Die heiße Sphinx und andere Erzählungen - Yelmo Schütz - E-Book

Die heiße Sphinx und andere Erzählungen E-Book

Yelmo Schütz

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Beschreibung

Vor Aufnahme seines Studiums geht ein Abiturient für ein halbes Jahr auf den Bau. Hier erfährt er nicht nur die Grenzen seiner physischen Belastbarkeit, sondern er gewinnt auch Einblicke in die handwerklichen Arbeitsabläufe und erkennt manches, was seine Schulweisheit ihn nicht gelehrt hatte. Ein junger Autodesigner, der gerne Handwerkern bei ihrer Arbeit zusieht, weil er ihr Geschick bewundert, lässt sich von einem Schreiner zwei Regale bauen. Dieser, ein schwerer Alkoholiker, hat sämtliche sozialen Kontakte verloren und wirbt nun heftig um die Freundschaft des ihm sympathischen Kunden, und er lädt ihn abends zu sich ein. Dem Designer gelingt es nur mit Mühe, sich der Zudringlichkeit des Schreiners zu entziehen. Nachträglich sendet er ihm allerdings noch ein positives Signal, das anscheinend Wirkung zeigt. Der Fund einer ungewöhnlichen Keramik bei Baggerarbeiten erzeugt in einem Dorf erhebliche Turbulenzen. Ein Tauziehen zwischen dem Pastor und dem Bürgermeister findet ein überraschendes Ende, als die Gemeindesekretärin an ihrem Chef vorbei eine salomonische Lösung einfädelt. Ein junger Lehrer glaubt, dass er an der Schule, die sein früherer Lieblingslehrer leitet, gut aufgehoben sei. Als der Rektor versucht, seinen ehemaligen Schüler als Spitzel einzusetzen, ändert sich die Beziehung zwischen den beiden von einer Sekunde auf die andere, und die Konflikte sind vorprogrammiert. Ein erfolgreicher Wissenschaftler, der Freude an seiner Arbeit hat, kann die ihm zugebilligten Freiheiten nicht genießen. Stattdessen arbeitet er von früh bis in die Nacht, bis er erkennt, dass er sich zu seinem eigenen Gefangenen gemacht hat, und er denkt über einen Ausbruch nach. Der Autor hat die Gespräche aus dem Gedächtnis protokolliert, die er bei einem Dutzend Besuchen bei seinem türkischen Friseur geführt hat.

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Seitenzahl: 258

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Vor Aufnahme seines Studiums geht ein Abiturient für ein halbes Jahr auf den Bau und erfährt so manches, was ihn seine Schulweisheit nicht hätte träumen lassen. – Ein junger Autodesigner, der gerne Handwerkern zusieht, kommt mit einem Schreiner in Kontakt, der heftig um seine Freundschaft wirbt. Nur mit Mühe kann der Designer sich der Zudringlichkeit des Alkoholikers erwehren. – Als bei Baggerarbeiten eine erotisch anmutende Keramik ans Tageslicht gefördert wird, kommt es in einem Dorf zu erheblichen Turbulenzen. Das Tauziehen zwischen dem Pastor und dem Bürgermeister findet ein überraschendes Ende, als die Gemeindesekretärin eine salomonische Lösung einfädelt. – Ein Junglehrer glaubt, dass er an der Schule, die sein früherer Lieblingslehrer leitet, gut aufgehoben sei. Als der Rektor jedoch versucht, den ehemaligen Schüler als Spitzel anzuwerben, ändert sich die Beziehung zwischen den beiden von einer Sekunde auf die andere, und die Konflikte sind vorprogrammiert. – Ein Wissenschaftler, der mit Freude bei seiner Arbeit ist, hat verlernt, seine Freiheiten zu genießen. Als er erkennt, dass er sich durch seinen Arbeitswahn zu seinem eigenen Gefangenen macht, entwickelt er sonderbare Ausbruchsfantasien. – Zwölf mit einem türkischen Friseur geführte Gespräche wurden aus dem Gedächtnis aufgezeichnet.

Yelmo Schütz wurde 1938 geboren. Nach seiner Emeritierung als Kunstwissenschaftler wandte er sich der Belletristik zu. Er lebt in Karlsruhe.

Für Monika Brückner

Inhalt

Die Baustelle

Schreiner Knobel

Die heiße Sphinx

Der Junglehrer

Die Zelle

Zwölf Friseurgespräche

Dank

Editorial

Die Baustelle

Nur zwanzig Minuten hatte er mit dem Rad bis zur Baustelle gebraucht. Nun war er fast eine halbe Stunde zu früh, halb sieben war gerade vorüber. Langsam fuhr er über das große, zunächst etwas unübersichtliche Gelände, und er erkannte hinter Hügeln von ausgebaggerter Erde, die von einem Aushub zusammengeschoben worden waren, einen runden Betonbau mit Kuppeldach. Er konnte sich wohl darauf verlassen, dass die Fahrspuren, in denen kaum noch Gras wuchs, ihn zum Ziel führen würden. Zwischen Haufen mit Kies und Sand und Stapeln von Bauholz gelangte er zum vermeintlichen Zentrum der Baustelle. Vor einer Holzbaracke, die sicher als Wetterschutz und Frühstücksraum diente, stieg er ab und lehnte das Rad an die Hütte, deren Tür mit einem schweren Riegel und einem klobigen Vorhängeschloss gesichert war.

