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Lisa ist eine Teppichkatze, ihre Welt eine Zweizimmerwohnung mit Blick in den Garten. Eines Tages taucht der Abenteuerkater Petro unter ihrem Fenster auf. Er erzählt ihr, dass die Welt viel mehr ist, als sie sehen oder erahnen kann. Lisa will es genau wissen. Gemeinsam machen sich die beiden Katzentiere auf den Weg, um ihr Glück zu suchen. Aber lässt sich das Glück tatsächlich am Meer, im Reich der Mitte oder in den indischen Schicksalsbibliotheken finden? Und was ist das überhaupt - das Glück? Eine Geschichte über Freundschaft, Träume und den Mut, seinen eigenen Weg zu gehen. Nicht nur für Katzenfreunde geeignet. Jetzt beide Teile in einem Band.
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Seitenzahl: 437
Veröffentlichungsjahr: 2020
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Über das Buch
Lisa ist eine Teppichkatze, ihre Welt eine Zweizimmerwohnung mit Blick in den Garten. Eines Tages taucht der Abenteuerkater Petro unter ihrem Fenster auf. Er erzählt ihr, dass die Welt viel mehr ist, als sie sehen oder erahnen kann. Lisa will es genau wissen. Gemeinsam machen sich die beiden Katzentiere auf den Weg, um ihr Glück zu suchen.
Aber lässt sich das Glück tatsächlich am Meer, im Reich der Mitte oder in den indischen Schicksalsbibliotheken finden? Und was ist das überhaupt – das Glück?
Eine Geschichte über Freundschaft, Träume und den Mut, seinen eigenen Weg zu gehen. Nicht nur für Katzenfreunde geeignet.
(jetzt Teil I und II in einem Band)
Über die Autorin
Gabriele Schossig ist Dipl.-Ing. für Hochbau und Heilpraktikerin für Psychotherapie. Sie lebt mit Mann und Kater in einer Kleinstadt in Sachsen-Anhalt.
Ihre Bücher und Kurzgeschichten widmen sich vorrangig Themen, wie der Suche nach dem Glück, der Liebe oder dem richtigen Platz im Leben.
Weitere Informationen auf der Autorenseite: www.wondertimes.de
Teil I – Der Ruf der Freiheit
1. Kapitel Kleine Welt
2. Kapitel Blick über den Tellerrand
3. Kapitel Sprung in die Freiheit
4. Kapitel Aufbruch ins Abenteuer
5. Kapitel Gastfreundschaft
6. Kapitel Unterwegs
7. Kapitel Der Rosengarten
8. Kapitel Lachen ist die beste Medizin
9. Kapitel Ziel und Neubeginn
10. Kapitel Ein besonderer Tag
11. Kapitel Willkommen und Abschied
12. Kapitel Freunde fürs Leben
Teil II – Ägypten mit Umwegen
13. Kapitel Ort des Verstehens
14. Kapitel Abenteurer unter sich
15. Kapitel Yin & Yang
16. Kapitel Die Entscheidung
17. Kapitel In den Bergen
18. Kapitel Der Glückskreis
19. Kapitel Tempel des Vergessens
20. Kapitel Ein anderer Weg
21. Kapitel Blick in die Zukunft
22. Kapitel On Tour
23. Kapitel Ankommen
24. Kapitel Ausblick – 1 Jahr später
Danke
Leseprobe „Traumfängerin der Liebe“
Weitere Bücher
Eine „tierische“ Geschichte für kleine und große Träumer, die ihr Glück suchen.
„Hoffnung ist eine Art Glück, vielleicht das größte Glück, das diese Welt bereit hat.“
(Samuel Johnson)
Der Tag neigte sich langsam seinem Ende zu. Lisa lag auf ihrem Lieblingsplatz auf der Fensterbank und ließ sich von den Strahlen der untergehenden Sonne den Pelz wärmen.
Aus halb geschlossenen Augen beobachtete sie träge den Garten. Dort war Katrin nun schon seit Stunden mit den Blumenbeeten beschäftigt und schien sie völlig vergessen zu haben.
Diese Missachtung ärgerte die kleine Katze gewaltig. Was fand ihre Besitzerin – wie Katrin sich oft stolz nannte – nur an diesen langweiligen Blumen und Sträuchern? Warum kam sie denn nicht lieber nach oben, um mit ihr zu spielen und zu kuscheln? So ein paar Streicheleinheiten wären doch jetzt genau das Richtige!
Bei diesem Gedanken rollte sich Lisa seufzend zusammen und schloss die Augen, um noch ein wenig zu dösen.
Sie war das Warten ja gewöhnt. Tagsüber war sie meistens allein. In der Woche kam Katrin erst gegen sechs Uhr von der Arbeit, und am Wochenende fuhr sie einkaufen, besuchte ihre Familie oder arbeitete, wie heute, in dem kleinen Garten. Mancher Tag schien dann wie eine Ewigkeit. Aber wenn Lisa endlich Katrins Schritte auf der Treppe und das Klappern des Schlüssels an der Tür hörte, konnte sie es vor Freude kaum noch aushalten und sprang ihrer Besitzerin entgegen.
Katrin begrüßte sie immer auf die gleiche Weise: „Da bist Du ja, meine Kleine!“, und Lisa freute sich.
Den ganzen Abend wich sie dann ihrer Menschenfreundin nicht mehr von der Seite, und Katrin schien ihre Gesellschaft ebenso zu genießen, wie sie die ihre. Gemeinsam aßen sie zu Abend, Katrin auf und Lisa unter dem Tisch, tollten herum oder schliefen zusammen auf der Couch vor dem Fernseher.
Lisa konnte ihre Besitzerin richtig gut leiden, nur in Momenten wie diesem, wenn Katrin sie nicht beachtete, war sie sehr ärgerlich auf sie.
Früher hatte sie immer gehofft, Katrin würde sie eines Tages mit in den Garten nehmen, dann hätte sie durch das Gras streifen und an den Blumen schnuppern können. Doch jedes Mal, wenn sie gemeinsam mit ihr zum Ausgang geeilt war, um durch den halb offenen Türschlitz nach draußen zu huschen, hatte ihre Besitzerin ihr den Weg verstellt.
„Nein, Lisa, Du darfst da nicht raus. Das ist viel zu gefährlich!“
Und so war Lisa jedes Mal allein in der Wohnung zurückgeblieben. Zuerst war sie immer sehr enttäuscht gewesen, doch mit der Zeit hatte sie sich an den Gedanken gewöhnt: Da draußen war es einfach zu gefährlich!
Sehr eindringlich hatten Katrins Worte geklungen, wenn sie ihr manchmal von den Gefahren der Welt erzählte, von Autos und vom bissigen Nachbarshund. Wenn Lisa auch nicht wusste, über was Katrin da eigentlich sprach, so ahnte sie doch, dass es schlimme Dinge sein mussten, vor denen ihre Besitzerin sie beschützen wollte.
Bald zog sie es vor, der Tür nicht mehr zu nahe zu kommen, und verabschiedete sich in sicherem Abstand von ihrer Menschenfreundin.
Nur gut, dass ihr hier nichts passieren konnte und Katrin sie beschützte. Denn, dass Katrin nur ihr Bestes wollte, da war sich Lisa ganz sicher. Sie hatte ja auch alles, was eine Katze sich nur wünschen konnte, ein schönes Zuhause, leckeres Essen und ein gemütliches Katzenkörbchen. Was wollte sie denn mehr?
Doch trotzdem fühlte sie manches Mal, wenn sie am Fenster saß und nach draußen blickte, eine Sehnsucht, die sie sich nicht erklären konnte.
Lisa hob den Kopf, gähnte herzhaft und streckte sich.
Genug mit diesen Grübeleien! Draußen wurde es bereits dämmrig. Bald würden Katrins Zeit und ihre ungeteilte Aufmerksamkeit wieder ihr ganz allein gehören!
Seit sie vor langer Zeit in Katrins Wohnung gekommen war, gehörten die Abende immer ihnen beiden. Und genau so würde es auch heute wieder sein und morgen und überhaupt immer. Wohlig schnurrte Lisa bei diesem beruhigenden Gedanken.
