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Im verregneten Köln geschehen seltsame Morde in der Schwulenszene. Kommissarin Anna Siebert muss mit ihrem Team aufklären. Die Zeit spielt gegen sie. Eine Aufregende Jagd durch die Stadt beginnt und die Verwicklungen werden immer mysteriöser. Tattoos von den Opfern sind verschwunden. Wahrscheinlich der einzige Schlüssel um diese Morde aufzuklären.
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Seitenzahl: 224
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Die Haut des Bösen
Von Martin Schürf
Texte: © Copyright by Martin Schürf
Umschlaggestaltung: © Copyright by Martin Schürf
Verlag:
Martin Schürf
Kreuznacher Strasse 11
55452 Guldental
Herstellung: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Köpenicker Straße 154a, 10997 Berlin
Prolog
Köln – Die Stadt der Gegensätze
Köln, eine Stadt mit tausend Gesichtern. Die Türme des weltberühmten Doms ragen majestätisch in den Himmel und überwachen eine Metropole, die pulsierend und lebendig ist. Doch unter den Schichten von Geschichte, Kultur und Lebensfreude verbirgt sich eine andere Seite: düstere Gassen, geheime Treffpunkte und eine Subkultur, die im Schatten der Rheinmetropole gedeiht. Hier, in der Stadt der Brücken und Kirchen, scheint das Leben niemals stillzustehen – aber in den stillsten Momenten geschehen die schrecklichsten Dinge.
Die Mordkommission Köln ist das Bollwerk gegen die Abgründe, die sich in dieser Stadt auftun. In einem modernen Gebäude am Rand des historischen Zentrums sitzt das Team, das die schwersten Verbrechen aufklären muss. Mit Blick auf den Rhein und den Dom kämpfen sie gegen die Zeit, gegen die Bürokratie und manchmal auch gegen sich selbst.
Hauptkommissarin Anna Siebert:
Anna Siebert ist eine Frau, die ihre Präsenz nicht durch Lautstärke, sondern durch Entschlossenheit zeigt. Mit ihren 38 Jahren hat sie sich einen Namen gemacht als eine der fähigsten Ermittlerinnen der Stadt. Ihre langen, dunkelblonden Haare trägt sie meistens streng zusammengebunden, und ihre grünen Augen durchbohren jeden Verdächtigen, der versucht, sie zu täuschen.
Anna ist bekannt für ihre analytische Denkweise, aber auch für ihre kompromisslose Haltung. Sie war nie diejenige, die aufhört, bevor sie die Wahrheit ans Licht gebracht hat. Ihre Kollegen respektieren sie – nicht nur wegen ihrer Führungsstärke, sondern auch wegen ihrer Fähigkeit, unter Druck ruhig und präzise zu handeln. Doch hinter ihrer professionellen Fassade verbirgt sich eine Frau, die schwer mit den Schatten ihrer Fälle kämpft. Schlaflose Nächte und eine leere Wohnung zeugen von der Last, die sie trägt.
Kommissar Jens Weber:
Jens Weber, Annas Partner, ist das genaue Gegenteil. Mit 35 Jahren bringt er eine unorthodoxe Energie ins Team. Seine braunen Haare sind oft ungekämmt, und sein Dreitagebart wirkt immer ein wenig zu perfekt, um wirklich zufällig zu sein. Jens ist charmant und hat einen scharfen Humor, der ihn oft in schwierigen Momenten als Ventil dient.
Doch hinter seiner lockeren Art verbirgt sich ein hochintelligenter und einfühlsamer Mann. Jens hat die Gabe, Menschen zu lesen, und nutzt diese Fähigkeit, um Geständnisse zu erlangen, wo andere nur auf Widerstand stoßen. Er und Anna ergänzen sich perfekt – sie ist die kühle Strategin, er der impulsive Taktiker. Ihre Beziehung ist geprägt von gegenseitigem Respekt, aber auch von einem unausgesprochenen Band, das sie verbindet.
Der Techniker Lars Neumann:
Lars Neumann ist das technische Genie der Mordkommission. Mit 29 Jahren ist er der Jüngste im Team, aber auch einer der wichtigsten. Seine Kurzhaarfrisur und die randlose Brille geben ihm ein zurückhaltendes Aussehen, doch sobald er spricht, wird klar, dass er der Kopf hinter den meisten technologischen Durchbrüchen der Abteilung ist.
