Die Heilerin und der Feuertod - Christiane Lind - E-Book
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Die Heilerin und der Feuertod E-Book

Christiane Lind

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Beschreibung

Denn Mut ist in dunklen Zeiten deine einzige Rettung!

Braunschweig 1374. Seit jeher leidet die junge Aleke darunter, dass ihr Vater sie nie als Tochter anerkannte. Umso überraschter ist sie, als er sie eines Tages um Hilfe bittet: Sein Sohn sitzt im Kerker und kann sich an nichts erinnern. Alekes heilkundliche Kenntnisse sind die einzige Chance, ihm zu helfen. Zögernd willigt sie ein. Doch dann wird ihr Vater eines ungeheuren Verbrechens bezichtigt – und zwar ausgerechnet von dem Mann, den sie liebt. Und Aleke muss sich entscheiden ...

Die fesselnde Geschichte einer starken jungen Frau, die ihr Schicksal selbst in die Hand nimmt.

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Seitenzahl: 482

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Christiane Lind

DieHeilerinund derFeuertod

Historischer Roman

Inhaltsübersicht

Personen

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Glossar

Historische Hintergründe

Literaturhinweise

Danksagung

Informationen zum Buch

Über Christiane Lind

Impressum

Wem dieses Buch gefallen hat, der liest auch gerne ...

»Braunschweig, ich vergleiche Dich einem Pferde; denn ein Pferd kennt seine Stärke nicht und lässt sich von einem kleinen Jungen zäumen, und der reitet damit, wohin es ihm gefällt. (...) Aber wenn das Pferd erzürnt wird, dann schlägt es aus und beißt um sich, so dass niemand es halten kann noch sich ihm nähern, und jedermann entsetzt sich vor ihm. So auch die Braunschweiger: Wenn sie erzürnt werden, dann strafen sie so unbarmherzig, dass sich jedermann vor ihnen entsetzt.«

(HERMEN BOTE: DAT SCHICHTBOIK, 1514)

»Im Jahre 1374 war in der Stadt Braunschweig der Teufel los und hetzte das Volk gegen den Rat. Ein Teil der Ratsherren wurde totgeschlagen, ein Teil gefangen genommen und geköpft, ein Teil aus der Stadt vertrieben. Wem von den Ratsherren, ihren Kindern und ihrem Geschlechte es gelang, die Stadt zu verlassen, der war am besten dran. Das führerlose Volk lief in die Weinkeller, zerschlug die Fässer und ließ den Wein auf die Erde laufen.«

(DETMAR CHRONIK 1368–1394)

DRAMATIS PERSONAE

Aleke Ledinkhusen Magd der Beginen, uneheliche Tochter des Acchem van dem Broke

Righert van Anhald Magdeburger Kaufmann, den ein Geheimnis nach Braunschweig führt