Als hätte die junge Frau im Garten ihre Gedanken gehört, drehte sie sich in diesem Moment um und winkte ihrer Katze am Fenster zu.
Endlich! Mit einem großen Satz sprang Lisa von der Fensterbank und rannte zur Tür. In sicherem Abstand nahm sie Platz und wartete auf Katrins Erscheinen. Gleich würde ihre Zeit beginnen!
Doch an diesem Abend war alles anders. Katrin kam zwar tatsächlich wie erwartet nach oben, aber sie strich Lisa nur flüchtig über den Kopf und verschwand dann im Bad.
Also machte es sich Lisa vor der Badezimmertür bequem. Nach einer Weile fing sie an, leise zu miauen: „Was machst Du denn da nur solange?“
Aber Katrin schien sie nicht zu hören. Und erst recht nicht zu verstehen. Das war auch so eine Sache, die Lisa immer wieder verwunderte. Sie verstand jedes Wort ihrer Menschenfreundin, doch Katrin tat sich schwer mit der Katzensprache. Wahrscheinlich waren Menschen doch nicht so schlau, wie sie immer taten. Das wäre auch eine Erklärung dafür, warum die meisten von ihnen so viele Jahre in die Schule gehen mussten. Katrin machte das heute noch, sie ging in eine Schule für große Menschen, die aus fernen Ländern hierher kamen, und brachte ihnen die Sprache dieses Landes bei. Und manches Mal half sie auch kleinen Menschen, die im Unterricht nicht richtig mitkamen.
„Miau! Komm raus!“ Lisa richtete sich zu ihrer vollen Größe auf und kratzte an der Tür. Ihr Mauzen wurde lauter und eindringlicher. „Ich habe Hunger! Wo bleibst Du? Ich habe lange genug gewartet!“
Trotzdem dauerte es noch einige Minuten, bis Katrin endlich die Tür öffnete. Dann traute Lisa ihren Augen kaum. Ihre Besitzerin sah ganz anders aus, noch viel schöner als sonst. Die Haare waren zu Wellen geföhnt, ihr Gesicht voll bunter Farbe und wie gut sie roch. Lisa war richtig stolz auf ihre hübsche Menschenfreundin.
Katrin beugte sich kurz zu Lisa hinab. „Ach, meine Kleine, Dich habe ich ja fast vergessen. Komm mit, jetzt gibt es Abendessen.“
Nichts wollte Lisa lieber hören und folgte Katrin in die Küche. Doch statt der gewohnten gemütlichen Zweisamkeit stellte ihre Besitzerin ihr dieses Mal nur ein Schälchen mit Dosenfutter auf den Boden, streichelte ihr kurz über den Rücken und verschwand hinter der nächsten Tür im Schlafzimmer.
Lisas Hunger siegte, und so aß sie heute zum ersten Mal allein zu Abend. Doch so richtig wollte es ihr nicht schmecken. Was war nur mit Katrin los?
Als diese endlich wieder in der Küche erschien, sah sie in ihrem engen grünen Kleid noch schöner aus als zuvor. Aber Lisa konnte sich darüber nicht mehr freuen.
Warum kümmerte sich Katrin denn nicht um sie? Es war doch schon dunkel draußen – das war doch ihre Zeit!
Dann kam es noch schlimmer. Katrin eilte in Richtung Flur, ohne einen Blick für Lisa übrig zu haben. Die kleine Katze folgte ihr verwirrt auf den Fersen.
Erst an der Wohnungstür wandte sich die junge Frau noch einmal um: „Tschüss, meine Kleine.“
Bevor Lisa überhaupt richtig begriff, was geschah, fiel die Tür ins Schloss und sie war wieder allein. Allein und völlig durcheinander.
In den nächsten Tagen kam Katrin immer später nach Hause. War sie dann endlich da, führte sie meistens stundenlange Telefongespräche. Für Lisa blieb kaum Zeit.
Jeden Tag hoffte die kleine Katze aufs Neue, dass es an diesem Abend anders sein würde, so wie früher. Aber bald kam ihre Besitzerin abends nur noch für ein paar Minuten heim. Sie stellte Lisa das Abendessen in die Küche und verschwand wieder, um dann die ganze Nacht fortzubleiben.
Am Morgen tauchte sie nochmals kurz auf, machte Frühstück und war schon wieder auf dem Weg zu ihrer Arbeit. So kam es, dass Lisa ihre Freundin nur noch wenige Minuten am Tag sah. Und selbst dann war Katrin mit ihren Gedanken meistens ganz woanders. Die gemütlichen Stunden voller Zweisamkeit gehörten der Vergangenheit an.
Lisa konnte nicht verstehen, warum sich plötzlich alles so verändert hatte. Mochte Katrin sie denn nicht mehr? War sie nicht mehr ihre Freundin?
Die kleine Katze war ratlos und fühlte sich sehr einsam. Jedes Mal, wenn Katrin die Wohnung betrat, versuchte sie alles, um deren Aufmerksamkeit zu gewinnen und sie zum Bleiben zu bewegen. Aber nichts half, die junge Frau verschwand immer genauso schnell, wie sie gekommen war.
Eines Tages brachte sie sogar einen fremden Menschen mit – einen Mann. Als Lisa die beiden zusammen sah, spürte sie einen Stich der Eifersucht. Ihre Freundin kuschelte jetzt also mit diesem Menschen, darum hatte sie keine Zeit mehr für sie!
Doch rasch verdrängte die kleine Katze ihren Ärger. Sie war ein kluges Tier und wusste, wenn sie wieder mehr Zeit mit Katrin verbringen wollte, musste sie auch mit diesem Menschenmann Freundschaft schließen. Wenn er sie mochte, würde er sicherlich öfter zu Besuch kommen und dann wäre sie nicht mehr so oft allein.
Also gab sich die kleine Katze die größte Mühe, suchte seine Nähe, sobald er die Wohnung betrat, und umschmeichelte seine Beine.
Katrin freute sich darüber. „Schatz, schau nur! Lisa mag Dich.“
Doch Schatz fing dann jedes Mal fürchterlich an zu niesen und rannte zum Fenster. So ging das einige Male. Nach einer ganz furchtbaren Niesattacke brachte er mühsam heraus:
„Katrin, so geht das nicht weiter. Du weißt doch, meine Katzenallergie. Es ist besser, wenn wir uns zukünftig nur noch bei mir treffen. Ich halte das hier nicht aus.“
Katrin nahm ihn daraufhin ganz besorgt in die Arme.
„Natürlich, Du hast recht. Ich hätte gleich daran denken sollen. Sorry, Schatz! Komm, lass uns am besten gleich zu Dir fahren.“
Er nickte unter Tränen und schnäuzte sich theatralisch die Nase.
Und Lisa? Die kleine Katze hatte die Szene still beobachtet. Nun schlich sie aus dem Zimmer und verkroch sich in ihr Katzenkörbchen. Sie wollte sich dieses Drama nicht länger mit ansehen. Außerdem wusste sie, dass sie verloren hatte.
Was sollte sie schon gegen einen Mann mit einer Katzenallergie ausrichten?
Die Menschen waren ein komisches Volk, das wurde ihr immer klarer. Oder gab es auch Katzen, die gegen die Zweibeiner allergisch waren? Wundern würde es sie nicht, bei diesem Menschenmann konnte man schon krank werden.
Aber existierten überhaupt noch andere Katzen oder war sie etwa ganz allein auf dieser Welt, überlegte Lisa weiter.
Doch was war dann mit diesem Traum, der ihr wie eine Erinnerung aus längst vergangenen Zeiten erschien?
In ihren Traumbildern war sie noch ein ganz kleines Miezekätzchen. Sie streifte durch hohes grünes Gras und spielte mit anderen kleinen Katzen. Und dann war da noch diese große Katzenfrau, die mit ihr kuschelte und sie beschützte.