Lars ist ein introvertierter Perfektionist, der lieber mit Computern als mit Menschen arbeitet. Er verbringt seine Tage in einem kleinen Büro, das von Monitoren, Kabeln und halb getrunkenen Energy-Drinks dominiert wird. Seine Fähigkeit, Daten zu analysieren und Verbindungen zu finden, hat das Team schon oft vorangebracht. Er mag auf den ersten Blick kühl wirken, doch in schwierigen Momenten zeigt er Loyalität und Hingabe, die unverzichtbar sind.
Chefkommissar Teodor Großherz:
Teodor Großherz, der Chef der Mordkommission, ist ein Mann, der sowohl Respekt als auch Angst einflößt. Mit seinen 55 Jahren ist er ein Veteran des Polizeidienstes und trägt die Spuren eines langen Kampfes gegen das Verbrechen in seinem Gesicht. Sein graues Haar und die tiefen Falten um seine Augen erzählen Geschichten, die er selten teilt.
Großherz ist ein Mann der alten Schule. Er erwartet Disziplin, Gehorsam und Ergebnisse. Sein Tonfall ist oft hart, und seine Entscheidungen sind unnachgiebig. Doch hinter dieser autoritären Fassade steckt ein Mann, der alles für sein Team tun würde. Seine größte Schwäche ist sein Stolz, der ihn manchmal blind für neue Methoden macht. Trotzdem weiß jeder in der Abteilung, dass er in den entscheidenden Momenten der Fels in der Brandung ist.
Die Mordkommission – Eine Einheit im Kampf gegen das Unbekannte
Gemeinsam bilden Anna, Jens, Lars und Großherz ein Team, das sich gegen die düsteren Seiten Kölns stellt. In einer Stadt, in der Geschichte und Moderne aufeinandertreffen, müssen sie nicht nur Morde aufklären, sondern auch gegen die Geister der Vergangenheit und die Untiefen der menschlichen Seele kämpfen. Es ist ein Kampf, der niemals endet – doch genau das macht sie zu der unerschütterlichen Einheit, die sie sind.
Tag 1
Tatort 1
Der Geruch von Desinfektionsmittel und abgestandener Luft lag schwer im Raum, als die ersten Sonnenstrahlen durch die Ritzen der schwarzen Vorhänge fielen. Es war kurz nach sieben Uhr morgens, und Sandra, die Putzfrau des exklusiven Clubs Velvet Shadows, zog wie jeden Montag routiniert ihre Gummihandschuhe an.
Der Darkroom war ihr letzter Stopp für heute.
Sie hasste diesen Teil ihrer Arbeit – das gedimmte rote Licht, die stickige Enge, die Flecken auf dem Boden, die sie oft lieber ignorierte. Diese zeugten von triebig durchlebten Nächten. Sandra ekelte es an, doch jemand musste auch diese Arbeiten erledigen. Aber heute war etwas anders.
Kaum hatte sie die Tür aufgedrückt, blieb sie wie angewurzelt stehen. Ihre Taschenlampe fiel aus ihrer Hand und rollte über den Boden, ihr Lichtkegel zuckte flackernd über eine dunkle Silhouette. Mit zitternden Händen griff Sandra nach dem Lichtschalter, doch bevor sie ihn betätigen konnte, erkannte sie genug.
Auf einem der abgewetzten Lederbänke lag ein Mann. Nackt. Seine Haut schimmerte blass und leblos im roten Licht. Doch es war nicht nur die Nacktheit, die Sandra den Atem raubte.
Da war Blut. Viel Blut.
Der Kopf des Mannes war grotesk zur Seite geneigt, die Lippen zu einem erstarrten Schrei geöffnet. Seine Augen starrten leer in die Dunkelheit, und an seinem rechten Unterarm klaffte eine wüste Wunde. Sandra wich taumelnd zurück, ihr Atem ging stoßweise. Dann drehte sie sich abrupt um und rannte, so schnell sie konnte, aus dem Raum.
Eine halbe Stunde später war der Club abgesperrt, und der Ort des Grauens wurde von grellen Scheinwerfern und Polizisten in Schutzanzügen erhellt. Hauptkommissarin Anna Siebert kniete neben der Leiche. Sie war Anfang vierzig, hatte dunkelblonde Haare, die sie meist in einem lockeren Dutt trug, und ein Gesicht, das eine Mischung aus Strenge und Müdigkeit ausstrahlte. In diesem Moment überwog jedoch die Faszination des Falls, die sie stets antrieb, trotz der Abgründe, denen sie dabei begegnete.