DIE BEGINEN

Benedicte Muntaries Vorsteherin der Beginen, Schwester des Acchem van dem Broke

Lucke Stummes Mädchen, das die Beginen aufnahmen

Ghese Ysernehagen Begine, Kräuterfrau und Heilerin

Ylsebe van Ghotinghe Begine, Köchin, mager und spitzzüngig

Mechtylde von Helmenstede Begine, die Aleke das Leben schwermacht

DIE FAMILIE ALEKES

Herrade Ledinkhusen Alekes Mutter, starb vor zehn Jahren

Acchem van dem Broke Fernhändler, Stadtrat und Alekes Vater

Fredereke van dem Broke Ehefrau des Acchem van dem Broke

Kersten van dem Broke Einziger Sohn von Acchem und Fredereke van dem Broke

Ceffeken Horneborch Kerstens Braut, die in der Hochzeitsnacht erstochen wird

Hinrek van dem Broke Jüngerer Bruder des Acchem van dem Broke

BRAUNSCHWEIGER UND DURCHREISENDE

Gerwen Krameres Ratsherr und ehrgeiziger Händler

Vater Eustacius Priester und Beichtvater der Beginen

Smalejohan Righerts Diener

Wynneke Righerts Magd

Ysake von Bremhen Jüdischer Medicus, der in Salerno studierte

Rina von Bremhen Ehefrau des Medicus, die ebenfalls Medizin studierte

Debbeken Horneborch Mutter von Ceffeken Horneborch

Ludeke Horneborch Vater von Ceffeken Horneborch

Olric Wagheman Händler, der in einem Feuer starb

Zyghe Wagheman Ehefrau des Olric, ebenfalls im Feuer umgekommen

Drews Wagheman Sohn von Olric und Zyghe, der nach dem Brand verschwand

Hanneke Wagheman Tochter von Olric und Zyghe

Calf Gastwirtssohn und Freund des Drews Wagheman

Bertramme Swalenberch Henker

Frycke Engelemestidde Fahrender Apotheker

Hanses Oldehof Nachbar der Familie Wagheman

Widekint von Goslere Handelsfreund von Olric Wagheman, verarmt und Trinker

Kinen Junges Dienstmädchen Righerts

Rickele Magd der Familie van dem Broke

Elzebe Magd der Familie Horneborch

Beißer/Maustod Großer roter Kater, überlebte das Feuer

PROLOG

Braunschweig, im Jahr 1368

Mit großen Schritten eilte der Junge durch die einsamen Gassen der Stadt. Immer wieder blieb er stehen, um in die Nacht zu lauschen, ob ihm jemand folgte. Nur der Schein des Vollmonds warf ein fahles Licht auf das schmutzige Pflaster. Eine Wolke zog auf und würde in wenigen Augenblicken den Mond verdecken. Mit zusammengekniffenen Augen spähte der Junge ins Dunkel, suchte nach Hindernissen, die sich ihm in den Weg stellten. Verrottende Kohlstrünke lagen auf den Pflastersteinen neben einem alten Knochen, um den sich zwei magere Hunde balgten. Geschickt sprang der Junge zur Seite, um ihnen aus dem Weg zu gehen und beschleunigte seine Schritte. Hoffentlich war seine Mutter oder sein Vater nicht überraschend erwacht und hatte bemerkt, dass er sich im Schutz der Nacht davongeschlichen hatte. Nur zu gut wusste er, dass er im Dunkeln nicht auf den Straßen sein sollte. So oft hatte sein Vater ihm die Gefahren, die eine große Stadt wie Braunschweig barg, gepredigt – Trunkene, die nach einem Wirtshausbesuch nach Hause taumelten, Diebe und Wegelagerer, die in ihnen leichte Beute sahen, Weibsvolk, das sein Geld mit unsittlicher Arbeit verdiente.

Der Junge hatte stets den Kopf geschüttelt, wenn sein Vater wieder einmal mit seiner düsteren Litanei begonnen hatte. Das mochte alles stimmen, hatte der Junge gedacht, aber schließlich lebte er seit vierzehn Jahren, von Geburt an, in der Stadt und kannte sie so gut wie kaum ein anderer. Keines der mahnenden Worte seines Vaters hatte es vermocht, ihn davon abzuhalten, sein Glück in dieser Nacht zu versuchen.

Gar zu verlockend war das heutige Abenteuer gewesen. Calf, Sohn des Gastwirts und sein engster Freund, hatte ihm vor einer Weile mit glänzenden Augen von einem Schatz erzählt, der unter einer alten Weide zu finden wäre. An der Oker-Biegung, hinter der kurzen Brücke, dort, wo der Fluss leise glucksend seine Geschwindigkeit verringerte, als wollte er Neugierige locken. Ein passender Ort für einen Schatz, hatte der Junge gedacht und Calf atemlos gelauscht, als dieser von dem verzauberten Ort sprach. Es bedürfte nur eines Mutigen, das Gold zu heben, hatte sein Freund gesagt. Eines Mutigen und der rechten Zeit – nur in einer Vollmondnacht an einem Dreizehnten würde sich der Schatz offenbaren.

Wochen um Wochen hatten die Freunde sehnsüchtig gewartet, bis endlich der Vollmond auf einen Dreizehnten fiel. Schlag Mitternacht sollte man den Schatz finden können, hatte Calf geflüstert. Also hatte der Junge die halbe Nacht gegen den Schlaf angekämpft, ins Dunkel gelauscht, ob die Eltern und seine kleine Schwester auch schliefen. Ungeduldig hatte er gewartet, bis das Gesinde endlich alle Kerzen gelöscht hatte und jedes Geräusch im Haus verstummt war. Da hatte er sich aus dem Haus geschlichen, immer in der Angst, vom strengen Vater ertappt zu werden. Doch das Glück war ihm hold gewesen. Schlag Mitternacht hatte er an der großen Weide gestanden. Im Dunkel wirkte der Baum beinahe lebendig. Wenn der Wind durch die Äste fuhr und sie rüttelte, schien es dem Jungen, als wollte die Weide nach ihm greifen und ihn in eine düstere Umarmung ziehen. Auch das Glucksen der Oker, das am Tage wie ein freundliches Murmeln klang, wirkte in der Schwärze der Nacht auf den Jungen fremd und bedrohlich. Hörte er da nicht ein lautes Platschen, als ob ein Ertrunkener sich als Wiedergänger aus dem Schlick befreien wollte?

Vor Angst und Kälte hatte er gebibbert, und seine Zähne hatten geklappert wie die Knochen eines Gehenkten. Aber er wollte nicht davonlaufen, wollte vor dem Freund nicht als Hasenfuß gelten. Doch Calf hatte ihn im Stich gelassen, hatte den Jungen allein an der Oker-Biegung stehenlassen. Ein schöner Freund war das, der sich nicht an Verabredungen hielt und nicht wagte, sich um Mitternacht an den Fluss zu schleichen. Allein hatte der Junge nicht nach dem Schatz graben wollen. Zu sehr graute ihm in der Dunkelheit. Obwohl er es sich nicht eingestehen wollte, fürchtete er sich vor dem, was die alte Weide enthüllen würde, wenn er an ihrem Fuße zu schürfen begann. Zur tiefsten Stunde der Nacht.

Also hatte er den großen Baum neunmal umrundet, hatte sich mit den Armen den frierenden Körper warmgeschlagen, bis er endlich nicht mehr glauben konnte, dass sein Freund noch kommen würde. Da hatte der Junge die Beine in die Hand genommen und sich gesputet. Verfolgt von Schatten und Seufzern der Dunkelheit. Verspottet vom Murmeln der Oker, das wie höhnisches Gelächter in seinen Ohren klang. Auf seinem Rückweg drückte er sich eng an den Wall, der die Braunschweiger Stadtteile voneinander trennte. Nicht auszudenken, wenn ihn die Nachtwächter aufgreifen würden.

