Die Herzogin von Santa Rosa - Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem - E-Book

Die Herzogin von Santa Rosa E-Book

Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem

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Beschreibung

Diese Ausgabe von "Die Herzogin von Santa Rosa" wurde mit einem funktionalen Layout erstellt und sorgfältig formatiert. Aus dem Buch: "Auf einer der Bänke der Hohen Promenade in Zürich saßen an einem wunderschönen Maimorgen zwei junge Mädchen und sahen auf das herrliche Bild, das der blaue See mit seinen lachenden Ufern voll üppig blühender Blumen und Sträucher im strahlenden Morgenlicht bot. Die kleinere der beiden Damen hätte ein Fremder gewiß in den südlichsten Süden Europas versetzt, so schwarz war ihr krauses Haar, so dunkel ihre Gesichtsfarbe. Der noch rötere Mund war wohl etwas zu groß und zu voll, um schön genannt zu werden, besonders, weil feine Linien um seine Winkel Unzufriedenheit verrieten, wenn er in Ruhe war, was freilich selten genug geschah. Auch die mandelförmigen Augen, schwarz wie Schlehdornbeeren, waren zu unruhig im Blick; immerhin wirkte dieses Gesichtchen im ganzen schon durch den Reiz der Jugend anziehend. Neben der Gespielin ihrer Kindertage und späteren Freundin aber rückte Melanie Oster, schon ihrer dürftigen Kleidung wegen, doch sehr in den Hintergrund. Die lichte Erscheinung der Freundin schien ein Typ des hohen Nordens zu sein. Doch brauchen veilchenblaue Augen und wie Platin schimmerndes Haar nicht unbedingt Attribute des Nordens zu sein." Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem (1854-1941) war eine deutsche Schriftstellerin. Ihre Liebes- und Kriminal-, gelegentlich sogar ihre humoristischen Romane bezogen dabei ihre Spannung oft aus geschickt eingesetzten phantastischen Motiven, die Beiwerk sein können, aber auch handlungsrelevant.

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Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem

Die Herzogin von Santa Rosa

Historischer Roman
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Inhaltsverzeichnis

Cover
Titelblatt
Text

Auf einer der Bänke der Hohen Promenade in Zürich saßen an einem wunderschönen Maimorgen zwei junge Mädchen und sahen auf das herrliche Bild, das der blaue See mit seinen lachenden Ufern voll üppig blühender Blumen und Sträucher im strahlenden Morgenlicht bot.

Die kleinere der beiden Damen hätte ein Fremder gewiß in den südlichsten Süden Europas versetzt, so schwarz war ihr krauses Haar, so dunkel ihre Gesichtsfarbe. Der noch rötere Mund war wohl etwas zu groß und zu voll, um schön genannt zu werden, besonders, weil feine Linien um seine Winkel Unzufriedenheit verrieten, wenn er in Ruhe war, was freilich selten genug geschah. Auch die mandelförmigen Augen, schwarz wie Schlehdornbeeren, waren zu unruhig im Blick; immerhin wirkte dieses Gesichtchen im ganzen schon durch den Reiz der Jugend anziehend. Neben der Gespielin ihrer Kindertage und späteren Freundin aber rückte Melanie Oster, schon ihrer dürftigen Kleidung wegen, doch sehr in den Hintergrund. Die lichte Erscheinung der Freundin schien ein Typ des hohen Nordens zu sein. Doch brauchen veilchenblaue Augen und wie Platin schimmerndes Haar nicht unbedingt Attribute des Nordens zu sein. Es ist der Schnitt der Züge, der dem Antlitz das Gepräge gibt, und dieser wies in den klaren und edlen Linien, der niederen Stirn, die mit der feinen, leicht gebogenen Nase ein wundervolles Profil ergab, starke Anklänge an den lateinischen Typus auf, wie wir ihn oft an den Büsten des alten Roms bewundern, nur daß er auf diesem jungen Antlitz hier durch einen Hauch von Lieblichkeit und Herzensgüte verklärt wurde, der den klassischen Vorbildern oft mangelt. Zu diesen physiognomischen Vorzügen war Violanta Porsenna hoch und schlank gewachsen, ihre einfache, aber vom besten Material hergestellte Kleidung machte auf ihrer tadellosen Gestalt den Eindruck gediegener Eleganz, obwohl sie auch »nur«, gleich ihrer Freundin, die Tochter und Enkelin Züricher Professoren war. Großeltern und Eltern waren nicht mehr unter den Lebenden, Violanta war unter der Obhut ihrer väterlichen Großmutter erzogen worden.