Da näherte sich ein weiterer Radfahrer. Es war ein großer, schwerer Mann mittleren Alters mit blaugrauer Schiebermütze. Er stieg vom Rad, schob die Unterlippe vor, stierte Gero mit großen, gutmütigen Augen an und blieb zunächst stumm vor ihm stehen. Schließlich fragte er: „W-W-Willst du hier sch-sch-schaffe?“

Der Junge grinste ihn verächtlich an und fragte süffisant zurück: „Sie sind doch nicht etwa der Polier?“

Beschwichtigend hob der andere eine Hand und entgegnete ein wenig verlegen: „Ach nein, ach nein! Ich b-b-bin der Fritz. Ich b-b-bin a-a-a nur Hi-Hi-Hilfsarbeiter.“

Nun musste sich auch der Neue vorstellen. – „Ich heiße Gero. Arbeite ein halbes Jahr hier, und im Herbst fange ich mit dem Studium an.“

„A-A-Ach, Student! Ein Student b-b-bist du. Wirst A-A-Architekt? Bestimmt A-A-Architekt.“

Fritz schien keine Antwort zu erwarten; für ihn war die Sache entschieden. Er lehnte sein Rad neben das von Gero und blickte ihn wieder an.

„Stu-tu-tudent also. A-A-Architekt a-a-also. Komm her, ich z-z-zeig dir, was wir m-m-mache. K-K-Komm!“

Fritz ging voraus und blieb hinter der Baracke stehen. Sie standen vor einer großen rechteckigen Fundamentplatte, aus deren schmalem Ende zahllose Rohre ragten, die mit gelber Folie zugebunden waren. An den vier Ecken stand ein Schnurgerüst. Dahinter erhob sich der mächtige Betonzylinder, der offenbar schon fertiggestellt war.

Stolz zeigte Fritz auf das Bauwerk. „D-D-Den habe wir schon gebaut. F-F-Faulturm. A-A-Aber es is noch nix drin. Später. D-D-Da wird das Dreckwasser von der Stadt und die g-g-ganz Scheiße eingekocht und verfault – o-oder so – verstehst du?“ Jetzt musste der Fritz lachen.

„Nein, versteh ich nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Friedberger hier ihre Scheiße einkochen. Erklär mir das!“ Er dachte, der Fritz stottert nicht nur, er ist auch ein bisschen beschränkt.

Fritz ließ den rechten Arm, den er eben noch stolz ausgestreckt hatte, hilflos sinken. „W-W-Weiß ich auch net. Wirst sehe. Wirst schon s-s-sehe, aber es stimmt. F-F-Frag die a-andere. Aber der P-Po-Polier weiß es, der weiß a-a-alles.“

Gero zeigte auf die Betonplatte. „Und was wird das hier?“

„Haus. B-B-Bestimmt a k-k-kleines Häusche, d-d-denk ich. Wirst sehe. D-d-da!“ – Er zeigte auf einen Stapel Hohlblocksteine, wahrscheinlich eine Lkw-Ladung, und dann auf eine Plane, mit der etwas abgedeckt war. „Z-Z-Ze-Zement und K-K-Kalk. Is alles schon d-d-da.“

Fritz schien nun nicht mehr stolz darauf zu sein, was sie schon geleistet hatten. Mit gesenktem Blick murmelte er nur noch Unverständliches vor sich hin und seufzte einmal tief. Vermutlich war das Gespräch für ihn anstrengend gewesen.

Ich glaube, ich muss den Fritz jetzt in Ruhe lassen, den armen Kerl, dachte Gero. – Nur zwei Maschinen standen da, ein Betonmischer und ein Bagger. Dann erkannte er hier zwei Arbeitsplätze. Links von dem Fundament standen schwere Holzböcke, auf denen Balken und Bohlen abgelegt waren, darunter lagen Holzabfälle verstreut, und der zertrampelte Rasen war mit Sägemehl hell überpudert. Das war offensichtlich der Zimmerplatz, wo die Schalungen vorbereitet wurden. Gegenüber, rechts von der Betonplatte und etwas abseits, standen auch Böcke, aber hier war alles braun, wie angerostet. Hier arbeiteten anscheinend die Eisenbieger. Als einzige Werkzeuge hatten sie eine Biege- und eine Schneidevorrichtung.

Als Gero ein Motorgeräusch hörte, wandte er sich zum Gehen. „Komm, wir schauen mal, wer da kommt.“

„D-D-Der S-S-Sammer. Das is der P-P-Po-Polier. Ha-Ha-Hat Auto, der S-S-Sammer. M-M-Musst Herr Sammer sage. S-S-Sie musst du zu ihm s-s-sage, net du, verstehst du? Sonst a-a-a … Respekt!“

Ein grauer VW-Käfer bahnte sich den Weg über die Baustelle. Fritz trat zwei Schritte zur Seite, damit der VW bequem vorbeifahren konnte. Zwei Motorräder knatterten noch heran, und ein ganzer Trupp Männer kam zu Fuß von der Bushaltestelle an der Straße.