Voller Zorn hatte der Junge sich auf den Weg zur Scernerestrate gemacht, dorthin, wo das Wirtshaus von Calfs Vater stand. Den untreuen Freunde wollte der Junge wecken und ihm einiges sagen. Am Altstadtmarkt hatte er angehalten und sich suchend umgeschaut. War der Wächter auf seiner Runde bereits hier gewesen? Wenn er erst einmal einen Fuß auf den großen Platz setzte, würde jeder ihn sehen können.

Der Junge holte tief Luft und rannte so schnell, wie ihn die Füße trugen. Endlich hatte er den Marktplatz überquert, der ihm tagsüber so vertraut war, aber in der Nacht ein beklemmendes Eigenleben zu besitzen schien. Vom Pranger, an dem vor wenigen Tagen noch ein Dieb gestanden hatte und gestäupt worden war, schien ein Seufzen zu kommen, als trüge das Holz all die Ängste und Sorgen der Sünder in sich, die an ihm gebüßt hatten. Der Junge lief einen großen Bogen. Sein Herz schlug schneller. Inzwischen waren weitere Wolken vor den Mond gezogen, als hätte sich der Himmel gegen ihn verschworen, als Strafe, dass er sich den Eltern widersetzt hatte, weil er auf ein Abenteuer aus gewesen war.

Sein Herz schlug so schnell, dass der Zorn auf Calf verging und der Junge nur noch nach Hause wollte, in die Sicherheit seines Heimes. Vorsichtig schlich er weiter, bemüht, den Wächtern aus dem Weg zu gehen. Schließlich wusste er, so wie jeder Braunschweiger, dass man nachts nur auf den Straßen sein durfte, wenn man ein Licht bei sich trug. Doch da er sich heimlich aus dem Haus geschlichen hatte, musste der Junge auf die Helligkeit des Mondes und auf sein Geschick vertrauen. Plötzlich ertönte die Sturmglocke, und sein Herz schlug schneller, weil er fürchtete, dass die Wächter ihn entdeckt hatten. Doch bald erkannte er, dass die Glocke etwas anderem galt, etwas viel Schlimmerem. Denn als wäre die Nacht nicht bereits unheimlich genug, hatte er einen hellen Schein am Himmel entdeckt, so, als wäre der Morgen vorzeitig angebrochen. Kurz blieb der Junge stehen, um sich zu bekreuzigen. Nur noch wenige Gassen, und er könnte wieder in sein Bett krabbeln, das jetzt sicher ausgekühlt war. Vielleicht sollte er sich Beißer, den Hauskater und Rattenfänger, aufs Lager mitnehmen. Wenn der rote Kater nicht gerade ungnädig war, dann wärmte er besser als die Steine, die die Mägde im Herdfeuer erhitzten. Bei dem Gedanken an die sauberen Laken, die ihn erwarteten, fröstelte es den Jungen noch mehr. Der Wunsch, endlich wieder ins Warme zu kommen, weckte seine letzten Kräfte, und er rannte mit ausladenden Schritten.

Als er, erleichtert, nun bald wieder in Sicherheit zu sein, um die Ecke der Gasse bog, erwartete ihn ein Anblick, den er sein Lebtag nicht vergessen würde. Gierig leckten Flammenzungen an dem Haus, in dem er seine Eltern, seine kleine Schwester und das Gesinde friedlich schlafend wähnte. Schreckensstarr blieb der Junge stehen und glotzte ungläubig auf das Inferno, das sich vor seinen Augen abspielte. Dunkler Rauch ballte sich über seinem Elternhaus, das er erst vor kurzem verlassen hatte. Was war geschehen? Und was war mit seiner Familie? War jemand den Flammen entkommen? Getrieben von Sorge um seine Lieben stürzte der Junge zum Feuer.

Menschen versperrten ihm den Weg, so dass er sich mit seinen Ellenbogen durchkämpfen musste. Aus tränennassen Augen erkannte er, was geschah: Die Nachbarn hatten sich versammelt, um dem Feuer Einhalt zu gebieten. Mit vereinter Kraft schütteten sie Wasser auf die Flammen. Eimer folgte auf Eimer. Doch zu spät. Das Feuer hielt das Haus bereits fest in seinen roten Fingern. Mit unheilvollem Knistern verrichtete es sein zerstörerisches Werk.

»Obacht!«, schrie jemand, als der Dachstuhl zusammenbrach. Funken flogen auf und stoben in alle Richtungen davon, als wollten sie sich neue Beute suchen.

Ohne nachzudenken, setzte der Junge einen Fuß vor den anderen, wie magisch angezogen von dem Lichtschein, der die Gasse hell erleuchtete. Suchend irrte sein Blick durch die Menschenmenge, wünschte sich, den Vater, die Mutter oder die kleine Schwester zu erspähen. Doch er sah nur Nachbarn. Bekannte, die zu Hilfe geeilt waren oder verhindern wollten, dass die Flammen auf ihr Heim übergriffen. Wo war seine Familie? Wo das Gesinde? Irgendjemand musste doch aufmerksam geworden sein, als der Brand ausbrach.

