Das Faustpfand - Howard Duff - E-Book

Das Faustpfand E-Book

Howard Duff

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Beschreibung

Nun gibt es eine exklusive Sonderausgabe – Die großen Western Classic Diese Reihe präsentiert den perfekten Westernmix! Vom Bau der Eisenbahn über Siedlertrecks, die aufbrechen, um das Land für sich zu erobern, bis zu Revolverduellen - hier findet jeder Westernfan die richtige Mischung. Lust auf Prärieluft? Dann laden Sie noch heute die neueste Story herunter (und es kann losgehen). Dieser Traditionstitel ist bis heute die "Heimat" erfolgreicher Westernautoren wie G.F. Barner, H.C. Nagel, U.H. Wilken, R.S. Stone und viele mehr. Sie haben Dean gesehen und wissen es: Er wird kommen und es mitbringen. Ihre Pferde sind hundert Schritt weiter hinter den Felsen versteckt und haben sich sicher erholt. Larry Dannoc hebt im Mondlicht den Revolver an, eine vernickelte Waffe – das Geschenk eines Mannes, der damals nicht wissen konnte, wozu Larry Dannoc die Waffe eines Tages brauchen würde. Er konnte auch nicht ahnen, dass Larry Dannoc, einer der besten Zureiter, zu einem Banditen werden würde. »Was machst du?«, fragt Charles Dannoc heiser. Er nimmt die Zigarre beim Sprechen selten aus dem Mund. »Lass das doch. Wozu die Kanone? Es wird ohne sie gehen – jedenfalls ohne zu schießen.« »Kennst du Roy Dean?« »Ja – und?« »Er ist gefährlich, sonst hätten sie ihn nicht eingestellt, Bruder.« »Jeder Mann, der Geld transportiert, ist gefährlich, Larry. Ich will nicht, dass du schießt. Du ballerst ein wenig zu schnell, Bruder. In der letzten Zeit bist du verdammt leichtsinnig mit deinem Revolver geworden.« »Meinst du, Mateo hätte nicht geschossen?« »Nicht so schnell wie du«, antwortet Charles Dannoc düster.

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Die großen Western Classic – 64 –

Das Faustpfand

… gegen schmutziges Geld und ein Leben

Howard Duff

Sie haben Dean gesehen und wissen es: Er wird kommen und es mitbringen.

Ihre Pferde sind hundert Schritt weiter hinter den Felsen versteckt und haben sich sicher erholt.

Larry Dannoc hebt im Mondlicht den Revolver an, eine vernickelte Waffe – das Geschenk eines Mannes, der damals nicht wissen konnte, wozu Larry Dannoc die Waffe eines Tages brauchen würde. Er konnte auch nicht ahnen, dass Larry Dannoc, einer der besten Zureiter, zu einem Banditen werden würde.

»Was machst du?«, fragt Charles Dannoc heiser.

Er nimmt die Zigarre beim Sprechen selten aus dem Mund.

»Lass das doch. Wozu die Kanone? Es wird ohne sie gehen – jedenfalls ohne zu schießen.«

»Kennst du Roy Dean?«

»Ja – und?«

»Er ist gefährlich, sonst hätten sie ihn nicht eingestellt, Bruder.«

»Jeder Mann, der Geld transportiert, ist gefährlich, Larry. Ich will nicht, dass du schießt. Du ballerst ein wenig zu schnell, Bruder. In der letzten Zeit bist du verdammt leichtsinnig mit deinem Revolver geworden.«

»Meinst du, Mateo hätte nicht geschossen?«

»Nicht so schnell wie du«, antwortet Charles Dannoc düster. »Wegen eines Mädchens zu schießen und ihn dabei umzubringen … Larry, ich verstehe das nicht.«

»Warum wird er zudringlich, der Narr.«

Charles Dannoc schweigt, greift nach der Westentasche und zieht die Uhr heraus. Der Zeiger steht auf elf Uhr und zehn Minuten. Seitdem sie den Plan haben, sind sie achtmal hiergewesen, um es ganz genau zu wissen. Die Kutsche verspätet sich selten, sie kommt immer elf Uhr und fünfzehn Minuten. Manchmal wird es auch elf Uhr zwanzig, aber nie später.