„Pedro Gonzalez“, sagte ihr Assistent Jens Weber, ein junger, ehrgeiziger Polizist mit Brille, der gerade die Identität des Opfers bestätigt hatte. „Spanisches Topmodel, bekannt aus diversen Kampagnen und …“ Er blickte auf sein Tablet. „… Social-Media-Skandalen.“
Anna hob eine Augenbraue. „Ein Prominenter also. Das wird die Presse freuen.“
Jens nickte. „Und die Gerüchte sind schon unterwegs. Angeblich hätte er eine Vorliebe fürs Nachtleben in der Szene gehabt.“ Anna richtete sich auf und betrachtete die Szene genauer. Der Darkroom war ein klaustrophobischer Raum, ausgestattet mit dicken Vorhängen, die jeden Lichtstrahl verschluckten, und Sitzbänken, die ihre besten Tage hinter sich hatten. Die Luft roch nach Schweiß, Reinigungsmitteln und … etwas anderem. Etwas Metallischem.
„Die Verletzungen?“ fragte sie den Gerichtsmediziner, der gerade Fotos machte.
„Massive Stichwunden am Unterarm, tiefe Schnittverletzungen im Gesicht und an der Brust. Der Todeszeitpunkt liegt vermutlich zwischen zwei und vier Uhr morgens.“
Anna nickte nachdenklich. Sie hatte keine Zeit für Abscheu – die brauchte sie für Ergebnisse.
„Was meinst du, Jens? Persönliches Motiv oder ein Zufallsopfer?“
Der junge Polizist zögerte. „Es sieht zu brutal aus, um ein einfacher Raubüberfall zu sein. Vielleicht ein Ex-Lover? Oder jemand, der ihn kannte und hasste?“
Anna warf ihm einen Blick zu. „Möglich. Aber bei der Szene hier will ich alle Optionen offenhalten. Stell sicher, dass wir die Clubbesitzer und das Personal befragen. Und ich will alle Überwachungskameras bis auf einen Kilometer Umkreis.“
Jens nickte und eilte davon.Anna wandte sich an einen der Clubbesitzer, der nervös mit einem Taschentuch über seine Stirn wischte. „Wir brauchen eine vollständige Liste aller Mitarbeiter, die heute Dienst hatten, sowie der Gäste, die gestern Abend hier waren.“
„Natürlich, natürlich“, stammelte er und eilte davon, um die Unterlagen zu holen.
Wenig später stand Anna mit Sandra, der Putzfrau, im Nebenraum. Sandra war immer noch blass, aber sie schien ihre Fassung langsam wiederzufinden. Anna sprach ruhig, aber bestimmt. „Sandra, ich weiß, dass das ein Schock für Sie ist. Aber ich brauche jede Information, die Sie mir geben können. Ist Ihnen irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen? Vielleicht gestern Abend oder in den letzten Wochen?“
Sandra zögerte, dann nickte sie langsam. „Es … es war schon öfter seltsam hier. Ich meine, ich musste schon vorher Blut wegmachen. Nicht so viel wie heute, aber … Sie wissen schon, bei diesen … Sexpraktiken hier, da denkt man sich nichts dabei. Aber … manchmal …“ Sie schluckte schwer. „Manchmal war es zu viel, um normal zu sein.“
Anna sah sie aufmerksam an. „Zu viel? Haben Sie jemals jemanden darüber informiert? Den Clubbesitzer oder jemanden im Management?“
Sandra schüttelte den Kopf. „Nein. Ich dachte, das gehört hier halt dazu. Und … na ja, ich wollte meinen Job nicht verlieren.“
Anna nickte langsam. „Danke, Sandra. Sie haben uns sehr geholfen. Und machen Sie sich keine Sorgen, wir finden heraus, was hier passiert ist.“ Als Sandra den Raum verließ, notierte Anna sich die Aussage. Es war ein kleines Puzzlestück, aber eines, das auf etwas Größeres hindeuten konnte. Irgendetwas lief hier schon länger aus dem Ruder, und sie würde herausfinden, was es war.
Die Antwort lag irgendwo zwischen den Schatten dieses Clubs und der Vergangenheit des Mannes, der jetzt vor ihr lag. Anna wusste: Dies war erst der Anfang.
