Die Herrin der Kathedrale 5 - Claudia Beinert - E-Book

Die Herrin der Kathedrale 5 E-Book

Claudia Beinert

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Beschreibung

Der erste große Roman über »die schönste Frau des Mittelalters« - Teil 5 des sechsteiligen Serials! Ballenstedt im 11. Jahrhundert: Hochadlige Gäste suchen die Burg für politische Gespräche auf. Uta, die Tochter des verarmten Burgherrn, genießt das Fest. Doch dann kommt ihre Mutter auf geheimnisvolle Weise ums Leben, und Uta schwört, nicht eher zu ruhen, bis sie der Gerechtigkeit zum Sieg verholfen hat. Dieses Versprechen begleitet sie von nun an ihr ganzes Leben lang. Ihr brennender Wunsch nach Wissen und ihre zeichnerische Begabung lassen sie Jahre später als Bauzeichnerin die Errichtung der Naumburger Kathedrale unterstützen. Uta wagt, was keine vor ihr jemals tat: Sie errichtet ihren eigenen Gerichtssaal und schafft so einen Raum für Frieden und Gerechtigkeit im Heiligen Römischen Reich – die erste Naumburger Kathedrale.

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Seitenzahl: 188

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Claudia & Nadja Beinert

Die Herrin der Kathedrale

Roman

Knaur e-books

Über dieses Buch

Ballenstedt im 11. Jahrhundert: Hochadlige Gäste suchen die Burg für politische Gespräche auf. Uta, die Tochter des verarmten Burgherrn Adalbert, genießt die seltene Festlichkeit. Doch statt der ersehnten fröhlichen Feier erwartet sie Demütigung und der drohende Tod. Nur ihre Mutter kann sie vor dem Zorn des Vaters bewahren und das Mädchen verstecken. Doch dann kommt diese auf geheimnisvolle Weise ums Leben, und Uta schwört, nicht eher zu ruhen, bis sie ihre Mutter gerächt hat.

Inhaltsübersicht

Teil III – das Herzstück10. Flucht und NäheTeil IV – die Krone aller Anstrengung11. Vollmond
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Teil III – das Herzstück

Die Jahre 1027 bis 1032

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10. Flucht und Nähe

Mit der Zungenspitze an der Oberlippe ritzte Uta mit dem Blindrillenstift eine dünne Linie in das Pergament. Sie war froh, die Übungen auf den Wachstafeln bereits hinter sich gelassen zu haben und seit dem Osterfest auf Vorzeichnungen verzichten zu können. Die Verwendung des metallenen Stiftes ermöglichte es ihr, bei fehlerhaften Linienzügen einfach eine neue Blindrille zu setzen, denn die Rille war farblos. Abschließend schob sie die Reißschiene beiseite und kontrollierte die kaum sichtbare Linie, um gleich darauf einen Rohrfederkiel aus dem Holzkästchen neben dem Reißbrett zur Hand zu nehmen. Konzentriert fuhr sie die Blindrille mit schwarzer Farbe nach.

»Meister Tassilo?«, fragte Uta mit einem kritischen Blick auf das Pergament, das nun die Ansicht der oberen nördlichen Langhauswand mit sämtlichen Hauptlinien zeigte. »Wie bekommt Ihr die Bögen für die Fensterformen so gleichmäßig rund?«

Der Werkmeister ließ seinen Stift sinken und trat hinter Uta an den zweiten Schreibtisch, den er vor sieben Mondumläufen hatte aufstellen lassen. »Dafür benötigt Ihr einen Nagel und einen Faden«, erklärte er und holte beides aus seinem Holzkästchen herbei. »Das eine Ende des Fadens wickelt Ihr fest um den Nagel und steckt diesen entsprechend dem Durchmesser Eures Kreises, der den Rundbogen formen soll, fest durch das Pergament in das Reißbrett.«

Uta folgte seiner Anweisung.