Ganz genau konnte sie sich morgens noch an diesen liebevollen Blick aus aufmerksamen grünen Augen erinnern. Oft hatte sie diesen glücklichen Traum schon erlebt, und in den letzten Wochen war er noch häufiger geworden. Nach dem Erwachen fühlte sich Lisa immer sehr glücklich.
Aber dieses gute Gefühl wich schnell der Erkenntnis, dass sie nur geträumt hatte.
Den langen einsamen Tag vor Augen, umfing sie die Traurigkeit dann wie ein grauer Mantel. Stundenlang döste sie in ihrem Katzenkörbchen oder starrte träge vor sich hin.
Nur wenn Katrin für ein paar Minuten vorbei kam, rappelte sie sich aus dieser Trübseligkeit auf.
Was war sie doch manchmal für eine Jammerkatze! Lisa ärgerte sich über sich selbst, doch sie konnte einfach nicht aus ihrer Haut. Was sollte sie auch den ganzen Tag allein anfangen? Sie wünschte sich so sehr einen Freund, der ihr Gesellschaft leistete und mit ihr redete.
Mit jedem einsamen Tag wurde dieser Wunsch intensiver. Aber wie sollte sie bloß einen Freund finden?
Doch manchmal nimmt sich das Universum unserer Träume an und erfindet Wege, die wir uns nicht einmal hätten vorstellen können …!
Der Sommer war eingezogen und verwandelte die Wohnung in eine stickige Sauna. Selbst ihr dünnes Sommerfell war Lisa nun viel zu warm. Der angenehmste Ort war da noch der luftige Platz am Fenster, das Katrin ihr jetzt morgens immer öffnete und erst abends, wenn sie nach der Arbeit kurz vorbeischaute, wieder schloss. Lisa hatte sich inzwischen damit abgefunden, dass Katrin nur noch vorbeikam, um ihr das Essen zu bringen. Sie hatte eine neue Beschäftigung für sich entdeckt. Stundenlang saß sie am offenen Fenster und beobachtete die Vögel oder Wolken.
Doch heute gab es von Wolken weit und breit keine Spur.
Kein Lüftchen regte sich, und die Sonne brannte erbarmungslos auf ihr Fensterbrett.
Doch so warm es auch war, Lisa mochte ihren Platz nicht verlassen, hoffte sie doch wieder auf ein wenig Abwechslung. Und tatsächlich, gerade hatte sie einen kleinen Vogel entdeckt, der laut trällernd auf einem Baum saß. Sie verrenkte sich den Hals, um besser sehen und hören zu können.
„Wenn Du Dich noch weiter heraus lehnst, wirst Du gleich herunterpurzeln.“
Lisa schreckte zusammen. Wer sprach da?
„Typisch! Neugierig, wie alle Katzenfrauen“, klang es gut gelaunt zu ihr hinauf. „Warum kommst Du nicht runter? Hier gibt es genug Vögel aus nächster Nähe zu betrachten.“
Lisa blickte in Richtung der Stimme und traute ihren Augen kaum. Unten auf der Wiese, im Schatten eines Strauches, lag lässig ausgestreckt, den Kopf auf den Vorderpfoten, eine Katze und blinzelte spöttisch zu ihr hinauf. Fast hätte sie diese im hohen Gras nicht bemerkt, denn Katrin hatte nicht nur für sie keine Zeit mehr, auch ihr Garten sah inzwischen ziemlich verwildert aus.
Vor Aufregung wäre Lisa nun wirklich fast vom Fensterbrett gefallen. Unglaublich, da war eine echte, lebendige Katze!
„Wer bist Du? Wo kommst Du her? Was machst Du hier?“, sprudelten die Fragen nur so aus ihr heraus.
Ein breites Grinsen war die Antwort. Ein Grinsen! Lisa staunte noch mehr. Seit wann konnten Katzen denn grinsen? Sie kannte diesen Gesichtsausdruck nur von Katrin und ihrem Schatz. Dabei hatte sie es selbst oft versucht, wollte sie doch Katrin mit einem Grinsen überraschen und ihr so eine Freude bereiten. Aber es war ihr nie gelungen.
Irgendwann musste sie sich eingestehen, dass halt nur Menschen grinsen konnten, keine Katzen. Doch diese Katze grinste, und wie!
„Ich bin Petro! Was ich mache? Ich liege hier auf der Wiese, wie Du siehst.“ Das Grinsen wurde noch breiter, soweit das überhaupt möglich war.
Lisa war total perplex. So oft hatte sie hier gesessen, aber niemals war eine andere Katze aufgetaucht. Sie hatte schon gedacht, sie wäre die Einzige auf dieser Welt.
„Wieso kannst Du grinsen? Katzen können so etwas nicht!“
Petro schüttelte den Kopf. „Was bist Du denn für ein Naseweis? Erstens bin ich keine Katze, sondern ein Kater!“
Stolz reckte er sich. „Und zweitens kann ich sehr wohl grinsen, wie Du ja siehst.“ Er zeigte seine Zähne, erhob sich und marschierte selbstbewusst näher.
Nun konnte ihn Lisa noch besser betrachten. Was für ein schönes Tier er doch war, groß und schlank, mit glänzendem, grau getigertem Fell und strahlend grünen Augen. Lisa kam sich dagegen richtig klein und unscheinbar vor.
„Und woher kommst Du?“, fragte sie nun fast schüchtern.
Sie konnte es immer noch nicht fassen, dass da unten tatsächlich ein Kater saß, der mit ihr sprach.
„Du scheinst eine sehr neugierige Katze zu sein. Aber das ist in Ordnung. Neugier bringt uns weiter und führt uns zu neuen Horizonten. Ohne meine Neugier wäre ich heute nicht hier und könnte nicht mir Dir reden.“
Lisa verstand kein Wort. Was für Horizonte? Dieser Kater redete in Rätseln. Aber das gefiel ihr. Es machte ihn so geheimnisvoll und interessant.
Vielleicht mochte dieser Kater ja ihr Freund sein? Sie hatte sich doch schon so langen einen gewünscht – einen richtigen Freund!
„Woher ich komme, ist allerdings schwer zu beantworten“, sprach er weiter. „Von hier und dort. Ich ziehe durch die Welt.“
Lisa machte große Augen. „Du ziehst durch die Welt? Aber ich habe Dich noch niemals gesehen, und ich sitze doch jeden Tag am Fenster und schaue in die Welt.“
Jetzt grinste Petro nicht nur, sondern lachte aus vollem Hals.
„Du schaust in die Welt. Na, Du bist ja lustig“, prustete er.
Dann wurde er plötzlich ernst und sah nachdenklich zu ihr hinauf. „So wie Du guckst, hast Du wohl gar keinen Spaß gemacht. Du glaubst das wirklich, nicht wahr?“
„Was glaube ich?“ Dieser Kater brachte sie völlig durcheinander. Warum hatte er sie denn eben ausgelacht? Er war wohl doch nicht der Richtige als ihr Freund, sonst würde er nicht über sie lachen, dachte sie traurig.
„Du hast gesagt, Du sitzt oft dort und schaust in die Welt“, wiederholte Petro ernst.
„Ja, jeden Tag. Was ist daran so komisch?“, fragte sie verunsichert.
Jetzt sah Petro gar nicht mehr belustigt aus. Fast traurig fragte er: „Du glaubst also tatsächlich, dass dieser Garten die Welt ist?“
Lisa nickte. „Ja, was denn sonst?“
Für einen Moment war es still, und Petro sah sie nur an.
Lisas Fell fing an zu kribbeln. Warum guckte er nur so?
Noch nie hatte sie so ein Gefühl gehabt! Es machte sie unsicher, aber es tat ihr auch irgendwie gut.
„Wie heißt Du?“, fragte er leise.
„Lisa.“
„Lisa! Ein schöner Name.“
Bei diesem Kompliment spürte die kleine Katze, wie sie vor Verlegenheit ganz rot unter ihrem Fell wurde. Jetzt war sie ihrem warmen Sommerpelz richtig dankbar, sorgte er doch dafür, dass Petro den Farbwechsel ihrer Haut nicht bemerkte.