Sie trat aus dem Darkroom und ließ ihren Blick über den Rest des Clubs schweifen. Der Hauptraum war leer und still, aber in ihrem Kopf spielte sich eine andere Szene ab. Sie stellte sich das vibrierende Nachtleben vor:
Männer, die sich an der Bar drängten, Lachen und Gespräche, die in der lauten Musik untergingen, die Hitze der tanzenden Körper. Sie konnte das Stampfen der Bässe fast fühlen. Doch jetzt war es unheimlich still.
Langsam durchquerte sie den Hauptraum und ging weiter zu den angrenzenden Räumen. Als sie den Spa-Bereich betrat, wehte ihr ein leichter Hauch von Eukalyptus entgegen. Der Raum war klinisch sauber, doch Annas Vorstellungskraft malte ein anderes Bild:
Männer in dampfenden Whirlpools, leises Murmeln, Berührungen unter Wasser. Sie schüttelte den Kopf, um sich auf die Realität zu konzentrieren.
In den Umkleiden blieb sie stehen. Die Bänke und Spinde waren leer, doch die Spuren einer vergangenen Nacht waren noch sichtbar: ein Handtuch achtlos auf dem Boden geworfen, eine geöffnete Schranktür, ein einzelner Schuh, der einsam in einer Ecke lag. In ihrem Kopf sah sie Männer, die sich umkleideten, das Knistern von Latex und Leder, leises Lachen, verstohlene Blicke.
„Anna, …… Anna …….Frau Siebert?“
Die Stimme ihres Kollegen riss sie aus ihren Gedanken. Jens stand im Türrahmen und hielt eine Mappe in der Hand. „Die ersten Aussagen sind hier drin. Aber es wird dauern, bis wir die Kamerabilder haben.“
Anna nahm die Mappe entgegen und nickte. „Gut. Ich möchte noch den Keller sehen. Ich habe das Gefühl, dass hier mehr ist, als wir auf den ersten Blick sehen.“
Mit jedem Schritt durch den Club formte sich in Annas Kopf ein Bild. Es war wie ein Puzzle, dessen Teile noch verstreut lagen. Doch sie war entschlossen, sie zusammenzufügen.
Die Fahrt
Das Wetter hatte sich komplett gedreht. Die Regentropfen prasselten monoton auf die Windschutzscheibe des unauffälligen Dienstwagens, als Anna die Straße Richtung Polizeipräsidium entlangfuhr. Neben ihr saß Jens, sein Tablet auf den Knien, die Brille leicht verrutscht. Der junge Polizist blätterte durch die ersten Notizen, wirkte jedoch gedankenverloren.
Anna warf ihm einen kurzen Blick zu. „Was denkst du, Jens?“ Jens schreckte aus seinen Gedanken auf und sah sie an. „Ich frage mich nur, wie sich jemand wie Pedro Gonzalez in so einem Club wiederfindet. Ich meine, ein internationales Topmodel in einem Darkroom? Irgendwie passt das nicht zusammen.“
Anna lachte leise, doch ihre Augen blieben ernst auf die Straße gerichtet. „Du wärst überrascht, was hinter verschlossenen Türen passiert, gerade in dieser Stadt. Köln hat eine lebendige Szene, aber die Schattenseiten sind genauso groß.“
Jens nickte zögernd. „Ich habe gehört, dass die Szene hier besonders wild sein soll. Partys, Drogen, alles ziemlich entgrenzt.“
„Entgrenzt ist das richtige Wort.“ Anna hielt an einer roten Ampel und wandte sich leicht zu ihm. „Wir reden nicht nur von harmlosen Partys. Chemsex, Drogen wie GHB oder Crystal Meth, dazu Clubs, in denen die Nächte kein Ende kennen. Die meisten gehen einfach feiern, aber es gibt genug, die sich dabei verlieren.“
„Und Gonzalez?“ Jens überflog erneut die Notizen. „Passt das zu ihm? Hat er sich in solchen Kreisen bewegt?“
„Das werden wir herausfinden.“ Die Ampel sprang auf Grün, und Anna lenkte den Wagen weiter. „Aber du weißt, wie das ist. Ein Name wie seiner zieht immer Menschen an, die mehr wollen. Einfluss, Macht, oder einfach nur das Vergnügen, mit jemandem wie ihm gesehen zu werden.“ Jens schwieg einen Moment. Der Regen verstärkte sich, und die Scheibenwischer kämpften gegen das Wasser an. „Glaubst du, er war freiwillig da? Oder wurde er gezwungen?“
„Das ist eine Frage, die wir beantworten müssen.“ Anna griff nach ihrem Coffee-to-go-Becher, nur um festzustellen, dass er leer war. Sie schnaubte leise und stellte ihn zurück in die Halterung. „Die Szene hier ist vielfältig, aber sie hat ihre Abgründe. Die Drogen, die exzessiven Partys … irgendwann verliert man die Kontrolle.“
„Warst du schon mal …“ Jens stoppte sich selbst und wirkte plötzlich verlegen.
