Die Grafen vom Wilden Tal - Josef Fleiß - E-Book

Die Grafen vom Wilden Tal E-Book

Josef Fleiß

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Beschreibung

Der Besucher einer Kleinstadt fühlt sich von den Spuren ihrer Geschichte angezogen: Wer ist "der letzte Graf", dem vor noch gar nicht langer Zeit ein Denkmal gesetzt wurde? Und um wen handelt es sich bei der geheimnisvollen Frau mit den Wölfen, die die zentrale Figur des Dorfbrunnens bildet? Ein alter Mann im Rollstuhl lädt ein, tief in die über 250-jährige wechselvolle Geschichte des Tales und seiner Bewohner einzutauchen. Ereignisse mit weltpolitischer Bedeutung finden auch in dieser abgelegenen Region ihr Echo und erfordern von den Bewohnern Entschlossenheit und Zusammenhalt, um die Eigenarten ihres Tales und ihre Unabhängigkeit zu bewahren.

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Seitenzahl: 385

Veröffentlichungsjahr: 2024

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IMPRESSUM

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2024 novum publishing

ISBN Printausgabe: 978-3-99130-559-0

ISBN e-book: 978-3-99130-560-6

Lektorat: Falk-M. Elbers

Umschlagabbildungen: Eva Blanco, Vasyl Helevachuk, Ivan Mikhaylov | Dreamstime.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

Innenabbildungen: Josef Fleiß

www.novumverlag.com

KAPITEL I

Der Arzttermin

Mich plagte wieder einmal mein Kreuz, besser gesagt die Bandscheibe, ein schon längeres Leiden, einmal besser, einmal schlechter. Ich war auf einen Spezialisten für solche Leiden durch einen Bekannten aufmerksam gemacht worden, in einer Privatklinik, „Das Ärztezentrum Buchberg“, Termin für Montag, den 6. Mai 2008 um acht Uhr. Die allmöglichen Untersuchungen dauerten fast bis Mittag: Röntgen, MRI, Blutabnahme, Gespräche mit verschiedenem Fachpersonal. Mit dem Facharzt hatte ich noch nicht das Vergnügen. Kurzer Zwischenbericht, das Gespräch mit dem Facharzt würde am Dienstag erfolgen, also morgen um zehn Uhr. Der Doktor hatte am Nachmittag einen OP-Termin, war anscheinend nicht geplant, da blieb für mich keine Zeit mehr. Ich hatte eigentlich damit gerechnet, alles an einem Tag erledigen zu können. Also musste ich mich entscheiden, wieder die rund 80 Kilometer nach Hause fahren und morgen wieder hierher oder ich suchte mir ein Zimmer für diese eine Nacht, was ich schließlich auch machte. Die Dame in der Aufnahme des Ärztezentrums empfahl mir die Pension „Wagenbichler“, nicht weit vom Ärztezentrum, etwa zehn Gehminuten, am nördlichen Ende des Marktes. Bekam dort ein nettes Zimmer mit Balkon im zweiten Stock für 85 € incl. Frühstück, Abendessen wurde nicht angeboten, gab ja in der Nachbarschaft genug Möglichkeiten. Da es erst früher Nachmittag war und angenehm warmes Frühlingswetter, entschloss ich mich den Ort in der näheren Umgebung zu erkunden, Schulzentrum, Freizeitanlage auch das Feuerwehrhaus, war ja gleich über die Straße beim Ärztezentrum, war ja selber fast 40 Jahre bei der Feuerwehr. Ein beschauliches Bauwerk, dürfte noch nicht allzu alt sein, neun große Garagentore, zwei etwas kleinere, bis auf einen Platz war alles voll. Da konnte man schon etwas neidig werden: In unserer Gemeinde waren es ganze drei Stück, war ja auch eine etwas kleinere Gemeinde, auch sind die Fahrzeuge schon etwas in die Jahre gekommen, ach ja, eines war erst zwölf Jahre. Aus dem Innenhof hörte ich Stimmen, jugendliche Stimmen, wurde neugierig. Da schau her: Feuerwehrjugend bei der Ausbildung, eine beachtliche Anzahl an jungen Leuten, Buben, Mädchen, grob durchgezählt so um die 22, dazu drei etwas Ältere, welche ihnen das Feuerwesen und entsprechende Arbeit beizubringen versuchten. Einige würden sicher bei der Feuerwehr bleiben, manche sicher andere Wege gehen, war bei uns ja auch nicht anders, von zehn waren vier bei der Feuerwehr geblieben. Aber vielleicht war es hier anders, vielleicht interessanter, war ja auch eine größere Gemeinde, einige Schulmöglichkeiten, Pflichtschule, Gymnasium, auch eine HAK hatte ich gesehen, und außerdem sollte es noch eine private berufliche Fachschule geben, sollte etwas außerhalb liegen. Auch berufliche Möglichkeiten für eine Lehre im Ort sollten in ausreichendem Maße vorhanden sein, konnte ich erfahren.

Etwas seitlich vom Feuerwehrhaus waren auch Polizei, Rotes Kreuz und Bergrettung angesiedelt, und im Anschluss an den Hinterhof der Feuerwehr war noch der großzügige Wirtschaftshof der Marktgemeinde Buchberg. Im Allgemeinen ein beachtliches Bauwerk für die verschiedenen Blaulichtorganisationen und Kommunaldienste, allein wenn man das Feuerwehrhaus betrachtete: Garagen und Nebenanlagen im Erdgeschoss, Schulungsmöglichkeiten und Diensträume im Obergeschoss, darüber einige Wohnungen, wie es aussah, alles in einem archetektonisch guten Stil nach meiner Anschauung.