»Dem Holz machen die Löcher nichts aus«, fuhr Tassilo fort. »Nun wickelt das andere Ende des Fadens so um Euren Stift, dass er genauso lang ist, wie der Rundbogen im Langhaus sein soll. Ihr kennt dessen Spannweite?«

»Sie beträgt sechseinhalb Fuß«, entgegnete Uta und rechnete. »Dies entspricht einer Scheitelhöhe von dreieinviertel Fuß. Bei einem Maßstab von 1:10 …«, dabei deutete sie mit dem Kinn auf den rechten unteren Rand des Pergamentes vor sich, »macht das ein Drittel Fuß.« Uta maß ein Drittel Fuß vom Nagel aus ab und hielt diesen anschließend, als der Faden zwischen Nagel und Stift die gewünschte Länge hatte, mit der linken Hand fest, damit er nicht aus dem Pergament sprang.

»Genau so.« Tassilo nickte und beugte sich zu ihr hinunter. »Nur wenn der Faden ganz straff gespannt ist, Gräfin, erhaltet Ihr einen wirklich runden Kreis und kein Ei.«

»Es funktioniert Meister«, meinte Uta begeistert. »Mein Rundbogen erhält seine Form!«

»Dann überlegt Euch als Nächstes, welche Mörteldicke und wie viele Keilsteine zu diesem Bogen passen.« Tassilo deutete auf den Scheitel des Rundbogens.

»Keilsteine?«

»Das sind keilförmig angeschrägte Steine, die die Rundung formen«, erläuterte der Meister.

»Und wann werden die Fenster gemauert?«

»In der Mitte des zweiten Bauabschnitts, wenn wir die oberen Langhauswände hochziehen«, antwortete Tassilo und bemerkte gleichzeitig, dass Bischof Hildeward die Arbeitskammer betreten hatte und ihm nun die Hand zum Ringkuss reichte. In die Zeichnung des Rundbogens vertieft, musste er dessen Klopfen überhört haben. »Exzellenz, stets zu Diensten.« Tassilo verbeugte sich und deutete den Ringkuss an.

Nachdem er Uta flüchtig zugenickt hatte, meinte der Bischof: »Ich wollte mich erkundigen, wie Ihr auf der Baustelle vorankommt, Meister.« Ich habe das Gefühl, dass es nicht nur mit dem letzten Drittel der oberen Wände des Ostchores, sondern auch mit der Decke der Krypta zu langsam vorangeht.«

»Exzellenz, es gibt keine Probleme.« Tassilo schaute den Bischof verwundert an. »Wir liegen gut in der Zeit. Alles verläuft nach Plan. Wir sind bereits dabei, die Zeichnungen für die oberen Wände des Langhauses zu erstellen.«

»Mit wunderschönen zu Halbkreisen geformten Fenstern«, fügte Uta hinzu und hob ihr Pergament an.

Doch Hildeward warf keinen Blick darauf. »Ich hatte Euch doch gebeten, jede Entscheidung mit mir abzustimmen!«

»Exzellenz, es gab diesbezüglich keine Entscheidungen für Euch zu fällen«, versicherte ihm Tassilo.

»Ist denn die Entscheidung für runde Fenster am Langhaus keine Entscheidung?«, fragte Hildeward missbilligend und darum bemüht, die Burgherrin zu ignorieren. Anscheinend war noch immer keiner der beiden Naumburger Grafen dazu imstande gewesen, dieses Weib von Aufgaben, die der Allmächtige allein dem männlichen Geschlecht vorbehalten hatte, abzuhalten. Was für eine Schande!

»Exzellenz«, sagte Uta beruhigend und erhob sich. Trotz Hildewards harschen Wesens war sie gewillt, ihm Auskunft zu erteilen, und trat mit ihrer Zeichnung an ihn heran. »Schaut Euch bitte dieses Fenster hier an.«

Unwillig blickte Bischof Hildeward auf das ihm vorgehaltene Pergament.