„Ha, Fritz, was machst du denn so früh hier? Da ist der Schlüssel. Schließ die Hütte auf und lass Luft in die Bude. Und stell alle Schubkarren raus, damit es für uns Platz gibt.“ Herr Sammer hatte eine schneidende, eine metallisch harte und durchdringende Stimme, die sicher über die gesamte Baustelle zu hören sein würde. Er sah Gero an, der ihn grüßte: „Guten Morgen, Herr Sammer. Ich bin Gero Theiler. Will ein halbes Jahr hier arbeiten. Hab mich im Büro angemeldet.“

„Geht klar. Ich bin schon informiert. Steuerkarte?“, fragte er.

„Ja, Moment. Ich hab sie in der Tasche. Hier bitteschön, Herr Sammer.“

„Hör mal, Bürschchen, das Bitte und Danke gewöhnst du dir auf dem Bau mal ganz schnell ab. Wo kämen wir da hin: Eine Schippe Kies bitte. – Hier ist der Kies, bittesehr. – Danke für den Kies. – Wenn du so rumquasselst, ist Feierabend, und du hast nix geschafft. Capito? Capito.“

Gero überlegte. Dieser Sammer mit seinem schönen, kanntigen Gesicht und den kurz geschnittenen blonden Haaren dürfte gut zehn Jahre älter sein als er. Dann war er vermutlich wie sein ältester Bruder noch Soldat gewesen, wo er sich den schneidigen Ton eines Feldwebels angeeignet hatte. Ob er ein Nazi war, würde sich im Laufe der nächsten Monate vielleicht noch herausstellen.

Eine Gruppe Männer hatte sich um die beiden versammelt. Sie lachten und alberten durcheinander: „Bitte ein Brett – danke für das Brett – bitte einen Nagel – danke für den Nagel. Ja, ja, die Studente, die feine Herrschafte – Ha, ha, haaa!“

Fritz rief dazwischen: „A-A-Architekt w-w-wird er.“

„So-so, Architekt“, brummelten die anderen durcheinander.

Sie drängten sich durch die schmale Tür in die Baracke hinein. Es war ein einziger großer Raum. Gleich neben der Tür standen in der einen Ecke Schaufeln und andere Gerätschaften, in der anderen Ecke einige verschlossene Werkzeugkisten. Die Mitte des Raums beherrschte ein langer, grob zusammengezimmerter Tisch, zu dessen Längsseiten je eine lange Bank aufgestellt war. Die Rückwand besaß ein Fenster, unter dem der Schreibtisch des Poliers, der aus zwei Böcken und zwei Schaltafeln improvisiert war. Ganze Stapel von Plänen waren darauf ausgebreitet. Daneben stand ein kleiner Ofen. In eine Seitenwand waren zahllose Nägel eingeschlagen. Hier hängten die Arbeiter ihre Kleider auf. Jeder markierte seinen Stammplatz auf einer der Bänke, indem er seine Tasche dort ablegte. Die meisten waren in Arbeitskleider gekommen, die Zimmerleute in ihren schwarzen Cordhosen mit Schlag, weißem Hemd unter einer schwarzen Weste mit großen weißen Knöpfen und dem breitkrempigen Hut. Die Maurer trugen graue oder beige Latzhosen aus grobem Leinen oder Cord. Für die Hilfsarbeiter schien es keine erkennbare Berufskleidung zu geben. Einige kamen, ebenso wie Gero, in einem Blauen, andere in abgetragener Straßenkleidung.

Er stand noch immer unschlüssig im Raum, wurde ein wenig hin- und hergeschubst, weil es hier eng zuging. Er war unschlüssig, wo er seine Tasche ablegen sollte, weil an dem Tisch anscheinend kein Platz für ihn frei war. Ein Zimmermann mit einer mächtigen blonden Lockenmähne, die unter seinem Hut hervorquoll, trat auf ihn zu. Er schob seine eigene Tasche am Ende der Bank ein wenig zur Seite und sagte: „Hier kannst du dich neben mich setzen. Ich bin der Bernd. Wie heißt du?“, fragte er.

Von draußen hörte man die scharfe Stimme des Poliers: „Wo ist der Neue, der Schorsch?“

„Komm“, sagte Bernd. „Der Sammer sucht dich.“

„Na, da kommt er ja. Schorsch, nimm dir eine Schubkarre. Du und Heini, ihr fahrt Hohlblöcke zu den Maurern. Karl, du gehst zum Peter an die Mischmaschine und schippst Sand ein. Fritz, du fährst den Speis hierher. Schorsch, was guckst du so blöd? Guck so wie ich. Das ist normal.“

„Ich heiße nicht Schorsch und auch nicht Georg. Ich heiße Gero, Herr Sammer.“

„Ist das die Kurzform von Gregor? Klingt so ähnlich. Das war doch ein Heiliger. Gabs nicht auch mal einen Papst mit diesem Namen?“, fragte Sammer.

„Ich bin aber nicht katholisch.“

„Na meinetwegen, für mich heißt du Schorsch. Also Männer, an die Arbeit!“, rief Sammer. „Heut ziehen wir das Ding hoch.“

Gero nahm eine Schubkarre, mit der er Heini folgte. Dieser war ein drahtiger kleiner Mann von Mitte dreißig, der sich flink bewegte und schnell sprach. Er hatte rote Haare und viele Sommersprossen im Gesicht. Als sie ihre Karren bei dem Steinstapel abstellten, spuckte Heini in die Hände und lachte.