»Niemand ist dem Feuer entkommen. Was für ein Unglück«, hörte der Junge, als hätte er seine Fragen laut ausgesprochen, aber er wollte es nicht glauben. Bei seinem Aufbruch hatte er sie alle friedlich schlafend zurückgelassen. Wie konnte sich innerhalb kürzester Zeit alles verändern? Ungläubig trat er näher an die Flammen heran, versuchte, mit seinem Blick den dichten Rauch zu durchdringen, um zu erkennen, was aus seinem Heim geworden war. In dem Augenblick schoss ein roter Schemen durch die Nacht und warf sich dem Jungen an die Beine.

Beißer.

Der Einzige seiner Familie, der ihm geblieben war. Der Junge bückte sich, um den Kater hochzuheben. Beißer fauchte, aber er ließ es geschehen. Die Finger des Jungen glitten in das dichte rote Fell. Der Kater, dessen Herz der Junge schlagen fühlen konnte, drückte sich an ihn. Das Fell des Tieres roch nach Rauch. Wie hatte Beißer dem Inferno nur entkommen können? Wieso das dumme Tier und keiner seiner Lieben?

»Warum hast du meine Schwester in Stich gelassen?«, flüsterte der Junge dem Kater zu und zwirbelte dessen Fell. »Warum? Warum? Warum?«

Jedes Wort sprach er lauter aus, brüllte gegen das Tosen des Feuers an, als könnte er es auf diesem Weg besiegen. Beißer fauchte und biss den Jungen in die Hand, aber der spürte das nicht. Auch die Hand, die sich ihm mitfühlend auf die Schulter legte, bemerkte er kaum. Wie gebannt starrte er ins Feuer und wollte die Hoffnung nicht aufgeben, Mutter, Vater oder Schwester wie ein Wunder den Flammen entrinnen zu sehen.

»Komm besser mit, Junge«, sagte der Nachbar und presste seine Finger in seine Schulter, dass es ihn schmerzte. »Das Feuer war nicht die Schuld einer unaufmerksamen Magd.«

Der Junge, die Finger noch immer in das Fell des roten Katers verkrallt, verstand den Nachbarn erst nicht. Langsam, wie durch zähen Sirup bohrten sich dessen Worte endlich in seinen Kopf, durchdrangen die Erschöpfung, geboren aus Trauer und zu wenig Schlaf.

»Ihr meint ...?« Der Junge wagte es nicht, seinen Verdacht auszusprechen. Wer sollte seine Familie so hassen? Sein Vater war ein geachteter Mann, der sich niemals etwas hatte zuschulden kommen lassen. Seine Mutter hatte für jeden Menschen ein freundliches Wort übrig und verteilte, wie der Vater sagte, viel zu großherzig Almosen an die Armen. Und Hanneke – ein Schluchzer entrang sich der Brust des Jungen. Hanneke war doch noch viel zu klein, um einen derart großen Zorn auf sich zu ziehen. »Was soll ich nur tun?«

»Hast du Verwandte, zu denen du flüchten kannst?« Sanft zog der Nachbar den Jungen vom Feuer weg, in das Halbdunkel eines Torbogens. »Ich kann dir ein paar Münzen für die Reise geben. Aber du solltest so schnell wie möglich aufbrechen.«

»Ja.« Der Junge nickte, ohne dass er die Worte wirklich verstand. Er starrte in die schwelenden Trümmer. Jeden Augenblick erwartete er, seinen Vater oder seine Mutter rufen zu hören. Oder Hannekes Stimme, die ihn bei seinem Spitznamen rief. Doch nur das Knistern des brennenden Fachwerks und die Rufe der Nachbarn waren zu hören. Keine vertraute Stimme erlöste ihn aus der Trauer.

Tot.

Alle tot.

Nicht einmal das Gesinde lebte mehr. Und es sollte nicht das Schicksal gewesen sein, sondern ein böser Mensch ... Argwöhnisch blickte der Junge sich um, doch er sah nur Menschen, die er kannte. Nachbarn und Freunde, in deren Augen er Mitgefühl und Entsetzen las. Fast so ein starkes Entsetzen, wie auch er es verspürte. Plötzlich begann er so stark zu zittern, dass Beißer fauchte und unruhig zappelte. Ohne nachzudenken, setzte er den Kater auf den Boden. Beißer legte die Ohren flach an und plusterte Schwanz und Rückenfell auf, bevor er ins Dunkel der Nacht verschwand.

Jetzt bin ich ganz allein, dachte der Junge. Nicht einmal mehr der Kater ist mir geblieben. Kummer drohte ihn zu überwältigen, aber die Worte des Nachbarn weckten etwas Weiteres. Etwas, das stärker als jede Trauer war. Den Wunsch nach Vergeltung. Nach Rache an dem Bösen, der seine Familie den Flammen überlassen hatte. Jetzt war nicht die Zeit, um seine Lieben zu weinen, jetzt war die Zeit, sich zurückzuziehen und einen Plan zu schmieden, der ihm Sühne für die Ermordeten brächte. Nur noch ein Ziel kannte er. Ein Ziel, das die Tränen trocknete und sein Herz ruhiger schlagen ließ.

»Ja«, sagte der Junge erneut zu dem freundlichen Nachbarn. Nach einem letzten Blick auf die Trümmer, die einmal sein Zuhause und sein Leben gewesen waren, wandte er sich brüsk ab. »Ich danke Euch. Morgen früh, sobald die Stadttore sich öffnen, breche ich auf.«

Mit hochgerecktem Haupt folgte er dem Nachbarn zu dessen Haus.