»Nur eine moderne Bogenkonstruktion kann den Kräften, die die Steine nach unten Richtung Erde ziehen, entgegenwirken«, erklärte Uta und fuhr mit der Hand über die soeben fertiggezogenen Blindrillen. »Unsere Fensterbögen nehmen die Zugkräfte gleichmäßig auf und verteilen sie auf die gesamte Bogenlaibung.«

»Stellt Euch die Oberkante unserer Fenster als Kette vor, Exzellenz«, übernahm Tassilo nach einem dankbaren Blick zu Uta. »Eine gerade gespannte Kette würde in der Mitte bald von der Druckkraft nach unten gedrückt werden. Eine gewölbte Kette hingegen verteilt den Druck und leitet ihn in die Seitenarme des Bogens ab.«

Bischof Hildeward überlegte. »Sind die Arbeiter denn zufrieden, und können wir den Bau wirklich in zehn Jahren schaffen?«

»Unsere Planung sagt, dass wir es schaffen werden«, entgegnete Tassilo und vermochte seine Verwunderung über diese Art von Fragen nicht länger zu verbergen. Auch Uta wurde nachdenklich. Seit einiger Zeit interessierte sich der Bischof sehr intensiv für die Bauplanung und auch für die Tätigkeiten auf der Baustelle.

»In Zukunft verlange ich über alles informiert zu werden!«, forderte Hildeward. »Jede Entscheidung obliegt meiner Zustimmung!«

Wenig erfreut nickte Tassilo, worauf Hildeward die Kammer grußlos verließ.

»Hat unsere Exzellenz nicht alle Hände voll mit der Vorbereitung der Messe im neuen Chor zu tun?«, fragte Tassilo irritiert und dachte an den Festtag des heiligen Petrus und Paulus, den Namenspatronen der Kathedrale, zu dem schon in wenigen Tagen ganze Pilgerscharen nach Naumburg strömen würden, die sich von Hildeward Absolution und Segnung erhofften, zumal an diesem Tag erneut mehr als einhundert Kämpferherzen in die Krypta des Westchores eingelassen werden sollten.

»Lasst uns weiterzeichnen, Meister«, entgegnete Uta, war aber unschlüssig, ob sie zukünftig nun auch die Mahlzeiten für die Arbeiter mit dem Bischof abstimmen sollte. »Vielleicht schaffe ich es heute noch, alle Rundbogenfenster der oberen Langhauswände aufs Pergament zu bringen.« Mit diesen Worten schloss sie die Tür, die der Bischof hatte offen stehen lassen, und setzte sich wieder vor ihr Reißbrett.

»Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, Gräfin, Ihr lernt schnell«, sagte Tassilo mit einem Blick auf Utas Pergament.

»Ihr dürft.« Uta lächelte und füllte die Rille des ersten Bogens mit schwarzer Tinte.

 

»Ihr zögert, Schwager?«, fragte Esiko mit hochgezogenen Brauen.

Ekkehard wandte sich von Esiko ab und trat vor die Wand des Burgsaals, die seit einem Mondumlauf den roten Adler auf weiß-silbernem Feld zeigte, das Bannertier der Meißener Markgrafen. Der Adler war frei schwebend, mit geöffneten Flügeln und spitz herausragender Zunge dargestellt. Ekkehard versank in Gedanken. Als er vor wenigen Tagen mit einigen Waffenbrüdern und dem Schwager zurück nach Naumburg gekommen war, hatte sein Weib erneut keinen gesegneten Leib vorweisen können.

»Ihr solltet es auf jeden Fall noch vor unserer Abreise tun«, drängte Esiko und folgte Ekkehard vor das Fresko. Mit gespieltem Interesse betrachtete er den Adler. »Verblasst er schon?«, fragte er mit einem Seitenblick auf den Schwager.

Nachdenklich schüttelte Ekkehard den Kopf. Was Hermann wohl dazu sagen würde, wenn er die Gattin fortschickte, wo sie doch jeden Morgen mit den Zeichnungen für die Kathedrale die Familie unterstützte.