„Endlich wieder was schaffe! Den ganze Samstag und Sonntag hoch die Tassen. Jetzt is wieder das normale Lebe. Pass auf, Gero, dass du die Karre gleichmäßig belädst. Gewicht nach vorne übers Rad, damit du net so schwer hebe musst. Also los!“ Lachend versetzte Heini ihm einen Klaps auf die Schulter.

„Die Steine sind rau“, beklagte sich Gero. „Die reißen einem die Hände auf.“

„Ach was“, wiegelte Heini ab. „Von der Arbeit kriegst du Hornhaut an de Händ, und dann machts dir nix mehr aus.“

Als sie mit ihren Karren zu der Betonplatte kamen, wurden sie schon von den Maurern erwartet. Sammer rief: „Hier her und da hin! Erst mal an jede Ecke einen Stapel. Näher ran – näher ran! Der Maurer will doch keinen halben Kilometer laufen. Grade mal zwei Handbreit Abstand zum Fundament. Mensch Heini, du kennst doch den Laden. Denken muss man können. Wenn man nicht denken kann, ist man verloren. Na ja, mancher kapierts nie. He, du Akademiker, nicht alle Steine an eine Ecke. Verteil sie! Vier Ecken haben wir. Und jetzt Tempo, ihr zwei. Zum Vesper will ich ein Stück sehn!“

Sofort setzten die Maurer jeweils einen ersten Stein an jeder Ecke in den Mörtel und justierten ihn erst mit dem Lot und dann noch einmal mit der Wasserwaage. Fritz, der bereits zwei Wannen mit Mörtel gefüllt hatte, war schon wieder unterwegs zur Mischmaschine.

„Komm, Gero“, sagte Heini halblaut. „Wir müssen etwas Tempo zulegen. Jeder von uns hat zwei Maurer zu bedienen.“ Während sie ihre Karren beluden, rief Heini zu Gero hinüber: „Recht hast du, dass du studierst. Ich war faul in der Schul. Begabt is er, habe die Lehrer immer zu meiner Mutter gesagt, begabt aber faul. Und wollt auch keine Lehr mache. Lieber gleich Geld verdiene. Und was hab ich jetzt? Immer nur Drecksarbeit mache und mich vom Polier und den Maurern zusammescheiße lasse. Der Handlanger is auf dem Bau immer der letzte Arsch. Kaum hat ein Stift die Gesellenprüfung gemacht, kann er dich anscheißen. Aber du, du machst jetzt die Drecksarbeit, aber später sitzt du im Anzug und Schlips am Schreibtisch, und dann scheißt du solche Arschlöcher wie den Sammer zusamme. Ha, das muss Spaß mache. Denk mal an mich. Später.“

Als sie mit ihren Karren zu den Maurern kamen, waren fast alle Steine verschwunden. Zum Glück stand der Polier jetzt bei den Zimmerleuten. Hans war der jüngste der Maurergesellen, vielleicht achtzehn Jahre, schon verheiratet und sehr ehrgeizig, wie Gero von Heini erfuhr. Er meckerte: „Euch sollt man ab und zu die Peitsch gebe!“

Nun beeilten sie sich, und Heini schwieg. Als sie wieder bei den Maurern anlangten, kam Sammer mit der Wasserwaage und hielt sie an eine Ecke. „Mensch Wolf, bist du noch besoffen von gestern? Das sieht doch ein Blinder mit Krückstock, dass der schief sitzt. Du wirst nie ein Eckenmaurer. Werner und Hendrik, ihr mauert hier vorne jeder eine Ecke und eine Türkante, Hans hinten zwei Ecken, abwechselnd links und rechts. Und du, Wolf, pflasterst da zwischen den Ecken an der Schnur entlang. Und wenn die Wand nicht grade wird, fliegst du. Kapiert?“

Hendrik durfte Mitte fünfzig bis sechzig sein, ein stiller Mensch, der langsam, aber sehr konzentriert vor sich hinarbeitete. Werner war etwa so alt wie der Polier und duzte diesen auch, ein Vorrecht, das sonst nur den älteren Gesellen vorbehalten war. Er war selbstbewusst, aber nicht überheblich, und er wusste, was seine Arbeit wert war.

Gero und Heini hatten schon längst wieder Steine gebracht, das Donnerwetter von Sammer Wort für Wort mitbekommen. Nachdem dieser sich entfernt hatte, um in Richtung Mischmaschine zu gehen, raunte Heini: „Bei dem musst du verdammt aufpasse. Wenn der stinkig wird, ist mit ihm net gut Kirsche esse. Schaffe, schaffe und das Maul halte. Nur kein Widerwort!“

Die Maurer arbeiteten jetzt ruhig; nur hin und wieder hörte man eine kurze Bemerkung. Gero reckte sich, fasste sich an seinen Rücken und stöhnte: „Verdammt, das geht ins Kreuz.“

Heini klärte ihn auf: „Net dauernd bücke! Aufrecht und frei aus’m Kreuz raushebe. Sonst kriegst du’n Hexeschuss.“

„Was läutet da?“, fragte Gero.

