren Wanderungen durch das sich nur wenig verschiebende Getreibe der übrigen wechselweise gestatteten, fanden die beiden Männer jenes selbstverständliche Gefallen aneinander, das sich in unwillkürlichem Vergleichen und Aussuchen alsbald für den schmucksten Burschen in einer Menge entscheidet.

Und als solcher mußte jeder der beiden dem andern erscheinen. Denn obgleich sie eigentlich nicht besser oder teurer gekleidet waren, als die meisten des Trupps, so schienen sie es doch, indem sie als Leute, die etwas auf sich hielten, mit einiger Sorgfalt nur solche Kleidungsstücke für sich ausgewählt hatten, die zu ihrem Wesen paßten und ihrer Größe angemessen waren. Diese Geringfügigkeit unterschied sie für ihr eigenes Auge alsbald hinreichend von den andern in ihrer unachtsameren und daher so oft unkleidsamen Ausstaffierung. Und überdies schienen sie anders auf ihren Füßen zu stehen, anders in die Sonne zu blicken, anders Haupt und Nacken zu tragen, wie die Masse der übrigen; als ob zwei Hochgebirgstannen unter einen Haufen braver Fichten geraten seien, die im Sandboden um ihr Wachstum kämpfend groß geworden waren.

Daniel und Thomas beobachteten den gesprächsuchenden Kameraden gegenüber eine gewisse Zurückhaltung, die jedoch nicht darin ihren Grund hatte, daß sie sich etwas Besseres dünkten als jene, sondern vielmehr das Zeichen einer nachdenklichen und selbstgenügsamen Überlegenheit über die unruhigen, fragelustigen und antwortbedürftigen Jünglinge war, die sich bald zu kleinen, schwarzen, summenden Inseln auf dem sonnenbestrahlten Pflaster zusammenzogen, um so die langen Stunden des Wartens besser zu überstehen. Auf diese Weise kam es, daß zwischen Roux und Woller sich eine Art Fahrwasser auftat, das die ausgebreiteten Massen der Männer zuvor gesperrt hatten, nur hin und wieder für die Augen einen Durchblick offen lassend. In ihrer kühleren und wenig mitteilsamen Haltung sahen sich Daniel und Thomas plötzlich, wenn auch unabsichtlich, von den anderen gemieden und standen eine ganze Weile dergestalt isoliert in der gesprächigen Inselwelt, jeder trotzig den kleinen Platz behauptend, den ihnen ihre kleinen sauberen Koffer bezeichneten, die sie vor sich aufgepflanzt hatten.

Es dauerte denn nicht gar zu lange, daß Thomas Woller zwischen den nun gefestigten Inseln auf Daniel Roux lossteuerte, als ob er unbewußt einer leise treibenden Strömung folge; wobei er indes, um den ursprünglichen Verankerungsplatz und somit alle Selbständigkeit nicht voreilig aufzugeben, seinen Koffer auf den vier rundköpfigen Steinen des Hofs beließ, die er bedeckte. Jedoch empfing ihn Daniel nicht so, daß er sich auf das Gepäckstück hätte zurückziehen müssen; vielmehr fand er es ganz natürlich, daß sie zueinander strebten, und für richtig, daß einer damit den Anfang mache. Als Thomas an Daniel herantrat, hatte dieser gerade das einfache Behältnis seiner Habseligkeiten geöffnet und suchte mit einer gewissen Zärtlichkeit einen geeigneten Platz für ein schweres Rasiermesser, das er, in der Höhlung eines kurzen Streichriemens geborgen, wie solche zum Schärfen und täglichen Herrichten der Messerklinge gebräuchlich sind, aus der Innentasche seines Rocks gezogen hatte. Irgendwie wollte er ihm später schon in die Sattelpacktasche verhelfen.

»Die Franzen werden uns wohl nicht jeden Tag Zeit lassen, uns das Giebelfeld abzuputzen«, sagte Thomas halb belustigt, als er den Eifer Daniels sah.

»Man kann aber doch seinem Feind und vielleicht seinem Schöpfer nicht wie ein Räuber gegenübertreten,« meinte Daniel noch über den offenen Koffer gebeugt; »und dann: man soll eine gute Klinge niemals im Stich lassen.«

Thomas konnte noch nichts davon wissen, daß in der Tat Daniel lieber dem schönsten Mädchen mit einem rauhen Kinn unter die Augen gekommen, als unrasiert zu einem Waffengang ausgezogen wäre; denn das ging ihm geradenwegs gegen Gefühl und Ehre. Aber wenn Thomas die etwas wunderliche Achtung Daniels vor seinem Feind und seinem Schöpfer vorläufig nicht verstand und daher die ersten Worte des Fechtmeisters fast überhörte, so gefiel ihm dessen Hochachtung vor einer guten Klinge um so besser. Und so war er plötzlich darauf neugierig geworden, die Bekanntschaft dieses Rasiermessers zu machen, von dem der vor ihm beschäftigte Mann wie von einem guten verläßlichen Kameraden gesprochen hatte, der wert war, daß man ihn niemals verlasse. Also sagte er: »Darf ich die Klinge einmal sehn? Ich verstehe mich etwas darauf.«

