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In "Die Geschichten aus dem Wilden Westen: Abenteuerromane, Historische Romane & Erzählungen" entführt Charles Sealsfield die Leser in die faszinierende Welt des amerikanischen Westens. Durch lebendige Beschreibungen und spannende Erzählstränge gelingt es ihm, das raue und zugleich romantische Bild dieser Epoche einzufangen. Seine Protagonisten kämpfen mit den Herausforderungen der Natur, den Konflikten zwischen Kulturen und den moralischen Dilemmata, die das Leben in der Pionierzeit mit sich bringt. Sealsfields literarischer Stil vereint Elemente des Abenteuerromans mit historischen Fakten und schafft so ein eindrucksvolles Panorama der damaligen Gesellschaft. Charles Sealsfield, geboren als Karl Anton Postl, war selbst Zeuge des sozialen Umbruchs im 19. Jahrhundert. Als österreichischer Auswanderer und zweisprachiger Schriftsteller kannte er die Sehnsüchte von Menschen, die ein neues Leben im Westen suchten, und spiegelte deren Hoffnungen und Ängste in seinen Erzählungen wider. Seine Erfahrungen prägten nicht nur seine Sichtweise auf das westliche Abenteuer, sondern auch seine Fähigkeit, authentische Charaktere zu kreieren, die in der neuen Welt bestehen müssen. Dieses Buch ist allen empfehlenswert, die sich für die Geschichte und Kultur des Wilden Westens interessieren oder einen fesselnden Blick auf die menschliche Natur in extremer Umgebung werfen möchten. Sealsfields Erzählungen sind nicht nur unterhaltsam, sondern laden auch zur Reflexion über Identität, Zugehörigkeit und die Herausforderungen des Lebens in einer sich ständig verändernden Welt ein. In dieser bereicherten Ausgabe haben wir mit großer Sorgfalt zusätzlichen Mehrwert für Ihr Leseerlebnis geschaffen: - Eine umfassende Einführung skizziert die verbindenden Merkmale, Themen oder stilistischen Entwicklungen dieser ausgewählten Werke. - Ein Abschnitt zum historischen Kontext verortet die Werke in ihrer Epoche – soziale Strömungen, kulturelle Trends und Schlüsselerlebnisse, die ihrer Entstehung zugrunde liegen. - Eine knappe Synopsis (Auswahl) gibt einen zugänglichen Überblick über die enthaltenen Texte und hilft dabei, Handlungsverläufe und Hauptideen zu erfassen, ohne wichtige Wendepunkte zu verraten. - Eine vereinheitlichende Analyse untersucht wiederkehrende Motive und charakteristische Stilmittel in der Sammlung, verbindet die Erzählungen miteinander und beleuchtet zugleich die individuellen Stärken der einzelnen Werke. - Reflexionsfragen regen zu einer tieferen Auseinandersetzung mit der übergreifenden Botschaft des Autors an und laden dazu ein, Bezüge zwischen den verschiedenen Texten herzustellen sowie sie in einen modernen Kontext zu setzen. - Abschließend fassen unsere handverlesenen unvergesslichen Zitate zentrale Aussagen und Wendepunkte zusammen und verdeutlichen so die Kernthemen der gesamten Sammlung.
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Veröffentlichungsjahr: 2023
Die Geschichten aus dem Wilden Westen: Abenteuerromane, Historische Romane & Erzählungen versammelt zentrale Prosawerke von Charles Sealsfield in einer repräsentativen Zusammenstellung. Ziel dieser Ausgabe ist es, die Spannweite seines Schreibens sichtbar zu machen und den Zugang zu jener literarischen Welt zu eröffnen, in der amerikanische Grenzräume, Siedlungsdynamiken und gesellschaftliche Experimente zu erzählerischer Form finden. Die Sammlung führt längere Romane neben kürzeren Erzählungen und Reiseskizzen zusammen und bietet so einen Überblick über wesentliche Facetten eines Werks, das die deutschsprachige Vorstellung vom „Wilden Westen“ mitgeprägt hat, ohne sich auf exotistische Schauwerte zu beschränken. Sie bündelt wesentliche Texte seines Œuvres.
Im Zentrum stehen die großen Erzählwerke, in denen Sealsfield die Umbrüche des nordamerikanischen Grenzraums literarisch gestaltet. Tokeah oder die weiße Rose, Nathan der Squatter - Der erste Amerikaner in Texas, Der Virey und die Aristokraten, Das blutige Blockhaus und Grabesschuld zeigen vielfältige Milieus, Machtkonstellationen und Loyalitäten, die sich zwischen Siedlungsalltag, politischer Auseinandersetzung und persönlicher Bewährung herausbilden. Ohne den Fortgang vorwegzunehmen, markieren diese Romane jeweils eigene Tonlagen: von der dramatischen Zuspitzung bis zur weit ausholenden Gesellschaftsskizze, stets getragen von genauer Beobachtung, erzählerischem Tempo und dem Interesse, regionale Erfahrungen mit größeren historischen Horizonten zu verbinden.
Ergänzt werden die Romane durch kürzere Prosa, die andere Blickwinkel eröffnet. Das Kajütenbuch, In der Prärie verirrt und Die Erzählung des Obersten Morse bündeln Erzählungen, die episodische Intensität mit prägnanter Figurenzeichnung verbinden. Mit den Bänden Transatlantische Reiseskizzen und Christophorus Bärenhäuter I und II tritt ein nichtfiktionaler Strang hinzu: Beobachtungen, Profile, Landschaftsbilder und Reflexionen, die Reise, Bericht und Kommentar verschränken. Die Schäkers in Nordamerika erweitert diesen Zugriff um eine konzentrierte Darstellung religiöser Gemeinschaft und Alltagspraktiken. Zusammengenommen entsteht ein Panorama, das literarische Imagination und erfahrungsnahe Beschreibung komplementär nutzt, ohne die Grenze zwischen Faktum und Fiktion aufzuheben.
Diese Edition macht zugleich erfahrbar, wie flexibel Sealsfield zwischen Textsorten wechselt und wie produktiv er deren Verfahren kombiniert. Romanhafte Anlage, erzählerische Miniatur, Reisefeuilleton und Zeitdiagnose gehen ineinander über: Schauplätze werden mit dem Blick des Reporters eingeführt, gesellschaftliche Konflikte in szenischen Dialogen entfaltet, und topografische Räume dienen als Resonanzkörper politischer und moralischer Fragen. Die Vielfalt der Formen ist kein Selbstzweck, sondern ein Mittel, die Wechselwirkungen von Individuum, Gemeinschaft und Landschaft sichtbar zu machen. Dadurch entsteht eine vielstimmige Prosa, die Nähe und Distanz austariert und dem Leser unterschiedliche Einstiege in ein komplexes Erfahrungsfeld eröffnet.
Über die Gattungsgrenzen hinweg verbinden sich wiederkehrende Themen. Verhandelt werden Grenzerfahrung und Zugehörigkeit, Selbstbestimmung und Recht, kollektive Ordnung und persönliche Freiheit, wirtschaftliche Interessen und moralische Bindungen. Immer wieder stehen Begegnungen zwischen unterschiedlichen Gruppen im Raum sowie die Frage, wie Sprache, Recht und Gewohnheit Zusammenleben prägen. Die Natur erscheint nicht bloß als Kulisse, sondern als Maß der Möglichkeiten und Risiken menschlichen Handelns. Zugleich spiegeln die Texte Ansichten ihrer Entstehungszeit; sie eröffnen historische Perspektiven, die heute kritisch gelesen werden können, ohne den erzählerischen Reiz, die Genauigkeit der Beobachtung und das gesellschaftliche Sensorium des Gesamtwerks zu schmälern.
Stilistisch fällt Sealsfields Prosa durch die Verbindung von anschaulichem Detail, bildkräftiger Landschaftsschilderung und dialogischer Zuspitzung auf. Er setzt auf Szenenfolge und Bewegung, auf die rhythmische Abwechslung von Bericht, Beschreibung und dramatischer Rede. In den Transatlantischen Reiseskizzen zeigt sich ein Ton, der zwischen Anekdote, Analyse und zugespitzter Beobachtung oszilliert; die Erzählungen verdichten diese Verfahren zu prägnanten Momentaufnahmen. So entsteht eine Sprache, die den Sound des „Westens“ in deutscher Prosa hörbar macht und zugleich eine transatlantische Perspektive etabliert, in der Erfahrung, Erinnerung und Urteilskraft ein produktives Spannungsverhältnis eingehen. Hinzu kommt ein Sinn für Namen, Gegenstände und Verrichtungen des Alltags, der die Szenen greifbar macht, ohne dokumentarische Pose.
Abgerundet wird die Sammlung durch Charles Sealsfield – Der Man und das Werk, das Leben und Werk in einen größeren Zusammenhang stellt und die Lektüre orientiert. Insgesamt bietet diese Ausgabe keine museale Rückschau, sondern einen Leseraum, in dem Abenteuer, historische Erfahrung und literarische Form aufeinander bezogen sind. Sie zeigt, weshalb Sealsfields Texte noch heute anregen: weil sie über Mobilität, Zugehörigkeit, Recht, Glauben und Umwelt sprechen, ohne einfache Antworten zu geben. Wer die hier versammelten Romane, Erzählungen und Skizzen betritt, findet einen fundierten Einstieg in ein Werk, dessen transatlantische Imagination dauerhaft nachwirkt.
Die Sammlung steht im Spannungsfeld der nordamerikanischen Expansion und der europäischen Vormärz-Erfahrung. Ihr Autor, der aus Mähren stammende Karl Postl (1793–1864), publizierte als Charles Sealsfield und emigrierte nach Konflikten mit Zensur und Klerus in den 1820er Jahren in die Vereinigten Staaten. Als transatlantischer Beobachter verband er reportagehafte Genauigkeit mit dramatischer Verdichtung. Diese Doppelperspektive prägt sowohl die Transatlantischen Reiseskizzen als auch erzählerische Werke wie Tokeah oder die weiße Rose. Wiederkehrend sind Grenzräume, Mobilität und soziale Durchlässigkeit, die er als Gegenbild zum restaurativen Europa begreift und zugleich mit den Schattenseiten der amerikanischen Gesellschaft konfrontiert.