»Ja, es wird einem doch einmal recht, recht schwerfallen, diesem lieben Zürich Valet sagen zu müssen«, sagte sie nach einer Pause mit seltsam getrübtem Blick ihrer blauen Augen, die dabei unter ihren dunklen Brauen und langen, gebogenen Wimpern ganz schwarz wirkten.

»Meinst du mit ›einem‹ dich oder mich?« fragte Melanie Oster scharf und lachend zu gleicher Zeit. Sie lachte ganz gewohnheitsmäßig eigentlich immer, um ihre weißen, spitzen, tadellosen Zähne zu zeigen, auch wenn nichts zum Lachen dabei war.

»Ich weiß nicht, wen von uns ich meinte«, erwiderte Violanta Porsenna ernst. »Immer werden wir beide ja doch nicht hierbleiben, – wenigstens geschieht es oft genug, das Menschen anderswohin verschlagen werden.«

»Also hast du uns beide gemeint«, stellte Melanie fest. »Was mich betrifft, so lag es nahe genug, nachdem ich dir erzählte, daß Vater mir erst gestern abend eine lange Rede gehalten, deren kurzer Sinn der war, daß es für mich nun höchste Zeit sei, mich nach Arbeit oder einer Anstellung umzusehen, weil meine jüngere Schwester nun groß genug sei, der Mutter an meiner Statt zur Hand zu gehen. Und da du dich vom Valetsagen nicht grundsätzlich aus-, vielmehr zugegebenermaßen eingeschlossen hast, so nehme ich an, daß du nun doch deinen Vetter, den eleganten, angehenden Staatsmann, Herrn von Aarburg, heiraten, dich von ihm in sein altes Stammschloß entführen lassen wirst. Gesteh's nur ruhig ein!«

Violanta lachte ehrlich belustigt und ohne rot zu werden, was den unruhigen Augen ihrer Freundin nicht entging.

»In puncto Phantasie warst du mir immer über, Melanie«, versetzte sie mit einer liebenswürdigen Neckerei, die ihr reizend stand. »Erstens habe ich nie daran gedacht, meinen Vetter zu heiraten, und zweitens hat er erst recht nicht daran gedacht, denn wir haben gestern abend seine Verlobungsanzeige erhalten. Du darfst also dein ungläubiges Gesicht ob dieser Versicherung ruhig in ein gläubiges umwandeln.«

»Schade!« seufzte Melanie. »Auf diesen Vetter hatte ich mich für dich verspitzt, und zwar aus dem sehr egoistischen Grund, weil ich gehofft, du würdest mir von deiner zukünftigen Höhe herab eine hilfreiche Hand zu irgendeinem Posten oder Pöstchen reichen. Du weißt, wir haben uns als Halbwüchsige fest versprochen, die andere zu schieben, falls die eine von uns irgendwo hinaufklettern würde. Natürlich haben wir das in unseren grünen Tagen erhabener ausgedrückt, aber es kommt auf das heraus, was ich mit dürren Worten eben wiederholte. Ich dummes Schaf dachte damals nicht anders, als daß wir beide auf derselben sozialen Stufe stünden –«

»Tun wir das etwa nicht?« fiel Violanta ein. »Mein Vater, den ich ja freilich samt der Mutter verlor, als ich noch im Steckkissen lag, war so gut Professor an Zürichs Alma mater, wie es der deinige noch ist, wie mein gleichfalls dahingeschiedener Großvater, allerdings nur als ›außerordentlicher‹ es gewesen –«