Mein nächstes Ziel war das Ortszentrum mit Kirche und Friedhof. Der Weg dorthin führte mich über eine großzügig angelegte Straße, aber keine Autos, war eine Fußgängerzone, viel grün, gepflegte Grünflächen, Rotbuchen, Kastanienbäume, alles in allem eine sehr aufwendige Anlage, führte direkt zum Marktplatz, ein großer Platz, sicher an die 100 x 100 Meter, also rund ein Hektar, in der Mitte ein Steinbrunnen aus Granit oder es war Feldspat. Diesen Brunnen musste ich mir genauer anschauen, ein gewaltiges Stück auf einem großen Platz. Genauer betrachtet ein ca. 4 x 3 Meter oval geformter Steinblock, darauf Kirchenseitig zwei Hundeköpfe – oder waren es Wolfsköpfe, auch möglich –, dahinter ein Mensch, dürfte eine Frau sein, mit langem Mantel und Hut. Aus den Mäulern der Hundeköpfe floss Wasser in zwei Hände, welche schüsselförmig gefaltet waren. Die oval geformte Schüssel hatte sicher eine Größe von 1,5 x 2,5 Metern. Das Monument dahinter, also die Frau und die Hundeköpfe, hatten eine Höhe von rund drei Metern. Eine gewaltige Steinmetzarbeit, unter den Hundeköpfen ein Schild aus Messing, darauf stand: „Die Wolfsfrau – von 1701 bis 1767, Buchberg im Jahre 1995“. Also doch Wölfe. Der Platz war auch mit schweren Steinplatten ausgelegt, eine etwas hellere Farbtönung als der Brunnen, Material dürfte das gleiche sein, Granit oder Feldspat, konnte es nicht genau sagen, sehen ja fast gleich aus, nur war der Feldspat etwas weicher. Die Platten hatten verschiedene Größen, nicht schlecht gewählt, lockerte den großen Platz etwas auf. Am Rand des Platzes waren Holzbänke aufgestellt, ebenfalls auf Steinsockel. Der Zugang zur Kirche, am nördlichen Platzende, erfolgte über fünf großzügige Stufen aus dem gleichen Material wie beim Platz. Im seitlichen beidseitigen Ende der etwa zehn bis zwölf Meter breiten Stufenanlage waren Gedenksteine für die gefallenen und vermissten Gemeindebürger beider Weltkriege aufgestellt. Auf beiden Gedenksteinen war eine beachtliche Anzahl von Namen angeführt, also dürfte es sich doch um eine größere Gemeinde handeln. Für mich war dieser Ort bis jetzt eher nebensächlich bis unbekannt, nur den Namen hatte ich bereits öfters wahrgenommen. Oder gab es sonst wo noch einen Ort mit diesem Namen? Konnte auch sein. Etwas abseits vom rechten Gedenkstein, Zweiter Weltkrieg, war noch ein kleinerer Granitblock mit zahlreichen Namen und darüber der Schriftzug „Die gefallenen und vermissten SSler von 1939 bis 1945“. Warum diese Namen nicht gemeinsam auf dem großen Gedenkstein standen, war mir zu diesem Zeitpunkt noch Rätselhaft, aber es würde schon seinen Grund haben, sollte mich auch nichts angehen. Bei den Namen fiel mir auf, dass sowohl im Ersten Weltkrieg wie auch im Zweiten sehr viele mit dem Namen Holanders gefallen und vermisst waren, bei der Gedenkstätte für die SSler sogar mehr als die Hälfte von 16.

Der Friedhof mit seinen Grabsteinen, vorwiegend aus Granit, aber auch einige Eisenkreuze, zeigte sich in einem sehr gepflegten Zustand. Die Kirche, welche einem Dom ähnlich sah, hatte zwei Türme mit unterschiedlicher Höhe, auch ungewöhnlich. Das Mauerwerk bestand aus Konglomerat-Steinen, eine Steinart, welche in diesem Landesteil eher selten war. Links neben der Kirche, auf Höhe des Einganges, sah wie ein kleiner Dorfplatz aus, gab es ein weiteres Denkmal in beschaulicher Größe, ein Monument in Form eines Kopfes, darunter stand „DER LETZTE GRAF – Alexander Wedego Holanders, von 1919 bis 2005“. Dieses Grafengeschlecht hat wesentlich zum Aufbau und Wohlstand unserer Gemeinde beigetragen. Und schon wieder der Name „Holanders“. Vielleicht könnte ich etwas Genaueres über diesen Namen erfahren, hatte ja noch genügend Zeit, eventuell beim Abendessen. Auf dem weiteren Weg zum hinteren Teil des Friedhofes bemerkte ich unter einer großen Buche eine Person im Rollstuhl, sah so aus, als würde er schlafen, aber nein, er gab mir ein Zeichen mit der Hand: Komm zu mir. Ich dachte, vielleicht braucht er Hilfe. Als ich näher kam, merkte ich, dass er nur ein Bein hatte, einen wunderschönen Vollbart und so um die 60 bis 70 Jahre alt sein dürfte, schwer zu sagen. „Hallo“, sagte ich, „brauchst du Hilfe?“ „Nein, nein, alles in Ordnung. Ich habe dich schon eine längere Zeit beobachtet, wie du bei den Gedenkstätten warst, ab und zu mit dem Kopf geschüttelt hast. Vielleicht kann ich dir helfen – oder auch nicht. Du bist nicht von hier, hab dich hier noch nie gesehen. Hast dich lange bei den Denkmälern aufgehalten. Die Leute, welche von hier sind, bleiben nicht lange auf dem Friedhof, besuchen ein Grab, vielleicht auch ein zweites und verschwinden wieder. Du hast das aber nicht getan. Suchst du etwas Bestimmtes, einen bestimmten Namen? Vielleicht kann ich dir helfen – oder auch nicht. Man kann ja nie sagen, was in einem Menschen vorgeht.“ „Ja“, sagte ich, „ich bin nicht von hier, war drüben im Ärztezentrum zur Untersuchung, muss auf morgen warten, der Facharzt hatte heute nicht mehr Zeit für mich.“ Ich hatte selten einen Menschen getroffen, der so eine klare, deutliche Sprache gesprochen hat wie dieser Mann im Rollstuhl. „Ja“, sagte ich, „wenn es dir nichts ausmacht, ich hätte schon ein paar Fragen, bin ein neugieriger Mensch.“ Dabei fiel mir ein, als ich bei der Gedenkstätte des letzten Grafen war, hatte ich des Öfteren einen Blick in die Umgebung geworfen, diesen Mann unter der Buche hatte ich aber nicht gesehen. Vielleicht war er ja auch weiter hinten im Schatten, war nur so ein Gedanke. „Der letzte Graf. Wer war dieser Mensch? Dann dieser Name, ‚Holanders‘. Kein üblicher Name in unserer Gegend, muss aber eine große Familie sein, habe eine ganze Menge dieser Namen auf Grabsteinen gelesen, auch bei den Gedenkstätten. Aber ich will dich nicht zu lange aufhalten, musst nur sagen, wenn es genug ist.“ „Ach, ich habe Zeit. Ja, wer war der letzte Graf. Er und mein Vater sind am gleichen Tag geboren, meiner am Vormittag des 11. November 1919 und er am Nachmittag, genau ein Jahr nach dem Ende des Krieges. Er ist aufgewachsen im Schloss Buchenwald, einem wunderschönen Besitz. Mein Vater, der ledige Sohn einer Sennerin, kam nach der Taufe zu einer Familie in der Nähe vom Buchenwaldschloss, dem Buchenwaldgut. Alexander, also der letzte Graf, wuchs wohlbehütet im Schloss auf, mein Vater, wie so viele zu dieser Zeit, eher in erbärmlichen Verhältnissen, obwohl es ihm auf dem Buchenwaldgut auch nicht schlecht ging. Die beiden waren bereits als Kinder recht gute Freunde, obwohl sie in verschiedenen Wohlstandsklassen aufwuchsen. Das Buchenwaldgut ist ja nur etwa 500 Meter vom Schloss entfernt. Alexander, der letzte Graf, wurde mit 16 Jahren in eine Schule nach Salzburg gesteckt, mein Vater schon während der Volksschule im Sommer auf die Buchenwaldalm als Hirtabua und nachher als Senner, im Herbst, Winter und Frühjahr dann Holzknecht. Alexander nach erfolgreicher Schule wurde Berufsoffizier, musste 1940 an die Westfront, mein Vater wurde 1941 eingezogen beziehungsweise hat sich freiwillig gemeldet. Mein Vater sowie Alexander wurden mehrmals verwundet, mein Vater kam im Sommer 1944 das letzte Mal nach Hause, ich wurde am 6. Mai 1945 geboren, also heute vor genau 63 Jahren. Meinen Vater habe ich nie gesehen, er ist ab dem 29. April 1945 als vermisst gemeldet worden. Alexander kam in russische Gefangenschaft, kam erst 1949 nach Hause, sowohl Alexander als auch mein Vater waren bei der SS, auch drei Brüder von Alexander, sie kamen auch nicht mehr nach Hause, der ältere war vermisst, die beiden jüngeren sind in Russland gefallen. Aber nun zur Geschichte, warum der letzte Graf. Alexander war auch kein richtiger Graf, man nannte ihn aber Graf. Aber hast du überhaupt Zeit und Interesse? Es ist eine lange Geschichte. Wenn ja, dann begleite mich, dafür müssen wir die Zeit um etwa 250 Jahre zurückdrehen. Komm, setz dich hier auf die Bank, in die Sonne.“