»Denkt an Eure Mark!«, gab Esiko zu bedenken. »Seid Ihr bereit, dies alles für ein Weib aufzugeben? Schaut mich an: Ich bin noch seltener auf der heimatlichen Burg als Ihr und doch hat mir mein Weib bereits zwei Erben und eine Tochter geboren.« Esiko war davon überzeugt, dass ein derart ungehorsames Weib, wie seine älteste Schwester es war, niemals Kinder gebären würde. Und mit dem Ultimatum, das Ekkehard Uta nun im Begriff war zu stellen, sinnierte Esiko weiter, würden gleich zwei Angelegenheiten in seinem Sinne geregelt werden. Erstens würde seine Schwester reumütig und ohne Grafentitel auf die elterliche Burg, seine Burg, zurückkehren. Er selbst war schon lange nicht mehr auf dem Ballenstedter Burgberg gewesen und dachte, dass es höchste Zeit war, dem Verwalter wieder einmal auf die Finger zu schauen. Zweitens würde er durch den Verstoß der Schwester seine Ansprüche auf eine kinderlose Mark Meißen noch besser geltend machen können.

»Ihr habt recht, mein Freund«, entgegnete Ekkehard zögerlich. Er hatte die Entscheidung, Uta ein Ultimatum zu stellen, zuerst nicht treffen wollen, weil seine Gattin eine Vertraute der Kaiserin war und eine Auflösung der Ehe daher zu Verstimmungen führen und ihm schaden könnte. »Die Mark braucht einen Erben!«, betonte Ekkehard. »Das wird auch unsere kaiserliche Hoheit verstehen.«

Den Blick auf die weit ausgebreiteten Schwingen des Adlers gerichtet, schlug Esiko vor: »Dann lasst mich meine Schwester holen, damit Ihr es unverzüglich verkünden könnt!«

Ekkehard nickte. »Sicherlich findet Ihr sie im obersten Geschoss des Turms, mit einem Federkiel in der Hand«, fügte er verbittert hinzu und war sich nun noch sicherer, das Richtige zu tun.

Mit einem breiten Grinsen verließ Esiko den Saal und hielt auf den Turm der Hauptburg zu. Dort nahm er gleich drei Stufen mit einem Satz. Im verengten Aufgang zum vierten Geschoss stoppte er jedoch, weil er hörte, dass ihm jemand entgegenkam. Der Gang, der nur von zwei kleinen Außenfenstern erhellt wurde, war zu schmal, als dass zwei Menschen aneinander vorbeikamen. Im nächsten Augenblick erkannte er ein zierliches Wesen auf den Stufen über sich, das einen leeren Teller vor der Brust trug und bei seinem Anblick erstarrte. Esiko befleißigte sich daher eines freundlichen Tonfalls. »Gutes Kind, tritt doch näher«, sagte er mit einladender Stimme.

Anstatt seiner Aufforderung nachzukommen, stieg Katrina jedoch rückwärts wieder einige Stufen hinauf. Esiko folgte ihr und brachte sie mit einem Griff um die Hüften zum Stehen. Obwohl er zwei Stufen unter ihr stand, waren ihre Gesichter nun auf gleicher Höhe. Er betrachtete sie eindringlich – im schwachen Licht des Ganges wirkten ihre Haut und ihr Gesicht trotz des Makels zwischen Lippe und Nase seltsam anziehend auf ihn. »Schön, dass wir uns endlich einmal alleine begegnen«, sagte er und ließ seinen Blick über ihre Schlüsselbeine gleiten, die unter dem Gewand hervorlugten. Das Mädchen ist die wahre Unschuld und gewiss noch unberührt, dachte er.