„Lisa, dieser Garten ist nicht die Welt! Er ist nur ein winzig kleiner Teil davon. Die Welt ist riesengroß. Und wunderschön und geheimnisvoll. Sie ist viel mehr, als wir sehen können! Hast Du denn nie etwas anderes als diesen Garten kennengelernt?“
Lisa hatte staunend zugehört … die Welt war viel mehr, als sie sehen konnte? War das möglich?
„Ich kenne nur diese Wohnung und den Garten, und den auch nur von hier oben. Weißt Du, ich bin hier ganz allein.
Lange schon. Nur in meinen Träumen sind manchmal Bilder von anderen Katzen. Mit denen spiele und tobe ich. Das sind schöne Träume, aber leider nur Träume. Wenn ich aufwache, bin ich immer sehr traurig, aber dann finde ich mich damit ab, allein zu sein.“
Lisa erschrak über sich selbst. Warum vertraute sie diesem fremden Kater ihre geheimsten Gedanken an? Sicher würde er sie gleich wieder auslachen. Wie leichtsinnig von ihr!
Oder er würde einfach wieder verschwinden. Wer wollte schon mit einer Katze zu tun haben, die nichts als diese Wohnung und den Blick aus einem Fenster kannte?
Aber er lachte nicht. Sehr ernst sah er sie an.
„Lisa, Deine Träume sind wichtig! Sie zeigen Dir den Weg zu Deinen Wünschen. Sie verraten Dir, was Dich glücklich macht.“
„Aber warum bin ich dann nach dem Aufwachen immer so traurig?“, fragte Lisa verwirrt. Sie konnte Petros Worte nicht wirklich nachvollziehen, und doch war da eine leise Ahnung, dass er recht haben könnte.
„Die Träume, von denen Du eben sprachst, könnten Erinnerungen an Deine Kindheit sein. Du hast bestimmt nicht immer in dieser Wohnung gelebt. Es gab eine Zeit, da hattest Du, wie wir alle, eine Familie. Du hast bei Deiner Mutter und Deinem Vater gelebt, mit Deinen Geschwistern gespielt. Wenn Du wach wirst, erinnerst Du Dich daran, was Du verloren hast. Darum bist Du dann so traurig.“
Lisa überlegte. Ja, das klang einleuchtend. „Aber weshalb zeigen mir diese Träume den Weg zu meinen Wünschen?“
„Für eine Stubenkatze bist Du ziemlich wissbegierig.“ Da war es wieder, dieses Grinsen. „Oder sollte ich besser Teppichkatze sagen? Deine Pfötchen sind bestimmt ganz rosa und samtweich, wie bei einer Babykatze“, neckte er sie.
Lisa hob irritiert eine Pfote und schaute sich ihre Sohle an.
Stimmt, rosa und weich. Waren nicht alle Katzenpfoten so?
Doch bevor sie fragen konnte, fuhr Petro schon fort:
„Deine Träume zeigen Dir das, was Du vermisst. Wünschst Du Dir nicht Freunde, mit denen Du reden, spielen und kuscheln kannst? Sorg dafür, dass Deine Träume wahr werden! Und finde heraus, warum Du auf dieser Welt bist!“
Lisa war lange still und dachte über seine Worte nach. Sie sollte herausfinden, warum sie auf dieser Welt war? Zum Essen und Schlafen. Wozu denn sonst? Was meinte er nur?
Und Freunde? Wo sollte sie denn Freunde finden? Katrin, ja die war ihre Freundin gewesen, aber das war schon lange her. Jetzt war sie nur noch ein Mensch, der ihr das Essen brachte.
„Petro, darf ich Dich etwas fragen?“
„Tust Du das nicht schon die ganze Zeit?“ Sein Grinsen war unwiderstehlich und brachte Lisa gehörig durcheinander.
Doch sie nahm ihren ganzen Mut zusammen.
„Petro, Du bist die erste Katze … äh … ich meine … Kater“, korrigierte sie sich, als sie sein Stirnrunzeln sah, „der mir begegnet ist … äh …“, druckste sie herum.
„Ja und?“, unterbrach sie Petro ungeduldig. Erst fragte diese Katze ihm ein Loch in den Bauch, und nun stammelte sie wie ein Kätzchen, das nicht bis drei zählen konnte.
Lisa nahm ihren ganzen Mut zusammen: „Petro, willst Du bitte mein Freund sein?“
Der Kater sah die Angst vor einer Zurückweisung in ihren Augen. Er hatte keine Ahnung, wie er diesem Wunsch gerecht werden sollte, immerhin befand er sich nur auf der Durchreise. Selbst, dass er in diesem Garten gelandet war, war eine Verkettung von ungewöhnlichen Umständen, die er früher schlichtweg als Zufall bezeichnet hätte. Aber was wusste er schon von dem Grund, warum er dieser kleinen Katze begegnen musste? Er brauchte sie ja nur anzusehen und fühlte sich wie magisch zu ihr hingezogen. Und wie hätte er ihr bei einem Blick aus diesen unglaublich blauen Augen einen Wunsch abschlagen können?
Also gab es sich einen Ruck. „Ja, Lisa, ab heute bin ich Dein Freund!“
Lisas Augen leuchteten vor Freude und wurden noch blauer.
Sie hatte einen Freund, einen richtigen Freund! Endlich!
„Darf ich Dich auch etwas fragen, Lisa?“
„Ja! Ich bin natürlich jetzt auch Deine Freundin.“ Lisa strahlte noch mehr.
„Nein, das habe ich nicht gemeint. Wobei, es ist natürlich toll, Dich als Freundin zu haben!“, beeilte er sich, ihr zu versichern. Petro tat diese kleine einsame Katze unsagbar leid, und um nichts in der Welt wollte er, ihr neuer Freund, sie verletzen.
„Ich wollte Dich fragen … was ich nicht verstehe, Lisa … warum warst Du noch nie hier unten im Garten? Dein Fenster ist offen, und es sind doch nur ein paar Meter. Es ist doch nur ein kleiner Sprung in die Freiheit?“
Lisa setzte eine wichtige Miene auf.
„Nein, Petro, ich kann nicht in den Garten. Das ist doch viel zu gefährlich!“ Während sie sprach, wunderte sie sich über die Unwissenheit des Katers. Da kannte er angeblich die große Welt und wusste nicht, wie gefährlich es dort draußen war. Bloß gut, dass Katrin sie gewarnt hatte.
„Ach so. Ach ja.“ Petro nickte. Was hatten sie nur mit dieser kleinen Katze angestellt? Sie saß am offenen Fenster und war doch gefangen, wie in einem Käfig. Dabei stand ihr die ganze Welt offen. Sie musste nur wollen. Aber sie wusste ja nicht einmal, was sie verpasste. Armes Ding! Sie brauchte ganz dringend einen Freund. Und es war bestimmt kein Zufall, dass gerade er des Wegs gekommen war.
Die Worte des Katers klangen in Lisa nach. Ein Sprung in die Freiheit?
„Petro, was ist denn die Freiheit?“
Der Kater seufzte. Zumindest stellte sie Fragen, und davon jede Menge. Das war immerhin ein Anfang.
„Lisa, das erkläre ich Dir ein anderes Mal, für heute muss ich gehen.“
Lisa fühlte Panik in sich aufsteigen. Jetzt hatte sie endlich einen Freund gefunden, und nun wollte er sie schon wieder verlassen.
Petro sah ihr verzweifeltes Gesicht. „Ich komme bald wieder. Versprochen!“
„Wirklich?“, fragte Lisa zweifelnd. Katrin war ja auch einfach gegangen, und kam kaum noch nach Hause.
Vielleicht war es bei ihm ganz ähnlich. Erst tat er so, als würde er sie gut leiden können, beantwortete ihre Fragen und redete mit ihr, dann blieb er auch einfach weg.
„Ja, wirklich. Ich bin doch jetzt Dein Freund. Schon vergessen?“ Da war sein Grinsen wieder.
„Bis bald, meine neue Freundin. Bis bald!“, und schon verschwand er in der Hecke, die ihre Welt umgab.