KAPITEL II

Die Ankunft

Sonntag, 19. November 1758, später Nachmittag. Mühsam plagten sich die vier Pferde mit der Kutsche den verschneiten Weg entlang zur Passhöhe, fast ein halber Meter Schnee, dazu eisiger Wind. Nicht üblich für den November, möchte man meinen, aber zu dieser Zeit konnte das auch schon im Oktober passieren, genauso konnte es sein, dass es im Dezember oder Jänner keinen Schnee gab. Man konnte nicht sagen, ob der Kutscher ein Schneemann war oder ein menschliches Wesen. Der Frau und dem kleinen Knaben in der Kutsche ging es auch nicht viel besser, waren genauso durchfroren. Der Kutschenbegleiter und die drei männlichen Passagiere mussten vor den Pferden den Weg markieren, soweit es überhaupt möglich war. Ein Abkommen von der Weganlage hätte schwerwiegende Folgen, die linke Böschung lag rund 50 Meter über einem Graben. Die Pferde waren beinahe am Ende, genauso die vier Männer vor der Kutsche, dafür froren sie weniger. Der Frau in der Kutsche ging es gesundheitlich sehr schlecht, außerdem war sie hochschwanger. Nach gut einer Stunde wurde der Weg flacher, dafür stieg aber die Schneehöhe, weit über 50 Zentimeter. Die Raststation und das Gasthaus kamen in Sicht, die Stallmannschaft staunte nicht schlecht, als der weiße Haufen beim Hoftor ankam. Da es sich um eine private Fahrt handelte, wurde die Kutsche auch gar nicht erwartet. Die normale öffentliche Postkutsche kam nur insgesamt vier Mal in der Woche hier vorbei, am Montagvormittag in Richtung Süden, Dienstagnachmittag in Richtung Norden nach Buchberg. Das Gleiche nochmal donnerstags und freitags. Bei Schneefall im Winter fuhr sie nur nach Bedarf. Frachtfuhrwerke konnten jedoch jederzeit unterwegs sein, aber heute war ja Sonntag. „Was macht ihr bei diesem Sauwetter hier? Könnt froh sein, dass noch keine Lawine den Weg verschüttet hat. Bleibt ihr hier oder wollt ihr noch weiter ins Dorf?“ „Können wir heute Nacht hier bleiben?“, fragte der große schlanke Mann. „Meiner Frau geht es sehr schlecht und braucht dringend Wärme, die Pferde sind auch am Ende.“ „Würde euch auch nicht weiterschicken bei diesem Sauwetter. Stellt die Kutsche in den Innenhof, die Pferde in den Stall und die Leute ab in das Haus. Wir kümmern uns um die Pferde.“ In der Zwischenzeit waren auch die Wirtsleute auf die Ankömmlinge aufmerksam geworden und holten die durchfrorenen Leute in die Gaststube. Der Kutscher und sein Begleiter blieben beim Stallpersonal und halfen dort noch mit bei der Versorgung der Pferde. „Wir kommen später nach.“ Sagt der Kutscher zum großen schlanken Mann. In der großen Gaststube war es angenehm warm, der große Eisenofen in der Mitte spendete ausreichend Wärme. „Kommt, setzt euch zum Ofen. Habt ihr trockene Kleidung mit? Was ist mit der jungen Dame? Die sieht nicht gut aus. Ist sie krank? Bringt sie in die Nebenkammer, dort sind auch ein Ofen und ein Bett. Ich kümmere mich schon um sie. Der Kleine soll auch mitkommen, schläft ja fast im Stehen ein. Was ist euch auch eingefallen, bei diesem Sauwetter hier heraufzufahren? Wo wollt ihr denn überhaupt hin, wer seid ihr?“ Die Wirtin schien recht besorgt um die Ankömmlinge zu sein und bemühte sich um das Wohl der Herrschaften. „Macht heißen Tee“, rief sie in die Küche. „Hol den Koffer mit trockener Bekleidung aus der Kutsche“, sagte der große Mann zu einem seiner zwei Begleiter. „Wir müssen uns umziehen, sonst sind wir morgen alle krank. Auch den Koffer meiner Frau. Gibt es in der Nähe einen Doktor?“, fragte er den Wirt. „Oder so was Ähnliches. Ich glaube, meiner Frau geht es immer schlechter und hat Fieber. Ist in den letzten fünf Tagen immer schlimmer geworden. Ich habe gehofft, wir schaffen es heute bis zu ihrem Onkel, dem Grafen.“ „Was, der Graf ist der Onkel der jungen Dame? Hast du gehört Frau? Die junge Dame ist die Nichte von unserem Grafen, also bemüh dich. Wo bleibt der heiße Tee? Und gebt ausreichend Rum dazu. Oder haben wir noch Schnaps? Für die junge Dame aber nur Tee. Den nächsten Doktor, wenn man ihn so nennen kann, gibt es im Ort. Aber heute geht es sowieso nicht mehr, ist ja schon dunkel und bei diesem Wetter, nein, da müssen wir schon auf morgen warten. Außerdem beim Grafen gibt es einen richtigen Doktor, aber das ist noch weiter. Aber Frau, was ist mit der Wolfsfrau? Ist ja heute schon den ganzen Tag ums Haus geschlichen. Wo steckt sie? Wird wohl nicht den langen Weg nach Hause gegangen sein. Johann, schau nach im Stall, vielleicht hat sie sich dort einen Platz zum Schlafen gefunden, aber pass auf, sie hat den großen schwarzen Wolf mit.“ Johann, der Hausbursche, wollte gerade zur Tür gehen, als diese von außen aufgestoßen wurde und eine mittelgroße Frau mit altem Hut und schwarzem Pelzmantel davor stand, neben der Frau ein großer Wolfshund – oder war es ein richtiger Wolf? Ein Windstoß fuhr durch die geöffnete Tür, das notdürftige Kerzenlicht auf dem großen Tisch flackerte und wäre beinahe erloschen. Es war auffallend still geworden, nur das Holz im Eisenofen hörte man knistern. Der Wirt konnte sich als Erster wieder fassen und forderte die schwarz gekleidete Frau auf: „Komm herein und mach die Tür zu, den Wolf, ah, Hund lass aber besser draußen.“ „Entweder wir kommen beide rein oder ich kann ja auch wieder gehen. Ich habe wahrgenommen, dass jemand Hilfe braucht. Also was ist?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, ging sie durch die Tür, eine kurze, unscheinbare Handbewegung und der große Hund blieb außerhalb neben der Tür stehen. Die schwarze Frau ging, ohne die Tür zu schließen, in den Nebenraum, wo die Wirtin mit der jungen Dame und dem Buben verschwunden war. „Geh raus und kümmere dich um die Gäste. Für die Frau hier bringst du heiße Hühnersuppe. Bring mir auch noch etwas Schnaps, aber einen hochprozentigen, nein, nein, nicht für mich, ich brauch ihn für den Buben, der ist ja halb durchgefroren. Auf die Idee, ihm die nassen Kleider auszuziehen, bist du nicht gekommen. Kannst froh sein, wenn er keine Lungenentzündung bekommt und stirbt. Der Graf würde dir das wahrscheinlich sehr übel nehmen. Und warum hat die Frau noch ihre nassen Sachen an? Bring auch trockene Sachen für sie und mach die Tür zu.“ Die schwarze Frau blieb mit der jungen Dame und dem Buben im Zimmer. In der Gaststube hatte man sich mittlerweile wieder vom Schrecken erholt, der Mann war inzwischen mit den zwei Koffern auch zurückgekommen. „Vor der Tür war ein großer Wolf, ist aber hinter das Haus verschwunden. Mir ist fast das Herz stehen geblieben“ war die Meldung des Mannes. Auch der Kutscher und sein Begleiter waren zwischenzeitlich in das Haus gekommen und wärmten sich beim Ofen.