»Ja, aber deine Mutter und deine noch recht vergnügt lebende Großmutter väterlicherseits waren Töchter des uralten Geschlechtes Derer von Aarburg, das sich im Auslande ›Graf‹ nennt, was sie Anno dazumal, bevor die Schweiz eine Republik wurde, hier auch waren«, unterbrach Melanie ihre Freundin. »Darin liegt der Unterschied, Schatz, denn wir Osters sind nur bäurischer Herkunft, was ihr Porsennas, von denen man nicht recht erfahren konnte, woher sie kommen, jedenfalls nicht seid, sonst hätten sich nicht zwei Fräuleins von Aarburg zu ihnen herabgelassen. Als ob man nicht wüßte, daß unsere alten, ehemaligen Adelsgeschlechter viel zu exklusiv sind, um ihr blaues Blut mit gewöhnlichem roten zu vermischen. Und deine liebe Großmama, die dich erzogen hat und wie eine Königin-Witwe aussieht – höre! Da du dich entschieden mit eingeschlossen hast, als du vorhin sagtest, ›es würde einem doch einmal recht schwerfallen, von Zürich zu scheiden‹, so hast du wohl daran gedacht, daß deine Großmutter doch schon recht alt ist und du über kurz oder lang in die Lage kommen könntest, allein zurückgelassen zu werden, nicht?«

»Nein, daran habe ich bestimmt nicht gedacht«, versicherte Violanta. »Du lieber Gott, Großmutter ist geistig und körperlich so rüstig und frisch, daß es mir noch gar nicht eingefallen ist, ihre fünfundsiebzig Jahre für ein so hohes Alter zu halten, daß –«

»Nun ja, aber fünfundsiebzig Jahre sind für uns, für dich mit deinen einundzwanzig und für mich mit meinen zweiundzwanzig Jahren doch nun einmal ein hohes Alter, sintemal ein reichliches halbes Jahrhundert zwischen ihm und uns liegt«, meinte die andere. »Freilich, gemessen an den hundert Jahren, die ein Mann – wo war's doch gleich? – erreicht hat, sind fünfundsiebzig Jahre fast noch ein blühendes Alter. Laß mal sehen, – ja der Herzog von Santa Rosa war's, der – wie in der heutigen Zeitung steht – ›im hohen Alter von hundert Jahren weniger einem Monat in seinem Palast in Rom an der Grippe verschieden ist‹. Also nicht an seinen hundert Jahren, sondern an der Grippe. Das nenne ich großartig, denn dagegen ist deine liebe Großmutter ja fast noch ein Baby. Aber Vio«, unterbrach sie sich, »was ist dir? Du bist ja ganz weiß im Gesicht!«

»Mir – ist nicht gut«, erwiderte Violanta mühsam. Jede Spur von Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen, und als sie aufstand, mußte sie sich gleich wieder niedersetzen, weil ihr die Knie versagten. »Ich glaube, es wird besser sein, ich gehe heim.«

Melanie lachte ausnahmsweise einmal nicht, weil sie wirklich erschrocken war.

»Wie das aber auch so plötzlich über dich gekommen ist!« murmelte sie hilflos, doch als ihre Freundin nach einer kleinen Weile, immer noch ganz blaß, aufstand und sich zum Gehen anschickte, gab sie ihr den Arm und führte sie zu dem nahen Zeltweg, wo Frau Porsenna mit ihrer Enkelin in einem älteren Haus eine geräumige Wohnung hatte.

Unterwegs war es nur Melanie, welche sprach und sich alle Minuten erkundigte, ob die Freundin sich jetzt besser fühle, was diese, erst geistesabwesend, dann mit zunehmender Ungeduld bejahte. An dem Hause mit dem hübschen, wohlgepflegten Vorgarten angelangt, verabschiedete sie Melanie ohne Umstände; sie wollte allein sein, Großmutter würde schon für sie sorgen. Melanie fügte sich dem ohne großen Widerspruch, obwohl sie wirklich besorgt und auch neugierig war, was diesen doch so ganz ungewohnten Anfall verschuldet haben konnte, aber es war Zeit für sie, selbst heimzukehren, ja die Zeit war für sie so dringend geworden, daß sie sich noch rasch zehn Rappen von Violanta »entlieh«, um die Tram benutzen zu können. Es war für Melanie Oster ein chronischer Zustand, von ihrer Freundin solche kleine Sümmchen zu »entleihen«, um dann ganz regelmäßig zu vergessen, die Bagatelle wiederzugeben.