Anna schmunzelte. „Nein, Jens. Nicht in dieser Art von Club. Aber ich habe genug Fälle bearbeitet, um eine Vorstellung zu haben. Es ist eine Parallelwelt, die für Außenstehende schwer zu begreifen ist.“
„Glaubst du, jemand aus der Szene könnte dahinterstecken?“ Jens’ Stimme war ernst.
„Es ist möglich. Aber wir sollten nicht voreilig Schlüsse ziehen.“ Anna bog in die Einfahrt zum Polizeipräsidium ein. „Erstmal sehen wir uns an, was wir haben. Die Überwachungsvideos könnten mehr zeigen, und vielleicht ergibt sich etwas aus den Aussagen der Zeugen.“
Der Wagen kam zum Stillstand, und Anna zog die Handbremse an. „Die Szene ist ein Teil von Köln, Jens. Und wie überall gibt es Licht und Schatten. Unsere Aufgabe ist es, beides zu sehen.“
Jens nickte nachdenklich, während sie gemeinsam ausstiegen und in Richtung Büro gingen.
Die Konferenz
Der große Konferenzraum war ein steriler, kühler Ort, dessen Atmosphäre kaum dazu beitrug, die Anspannung zu lösen, die bei jeder Besprechung der Mordkommission in der Luft lag. Die Jalousien an den Fenstern warfen harte Schatten über den langen Holztisch, an dem die Ermittler Platz genommen hatten. Anna und Jens betraten den Raum, wo bereits das gesamte Team wartete. Die Stimmen verstummten, als der massive, scharfgeschnittene Teodor Großherz am Kopfende des Tisches seine Unterlagen ordnete.
„Setzen Sie sich, Siebert, Weber“, forderte Großherz ohne aufzublicken. Seine Stimme klang wie Sandpapier auf Metall. Anna setzte sich an die rechte Flanke des Tisches, Jens nahm links von ihr Platz. Großherz ließ sich Zeit, bevor er aufblickte, seine kalten blauen Augen musterten die beiden wie ein Raubtier, das seine Beute taxierte.
„Nun, Siebert, fangen Sie an. Was haben wir bisher?“
Anna richtete sich auf und griff nach ihren Notizen. Ihre Stimme war ruhig und professionell, obwohl sie das unerbittliche Urteil in den Augen ihres Chefs spüren konnte. „Das Opfer ist Pedro Gonzalez, ein 27-jähriges internationales Topmodel. Die Leiche wurde heute Morgen im Club Velvet Shadows gefunden, in einem Darkroom. Todeszeitpunkt laut vorläufiger Einschätzung des Gerichtsmediziners zwischen zwei und vier Uhr. Die Todesursache sind mehrere Stich- und
Schnittverletzungen, unter anderem am Unterarm und im Gesicht.“
Sie machte eine kurze Pause, während Großherz gelangweilt mit seinem Kugelschreiber spielte. „Der Club liegt im Zentrum der Schwulenszene Kölns. Es gibt Hinweise auf Drogenkonsum und mögliche Verbindungen des Opfers zu dieser Szene, aber noch nichts Konkretes.“
„Interessant“, unterbrach Großherz spöttisch. „Ein Topmodel, ein Schwulenclub, und Drogen. Das klingt ja wie eine Schlagzeile, die die Boulevardpresse lieben wird.“ Er lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. „Und was denken Sie, wie lange es dauern wird, bis diese Informationen nach draußen sickern?“
„Wir arbeiten daran, die Situation unter Kontrolle zu halten“, erwiderte Anna mit festem Blick. „Die Presse weiß noch nichts.“
Großherz ließ ein leises, humorloses Lachen hören. „Das hoffe ich doch, Siebert. Es wäre äußerst unglücklich, wenn jemand herausfände, dass die Mutter des Opfers die spanische Botschafterin ist.“
Ein leises Murmeln ging durch den Raum. Jens warf Anna einen schnellen Blick zu, aber sie blieb ruhig. „Das macht die Situation natürlich politisch sensibel“, sagte sie sachlich. „Aber unser Fokus liegt auf der Aufklärung des Falls.“