„Was ist mit dieser Frau?“, fragte der große, schlanke Mann den Wirt. „Ach, ich habe mich noch nicht vorgestellt. Mein Name ist Christoph Holanders. Das sind meine Begleiter, der Kutscher Stefan, die anderen Herren sind Peter, Simon und Bruno. Meine Frau heißt Katharina und unser fünf Jahre alter Sohn, das ist Alexander. Wir kommen aus Schlesien, ich komme ursprünglich aus Norwegen. Wir sind jetzt ca. sechs Wochen unterwegs. Ja wer ist eigentlich diese Frau? Ist sie so etwas wie ein Doktor? Sieht recht verwahrlost aus und der große Hund, erzähl mal, sie ist jetzt alleine bei meiner Frau und dem Buben.“ „Keine Angst“, sagte der Wirt. „Wir nennen sie die Wolfsfrau oder Wolfsweib, manche nennen sie auch ‚die Wolfsberg Hex‘.“ Die letzten drei Worte hat er hinter vorgehaltener Hand gesprochen. „Sie ist so eine Art Wunderheiler, Wahrsager. Im Sommer hat sie ja schon gesagt, dass zur heiligen Elisabeth viel Schnee kommen wird und nachher viel Wasser, und heute ist der Elisabeth-Tag. Ja, und der Hund, das ist ein richtiger Wolf, der begleitet diese Frau überall hin, ich habe sie noch nie ohne den Wolf gesehen. Sie haust oben am Wöferlehengut in einer bescheidenen Hütte mit ihrer Mutter. Aber lebt die überhaupt noch? Habe die schon eine Ewigkeit nicht mehr gesehen. Wenn man in Not ist oder man ist krank, brauchst du sie nicht zu suchen, sie findet dich. Hast ja gesehen, wie plötzlich sie aufgetaucht ist. Dieser schwarze Wolf ist nicht der einzige, da oben auf dem Berg lebt ein ganzes Rudel, so um die 15 bis 20 Stück. Jeder macht einen großen Bogen um das Wöferlehengut. Von was sie lebt, ja, das weiß niemand so recht. Es wird ja gemurmelt, dass unser Pfarrer sie um Ratschläge fragt, aber das ist nur ein Gerücht. Aber vielen Bewohnern unseres Tales hat diese Frau schon geholfen, sogar der Doktor vom Grafen hat sie schon um Rat gebeten, behauptet jedenfalls der Stallbursche vom Schloss Buchenwald. Der Doktor würde so etwas nie zugeben.“

Die Wirtin kam soeben wieder aus dem Nebenzimmer und verschwand in der Küche. Kurze Zeit später kehrte sie mit einer großen Schüssel heißes Wasser ins Nebenzimmer zurück. Drinnen herrschte gespannte Ruhe. Auch in der Gaststube war es ruhig geworden. Der Kutscher sowie die drei Begleiter waren nach dem Essen am Tisch eingeschlafen, kein Wunder nach der anstrengenden Fahrt hierher. Auch der Wirt hing in seinem Sessel und schnarchte. Der große schlanke Mann mit Namen Holanders ging in der Gaststube hin und her, nach außen schien er recht ruhig zu sein, aber im Inneren rumorte es, bis auch ihn die Müdigkeit auf einer Bank zur Ruhe zwang. Der Hausbursch Johann sorgte die ganze Nacht, dass im Ofen das Feuer nicht ausging und den Herrschaften nicht kalt wurde, wenn auch die Schlafplätze nicht sehr angenehm waren. Niemand merkte, dass gegen Mitternacht die schwarze Frau die Gaststube verließ und draußen in Dunkelheit und Schneesturm verschwand. Auch die Wirtin im Nebenraum schlief im Sessel.

Ein kurzer Blitz und heftiger Donner ließen in den frühen Morgenstunden die Schlafenden aufschrecken. Ein Gewitter um diese Zeit, etwas Ungewöhnliches – oder auch nicht, bei solchen Wetterkapriolen war auch ein Gewitter um diese Zeit nichts Außergewöhnliches. Der Wirt war vor lauter Schreck vom Sessel gefallen. „Was ist los?“, rief er verstört. „Ist was passiert? Oh, war das jetzt ein Donnerwetter. Wie spät ist es? Wo ist Johann? Macht Licht, ach, mir tun alle Knochen weh. Warum bin ich eigentlich nicht ins Bett gegangen? Ach ja, die Aufregung gestern Abend.“ „Was jammerst du?“, rief seine Frau. „Sitzt ja sonst auch ganze Nächte am Tisch und spielst Karten mit deinen Freunden. Hat jemand die Wolfsfrau gesehen? Habe nicht gehört, wann sie weggegangen ist. Ich schau mal, dass es ein Frühstück gibt. Lasst mal frische Luft rein, bevor wir in diesem Muff ersticken. Aber nicht zu lange, sonst haben wir den Schnee auch in der Gaststube. Oder schneit es eh nicht mehr? Wird ja schon ein bisschen hell. Wie geht es der jungen Frau? Ach so, ihr Mann ist gerade zu ihr gegangen. Lasst die beiden allein.“