Ein Kernhintergrund der Texte ist die nach dem Louisiana Purchase von 1803 beschleunigte Erschließung des Mississippi- und Missouri-Raumes. Seit den 1810er Jahren revolutionierten Dampfschiffe den Verkehr zwischen St. Louis, Natchez und New Orleans, was Handel, Migration und Nachrichtenfluss verdichtete. Werke wie Das Kajütenbuch und Passagen der Transatlantischen Reiseskizzen spiegeln diesen Flusskosmos: schwankende Decks, improvisiertes Reisen, aber auch die Plantagenökonomie des Baumwollgürtels. Der Aufstieg des Südens beruhte auf versklavter Arbeit, deren Allgegenwart die Beobachtungen verdunkelt. Sealsfield nutzt diese Kulisse, um ethnische Vielfalt, kreolische Eliten und die rechtliche Unsicherheit der Grenzstädte erzählerisch zu verdichten.
Die indianische Politik der jungen Republik liefert einen weiteren Rahmen. Mit dem Indian Removal Act von 1830 und erzwungenen Umsiedlungen der Cherokee, Creek und Seminolen verdichtete sich die Gewalt entlang der Grenzlinie; der Trail of Tears 1838/39 wurde zum Fanal. In den nördlichen Ebenen eskalierte 1832 der Black-Hawk-Krieg. Erzählungen wie Das blutige Blockhaus und Tokeah verhandeln solche Konflikte, indem sie Blockhäuser, Forts und Missionsstationen als prekäre Kontaktzonen inszenieren. Sealsfield schwankt zwischen Empathie und zeitgenössischen Stereotypen, wodurch Ambivalenzen des US-Nation-Buildings sichtbar werden, die seine deutsche Leserschaft gleichermaßen fesselten und irritierten. Gleichzeitig reflektieren Dialoge konkurrierende Rechts- und Besitzansprüche vor Ort.
Die texanische Grenzregion bildet einen wiederkehrenden Schauplatz. Seit den 1820er Jahren lockte das mexikanische Empresario-System unter Stephen F. Austin angloamerikanische Siedler an; Spannungen mit dem zentralistischen Kurs in Mexiko kulminierten 1835/36 im Texaskrieg mit Alamo, Goliad und dem Sieg Sam Houstons über Santa Anna. Die Annexion 1845 verschob Macht- und Grenzfragen erneut. Nathan der Squatter – Der erste Amerikaner in Texas, In der Prärie verirrt und Die Erzählung des Obersten Morse spiegeln diese Umbrüche, indem sie Squatter-Praxis, Milizen und das Nebeneinander von spanischem, mexikanischem und common law in der Alltagsordnung kontrastieren.
Mexiko erscheint zugleich als Raum postkolonialer Spannungen. Nach dem Unabhängigkeitskrieg 1810–1821 stritten Zentralisten und Föderalisten über die Erbschaft des Vizekönigtums Neuspanien; die Figur des Virey steht für Hierarchie, Privilegien und Kastengesetze. Der Virey und die Aristokraten nutzt diese Konfliktlinien, um Kreolen, spanische Peninsulares und gemischte Stadtgesellschaften von Veracruz bis Tampico aufeinanderprallen zu lassen. Handelswege wie der Golfverkehr und die Camino-Reales verbanden Provinzen, während Söldner, Kaufleute und Klerus Machtgefüge verschoben. Die Darstellung spiegelt europäische Debatten über Legitimität und Nationenbildung, die Sealsfield kannte und literarisch zuspitzte, ohne seine Abenteuerdramaturgie zugunsten reiner Chronistik aufzugeben.
Religiöse Erweckung prägte den sozialen Horizont vieler Figuren. Die Second Great Awakening (ca. 1790–1840) brachte Camp Meetings, Laienpredigt und ein dichtes Netz reformerischer Bewegungen hervor. Vor diesem Hintergrund verortet Die Schäkers in Nordamerika die asketische, zölibatäre Gemeinschaft der Shaker, die Besitz teilte und in Dörfern von New York bis Kentucky lebte. Ihre Disziplin, Musik und ökonomische Tüchtigkeit kontrastieren mit der rauen Grenzgesellschaft. Zugleich treten Temperenz- und frühe Abolitionisten auf, deren Moralappelle Reisen und Handelsrouten kreuzen. Solche Milieus liefern Sealsfield Steilvorlagen für Dialoge über Freiheit, Geschlechterordnung und religiöse Autorität. Auch Migrationspredigerinnen erscheinen als Motoren lokaler Reformen.
Politisch spiegeln die Texte das Zeitalter Jacksons: zwischen 1829 und 1837 erweiterten viele Staaten das Wahlrecht für weiße Männer, Patronage und Parteipresse blühten, und lokale Gerichte konkurrierten mit Vigilantentum. Die mediale Verdichtung durch Penny Press und Flussverkehr förderte zugleich die Abolitionismus-Debatte, seit 1831 von William Lloyd Garrisons The Liberator befeuert. Sealsfields Beobachtungen trafen im deutschsprachigen Raum der Metternich-Zensur auf eine neugierige, politisierte Leserschaft; die Vormärz- und 1848-Diskurse über Volkssouveränität, Föderalismus und Rechtssicherheit rahmten die Rezeption. So wurden Abenteuerplots zu Laboratorien politischer Anschauung, deren exotische Kulissen europäische Gegenwartskonflikte indirekt ausleuchteten. Zeitungen und Salons diskutierten seine Grenzrealismen kontrovers. Auch Grabesschuld spielt mit Ehrenkodizes und Rechtsbrüchen.
Formell oszillieren die Texte zwischen Reisebericht, politischem Essay und Abenteuerroman. Der Pseudonym-Autor, dessen Biographie in Charles Sealsfield – Der Man und das Werk erhellt wird, nutzte Distanz und Tarnung, um Zensur zu umgehen und Beobachtungen zuzuspitzen. Wiederkehrende Akteure sind Militärs, Händler, indigene Anführer, versklavte Menschen, Predigerinnen und Siedlerfamilien, deren Wege die Räume zwischen Atlantikküste, Prärie und Golfküste vermessen. Der historische Hintergrund – von Louisiana Purchase bis Mexiko-Krieg 1846–1848 – strukturiert Konflikte, ohne sie zu dominieren. So entstand eine transatlantische Prosa, die zeitgenössisch populär, akademisch umstritten und später als Frühform realistischer Frontierliteratur neu gelesen wurde.
Vier Grenzgeschichten zeigen Begegnungen zwischen Siedlern, indigenen Gemeinschaften und Abenteurern – von Tokeah und der weißen Rose über den selbstbehaupteten Texassquatter bis zum belagerten Blockhaus und dem Verirren in der Prärie.
Rauer Abenteuer-Ton, plastische Landschaftsbilder und moralische Ambivalenzen rahmen Themen wie Freiheit versus Ordnung, Gewaltkreisläufe und die Zerbrechlichkeit von Zugehörigkeit.
Zwischen Kolonialverwaltungen, Aristokratie und militärischen Erfahrungsberichten werden Führungsfiguren, Bürokratien und Grenzregime auf ihre Belastbarkeit geprüft.
Satirisch-analytischer Ton und Debatten um Legitimität, Recht und Loyalität verbinden politische Intrige mit persönlicher Bewährung.
Von der Flussschifffahrt im Kajütenraum über transatlantische Routen bis in die Gemeinschaften der Schäkers entfalten sich beobachtende, anekdotische und mitunter pikareske Streifzüge.
Sozialtypologien, Religion und Wirtschaft, Mobilität und Medien der Moderne treten in detailreichen Miniaturen hervor, getragen von Ironie, Tempo und dokumentarischer Genauigkeit.
Eine verdichtete Erzählung um Schuld, Erinnerung und ausstehende Vergeltung führt Figuren an die Grenze zwischen privatem Gewissen und öffentlicher Gerechtigkeit.
Düster-atmosphärischer Ton und straffes Erzählen akzentuieren psychologische Spannungen und die Frage nach dem Preis von Wahrheit.
Ein überblicksartiger Text ordnet Themen, Schauplätze und Figurenmodelle der hier versammelten Bücher und verknüpft sie zu einem konsistenten Programm.
Hervorgehoben werden Erzählverfahren wie Rahmenerzählung und Reportageskizze sowie die wiederkehrende Verhandlung von Freiheit, Recht und kultureller Pluralität.
Die Sammlung spannt den Bogen von riskanten Grenzerfahrungen über politische Analyse bis zu ethnografischen und Reisebeobachtungen, stets im Spannungsfeld zwischen individueller Bewegung und institutioneller Ordnung.
Kennzeichnend sind schnelle Szenenwechsel, dialogische Lebendigkeit und topografische Präzision; wiederkehren Motive von Mobilität, Selbstermächtigung, Konfliktregulierung und der Wucht nordamerikanischer Landschaften.
Ich zittere für mein Volk, wenn ich der Ungerechtigkeiten gedenke, deren es sich gegen die Ureinwohner schuldig gemacht hat.
Jefferson.