Noch lange saß Lisa am Fenster und starrte auf die Stelle, an der ihr neuer Freund verschwunden war.
Selbst als Katrin nach Hause kam und ihr das Abendessen hinstellte, verließ sie ihren Platz am Fenster nicht.
Ihre Besitzerin wunderte sich über Lisas Verhalten. Sie ging zu ihr, um das Fenster zu schließen, und kraulte die kleine Katze dann ein wenig am Hals. Für einen Augenblick war es fast wieder wie früher, aber es dauerte nicht lange, dann war Katrin mit ihren Gedanken schon wieder ganz woanders.
Eilig suchte sie ein paar Sachen in der Wohnung zusammen und nur ein paar Minuten später fiel die Tür hinter ihr ins Schloss.
Dieses Mal war es Lisa zum ersten Mal gleichgültig, dass sie allein zurückblieb. Sie konnte nur an eines denken: Sie hatte einen Freund, einen richtigen Freund! Und er hatte versprochen, dass er wiederkommen würde.
Glücklich schlief sie ein und sah im Traum Petros grinsendes Gesicht.
Bereits im Morgengrauen war die kleine Katze wieder wach und wartete sehnsüchtig auf Katrin, damit diese ihr das Fenster öffnete. Zum Glück war wenigstens in diesem Punkt noch auf sie Verlass, und so saß Lisa bald darauf auf ihrem Lieblingsplatz und schaute erwartungsvoll in den Garten.
Die Stunden vergingen, und die Sonne strahlte immer intensiver. Doch so warm es auch war, Lisa verließ ihren Platz nur, um schnell etwas zu essen oder ihrer Katzentoilette nach zu gehen. Viel zu groß war ihre Angst, Petro zu verpassen. Vielleicht würde er dann nie mehr wiederkommen?
Der Tag zog sich schier endlos hin. Lisa wartete und wartete, erst voller Hoffnung und Freude, dann mit immer mehr Angst und Zweifel.
Als die Sonne hinter der Gartenhecke verschwunden war und die Schatten länger wurden, war sie völlig verzweifelt.
„Petro, wo bist Du denn?“, murmelte sie traurig vor sich hin. Warum wurde sie nur von allen, die sie gerne mochte, allein gelassen? Erst Katrin, jetzt Petro. Was machte sie bloß verkehrt?
„Pst“, hörte sie in diesem Moment und schreckte aus ihren trüben Gedanken. „Na, hast Du mich schon vergessen?“
„Petro, lieber Petro, endlich bist Du da! Ich dachte schon, Du kommst nicht mehr!“, jubelte sie ihm entgegen.
In diesem Moment wusste Petro, dass er sich richtig entschieden hatte. Eigentlich war er heute Morgen schon auf dem Weg in Richtung Norden gewesen. Doch der Gedanke an Lisa ließ ihn nicht los. Er bekam einfach ihr Bild nicht aus seinem Kopf, wie sie da am Fenster gesessen und ihn so voll Vertrauen angesehen hatte.
Wahrscheinlich würde sie den ganzen Tag auf ihn warten und den nächsten und übernächsten auch. Durfte er sie da enttäuschen?
Andererseits wusste er aber auch, dass er es nie lange an einer Stelle aushielt. Er war auf dem Weg ans Meer. Das war sein Traum, und er schuldete seinem Traum noch Leben.
So fühlte Petro sich den ganzen Tag hin und her gerissen. Er lief einige Kilometer, kehrte um, grübelte, machte sich wieder auf den Weg und landete dann schließlich doch hier in Lisas Garten.
Als er jetzt ihre grenzenlose Freude sah, wusste er, dass er richtig gehandelt hatte. Immerhin hatte er ihr versprochen, wiederzukommen, und das Meer würde auch noch ein paar Tage auf ihn warten.
Aber er musste Lisa unbedingt sagen, dass er nicht mehr lange bleiben konnte. Denn im Gegensatz zu ihrer Welt war seine nicht gefährlich, sondern voller Abenteuer. Und die galt es zu entdecken!
„Hallo, liebe Lisa. Hast Du einen schönen Tag gehabt?“
Lisa nickte. Sollte sie ihm etwa verraten, dass sie die ganze Zeit nur auf ihn gewartet hatte? Sein Blick sagte ihr, dass er es sowieso wusste.
„Und Du, wie ist es Dir ergangen?“, fragte sie stattdessen zurück.
Petro räusperte sich. Auch er konnte und wollte ihr nicht die Wahrheit sagen, denn dann hätte er zugeben müssen, dass er eigentlich schon auf dem Weg Richtung Meer gewesen war.
Aber was spielte die Vergangenheit schon für eine Rolle, er war hier, und nur das zählte.
„Ich hatte auch einen schönen Tag, bin hier und da herumgestreift.“
Lisa wollte ihn gerade fragen, warum er dann so spät kam, da ging die Wohnungstür auf, und Katrin stürmte herein.
Die kleine Katze schaute verblüfft, hatte sie doch nicht einmal den Schlüssel in der Tür gehört.
„Na, meine Kleine, wie geht’s Dir?“ Katrin kam auf Lisa zu und hob sie mit einer Hand von der Fensterbank, während sie mit der anderen das Fenster schloss. Lisa versuchte, sich loszumachen, doch Katrin lachte nur, hielt sie fest und trug sie in die Küche.
„Was hast Du denn? Komm, ich mache uns Abendessen.
Heute habe ich mehr Zeit für Dich. Ich bleibe die ganze Nacht hier.“
Weil Lisa sie gestern Abend kaum beachtete, hatte Katrin sich Sorgen gemacht. Jetzt knuddelte sie gut gelaunt ihre kleine Katze und bemerkte gar nicht, wie verzweifelt diese war.
Widerwillig fügte Lisa sich in ihr Schicksal. Sicher war es schön, dass sich Katrin endlich wieder Zeit für sie nahm.
Aber was war mit Petro? Sie hatte ja nicht einmal mehr die Möglichkeit gehabt, sich von ihm zu verabschieden.
Als Katrin später die Küche aufräumte, gelang es Lisa, unbemerkt zum Fenster zu laufen. Doch draußen war es bereits dunkel und von Petro nichts mehr zu sehen. Ob er wohl morgen wiederkommen würde?
In dieser Nacht schlief Lisa unruhig. Wieder träumte sie von Petro. Er winkte ihr zu, bevor er verschwand. Und so sehr sie auch nach ihm rief, er kam nicht zurück. Mit klopfenden Herzen wachte die kleine Katze auf.
Auch Katrin war schon auf den Beinen. Gleich nach dem gemeinsamen Frühstück rannte Lisa zum Fenster und wartete ungeduldig, dass Katrin es ihr wieder öffnete.
Glücklicherweise versprach es erneut ein heißer Tag zu werden, so dass ihre Besitzerin für Abkühlung sorgte, bevor sie die Wohnung verließ.
Kaum war Katrin aus dem Haus getreten, verließ Petro seinen Beobachtungsposten und rannte auf die Wiese vorm Fenster. Das war ja gestern gehörig daneben gegangen. Und dabei wollte er Lisa über die Freiheit erzählen und über seinen Traum vom Meer. Doch das würde er heute nachholen.
Als er auf der Wiese ankam, hörte er schon ihr freudiges Mauzen. Lisa konnte ihr Glück kaum fassen, gerade erst hatte sie ihren Platz eingenommen, da war er schon da – ihr Freund!
„Guten Morgen, Petro!“, rief sie ihm entgegen.
„Guten Morgen, Lisa!“, antwortete er lachend und merkte, wie sehr er sich freute, sie zu sehen. Diese kleine Katze war ihm bereits richtig ans Herz gewachsen. Das war ihm gestern Abend bewusst geworden, als sich plötzlich das Fenster schloss und er nicht mal mehr Abschied nehmen konnte.
Aber so gut ihm diese neue Freundschaft auch tat, so sehr ängstigte sie ihn auch. Er war doch immer so stolz auf seine Unabhängigkeit und Freiheit gewesen. Und jetzt!? Da wartete er doch tatsächlich die ganze Nacht in diesem Garten, nur um die kleine Katze wiederzusehen, die in ihrer Wohnung saß wie in einem Gefängnis.
