Die Goldkarawane (Abenteuerroman) - Walther Kabel - E-Book
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Die Goldkarawane (Abenteuerroman) E-Book

Walther Kabel

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Beschreibung

Dieses eBook: "Die Goldkarawane (Abenteuerroman)" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Walther Kabel (1878-1935) gilt als einer der meistgelesenen deutschen Schriftsteller der 1920er Jahre. Aus dem Buch: "Nun – wenigstens war diese Überraschung und dieser Befehl "Hände hoch!" mir nichts Neues mehr. Zuitenbrook-Rastra hatte ja damit bei mir schon einmal Glück gehabt. Erst glaubte ich nämlich, er sei abermals der Angreifer. Dann aber, als der hinter mir Befindliche nun erklärte: "Rühren Sie sich nicht, oder ich schieße Sie mit Ihrem eigenen Revolver über den Haufen!" – da erkannte ich die Stimme des "Gemusterten", da fiel mir auch ein daß der falsche Mynheer mich damals auf Englisch und nicht auf Französisch angerufen hatte. Also einer der Briganten, sogar ihr Anführer, wie ich glaubte, da er ja gestern nacht die Unterhandlungen mit mir geführt hatte! Ich stand wie eine Bildsäule. "Reichen Sie mir mit der linken Ihre Büchse nach hinten," befahl er jetzt. Mir fiel ein, daß er mich für ziemlich ungefährlich hielt. Er würde also kaum von meiner Seite den Versuch einer Überrumpelung erwarten! Darauf rechnend, nahm ich den Stutzen so von der Schulter, daß ich, als ich ihm denselben zureichte, den Lauf ganz oben gefaßt hatte. Ich tat auch nur so, als wollte ich ihn nach rückwärts ihm in die Hand geben, stieß nun vielmehr mit aller Kraft zu und sprang gleichzeitig zur Seite, drehte mich um und warf mich über dem Banditen, den mein Stoß tatsächlich etwas aus dem Gleichgewicht gebracht hatte, so daß er nicht mehr auf mich anschlagen konnte..."

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Walther Kabel

Die Goldkarawane (Abenteuerroman)

e-artnow, 2016 Kontakt: [email protected]
ISBN  978-80-268-5411-1

Inhaltsverzeichnis

1. Eine neue Bekanntschaft auf der »Algier.«
2. Der Brunnen der Aussätzigen
3. Im letzten Augenblick
4. In einen Hinterhalt geraten
5. Gefangen in der Hammada
6. Augustus bewährt sich
7. Am Rande der Sahara
8. In der Gewalt von Sklavenhändlern
9. In der Fanggrube
10. Die Geschichte der Goldkarawane
11. Auf falscher Fährte
12. Ein mißglückter Angriff
13. Der Heilige
14. Der Berg der Quellen
15. Schluß

1. Kapitel Eine neue Bekanntschaft auf der »Algier.«

Inhaltsverzeichnis

Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt! –

Sehr schön! Zum Reisen, wenigstens heutzutage, gehört jedoch Geld, nochmals Geld und wieder Geld. Früher war das ja wohl anders. Da schlugen sich bescheidene Handwerksburschen mit ein paar Pfennigen durch, wanderten von Stadt zu Stadt, arbeiteten hier und da, zogen weiter, lernten so Land und Leute kennen. Das war auch ein Stück Romantik der guten alten Zeit.

Auch in mir hatte von Jugend an neben einer starken Neigung für alles Außergewöhnliche und Abenteuerliche ein unruhiger Wandertrieb geschlummert. Meine Sehnsucht waren die Länder des Orients, besonders jene Gebiete fremder Erdteile, in denen die europäische Kultur noch nicht den Bewohnern und dem Landschaftsbilde die Reize des Ursprünglichen geraubt hat.