Das wohl vierjährige Mädchen, auf dessen rußgeschwärztem Gesicht sich die schiere Panik abmalte, sah der Junge nicht. Die Kleine zitterte am ganzen Körper; rote Verbrennungsmale zogen sich über ihren linken Arm bis hin zur Schulter und auch über Hals und Gesicht, verdeckt durch dunklen Ruß. Ihr Mund war zu einem stummen Schrei aufgerissen, bis Beißer zu ihr lief und sich an ihre Beine schmiegte. Sie beugte sich herunter, um den Kater zu streicheln. Tränen zogen helle Spuren in die Schwärze des Gesichtchens.

KAPITEL 1

Braunschweig, im Jahr 1374

Aleke.« Unter Hunderten hätte sie seine Stimme erkannt, obwohl er bisher nur wenige Worte mit ihr gewechselt hatte. Ihr Herz schlug schneller, und sie leckte sich die trockenen Lippen. »Aleke. Ich brauche deine Hilfe.«

Langsam, ganz langsam drehte sie sich um, nachdem sie gewiss war, ihre Fassung wiedererlangt zu haben. Er sollte nicht sehen, dass ihre Hände zitterten, als hätte sie ein Fieber ergriffen. Mit einem schnellen Blick musterte sie ihr Kleid und biss sich auf die Lippen. Erde von den Kräuterbeeten klebte an ihrem schlichten grauen Rock. Dieselbe Erde, die auch ihre Hände bedeckte. Eilig versuchte Aleke, die zitternden Finger an ihrer Schürze zu säubern, aber der dunkle Boden, der ihre Heilkräuter und Blumen so gut nährte, hatte sich tief in ihre Haut gegraben. Wie oft hatte sie sich dieses Treffen in ihren Träumen ausgemalt. Aber niemals hatte sie gedacht, dass sie dabei aussehen würde wie eine Dienstmagd, wenn er sie endlich aufsuchen würde. Warum nur musste er ihr so viel bedeuten, wo sie ihm so wenig bedeutete?

Genug gegrübelt. Aleke drehte sich um und schaute ihn an. Mit ruhigem Blick, als brächte sein Anblick sie nicht zum Zittern. Vor Wut. Aber auch vor dem Wunsch, endlich Anerkennung von ihm zu erhalten. So stark waren die Gefühle, die in ihr aufwallten, dass sie ihren Blick niederschlagen musste. Vor ihm. Vor dem Fremden, der ihr Vater war.

Aleke atmete tief durch und hob dann erneut den Blick, um Acchem van dem Broke zu mustern. Gut sah er aus. Hochgewachsen und schlank. Nur wenige graue Strähnen durchzogen das kräftige dunkelbraune Haar, das sie von ihm geerbt hatte. Auch die lange schmale Nase kannte Aleke nur zu gut. Jeder Blick in die glatte Oberfläche eines Teichs oder eines Brunnens offenbarte ihr, wessen Tochter sie war, auch wenn ihr Vater sie nie öffentlich anerkannt hatte. Nur die rauchgrauen Augen hatte Aleke von ihrer Mutter; die ihres Vaters waren von einem tiefen Braun wie edles Mahagoni. Hochgewachsen war sie, wie er, größer als die meisten Schwestern, die im Konvent lebten, und so schlank, dass die Köchin Ylsebe van Ghotinghe Aleke oft eine zweite Portion Eintopf oder Getreidebrei aufnötigte.

Es verwunderte Aleke, wie bescheiden ihr Vater gekleidet war. Ein enganliegender Scheggenrock von der Farbe der Felder um Braunschweig umschloss seine hochgewachsene Gestalt. Auch die Beinkleider und die Schuhe waren in dem dunklen Erdton gehalten. Als einziger Zierrat diente ein silberner Gürtel, der die Lederscheide hielt, in der ein schmaler Dolch steckte.

»Herr van dem Broke«, sagte sie schließlich, dankbar, dass ihre Stimme ruhig und gefasst klang. »Was führt Euch zu mir?«

»Ach, Aleke.« Er trat einen Schritt näher an sie heran, streckte die rechte Hand aus, als wollte er sie berühren. Aleke riss den Kopf hoch wie ein scheuendes Pferd. Nein, nicht das. Kurz malte sich Schmerz auf dem Gesicht ihres Vaters ab. Er ließ die Hand sinken. »Ich ... ich ...«

»Was wollt Ihr?«, fragte sie und erschrak über die Bitterkeit, die in ihren Worten mitschwang. Bitterkeit, die sie so laut werden ließ, dass die Schwestern, die im Garten arbeiteten, aufschauten und nicht mehr vorgaben, nicht neugierig zu sein. Aleke senkte die Stimme. »Wie kann ich Euch helfen?«

»Ich weiß, dass ich kein guter Vater war«, begann er, doch sie unterbrach ihn harsch.

»Ich verdanke Euch, dass ich hier leben kann. Ihr seid mir nichts schuldig.«

Ein Blitz müsste aus dem Himmel fahren, um sie für diese dreiste Lüge zu strafen. Wie oft hatte sie mit ihm gehadert, weil er ihre Mutter nicht geheiratet hatte, weil er sie als Bankert hatte aufwachsen lassen, dem Gespött der Braunschweiger ausgeliefert. Wären nicht die Schwestern, bei denen ihre Mutter und sie Obhut gefunden hatten ... Aleke mochte nicht weiter darüber nachdenken, welches Schicksal ihre Mutter und sie erwartet hätte.