„Politisch sensibel“, wiederholte Großherz langsam und stand auf. „Das ist eine gewaltige Untertreibung, Siebert. Wenn dieser Fall eskaliert, könnten wir uns auf diplomatische Verwicklungen von epischen Ausmaßen einstellen. Haben Sie die Tragweite überhaupt verstanden?“ Seine Stimme wurde schärfer. „Oder möchten Sie mir erklären, wie wir der spanischen Botschafterin erklären, dass wir in ihrer Heimatstadt nicht einmal einen Nachtclub im Griff haben?“
Anna hielt dem stechenden Blick stand. „Ich verstehe die Tragweite, Herr Großherz. Und ich bin mir sicher, dass mein Team den Fall schnellstmöglich lösen wird.“
Großherz musterte sie mit einem undefinierbaren Ausdruck, dann nickte er langsam. „Das hoffe ich, Siebert. Sonst wird dieser Fall nicht nur die Medien, sondern auch Ihre Karriere nachhaltig beschäftigen.“
Er setzte sich wieder, seine Haltung blieb angespannt. „Geben Sie mir regelmäßig Updates. Und vergessen Sie nicht, dass jedes Detail, das nach außen dringt, wie Gift ist. Sichern Sie Ihre Spuren ab, und stellen Sie sicher, dass Ihre Leute nichts Unüberlegtes tun.“
Anna nickte, auch wenn sie spürte, wie die Wut in ihr brodelte. Großherz Tyrannei war legendär, aber sie würde sich nicht provozieren lassen. „Weber“, wandte sich Großherz an Jens, „unterstützen Sie Siebert in allem, was sie braucht. Und achten Sie darauf, dass dieser Fall nicht zu einer Peinlichkeit wird.“
„Ja, Herr Großherz“, antwortete Jens knapp.
„Gut.“ Großherz lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. „Dann sehen Sie zu, dass Sie Ergebnisse liefern. Und zwar schnell.“
Anna sammelte ihre Unterlagen ein, das leise Rascheln der Papiere war das einzige Geräusch im Raum. Als sie aufstand, blickte sie Jens an. „Wir haben Arbeit vor uns.“
Jens nickte, und gemeinsam verließen sie den Raum. Hinter ihnen war noch ein leises Räuspern von Großherz zu hören, wie eine letzte Erinnerung daran, wer das Sagen hatte.
Anna
Anna Siebert war nicht der Typ Mensch, der gerne über sein Privatleben sprach – vor allem, weil es wenig darüber zu sagen gab. Sie war fast vierzig und lebte allein in einer schlichten Altbauwohnung im Belgischen Viertel. Ihre Nachbarn kannte sie nur vom Sehen, ihre Pflanzen hatten meist eine traurige Überlebensquote, und ihr Kühlschrank war besser darin, Wein zu kühlen als Lebensmittel zu lagern.
Es war nicht so, dass sie keine Gesellschaft gehabt hätte. Es gab Männer. Es gab sogar viele Männer. Doch die meisten von ihnen waren flüchtige Begegnungen, die nach ein oder zwei Nächten wieder verschwanden. Einige schickten höfliche Nachrichten, andere meldeten sich gar nicht mehr. Und obwohl Anna sich selbst sagte, dass es ihr nichts ausmachte, nagte diese Leere doch manchmal an ihr. Sie hatte keine Zeit, sich in etwas zu vertiefen, das so ungewiss war wie Beziehungen. Ihr Job war schon unsicher genug.
Nach ihrem Abitur hatte Anna einen geraden Weg eingeschlagen. Die Polizei war eine naheliegende Wahl gewesen – einerseits wegen ihres Vaters, andererseits, weil sie Ordnung in einer Welt voller Chaos suchte. Ihre Polizeiausbildung in Köln war herausfordernd, aber Anna hatte nie gezögert. Schnell machte sie Karriere: von der Sitte über das Drogendezernat bis hin zur Mordkommission. Sie war stolz auf ihren Weg, doch sie wusste, dass ihr Erfolg in ihrer Familie für Spannungen sorgte.
Ihr Vater, Helmut, ein ehemaliger Streifenpolizist, hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass er mit ihrem Aufstieg nicht gut zurechtkam. Er redete selten darüber, aber Anna spürte den unterschwelligen Neid in jedem ihrer Gespräche. Ihre Mutter, die immer als Hausfrau die Familie zusammengehalten hatte, stand zwischen den beiden – bemüht, den Frieden zu wahren, aber oft hilflos.