Diese Sehnsucht sollte erst erfüllt werden, als ich der Erbe eines seltsamen und seltenen Mannes geworden war, den mir das Schicksal in den Weg geführt hatte und der dann für leider nur kurze Zeit mein Freund wurde. Er starb, hinterließ mir sein ganzes Besitztum, wozu auch eine Anzahl Waffen, zwei fast neue indianische Jagdanzüge aus feinstem Leder und – eine Menge Goldkörner in allen Größen gehört.

Goldkörner! Sie stammten aus Westbrasilien, wo mein Freund Karl Weber sie von einem Indianer, seinem roten Bruder, wie er ihn stets nannte, zum Geschenk erhalten hatte. Von diesem Indianer und den Abenteuern, die Karl Weber mit ihm zusammen in den Urwäldern und Savannen Brasiliens erlebt hat, habe ich in einem Buche berichtet, das den Titel »Madua, der große Häuptling der Arowaken« trägt.

Goldkörner! – Einen Teil davon verkaufte ich und gewann so die Mittel zu meiner ersten Reise in fremde Länder. Ich gab meine Wohnung auf, stellte meine geringe Habe bei Bekannten unter, packte in einen bescheidenen Koffer nur das Allernötigste, darunter auch Webers Waffen und einen seiner Jagdanzüge, der mir sehr gut paßte, und fuhr zunächst bis Marseille, von wo ich einen Dampfer nach der Stadt Algier, dem Haupthafen der französischen Kolonie Algerien in Nordafrika, benutzte.

Mein Streben war von Beginn meiner Reisevorbereitungen an stets darauf gerichtet gewesen, möglichst wenig Geld auszugeben. Daher hatte ich auch einen Frachtdampfer gewählt, der nur nebenbei den Personenverkehr betrieb. Er hieß Algier, ein Schiffsname, der im Mittelmeer ebenso häufig ist wie etwa in unserer Handelsflotte Neptun oder Marie.

Außer mir befanden sich noch vier Fahrgäste an Bord, und zwar ein französischer Elektromonteur mit Frau und Kind, die sich in Algerien niederlassen wollten, und ein älterer Mann, der sich ganz für sich hielt, und der, wie ich vom Kapitän erfuhr, ein Holländer aus Amsterdam sein sollte. Er nannte sich Zuitenbrook.

Unsere Kabinen im Mittelaufbau lagen nebeneinander. Gleich am ersten Tage bemerkte ich zufällig, daß sich in der unsere Kabinen trennenden, polierten Holzwand ein Astloch etwa in Augenhöhe befand, aus dem der dunklere, genau hineinpassende Astpflock bei der geringsten Berührung herausfiel. Deshalb wurde ich auch nur darauf aufmerksam.

Ich sah, daß man das Aststück bereits nachträglich festzuleimen versucht hatte. Es hatte aber trotzdem sich entweder von selbst wieder gelockert oder war von neugierigen Inhabern meiner Kabine absichtlich nachträglich herausgezogen worden. –

Winzige Kleinigkeiten sind’s oft, die unserem Lebensweg, unseren Plänen und Gedanken eine ganz andere Richtung geben. Hier war’s der Astpflock, der sozusagen den Anlaß zu alledem gab, was ich nachher in Algerien und in der Sahara an abenteuerlichen Erlebnissen durchmachen sollte.

Als er – es war abends gegen neun Uhr – durch eine zufällige Berührung meiner Hand sich löste und leise auf den dicken Bastteppich der Kabine aufschlug, regte sich – und wem wäre es wohl nicht ebenso ergangen! – in mir zunächst nur die Neugier festzustellen, ob ich durch das etwas schräg nach oben zu verlaufende Loch einen Blick in Zuitenbrooks Kabine werfen könnte, der mir bereits durch seine finstere, verschlossene Miene und sein offenbares Bestreben, ganz für sich bleiben zu wollen, aufgefallen war.

Ich brachte also das rechte Auge an die kleine Öffnung heran und – prallte auch schon erschrocken zurück, denn – in der Nebenkabine an dem kleinen Klapptischchen über dem die eingeschaltete elektrische Glühbirne hing, saß ein Fremder und nicht der Holländer, – ein Fremder, der gerade dabei war, auf einer großen Landkarte mit einem Zirkel irgendwelche Entfernungen abzumessen.