Katrina zuckte zusammen und ließ den Teller fallen, den Esiko geistesgegenwärtig mit einer galanten Bewegung auffing und vor dem sicheren Zerbrechen bewahrte. Er reichte ihn ihr zurück und streifte dabei mit der Hand ihre Brüste. Sie schienen ihm, seitdem sie sich bei der Chorweihe vor beinahe einem Jahr zuletzt begegnet waren, erheblich gewachsen. Wo einst so gut wie nichts gewesen war, waren nun zwei stattliche Wölbungen zu sehen.

Katrina ergriff den Teller und presste ihn an ihren Oberkörper.

»Nun tritt doch näher, Katrina.« Esiko winkte sie mit dem Zeigefinger heran. »Oder willst du dich einem Grafen widersetzen? Ich glaube, dass würde deiner Herrin gar nicht gefallen.«

Mit dem Teller vor der Brust drückte sich Katrina erneut gegen die Wand und schaute sehnsüchtig zur Tür der Turmkammer hinauf, von der sie nur sechs Treppenstufen trennten. Da spürte sie plötzlich einen Finger an ihrem Kinn, der ihren Kopf mit sanftem Druck wieder nach vorne drehte. »Schöne Augen hast du«, sagte er, während seine Hand ihre Wangen streichelte. »Und es gibt kein Weib, das nicht gerne das Lager mit mir teilen würde.«

Angsterfüllt senkte Katrina den Blick. Sie spürte, wie Esiko ihren Nacken liebkoste, und vermutete, dass er ihren Hals mit nur einer Hand zu umspannen vermochte. Als seine Pranke ihren Hals hinabstrich und ihre Schlüsselbeine umgarnte, um beim nächsten Atemzug weiter hinab zu ihren Brüsten zu gleiten, entfuhr ihr ein spitzer Schrei.

»Ich verstehe«, sagte Esiko und fühlte dabei Erregung in sich aufsteigen, »du genießt meine Berührung.« Mit der Hand an ihrem Dekolleté lehnte er sich gegen die Wand, um sich dem ungewöhnlichen Moment hinzugeben. Da sprang Katrina an ihm vorbei und stürzte die Treppen hinunter.

Esiko schaute dem Kammermädchen nach und hörte den Teller auf den unteren Stufen zerspringen. »Wir sehen uns wieder, Katrina«, sagte er, räusperte sich und stieg erwartungsvoll die weiteren Stufen zur Turmkammer hinauf.

 

Als Uta den Burgsaal betrat, stand Ekkehard noch immer vor dem Wandfresko. »Ihr wollt nach Polen aufbrechen?«, fragte Uta. Die Nachricht, dass der Kaiser mit einem gutgerüsteten Heer bei Belgern an der Elbe angelangt war, war gerade einmal zwei Tage alt.

Ekkehard nickte, schwieg aber zunächst.

»Wünscht Ihr weitere Verpflegung für das Heer?«, erkundigte Uta sich weiter. »Ich habe bereits Brotkarren packen lassen. Ist vom Dörrfleisch nicht genug geladen?«

»Es geht um Eure Pflichten«, erklärte Ekkehard in strengem Ton und kam dann ohne Umschweife auf den Punkt. »Ich möchte Euch hiermit wissen lassen, dass ich Euch bis zum übernächsten Feste Christi Geburt die letzte Möglichkeit gebe, mir einen Nachkommen zu gebären.«

»Le… le… letzte Mö… Möglichkeit?« Die Forderung war für Uta wie ein Schlag ins Gesicht. Verunsichert wich sie einen Schritt zurück. Wenn es Ekkehard ernst damit war, blieben ihr gerade einmal noch dreizehn und ein halber Mondumlauf. »Aber wie soll ich empfangen, wenn Ihr Euch nur zweimal jedes Jahr für kurze Zeit auf der Burg aufhaltet?«, brachte sie zu ihrer Verteidigung hervor.

»Gattin, Ihr wagt es, meine Entscheidung anzuzweifeln?«, empörte sich Ekkehard. Mit einer derartigen Erwiderung hatte er nicht gerechnet.