An der Straße, die sich vom Städtchen Coosa nach der Hauptstadt von Georgien, Milledgeville, hinabwindet, und nahe dem Platze, wo gegenwärtig der Gasthof gleichen Namens den ermüdeten Reisenden zur Ruhe einladet, stand vor ungefähr dreißig Jahren unter einem Felsenvorsprung, auf welchem einige Dutzende roter Zedern und Fichtenbäume wurzelten, ein rauh aussehendes, mäßig großes Blockhaus. Vor demselben erhob sich ein Gerüst, das aus zwei mannsdicken Balken bestand, verbunden durch Querpfosten, zwischen welchen ein ungeheures Schild hin und her schwebte, das bei näherer Besichtigung eine groteske Figur im grellsten Farbenschmucke wahrnehmen ließ, deren Diadem von Federn, Tomahawk, Schlachtmesser und Wampum wahrscheinlich einen indianischen Häuptling bezeichnen sollte. Unter dem Schild war mit Buchstaben, ägyptischen Hieroglyphen nicht unähnlich, gekritzelt: Einkehr für Mann und Tier. Zur rechten Seite des Hauses oder vielmehr der Hütte und näher dem Fahrwege waren von Balken gezimmerte Verschläge, vom Wege nur durch eine breite Kotpfütze getrennt, und mit Haufen von Stroh und Heu angefüllt, aus denen hier und da Überreste schmutzigen Bettzeuges hervorschauten und so erraten ließen, daß diese Gemächer nicht nur für das liebe Vieh, sondern auch jene Reisenden bestimmt seien, die ihr Unstern bemüßigte, hier Ruhe und Nachtlager zu suchen. Ein paar Kuh- und Schweineställe bildeten das Ganze dieser Hinterwäldleransiedlung.
Es war eine stürmische Dezembernacht, der Wind heulte furchtbar durch den schwarzen Fichtenwald, an dessen Abhange die Hütte gelegen war, und das schnell aufeinander folgende Krachen der Baumstämme, die der Sturm mit donnerähnlichem Getöse zur Erde brachte, verkündete einen jener wütenden Orkane, die so häufig zwischen den Blue Mountains von Tennessee und dem flachen Mississippilande ihren Zug nehmen, und auf diesem – Wälder, Hütten und Dörfer mit sich führen. Mitten in diesem tobenden Sturme ließ sich ein leises Tappen an dem Fensterladen der oben beschriebenen Hütte vernehmen, dem bald darauf ein starkes Pochen oder vielmehr heftige Schläge folgten, die die Balken, aus welchen die Hütte gezimmert war, in ihren Grundfesten erschütterten. Nicht lange nach dieser Aufforderung öffnete sich die Tür zur Hälfte, ein Kopf streckte sich heraus in die finstere Nacht, als wollte er den Grund rekognoszieren, während in demselben Augenblicke der Schaft eines Karabiners vorrückte, zweifelsohne um dem Inwohner die fernere Mühe des Öffnens zu ersparen. Zu gleicher Zeit trat eine lange Gestalt heran, riß die Türe weit auf und schritt mit starken Schritten in die Stube, wo sie vor dem Feuerplatze ihren Sitz nahm, hinter ihr drein eine Gruppe von Wesen, die halb schreitend, halb trabend ihrem Führer in einer Linie und im tiefsten Schweigen folgten.
Es dauerte ziemlich lange, bis ungefähr zwanzig dieser Nachtgestalten in die Hütte eingedrungen waren. Als der Zug sein Ende erreicht hatte, schloß sich die Türe wieder; ein kolossaler Mann näherte sich dem Feuerplatze, wo ein dicker Klotz noch glimmte, warf einige Scheite darauf und zündete einen der Pechspäne an, die in einem Haufen in der Nähe lagen, dann, auf den Schenktisch gemessenen Schrittes zutretend, ergriff er ganz ruhig ein Talglicht und setzte es angezündet auf den Tisch.
Das kunstlose – beinahe rohe Innere der Hütte, so ganz dem Äußern entsprechend, ließ sich nun deutlicher im düstern Schein des Talglichtes – und des allmählich auflodernden Feuers ersehen. Auf einem Stuhle vor dem Feuerplatze saß der Mann, der zuerst eingetreten war, eine blutbefleckte Wolldecke über den ganzen Leib geworfen, so daß Gesicht und Gestalt verhüllt waren. Hinter ihm auf dem Lehmboden kauerte eine Gruppe von zwanzig Indianern auf ihren Hüften, ihre Schenkel ineinander verschlungen, ihre Gesichter gleichfalls in ihre nassen Wolldecken gehüllt, an denen große Blutflecken anzudeuten schienen, daß der Charakter der Expedition, von der sie kamen, ziemlich blutig gewesen sei.
Gegenüber dem Feuerplatze stand in der Ecke der Schenktisch, hinter dessen Gitterwerk ein Dutzend schmutziger Flaschen und noch schmutzigere Gläser und Krüge aufgestellt waren. Drei blau angestrichene Fäßchen mit der Überschrift French Brandy, Gin, Monongehala standen eine Stufe tiefer. Ein Haufen von Hirsch-, Biber-, Bären- und Fuchsfellen zur linken Seite reichte beinahe bis zum Geländer und zeugte von lebhaftem Verkehr mit der kupferfarbigen Rasse. Zunächst diesem erhob sich ein ungeheures Himmelbett, umringt von drei niedrigem Bettstellen und einer Wiege oder vielmehr einem Troge, einem Fragment von einem hohlen Baume, an dessen Ende Stücke von Brettern genagelt waren. In diesen verschiedenartigen Behältnissen genoß die Familie des Gastgebers, den lauten, ziemlich groben Lungentönen nach zu urteilen, einer unerschütterlichen und vollkommenen Ruhe. Die Wände der Stube zeigten die rohen und unbehauenen Baumstämme, deren einzige Ornamente breite Streifen von Lehm waren, welche die Zwischenräume ausfüllten.
In dieser Stube nun, die, nach ihren mannigfaltigen Bestimmungen zu schließen, der Leser sich ziemlich geräumig vorstellen muß, sah man den Wirt beschäftigt, die Stühle und Bänke, die die Eindringer ohne weiteres über den Haufen geworfen hatten, wieder in Ordnung zu bringen, und dies ganz in der ruhigen, kalten, trotzigen Manier, die einen hätte vermuten lassen sollen, seine Gäste seien eher Nachbarn, als soeben von einer blutigen Expedition zurückgekehrte Wilde, vielleicht gekommen, seinen und der Seinigen Bälge als Zugabe zu ihrer Expedition mit sich zu nehmen. Nachdem er den letzten Stuhl an seinen Ort gestellt, setzte er sich selbst zunächst dem Manne, der als Führer der Bande den Platz im Vordergrunde genommen hatte.
Einige Minuten mochten so beide gesessen sein, als der letztere sich aufrichtete und einen Teil seines Hauptes entblößte, dessen andere Hälfte mit einem Stücke von Kaliko verbunden war, an dem kleine Knoten geronnenen Blutes gleich Fransen hingen. Der Hinterwäldler warf einen Seitenblick auf den Indianer, wandte jedoch sein Auge in der nächsten Sekunde dem knisternden Feuer zu.
»Hat mein weißer Bruder keine Zunge?« nahm endlich der Indianer das Wort, »oder läßt er sie warten, um sie desto besser zu krümmen?«
Die letzten Worte waren in einem tiefen, höhnischen Kehlentone gesprochen.
»Er will anhören, was der Häuptling sagen wird«, erwiderte mürrisch-trocken der Amerikaner.
»Gehe und rufe dein Weib«, sprach der Indianer in demselben tiefen Baßtone.
Der Wirt erhob sich, wandte sich gegen das gewaltige Ehebett und sprach, nachdem er die Vorhänge auseinander getan, mit seiner Frau, die sich im Bette aufgerichtet und wie es schien, eher neugierig als ängstlich, der kommenden Dinge geharrt hatte. Nach einem kurzen Zweigespräch kam das Weib aus ihrem Hinterhalte. Sie war eine derbe Dame, breitschulterig und vollgewichtig, mit einem Zuge in ihrem eben nicht sehr zart geformten Gesichte, der deutlich aussprach, daß sie nicht leicht außer Fassung gebracht werden könne. Ihr Überrock von Linsey-Woolsey, für täglichen und nächtlichen Gebrauch bestimmt, hob ihre gewaltige Gestalt noch mehr heraus, als sie festen Schrittes und beinahe aufgebracht neben ihrem Ehemanne heranschritt. Die drohende Ruhe ihrer Besucher jedoch, ihre blutigen Köpfe und Wolldecken, nun erhellt durch die hochaufschlagende Flamme, erschienen so üble Vorbedeutungszeichen, daß das gute Weib sichtlich zusammenschrak. Ihre ersten Schritte, die rasch und zuversichtlich auf die Indianer gerichtet waren, begannen zu wanken, und mit einem unwillkürlichen Schauder drehte sie sich nach der Seite, wo ihr Mann wieder seinen Sitz genommen hatte. Eine Minute verging in düsterm Schweigen.
Der Indianer erhob nun sein Haupt, ohne jedoch aufzublicken, und sprach im strengen Tone: »Höre, Weib, was ein großer Krieger dir sagen wird, dessen Hände offen sind und der das Wigwam seines Bruders mit vielen Hirschhäuten füllen wird. Für dieses wird er bloß wenig von seiner Schwester verlangen, und dieses wenige mag sie leicht geben. Hat meine Schwester,« fragte der Indianer mit erhöhter Stimme, einen Blick auf das Weib richtend, »hat sie Milch für eine kleine Tochter?«
Das Weib sah den Indianer verwundert an.
»Will sie«, fuhr dieser fort, »ein weniges von ihrer Milch einer kleinen Tochter geben, die sonst wegen Mangels sterben würde?«
Die Züge des lauschenden Weibes heiterten sich in dem Maße auf, als es ihr klar zu werden anfing, daß der Indianer etwas von ihr wolle und es also in ihrer Gewalt stände, eine Gunst zu gewähren oder auch zu versagen. Sie dehnte sich von der Seite ihres Ehemanns dem Indianer zu und schien mit Sehnsucht nähere Aufschlüsse über eine so sonderbare Zumutung zu erwarten.
Der Indianer, ohne sie im mindesten eines Blickes zu würdigen, öffnete die weiten Falten seiner Wolldecke und zog ein wunderschönes Kind, in kostbare Pelze gehüllt, hervor.