Seltsam! Ein Unbekannter dort drüben?! – Ich überlegte mir die Sache, kam dann auf einen besonderen Gedanken, der in mir deshalb so schnell aufgestiegen war, weil Zuitenbrooks blondes, starkes Kopfhaar und sein dichter, langer Vollbart auf mich gleich einen merkwürdigen Eindruck gemacht hatten, nämlich den, als ob sie falsch wären.

Wenn man Schriftsteller ist und hauptsächlich die dunklen Seiten des menschlichen Seelenlebens in Kriminalromanen tiefer zu beleuchten pflegt, gewähnt man sich unwillkürlich so etwas wie Detektivaugen an.

Nun – mein erster Schreck beim Anblick des Fremden verwandelte sich plötzlich in Argwohn. Ich sagte mir, daß ein Mensch, der sein Äußeres durch falschen Bart und Perücke zu verändern sucht und der nur allein in seiner Kabine bei (sicherlich!) verschlossener Tür zu später Abendstunde diese Verkleidung ablegt, ein schlechtes Gewissen haben muß.

Gewiß: dieser Holländer konnte ja auch ein Polizeibeamter oder dergleichen sein, der hinter einem Gesetzesverächter her war. Dagegen sprach nun jedoch die Tatsache, daß es hier auf dem Frachtdampfer nur ganz harmlose Leute gab und daß ein Kriminalbeamter, der etwa anderswo als hier an Bord der Algier jemand beobachten wollte, nicht wie ich zum Beispiel aus Sparsamkeit gezwungen gewesen wäre, gerade dieses doch recht langsame und nur geringe Bequemlichkeiten bietende Schiff zu benutzen.

Nein – dieser Zuitenbrook (natürlich auch ein falscher Name) wanderte sehr wahrscheinlich auf faulen Pfaden, war vielleicht gar ein Kassenräuber, Defraudant oder dergleichen.

Jetzt waren bei mir alle moralischen Bedenken gegen die Benutzung des Astloches geschwunden. In meiner Phantasie tauchten schon verheißungsvolle Luftschlösser von einer Riesenbelohnung auf, die ich mir durch Festnahme eines flüchtigen Millionendiebes verdienen könnte. Jedenfalls war ich entschlossen, diesem Holländer recht scharf auf die Finger zu sehen und zuzupacken, sobald ich genügend Beweise dafür gesammelt hätte, daß er ein Verbrecher war, der Europa vorläufig den Rücken zu kehren für angebracht hielt.

Ach: wie sehr hatte ich mich doch damals geirrt in all diesen Mutmaßungen! Freilich, die Wahrheit sich zusammenzureimen, dazu hätte selbst die Phantasie meines berühmten Berufskollegen Konan Doyle, des Erfinders der Figur des Überdetektivs Sherlock Holmes, nicht ausgereicht.

Ich brachte mein Auge jetzt also abermals an das runde Guckloch heran und beobachtete Zuitenbrook weiter.

Aha! Da lag ja auch links auf dem Bett die Perücke und der Bart! Schade, daß ich sie nicht gleich gesehen hatte. Ich hätte mir dann die Gedankenarbeit vorhin erspart und sofort gewußt, woran ich mit diesem Fremden war.

Der echte »Zuitenbrook« (wie mochte er wohl in Wirklichkeit heißen?), sah ganz, ganz anders aus als der, den ich heute mittag beim Essen in dem kleinen Speisesaal des Dampfers zum ersten Mal erblickt hatte. Zunächst war er kahlköpfig. Nur vom Hinterkopf bis zu den Schläfen herauf lag noch ein Kranz dunkler Haare. Sonst glich der Schädel einer Billardkugel. Dann sein Gesicht. Dieses war durch den Urwald von Bart bisher so weit verhüllt gewesen, daß man lediglich den finsteren Ausdruck der hinter einer Brille versteckten Augen und eine große Hakennase, dazu ein Paar Riesenohren hatte wahrnehmen können.