»Wie lange noch, Charles?«

»Höchstens zehn Minuten.«

Er zieht an seiner Zigarre und denkt an Larrys schnelle Hand. Vielleicht hätte Larry niemals einen Mann erschießen dürfen. Der erste Mann, den er erschoss, war ein Viehdieb, der für Morgan ritt – Dexter John Morgan, Großrancher jenseits von Gila Bend in Arizona. Damals war Larry Cowboy, ein guter Zureiter, der Beste, sagte Morgan. Er schenkte ihm den Revolver, als er Fireball eingeritten hatte, den rostroten Wildhengst.

Keine vierzehn Tage später kamen Viehdiebe. Und der Revolver brachte den ersten Mann um. Oder Larry Dannoc?

»Was denkst du?«

»Nichts«, sagt Charles, der älteste Dannoc, ruhig. »Ich warte.«

Es war nur ein Viehdieb, denkt Charles Dannoc bitter, ein Rustler, aber ein Mensch. Und sicher war es Zufall, dass Larry ihn auf dreißig Schritt erwischte, aber von dem Tag an begann er auf den verdammten Revolver zu schwören. Und mit ihm zu üben. Sein ganzes Geld verpulverte er in Munition. Es hat Dexter Morgan nicht gefallen, vielleicht bereute er es damals schon. In jedem Fall hat er es bereut, als Big-Feet-Wallace in Gila Bend eins über den Durst getrunken hatte und anfing, Larry wegen des vernickelten Schießeisens zu hänseln. Hätte Big-Feet-Wallace besser bleiben lassen, wie? Er könnte noch leben und Larry weniger wild sein. Ich muss ihn immer wieder bremsen. Bin ich nicht da, dann geht er keinem Krach aus dem Weg.

»Du, Charlie, Dean kennt uns sicher, auch wenn wir die Socken tragen.«

»Deinen Revolver wird er erkennen.«

»Ehe ich mich von dem Revolver trenne, sterbe ich lieber, Großer.«

»Das Ding ist bekannt, Larry, zu bekannt, möchte ich sagen. Dean hat dich mit dem Revolver ein paarmal gesehen, deine Figur und der Revolver, sie werden es wissen und es überall herumschreiben – und reden, Larry.«

»Na, sollen sie. Was geht’s mich an, Bruder?«

»Geht dich schon was an«, murmelt Charles Dannoc. »Sie werden wieder zu Mutter gehen und sie fragen, ob sie was von uns gehört oder gesehen hätte. Sie werden sie und Frankie verhören – wie immer.«

»Hör auf, jeder weiß, dass wir nicht mehr nach Hause gehen. Mutter hat gesagt, dass wir …«

Plötzlich scheint er nicht mehr der alte Larry Dannoc zu sein, den alle Welt nur gut gelaunt und in prächtigen schwarzen Anzügen kennt. 

Zum schwar­zen Anzug gehört ein schwarzer Hut, ein weißes Hemd und eine sauber gebundene Schleife. Und der Revolver in einem schwarzen, mit Silbernägeln beschlagenen Halfter. An der linken Hand trägt Larry Dannoc einen Ring mit einem vierkarätigen Rubin. Er wird auch der Gentleman-Rustler genannt. Dabei schießt er schneller und besser, als jeder Gentleman es jemals könnte.

Sie schweigen jetzt beide. Es kommt Charles vor, als schlucke Larry neben ihm. Die Uhr, die Charles noch immer in der Hand hält, tickt monoton.

»Steck doch den Wecker ein!«, sagt Larry schließlich. »Ich – ich geh auch nie mehr nach Hause, Bruder.«

Einen Moment ist Charles noch still. Dann sagt er seltsam gepresst:

»Mach mir und dir nichts vor, Bruder. Wenn du könntest, dann würdest du hingehen, und wenn es barfuß wäre. Es hat keinen Sinn, wenn wir uns vormachen, dass es uns gleichgültig ist, ob wir eine Mutter haben oder nicht. Wir sind nun mal so geworden, aber Mutter hat es fast das Herz gebrochen, als sie uns hieß, wegzugehen und nie mehr nach Hause zu kommen, ich weiß es. So hart ist sie nicht. Sie hat es getan, weil – weil sie uns sonst längst erwischt hätten. Darum hat sie es gemacht. Geht weg, hat sie gesagt, ich habe keine Söhne mehr, Söhne, die auf friedliche Leute schießen, die kenne ich nicht mehr.«