Das Weib stand einige Augenblicke wie erstarrt über die liebliche Erscheinung; Verwunderung und Erstaunen schienen ihre Zunge gefesselt zu haben. Neugierde jedoch, dieses liebliche Wesen näher zu besehen und vielleicht Muttergefühl lösten nun auf einmal diese.
»Guter Gott!« rief sie, während sie beide Hände ausstreckte, das Kind zu empfangen. »Guter Gott! Was für ein lieblich, wunderlieblich kleines Ding und guter Eltern Kind muß es auch noch sein, Ihr könnt Euch drauf verlassen. Schwören wollte ich. Schaut nur einmal die Felle und die feinen Spitzen. Habt Ihr in Euerm Leben so etwas gesehen? Wo habt Ihr das Kind her? Armes, kleines Ding! Jawohl will ich's füttern. Es ist ja kein rotes Kind.«
Die Dame schien guter Lust zu sein, ihrer Verwunderung noch eine Weile freien Lauf zu lassen; ein bedeutsamer Wink ihres Mannes jedoch schloß ihr den Mund. Der Häuptling, ohne sie der geringsten Aufmerksamkeit zu würdigen, entfaltete das blaue Fuchspelzchen, streifte es dem Kinde ab und schickte sich an, es aus dem Überröckchen zu ziehen. Es war ihm nach einiger Mühe gelungen, dem Kinde auch dieses abzuziehen; allein ein drittes, viertes und fünftes erschien, in welche die Kleine gleich wie ein Seidenwurm in seine Kokons eingehüllt war. Der Indianer verlor mit einem Male die Geduld und sein Schlachtmesser ergreifend, schnitt er dem Kinde die drei noch übrigen Kleidchen vom Leibe, es dann nackt der Wirtin hinhaltend.
»Eingefleischter Satan!« kreischte das schaudernde Weib, indem sie das Kind mit Gewalt aus seinen Händen riß.
»Halt!« sprach der Indianer, kalt und unbeweglich auf den Hals des Kindes blickend, von dem ein goldnes Kettchen mit einer kleinen Medaille hing. Das Weib, ohne ein Wort zu sagen, streifte die Kette dem Kinde über das Köpfchen ab, warf sie dem Indianer ins Gesicht und eilte ihrem Bette zu.
»Der Teufel ist in dem Weibe«, brummte der Wirt, nicht wenig, wie es schien, über ihre Heftigkeit beunruhigt.
»Der rote Krieger«, sprach der Indianer in unerschütterlicher Ruhe, »wird mit Biberfellen die Milch seiner kleinen Tochter bezahlen; aber er will behalten, was er aufgelesen hat, und die Türe muß sich öffnen, wenn er um das Kind anruft.«
»Aber,« versetzte der Wirt, dem es nun auf einmal einzuleuchten schien, daß eine nähere Erklärung nicht überflüssig sein dürfte, »aufrichtig gesagt, ich gebe nicht viel darum und behalte das Kind, obwohl ich, Gott sei Dank, deren selbst erklecklich habe. Aber sollten nun die Eltern kommen, oder der weiße Vater von dem Kinde hören, was dann? Der rote Häuptling weiß, seine Hände reichen weit.«
Der Indianer hielt eine Weile inne und sprach dann in einem bedeutsamen Tone: »Des Kindes Mutter wird nie wieder kommen. – Die Nacht ist sehr dunkel. – Der Sturm braust sehr stark. – Morgen wird nichts von den Fußstapfen der roten Krieger zu sehen sein. – Es ist weit zu den Wigwams des weißen Vaters. – Hört er von dem Kinde, dann hat mein weißer Bruder ihm davon gesagt. – Nimmt er es, so wird der rote Häuptling die Kopfhäute der Kinder seines weißen Bruders nehmen.«
»Dann nimm dein Kind wieder zurück, ich will nichts damit zu tun haben«, sprach der Hinterwäldler im entschlossenen Tone.
Der Indianer zog sein blutiges Messer und warf einen erwartenden Blick dem Bette zu, hinter dessen Vorhängen das Kind verschwunden war.
»Wir werden dafür Sorge tragen, niemand soll etwas davon erfahren«; kreischte das erschrockene Weib.
Der Indianer steckte sein Schlachtmesser wieder ruhig in den Gürtel und sprach: »Die Kehlen der roten Männer sind trocken.«
Von dem Bette herüber ließ sich ein Gemurmel hören, das dem christlichen Wunsche nicht unähnlich klang, jeder Tropfen möge den Bluthunden zu Gift werden: der Wirt jedoch, weniger von der rachedürstenden Menschlichkeit seiner Ehehälfte beseelt, eilte ziemlich schnell dem Schenktische zu, um den Forderungen seiner Gäste Genüge zu leisten. Der Häuptling trank sein halbes Gillglas Whisky sitzend und auf einen Zug aus, dann ging es in der Runde herum. Nachdem die sechste Flasche geleert war, erhob ersterer sich plötzlich, warf ein spanisches Goldstück auf die Tafel, öffnete die Vorhänge des Bettes und hing dem Kinde eine Halskette von Korallen um, die er aus seinem Wampumgürtel gezogen hatte.
»Die Muscogees werden die Tochter eines ihrer Krieger erkennen«, sprach er, seinen Blick auf das Kind heftend, das nun ruhig am Busen der Wirtin in seinem neuen Flanellröckchen lag. Noch einen zweiten Blick warf er auf das Kind und das Weib, und dann wandte er sich stillschweigend der Türe zu und verschwand mit seinen Gefährten in der finstern Nacht.
»Der Windstoß ist vorüber«; sprach der Wirt, der den Indianern durch die Türe nachgesehen hatte, als sie sich hinab zu ihren Birkenkanus an dem Coosa stahlen.
»Ums Himmels willen! Wer ist dieser eingefleischte rote Teufel?« unterbrach ihn sein Weib, tiefen Atem holend und unwillkürlich aufschaudernd.
»Hush, Weib! halt dein Maul, bis der Coosa zwischen deiner Zunge und den Rotfellen ist. Es ist kein Spaß. Ich versichere dich.«
Mit diesen Worten schloß er die Türe und näherte sich mit dem brennenden Lichte dem Bette, wo sein Weib dem Kinde die Brust gab.
»Armes Ding,« sprach er, »könntest du, du würdest wahrlich eine Geschichte kundtun, vor der einem die Haare zu Berge stehen möchten. Ja, und sie mag uns auch unsere Haut kosten. Es ist nicht alles, wie es sein sollte. Diese roten Teufel waren auf einer Skalpexpedition. Das ist nun so gut als richtig. Aber wo sie waren, das weiß der Himmel. Wohl, wären sie noch dem Spanier über den Hals gekommen,« fuhr der Mann fort, wechselweise den Säugling und das Goldstück betrachtend, »ich scherte mich den Henker drum, aber so –.«
Mit diesen Worten warf er sich wieder ins Bett. Aber es verging eine lange Stunde, ehe der Schlaf über ihn kam. Der Vorfall schien ihm Ruhe und Rast geraubt zu haben.
Kapitän John Copeland, dies war der Name und Charakter des Schenkwirtes zum Indianischen Häuptling, war einer jener befugten Zwischenhändler, die seit zwei Jahren sich in dem Lande der Creeks unter dem Patronate der Zentralregierung und unter dem unmittelbaren Schutze des unter den Indianern residierenden Agenten niedergelassen hatten. Er hatte sich mit Hilfe von fünfzig Dollar die Sammlung obenbenannter Branntweinfässer angeschafft, seine Familie mit zwei neuen Sprößlingen, seine Habe aber bereits um das Zwanzigfache vermehrt und befand sich nun, ein Mann zwischen dreißig und vierzig, so wohl, als es nur immer einer sein konnte, der, um in der Landessprache zu reden, breitschulterig und vierschrötig in seinen eigenen Schuhen stand. Niemanden über sich, jeden, der nicht Bürger war, unter sich achtend, verband er klugermaßen gerade so viel Kneipenwitz mit seiner Kapitänswürde, als seinen ernsten Gästen und scharfen Falkenaugen zuzusagen schien. Obgleich nun aber das ganz gedeihliche Wesen John Copelands und all sein Dichten und Trachten, mehr darauf gerichtet waren, sich die Bälge der Indianer auf gute Art zuzueignen, als seinen eigenen – und die seiner Familie zu erhalten, welche, die Wahrheit zu gestehen, nicht viel besser daran waren, gewiß nicht sicherer, als die der hart zu erlangenden Biber, so war nichtsdestoweniger in ihm ein zwar dunkles, mehr instinktartiges, aber desto richtigeres und festeres Pflichtgefühl, das nicht angestanden haben würde, Biber- und andere Felle aufzuopfern, wenn das Wohl seines Landes oder seiner hinterwäldischen Mitbürger im Spiele stand. Die Verhältnisse dieser Hinterwäldler aber mit ihren kitzligen wilden Nachbarn waren von jeher gespannt gewesen. Zwar hatten die Creeks viele Jahre hindurch mit den Amerikanern oder, eigentlich zu sprechen, mit den Bewohnern des Staates Georgien, in scheinbar gutem Einvernehmen gestanden. Sie hatten nicht nur den Agenten, den die Zentralregierung gesandt, mit allen Zeichen der Achtung aufgenommen und so die Oberherrschaft des großen weißen Vaters, wie sie den Präsidenten der Vereinigten Staaten zu nennen pflegen, anerkannt; sie hatten sich auch sogar willig gezeigt, jenen Absichten entgegenzukommen, die die Regierung und ihr Agent zur Förderung ihrer bürgerlichen und moralischen Kultur zu verwirklichen angefangen hatten. Aber trotz diesen günstigen Anzeichen wechselseitigen Zutrauens gab es hundert unangenehme Berührungspunkte, die zu Samen künftiger oder naher Zwietracht werden konnten und mußten und die dem scharfen Auge unsers Kapitäns nicht wohl entgehen konnten.