Entsetzt blickte Uta zu Boden. Sie wusste nicht, was sie noch tun konnte, um endlich ein Kind unter dem Herzen zu tragen. »Und wenn ich bis zum übernächsten Feste Christi Geburt keine Leibesfrucht …?«, setzte sie an.

Ekkehard straffte die Brust. »Dann muss ich unsere Ehe auflösen, um mir endlich eine fruchtbare Gattin in mein Bett zu holen. Die Mark braucht einen Erben!«

Stumm betrachtete Uta den Gatten. Er wollte sie tatsächlich fortschicken, obwohl sie doch dabei helfen wollte, die Kathedrale zu bauen. Inzwischen zeichnete sie fast genauso präzise wie Meister Tassilo, hatte Hermann ihr jüngst versichert.

»Und nun lebt wohl. Der Kaiser und das Heer erwarten mich«, sagte Ekkehard und verließ den Saal.

Die Dunkelheit und die frühwinterliche Feuchte im Burgsaal ließen Uta plötzlich frieren. Sie lief aus dem Wohngebäude und in die kleine Burgkirche. Dort ließ sie sich in der Krypta nieder und sprach ein Gebet, in dem sie die Mutter, die heilige Plantilla und Äbtissin Hathui um Beistand dafür bat, sie nicht von der Kathedrale zu trennen. Die Krypta war der ruhigste Ort auf der Burg, noch nie hatte sie hier jemanden angetroffen. Uta hielt inne: Wollte ihr der Herr über die Drohung des Gatten etwa zu verstehen geben, dass sie neben der Kathedrale auch noch andere wichtige Pflichten zu erfüllen hatte?

Hazecha! Mutter!, schoss es ihr durch den Kopf. Im vergangenen Winter hatte sie ursprünglich zu Hazecha reiten wollen. Doch wie im Flug war der Mond seitdem auf- und wieder untergegangen, und erst Ende dieses Herbstes hatte sie sich ihrer zeichnerischen Fertigkeiten sicher gefühlt. Ob Hazecha sie in den vergangenen Mondumläufen erwartet hatte, auch wenn sie ihr keine Nachricht nach Naumburg geschickt hatte? »Ich komme zu dir, Hazecha, versprochen«, schwor Uta. »Gib mir nur noch wenige Tage Zeit, um die Zeichnungen für das Gewölbe des nördlichen Seitenschiffes abzuschließen.«

Als die Heerführer Naumburg längst verlassen hatten, erhob sie sich, um an ihre Arbeit zurückzukehren.

 

Tassilo hielt die Hände näher an das Kohlebecken, das die Turmkammer nur langsam erwärmte. »Sind alle da?«, fragte er und blickte in die Runde der Gewerkmeister und Bauplaner. Zu seiner Erleichterung war Bischof Hildeward, der gestern sogar einem der Meister den Mund verboten hatte, der ihm nur die Fertigung der Lehrgerüste hatte erklären wollen, heute nicht anwesend.

»Mit Verlaub, der Markgraf fehlt noch«, bemerkte der Vogt, der sich den Umhang fester um die Schultern zog. »So früh und schon so eisig«, raunte er noch.

»Markgraf Hermann lässt sich für die heutige Zusammenkunft entschuldigen«, erklärte Tassilo, nachdem er das Kohlebecken in die Mitte der Kammer gezogen hatte, und trat vor die Handwerker. »An der Floßstation am Rödel gibt es Streit, den nur er schlichten kann.«

Die Gewerkmeister, der Vogt und Uta nickten verständnisvoll.

»Vogt«, wandte sich Tassilo an den Mann, den Markgraf Hermann zum Schatzmeister ernannt hatte. »Ihr könnt Euch ab sofort mit der Materialplanung für den dritten Bauabschnitt befassen.« Tassilo legte dem Vogt ein großes Bündel Zeichnungen vor, das dieser mit beiden Händen umfassen musste und mit hochgezogenen Augenbrauen an sich nahm.