„Es is neun, Vesperzeit“, antwortete Heini. An der Barackenwand hing ein Stück Eisenbahnschiene, auf das der Polier mit einem Hammer schlug. „Lass alles steh und liege und komm schnell“, sagte Heini. „Die Vesperpaus dauert bloß zwanzig Minute.“

Sofort verstummte die Mischmaschine, alle legten ihre Werkzeuge aus der Hand, und innerhalb von zwei Minuten saßen sie in der Baracke. Manfred, den alle Manni nannten, war der älteste der Hilfsarbeiter, der auch den Kaffeekoch spielte, stellte jedem einen Becher heißen Pfefferminztee auf den Tisch. Einige hatten auch eine Bierflasche vor sich.

„Zum Mittag kannst du dir vom Manni auch was eikaufe lasse“, erklärte Bernd. „A Flasch Bier, a Stück heiß Fleischwurscht, Leberkäs oder was du sonst magst.“

Gero winkte ab. „Nein danke“, sagte er. „Ich hab mein Vesper dabei. Wenn ich mir jeden Tag was kaufe, ist mein Lohn weg, bevor ich ihn verdient hab.“

Gero gegenüber saß der Maurer Werner, der ihn ansprach: „Wie lang muss das Geld reiche, das du hier verdienst?“

Gero überlegte: „Wenn ich in den Sommerferien zwei Monate arbeite, müsste das Geld mindestens für ein Semester reichen. Dann müsste ich mit dem, was ich in sechs Monaten verdiene, drei Semester auskommen.“

Einige, die mitgehört hatten, riefen durcheinander: „Niemals! Wenn du ein Monat schaffst, kannst du ein Monat davon lebe. – Stimmt net! Studente lebe sparsam. – Sin deine Eltern net reich? Was ist dein Vater von Beruf?“

Gero machte mit der Hand eine versöhnliche Geste und versuchte die Verwirrung zu klären.

„Mein Vater ist Arbeiter wie ihr. Aber ich bekomme vielleicht ein Stipendium, und dann wird es wohl reichen, was ich in den Ferien verdiene.“

Wolf rief herüber: „Was schafft dein Alter? Ein Handwerker?“

„Er arbeitet in einer Fabrik in Frankfurt, im Versand“, gab Gero kleinlaut zurück.

„Net mal en Handwerker?“, rief Hans verächtlich dazwischen. Dann is er a arm Sau.“

Peter, der Maschinist, posaunte: „Reiche Eltern sollte man sich aussuchen. Is doch scheiße, wenn du arm bist. Ich hab zum Glück nur drei Mädchen, die gehn noch in die Schule. Ich hoffe nur, dass sie rechtzeitig einen Mann finden und heiraten, dann brauchen sie nicht mal eine Lehre zu machen.“

Draußen hatte der Polier schon wieder die Bahnschiene angeschlagen und gerufen: „An die Arbeit, Männer!“ Die meisten steckten sich noch eine Zigarette an und traten ins Freie.

Als der Polier um halb eins zur Mittagspause läutete, war eine Wand schon über einen Meter hoch, und man konnte den Ausschnitt für ein Fenster erkennen. „Was wird das eigentlich?“, fragte Gero Heini, als sie die Baracke betraten.

„Das wird das Maschinenhaus. Da laufen alle Leitungen zusammen, die Pumpen und so. Ich weiß auch net so genau.“ Bernd ergänzte: „Die vielen Ventile und vor allem eine riesige, wandhohe Schalttafel. Das wird en toller Arbeitsplatz.

Wer den bekommt, der schiebt en schlaue Lenz. Wenn alles läuft, hat er nix zu tun, kann es sich gemütlich machen und Kreuzworträtsel lösen.“

„Du hast ja überhaupt keinen blassen Dunst!“, rief Sammer dazwischen. „Ein ausgebildeter Techniker muss das sein, der nicht nur alles überwacht. Der muss auch immer wieder Wartungsarbeiten durchführen. Und weißt du, wie das dann hier riecht? Das Abwasser und die Kacke der ganzen Stadt kommen hier zusammen. Von wegen gemütlich! Ich kann mir was Besseres vorstellen.“

Allgemein vernahm man zustimmendes Gemurmel. Offenbar war man sich darüber einig, dass eine Arbeit draußen an der frischen Luft vorzuziehen sei. – Die meisten Arbeiter hatten mit Wurst und Käse belegte Brote. Hendrik breitete ein großes Stück Butterbrotpapier vor sich aus, zog aus einem Stoffbeutel ein Viertel Brotlaib, eine hart geräucherte schwarze Blutwurst und zwei saure Gurken. Mit seinem Taschenmesser schnitt er eine Ecke Brot ab und biss hinein, schnitt zwischen Daumen und Zeigefinger Stücke von der Wurst und führte sie, das Messer in der Hand, zum Munde, und genauso machte er es mit den Gurken. Wenn der vorlaute Hans ihn wegen seines rustikalen Stils beim Essen aufzuziehen versuchte, blickte er nur kurz auf und bemerkte: „Mir schmeckts. Es geht nix über Hausmacherwurscht. Der Metzgerfraß kann mir gestohle bleibe.“ Um seine Feststellung zu bestärken, trank Hendrik einen Schluck Bier und ließ einen lauten Rülpser hören.