Die verschiedenen Friedensschlüsse, die diesen Indianern von den Weißen, wie sie die Amerikaner nannten, abgenötigt worden waren, hatten sie allmählich des größern und bessern Teiles ihres angestammten Besitztums beraubt. Dieses Besitztum hatte sich einst über den größern Teil von Georgien und Florida, die heutigen Staaten von Alabama und Mississippi, erstreckt. Sie hatten sich in diese Abtretungen, obwohl sie Beraubungen nicht unähnlich sahen, mit Gleichmut und in der Hoffnung gefügt, wenigstens dasjenige, was ihnen übriggeblieben, in Frieden zu genießen. Einige Zeit, besonders während des Revolutionskrieges und der ersten zehn darauffolgenden Jahre hatte man sie auch in Ruhe gelassen. Die Bürger Georgiens, kaum imstande, sich der auswärtigen Feinde zu erwehren und ihre eigenen Felder zu pflügen, hatten sich weislich gehütet, die schlummernden Wilden zu wecken. Die achtzehn Jahre jedoch, die seit der Beendigung des Freiheitskampfes verflossen waren, hatten allmählich die tiefen Wunden geheilt, die Krieg und Verheerung diesem Staat geschlagen; mit der beinahe verdoppelten Bevölkerung war auch das Bedürfnis gestiegen, sich im üppigen Westen auszubreiten. Die rüstige Jugend begann daher sehnsüchtige Blicke auf die fetten Walnuß- und Ahornniederungen zu werfen, die sich in den herrlichen Talweiten der Coosa- und Oconeeflüsse erstrecken. Nicht lange währte es, und die Überzügler kamen häufiger und häufiger mit Wagen und Pferden, Weibern und Kindern, ihren Rindern und ihrer Habe, um sich die besten Stellen des Landes auszusuchen, ohne sich um Rechtstitel oder Besitztum im mindesten zu kümmern. Dieser rechtlose Zustand hatte nur wenige Monate vor dem nächtlichen Ereignisse Veranlassung zu einer ernsten Streitigkeit wegen des Besitzes der Ländereien am Oconeeflusse gegeben. Zwar wurde diese noch durch Vermittlung der Zentralregierung beigelegt, aber der Vergleich, weit entfernt die Gemüter zu beruhigen, hatte vielmehr einen giftigen Stachel in den Herzen der Indianer zurückgelassen. Derselbe Häuptling der Creeks, der sich hatte verleiten lassen, diesen herrlichen Landstrich abzutreten, war seiner Abstammung nach gemischter Rasse, und seine Mutter eine Amerikanerin. Dieser Umstand würde schon allein hinreichend gewesen sein, das Mißtrauen der Indianer in einem hohen Grade aufzuregen, selbst wenn sich nicht ein bedeutender Stamm dieses Volkes durch den Vertrag beeinträchtigt gefühlt haben würde; letzteres war jedoch wirklich in einem schreienden Grade der Fall gewesen, und gerade der Hauptstamm dieses ausgezeichneten Volkes, mit einem Abkömmlinge der alten Mikos oder Könige der Oconees, war durch diesen Vertrag mit seinem ganzen Stamme land- und heimatlos geworden. Dieser Miko nun stand im Rufe, der bitterste Feind der Weißen zu sein. Seine Unbeugsamkeit und Hartnäckigkeit waren zum Sprichworte geworden. Sein Einfluß, hieß es, sei unbeschränkt in seinem Stamme, und überwiegend im Rate der ganzen Nation, die nun für den Besitz ihres noch übrigen Gebietes mit Recht besorgt wurde.
Gekränkt und gedrückt in seinen Rechten, wie der heimatlose stolze Wilde sich fühlen mußte, bedurfte es nur wenig, um die glimmende Flamme der Unzufriedenheit zum Ausbruche zu bringen. Ein Krieg, so hoffnungslos er für die Unterdrückten am Ende auch sein mußte, war jedoch eine fürchterliche Geißel für die zerstreuten weißen Ansiedler in diesen Hinterwäldern. Der Tod war das Geringste, was sie von Menschen zu erwarten hatten, deren Rache und Blutdurst durch eine lange Folgenreihe von Unterdrückungen so furchtbar aufgeregt waren. Der Kapitän hatte daher ziemlich starke Gründe zum Nachsinnen erhalten, und vertraut mit dem grausamen Charakter des Volkes, unter welchem er lebte, mußte ihm die zweideutige Ruhe, die seit einiger Zeit herrschte, mehr als bedenklich erscheinen. Die Nachtszene erschien ihm wie eine Andeutung und seine Besorgnis war in voller Stärke erwacht. Welches der Entschluß war, den er gefaßt hatte, werden wir bald sehen.
Die ersten Strahlen der Morgensonne fanden unsern Kapitän mit Zurüstungen zu einer Reise beschäftigt, die darin bestanden, daß er statt der Linsey-Woolsey-Hosen – lederne antat, seine Mokassins hervorsuchte, an den rechten Fuß einen verrosteten Sporn schnallte, über beide ein paar Leggings oder Schenkeltücher warf, die einzeln einem mittelmäßig großen Manne sehr wohl als Mantel gedient haben könnten und schließlich sich zur wohlbesetzten Tafel niederließ, alles in der systematischen Ruhe des Hinterwäldlers: Leute, die bekanntlich langsam zu einem Entschlusse kommen, aber wenn dieser gefaßt ist, ebenso besonnen als unbeugsam ihn verfolgen, weder Hindernisse scheuen, noch Furcht kennen und in der größten Gefahr noch immer ein Mittel sehen, den Witz zu schärfen, anstatt sich dadurch abschrecken zu lassen.
»Sende Tomba hinauf zu den Tscherokesen mit den Bälgen; Ihr Ik-wan Sa geht hinab zum Spanier; er hat mir versprochen, sie mitzunehmen. Und haltet Euch bereit für morgen nacht, sollte ich nicht bis zu dieser Zeit zu Hause sein; hoffe, der Deputyagent ist daheim. Sollte mir nicht lieb sein, wenn ich ihn verfehlte.« – »Wann darf ich dich zurückerwarten, Mann?« fragte sein Weib.
»Das ist mehr gefragt, als ich für jetzt beantworten kann. Vielleicht daß ich auf einige Tage oben bleiben muß; komme ich nicht innerhalb zwei Tagen, dann gehst du zu den Tscherokesen. Du weißt, die in Pennsylvanien sind auf – gegen den alten Adams. Wollte, daß den Tory der Teufel holte! Sollten die Rothäute es verspürt haben, so verlaß dich darauf, daß sie sich die Konfusion zunutze machen und 's hier losgeht. Tu auf alle Fälle, wie ich dir gesagt. Sie sind rege, und wir müssen uns sputen, sonst hängen unsre Bälge nächste Woche in ihrem Councilwigwam.«
Mit diesen Worten nahm er seine gewichtige Reitpeitsche, mit der er wirklich einst einen Damhirsch zu Boden geschlagen, von der Wand, steckte eine gewaltige Pistole in seine lange Rocktasche und bestieg seinen Gaul.
Der Pfad, den unser Kapitän nun einschlug und der zur Wohnung des Deputyagenten Kapitän Mc Lellan führte, lief zuvörderst durch einen langen Fichtenwald. Der Grund, eine sanft anschwellende Anhöhe, war bedeckt mit einer leichten Schichte Schnees, der nach dem Hagelsturme gefallen war. Die tiefe Ruhe, die über die ganze weite Landschaft hingebreitet, die schwarzen, schlank sich erhebenden Fichtenstämme, deren dunkelgrüne Zweige, mit prachtvollen Schneegirlanden behangen, in der Morgensonne gleich Millionen von Brillanten blitzten, die kalte scharfe Morgenluft, die durch den Wald blies, alles das begann allmählich auf das Blut unsers Hinterwäldlers zu wirken, der im mäßigen Schritte forttrabte, noch immer über die Nachtszene brütend und sie mit den verschiedenen Äußerungen früherer Besucher zusammenhaltend, – eine Geistesarbeit, die ihn häufig in ein Brummen ausbrechen machte, aus dem die Worte »Hol' sie der Teufel!« zu entnehmen waren.
So mochte er einige Stunden fortgetrabt sein. Das Hochland senkte sich allmählich in eine breite Talweite, überwachsen mit Walnußbäumen, zwischen denen sich hie und da ein lichter Punkt zeigte, aus dem einzelne Hütten, aus Baumstämmen aufgezimmert, hervorschauten. Kleine Welschkornfelder und Tabakspflanzungen schlossen sich im Hintergrunde an die Häuschen und bildeten nicht unangenehme Ruhepunkte. Kapitän Copeland hatte sich dem Oconee genähert, an dessen reizenden Ufern die Wigwams immer häufiger erschienen. Diese Landschaft hatte bereits damals einen ziemlichen Anstrich von Kultur. Die Hütten waren hier geräumiger und nicht unähnlich den Wohnhäusern der westlichen Grundbesitzer. Man sah Ställe für das Vieh und ziemlich große Strecken von Welschkorn- und Tabakspflanzungen. Mehrere waren selbst von Obstgärten umringt. Die Stirn unsers Hinterwäldlers fing an sich zu runzeln, als er seitwärts nach den Pflanzungen und Wohnhäusern schielte, deren mehrere das seinige an Umfang und Wohnlichkeit übertrafen.
»Der Teufel weiß, was Oberst Hawkins im Sinne hat mit seinen Zimmerleuten, Webern, Schmieden und den tausend andern Leuten, die er diesen Rothäuten zuführt. Er wird doch nicht diese roten Teufel für immer in Georgien behalten wollen? Verdammt, wenn sie – und es sieht danach aus«; murmelte er nach einer Pause, während welcher er ziemlich scheelsüchtig auf ein Wohnhaus hinabblickte, das nahe an seinem Wege lag.