Nachdem Violanta Porsenna ganz mechanisch diesen üblichen Zoll entrichtet hatte, stieg sie langsam die zwei Treppen zur Wohnung ihrer Großmutter hinauf und trat dann bei ihr ein, die, wie Melanie sehr treffend gesagt hatte, eine wahrhaft königliche Erscheinung im noch vollen Schmuck ihrer wohlfrisierten, silberweißen Haare war.

»Liebe Großmama!« rief Violanta, »denke nur, in der Zeitung steht heute, daß mein – daß der Herzog von Santa Rosa fast hundert Jahre alt in Rom gestorben ist!«

Die alte Dame streckte ihre beiden Hände leicht zitternd ihrer Enkelin entgegen.

»Ich hab's erraten, Liebste, denn die Post brachte vor einer halben Stunde einen Expreßbrief an dich, aus Rom« sagte sie beherrscht. »Dort liegt er auf dem Tisch; lies ihn, bevor du dich, wie ich sehe, von einer Bewegung überwältigen läßt, die vielleicht ganz grundlos wäre.«

»Ach, aber Großmama, du weißt doch –«

»Ja, ich weiß, daß es jetzt für dich nur den dornenvollen Weg des Kampfes um dein Recht gibt, auf den dein Großvater und ich dich vorbereitet und erzogen haben. Du willst doch jetzt nicht etwa verzagen? Weder dein Großvater, noch auch dein Vater haben sich's verhehlt, daß sicheren Nachrichten zufolge dein Erbrecht angefochten werden könnte; das ist der Weg des Kampfes um dein Recht. Vermutlich enthält dieser Brief den Auftakt dazu – also nur Mut und nicht verzagen! Du wirst mein Vertrauen in deine Charakterstärke doch nicht enttäuschen wollen?«

»Ich hoffe es wenigstens nicht, liebe Großmama«, erwiderte das junge Mädchen, indem es die schönen Hände ihrer Großmutter zärtlich küßte. »Immerhin, der Sprung über den Rubikon, vorbereitet, wie ich darauf bin, braucht doch ein hübsches bißchen Mut, denn im Grunde bin ich keine Kampfesnatur, das heißt, ich bilde mir ein, keine zu sein. Aber der Brief erleichtert vielleicht die Sache, indem er mir die Initiative erspart. Also, laß uns sehen, was er bringt.«

Damit nahm sie das Schreiben vom Tisch, schnitt es auf und las den Inhalt mit erst sehr verdächtig schwankender, dann sich immer mehr festigender Stimme laut vor. Es war in italienischer Sprache abgefaßt und trug das Datum des gestrigen Tages.

»Der ergebenst unterzeichnete Sachwalter des Chefs des erlauchten Hauses Porsenna erfüllt hiermit die traurige Pflicht, Sie von dem in vergangener Nacht erfolgten Hinscheiden Ihres Herrn Urgroßvaters Don Pietro Porsenna, Herzogs von Santa Rosa della Rocca, geziemend in Kenntnis zu setzen. Seine Hoheit ist nur einen Monat vor seinem hundertsten Geburtstag in voller geistiger und relativ körperlicher Frische einem Grippeanfall binnen wenigen Tagen erlegen, nachdem er mich durch notariellen Akt zu seinem Testamentsvollstrecker ernannt hat. Laut den bestehenden Hausgesetzen vollzieht sich in dem Fideikommiß des erlauchten Hauses Porsenna die Erbfolge nach dem Recht der Erstgeburt ohne den sonst üblichen Ausschluß der weiblichen Deszendenz seit dem Jahre 1503, als Papst Julius II. dem Hause Porsenna die Herzogswürde verlieh. Damit treten Sie, erlauchte Donna Violanta, die Erbschaft Ihres nunmehr in Gott ruhenden Herrn Urgroßvaters ungeschmälert und unanfechtbar auf Grund, wie folgt, an:

Ihr Herr Urgroßvater hatte aus seinen zwei Ehen vier Söhne und eine Tochter, von welcher Deszendenz für die Nachfolge jedoch nur die beiden ältesten Söhne erster Ehe mit Donna Chiara, Fürstin von Aquasanta im eigenen Recht, in Betracht kommen. Der älteste Sohn, Don Ascanio, der in der Nachfolge seiner Frau Mutter den Titel eines Fürsten von Aquasanta führte, starb bereits in jungen Jahren. Sein einziges Kind, Don Riccardo, auf den Titel und Herrschaft von Aquasanta übergingen, folgte ihm bald im Tode nach und hinterließ einen einjährigen Sohn, der aber auch bereits ein Jahr nach dem Tode seines Vaters verstarb. Nunmehr trat der zweite Sohn erster Ehe Ihres Herrn Urgroßvaters in alle Rechte seines Bruders und dessen Deszendenz ein. Don Pietro Porsenna aber hatte infolge eines Zwistes mit seinem Herrn Vater Italien verlassen, wohlverstanden, ohne auf seine präsumtiven Erbrechte zu verzichten, und sich in Zürich niedergelassen, wo er sich in der Folge als außerordentlicher Professor der Römischen Geschichte an der dortigen Universität unter seinem Familiennamen Porsenna habilitierte. Vermählt mit einer Dame aus altadeligem Hause, dem hochgeborenen Fräulein Anna von Aarburg, wurde er Vater eines Sohnes, Don Guido Porsenna, der, den gelehrten Neigungen seines Herrn Vaters folgend, gleichfalls einen Lehrstuhl an der Züricher Universität einnahm, aber schon in jüngeren Jahren starb. Aus seiner Ehe mit dem hochgeborenen Fräulein Susanne von Aarburg, dem gleichen Geschlecht wie seine Frau Mutter entsprossen, hinterließ er eine Tochter, Donna Violanta, an welche diese Zeilen zu richten der Unterzeichnete die Ehre hat, um sie davon zu unterrichten, daß sie laut Familiengesetz durch das Hinscheiden des genannten Don Pietro Porsenna, Herzogs von Santa Rosa della Rocca, in alle dessen Titel, Herrschaften, liegende und fahrende Habe, Geld und Gut von Rechts wegen eingetreten ist.

Ich begrüße daher Sie, erlauchte Donna Violanta, als Herzogin von Santa Rosa della Rocca, Fürstin von Aquasanta und stelle mich Ihnen als Sachwalter und juristischen Berater zur Verfügung, indem ich Eure Altezza meiner Ergebenheit versichert halte.

Da es nun unumgänglich notwendig sein wird, daß Altezza baldmöglichst in Person in Rom erscheinen, um sowohl der feierlichen Beisetzung Ihres in Gott ruhenden Herrn Urgroßvaters beizuwohnen, als auch danach die Übergabe Ihrer Erbschaft in Empfang zu nehmen, so erbitte ich mir hierfür Ihre Entschließung und Instruktionen. Um diese wichtigen Akte jedoch nicht zu verzögern, und da Ihrer Jugend die Reise nach Rom ohne entsprechende Begleitung nicht zuzumuten ist, es vor allem aber Ihrem hohen Range entspricht, daß Sie Ihren Einzug in das Haus Ihrer Väter mit gebührender Würde halten, so folge ich diesem Schreiben in Person mit Dienerschaft nach und werde mich demgemäß morgen nachmittag bei Ihnen vorstellen, um Sie nach Rom zu geleiten.

Euer Altezza ergebenster Commendatore Dr. Pompeo Nemi, Advokat und Notar.«

Donna Violanta, – wie wir sie nun nennen müssen – hatte, ohne sich zu unterbrechen, dieses inhaltsschwere Schreiben vorgelesen; ohne sie zu unterbrechen, hatte ihre Großmutter zugehört, und als ihre Enkelin geendet, erhob sie sich und drückte ihre Lippen auf die weiße Stirn.

»Ich grüße und huldige als erste der Herzogin von Santa Rosa«, sagte sie mit unnachahmlicher Würde und Anmut. »Dein Großvater und ich haben dich an der Stelle deines leider zu früh heimgegangenen Vaters unter strengster Geheimhaltung unserer Familienangelegenheiten vor den Augen der Menschen sorgfältigst für deine hohe Lebensstellung erzogen und vorbereitet; ich wiege mich in der festen Hoffnung, daß du deiner erlauchten Abstammung auch auf römischem Boden alle Ehre einlegen wirst. Daß deiner Erziehung durch mein und deiner lieben Mutter gutes, altes schweizer Blut eine freiere Richtung gegeben worden ist, halte ich für eine treffliche Mitgabe – möge sie dir für das ganze Leben zum Segen gereichen! Dein rechtmäßiges Erbe ist dir also ohne Kampf unangefochten, soweit man es bis jetzt übersehen kann, in den Schoß gefallen; Gott gebe, daß dir sonst auch keine Kämpfe auf dem heißen und glatten Boden deiner angestammten, aber noch ganz unbekannten Heimat bevorstehen. Aber auch darauf bist du von uns vorbereitet worden, denn dein Großvater hat sich's nie verhehlt, an welche Ecken und Kanten du dich dereinst dort stoßen wirst, gerade eben durch deine fremdländische Erziehung. Und so hat denn die Stunde des Scheidens für uns geschlagen, geliebtes Kind –«