„Petro?“ Lisa konnte es kaum abwarten, all ihre Fragen loszuwerden.
„Ja?“
„Zeigen uns unsere Träume auch, was passieren wird?“
Ängstlich klang die Stimme der kleinen Katze, und Petro wunderte sich.
Am liebsten hätte Lisa ihm gleich erzählt, dass sie von ihm und seinem Verschwinden geträumt hatte, aber sie wagte es nicht.
„So kann man das nicht unbedingt sagen, Lisa. Es heißt noch lange nicht, dass all das geschieht, was Du träumst. Die meisten Träume helfen uns, unsere Erlebnisse zu verarbeiten. Unsere Ängste, unsere Wünsche und Vergangenes, all das kann quer durcheinandergehen und dabei ziemlich wirres Zeug herauskommen. Nicht alle unsere Träume sind leicht zu verstehen.“
„Aha!“ Lisa war erleichtert. Dann war es wohl nur ihre Angst gewesen, Petro wieder zu verlieren, die ihr diesen Traum geschickt hatte.
„Wie ich Dir aber schon gesagt habe, gibt es auch Träume, die uns zeigen, was uns wirklich glücklich macht. Auf solche Träume musst Du gut achten, Lisa.“
„Und was macht Dich glücklich, Petro? Wovon träumst Du?“
Puh, das ging ja wieder gut los. Die kleine Katze verschwendete wahrlich keine Zeit mit Small talk.
„Ich träume davon, endlich das Meer zu sehen“, antwortete Petro nachdenklich, „aber ob es mich wirklich glücklich macht, wird sich erst zeigen, wenn ich dort bin.“
„Du träumst von etwas und weißt nicht, ob es Dich glücklich macht? Und was ist das überhaupt, dieses Meer?“
„Eine Frage, nach der anderen, ja!? Ich weiß nicht, ob es mich glücklich macht, aber ich werde es nur erfahren, wenn ich es ausprobiere. Das ist immer so. Wir müssen etwas versuchen, lernen dabei, und manches Mal gehen wir einen Schritt vor und zwei Schritte zurück, um letztlich dort hinzukommen, wohin wir wollen. Nur aus Erfahrungen werden wir klug. Der Sinn des Lebens ist es, es zu leben, weißt Du?“
Das wusste Lisa nicht und verstand auch nicht wirklich, was er damit meinte. Aber es schien ihm sehr ernst mit dem Gesagten.
Vielleicht konnte er wenigstens die nächste Frage so beantworten, dass auch sie es begriff. Die kleine Katze kam sich in diesem Moment wieder sehr unwissend vor. Doch sie beschloss, sich nicht entmutigen zu lassen. Sie würde ganz viel lernen und irgendwann ein bisschen so werden, wie dieser kluge Kater in ihrem Garten.
„Und was ist nun das Meer?“
„Das Meer ist ein riesiges Wasser, so groß und weit, wie Du sehen kannst. Zumindest hat mir das mein Großvater erzählt, und mein Freund, der rote Milan, hat es mir bestätigt.“
Lisa spürte einen Stich. Petro hatte noch andere Freunde, außer ihr?
„Hast Du viele Freunde?“
„Ja, einige. Aber schau doch nicht so traurig. Es ist doch schön, viele Freunde zu haben. Wobei, man muss da wohl zwischen Freunden und Bekannten unterscheiden. Richtige Freunde hat man meistens nur ein paar, aber auf die kann man sich auch bedingungslos verlassen. Der rote Milan ist so ein Freund. Er hat mir mal das Leben gerettet.“
Lisa schwieg ehrfürchtig. Ein Freund, der ihm das Leben rettete, da konnte sie nicht mithalten.
„Dann bin ich wohl nur eine Bekannte für Dich“, murmelte sie leise, doch Petro hatte sie trotzdem gehört.
„Nein Lisa, Du bist meine Freundin, schon vergessen? Ich glaube, wir beide werden sogar so richtig gute Freunde!“
Lisas Augen leuchteten vor Freude. „Meinst Du wirklich?“
„Natürlich meine ich das, wäre ich sonst noch hier?“ Ein bisschen hatte der Kater schon Bauchschmerzen bei dem, was er da sagte. Wollte er nicht schon lange wieder auf dem Weg sein? Doch es machte ihm auch so viel Freude, mit der kleinen Katze zu plaudern, und die Zeit verging dabei wie im Fluge. Irgendwie schien es ihm, als würden sie beide sich schon lange kennen.
„Petro, wenn wir so richtig gute Freunde sind, dann kannst Du mir doch ganz viel beibringen, ja? Ich habe so viele Fragen. Weißt Du denn auf alles eine Antwort?“
„Nein, Lisa, nicht auf alles. Lange nicht. Weißt Du, es war schon immer leichter, Fragen zu stellen, als Antworten zu finden. So ist das Leben. Aber unsere Neugier sorgt dafür, dass wir ständig dazulernen. Und irgendwann unser Glück finden!“, fügte er mit Nachdruck hinzu.
Einen Moment war es still zwischen ihnen. Lisa dachte über das Gehörte nach und Petro über Lisa.
„Bist Du glücklich, kleine Katze?“, fragte er sie dann unvermittelt und schaute sie aus seinen grünen Augen eindringlich an.
Lisa überlegte. War sie glücklich?
„Ich habe genug zu essen und ein schönes Zuhause. Und manchmal kommt auch Katrin, meine Besitzerin. Ist das glücklich sein?“
„Diese Frage kann ich Dir nicht beantworten, das kannst nur Du allein. Glück ist für jeden etwas anderes. Es hat nicht unbedingt mit den äußeren Umständen zu tun, in denen wir leben. Es hängt viel mehr von Deiner Einstellung ab. Wenn man zum Augenblick sagt: ‚Verweile doch! Du bist so schön.‘ Ich glaube, das ist Glück.“
„Ich verstehe nicht“, Lisa schüttelte verwirrt den Kopf. Wie sollte sie denn wissen, ob sie glücklich war, wenn sie nicht einmal wusste, was es war, dieses Glück?
„Ich kann es Dir leider nicht besser erklären. Ich bin kein Philosoph, nur ein einfacher Kater. Doch eins kann ich Dir versprechen, Du wirst es spüren, wenn Du glücklich bist. Ganz sicher!“
Lisa hatte zwar keine Ahnung, was ein Philosoph war, doch sie traute sich nicht, schon wieder zu fragen. Petro wusste so viel, war schon so weit in der Welt herumgekommen und sollte sie nicht für eine kleine, dumme Katze halten. Ach, sie musste noch so viel lernen!
Aber eins wusste sie und das musste sie unbedingt loswerden.
„Petro, Du bist kein einfacher Kater, Du bist etwas ganz Besonderes!“, rief sie begeistert und strahlte ihn an. Sie hatte es gewagt, sie hatte es ihm gesagt!
Petro räusperte sich und grinste. „Danke, aber wie viele Kater kennst Du eigentlich?“
„Nur Dich“, gestand Lisa und schämte sich ein bisschen für ihre Begeisterung. Dabei hatte sie Petro doch nur eine Freude machen wollen. Aber der Kater stand wohl nicht so sehr auf Komplimente.
Petro sah ihr betretenes Gesicht und schon tat ihm seine spöttische Bemerkung leid.
„Lisa, soll ich Dir ein Geheimnis verraten?“
„Oh, ja!“ Lisa bekam kullerrunde Augen vor Aufregung. Welche Katze wäre wohl nicht darauf versessen gewesen, ein Geheimnis zu erfahren?
„Gut, dann verrate ich es Dir. Versprich mir, dass Du es nie, wirklich nie, vergisst. Auch dann nicht, wenn ich nicht mehr hier sein werde.“
Lisa spürte beim Gedanken, Petro zu verlieren, einen dicken Kloß im Hals und ihr Magen krampfte sich zusammen. Doch tapfer nickte sie.