»Sie haben ihre komfortabeln Wohnungen und Welschkorn- und Tabakpflanzungen, mehr gleich freien Männern denn verfluchten Rothäuten, selbst Hanf brechen sie«; fuhr er in demselben mürrischen Tone fort, als sein Blick einer Gruppe von Mädchen begegnete, die hinter dem Hause um angezündete Feuer ihren Hanf lustig schwenkten. »Ich vermute, in einigen Jahren werden sie's auch versuchen, ihren Whisky zu brennen. Immer zu, mein Oberst Hawkins. Es ist noch nicht aller Tage Abend geworden. Rothaut bleibt Rothaut, und ich möchte ebenso wohl versuchen, meine Neger weiß zu waschen, als diese verräterischen Seelen zu ordentlichen Menschen zu machen.«
Diese Ansichten waren es, die bei den westlichen Ansiedlern vorherrschend zu werden anfingen. Bereits in diesen frühern Zeiten begann man mit unfreundlichem Auge auf die natürlichen und wahrhaft legitimen Besitzer dieses Landes zu sehen; man gewöhnte sich, sie als einen Auswurf zu betrachten, dessen man sich nicht früh genug entledigen könne. Man war nichts weniger als geneigt, ihre Fortschritte in den verschiedenen Zweigen der Landwirtschaft und mechanischen Gewerbe günstig anzusehen, da eben diese den festen Entschluß zu beurkunden schienen, im Lande zu verbleiben.
Oberst Hawkins war daher nichts weniger als der Liebling des Kapitäns, der mit vielen guten Eigenschaften auch mehrere zweideutigen Charakters verband und unter den letztern eine angeborne Abneigung gegen die rote Rasse, die er, seinen eigenen Ausdruck zu gebrauchen, grimmiger als die Polecats haßte. Diese gute Meinung behielt er jedoch, wie leicht zu erachten, für sich, und selbst gegenwärtig entschlüpfte sie ihm nur in abgebrochenen Flüchen.
So hatte er etwa zwanzig Meilen zurückgelegt und war an den Abhang eines Bergrückens gekommen, von dem er eine weite Aussicht zurück auf die Niederung hatte. Noch einmal warf er einen Blick über die liebliche Gegend, als wollte er seine Erbitterung kräftigen, und gab dann seinem Klepper den Sporn. Ein dichtes Gebüsch von Hundsholz, Hickory und wilden Lorbeeren lag vor ihm, dessen weit um sich greifendes Gezweige seinem Gesichte allmählich beschwerlich zu werden anfing.
Er hatte bereits ein dutzendmal den Schnee, den es in vollem Maße über ihn schüttete, abgeworfen, als sich plötzlich ein leichtes Rauschen im Lorbeergebüsch hören ließ, das ihn stutzen machte. Einen Augenblick hielt er inne, seine grauen Augen auf das verdächtige Gebüsch gerichtet; dann zog er sich behutsam zurück, und mit der einen Hand in seine Tasche nach der Pistole fühlend, mit der andern die gewichtige Reitpeitsche ergreifend, harrte er der Dinge, die da kommen würden.
»Ja sie sind mir auf der Fährte, ich wollte wetten«; brummte er mit einem zweiten Blick auf das Dickicht, das seine buschichten Augenwimpern sträuben machte. »Verdammt, daß ich nicht gestern geritten.«
Bereits war es zu spät. Die letzten Silben des Monologs waren ihm kaum über die Zunge, als das Gebüsch sich öffnete, und eine lange, wirklich abschreckende Gestalt aus dem Gezweige hervortrat und sich vor ihm auf eine Art aufrichtete, die ein besserer Christ als er unfehlbar für ein Gespenst gehalten haben würde. Sein Pferd prallte zurück, und der Reiter war nahe daran, aus dem Sattel geworfen zu werden. Es war der Häuptling von gestern, der vor ihm stand, die Hälfte seines Hauptes noch immer mit dem Stücke Tuch verbunden, so daß nur ein Auge zu sehen war, dessen starrer Blick sich mit dem Ausdrucke der tiefsten Verachtung auf den Kapitän heftete.
»Ein mächtiger Krieger«, so sprach der Indianer nach einer langen Pause im Tone des bittersten Hasses, »hat seine Rebe einem Hunde vorgeworfen, der nun geht, Unkraut in den Pfad zu säen, der zwischen den weißen und den roten Männern liegt. Hat er auch die Häupter derjenigen gezählt, die er in seinem Wigwam zurückgelassen? Wenn er zurückkehrt vom weißen Zwischenhändler, dürfte er es leicht geleert und die Kopfhäute seines Weibes und seiner Kinder bereits getrocknet im Rauche der roten Männer finden.«
Ein rauhes Hohngelächter erschallte zugleich aus dem Gebüsche, dessen Zweige sich öffneten, um zwei Reihen von drohenden Gestalten hindurch zu lassen, die sich zu beiden Seiten dem Sprecher anschlossen.
Gegenwart des Geistes war eine Tugend, die zu üben unser Hinterwäldler seit den zwei Jahren seines Verkehrs hinlänglich Gelegenheit gehabt hatte. Mit einem Gesichte, dem der vollendetste Diplomatiker unsrer Zeit kaum deutlicher den Stempel naiverer Verwunderung hätte aufdrücken können, wenn er argerweise auf einem Seitenpfade ertappt wird, erwiderte unser Kapitän:
»Und was ist es weiter? Kann ein ehrlicher Mann nicht einmal um einige Ellen Flanell für ein Nachtröckchen reiten, wenn ein großer Häuptling sein Pflegekind rein ausgezogen, gleich einem Straßen-« – räuber wollte er sagen, verschluckte jedoch das Wort klugerweise.
Des Häuptlings Auge hatte an dem Sprecher gehangen, als wollte er ihn mit seinem Blicke durchbohren. »Braucht die Tochter des Kriegers Kleider?« fragte er endlich.
»Alberne Frage!« erwiderte der Kapitän mit derselben gleichgültigen, beinahe stupid-naiven Miene. »Betsi hat bloß einen Überrock und den braucht sie selbst. Ich gebe eine Gill Whisky, wenn das arme Ding bis zu meiner Heimkehr nicht erfroren ist.«
»Der rote Krieger wird Kleider senden«, erwiderte der Häuptling, der sich sofort zum nächststehenden Indianer wandte, dem er einige Worte in die Ohren flüsterte, worauf dieser mit einem Satze im Gebüsche verschwand.
»Wohl, wenn ihr das Zeug, weshalb ich ausgeritten, zu schicken denkt, so erspare ich Mühe und Geld. Vergeßt aber nicht die Schuhe und Strümpfe oder Mokassins, was euch gut dünkt«, schloß Kapitän Copeland, seinen Gaul wendend, um aus der gefährlichen Nachbarschaft zu kommen.
Der Indianer gab jedoch ein Zeichen, das ihn halten machte.
»Der Pfade,« sprach er, »die von dem Wigwam des weißen Mannes zu seinen Brüdern führen, gibt es viele, und seine Zunge ist sehr gekrümmt; aber die Augen und Ohren des roten Häuptlings sind weit offen. Daß nicht er oder sein Volk auf diesen Pfaden von den roten Männern gefunden werde; sonst nehmen sie seine und seiner Leute Kopfhäute.«
»Aber zum Teufel,« lachte der Kapitän, »ihr werdet mich doch nicht mit Weib und Kindern zum Gefangenen in meinem eigenen Hause machen wollen, wenn so viel auswärts zu tun ist, Rum einzukaufen, Felle abzuliefern und tausend andere Dinge?«
»Der weiße Mann mag Rum holen, um den roten Mann zu betrügen und seine Kraft zu ertöten;« versetzte der Indianer mit bitterm Lachen, »aber er wird seinem weißen Bruder, zu dem er nun wollte, nicht sehen, bis der Mond dreimal gewechselt. Auch dann vergesse er nicht, seine Zunge zu bewahren.«
Der Indianer kehrte ihm nun den Rücken und verschwand im Gebüsche. Unser Kapitän aber blickte dem Wilden einige Sekunden nach, murmelte einige Flüche, und gab, nachdem er aus voller Brust Atem geholt hatte, gleich einem, der einer drohenden Gefahr entgangen, bedächtlich seinem Gaule den Zügel – um unverrichteter Dinge wieder nach Hause zu kehren.
Auf dem Heimwege hatte er volle Zeit, über den sonderbaren Häuptling nachzudenken.
Daß die Indianer etwas Gräßliches im Schilde führten, schien außer Zweifel. Aber wo der Donnerschlag einfallen sollte und wie ihn zu verhindern, war mehr als er sagen konnte.
Im Verlaufe von einigen Wochen erfuhr er zu seiner größern Beruhigung, daß der Sturm ausgebrochen, aber glücklicherweise nicht den Bälgen seiner Mitbürger, sondern ihrer Bundesgenossen – der Choctaws der sechs Gebiete – gegolten habe, die näher dem Mississippi zu wohnten, und von den vereinigten Stämmen der Creeks überfallen und beinahe vernichtet worden waren. Kapitän Copeland schloß die Zeitungsnachricht mit dem gemütlichen Wunsche: »Mögen die Rothäute sich alle einander den Hals umdrehen und schinden; um so weniger lassen sie uns zu tun übrig!« Ein Wunsch, der, obgleich echt georgisch, zum Leidwesen unsers Wirtes von der Zentralregierung nicht genehmigt wurde, auf deren Befehl und Vermittlung bald darauf der Friede zwischen den beiden Stämmen wieder hergestellt wurde.