Jetzt waren – das hätte mir doch gleich auffallen müssen! – auch die übergroßen Ohrmuscheln verschwunden! Der Mann dort am Klapptisch hatte ja überhaupt keine Ohren!

Das Gesicht selbst, von der Glühbirne hell bestrahlt, zeigte mir sowohl in Stirnbildung als der breiten Kinnpartie und den Falten um den wohlgeformten Mund alle Hinweise auf einen überaus energischen Charakter. Die Augen, jetzt ohne Brille, waren groß und lebhaft und von starken, fast schwarzen Brauen überwölbt, lagen tief in den Höhlen und gaben dem ganzen, bartlosen, schmalen Antlitz im Verein mit der Hakennase das Gepräge eines wahren Charakterkopfes.

Dieser geheimnisvolle Mensch beschäftigte sich wie schon erwähnt mit einer Landkarte. Den Zirkel hatte er jetzt beiseite gelegt, starrte nachdenklich mit etwas zurückgelegtem Kopf aufwärts in das grelle Licht der elektrischen Birne. So saß er, die Karte in den Händen glatt gespannt haltend, regungslos da.

Ich sah, wie seine Lippen sich bewegten. Er hatte offenbar die Angewohnheit vieler Leute, einer stärkeren inneren Erregung durch halblaute Selbstgespräche Luft zu machen.

Die Landkarte – sie war gut ein Meter im Quadrat groß – zeigte an den Rändern blaues Meer und in der Mitte ein dunkles Dreieck: also Afrika! Es mußte eine sehr genaue Spezialkarte sein. Wahrscheinlich stammte sie aus einem geographischen Werke, denn unsere gewöhnlichen Atlanten enthalten Karten von solchem Umfange kaum.

»Merkwürdig doch eigentlich!« dachte ich mir. »Wozu schleppt er sich nur mit einer solchen Riesenkarte von Afrika herum?!«

Ich gebe zu: in diesem Augenblick bekam mein Verdacht, ich könnte hier einen Millionenräuber vor mir haben, den ersten Stoß und geriet leicht ins Wanken.

Zuitenbrook saß noch immer ohne jede Bewegung, stierte vor sich hin und führte leise Selbstgespräche.

Ich legte das Ohr an das Astloch. Vielleicht verstand ich wenigstens ein paar Worte.

Eine Weile hörte ich nur etwas wie ein Gemurmel. Das bis in unsere Kabinen heraufdringende Stampfen der Schiffsmaschinen war doch recht hinderlich bei meinem Bemühen, mir hier eine Belohnung als Gelegenheitsdetektiv zu erringen.

Dann aber – ja, jetzt hatte ich ziemlich deutlich folgendes vernommen, das mein Nachbar offenbar in größter Wut hervorgestoßen hatte:

»– Sie sollen sich mir nur nochmals in den Weg stellen! – Ich werde Euch beweisen, daß Anton Rastra keine Rücksichten kennt, wenn es sich um –«

Der Schluß entging mir. Es schadete nichts. Denn wertvoll genug war ja die auffallende Tatsache, daß diese Sätze nicht in holländischer, sondern in – deutscher Sprache an mein Ohr gedrungen waren, – Beweis genug für die Zugehörigkeit des angeblichen Zuitenbrook zu meinem eigenen Vaterlande! Denn – gerade in der Erregung und mit sich allein hätte ein Holländer niemals eine fremde Sprache gebraucht! Nein – in solchen Augenblicken bilden unsere Sprachorgane ganz von selbst die ihnen geläufigsten Worte.

Also kein Holländer – ein Deutscher vielmehr! Und – den Namen wußte ich jetzt ja auch bereits:

Anton Rastra!