„Und ich werde es auch ganz sicher nicht weitersagen.“
Petro schüttelte den Kopf. „Nein, Lisa, das ist ein Geheimnis, das musst Du sogar weitersagen! Unbedingt!“
Wieder spürte Lisa den Kloß im Hals. Zu allem Überfluss stiegen ihr auch noch Tränen in die Augen. Sie hatte doch niemanden, wem sollte sie denn von diesem Geheimnis erzählen?
In diesem Moment fiel auch Petro auf, was er da von Lisa verlangt hatte. Die kleine Katze saß ja ganz allein in dieser Wohnung, wem sollte sie denn von seinen ‚Weisheiten’ berichten? Aber er konnte doch unmöglich den Rest seines Lebens in diesem Garten verbringen, nur weil die kleine Katze so alleine war?
Also lenkte er sie und sich selbst rasch ab, indem er fortfuhr:
„Das Geheimnis ist so alt wie die Welt selbst, nur leider haben es die meisten Tiere und Menschen inzwischen vergessen. Dabei ist es wichtig, dass jedes Wesen auf dieser Welt sich daran erinnert!
Das Geheimnis ist, dass jeder von uns, Du, ich, jede Katze, jeder Kater, jeder Mensch – ja, auch die Menschen – jedes Tier und jede Pflanze, etwas ganz Besonderes ist! Jeder!
Ich bin ein besonderer Kater“, und hier grinste Petro wieder auf seine unvergleichliche Art, „wie Du es eben so schön gesagt hast. Aber jeder Kater ist etwas Besonderes. Jeder ist einmalig, auf seine ganz spezielle Art. So ist auch jede Katze einzigartig! Und Du bist auch eine solche besondere Katze, einmalig auf dieser Welt und durch niemanden zu ersetzen. Du bist genau richtig so, wie Du bist. Ein Original! Oder mit anderen Worten: Wenn es Dich nicht gäbe, müsste man Dich erfinden!
Petros Grinsen zog sich von einem Ohr zum anderen, doch seine Augen blickten ernst. „Hast Du das verstanden, kleine Katze?“
Lisa spürte, wie wichtig es ihrem Freund war, doch sie starrte ihn fassungslos an.
„Jede Katze? Ich auch?“ Sie schüttelte völlig ungläubig den Kopf. „Du meinst wirklich, ich wäre etwas Besonderes? Ich? Aber ich fresse doch viel zu viel, ich schlafe den ganzen Tag oder hänge nur so rum. Überhaupt, wer bin ich denn? Ich kann doch nichts. Du bist viel klüger als ich!“, kam es fast trotzig von ihr. Petro hatte sich wohl einen Scherz erlaubt und fast wäre sie darauf hereingefallen.
„Lisa, ich kann Dir zwar nicht erklären, was das Glück ist, das musst Du schon selbst erleben, doch ich kann Dir den schnellsten Weg sagen, um unglücklich zu sein. Nämlich, indem Du Dich mit anderen vergleichst. Es wird immer jemanden geben, der Dir klüger erscheint oder der Dir schöner vorkommt. Vielleicht hat eine andere Katze auch ein tolleres Zuhause oder Du hältst sie für perfekt, weil sie sich besser benimmt oder, oder, oder. Doch beneide sie nicht!
Ein altes Sprichwort sagt: ‚Urteile nie über einen anderen, bevor Du nicht einen Tag auf seinen Spuren gewandelt bist.‘ Was uns bei anderen so erstrebenswert erscheint, ist es auf den zweiten Blick oft nicht. Es ist nur unser Bild, das wir von einem anderen haben, ebenso wie der andere ein Bild von uns hat. Wer weiß, vielleicht beneidet Dich jemand um Dein glänzendes graues Fell oder Deine wunderschönen blauen Augen. Verstehst Du?“
Lisa nickte eifrig, wobei besonders die letzten Worte in ihr nachklangen.
„Habe ich wirklich wunderschöne blaue Augen?“, fragte sie eitel.
Petro nickte. „Ja, wunderschön und so tief wie das Meer. Ich habe Dir doch gerade gesagt, dass Du perfekt bist, so wie Du bist. Fange an, Dich zu mögen, und Du findest Deinen Weg zum Glück, oder besser gesagt, das Glück findet Dich.“
„Hat das Glück denn Dich schon gefunden?“
„Ja! Wobei …“, überlegte er, „das Glück ist kein konstanter Zustand. Die meiste Zeit bin ich zufrieden mit meinem Leben. Auch wenn ich manchen Tag mal nicht genug zu essen habe. Aber dann sind da auch die Momente, da könnte ich überschäumen vor Glück und die ganze Welt umarmen!
„Aber wie kannst Du glücklich sein, wenn Du Hunger hast?“
„Lisa, ich verhungere schon nicht. Ich vertraue dem Leben. Irgendetwas findet sich immer. Ich bin glücklich, weil ich frei bin. Freiheit heißt, eine Wahl zu haben. Ich kann meine Wahl treffen, in diesem und in jedem anderen Moment. Ich kann entscheiden, wie ich mein Leben gestalte. Und selbst wenn ich mal in Situationen gerate, in denen es mir vorkommt, als könnte ich nicht mehr frei wählen, habe ich immer noch die Entscheidung darüber, wie ich die Welt in diesem Moment sehe.
Ich kann mich ausgeliefert fühlen oder mich fragen, was es an dieser Situation für mich zu lernen gibt. Ich kann mich an dieser zauberhaften Welt erfreuen oder grübeln, was mir morgen vielleicht Schlimmes passieren könnte. Aber wenn es mir erst morgen geschieht, ist ja immer noch genug Zeit, um mich damit zu beschäftigen. Außerdem werden die meisten Dinge, vor denen wir Angst haben, wahrscheinlich nie passieren. Das ist ja das Verrückte! Wir machen uns mit unseren Grübeleien die schönsten Stunden kaputt, und das meistens völlig unnötig.
Genieße lieber den Moment! Das ist einer der Schlüssel zum Glück. Es liegt also alles an Dir.“
„An mir?“, flüsterte Lisa verwirrt.
„Ja!“, rief Petro. „Du kannst Probleme als etwas Negatives sehen und Dich darüber ärgern. Bloß wird dieses Verhalten Dein Problem nicht kleiner machen. Je mehr Du Dich ärgerst, je größer wird es Dir sogar erscheinen. Du kannst Probleme aber auch als Herausforderungen annehmen. Du wirst sehen, dass Du dann viel schneller auf Lösungen kommst. Es ist allein Deine Wahl!“
Der Kater holte tief Luft. Jetzt war wirklich die Begeisterung mit ihm durchgegangen. Doch so gern wollte er die kleine Katze wenigstens ein bisschen an seiner Sicht der Welt teilhaben lassen. Aber das war nun eindeutig zu viel auf einmal gewesen, wie ihm Lisas verstörter Blick bestätigte.
„Dann hast Du heute auch eine Wahl getroffen?“, fragte sie ganz zaghaft.
„Ja, Lisa, ich habe heute die Wahl getroffen, diesen Tag mit Dir zu verbringen und zu plaudern. Siehst Du, auch das schaffst Du! Du bekommst tatsächlich einen Abenteuerkater wie mich dazu, den ganzen Tag in diesem Garten zu hocken. Das soll Dir erst einmal jemand nachmachen, kleine Katze. Aber jetzt muss ich gehen.“
Mit diesem Satz verabschiedete sich Petro abrupt, bevor Lisa die nächste Frage stellen konnte. Er brauchte dringend etwas Abstand. Diese kleine Katze brachte ihn nun schon seit Tagen dazu, in diesem langweiligen Garten zu kampieren. Und ihre Augen waren wirklich viel zu blau, blauer als es je ein Meer würde sein können. Petro hatte plötzlich riesige Angst, in diesen Augen zu versinken, und dabei seine eigenen Träume zu vergessen. Das durfte ihm nicht passieren, denn es würde der Tag kommen, an dem er es bereute.
Die kleine Katze blieb wieder einmal mit ihren vielen Gedanken und Fragen allein zurück. Würde Petro morgen wiederkommen? Oder würde er sie alleine lassen und das Meer suchen gehen?