Die wiedergekehrte Ruhe gab unserm Hinterwäldler auch seine vorige Freiheit zurück, und mit dieser zugleich die günstige Gelegenheit, von dem sonderbaren Nachtereignisse den Schleier zu lüften. Wirklich versuchte er dieses, obgleich wir uns gedrungen fühlen, beizufügen, daß diese Versuche, nach den Äußerungen des Kapitäns zu schließen, nichts weniger als günstige Resultate herbeiführten, da er nur mit Widerwillen derselben gedachte. Alles, was man von ihm erfuhr, war die Vermutung, daß sein Pflegekind wahrscheinlich einer spanischen oder französischen Pflanzerfamilie am Mississippi angehöre. Mehr konnte oder wollte er nicht sagen, und das mürrische »Verdammt!«, mit dem er jedesmal eine solche Frage beantwortete, schreckte jeden Neugierigen von fernern Versuchen ab, sich für das Schicksal eines Kindes zu interessieren, das ohnehin allem Vermuten nach von einer Rasse abstammte, die zu sehr im Rufe passiven Gehorsams steht, um einer besondern Achtung von einem freiheitsstolzen Hinterwäldler zu genießen, selbst wenn die ewigen Zwistigkeiten mit den spanischen Behörden eine nähere Berührung möglich gemacht hätten. Unser Kapitän schenkte noch ferner Rum und Whisky aus, nahm dafür Hirsch-, Elend- und Biberbälge ein, und einen frischen Familienzuwachs jedes Jahr ausgenommen, ereignete sich nichts, das besondern Aufzeichnens wert gewesen wäre.
So waren beinahe sieben Sommer verstrichen. Die oben beschriebene Hütte hatte sich in dieser Zwischenzeit in ein ziemlich geräumiges Haus verwandelt, von dem man die Aussicht über den sich sanft durch üppige Niederungen dahin schlängelnden Coosa hatte, dessen Ufer bereits, mit aufblühenden Pflanzungen besetzt, der Gegend einen gewissen Anstrich von Sicherheit und Wohlstand gaben. Unser Wirt war allmählich ein gewichtiger Mann geworden.
Es war an einem herrlichen indianischen Sommerabende, als unser Kapitän mit seiner Familie und seinen Nachbarn an der Abendtafel saß, die, der Anzahl der Schüsseln nach zu schließen, eine feierliche Veranlassung hatte. Der Tisch bot eine genußreizende Mannigfaltigkeit hinterwäldischer Delikatessen dar, die auch von feinern Gaumen nicht verschmäht worden sein dürften. Wilde Truthühner, die deliziöse Bärentatze mit Fasanen, Wachteln und Hirschschenkeln, mit Kuchen allerart und Konfitüren namenlos, machten die Auswahl schwer. Obenan saß eine dünne, schmächtige Gestalt, deren jugendlich blasse Gesichtszüge und enthusiastisch frommer Blick einen methodistischen Prediger verrieten, den Eifer für die Verbreitung des Evangeliums in diese Gegend gebracht hatte, und der, nach dem nachahmungswürdigen Beispiele seiner Glaubensgenossen, das Lehramt der Kanzel mit dem der Schule verband. Der fromme Eiferer hatte regelmäßig, während der zwei Jahre seiner Mission, vier Monate hindurch bei den drei Hauptstämmen der Creeks zugebracht. Die Zeit, die er für die Obercreeks bestimmt hatte, war nun verflossen, und er war soeben im Begriffe, seinen Nachbarn und Mitbürgern Lebewohl zu sagen und die nahe indianische Niederlassung Coosa, wo er sich aufgehalten, für immer zu verlassen. An seiner Seite saß das kleine Mädchen, das sechs Winter vorher auf eine so seltsame Weise ein Mitglied dieser Familie geworden war. Es lag etwas ungemein Zartes und zugleich Edles und Verständiges in den kindlichen Zügen dieses Mädchens, dessen klare Augen sinnend und, wie es schien, wehmutsvoll an dem leidend hektischen Gesichte des Predigers hingen. Der Prediger selbst war sichtlich eingenommen von ihrem lieblichen Wesen und hatte sich viel während des Essens mit ihr beschäftigt. Bereits einigemal hatte er zu sprechen versucht, immer aber war Kapitän John Copeland ihm in die Rede gefallen. Er schien etwas auf dem Herzen zu haben. Er winkte endlich dem Mädchen, sich zu entfernen und diese verließ an der Hand ihrer Gespielin die Stube.
»Und so wollt Ihr denn nicht von meinem Vorschlage hören, Kapitän?« begann der Prediger. »Ich kann Euch nicht sagen, wie tief mir das Schicksal des armen Wesens zu Herzen geht. Sie hat sich seit den vier Monaten, die sie meine Schule besucht, in mein Herz ordentlich eingenistet. Die Trennung von ihr wird mir wirklich schwer. Ich will sie gerne in meine Obsorge nehmen. Ohnehin ist sie zu zart gebaut, um jemals eine rüstige Arbeiterin zu werden, und es wäre ja schrecklich, wenn sie den Indianern in die Hände fallen sollte.«
»Alles wahr,« sprach der Kapitän, »aber dann hat der Indianer jedes Jahr regelmäßig seine zehn Biber- oder Bärenfelle für Kost und Wohnung gesandt, nebst der Kleidung, und Ihr seht, ihr Anzug ist nicht der schlechteste. Obwohl bloß ein Roter, so kann ich doch nicht über sein Eigentum verfügen.«
»Und Ihr habt nie wieder von ihm gehört?« fragte der Missionär.
»Ich sah ihn noch zweimal«, erwiderte der Kapitän in einem Tone, dem man es ansah, daß er mit der Sprache nicht recht heraus wolle. – »Beide Male war er in seine blaue Wolldecke gehüllt, und ein drittes Mal sah ich sein Gesicht, jedoch nur in der Ferne. Wollte, ich wäre hundert Meilen weit von ihm gewesen. War just so eine Weiberneugierde«; fuhr er fort, seine Worte mit einem bedeutsamen Blick auf seine Frau begleitend. »Ich wollte hinüber zum Obersten Hawkins, um mit ihm des Mädchens halber zu sprechen und es vielleicht in die Zeitungen zu setzen. Ob ich nun gleich hinab nach New Orleans, hinauf nach Nashville und, wohin ich wollte, frei gehen durfte, und, mein Weib ausgenommen, keine Seele ein Sterbenswörtchen von meinem Vorhaben erfahren, der Rote, obgleich ich, einen bedeutenden Umweg genommen, wußte genau, wo ich hinzielte. Er ließ mich vierzig Meilen auf der Straße nach Milledgeville forttraben und schoß dann meinen Gaul nieder, wie einen Hund. Ja, ich habe Mistreß Copelands Neugierde teuer bezahlen müssen.«
»Und keiner von den Indianern vermochte Euch je Aufschlüsse zu geben? Ihr sagt, er selbst habe dem Kinde die Korallen umgehangen. Ist kein geheimes Zeichen an der Schnur?«
»Die Wahrheit zu gestehen, je weniger davon gesprochen wird, desto besser«; erwiderte der Kapitän. »Das Kind ist eine Französin oder Spanierin, verlaßt Euch darauf. Wenn Ihr aber gerade Lust habt, mehr zu erfahren, so ist soeben Gelegenheit dazu vorhanden. Es liegt einer der Creeks draußen in dem Schoppen.«
»Ich muß ihn sehen«, erwiderte der Prediger, der sogleich, ohne auf das Kopfschütteln des Kapitäns zu achten, seinen Sitz verließ und mit einem Glase Rum vor die Türe trat. Der Indianer lag im tiefen Schlafe auf dem Stroh, neben ihm sein Karabiner. Kaum war der Prediger vor den Wilden hingetreten, als dieser die Augen aufschlug und auf die Beine sprang. Der Prediger winkte, ihm in den Garten zu folgen und nahm das kleine Mädchen, dem er liebevoll einen Kuß auf die Stirne drückte, in seine Arme. Einen Blick warf der Indianer auf das Mädchen, einen zweiten auf die Glaskorallenschnur, und dann begann ein fieberartiges Zittern durch seine Glieder zu beben. Allmählich zog er sich erschrocken vor dem Kinde zurück und flog endlich mit dem Schreckensrufe »Hug!« wie ein Pfeil über die Hecke. In wenigen Sekunden war er im Walde verschwunden.
Der Missionär kehrte betroffen in das Haus zurück.
»Wohlan, Mister Lovering!« sprach der Kapitän mit gerunzelter Stirne. »Habt Ihr noch immer Lust zu dem Kinde?« – »Jawohl«, erwiderte der Prediger. »Und wenn Ihr einverstanden seid, so will ich mit dem Agenten sprechen.«
»Nein, damit bin ich nicht einverstanden«; erwiderte der Kapitän trocken. »Wenigstens nicht, so lange ich hier bin. Mein Wort muß ich halten, solange nämlich, als ich noch am Coosa bin. Aber die Zeit meines Bleibens hier ist die längste gewesen. Ich sehne mich nach einem ruhigem Platze, und wenn mich nicht alles trügt, so sind die Creeks wieder in Bewegung. Es wird stürmisch hergehen, verlaßt Euch darauf. Man sagt, der Häuptling der Oconees sei wieder einmal rege, und daran, sich mit dem schrecklichen Tecumseh zu verbinden. Zwei solche Menschen könnten die Welt in Flammen setzen.«
»Ja, das sind beide gefährliche Männer«; erwiderte der Prediger.
»Wenn ich unten am Mississippi bin, der nun, Gott sei Dank, uns, und nicht dem miserablen Spanier gehört, dann mögen sie tun, was sie wollen.«
»Jawohl!« bekräftigte Mistreß Copeland. »Das arme Ding, sie wird nie zur Arbeit taugen. Sie ist so linkisch, als wenn sie nicht dazu geboren wäre. Sie möchte vielleicht eine gute Hand zum Nähen und dergleichen sein, oder für eine Mädchenschule, denn sie näht artig und schreibt und liest Euch wie ein Schulmeister.«
Die gute Frau war soeben im Begriffe sich eines weitern über die Fähigkeiten ihrer Milchtochter zu verbreiten, als ein durchdringender Angstruf vom Garten her erschallte. Im nächsten Augenblick rannte der Gegenstand der soeben stattgehabten Unterhaltung bleich und zitternd in die Stube, und auf den Prediger zueilend fiel sie vor ihm hin, seine Knie mit jammernden Klagetönen umfassend.