Nachdem Sammer das Ende der Mittagspause eingeläutet hatte, rief er: „Jetzt gehts auf der anderen Seite weiter. Steine! Speis! Tempo – Tempo! Es gibt keinen Feierabend, bevor wir nicht auf Gerüsthöhe sind.“ Gero hörte die ruhigen Gespräche der Maurer, dazwischen erscholl immer wieder die schneidige Stimme des Poliers. Heini redete nun weniger, Gero gar nichts mehr. Wenn er sich zwischendurch aufrichtete, blickte er hinüber zu den Zimmerleuten, die unbehelligt durch den Polier ihre Arbeit ruhig vorantrieben. Bisweilen unterbrachen sie ihre Tätigkeit und unterhielten sich, gestikulierten mit dem Zollstock und dem Zimmermannsbleistift. Fast schien es, als seien sie dem Polier überhaupt nicht unterstellt, sondern erfüllten ihre Aufgaben eigenverantwortlich.

Immer wieder blickte Gero auf die Uhr, und der Nachmittag zog sich hin.

„Na, Gero, wie hat dir der erste Tag gestern geschmeckt?“, fragte Bernd am nächsten Morgen, bevor sie die Baubude verließen.

„Ziemlich zerschlagen war ich gestern Abend“, antwortete Gero. „Aber sag mal, Bernd, ihr habt gar keine Hilfsarbeiter. Ich würde eigentlich lieber bei euch als bei den Maurern arbeiten.“

Bernd lachte. „Ja, weißt du, bei uns gibts eigentlich so gut wie keine Handlangerarbeit. Ja, vielleicht mal, wenn wir a groß Schalung baue. Aber jetzt bei dem Dachstuhl kann uns keiner helfe, der net vom Fach ist.“

Bernd zog den Latthammer aus seiner Kiste und hängte ihn in seine Gürtelschlaufe. Er nahm noch den großen Winkel, die Gestellsäge und die Nagelaxt, nickte Gero zu und schritt hinüber zum Zimmerplatz.

„Wo ist der Student, verdammt noch mal?“, hörte Gero den Polier brüllen. „Sitzt der schon am frühen Morgen auf dem Abort?“

Gero verließ eilends die Baracke, in der nur noch der Kaffeekoch hantierte und schob seine Schubkarre zu den Maurern.

Sammer stand breitbeinig vor dem brusthohen Mauerkranz und fuhr Gero an: „Die Karre brauchst du erst mal nicht. Geh mit den anderen Bohlen holen! Da drüben.“

Gero fragte Heini, der ihm schon mit einer Diele auf der Schulter entgegenkam: „Was soll das? Wird nicht weiter gemauert?“

„Es geht jetzt auf’m Gerüst weiter. Du siehst doch, die Maurer stelle schon die Böck auf. So, jetzt mach zu, der Alte war schon sauer auf dich!“

Gero hob eine Bohle auf seine Schulter, versuchte die Mitte zu finden und balancierte sie zu den Maurern. Das war ungewohnt, die Bohlen waren unhandlich und schwer. Aber er durfte sich nichts anmerken lassen, musste mithalten. Die Böcke an einer langen und an einer kurzen Seite standen bereits. Die vier Maurer warteten, nahmen die Bohlen an und legten sie auf. Der Polier drängte: „Tempo – Tempo, ihr lahmen Ärsche! Bewegt euch! Das geht noch flotter.“

Tatsächlich stand das provisorische Gerüst nach einer halben Stunde. Die Maurer stiegen hinauf und riefen: „Steine! Speis!“ Nun wurde die Arbeit schwerer, denn sie mussten jeden einzelnen Stein hinaufwuchten. Fritz hatte den Mörtel eimerweise auf das Gerüst zu stellen, wo die Maurer ihn in ihre Wannen kippten.

Nach der Mittagspause waren sie gerade dabei, das Gerüst umzubauen, als ein Lastwagen sich langsam näherte. Sammer winkte ihn heran. Die ganze Pritsche war mit Zementsäcken beladen. Sammer rief: „Alle Mann zum Abladen!“ Anscheinend fühlten die Zimmerleute sich nicht angesprochen. Während die Maurer und die Hilfsarbeiter herüberkamen, hatte der Fahrer eine Bordwand heruntergeklappt und sich eine Zigarette angezündet. Zum Polier gewandt bemerkte er: „Das Wetter soll schön bleiben. Genau richtig für den Zement. Man braucht die Säcke dann nicht abzudecken.“

„Was redest du für einen Quatsch! Natürlich werden die über Nacht abgedeckt. – So, Leute, legt ein paar Bohlen nebeneinander, und dann gehts los. Und du“, sagte er zum Fahrer. „Du steigst hinauf und legst ihnen die Säcke auf die Schultern.“

„Ich? Was denkst du?“, protestierte der Fahrer. „Ich bin Lkw-Fahrer, und nur dafür werde ich bezahlt. Außerdem muss ich mal nach dem Kühlwasser gucken.“ Er ging nach vorne und öffnete die Motorhaube.

Sammer gab Hendrik einen Wink, der sofort auf die Pritsche kletterte, und er begann, einen Sack nach dem anderen an die Ladekante zu stellen. Während die Ladung oben abgetragen wurde, wuchs unten auf den Bohlen ein Stapel. Gero gab sich Mühe, das Tempo der anderen mitzuhalten. Sammer war nach vorne gegangen und unterhielt sich mit dem Fahrer.