»Großmama! Willst du mich wirklich allein ziehen lassen?« fiel Violanta bittend ein.

»Ist das nicht längst besprochen und ausgemacht zwischen uns?« erwiderte die alte Dame. »Ich bin ein zu dürres Reis, um noch auf fremdem Boden Wurzel fassen zu können. Der Brief deines – ja, deines Sachwalters sagt ja auch ganz deutlich, daß du in Rom ohne Anhängsel erwartet wirst, sonst würde der Mann nicht selbst kommen, dich abzuholen, und wahrscheinlich ist das auch gut und richtig so. Daß man dir eine Ehrendame aussuchen wird, einen Schatten, der dir auf Schritt und Tritt in der Öffentlichkeit folgt, kannst du ohne weiteres annehmen in einem Lande, wo ein junges Mädchen, auch wenn sie eine Herzogin im eigenen Recht ist, allein und unbehütet nicht vor ihre eigene Haustüre gehen darf, wie hier zum Beispiel. Nun, für solch einen Schatten, der geduldig Bälle, Gesellschaften, Theater und Konzerte, und was weiß ich noch, in deinem Gefolge auszuhalten hat, wäre ich denn doch nicht mehr jung und beweglich genug. Aber wenn du erst einmal heimisch geworden sein, dich eingelebt haben wirst, dann werde ich gern kommen, dich zu besuchen, und dann nicht als die schlichte Frau Porsenna, als welche man mich hier kennt, sondern als die Fürstin-Witwe von Aquasanta, denn dieser Titel ging ja auf meinen Mann über und ist automatisch nun auch auf dich übergegangen.«

»Ach, Großmama, ich wollte, es wäre erst so weit«, seufzte Violanta unter dem Druck ihrer neuen Würden. »Du mußt aber nicht glauben, daß ich Furcht habe, – o nein! Ich weiß, was ich meinem Namen schuldig bin, aber kannst du es mir verdenken, daß ich inmitten aller meiner Pracht und Herrlichkeit den Wunsch hegen werde, mich gelegentlich mal mit jemandem in richtigem, gutem Schwyzerdütsch aussprechen zu können?«

»Nein, Liebste, das verdenke ich dir gar nicht«, gab die alte Dame mit leisem Lächeln zu. »Ich habe auch schon daran gedacht, und da ist mir eingefallen, ob du dir Melanie Oster nicht mitnehmen könntest. Ich meine nicht, daß du sie an dich binden sollst, denn das könnte zu einer Fessel werden, die wieder zu lösen dann nicht so leicht wäre. Lade sie dir auf einige Zeit ein – wegen des Schwyzerdütsch. Melanie ist anpassungsfähig; in dieser Beziehung würde sie kaum eine Last sein und unter der Flagge deiner Jugendgespielin auch ihren Platz behaupten.«

Violanta antwortete nicht gleich auf diesen Vorschlag, der seltsamerweise kein Echo in ihr erweckte; sie hatte sogar das ganz bestimmte Gefühl, daß es aus irgendeinem Grunde, den sie nicht hätte nennen können, besser wäre, Melanie nicht in Rom einzuführen. Sie war aber eine durchaus großmütige, großzügige und loyale Natur und schämte sich darum dieses Gefühls, obwohl ihr mit der erwachten Vernunft im Lauf der Zeit so mancher Charakterzug bei der Gespielin ihrer Jugend aufgefallen, beziehungsweise zum Bewußtsein gekommen war, der mit den ihr selbst anerzogenen und angeborenen Auffassungen nicht übereinstimmen wollte. Aber sie dachte daran, daß Melanie auch nicht ihre eigene, sorglose Jugend genossen, sich daheim mit den vielen kleinen Geschwistern tüchtig zu plagen hatte, und das entschied zugunsten der Freundin.