Die unnennbare Angst des Kindes hatte die Anwesenden mit Verwunderung und Bestürzung erfüllt. Sie blickten mit starrem Auge und offenem Munde nach der Tür, als das Kind mit dem Ausrufe: »Da ist er!« zusammensank. Ein langer, hagerer Indianer trat in demselben Augenblicke in die Stube, warf einen durchdringenden Blick auf die Anwesenden und ließ sich dann auf einen Stuhl nieder. Seinem Anzüge nach zu schließen, war er ein Häuptling ersten Ranges. Seine Gestalt, obwohl sichtlich abgemagert, war kolossal und verriet ungemeine Stärke. An seinen Schläfen und nackten Armen lagen Muskeln beinahe fingerdick, die seinem Wesen mehr das Ansehen einer bronzenen Statue, als eines Lebenden gaben. Das merkwürdigste an diesem imposanten Manne war jedoch das, nach der alten Weise der Mikos oder Könige der Oconees, mit einem Diadem von Federn gekrönte Haupt. Seine Stirne war äußerst schmal, endete jedoch zu beiden Seiten in zwei ungeheuren Backenknochen, die zwischen dem dünnen Kinne und den äußerst schmalen Lippen zwei tiefe Höhlen bildeten, die den trockenen, beinahe verwitterten Zügen des fleischlosen Gesichtes einen unnennbaren Ausdruck von Tücke, Starrsinn und Intelligenz gaben. Der Anzug dieses merkwürdigen Mannes bestand in einer Weste von gegerbter Hirschhaut, die seine ungemein breite Brust vollkommen bedeckte, einem Jagdhemde von Kaliko, welches darüber geworfen war, und dem Lendentuche, das in bunten Farben gewirkt vom Wampumgürtel herabhing und die Schenkel und Knie entblößt ließ. Seine Mokassins waren reichlich verziert. In seiner Rechten hielt er einen Karabiner und in seinem Gürtel stak ein Schlachtmesser, reichlich mit Silber eingelegt.
»Tokeah!« rief der Missionär aus, den seine Wanderungen im Gebiete der Indianer mehr mit den verschiedenen Stämmen und ihren Häuptlingen bekannt gemacht hatten, als der stationäre Schenkwirt zum Indianischen König es werden konnte.
Der letztere wollte soeben sein Glas zum Munde bringen; aber seine Trinklust schien plötzlich verschwunden, als ein Name genannt wurde, der mit dem des tödlichsten Feindes seiner Landsleute gleichlautend geworden war. Er setzte das Glas auf den Tisch und überblickte den Häuptling vom Kopf bis zu den Füßen.
»Sechs Sommer und sechs Winter«, sprach dieser nach einer langen Pause, »sind gegangen und wiedergekommen, seit der Miko der Oconees seine Tochter bei seinem weißen Bruder gelassen hat. Er ist nun gekommen, sie in sein Wigwam aufzunehmen.«
»So seid Ihr es denn, der uns in jener bangen Nacht die arme Rosa hinterlassen hat, wie sie unser Prediger hier nennt? Warum habt Ihr mir jedoch Euern Namen nicht wissen lassen, oder das Kind abgeholt? Es hat uns manche bange Stunde verursacht. Wenn es nun abhanden gekommen wäre?«
»Die weißen Männer verlangen bloß nach den Tierfellen und den Ländereien des roten Mannes; wenig ist ihnen an einem Häuptlinge und seinem Wohlgefallen gelegen«, erwiderte der Indianer mit einem bittern, verachtungsvollen Lachen. »Wenn das Kind verloren gegangen wäre, so würden Eure Kinder mit ihren Schöpfen dafür bezahlt haben. – Und nun will der rote Häuptling nehmen, was ihm gehört.«
»Ihr nennt doch nicht Rosa, deren Eltern Ihr wahrscheinlich gemordet, Euer eigen?« sprach der Prediger mit einem Mute, der selbst den Hinterwäldler staunen machte.
Der Indianer warf einen Blick der tiefsten Verachtung auf den Redner. »Wo würde nun die weiße Rose, wie du sie nennst, sein, wenn die Hand Tokeahs nicht den Arm aufgehalten hätte, der ihren Schädel an einem Baumstamme zerschmettern wollte? Wer hat für sie gejagt, als sie noch auf ihren Händen und Füßen herumkroch? Wer hat für sie die Biberfelle gesandt und hat selbst Wasser getrunken? Geh,« fuhr er mit steigendem Abscheu fort; »Ihr seid Hunde! Eure Zunge spricht von Dingen, von denen Euer Herz nichts weiß. Ihr sagt uns, wir sollen unsere Nächsten lieben, während diese uns unsre Felle, unser Vieh, unser Land nehmen, uns in die Wüste treiben.«
»Der Miko der Oconees«, erwiderte unerschrocken der Missionär, »wird sicherlich eine arme christliche Waise nicht von ihren Pflegeeltern reißen wollen? Der weiße Vater würde böse sein, und er wird gern bezahlen.«
»Nicht nötig,« rief Mistreß Copeland; »wir wollen sie gerne umsonst behalten. Wo zwölf Mäuler essen, wird auch das dreizehnte nicht verhungern.«
»Ja, sicher nicht«, fügte Kapitän Copeland etwas langsamer hinzu; – hielt jedoch inne, als er bemerkte, daß der Indianer ihm stolz ein Zeichen des Stillschweigens gab.
»Der Miko der Oconees,« sprach dieser mit würdevollem Tone, »wird nie wieder den weißen Vater sehen. Sein Pfad ist lang, sein Herz sehnt sich nach Freiheit; er will sie suchen, da wo der Weiße noch nie seinen Fuß hingesetzt hat. Er braucht seine Tochter, sein Wild zu kochen, und sein Jagdhemde und seine Mokassins zu nähen.« Nach diesen Worten öffnete er die Türe und eine Anzahl Indianer mit zwei Mädchen traten in die Stube.
»Canondah!« rief der Missionär, seine Hand dem indianischen Mädchen darreichend. Die Indianerin näherte sich dem Prediger, kreuzte ihre beiden Hände über ihrem Busen und senkte demütig das Haupt.
»Und so willst du uns denn wirklich verlassen?« fuhr der Missionär fort.
Das Mädchen gab keinen Laut von sich. Der Häuptling machte ein Zeichen, worauf das zweite Mädchen die bebende Rosa in ihre Arme hob und ihr einen Teppich umwarf, dessen untere Zipfel sie dem erstern Mädchen in die Hand gab, während sie die obern über ihre Schultern zog und dann verknüpfte. Zugleich wand sie ein breites Band um die Hüften des Kindes, das so, höher gehoben, seine Arme um den Hals seiner Trägerin zu winden genötigt und zum Aufbruche bereit war.
Der Missionär und das Weib des Kapitäns hatten mit tränendem Auge zugesehen, wie die von Schrecken erstarrte Kleine gleich einem Schlachtopfer lautlos sich binden ließ. Ersterer trat nun zur Trägerin heran und sprach im milden, zitternden Tone:
»Canondah, du bist immer ein edles Mädchen gewesen; eine Perle. – So empfehle ich denn deiner schwesterlichen Liebe und Sorgfalt diese zarte Pflanze. – Willst du ihr Mutter sein?«
Die Indianerin nickte.
»Und dieses Buch«, fuhr der Prediger fort, ihr eine Taschenbibel einhändigend, »sei dir und Rosen ein Andenken an euern Lehrer. Trage ihn, der dich erlöset hat, stets in deinem Herzen.« Dann, seine Hände auf beider Mädchen Häupter legend, gab er ihnen den Segen.
Beide verließen mit ihrer Bürde und den Indianern nun die Stube; der Häuptling war allein zurückgeblieben.
»Der Miko der Oconees«, sprach er mit Würde, sich von seinem Sitze erhebend, »hat bezahlt für die Milch, die das weiße Weib seiner Tochter gegeben. Er geht nun. – Sein Pfad ist lang, sein Weg rauh; aber sein Herz ist müde der Weißen. Möge er sie nie wiedersehen.«
Nachdem er diese Worte gesprochen, wandte er den Anwesenden den Rücken und verließ die Stube.
Ein langer Atemzug entfuhr gleichzeitig den Gästen. Kapitän Copeland war der erste, der den Gebrauch seiner Zunge wiederfand und sich von seinem Erstaunen wieder erholte. Es ergab sich aus seinen Äußerungen, daß er, im ganzen genommen, nicht ganz unzufrieden war, sich einer Sorge überhoben zu sehen, die ihm, nach seiner Versicherung, mehr schlaflose Nächte verursacht hatte, als irgend etwas in seinem Leben.
Wir selbst verlassen nun Georgien und die Familie unseres Tauschhändlers, um den Faden unserer Geschichte in einem fernen Lande, und nach Verlauf von mehreren Jahren, wieder anzuknüpfen.
Am nördlichen Ende des Sabinersees und mitten aus den Rohr- und Zypressensümpfen, die sich von dieser Seite her dem See zusenken, erhebt sich zwischen den beiden Flüssen Sabine und Natchez eine schmale Landzunge, die, in demselben Maße, als die beiden Flüsse sich voneinander entfernen, anschwellend, eine sanft aufsteigende Anhöhe bildet, zu deren beiden Seiten die zwei Flüsse ihre klaren und lieblichen Gewässer dem dunkelgrünen Verstecke der Zypressen und des Palmetto und dann dem oberwähnten See zuführen, der selbst wieder dem Busen von Mexiko sich öffnet.