Anscheinend war die halbe Ladung gelöscht, da rief Hans übermütig: „Ein halber Zentner, das ist doch gar nix! Komm, Hendrik, leg mir noch en zweite Sack drauf. Ha, ist mir natürlich klar, dass das net jeder kann!“

Einige hörte man murren, aber keiner wollte sich lumpen lassen. Selbst Gero ließ sich zwei Säcke auf die Schulter legen. Doch bei dem Stapel angelangt, rutschte ihm der obere Sack herunter, knallte auf die Kante einer Bohle und platzte auf. Seine Hose war mit grauem Zementstaub bedeckt. Sofort war Gero von einigen Kollegen umringt, die ihm erklärten, wie man auch zwei Säcke sicher ablegen könnte. „Immer schön die Balance halte. Und dann langsam herunterrutsche lasse. Aber hier auf den Stapel.“

„Ja, ja! Ist mir auch klar“, beschwichtigte Gero. „Theoretisch jedenfalls.“

„He! Was ist denn da für eine Volksversammlung?“, brüllte Sammer.

„Dem Student ist en Sack runtergefalle“, erklärte einer der Maurer.

„Was! Kannst du nicht mal einen Zementsack tragen?“, schrie Sammer.

„Natürlich kann ich einen tragen. Aber der zweite ist mir runtergerutscht“, erklärte Gero.

„Wer hat dir denn gesagt, dass du zwei Säcke auf einmal tragen sollst?“

„Alle haben zwei getragen“, antwortete Gero.

Da schaltete sich Hendrik ein: „Sie wollte doch nur mal zeige, dass sie auch zwei Säck trage könne. Alle können’s. Nur mit dem Absetze is es ein bissi schwierig.“

„So! Also, Schluss jetzt mit dem Unsinn!“, entschied Sammer. „Jeder trägt nur immer einen Sack. Und du, eigentlich sollte ich dich mit den bloßen Händen den Zement aufsammeln lassen, du verhindertes Genie! Immer passiert was, wenn man nicht dabeisteht. Ach, es ist zum Haareraufen!“

Der neu entstandene Raum war vollgestellt mit knapp drei Meter langen Kiefernstämmen, sodass es aussah wie ein künstlicher Wald. Oben hatten die Maurer die Stempel mit waagerecht angenagelten Brettern verbunden. Nach den Stempeln mussten die Hilfsarbeiter nun Schaltafeln herbeitragen und hochreichen. Die Maurer standen oben und legten die Tafeln aus.

Seit zwei Tagen waren auch zwei Eisenbieger auf der Baustelle, die Moniereisen zuschnitten und in immer wieder gleiche Profile bogen. Gerade hatten sie sich auf der Biegebank niedergesetzt, um eine Zigarette zu rauchen, als der Polier ihnen zurief: „Pause machen wir alle gemeinsam. Also, her mit dem Eisen!“

Und an Heini, Gero und die anderen Hilfsarbeiter gewandt, sagte er: „Ihr nehmt immer zu zweit ein Bündel.“

Die Eisenbieger, diese vierschrötigen Burschen in ihren schweren rostbraunen Zunfthosen, luden ihnen nun jeweils ein halbes Dutzend gebogene Eisen auf. Die waren schwer und schlingerten hin und her, sodass man nur mit Mühe geradeaus gehen konnte. Mit Stricken zogen die Maurer die Eisen in die Höhe und legten sie oben auf der Schalung aus. Danach kamen einige fertig gebundene Körbe, wie die Bieger sie nannten, kastenförmige Gittergebilde, für die Treppenluke sowie die Stürze der Tür und der Fenster. Schließlich mussten sie noch einfache Eisen, die fünf bis sechs Meter lang waren, hinüberschleppen. Gero konnte sich gar nicht vorstellen, was die Maurer mit all dem Eisen anfingen. Ein schönes Durcheinander wird das da oben wohl werden, dachte er.

„So, alle Mann nach oben!“, befahl Sammer. „Die Maurer kennen sich aus. Aber die Hilfsarbeiter müsst ihr einweisen, damit die keinen Mist bauen“, sagte er zu den Rostbraunen. Jedem Hilfsarbeiter drückte der Polier eine schmale Monierzange und eine Rolle Bindedraht in die Hand.

Nun sah Gero zum ersten Mal die Decke von oben, die quer liegenden gebogenen Eisen und die längs durchgeschobenen geraden, zwischen denen die gelben Schaltafeln hindurchleuchteten. Einer der Eisenbieger, ein Hüne von Gestalt, an dem wirklich alles, sogar das Gesicht, braun war, schritt auf Gero zu und fragte: „Hast du schon mal Eisen gebunden? Nein? Also schau her, ich zeigs dir. Pass auf! Ist ganz einfach. Einen Bogen machst du mit dem Draht. Zange angesetzt und gedrillt. Abkneifen und fertig. Und das bei jedem Kreuzungspunkt. Klar?“

„Klar!“, bestätigte Gero.