Uta hingegen lächelte. Mit dem Beginn des dritten Bauabschnittes würden ihre Fensterzeichnungen aus dem zweiten bald in Stein umgesetzt werden.

»Für die unteren Wände des Langhauses fehlen uns derzeit noch Steine«, meldete sich der Steinmetzmeister, und eine Atemwolke stieg aus seinem Mund auf. Maurermeister Joachim nickte zustimmend. »Deswegen pausieren einige meiner Männer. Die Steinmetze können einfach weniger behauen, weil sie keinen Nachschub vom Rödel bekommen.«

»Betrifft dies beide Brüche dort?«, fragte Tassilo an den Vogt gewandt.

»Mit Verlaub, Meister«, druckste der Vogt verlegen herum. »Es gibt zu viel zu tun. Ich habe es noch nicht geschafft, die Steinvorkommen zu kontrollieren. Die Holzlieferungen aus Balgstädt beschäftigen mich noch immer.«

»Wir brauchen auch unbedingt weiteres Holz«, fügte der Zimmermeister, der so breit war wie zwei Männer, hinzu.

Meister Tassilo kratzte sich den kahlen Schädel. »Es wird hoffentlich zu keinen Verzögerungen kommen. Aber wenn es so weitergeht …« Er hielt inne und blickte zu Uta. »Gräfin, könntet Ihr Euch der Materialbeschaffung für die dritte Bauphase annehmen? Dann würde sich unser Vogt vollends auf die Holzlieferungen und die Soldkasse konzentrieren können.«

»Und die Zeichnungen?«, fragte sie unschlüssig. Nur äußerst ungern würde sie Blindrillenstift und Reißbrett aufgeben.

»Vielleicht ist eine Teilung der Aufgaben die richtige Lösung«, fiel Tassilo daraufhin ein. »Wir könnten die Planung auf uns drei – den Markgrafen, Euch und meine Wenigkeit – verteilen. So bliebe Euch immer noch genügend Zeit, die Zeichnungen auszuarbeiten.«

Meister Tassilo traute ihr also tatsächlich die Materialplanung und -beschaffung zu. Zukünftig würde sie also nicht nur zeichnen, sondern aus den Skizzen auch den Arbeiter- und Materialbedarf ableiten, schlussfolgerte Uta und nickte Tassilo erfreut zu. Im nächsten Augenblick aber überkam sie ein schlechtes Gewissen, weil sie mit der neuen Aufgabe nicht sofort beginnen können würde: weswegen sie mit Meister Tassilo gleich im Anschluss noch unter vier Augen sprechen wollte.

Der Vogt atmete erleichtert auf. Seiner Ansicht nach erforderte allein die Verwaltung der Geldmittel die Aufmerksamkeit von zwei Vögten.

»Gewerkmeister«, wandte sich Tassilo nun wieder an die Runde. »Welche weiteren Anliegen habt Ihr vorzutragen?«

Doch Schmied Werner schaute zufrieden drein. Und auch die anderen Meister verneinten und berichteten im Folgenden von den laufenden Arbeiten. Schließlich einigten sie sich noch auf das weitere Vorgehen.

Die Handwerker stiegen bereits die Treppen des Turmes hinab, als Uta den Werkmeister noch um ein kurzes Gespräch bat und die Tür schloss. »Könnt Ihr es vertreten, wenn ich mit der Materialplanung für den dritten Bauabschnitt erst in ein paar Tagen beginne? Ich muss zuvor dringend ein Kloster aufsuchen.« Aufgeregt rieb sie sich die Hände. »Die Zeichnungen für den Westchor werde ich ebenfalls erst nach meiner Rückkehr vervollständigen können«, meinte sie und prüfte die bisherige Zeitplanung. »Mit dem dritten Bauabschnitt – sollte der Winter doch noch milde ausfallen – beginnen wir zum Ende des nächsten Jahres.«

»Wenn Ihr wünscht, Gräfin, kann ich Eure Zeichnungen übernehmen.«

»Nein«, protestierte Uta sofort. »Erlaubt mir, die Aufrisse der Chorwände selber fertigzustellen. Ich werde nicht länger als zehn Tage fort sein. Danach hole ich alles auf. Versprochen!« Bei diesen Worten überlegte Uta bereits, ob die Wege wohl so gut beschaffen waren, dass sie innerhalb von vier Tagen Gernrode erreichen könnte.