Es hatte tatsächlich aufgehört zu schneien, dafür regnete es in Strömen und der Wind ging nach wie vor. Also hatte die Wolfsfrau wieder einmal recht mit ihrer Vorhersage. Die Männer verschwanden nacheinander in verschiedenen Richtungen und es wurde wieder still in der Gaststube. Nur aus der Küche hörte man Stimmen und das Geklapper von Geschirr. So merkte es auch niemand, als die schwarz gekleidete Frau hereinkam und in den Nebenraum ging. Sie ging so leise, dass es auch der Mann von Katharina erst bemerkte, als sie vor ihm stand. Er sah zu ihr auf und sagte: „Danke.“ „Du brauchst mir nicht zu danken, hör mir erst einmal gut zu. Du hast gestern schon gut geschlafen, wollte dich nicht aufwecken. Deine Frau hat gestern noch ein Kind geboren, einen Buben, es war aber bereits tot. Die Wirtin hat nichts mitbekommen, ich war mit deiner Frau also alleine. Aber jetzt zu deiner Frau, ihr hättet diese Reise zu diesem Zeitpunkt nicht mehr machen dürfen, zumindest in diese Gegend. Südliche Wärme hätte ihr gut getan, aber jetzt ist es zu spät, da helfen auch gute Ratschläge nicht mehr. Soweit ich es beurteilen kann, wird es auch deine Frau nicht überstehen, sie hat zu viel Blut verloren. Ich weiß, es klingt hart, aber ich hätte dich auch anlügen können. Du hast ja gestern gehört, sie nennen mich auch die Wolfsberg Hex, ja, ich höre gut, auch wenn es noch so leise gesprochen wird.“ „Wie lange wird sie noch leben?“, fragte Christoph leise. Sie drückte ihren Zeigefinger auf ihren Mund. „Sie wird wach.“ „Guten Morgen, Katharina“, sagte Christoph. „Ja, ich weiß schon Bescheid, aber bitte bleib du bei mir und Alexander.“ Und wieder drückte die schwarze Frau ihren Zeigefinger auf den Mund. Es kam jemand, kurz darauf wurde die Zimmertür geöffnet, die Wirtin kam mit heißem Tee und einer Mehlspeise ins Zimmer und wäre beinahe erschrocken, als sie die schwarze Frau sah. „Du bist ja wieder hier. Habe dich nicht gehört, als du heute Nacht weggegangen bist.“ „Ja, ihr habt alle geschlafen, auch Katharina, da bin ich eben gegangen, hätte ja sowieso nichts machen können. Ist der Tee für Katharina? Ja, der wird ihr guttun. Ich könnte auch ein Haferl vertragen, habe die ganze Nacht nicht geschlafen. Ich war noch in der Burg, habe mit dem Burghauptmann gesprochen wegen der Nichte des Grafen, hat in der Nacht noch einen Reiter losgeschickt zum Schloss, wird wohl in der Früh dort angekommen sein. Werden sehen, was der Herr Graf dazu sagt. Auf jeden Fall wird er seinen Arzt losschicken, wird aber bis zum Nachmittag dauern, bis er hier ist, vorausgesetzt er ist nicht wieder besoffen.“ „Hast du gehört, Katharina?“, sagte ihr Mann. „Der Arzt von deinem Onkel ist auf dem Weg hierher.“ „Ja“, sagte sie leise. „Wird wahrscheinlich alles wieder gut. Ich fühle mich auch schon etwas besser. Das Bett und die Wärme heute Nacht hat mir gutgetan.“ Dabei drehte sie den Kopf zur Wand, so dass niemand ihre Tränen sehen konnte. Die schwarze Frau wischte ihr mit der Hand über die Stirn und Augen. „Ja, das Fieber ist etwas weniger geworden, aber du bist noch nicht über den Berg. Bis der Doktor da ist, sollst du aber noch viel schlafen. Aber trink erst einmal deinen Tee und versuch etwas zu essen, wird schon wieder.“ In der Zwischenzeit war auch Alexander aufgewacht. „Mama“, rief er, „wo sind wir? Hallo Papa, ich habe geträumt, dass uns Wölfe überfallen haben. Sie haben meinen kleinen Bruder mitgenommen.“ „Nein, nein, mein Sohn“, sagte Christoph. „Es ist alles in Ordnung, das war nur ein böser Traum. Deiner Mama und deinem kleinen Bruder ist nichts passiert. Wie geht es dir? Du schaust ja heute schon recht frisch aus. Hast du Hunger? Da, iss etwas, dann sollst du aber wieder schlafen.“ „Ja“, sagte auch die schwarze Frau, „wir sollten die beiden wieder in Ruhe lassen. Nachmittag kommt ja der Doktor vom Schloss.“ Christoph drückte seiner Frau die Hände und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Bis später, du musst wieder schlafen.“ Auch seinem Sohn gab er einen Kuss auf die Stirn und ging aus dem Zimmer. Die schwarze Frau verließ ebenfalls den Raum und die Gaststube. Christoph schaute der unscheinbaren Frau hinterher und machte sich so seine Gedanken. Gestern bei Dunkelheit war ihm vorgekommen, dass sie einen sehr ungepflegten Eindruck gemacht hatte, heute sah sie ganz anders aus. Es musste schon eine sonderbare Frau sein. Auch hatte er die Tränen in ihren Augen gesehen, als sie mit der Hand über Katharinas Stirn und Augen wischte.

Die Warterei, bis der Arzt kommen sollte, erhöhte die Spannung bei allen im Gasthof zur Burg, wie das Anwesen genannt wurde, auch das Schild über dem Eingang trug diesen Namen. „Wo ist die Burg?“, fragte Christoph den Wirt. „Die Burg, ja, wir können sie von hier aus nicht sehen, es ist der einzige Zugang zum Tal, zum Buchbergtal, es wird auch das Wilde Tal genannt. Die Burg steht genau über der Straße. Wenn es die Burgwache nicht will, kommst du in das Tal nicht hinein, außer zu Fuß über die Berge, aber da musst du dich gut auskennen und Glück haben, dass dich die schwarzen Wölfe nicht abfangen. Ach ja, die schwarzen Wölfe sind keine Tiere, sondern eine Art Polizeitruppe des Grafen, sie sind in der Burg stationiert, aber man weiß nie, wo sie sich gerade aufhalten. Insgesamt besteht die Truppe aus ca. 75 Mann, 30 davon als Reitertrupp, der Rest ist zu Fuß unterwegs. Geführt wird der Haufen vom Burghauptmann mit voller Loyalität zum Grafen. Ein kleiner Teil der Truppe ist auch im Dorf Buchberg stationiert. Du wirst sie schon noch kennen lernen, oder bleibst eh nicht da.“