Am schlimmsten wog, dass sie ihm dankbar sein musste. Zahlte ihr Vater den Schwestern doch jedes Jahr eine gute Summe, damit Aleke hier leben konnte. Erst hatte er für ihre Mutter und sie gezahlt; nach dem viel zu frühen Tod von Herrade hatte Acchem van dem Broke weiter für seine Tochter gesorgt. Wie gern hätte sie ihm schon vor Jahren seine Zuwendungen zurückgegeben, aber die Schwestern brauchten jede Spende, die sie bekamen, um das Spital und die Armenspeisung zu unterhalten. Ihrem Vater etwas schuldig zu sein fraß jeden Tag an Alekes Stolz, mochte die Meisterin ihr noch so oft sagen, dass Stolz eine Sünde war. Selbst jetzt, wo sie durch ihre Heilkunst und Handarbeiten zum Unterhalt des Konvents beitrug, floss weiterhin Geld ihres Vaters an die Magistra.

»Aleke?« Ihr Vater schaute sie an, als erwartete er eine Antwort. Warum nur waren ihre Gedanken wieder gewandert?

»Entschuldigt. Euer Besuch hat mich überrascht. Gar zu unerwartet kam er.« Diese Spitze konnte sie ihm nicht ersparen, aber nun genug davon. Er wünschte ihre Hilfe. Die würde sie gern gewähren, um dann ihrer Wege zu gehen und ihren Vater für immer zu vergessen. »Womit kann ich dienen?«

»Kersten. Mein Sohn.« So viel Leid klang aus seiner Stimme, dass Aleke ihn anschaute. Ihr suchender Blick entdeckte Furchen, die Sorge in seine Mundwinkel gegraben hatte. Tiefe Schatten lagen unter seinen Augen, als würde etwas an ihm nagen und ihm die Ruhe rauben. »Er ist im Kerker.«

Ihr Halbbruder im Kerker? Aleke sog scharf die Luft ein. Warum hatte sie noch nichts davon gehört? Sonst drangen die Gerüchte über die Geschehnisse in der Stadt immer schnell zu den Schwestern von St. Petri.

»Hat er nicht erst vor zwei Tagen Hochzeit gefeiert?« Auch wenn sie es sich niemals eingestehen würde, suchte Aleke jede Neuigkeit über die Familie van dem Broke wie ein hungriger Spatz die Brotkrumen. »Mit der Tochter des Händlers Horneborch?«

»Ceffeken.« So wie ihr Vater den Namen aussprach, schien es kein gutes Geschick mit der Ehe genommen zu haben. »Ein hübsches Kind. Und immer fröhlich.«

Sein Blick schien über Aleke hinwegzuwandern, in eine bessere Zeit. Was hatte es nur mit der Horneborch-Tochter auf sich? War sie Kersten van dem Broke davongelaufen?

»Kersten ist angeklagt, seine Braut getötet zu haben.« So leise sprach ihr Vater, dass Aleke sich vorbeugen musste, um seine Worte zu verstehen. Es fiel Acchem van dem Broke sichtlich schwer, über den Schrecken zu reden, der seine Familie überfallen hatte. »Am Morgen nach der Hochzeit hat die Magd Ceffeken in ihrem Blute gefunden. Kersten lag wie tot neben ihr, voller Blut. Die Magd musste ihn fest rütteln, dass er erwachte.«

Aleke hob eine Hand vor den Mund, um den Schrei zu unterdrücken, den diese Hiobsbotschaft hervorrief. Was war ihr Halbbruder für ein Mensch, seine Frau in der Hochzeitsnacht zu ermorden? Hatte Kersten etwa zu arg getrunken? Hätte das Gesinde nichts von dem Streit, der so übel endete, bemerken müssen? Die arme junge Frau hatte sicher geschrien und um ihr Leben gekämpft. Viele Fragen stürmten auf Aleke ein, aber sie wagte nicht, sie ihrem Vater zu stellen, der so niedergedrückt von dem Leid schien.

»Kersten. Er ... er ist mein einziges Kind.«

Acchem van dem Brokes Worte schnitten wie ein scharfes Messer durch Alekes Herz. Sie krallte die Fingernägel in ihre Handflächen, um einen anderen Schmerz zu spüren. Warum nur schmeckte diese Zurückweisung so bitter? Warum nur hoffte sie nach all den Jahren immer noch, dass ihr Vater sie anerkannte? Obwohl sie sich bemühte, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr die Worte ihres Vaters sie getroffen hatten, schien sie sich verraten zu haben.

»Es ... es tut mir leid«, flüsterte Acchem van dem Broke. Wieder streckte er die Hand nach ihr aus. Wieder wich sie vor ihm zurück. »Ich ... ich ... Kersten ist mein einziger Sohn.«

Abwehrend hob Aleke die Hände. Sie wollte keine Entschuldigung hören. Ihr Vater war ihr keinerlei Rechenschaft schuldig. Jedes Wort der Reue schmerzte beinahe noch schlimmer als seine unbedachte Äußerung. Hatte er doch nur ausgesprochen, was sie ohnehin geahnt hatte. Für ihren Vater existierte sie nicht. Nicht als sein Kind. Nur als jemand, der gerade gut genug war, ihm zu helfen, wenn er Hilfe brauchte.