Doch wo es ein „entweder oder“ gibt, kann es auch ein „sowohl als auch“ geben. Eine Wahl zu treffen, ist immer der erste Schritt auf dem eigenen Weg in die Freiheit, auch wenn Lisa an diesem Abend von all dem noch nicht die geringste Ahnung hatte.
Langsam wurde es hell im kleinen Garten. Wieder waren ein Tag und eine Nacht vergangen, und Petro saß immer noch hier. Das ging nun schon seit über einer Woche so. Fast schien es ihm, als hätte sich ein unsichtbares Band um seinen Hals gelegt, das ihn auf dem kleinen Stück Erde gefangen hielt.
Bei diesem Gedanken schauderte es den Kater. Es wurde Zeit, dass er weiterzog, auch wenn das hieß, die kleine Katze zurückzulassen. Die letzten Tage mit ihr waren wunderschön gewesen. Die langen Gespräche und ihr Interesse an allem, was er ihr erzählte, taten dem Kater gut. Er war wohl schon zu lange allein durch die Lande gezogen.
Doch trotzdem bohrte das Fernweh nach wie vor in ihm, und seit der letzten Nacht war es wieder stärker geworden. Er hatte geträumt, sah sich auf einem Schiff, spürte den Duft fremder Länder und den Wind des Meeres. Petros Großvater war ein echter Seefahrer-Kater gewesen, der aus dem fernen Spanien stammte. Als er eines Tages an Land ging und Petros Großmutter kennenlernte, war es um ihn geschehen, und er war sesshaft geworden. Doch bei jeder sich bietenden Gelegenheit hatte er seinen Kindern und Enkelkindern vom Meer und der großen weiten Welt erzählt. Geschichten, die Petro nie vergessen hatte. Sie lebten in ihm weiter und erhielten Nahrung durch seine eigene Fantasie. So wurde sein Wunsch immer größer, selbst einmal das Meer zu sehen. Und vielleicht ja sogar die große, weite Welt.
Auch Petros Vater hatte als junger Kater davon geträumt, in die Welt hinauszufahren. Doch schon früh hatte er Saskia, Petros Mutter, kennengelernt und sich dafür entschieden, Familienkater zu werden. Er hatte es zeit seines Lebens nicht bereut, auch wenn ein Fünkchen Fernweh immer geblieben war. Mit Saskia, seiner Frau, hatte er eine verständnisvolle Partnerin gefunden, die seine leise, von Zeit zu Zeit aufkeimende Sehnsucht, gut verstand. Denn ihre Ahnen stammten aus dem fernen Ägypten, einem Land, in dem die Katzen früher sehr verehrt worden waren. Ganz heimlich hatte sie immer gehofft, eines Tages selbst das Land ihrer Vorfahren zu besuchen. Aber das Leben hatte es anders gewollt, und Saskia ging ganz in ihrem Familienleben auf.
Petro war glücklich über die Entscheidung der beiden. Sie hatten sich füreinander und damit für ihre Familie entschieden. Wer weiß, ob es ihn sonst je gegeben und er eine solch behütete Kindheit gehabt hätte.
Vielleicht würde er sich auch eines Tages, wenn er der richtigen Katze begegnete, für eine Familie entscheiden, überlegte Petro. Aber momentan konnte er sich das nicht vorstellen. Seine Vorfahren hatten ihm ihre Sehnsucht nach der großen, geheimnisvollen Welt mit auf den Weg gegeben, und er konnte diese förmlich in jeder Faser seines Körpers und seiner Seele spüren.
Seine Mutter hatte einmal, als er noch ein kleiner Kater gewesen war, zu ihm gesagt:
„Mein Petro, vergiss nie Deine Träume, egal wie alt Du eines Tages auch bist. Wenn Du keine Träume mehr hast, wirst Du zwar weiter auf dieser Welt sein, aber Du wirst aufhören, wirklich zu leben.“
Damals hatte er diese Worte noch nicht wirklich verstehen können, doch heute wusste er nur zu gut, was sie gemeint hatte. Aber neugierig, wie er schon als Kind gewesen war, hatte er sie zurückgefragt: „Mama, hast Du auch noch Träume?“
Ihr Lächeln und ihre Antwort waren ihm so deutlich im Gedächtnis geblieben, als wäre es gestern gewesen:
„Ja, mein kleiner Kater, ich habe Träume. Mehr als mir das Leben je nehmen könnte.“ Und nach einer kleinen Pause hatte sie hinzugefügt: „Petro, denke aber auch immer daran, dass Du etwas für Deine Träume tun musst, damit sie Wirklichkeit werden können.“
Verliebt hatte sie dann zu ihrem Mann hinübergeschaut. Und Petros Vater hatte zustimmend gemeint:
„Ja, mein Sohn, nur Du kannst Deine Träume leben, niemand sonst!“
Auch wenn ihm damals der Sinn des Gesagten noch verschlossen geblieben war, niemals hatte er diese Worte vergessen. Wie froh war er doch über seine klugen und liebevollen Eltern, die ihm die wichtigsten Dinge des Lebens mit auf den Weg gegeben hatten. Selbst wenn es Jahre dauerte, bis diese Samenkörner des Wissens aufgegangen waren, so war er ihnen doch mehr als dankbar dafür.
Nun war es an ihm, seinen Träumen Taten folgen zu lassen, denn wenn er noch länger in diesem Garten blieb, würde er förmlich verdorren.
Heute, genau heute, würde er der kleinen Katze Lebewohl sagen und sich wieder auf seinen Weg machen. Sie würde, nein, sie musste es einfach verstehen!
Er seufzte bei diesem Gedanken. Was sollte dann aber nur aus ihr werden? Sie würde wieder Tag für Tag trübselig am Fenster hocken und hoffen, dass irgendjemand kam, der mit ihr redete. Doch wer sollte das sein, wenn er nicht mehr hier war?
Petro schüttelte den Kopf. Er musste aufhören, sich zu quälen und verantwortlich zu fühlen. Es war nicht seine Schuld, dass die kleine Katze so lebte. Eigentlich war es niemanden schuld, auch wenn Lisa immer enttäuscht von ihrer Besitzerin sprach und diese für ihr Alleinsein verantwortlich machte. Doch ebenso wenig, wie ein Wesen ein anderes wirklich besitzen konnte, war ein anderer für das verantwortlich, was einem widerfuhr. Jedes Wesen trug für sich selbst und sein Leben die Verantwortung und traf seine eigenen Entscheidungen. So auch die, was es mit sich machen ließ und was nicht.
Und wenn die kleine Katze nicht weiter so leben wollte wie bisher, konnte nur sie allein etwas verändern. Auch wenn er im Moment keine Ahnung hatte, was das sein sollte. Doch es gab für alles eine Lösung, so ausweglos es auch zu sein schien. Das hatte er im Laufe seines abenteuerlichen Lebens gelernt.
So lange schon streifte er durch die Lande. Das Meer hatte er bisher zwar noch nicht gefunden, aber was hatte er nicht alles erlebt. Stunden hätte er der kleinen Katze davon erzählen und so ihre Tage bereichern können. Nur – konnte das wirklich sein Ziel sein? In einem winzigen Garten sitzen und in der Vergangenheit schwelgen?
Nein! Entschlossen setzte Petro sich auf. Dafür war er viel zu jung. „Träume nicht Dein Leben, lebe Deine Träume!“, hatte auch Großvater immer gesagt. Und genau damit würde er sofort jetzt anfangen!
Petro krabbelte durch das Gebüsch und lief auf die Wiese. Dort setzte er sich genau unter das Fenster der kleinen Katze. Als hätte Lisa nur darauf gewartet, dass er auftauchte, sprang sie genau in diesem Moment auf das Fensterbrett.
„Petro, Du bist ja schon da!“, mauzte sie.
„Guten Morgen, Lisa“, antwortete er zurückhaltend und spürte, wie sein Herz bei ihrem Anblick schneller schlug. Er musste es ihr heute sagen, ja, er musste!