»Schluss!«, sagt Larry keuchend. »Was wollen wir denn machen? Aufhören können wir nicht mehr – jetzt nicht mehr. Du hast ihr doch gesagt, dass sie das Hungerleben nicht mehr zu haben brauchte, hast du doch, Bruder. Aber sie will keinen Cent von dem Geld, das anderen gehört hat, ehe wir es …«

»Ich würd’s auch nicht nehmen an Mutters Stelle«, antwortet Charles Dannoc düster. »Wir haben es angefangen, und wir werden weitermachen, wenn Dean nicht genug Geld bei sich hat. Hat er genug, dann kaufen wir uns eine Hazienda da drüben. Dann werden wir leben wie normale Bürger. Aber bis heute hat noch nie einer genug gehabt. Was sind tausend Dollar, Larry? Davon kann man gerade leben, mehr nicht. So drei Monate.«

Larry lacht plötzlich. Anscheinend hat er seine Mutter schon wieder vergessen.

»Was gibt es zu lachen, he?«

»Ach, ich musste gerade denken, dass sie auf uns schon zweieinhalbtausend Böcke ausgesetzt haben«, kichert Larry. »Stell dir vor, wir könnten für uns selbst die Belohnung kassieren, wäre das nichts? Zweieinhalbtausend Dollar – ganz schön viel für die zwei Jahre, die wir ›tätig‹ sind, was?«

»Damit machst du Witze?«, fragt Charles Dannoc düster. »Du vergisst etwas dabei, Bruder: Tot oder lebendig steht auf den Steckbriefen. Sie würden uns nur tot bekommen, oder?«

»Klar doch. Ich würde mich um ein Grinsen bemühen, wenn …«

»Larry, kannst du nie ernst sein? Ist das ein Witz, he?«

»Kann ich nicht, das Leben ist lustig, Bruder, wenn es richtig genossen wird. Heute lebendig und morgen tot. Na und? Wenn ich wählen sollte, ich würde … He!«

Mondlicht liegt über dem flachen Felsen und dem Tal, durch das der Weg führt.

Und dann das Rattern von Rädern.

Die Kutsche kommt!

In der Kutsche sitzt Roy Dean mit einer Kiste oder einer Tasche. Ist es wenig Geld, dann hat er eine Tasche, ist es viel, so haben sie ihm eine Kiste gegeben.

Was immer es ist, Roy Dean wird es nicht behalten.

Die Dannocs sind schon da.

*

Roy Dean hält die Augen halb geschlossen und wie immer die rechte Hand unter der Jacke. Es ist eine seltsame Haltung, aber Dean hat sie sich angewöhnt. Irgendwann in seinem Leben lernte er, dass es besser sei, eine Hand ständig auf den obersten Knopf der Jacke zu legen. Auf diese Art hat er die Finger stets in der Nähe seines Revolvers. Der Revolver sitzt an der Hüfte. Das Halfter wird durch zwei Lederriemen gehalten, die über Roy Deans Schulter laufen. Jedoch ist es kein Schulterhalfter. Es sitzt viel tiefer. Und wer Dean gehen sieht, eine Hand in die Jacke geschoben, wird ihn für einen Müßiggänger halten, der viel Zeit hat. In Wirklichkeit ist Roy Dean immer hellwach, selbst wenn er bei Nacht unterwegs sein muss.

Neben ihm sitzt Baker aus Gila Bend, ein rundlicher, großer Mann mit feisten Wangen und einem Doppelkinn, der in Lukeville einige geschäftliche Dinge zu besorgen hat und am frühen Morgen rechtzeitig zur Pferdeauktion dort sein will.

Zwei Männer sind in der Kutsche – und eine Frau!

Sie heißt Silvabella Puggin, hat brandrotes Haar, das jedoch nicht echt ist, trägt drei schwere Ringe – diese sind echt – und ein nilgrünes Samtkleid, obwohl das unpraktisch bei einer Reise ist. Von Beruf ist sie Sängerin und die Chefin einer Gruppe gut gewachsener Girls. Sie kennt eine Menge Männer, lustige, abenteuerliche, verwegene und jene Sorte, die ruhig auf ihren Plätzen bleibt, wenn sie auftritt.

Miss Puggin hat einige Erfahrungen mit Männern, aber Dean ist ihr unheimlich. Sie weiß sehr genau, dass dieser Mann nicht schläfrig ist. Und weil sie schon die ganze Zeit über ihn nachdenkt, sagt sie:

»Mr Dean, wie lange machen Sie das eigentlich schon?«

Dean ist dunkelblond, hat schütteres Haar und große blaue Augen, einen festen Mund und ein gutes Gebiss. Jetzt macht er die Lider etwas weiter auf.