»Was erwartet Ihr von mir?«, fragte sie. Ihr Gesicht eine Maske des Hochmuts, so wie sie es ihr Leben lang geübt hatte, um sich gegen Hohn und Schmerz zu wappnen. »Ist es nicht Aufgabe der Gerichtsbarkeit, die Wahrheit zu finden?«

»Kersten sagt, dass er sich an nichts erinnern kann.« Acchem van dem Broke schaute Aleke so hilfeflehend an, dass sie ihm den Schmerz beinahe verziehen hätte. Doch der Blutstropfen, der langsam aus ihrer Faust trat, erinnerte sie. Vorsichtig löste sie die Finger. »Man sagt, du kennst alle Kräuter ...«

Fragend schaute Aleke ihren Vater an. Ja, das stimmte. Seitdem sie mit ihrer Mutter zu den Schwestern gezogen war, hatte Aleke ihr Wissen über Heilkräuter und Gifte vertieft, so dass sie eine große Stütze der Schwestern war, von denen etliche in der Stadt die Kranken pflegten. Aber was sollten ihre Kenntnisse ihrem Halbbruder nützen? Wollte ihr Vater etwa ein Kraut, das Kersten vor der Folter bewahrte? Sollte Aleke ihm ein Gift brauen, damit er sich das Leben nehmen konnte? Nein, das würde ihr Vater niemals von ihr verlangen.

»Das ist wahr ...«, antwortete sie sehr vorsichtig. Neuer Ärger wallte in ihr auf, dass Acchem van dem Broke sich an sie erst als Teil seiner Familie erinnerte, als sein Sohn in Gefahr war. Sonst war Aleke nicht gut genug, aber für Kersten van dem Broke gab ihr gemeinsamer Vater alle Vorbehalte gegen die unehrenhafte Tochter auf. »Man sagt, ich kenne mich mit Heilkräutern aus. Aber was kann Euch mein Wissen helfen?«

»Sprich mit meinem Sohn«, bat er und ließ sie nicht aus den Augen. »Rede mit ihm. Vielleicht kennst du ein Gift, das ihm die Erinnerung raubte. Es muss eine Erklärung geben. Für Ceffekens Tod.«

Es gibt eine Erklärung, dachte Aleke, aber die will er nicht hören. An die will er nicht glauben. Dass sein Sohn, sein wunderbares Kind, ein Mörder ist. Obwohl sie sich sofort dafür schämte, konnte sie das Aufwallen von Genugtuung nicht verhindern. Wurde der Mann, der sie gezeugt hatte, nun endlich dafür gestraft, dass er ihre Mutter und sie der Schande überlassen hatte? Ihre Mutter. Aleke seufzte leicht. Ihre Mutter würde nicht wollen, dass sie sich Rachegelüsten hingab.

»Acchem van dem Broke ist ein guter Mann, der deinen Zorn nicht verdient«, hatte Herrade ihrer Tochter oft gesagt. In ihren schönen rauchgrauen Augen hatte Aleke eine tiefe Liebe zu dem Mann entdecken können, der Herrade ins Unglück gestürzt hatte. Eine Liebe, die nach all den Jahren nicht vergangen war. »Er unterstützt uns, obwohl er ...«

Hier hatte ihre Mutter stets geschwiegen. Ihr zartes Gesicht hatte für einen Augenblick einen Ausdruck der Härte gezeigt, den Aleke nur zu gut verstehen konnte. Schließlich musste ihre Mutter sich genauso viel Verachtung gefallen lassen wie Aleke. Selbst bei den Schwestern gab es einige, die Aleke nur zu gern spüren ließen, dass ihre Herkunft zu wünschen übrig ließ. Schnell hatte das Mädchen gelernt, sich mit Worten zu wehren, und ihre spitze Zunge war gefürchtet.

Ein lautes Räuspern holte Alekes Gedanken aus der Vergangenheit zurück in den Garten. Das milde Licht der Märzsonne warf einen freundlichen Schimmer auf die ersten Kräuter und Blumen, die durch das Dunkel der Erde gebrochen waren. Ein zarter Wind streichelte Alekes Haut. Die Sanftheit des Wetters wirkte unwirklich auf sie, als sie an den Schrecken dachte, den ihr Vater mit sich gebracht hatte. Warum musste er sie in die Angelegenheiten seiner Familie zerren? Neunzehn Jahre lang hatte er sich aus ihrem Leben ferngehalten, neunzehn Jahren hatte sie sich nach einem freundlichen Wort, einer liebevollen Geste gesehnt – warum musste er gerade jetzt in den Frieden einbrechen, den sie bei den Schwestern gefunden hatte?

»Hilfst du mir?«, wiederholte Acchem van dem Broke mit leiser Stimme, als hätte er jede Hoffnung aufgegeben. »Ich weiß nicht, wen ich sonst bitten könnte.«

Er senkte den Blick. Auf einmal wirkte er älter, als es seine Jahre vorgaben. Niedergedrückt von Trauer und Verzweiflung.

Den Apotheker hätte sie ihm nennen können. Oder einen Bader. Männer, die sich auf die Wirkung von Kräutern und Tränken verstanden. Aber die Anziehungskraft, die Aleke so gern leugnen wollte, der sie aber sich nicht entziehen konnte, ließ nicht zu, dass sie ihren Vater wegschickte.