Daniel richtete sich auf und reichte ihm wortlos und mit einem leisen Stolz, daß er damit vielleicht an einen Kenner gekommen, der ihn nach Gebühr bewundern werde, den gepriesenen Schatz hin. Thomas nahm das Messer aus seinem Behältnis, schlug die Klinge mit geübter Hand auf und lächelte leicht, als sein prüfender Blick auf dem Heft eingedrückt einen kleinen gespreizt daherschreitenden Hahn gewahrte, der ihm nicht nur die sofortige Gewißheit gab, daß das Messer aus seiner Werkstatt stamme, sondern daß es eine von ihm selbst geprüfte Klinge sei. Ja, er hatte sie wohl gelegentlich mit eigener Hand als eine Art Meisterstück geschmiedet, wie er es aus unbezwinglicher Neigung und Hochachtung vor der feinen, gefühlvollen Arbeit der Hand gegenüber der der Maschinen hin und wieder noch zu fertigen sich übte. Denn nur auf solche Messer und Waffen, die nach seiner Ansicht dieses ehrwürdige Zeichen in Ehren zu tragen verdienten, pflegte er den Hahn zu schlagen, uraltem Brauch getreu, der ihm von seinen Vorfahren überliefert war. »Wer einen Woller schwingt, ist wohlbewahrt«, hieß ein alter Spruch aus den Zeiten, als die Solinger Schwertfeger ihren Ruf über die Grenzen deutschen Ritter- und Kriegertums hinaus verbreiteten und die Solinger Beschauzeichen nicht geringer geachtet wurden, als der berühmte Wolf von Passau und die besten spanischen und morgenländischen Marken.

In diesem Augenblicke aber begrüßte Thomas das wohlbekannte Zeichen auf der Daniel gehörigen Klinge stillvergnügt und folgerichtig als eine innere erfreuliche Beziehung und bedeutsame Verknüpfung seiner Person mit der Daniels, die ihm recht zu geben schien, daß er ihm auf den ersten Blick gefallen und den ersten Schritt zu einer Annäherung getan hatte. Indessen behielt er seine Beobachtung und seine Empfindung für sich und hätte auch gar keine Zeit gehabt, sie zu äußern, da Daniel ihm rasch seinen Schatz wieder aus der Hand nahm und in seinem Köfferchen barg, welches er eilig zuschlug und verschloß.

Denn, wie es nach langem Warten immer ist, daß das erwartete Ereignis unversehens vor einem steht, so stand es in diesem Moment in Gestalt des Regimentsschreibers und eines Offiziers vor dem Schwarm der noch redenden und nun beinahe erschrockenen jungen Leute. Daniel hatte ihr Nahen bemerkt und sich in Positur setzen können, wie man damals noch sehr militärisch sagte; Thomas aber traf ihr Erscheinen so unvorbereitet, daß er nicht einmal die kurze Entfernung bis zu seinem verlassenen Habsal zurücklegen konnte und dergestalt, als ob er Daniel Roux und dessen Koffer zugehörte, neben diesen beiden die Befehle des Geschicks erwartete. Dieses sprach aus dem Munde des Schreibers, der bei der Begebenheit für die aufhorchenden Mannschaften entschieden die gewichtigere Persönlichkeit war, während der Offizier bei jedem Namen, den jener ausrief, nur dessen Träger, wenn er sich vortretend zu ihm bekannte, rasch und scharf ansah, als ob er prüfen müsse, ob der Name auch wirklich auf den damit Angetanen passe wie ein militärisches Bekleidungsstück.

Thomas und Daniel spannten unwillkürlich jeder fast mehr auf den Namen des andern, den sie auf diesem Wege erfahren sollten, als auf den eigenen; und während der verlesende Regimentsschreiber hierbei allmählich mehr in die Tiefen des Abc hinabtauchte und von den kleinen Inseln, die sich gebildet hatten, immer mehr abbröckelte, kümmerte es die beiden weniger, welchem der vier großen Haufen, die den Zuwachs zu den einzelnen Schwadronen darstellten, jeder zufließen würde, als vielmehr, ob sie beide dem nämlichen einverleibt würden und damit ihre innere Zugehörigkeit gleichsam vom Schicksal bestätigt werden sollte.

Es fügte sich in der Tat so, und Daniel und Thomas, schlank und hochgewachsen wie sie waren, würden nach den damaligen Rangierungsgrundsätzen buchstäblich Seite an Seite gefochten haben, wenn man nicht Roux, der ein feiner Reiter mit einer leichten Hand war, ein schwieriges und empfindliches Pferd anvertraut hätte, das im zweiten Glied ging, während Thomas im ersten ritt.

So hielt denn Daniel bei der ersten Aufstellung des Regiments hinter Thomas und bildete mit ihm eine Rotte; und dadurch kam ihm wie von selbst schon die Empfindung, als könne er über der vor ihm reitenden, ihm wohlgefälligen Gestalt Wollers, wenn nicht eine schützende Hand, so doch eine abwehrende Klinge halten, sobald er nur sein Pferd herandrängte. Woller dagegen fühlte sich in dem Schutze, den er hinter sich wußte, wohlgeborgen und freute sich, seinerseits nötigenfalls mit seinem Leibe seinen Hintermann decken zu dürfen. Und so bildete sich, im Verlauf der Marschtage schon und ehe noch das Regiment mit dem Feind in Berührung gekommen war, eine uneingestandene Waffenbrüderschaft zwischen den beiden, nicht gefordert und nicht bewußt gewährt, sondern stillschweigend geübt und in der Folge treu gehalten, nicht anders und nicht schlechter, als wenn sie sich eine solche geschworen und nach altertümlichem Brauch zur Bekräftigung ihres Bündnisses ihr Blut getrunken hätten.



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