Kurz vor Mittag kamen drei Männer mit einer einheitlichen Bekleidung in das Gastzimmer. „Grüß Gott, Herr Hauptmann“, begrüßte sie der Wirt. „Was verschafft mir die Ehre, die Herrschaften hier bei mir begrüßen zu dürfen?“ Die drei Männer in Lederbekleidung nickten dem Wirt zu. „Grüß Gott, die Herrschaften, mein Name ist Arthur Hendrik, habt ja gehört, ich bin der Burghauptmann“, sagte der große Mann in der Mitte mit Vollbart. „Habe schon gehört, dass Fremde angekommen sind. Wer seid ihr, wo kommt ihr her? Die kranke Frau soll die Nichte des Herrn Grafen sein. Hat mir nichts gesagt, dass er Besuch von seiner Nichte bekommt. Oder er hat es selber nicht gewusst.“ „Hallo, ich bin Christoph, der Mann von der Nichte des Grafen, Katharina heißt sie. Dass wir kommen, müsste er eigentlich gewusst haben, aber nicht wann wir kommen. Ich weiß nicht, wie genau ihm das seine Schwester geschrieben hat und ob er den Brief überhaupt erhalten hat. Wenn ich mir die Verhältnisse hier so anschaue, ist das auch möglich.“ „Möglich schon, aber die Verhältnisse hier im Gebirge sind auch nicht schlechter als anderswo, wo auch immer ihr herkommt“, erwiderte der Burghauptmann. „Und schlechtes Wetter kann es überall geben. Hier im Gebirge kann es halt extremer sein. Wir haben schnell gelernt, damit umzugehen, zu leben, kommen gut damit zurecht. Aber jetzt zur Sache: Der Arzt vom Schloss wird heute nicht kommen, auch morgen nicht. Der Schneefall von gestern und jetzt der Regen hat die Schlucht nach der Burg in Richtung Dorf in einen See verwandelt, vermutlich hat ein Erdrutsch den Ausgang verlegt und sonst gibt es keine Möglichkeit hierher zu kommen. Der Weg über den Berg ist zurzeit auch nicht möglich, da oben liegen eineinhalb Meter Schnee und es schneit noch immer. Also können wir hier nur warten. Zurück Richtung Süden ist auch nicht mehr möglich: Die Wolfsberger Lawine hat die Straße Meterhoch verschüttet, bis die wieder frei ist, kann es Wochen dauern. Wenn es aufgehört hat zu regnen, werden wir versuchen die Straße zum Dorf wieder freizubekommen. Wann das ist, kann ich jetzt auch nicht sagen. Schaut dafür, dass die kranke Frau so gut wie möglich versorgt wird, ihr habt ja sowieso den besten Doktor hier, auch wenn so mancher es nicht wahrhaben will.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, verließ der Burghauptmann mit seinen zwei Begleitern die Gaststube. Es war still geworden im Raum. „Na, jetzt wissen wir Bescheid“, meldete sich die Wirtin als Erste. „Gut, dass wir wenigstens genug Vorräte hier haben. Aber habt ihr auch genug Geld mit, dass alles bezahlt werden kann?“ „Aber Frau, hast du sonst keine Sorgen? Immer deine Gier. Du hast doch gehört, die Frau ist die Nichte des Herrn Grafen, und der wird schon dafür sorgen, dass du zu deinem verfluchten Geld kommst.“ „Macht euch keine Sorgen, ich habe Geld, Hauptsache die Versorgung passt. Das Wichtigste ist aber Katharina, sie soll alles bekommen, was nötig ist“, antwortete Christoph und ging in das Nebenzimmer zu Katharina. Der Wirtin schien es jetzt doch etwas unangenehm zu sein mit der Sache ums Geld und sie hatte die Gaststube fluchtartig in Richtung Küche verlassen. Man hörte sie von dort mit jemandem ungehalten schreien. Da es ja anscheinend doch etwas länger dauern würde, wurden für die Leute Zimmer hergerichtet.