Es gibt Namen, die häufig wiederkehren. Rastra war mir noch nie begegnet. Ich fand, schon in diesem Namen stecke etwas wie Energie und schnelle Entschlußfähigkeit. Heißt jemand zum Beispiel Weichbrod oder Lobesang, wird man kaum damit sofort den Begriff von Tatkraft und rücksichtslosem Draufgängertum verbinden.

Ich hatte also als Gelegenheitsdetektiv schon recht gute Erfolge in diesem meinem »ersten Fall« errungen. – So – dachte ich damals!

Nach einer Weile hörte ich dann abermals ein paar deutsche Worte. Und ich gebe zu, sie machten mich noch stutziger als die Karte von Afrika.

»– die Goldkarawane verschollen ist, unterliegt keinem Zweifel. Nur ob sie –«

Das hörte ich. Dann verschlang das Rumpeln der Maschinen das übrige.

Goldkarawane! Merkwürdig! Was sollte dies nun wieder?! Denn die Spezialkarte des dunklen Erdteils und Karawane – das paßte ja zusammen! In Europa spricht niemand von Karawanen! Da gibt es Lastfuhrwerke, Lastautos, Güterzüge.

Und noch gar Goldkarawane! Klang das nicht romantisch, geheimnisvoll, vielversprechend?! –

Nun vernahm ich von drüben ein anderes Geräusch: das Knacken eines Schlosses – dann das Knarren der Scharniere eines Koffers.

Ich gab das Lauschen daher auf und benutzte das Astloch mit dem rechten Auge wie zuerst schon. Ich sah, daß Zuitenbrook-Rastra mit einem Kasten an den Tisch trat, daß er den beweglichen Boden dieses Holzkästchens herauszog und aus einem – ja, es konnte ja nur ein Geheimfach sein! – also aus einem Geheimfach ein vergilbtes, an den Rändern zerrissenes Papier herausnahm, dem die rechte untere Ecke fehlte, wie ich nun weiter feststellte, als er die Schriftzüge darauf zu lesen begann.

Ich habe sehr gute Augen. Ich erkannte, daß die Buchstaben mit roter Tinte geschrieben und sehr groß und ungelenk waren, als hätte eine des Schreibens ungewohnte Hand sie langsam und schwerfällig hingemalt.

Der angebliche Holländer starrte nun genau so nachdenklich und regungslos auf das halb zerfetzte, vergilbte Blatt wie vorhin ins Leere. Seine Augen ruhten besonders dort sehr lange, wo die rechte Ecke des Papiers fehlte und mit ihr ein Teil der Schrift.

Gut eine Viertelstunde hielt er so das Blatt in Händen. Dann schloß er es wieder weg und fing an sich zu entkleiden.

Da es nun nichts weiter zu beobachten geben würde, hob ich den Astpflock auf, wollte ihn in das Loch ganz behutsam zurückdrücken. Aber – er glitt wieder heraus. Ich suchte ihn aufzufangen, stieß dabei mit den Fingerknöcheln an die Wand, bekam ihn aber noch zu packen und schob ihn schnell in die runde Öffnung hinein, indem ich gleichzeitig die Schlipsnadel aus meiner Krawatte mit der Spitze der Nadel mit festklemmte, so daß das Aststück nun genügend festgekeilt war.

Auch ich ging nun zu Bett. Ich konnte nicht einschlafen. Ich hatte heute ja das erste wirkliche Abenteuer meines bisher recht alltäglichen Daseins erlebt! Ein Abenteuer war’s, sogar eines, das alle möglichen Mutmaßungen zuließ.

Wer war Anton Rastra? Weshalb trug er eine Verkleidung? Wie war er seiner Ohren verlustig gegangen, falls deren Fehlen eben nicht eine harmlose Ursache hatte? Was bedeuteten seine Worte: »Sie sollen sich mir nur nochmals in den Weg stellen –« und so weiter? Und schließlich – was hatte es mit der Goldkarawane, der Karte von Afrika und dem vergilbten Blatt auf sich?