Dann war da noch ihr kleiner Bruder, Ben. Er war das genaue Gegenteil von Anna: ein Freigeist, chaotisch, aber klug. Nach seinem Biologie-Studium hatte er eine Weile in einer Forschungseinrichtung gearbeitet, doch inzwischen führte er ein unruhiges Leben, das Anna immer wieder Kopfschmerzen bereitete. Seine Verbindung zur Schwulenszene Kölns war kein Problem für sie – sie hatte gelernt, Menschen nicht nach ihrer Sexualität zu beurteilen. Aber sein lockerer Umgang mit Grenzen und Gesetzen machte sie nervös. Sie wusste, dass Ben in dubiose Kreise geraten war, aber er blockte jede Einmischung ab.
An diesem Abend saß Anna, wie so oft, allein am Esstisch. Eine Pizza in einer fettigen Pappschachtel lag vor ihr, daneben ein halbvolles Glas Rotwein. Auf dem Tisch hatten sich Dokumente, Berichte und Tatortfotos ausgebreitet, die sie gedankenverloren durchging. Ihre Finger glitten über die Bilder von Pedro Gonzalez, sein erstarrtes Gesicht, die klaffenden Wunden. Sie warf einen Blick auf die Notizen zu dem Clubbesitzer und den Aussagen der Zeugen. Nichts passte bisher zusammen, aber irgendetwas in ihrem Bauch sagte ihr, dass sie den Schlüssel zu diesem Fall finden würde – wenn sie nur lange genug suchte.
Sie nahm einen Schluck Wein und legte die Akte beiseite. Der Raum war still, bis auf das gelegentliche Knarren der alten Dielen unter ihrem Stuhl. Dann plötzlich – ein Klingeln an der Tür. Anna runzelte die Stirn. Sie erwartete niemanden.
Langsam stand sie auf, der Gedanke an die Leiche im Club noch frisch in ihrem Kopf. Sie stellte das Weinglas ab, schob die Tatortfotos zur Seite und ging zur Tür. Ihr Herz klopfte schneller, als sie die Hand an die Klinke legte.
Ben
Das Klingeln an der Tür hallte erneut durch die Wohnung, diesmal dringlicher. Anna öffnete langsam und war überrascht, als sie Ben auf der Schwelle stehen sah. Sein Gesicht war blass, die sonst lebhaften braunen Augen weit aufgerissen. Seine Hände zitterten leicht, als er sich fahrig durch das zerzauste Haar fuhr.
„Ben? Was ist los?“ fragte Anna, die ihren Bruder selten so aufgelöst erlebt hatte.
„Anna, ich … ich muss mit dir reden.“ Seine Stimme brach fast, und ohne auf eine Einladung zu warten, schob er sich an ihr vorbei in die Wohnung.
Anna schloss die Tür hinter ihm und folgte ihm ins Wohnzimmer. „Setz dich. Möchtest du was trinken? Wasser? Wein?“
Ben schüttelte den Kopf und ließ sich auf das Sofa fallen. Er legte den Kopf in die Hände, als würde er versuchen, seine Gedanken zu ordnen. Anna nahm einen Stuhl und zog ihn näher heran. „Ben, was ist passiert? Du machst mir Angst.“
Er hob den Kopf, und seine Lippen zitterten leicht, bevor er zu sprechen begann. „Ich … ich war gestern Abend im Velvet Shadows.“
Anna fühlte, wie sich ein Knoten in ihrem Magen bildete. Sie sagte nichts und wartete darauf, dass er weitersprach.