»Etwa sechs Jahre, Miss Puggin.«

»Eine lange Zeit für jemand, der Geld transportiert«, erwidert sie kopfschüttelnd. »Ich meine, am Leben geblieben zu sein.«

Roy Dean lächelt dünn. Er ist kein Mann, der laut lacht, obwohl er eine Anzahl von Falten um die Augenwinkel hat. Diese rühren jedoch von seinem vielen Reiten her. Silvabelle Puggin, die er vor zwei Tagen im Arizona-Star-Palace bewundern konnte, macht einigen Eindruck auf ihn. Irgendwie fühlt er sich von ihr angezogen, etwas, das bei ihm selten vorkommt. Dazu ist er zu nüchtern und zu scheu Frauen gegenüber.

»Glück – vielleicht«, murmelt er. »Ich war ein paarmal hart dran, aber das ist mein Berufsrisiko. Jeder Beruf hat sein Risiko, denke ich, oder meinen Sie nicht?«

»Da haben Sie recht«, antwortet sie lächelnd. »Man braucht in meinem nur die falschen Girls zu haben. Es ist nun einmal so, dass Mädchen schnell geheiratet werden. Bis jetzt hatte ich zumeist das Glück, vernünftige Girls zu haben, die nicht auf die Versprechungen jedes Burschen hereinfallen. Die Mädchen wissen, wie wenig sie sich auf Versprechungen verlassen können. Mr Dean, Sie waren einmal Deputy-Marshal?«

Sie muss sich nach mir erkundigt haben, denkt Dean überrascht. Ich stand am Tresen, als sie mit Walker, dem Saloonbesitzer, sprach. Dabei sah sie mich an. Warum wohl?

»Sie haben richtig gehört, Miss Puggin, ich war das – einmal sogar Sheriff, einige Male Sheriffdeputy und zwei Jahre Weidedetektiv für die Ranchergesellschaft in Colorado. Man sieht viel und kommt mit tausend Leuten zusammen. So gefährlich ist es gar nicht, den Transportmann zu spielen.«

»Nein?«, fragt sie ohne Neugierde. »Man hat dreimal versucht, Ihnen das Geld abzunehmen. Ist das richtig?«

»Fünfmal, aber nie hier, ich fahre hier zum dritten Mal. Wie gesagt, ich hatte immer Glück.«

Silvabelles Blick streift Baker, der den Mund offen hat und schläft. Als sie zu Dean blickt, hat der seinen Hut abgenommen und wischt sich über die Stirn. Die Nacht ist lau, die Luft in der Kutsche nicht gerade kühl.

»Heiß?«, fragt sie. »Dann machen Sie doch das Fenster auf, Mr Dean, es stört mich nicht.«

»Es wird ziehen«, sagt er freundlich. »Für Ihre Stimme könnte das nicht gut sein, schätze ich. Sie singen sehr gut.«

»Danke!«, antwortet sie erstaunt. »Das haben Sie bemerkt?«

»Ich habe viele Sängerinnen gehört. In Denver gab es zu meiner Zeit eine ganze Reihe vorzüglicher Ladys. Ihre Stimme klingt sehr warm, sie verrät eine Menge Gefühl.«

Einen Moment blickt sie ihn groß an. Er hat die Wahrheit getroffen, also ist er wirklich ein Menschenkenner. Silvabelle Puggin hat tatsächlich eine Menge Gefühl, und das drückt sich auch beim Singen aus.

»Dean, Sie überraschen mich. Ich dachte nicht, dass Sie mich bemerkt hätten. Sie sind sicher kein Mann, der in irgendeinen Saloon geht, um Girls auf einer Bühne tanzen zu sehen und eine Sängerin mehr oder minder frivole Lieder singen zu hören.«

»Das stimmt«, gibt er zu. »Ich hatte dort nichts zu tun, aber als ich vorbeikam, hörte ich Sie von draußen singen. Es war seltsam, ich gehe sonst nie … Wie Sie es sagten. Ihre Stimme gefiel mir, Miss Puggin.«

»Und die Frau, die zu der Stimme gehört, gefiel sie Ihnen nicht?«

Das ist erstaunlich für Dean. Sie kennt ihn nicht, hat zwar von ihm gehört, kann aber nicht wissen, dass Roy liebt, wenn jemand ganz offen redet.