Ich träumte dann wirres Zeug, durchlebte im Traum blutige Kämpfe mit Kamelreitern, mit weißem Gesindel, wurde von Zuitenbrook-Rastra an einen Baum gebunden, mit dem Revolver bedroht.

In Schweiß gebadet erwachte ich, als die Sonne bereits hell durch die kleinen runden Fenster schien. Ich konnte mich auf meine Träume noch sehr gut besinnen, lächelte jetzt darüber.

Ich ahnte nicht, daß sie, wenn auch etwas anders gestaltet, in Erfüllung gehen sollten.

Dann betrat ich das Deck des Dampfers mit der festen Absicht, auf eine Weise, die ich mir schon genau überlegt hatte, des geheimnisvollen Menschen Bekanntschaft zu machen.

Ich hatte zu diesem Zweck aus meinem Koffer den Stutzen herauskommen, der nebst den Goldkörnern der wertvollste Teil der Erbschaft meines Freundes Weber war.

Diese kurze Schußwaffe war nämlich Webers ureigenste Erfindung. Es gab nur dieses eine Modell davon. Mein Freund hatte mir ans Herz gelegt, seine Erfindung um keinen Preis bekannt zu geben oder gar zur Herstellung als Massenartikel an eine Fabrik zu verkaufen.

Es war eine einläufige Gasbüchse, ähnlich konstruiert wie ein Luftgewehr, mit einem Stahlkasten an Stelle des Schlosses, ohne Hahn, ohne jeden Ausputz. Sie sah plump aus, und war doch das sinnreichste Modell einer Mehrladewaffe, konnte zwanzig längliche Bleigeschosse nacheinander abschießen und traf noch auf 200 Meter tadellos.

Jetzt nahm ich sie mit nach oben, um – Rastras Neugier zu reizen, der sich gestern bei Tisch mit dem Kapitän sehr eingehend über moderne Handfeuerwaffen unterhalten hatte. Ich hoffte, auf diese Art mit ihm bekannt zu werden.

Und siehe – es gelang! Der Dampfer war von einem Schwarm Möwen begleitet. Nachdem ich hintereinander vier der leichtbeschwingten Vögel herabgeholt hatte, erhob sich Rastra aus seinem Liegestuhl, trat auf mich zu und sagte in jenem schlechten Französisch, das er auch im Gespräch mit dem Kapitän benutzt hatte:

»Monsieur, entschuldigen Sie meine Neugier. Sie haben da eine sehr merkwürdige Waffe.«

So kamen wir ins Gespräch. Er stellte sich mir dann als Kaufmann Zuitenbrook aus Amsterdam nochmals persönlich vor (flüchtig hatte ja schon der Kapitän uns miteinander bekannt gemacht), erklärte, er habe in Algier geschäftlich zu tun und würde, wenn mir dies angenehmer sei, auch Deutsch sprechen, das er leidlich beherrsche.

Unsere Unterhaltung wurde also in unserer Muttersprache fortgesetzt, die Rastra jedoch getreu seiner Rolle als Holländer ebenso verhunzte wie er das Französische fehlerhaft gebrauchte.

Sehr bald hatte ich dann, nachdem das Waffenthema erledigt war, die deutliche Empfindung, daß er mich über meine Person und meine Reisepläne auszuforschen suchte. Er schien an meinen Beruf als Schriftsteller nicht recht zu glauben, ebensowenig an meine Absicht, allein nur von einem eingeborenen Führer begleitet, von Algier aus mich bis zum Tsad-See durchzuschlagen und dann weiter nach Aschantiland an der Goldküste zu gehen. Und doch war’s die volle Wahrheit. Ich wollte dies tatsächlich. Daß es dann ein wenig anders kam, daran war – er selbst schuld!

Kurz: Seine Bekanntschaft war gemacht! Das war die Hauptsache zunächst.