»Ich muss die Vorsteherin fragen.« Sie konnte ihren Vater nicht leiden sehen, auch wenn Aleke sich so oft gewünscht hatte, ihn spüren zu lassen, was es für sie und ihre Mutter bedeutete, ehrlos zu sein. »Sie muss entscheiden, ob ich meine Pflichten hier zurückstellen kann.«

Obwohl sie ahnte, was die Magistra antworten würde. Schließlich war sie die Schwester ihres Vaters. Etwas, worüber Aleke und die Vorsteherin bisher Stillschweigen bewahrt hatten, etwas, das sie beide wussten, über das sie aber niemals sprachen. Wenn überhaupt, dann hatte Benedicte Muntaries sich stets bemüht, Aleke nicht zu bevorzugen, und ihr eher die schlechtesten Aufgaben zugeteilt, damit nur keine der Schwestern glauben konnte, dass Aleke Vorrechte bekäme.

»Willst du eine Begine werden?«, fragte Acchem van dem Broke, als hätte er sich jemals Gedanken über Alekes Leben gemacht. »Willst du weiter hier leben?«

»Wir nennen uns Schwestern«, antwortete sie. Als wäre das jetzt von Bedeutung. Aber es beruhigte sie, an etwas Altbekanntem festzuhalten und ihre Gedanken nicht damit zu beschäftigen, was es bedeutete, dass ihr Leben und das ihres Vaters sich verschränkten. »Ich gebe Euch so bald wie möglich Bescheid.«

»Danke. Danke«, sagte ihr Vater. Er hob die Arme, als wollte er sie in die Arme schließen, aber nach einem Blick in ihre Augen ließ er die Hände wieder sinken. »Ich danke dir.«

»Dankt mir erst, wenn ich es verdient habe.« Die Worte klangen harscher, als Aleke es beabsichtigt hatte, aber sie wusste nicht, wie sie das Gesagte abmildern konnte.

Schweigend standen sie sich gegenüber. Ein einsamer Vogel begrüßte singend den Frühling. So fröhlich, dass es Aleke schmerzte. Sie griff nach dem Korb, in dem sie Blumenzwiebeln und Kräutersamen trug.

»Ich gebe Euch Bescheid«, sagte sie erneut, unfähig, andere Worte zu finden, mit denen sie ihm Trost zusprechen könnte. Vielleicht auch unwillig – sie hätte es nicht sagen können.

»Danke«, wiederholte er, als suchte er auch nach Worten, die das zu sagen vermochten, was besser ungesagt blieb. »Grüß meine Schwester von mir.«

Sie nickte.

Er wandte sich ab. Aleke schaute ihrem Vater nach, als er durch den kleinen Garten zurück zum Tor ging. Den Rücken gebeugt, als könnte er die Last kaum tragen, die das Leben ihm auferlegt hatte. Als er das Tor erreicht hatte, blieb er stehen und wandte sich zu ihr um. Grüßend hob er die Hand. Ohne zu überlegen, hob sie die ihre ebenfalls. Einen Augenblick schauten sie einander an, fühlten sich einander näher als zuvor, als sie nur wenige Schritte getrennt hatten. Aleke wollte schon die Röcke raffen und sich in die Arme ihres Vaters stürzen, aber dafür war es zu spät.

Sie wandte sich ab, folgte den Wegen bis zum Haus, in dem die zwölf Schwestern lebten. Benedicte Muntaries, die Vorsteherin, war sicher in ihrem Gemach und bereitete sich auf das abendliche Gebet vor. Aleke zögerte. Sollte sie sich nicht etwas Zeit nehmen, um die Bitte ihres Vaters zu überdenken? Musste sie nicht erst überlegen, welche Gefahren es für die Schwestern mit sich brächte, wenn eine von ihnen sich in Angelegenheiten der weltlichen Gerichtsbarkeit einmischte? Zu gut wusste Aleke, dass die Gemeinschaft der Frauen vielen Braunschweigern ein Dorn im Auge war. Immer wieder tauchten Gerüchte auf, die die Schwestern der Zauberei oder Unkeuschheit bezichtigten. Dank Benedicte Muntaries hatte die kleine Gemeinschaft bisher trotz aller Anfeindungen überleben können, aber die Vorsteherin hatte alle Schwestern angewiesen, sich an die Regeln zu halten. Ihren Halbbruder aus dem Kerker zu retten fiel sicher nicht unter dieses Regelwerk.

KAPITEL 2

Durch die Regenfälle der letzten Wochen war der Weg so matschig, dass die Hufe des Pferdes sich mit einem schmatzenden Geräusch aus dem Schlamm lösten. Während Righert den Wagen mit sicherer Hand über die Fernstraße lenkte, erhoben sich die Umrisse der Stadt Braunschweig vor ihnen. Die Kirchen und der große Dom waren unverkennbar, doch vor allem stachen die Türme der Braunschweiger Stadtmauer ins Auge. Von der wehrhaften Befestigung aus konnten die Wächter sicher weit ins Umland schauen. Umrahmt war die Stadt von einem Graben, der nur über Brücken an den Stadttoren überquert werden konnte. Derartig gesichert schien Braunschweig jedem Angriff von außen trotzen zu können.

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