»Natürlich, Gräfin, wenn Ihr es so wünscht.« Tassilo kannte sie inzwischen gut genug. Er wusste, dass sie ihr Wort halten würde. Außerdem konnte er dem Glanz in ihren Augen einfach nichts entgegensetzen.

»Und meint Ihr, der Markgraf ist ebenfalls einverstanden?«, fragte Uta, die niemanden, und schon gar nicht Hermann, vor den Kopf stoßen wollte.

»Gewiss ist er damit einverstanden«, erwiderte Meister Tassilo. »Solange sich unser gesamtes Vorhaben dadurch nicht verzögert. Den Rückstand in der Materialplanung vermögt Ihr sicherlich schnell aufzuholen.«

»Ich danke Euch, Meister«, sagte Uta und verließ die Arbeitskammer.

Bevor sie sich von Erna verabschiedete, packte sie schnell noch einige Sachen, darunter ein paar Münzen, etwas Verpflegung und einen Wollmantel in ihr Bündel.

 

»Du bist verrückt!«, empfing Erna sie in der Schmiede. »Jetzt, wo das kaiserliche Heer erneut nach Polen zieht! Erinnerst du dich nicht mehr, wie viele Herumtreiber damals dem kaiserlichen Heerzug auf dem Weg nach Italien folgten?«

»Aber ich muss unbedingt zu ihr!«, beharrte Uta und legte den Kopf schief. Sie wusste, dass sie damit gegen Ekkehards Anweisung verstoßen würde, doch die Schwester war ihr wichtiger. »Ich spüre, dass Hazecha meine Hilfe braucht.«

Erna wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht. »Und was sagt der Graf dazu?«

Augenblicklich wurde Uta blass. »Graf Ekkehard sagt, dass er die Ehe auflösen wird, wenn ich ihm nicht bald einen Erben gebäre. Das sagt er, sonst gar nichts!«

Erna sog scharf die Luft ein. »Nein!«

»Lass uns nicht über ihn reden«, bat Uta eindringlich, und Erna nickte sofort.

»Du willst also wirklich nach Gernrode? Aber wenn sie dich auf dem Weg dorthin überfallen und schänden, ist auch Hazecha nicht geholfen, außerdem ist es doch schon so kalt – du könntest erfrieren«, fuhr Erna besorgt fort, zog sich ihre Haube vom Kopf und knüllte sie nervös zwischen den Händen.

Demonstrativ zog Uta den Wollmantel aus ihrem Bündel und legte ihn sich über den dünneren Umgang, den sie zu dieser Jahreszeit stets über dem Obergewand trug. »Dann werde ich eben so schnell reiten, dass kein Räuber mich aufhalten kann.« Uta bemühte sich zu lächeln.

»Du kannst nicht alleine reiten!« Auf Ernas Gesicht zeigten sich tiefe Sorgenfalten, die Uta in diesem Moment zum ersten Mal auffielen. »Sie sind immer schneller als du, glaub mir. Aber warte kurz hier.« Ohne eine Erwiderung zuzulassen, stieg Erna die Treppen hinauf.

Stimmen drangen zu Uta nach unten. Dann ein Husten.

»Arnold wird dich begleiten!«, verkündete Erna, nachdem sie zusammen mit ihrem Mann wieder auf der Treppe erschienen war. Die zerknitterte Haube saß wieder auf ihrem Kopf.

Uta erblasste erneut. Sie und Arnold alleine? Rote Haare, Sommersprossen … vernahm sie eine Stimme in ihrem Kopf.