Wir blieben bis zum Mittagessen zusammen auf dem Achterdeck, ich merkte, daß er bereits weite Reisen hinter sich hatte. Im übrigen spielte er ganz den Kaufmann, der in Amsterdam mit Teppichen, Musselin- und Wollstoffen Handel treibe, also gerade mit einigen der Hauptausfuhrartikel Algeriens.

Kurz vor Tisch ging ich in meine Kabine, um den Stutzen wieder in den Koffer einzuschließen. Die Tür der Nebenkabine stand weit offen. Unser Steward säuberte mit dem Besen den Fußboden. Als ich gleichzeitig sah, daß Zuitenbrooks Gepäck aus der Kabine verschwunden war, fragte ich den Steward, ob Monsieur Zuitenbrook etwa umgezogen sei: – »Ja – in die Kabine gegenüber. Diese war ihm zu klein,« lautete die Antwort, die mir sofort zu denken gab.

Er zog um, wechselte die Kabine! Ob er vielleicht gestern abend gehört hatte, wie ich mit der Hand gegen das polierte Holz der Wand schlug, ob er etwa sogar das Astloch gesehen und sich das Weitere zusammengereimt hatte?!

Beinahe war ich geneigt, mir selbst mit Ja zu antworten, denn nun erst fiel mir so recht auf, wie schnell Rastra auf meinen Köder – den Stutzen! – angebissen, während er doch gestern noch mich völlig als Luft behandelt hatte.

Nachher bei Tisch kam er selbst auf den Kabinenwechsel zu sprechen, meinte, er sei es nicht gewohnt, in einem so engen Raume zu schlafen.

Den Rest der Überfahrt bis Algier blieb er mir gegenüber jetzt unverändert zuvorkommend und höflich. Wir waren viel zusammen, sprachen über mancherlei Dinge. Aber stets hatte ich das Gefühl, daß seine gelegentlichen Fragen nach meinen persönlichen Verhältnissen von einem bestimmten Mißtrauen hervorgerufen waren, das er mir entgegenbrachte.

Inzwischen hatte ich mir vom Kapitän sämtliche Zeitungen geben lassen, die an Bord nur aufzutreiben waren, und hatte sie daraufhin durchgesehen, ob nicht irgendwo in letzter Zeit ein Verbrechen begangen sei, mit dem ich Zuitenbrook-Rastra in Verbindung bringen könnte.

Ich fand nichts – nichts! Und mein Eifer als Gelegenheitsdetektiv war schon recht abgekühlt, als ich nach kurzem Abschied von dem geheimnisvollen Menschen algerischen Boden betrat – freilich mit der festen Absicht, Rastra heimlich auf den Fersen zu bleiben, der mir in der Stadt Algier ein billiges deutsches Gasthaus empfohlen hatte. Er selbst wollte in einem größeren französischen Hotel absteigen.

2. Kapitel Der Brunnen der Aussätzigen

Inhaltsverzeichnis

Die Stadt Algier liegt an einem ins Meer abfallenden Nordhang eines Gebirgszuges, bildet ein ziemlich gleichseitiges, vom Strande aufsteigendes Dreieck, als dessen Spitze die bereits recht hoch gelegene Kasba, die alte Festung der Deis von Algerien, jetzt als Kaserne benutzt, anzusehen ist.

Von blühenden Ortschaften, Villen und gutgepflegten Gärten umgeben, bietet sie vom Meer aus mit dem Hintergrunde der zum Teil grünen Berge ein sehr hübsches Bild dar, ebenso wie sie durch prachtvolle Bauten ganz den Eindruck einer europäischen größeren, wohlhabenden Stadt mit ihren etwa 100 000 Einwohnern macht.

Jedenfalls war ich von meinem romantischen Standpunkt aus stark enttäuscht über all das Moderne, das hier auf den ersten Blick wenigstens alle Merkmale eines altafrikanischen Küstenortes verdrängt zu haben schienen. Nachher fand ich dann doch noch genug Sehenswertes, das an jene Zeiten erinnerte, als hier noch die Türken geherrscht und unzählige Christen in Al Dschesair (der arabische Name Algiers) als Sklaven der Mohammedaner in trauriger Gefangenschaft geschmachtet hatten.