»Nun, auf eine offene Frage eine genauso offene Antwort«, sagt er etwas heiser. »Die Lady gefiel mir auf den ersten Blick. Ich glaube, wir sind beide nicht mehr zu jung, um uns nicht die Wahrheit sagen zu können. Wahrheit ist etwas Gutes, wenn sie ohne Hintergedanken geäußert wird. Ja, Sie gefielen mir. Darf ich wissen, woher Sie kommen?«

»Aus Dakota, Nord-Dakota, um ganz genau zu sein. Ein kleines Nest, Grand Forks am Red River. Sie werden es nicht kennen, auch nicht Nord-Dakota, Dean, nehme ich an.«

»Nein, ich war niemals dort. Wyoming war meine weiteste Station. Ist der Red River breit bei Grand Forks?«

»O ja, etwa hundertfünfzig Yards. Am Ufer steht Schilf. Wir haben viele Wildenten dort oben. Im Winter ist es sehr kalt. Und Sie, woher stammen Sie, Dean?«

Roy Dean blickt auf die kleine Lampe, die auf Silvabelles Wunsch hin angeblieben ist. Vielleicht sollte er auf den Weg achten. Er hat während der Fahrt immer wieder aus dem Fenster geblickt. Es gehört zu seinen Angewohnheiten, eine Strecke zu betrachten. Dean hat sonst einen Blick für einen Platz, an dem ein Überfall geschehen könnte. Er riecht die Gefahr vorher.

Jetzt sieht er nicht hinaus.

Er ist noch siebenhundert Yards von den Dannocs entfernt.

Dean macht seinen Fehler jetzt bereits.

Die Lampe erscheint Dean, als er die Lider fast ganz schließt, wie der rote Mond am Brazos River. Das Rumpeln der in die Löcher des Weges knallenden Räder kommt ihm wie das Yank-Yank der Haubentaucher vor.

»Graham – Brazos River«, sagt er leise. »Baumwollbäume am Fluss und Ulmen. Im Winter kaum mal Schnee, die Sommer sind heiß und trocken bei uns zu Hause. Ein hügeliges Land da oben. Das ist mein Zuhause.«

»Und warum sind Sie weggegangen, Dean? Darf man fragen?«

»Sicher«, erwidert er ruhig. »Rinderpest und wenig Bargeld. Unsere Ranch war nicht sehr groß. Mein Vater verlor alles. Er hatte einmal Sattler gelernt. Das konnte ihn eine Weile ernähren, mich nicht. Und ich konnte nur Rinder treiben, ich war ein richtiger Kuhhirt. So sagt man doch manchmal spöttisch, wie?«

»Ich würde es nicht sagen. Es gibt so viele nette Burschen unter den Cow­boys, Dean«, erwidert sie betreten und spürt, dass er jetzt wohl Heimweh haben muss. »Sie möchten wohl wieder nach Graham am Brazos, ja?«

»Möchten …, welcher Mensch möchte nicht irgendetwas und erreicht es nie?«, sagt er seufzend. »Ich hatte immer vor, diese alte Ranch zurückzukaufen. Vater musste sie verkaufen, aber dem neuen Besitzer hat sie kein Glück gebracht. Es reicht noch nicht, vielleicht nie, Miss Puggin. Das Leben geht zu schnell vorbei.«

»Aber Dean, es müsste sich doch ein Geldgeber finden lassen. Sie haben doch Freunde, oder?«

»Ich – Freunde? Ein Mann wie ich hat selten welche und schon gar keine, die ihm Geld borgen würden. Außerdem borge ich nie, das ist nicht meine Art. Da bleibt einem nur der Traum vom Fluss, den Ulmen und den Haubentauchern – wie Ihnen vielleicht die Erinnerung an Grand Forks und den Red River.«

»Es ist keine gute Erinnerung«, antwortet sie ernst. »Der Fluss schon, aber alles andere nicht.«

»Entschuldigung«, sagt Dean schnell. »Ich wollte nicht auf Dinge stoßen, die vielleicht schmerzen.«

Sie blickt wieder zu Baker, aber der schläft. Ein seltsames Nachtgespräch, denkt sie, aber ich habe es noch nie jemandem erzählen können. Dean jedoch kann ich es sagen. Er hat so etwas von Ruhe an sich, von Verschlossenheit, die das Wissen bewahren kann.