Die Zeit verging nur langsam. Der Kutscher und die drei Begleiter von Christoph spielten Karten. Christoph hielt sich die meiste Zeit in der Nebenkammer bei seiner Frau und dem Sohn auf, kam nur zum Essen in die Gaststube. Es wurde nur wenig gesprochen, und wenn, dann etwas in rauem Ton. Jeder war angespannt. Die Wirtin kam auch nur selten aus der Küche, das Essen brachte meist die Schwester der Wirtin oder Johann. Gegen Abend ließ der Regen etwas nach, aber nur für kurze Zeit, um dann wieder aufs Neue umso heftiger anzufangen. Die Wolfsfrau hatte man seit der Frühe auch nicht mehr gesehen, sie ist so plötzlich, wie sie aufgetaucht war, wieder verschwunden. Katharina ging es nicht besser, aber auch nicht schlechter, sie lag stumm im Bett und machte nur selten die Augen auf. Dafür ging es dem Buben wieder besser. Auf jeden Fall hatte er wieder Hunger und schlief nachher ruhig. Die Nacht verlief ruhiger als die vorherige. In der Frühe des nächsten Morgens tauchte wieder die schwarze Frau auf, sah recht müde und durchnässt aus. Ohne ein Wort zu sagen, ging sie in die Nebenkammer. Diesmal hatte sie eine große Ledertasche um die Schulter gehängt. Kurze Zeit später öffnete sie wieder die Tür und ging in die Küche, zurück kam sie mit einer kleinen Schüssel mit warmem Wasser. Sie gab Christoph ein Zeichen, ihr zu folgen. „Mach die Tür zu. Muss ja niemand hören, was ich dir jetzt sage, und der Bub scheint ja gut zu schlafen. Bin gestern Morgen doch noch rauf zu meiner Hütte, habe manchmal schon fast aufgegeben, da oben liegen fast zwei Meter Schnee und bis zum Abend hat es immer noch geschneit. Ohne Hasso hätte ich den Weg sowieso nicht gefunden. In der Nacht hat es auch da oben angefangen zu regnen, da war ich aber schon wieder auf dem Rückweg. Ich habe mit meiner Mutter einen Kräuterbrei gebraut. Ich kann noch nicht sagen, ob er auch hilft, habe es erst einmal bei einem Pferd des Grafen ausprobiert, da hat es auf jeden Fall geholfen. Aber der Mensch ist ja auch kein Pferd. Du musst mir jetzt nur sagen, ob ich es deiner Frau einflößen soll oder nicht. Ich sehe sonst keine Möglichkeit mehr, ihr zu helfen. Sie wird den Tag so wahrscheinlich nicht überstehen, sie hat durch innere Blutungen sehr viel Blut verloren, ihr Körper ist eiskalt und Wunder kann ich auch keine vollbringen.“ „Ja, gib ihr den Brei ein. Wenn es nicht hilft, werde ich dir auch keine Schuld geben. Ich stehe zu meinem Wort.“ „Gut, dann wecke sie auf. Sie muss sich aufrecht ins Bett setzen. Musst sie halt festhalten, das Zeug schmeckt ja nicht besonders gut.“ Einige Zeit später verließ sie das Gasthaus wieder Richtung Burg, dort hatte sich angeblich einer der Männer einen offenen Beinbruch zugezogen. Christoph verließ die Kammer bis über Mittag nicht, Katharina war seit dem Morgen nicht mehr aufgewacht. Ob der Kräuterbrei half, konnte auch noch nicht gesagt werden. Der Regen hatte im Laufe des Vormittages weitgehend aufgehört und am Nachmittag war sogar die Sonne kurz herausgekommen. Christoph aß eine Kleinigkeit und machte sich mit Johann, dem Hausburschen, auf den Weg zur Burg. „Du musst mir nur den Weg zeigen, wie ich dorthin komme, sonst verlaufe ich mich ja.“ Kurz vor dem großen Burgtor, welches halb offen stand, kehrte Johan wieder um. „Ab da kannst dich nicht mehr verlaufen, ich weiß ja nicht, wo du hinwillst.“ „Danke, da finde ich mich schon zurecht.“ Als Christoph durch das Tor wollte, stellten sich zwei bärtige Männer in Lederbekleidung in den Weg. „Halt! Was willst du hier? Zu wem willst du?“ „Ich suche den Burghauptmann, hätte mit ihm was zu besprechen. Wo finde ich ihn?“ „So, und wer bist du? Ich habe dich hier noch nie gesehen.“ „Mein Name ist Christoph Holanders. Ich bin am Sonntag mit der Kutsche hier angekommen. Der Hauptmann kennt mich schon, wir haben uns gestern unten im Gasthof schon getroffen.“ „Aha, also du bist der schlaue Herr aus der noblen Welt, ja, dann komm mal mit, ich bring dich zu unserem Herrn Hauptmann.“ Muss gestern wohl keinen guten Eindruck hinterlassen haben, dachte sich Christoph. Er folgte dem Mann über den großen Platz zu einem kleineren Gebäude mit turmähnlichem Dach. „Warte hier, ich melde dich an.“ Der Mann verschwand im Gebäude, kam aber nach kurzer Zeit schon wieder zurück, gefolgt vom Burghauptmann. „Ich habe dich durch das Fenster schon gesehen. Was hast du auf den Herzen?“ „Ich hätte sie gern gesprochen, wenn es möglich ist.“ „Na gut, dann komm rein.“ Der Hauptmann ging zur Tür, ließ aber Christoph vor sich eintreten und schloss dann hinter sich die Tür. „Kann ich dir etwas anbieten? Viel Auswahl habe ich allerdings nicht, nur einen selbstgebrannten Schnaps. Du wirst wahrscheinlich etwas Besseres gewohnt sein, aber solches Zeug habe ich leider nicht, das gibt es nur beim Herrn Grafen.“ Er schenkte eine glasklare Flüssigkeit in zwei kleine Zinnbecher, reichte einen davon Christoph – „Na dann, Prost!“ – und leerte seinen Becher in einem Zug. Auch Christoph leerte seinen Becher. „Oh, der hat es aber in sich! Aus was wird das Feuerwasser gebrannt?“ „Vogelbeer nennen wir das Zeug. Noch nie was gehört davon?“ „Nein, hör ich heute das erste Mal. Also, warum ich hier bin: Kann man schon sagen, wann die Straße zum Schloss wieder befahrbar ist, oder ist es noch zu früh?“ „Wie ich gestern schon vermutet habe, hat ein Erdrutsch vom Burgberg den Schluchtausgang ca. zehn Meter hoch verschüttet. Ich weiß noch nicht, wie wir diesen Haufen aus Holzstämmen, Steinen und Erde lösen können. Wir haben bereits gestern versucht, etwas locker zu machen, aber es ist fest gepresst, da müssen wir uns etwas anderes einfallen lassen. Einer der Männer hat sich dabei auch noch das Bein gebrochen.“ „Kann ich mir diese Stelle mal anschauen?“, fragte Christoph den Hauptmann. „Ja, wenn du meinst, ich halte dich nicht auf. Ich gebe dir Anton mit, der kennt den Weg über die Schlucht.“ Er rief den Mann mit Namen Anton. „Zeig diesem Herrn die Verklauselung am Schluchtende, aber seid vorsichtig, der nasse Schnee am Hang ist nicht zu unterschätzen.“ Christoph und Anton verließen die Burg und verschwanden im Wald oberhalb der Schlucht. Wenn es auch viel geregnet hatte, lagen immer noch 30 bis 40 Zentimeter Schnee – oder vielmehr Schneematsch – im Wald. Nach rund 15 Minuten standen die beiden Männer auf einer Felswand und blickten in die Schlucht. Die Verklauselung befand sich genau am Ausgang der Schlucht, rund 50 Meter unter der Felswand. „Wo komme ich da runter?“, fragte Christoph den Anton. „Ja, weiter rechts gibt es einen Steig, da kannst es versuchen. Aber pass auf, gestern hat sich da schon einer das Bein gebrochen und wir mussten ihn zurücktragen. Au, der hat gejammert!“ Christoph ließ sich die Stelle zeigen. „Warte du hier, schau mal, ob ich da runterkomme. Wenn ich bis zur Dunkelheit nicht zurück bin, gehst zurück zur Burg.“ Und er stieg den Pfad hinab. Nach rund einer Stunde, Anton wollte schon zurück zur Burg, kam Christoph auf den Felsen zurück. „Was hast du so lange gemacht? Hab dich schon aufgegeben. „ Es wird bald dunkel, also zurück zur Burg“. Und, hast du eine Möglichkeit gefunden?“, fragte Anton neugierig. „Ist möglich, sagt Christoph, Habt ihr eigentlich Schwarzpulver in der Burg?“ „Soviel ich weiß, müsste noch was vorhanden sein. Oder haben es die Bergleute abgeholt? Da musst du den Hauptmann fragen, er hat den Schlüssel für die Pulverkammer, da kommt sonst niemand rein.“ Zurück in der Burg ging es gleich wieder zum Gebäude oder Büro des Burghauptmanns. „Habt ihr eine Lösung gefunden?“ „Ja, vielleicht, sagt Christoph, Anton sagte mir, dass noch Schwarzpulver vorhanden sein müsste.“ „Ja, davon haben wir noch jede Menge, haben erst vor einem Monat Nachschub bekommen. Wird in den Bergwerken ja einiges gebraucht. Wozu brauchst du Schwarzpulver? Willst du das Wasser wegsprengen oder was hast du damit vor?“ „Ich brauche mindestens zwölf Fässer mit Schwarzpulver und rund 150 Meter Zündschnur. Ich glaube, dass wir damit die Verklauselung lösen können, den Rest erledigt dann das Wasser. Liegt eigentlich das Dorf im Einzugsbereich des Baches? Wenn es so ist, können wir den Plan gleich wieder verwerfen, da wird nämlich eine riesige Mure in Richtung Tal losgehen und ich möchte nicht, dass Menschen und Gut in Gefahr kommen.“ „Nein, eigentlich nicht. Das Dorf liegt auf der gegenüberliegenden Hangseite. Das Wasser kann nur bis zur Buchbergache kommen und die liegt um einiges tiefer. Auf die Sache mit dem Schwarzpulver bin ich nicht gekommen. Bist du Sprengmeister oder so was Ähnliches oder gar Soldat? Also, wann willst du die Sache in Angriff nehmen? Wie viele Leute brauchst du?“ „Ja, morgen bei Tagesanbruch, ich bräuchte so um die 15 bis 20 Leute. Ist das möglich? Auch Seile, wenn was vorhanden ist. Was ich bin oder was ich gemacht habe, das kann ich dir ja später einmal erzählen. Jetzt will ich erst wieder zurück zum Gasthaus, brauche trockene Sachen und muss schauen, wie es meiner Frau geht. Also bis morgen!“ Der Hauptmann und Anton schauten dem großen Mann nach, bis er beim Burgtor verschwand. „Ich glaube, diesen Herrn habe ich etwas unterschätzt“, sagte der Hauptmann zu Anton. „Aber werden sehen, was morgen passiert.“