„Ich war dort, um … du weißt schon … zu feiern. Und ich habe jemanden getroffen.“ Ben hielt kurz inne und sah Anna an, als suche er nach der richtigen Art, es zu sagen. „Ich hatte Sex mit Pedro Gonzalez.“
Anna spürte, wie ihr Herz einen Moment aussetzte. Sie lehnte sich zurück und atmete tief ein. „Ben … bist du dir sicher?“
„Ja.“ Seine Stimme war leise, fast ein Flüstern. „Ich habe ihn dort kennengelernt. Es war nichts Ernstes, nur …“ Er zuckte hilflos mit den Schultern. „Du weißt schon, was ich meine.“
Anna schloss die Augen für einen Moment und ließ die Worte auf sich wirken. „Und warum erzählst du mir das jetzt?“
„Weil … weil ich Angst habe.“ Bens Hände verkrampften sich auf seinen Knien. „Sie werden meine DNA finden, Anna. Wenn sie mich damit in Verbindung bringen, wird alles noch schlimmer.“
„Ben, woher weißt du, dass Pedro tot ist?“ Annas Stimme wurde plötzlich schärfer, ihr Blick bohrte sich in seinen. „Das kann doch noch gar nicht in der Presse sein.“
Ben hob den Kopf und starrte sie an. „Doch, ist es. Es ist überall. Die Medien drehen schon durch.“
Anna sprang auf und griff nach der Fernbedienung. Sie schaltete den Fernseher ein, und fast sofort füllte sich der Raum mit der Stimme eines Nachrichtensprechers. Auf dem Bildschirm war ein Foto von Pedro Gonzalez zu sehen, flankiert von einer reißerischen Überschrift: „Mysteriöser Mord an Topmodel in Kölner Nachtclub!“ „Die Leiche von Pedro Gonzalez wurde heute Morgen in einem exklusiven Club der Kölner Schwulenszene gefunden“, verkündete der Sprecher mit ernster Miene. „Erste Berichte deuten auf einen gewaltsamen Tod hin, doch die Polizei hält sich mit Informationen bedeckt. Spekulationen über Drogenmissbrauch und organisierte Kriminalität sind bereits im Umlauf.“
Anna schaltete den Ton aus und starrte fassungslos auf den Bildschirm. Die Berichte strotzten vor Mutmaßungen und falschen Angaben. Sie merkte, wie sich ihre Hände zu Fäusten ballten. „Verdammt. Wer hat das durchgestochen?“
„Ich weiß es nicht“, murmelte Ben. „Aber Anna, ich schwöre dir, ich habe nichts damit zu tun. Ich war da, ja, aber … ich habe nichts mit seinem Tod zu tun.“
Anna ließ sich langsam auf den Stuhl sinken und rieb sich die Schläfen. „Okay, Ben. Ich werde dir glauben. Aber du musst mir alles sagen, was du weißt. Jede Kleinigkeit. Und du musst dich darauf einstellen, dass das Konsequenzen haben könnte.“
Ben nickte, doch seine Augen verrieten, dass er Angst hatte. „Ich werde dir alles erzählen, Anna. Aber bitte … hilf mir.“
Anna sah ihren Bruder lange an. Sie wusste, dass dieser Fall komplizierter war, als er auf den ersten Blick erschien. Und jetzt war auch ihre eigene Familie darin verstrickt.
Tag 2
Das Frühstück
Die ersten Sonnenstrahlen bahnten sich durch die halb geöffneten Vorhänge von Annas Küche, während der Duft von frischem Kaffee den Raum erfüllte. Anna saß am kleinen runden Tisch, gegenüber von Ben, der einen dicken Pulli trug und mit müden Augen in seine Tasse starrte. Auf dem Tisch standen zwei Teller mit Croissants und Marmelade, die unberührt blieben.
Ben wirkte erschöpft. Die Nacht auf Annas Couch hatte ihn nicht wirklich zur Ruhe kommen lassen, und die Stunden zuvor, in denen er ihr in allen Einzelheiten die Tatnacht geschildert hatte, hatten ihm deutlich zugesetzt. Seine Hände umklammerten die heiße Kaffeetasse, als wäre sie das Einzige, was ihn noch stabil hielt.
„Du solltest etwas essen“, sagte Anna, ihre Stimme war sanft, aber bestimmt.
Ben schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht. Mein Magen dreht sich um.“
Anna nahm einen Schluck Kaffee und lehnte sich zurück. Ihre Gedanken kreisten noch immer um die Details, die Ben ihr erzählt hatte. Der Club, die Begegnung mit Pedro, die kurzen, aber intensiven Stunden, die sie miteinander verbracht hatten. Ben hatte jedes Detail wiedergegeben, als wollte er sicherstellen, dass Anna keine Lücke in seiner Geschichte fand. „Ich glaube dir, Ben“, sagte sie schließlich und sah ihn fest an. „Aber es ist wichtig, dass du auch vorsichtig bist. Du darfst niemandem etwas davon erzählen, dass du dort warst.“
Ben nickte langsam, seine Finger spielten nervös mit dem Henkel der Tasse. „Ich weiß. Aber es macht mich fertig, Anna. Was, wenn sie mich trotzdem finden? Was, wenn … wenn meine DNA alles zerstört?“