»Ich sang im Kirchenchor«, sagt sie spröde. »Dean, Sie wollen die Geschichte sicher nicht hören, aber ich möchte sie erzählen. Darf ich?«

»Wenn Sie meinen, ich höre zu.«

»Eines Tages kam eine Theatergruppe bei uns durch. Der Manager war ein großer, schlanker Bursche und ich achtzehn Jahre. Ich half bei uns zu Hause. Wir hatten einen Store, Dean. Er hörte mich singen, und er war der erste Mann, der mir Komplimente machte. Wie gesagt, ich war achtzehn. Er sagte, er  würde aus mir eine große Sängerin machen, so groß wie die Langtry. Ich habe ihm geglaubt – und ihn geliebt, Dean.«

Er sagt nichts, als sie abbricht, Dean hat die Augen geschlossen.

»Vielleicht denken Sie, dass dies eine von den vielen Geschichten ist, die eine Sängerin erzählt, Dean«, fährt sie leise fort. »Die Geschichte ist wahr.«

»Ja, ich glaube es.«

»Nun gut, ich lief mit ihm weg. Es war ein Vagabundenleben oder der Beginn eines Vagabundenlebens, Dean. Nach einem Jahr hatte er eine andere und ließ mich sitzen. Nach Hause konnte ich nicht. Ich schrieb hin und dachte, meine Eltern würden mich vielleicht verstehen, aber in Grand Forks reden die Leute viel, verstehen Sie? Mein Vater schrieb, ich sei für ihn gestorben, und für Mutter auch. Irgendwie hatte ich den Willen, etwas zu werden. Es war hart, aber ich schaffte es. Oder meine Stimme, wer weiß das schon genau. Seitdem ist diesen Monat diese Stadt und nächsten Monat die andere an der Reihe. Aber es ist kein Leben, Dean. Man lächelt, man singt, man lernt viele Männer kennen. Man bekommt Geschenke und gibt ein Lächeln dafür, obwohl sie mehr erwarten.«

»Ja«, sagt Dean. »Ich habe Sie auch nicht so eingeschätzt, Miss Puggins. In meinem Beruf lernt man, hinter die Fassaden zu blicken. Manchmal kein schöner Anblick. Sie mögen Männer nicht besonders, aber Sie sind zu klug, um sich das Geschäft zu verderben. Wenn ich Sie wäre …«

»Was dann?«, fragt sie. »Dean, was würden Sie dann tun?«

»Mir einen guten Mann suchen«, sagt er offen.

»Dean, ich würde ihn nicht finden. Ich traue keinem Mann mehr.«

»So?«, entgegnet er bitter. »Das ist sehr hart für mich. Ich hoffe, Sie schließen mich nicht ein, Miss Puggins.«

»Oh, ich wollte Sie nicht kränken, Dean, wirklich nicht. Ich glaube, auf Sie kann man sich verlassen.«

»Bis jetzt hat das noch jeder gekonnt«, gibt er zurück. »Nichts ist verächtlicher, als jemanden zu täuschen, der sich auf einen verlässt. Vielleicht habe ich darum so wenig Freunde. Ich verlange alles – oder nichts.«

Sie blickt ihn an, sein Gesicht ist jetzt beinahe abweisend geworden. Er wirkt nun wieder hart, kühl und genau wie der Mann, als den man ihn ihr beschrieben hat. Ein Mann, der seinen Kopf riskiert, um Geld zu transportieren.

Während sie das denkt, ahnt sie nichts von den Dannocs.

Und auch nichts von dem flachen, wie ein Sarkophag aus der Masse der anderen Felsen am Weg ragenden Steinblock.

Dabei sind sie dem Block auf zwanzig Schritt nahe.

Und auf dem Block …

*

Sie liegen nebeneinander.

Mondlicht erhellt die Landschaft.

Vor Charles Dannoc ein einzelner Stein, der dicht am Block liegt und ihnen Deckung gibt. Der Stein liegt so schief, dass man meinen könnte, er müsste jeden Augenblick auf den Weg kollern.

Unter dem großen Felsblock, genau drei Schritt breit, führt der Fahrweg nach Lukeville. Dann kommen dicke, schartige Felsstücke. Die Kutsche muss also durch einen engen Schlauch fahren.