„Jetzt mal nur hier, hier an diesem einen Eisen entlang bis zum Ende. Und dann das nächste.“

Erst ging es langsam und mühselig, aber die neue Arbeit bot doch immerhin eine Abwechslung, dachte Gero. Jedenfalls angenehmer als Schubkarre fahren und Steine oder Zementsäcke tragen. Er hatte sich niedergehockt und mit dem Binden begonnen. Da stand der Polier neben ihm und stieß ihn mit dem Schienbein an. „He, was soll das? Sitzt du bei der Arbeit? Wir binden im Stehen und bücken uns. Und so gehst du weiter von einem Punkt zum anderen.“

Nach einer halben Stunde schmerzte Geros Rücken. Er richtete sich auf und reckte sich. Die anderen schienen daran gewöhnt zu sein, in dieser gebückten Haltung zu arbeiten. Als es auf den Feierabend zuging, fragte Gero sich, wie viel Drahtknoten er gemacht hatte, wie viel sie alle zusammen?

Es wäre wohl einfacher, das auszurechnen, als zu zählen. Und dann gar bei dem Faulturm oder einem Hochhaus! Ein Architekt oder ein Bauingenieur wüsste das. Aber er, Gero, wollte es gar nicht wissen. Ein paar Tausend mehr oder weniger, dachte er, das ist mir ziemlich piepe.

Die Zimmerleute hatten aus Rundhölzern einen etwa vier Meter hohen Galgen mit einer Rolle aufgerichtet, dem drei Böcke einen festen Stand verleihen sollten. Um die Stabilität zu testen, hatte Gero sich in eine Schlaufe des Seils zu stellen, und man zog ihn einen Meter in die Höhe.

„Alles bestens!“, rief Sammer. „Unser Kran funktioniert. Heini und Schorsch, ihr geht heute zum Peter an die Maschine – Kies und Zement. Karl und Fritz, ihr fahrt den Beton zur Rolle. Der Neue zieht die Eimer hoch. Die Maurer sind oben. Ihr wisst, was ihr zu tun habt.“

Damit hatte Sammer nicht nur die Arbeit verteilt, sondern auch einen neuen Hilfsarbeiter vorgestellt. Der Neue, er hieß Hartmut, hatte an dem zweiten Friedberger Gymnasium das Abitur bestanden, wollte aber nur drei Wochen jobben. „Für eine Reise nach Norden“, hatte er Gero zugeraunt. „Will ja auch noch was von den Ferien haben.“

Heini wies auf den Galgen und sagte zu Gero: „Bei dem Faulturm hatten wir en richtige Kran. Mit dem würden wir die halbe Zeit brauche. Er soll ja wieder komme, hab ich gehört. Aber das wird heut a Aktion wie im Mittelalter.“

Peter, der Maschinist, war schon dabei, ganz bedächtig die Maschine vorzubereiten. Gero ging zu ihm, um die einzelnen Handgriffe zu verfolgen. Peter war außer dem Polier der einzige auf der Baustelle, der keinen Dialekt sprach. Er hatte ein pockennarbiges Gesicht mit breit ausladenden, fleischigen Wangen und einem schmalen Menjoubärtchen über der Oberlippe.

„Das ist ja ein Museumsstück“, konstatierte Gero altklug.

„So, das meinst aber nur du“, gab der Maschinist zurück. „Das ist mein Herzchen. Keiner hier auf der ganzen Baustelle kann die fahren, nicht mal der Polier.“

Er drehte eine Schraube aus dem Motorblock, die innen aufgebohrt war und steckte ein rotes Papierröllchen hinein.

„Das sieht aus wie eine Platzpatrone. Ist das vielleicht eine Art Zünder?“, fragte Gero.

„Du hast es erraten! Komm, du kannst mir helfen. Hier, drück den Hebel nach links. Wenn ichs dir sage, lässt du ihn los.“

Er hob eine schwere Kurbel vom Boden auf, steckte sie in die Achse des großen Schwungrads, fasste die Kurbel mit beiden Händen und drehte – einmal, zweimal, dreimal mit beiden Händen – dann rief er: „Jetzt – loslassen!“

Und tatsächlich – der alte Diesel machte tuck – tuck – tuck – tuck. Grauer Rauch kam stoßweise aus dem Auspuffrohr. Der Maschinist zog den Gashebel nach unten, und schon lief die Maschine rund. Heini hatte bereits Kies in den Aufzugsbehälter gekippt. Der Maschinist brüllte Gero an: „Ein Sack Zement!“

Gero lief hinter die Maschine, wo ein Stapel mit Zementsäcken mit einer Plane abgedeckt war. Er schlug diese beiseite, lud sich einen Sack auf die Schulter und legte ihn neben dem Aufzugsbehälter ab.

„Hinein!“, rief der Maschinist. Heini sprang herbei und warf den Sack auf den Kies. Mit der Schaufel stieß er zweimal kräftig in den Papiersack und zog ihn seitlich hoch, sodass der Zement sich auf den Kies ergoss und die beiden in einer Staubwolke standen. „Guck, so macht man das“, sagte er.

„Komm!“, rief Heini. „Kies holen. Den Rest kann er alleine.“

Peter zog an einem langen Hebel und der große Behälter mit Kies und Zement wurde an zwei Drahtseilen in die Höhe gezogen und in die rotierende Trommel gekippt, während Peter Wasser zulaufen ließ. Nun lief der Betrieb auf Hochtouren.