Der Gasthof, auf den Zuitenbrook-Rastra mich als billig und gut hingewiesen hatte, lag weit außerhalb in der nördlichen Vorstadt Bab el Ued. Der Besitzer hieß Spameitat und war ein geborener Ostpreuße, einer jener Deutschen, – jener leider so seltenen Deutschen, die in der Fremde nicht sofort sich bemühen, alles abzustreifen und zu verleugnen, was an ihre ursprüngliche Heimat gemahnt.

Als ich ihm von meinen Absichten sprach, von hier aus nach dem Tsad-See zu gehen, schüttelte er sehr bedenklich den Kopf, meinte, dies wäre denn doch ein zu abenteuerliches Unterfangen, besonders noch, wenn ich wirklich nur mit einem Führer reisen wollte. Ich blieb jedoch bei meinem Entschluß.

Wir waren mittags in Algier eingetroffen. Nachmittags suchte ich dann das Hotel auf, in dem der angebliche Holländer hatte absteigen wollen. Ich hatte mir schon einen Vorwand zurechtgelegt, der den wahren Zweck meines Besuchs verdecken sollte.

In dem Hotel erfuhr ich, daß – Zuitendrook es vorgezogen hatte, mich ein wenig anzulügen und mir so ein Wiedersehen mit ihm zu erschweren. Er wohnte nicht in dem Prachtbau.

Nun – vielleicht anderswo! Ich hatte ja Zeit, die Hotels und sonstige Fremdenheime abzuklappern. Bis gegen Abend wanderte ich ohne Erfolg von Haus zu Haus. Immer klarer wurde es mir da, daß der geriebene Mynheer Zuitenbrook sicherlich allen Grund gehabt hatte, mir fernerhin auszuweichen, und daß diese Abneigung gegen meine Person wahrscheinlich auf das Astloch in der Kabinenwand zurückzuführen sei.

Nach dieser Schlappe, die ich mir als Detektiv geholt, bummelte ich noch den Boulevard de la Republique entlang, den eigentlichen Glanzpunkt der Stadt, eine zwei Kilometer lange Terrasse, die auf einigen 350 Doppelbögen ruht, deren Hallen als Verkaufsläden benutzt werden.

Hier nun fiel mir sehr unangenehm die Aufdringlichkeit der Bettler auf, zumeist alte, weißbärtige Berber oder mit Krankheiten behaftete Mauren jeder Altersstufe. Die Bettler sind ja überall im Orient eine wahre Plage.

Besonders ein alter, buckliger Kerl in einem schmutzstarrenden Burnus und langem gelblichen Zottelbart hatte es auf mich abgesehen und tauchte immer wieder neben mir auf, indem er mir seine sicher seit Jahren nicht gewaschenem Hände bittend hinstreckte und dazu irgend ein paar Worte kläglich winselte.

Gerade als die elektrischen Lampen auf der Prunkstraße dann aufflammten, sank vor mir ein mit untergeschlagenen Beinen am Rande des Fußgängerweges hockender Händler ohnmächtig um. Niemand war in der Nähe. Ich richtete den jungen Menschen, dessen Augen geschlossen und mit Eiter verklebt waren, auf und lehnte ihn gegen einen Kandelaberständer, gab ihm aus meinem Kognakfläschchen, das ich mir vorhin gekauft hatte, zu trinken und brachte ihn schnell ins Bewußtsein zurück.

Er radebrechte das Englische so weit, daß wir uns verständigen konnten, war aber in seinen Äußerungen sehr zurückhaltend. Ein gewisser ablehnender Stolz trat in seinem Verhalten zu Tage, das für einen blinden Bettler – denn die Kleinigkeiten, die er feilbot, sollten ja nur den wahren Zweck seines Aufenthaltes auf der Straße verheimlichen – seltsam genug war.