Als Christoph zum Gasthaus zurückkam, war es bereits dunkel und seine vier Männer waren bereits beim Abendessen. „Wo warst du so lange?“, wurde er gleich gefragt. „Ach, ich hatte mit dem Burghauptmann etwas zu besprechen, aber das erzähle ich euch nachher. Muss vorher noch schauen, wie es Katharina geht.“ Es verging mehr als eine Stunde, bis er wieder aus der Kammer zurückkam. „Also, wegen morgen: Simon und Bruno begleiten mich morgen gleich bei Tagesbeginn zur Burg, werden versuchen, die Straße mit einer Sprengung freizubekommen. Du, Bruno, bist ja ein Spezialist für solche Sachen. In der Burg ist genug Schwarzpulver vorhanden, habe bereits alles mit dem Burghauptmann abgesprochen. Geht gleich mal schlafen, wird ein harter Tag werden.“

Der nächste Tag begann nicht erfreulich. Katharina war in der Nacht gestorben. Als Christoph nach Mitternacht erwachte, saß die schwarze Frau neben Katharinas Bett. Als sie merkte, dass Christoph munter war, schüttelte sie leicht mit dem Kopf. „Sie hat es nicht geschafft, tut mir leid.“ Sie stand auf und ging aus dem Zimmer. Auch Christoph verließ nach gut einer Stunde das Zimmer. Es war nicht der Zeitpunkt für eine lange Trauerzeit, es stand ein anstrengender Tag bevor: Alles hing davon ab, ob mit der Sprengung der Weg freigeräumt werden konnte. Die vier Männer waren bereits beim Frühstück. Christoph setzte sich, ohne ein Wort zu sagen, zu ihnen. Die vier Männer sahen sich gegenseitig an, auch sie schwiegen. Sie ahnten, dass etwas passiert war. Sie kannten Christoph schon eine Ewigkeit und wussten, wann es besser war zu schweigen. Christoph ergriff als Erster das Wort. „Katharina, ja, sie hat es nicht geschafft, ist heute Nacht für immer eingeschlafen. Das Kind hat sie schon in der Nacht von Sonntag auf Montag geboren. Es war bereits tot. Sie ist vermutlich innerlich verblutet. Aber es ändert sich deswegen nichts, das Leben geht weiter, ja, es muss weitergehen, wir haben das ja schon mehrmals erlebt. Wie gestern schon gesagt, Bruno und Simon begleiten mich in die Schlucht, du, Stefan, bleibst hier und kümmerst dich um Alexander. Er schläft noch und weiß noch nicht, dass seine Mutter gestorben ist. Bring ihn in ein anderes Zimmer. Ich werde mit der Wirtin noch sprechen.“ „Ich habe es bereits mitbekommen“, hörte man die Wirtin unter der Tür zur Küche. „Ich kümmere mich schon darum, geht ihr nur eurer Arbeit nach. Ich weiß auch, was zu tun ist, wenn jemand gestorben ist. Haben ja vor einem Monat meine Mutter zu Grabe getragen. Was wird der Graf nur sagen?“ „Danke dir“, sagte Christoph. „Es bleibt dabei, Stefan und Peter bleiben auf jeden Fall hier, kann ja sein, dass etwas Unerwartetes passiert. Du, Peter, bist ja sowas wie ein Onkel für Alexander und warst auch immer bei unseren Besprechungen dabei. Also gehen wir, lassen wir die Männer in der Burg nicht warten.“ Es war noch nicht ganz hell, als sie zur Burg kamen. Das Tor war auch noch zu, aber ein Wachposten hatte die drei Männer bereits gesehen. „Macht das Tor auf“, rief er in den Hof. Mit einem lauten Knarren wurden die beiden Tore geöffnet. „Könnten auch mal etwas Fett vertragen“, murmelte Bruno. „Oder ist das der Wecker für die Mannschaft?“ Im Burghof herrschte bereits reges Treiben, eine raue Männerstimme gab Befehle und Anordnungen, schien der zuständige Zugsführer zu sein. Es waren sicher an die 40 Mann auf den Beinen, auch der Burghauptmann kam gerade aus seinem Gebäude, auch er wurde von zwei Männern begleitet. Es waren jene Männer, die schon am Montag mit im Gasthof waren. „Mein Stellvertreter und mein Adjutant“, stellte sie der Hauptmann vor. „Das ist Bruno, war mein Kanonier auf dem Schiff, das ist Simon, kennt sich gut mit Schwarzpulver aus“, stellte auch Christoph seine Männer vor. „Na, dann kanns ja losgehen“, sagte der Hauptmann. „Wir brauchen nachher sicher mehr Leute, vorausgesetzt es klappt mit der Sprengung. Die Straße muss ja wieder befahrbar gemacht werden. Außerdem habe ich zwei Leute losgeschickt Richtung Dorf. Habe mitbekommen, dass der Graf eine beachtliche Schar an Männern zusammengetrommelt hat und die auf dem Weg Richtung Burg sind. Müssen ja gewarnt werden, nicht dass sie von den Wassermassen noch mitgerissen werden. Ach, noch etwas, die Wöferlehen Burg hat mir gesagt, dass deine Frau heute Nacht gestorben ist. Tut mir leid.“ „Ja leider, aber das tut jetzt nichts zur Sache. Schauen wir, dass das Zeug zur Schlucht kommt und den Männern warm wird. Haben wir alles? Zwölf Fässer Pulver, zwei Rollen Zündschnur, ja, und die Feuersteine nicht vergessen und die Hanfseile. Also los geht’s!“ Im Gänsemarsch ging es Richtung Schluchtausgang. Ab und zu hörte man Männer fluchen, einer kam ins Rutschen, konnte sich gerade noch an einer Staude festklammern, das Pulverfass allerdings klatschte 50 Meter tiefer ins Wasser. „Verflucht, kannst du nicht aufpassen? Jetzt kannst zurücklaufen und ein neues holen“, schrie der Zugsführer. „Nein, warte mal. Die Fässer sind etwas größer als jene, die ich kenne. Also haben wir etwas Reserve“, sagte Bruno. Nach etwa einer halben Stunde waren alle mit dem benötigten Material an der oberen Felswand angekommen, außer dem einen Pulverfass war alles vollständig. Der Burghauptmann gab seinen Männern noch eine kurze Anordnung: „Was jetzt weiter geschieht, das sagt euch Bruno, das ist der kleine Dicke, also hört nur auf ihn.“ Bruno fühlte sich sehr wohl in seiner Tätigkeit. „Also“, sagte er, „ich werde mir die Sache erst einmal von unten anschauen. Fünf Männer seilen sich auf das erste Plateau ab oder ihr könnt auch runterklettern. Die Pulverfässer werden an den Seilen runtergelassen. Aber passt mir ja auf, dass nicht noch eines verloren geht. Die zwei Rollen Zündschur kommen ebenfalls da runter. Dort wartet ihr auf weitere Anordnungen.“ Christoph und Simon waren bereits an den Seilen auf das erste Plateau abgestiegen. Der Burghauptmann hatte nur so gestaunt, wie leichtfüßig die beiden Männer an den Seilen hinunter aufs Plateau gelangt waren. „Die haben sowas nicht das erste Mal gemacht“, sagte er zu seinem Stellvertreter. „Ja, scheint so. Hast ja gehört: Der kleine Dicke, war der Kanonier auf meinem Schiff“, antwortete dieser.