»Nun ja«, sagte sie immerhin noch zögernd. »Melanie würde, glaube ich, nur zu gern mitkommen wollen. Aber die Zeit ist doch sehr kurz, man müßte zuvor ihre Eltern fragen – auch für uns kommt die Sache doch sehr plötzlich, Großmama, nicht? Denn wenn ich in Rom helfen soll, meinen Urgroßvater beizusetzen, so müßte ich jetzt gleich mit dem Packen beginnen.«

Diese Absicht wurde indes noch um ein weniges durch die Ankunft Melanie Osters herausgeschoben, die mit vor Aufregung blitzenden Augen hereingeschossen kam.

»Grüß Sie Gott, liebe Frau Porsenna!« rief sie noch unter der Tür. »Vio, es geht dir doch hoffentlich wieder gut; denn denk dir, als ich nach Hause kam, empfing Mutter mich mit der famosen Nachricht, daß für heute nachmittag von Professoren und Studenten ein Picknick auf dem Ütliberg geplant ist. Natürlich dachte ich gleich an dich und bin hergerannt, dich dazu zu kapern.«

»Liebe Melanie, Vio ist heute leider nicht in der Lage, ein Picknick mitzumachen«, nahm Frau Porsenna das Wort. »Statt langer Erklärungen wäre es vielleicht am einfachsten, wir geben Melanie den Brief aus Rom zu lesen.«

Wieder zögerte Violanta einen kurzen Augenblick, bevor sie Melanie, die ein verdutztes Gesicht machte, den Brief des Sachwalters reichte, aber die wechselnden Ausdrücke, welche das Schreiben auf den Zügen ihrer Freundin hervorrief, hätte sie fast laut lachen gemacht. Ungläubigkeit, maßloses Erstaunen, Schreck, das war das erste, was sich auf dem beweglichen, dunklen Gesichtchen malte, und als die Lesung beendet war, sah Melanie geradezu hilflos auf.

»Ist das – das nur ein nachträglicher Aprilscherz, oder ist's ernstlich gemeint?« stotterte sie. »Ernst ist's? Tatsächlich ernst, und Vio wäre –? Nun, das muß ich sagen, wenn Vio das gewußt hat, dann ist sie schon die heimtückischste Person, die mir noch vorgekommen ist! Eine Schlange, die ich an meinem Freundesbusen genährt –«

»Ich war durch ein Versprechen zum unverbrüchlichsten Schweigen verpflichtet«, fiel Violanta ein. »Du hättest an meiner Stelle also ebenso gehandelt.«

Melanie hatte darauf keine Antwort, vielleicht weil sie ihrer Sache denn doch nicht so ganz sicher war, denn daß sie schwatzte und ausplauderte, war eine Tatsache, die sie nicht gut hätte leugnen können. Auch verschlug ihr die Bestätigung der wunderbaren Sache doch ein wenig die sonst immer bereite Sprache.

»Vio eine richtige, regierende Herzogin!« japste sie nur.

»Nicht doch«, berichtigte Frau Porsenna, ob so viel Naivität lächelnd, »Vio ist nur durch den Tod ihres Urgroßvaters zum Chef eines großen Adelsgeschlechtes geworden und in dieser Eigenschaft zur Führung eines fürstlichen Titels berechtigt, der früher allerdings mit Feudalrechten verbunden war. Man kann die Porsenna demnach eine mediatisierte Familie nennen, ungefähr wie wir Aarburgs eine sind, nur daß wir keine Titel mehr führen, während die Porsenna, wie du aus dem Schreiben ersiehst, reichlich damit bedacht sind und sich in ihrem Lande des Privilegiums erfreuen, dem hohen Adel anzugehören.«

»Vio Herzogin von Santa Rosa della Rocca!« wiederholte Melanie, immer noch etwas »verdonnert«. »Also muß man ihr wohl Glück wünschen und dich von Stund an siezen, Hoheit oder ich weiß nicht wie zu dir sagen?« setzte sie schrill hinzu, während der gelbe Neid unverhüllt aus ihren Augen herausschaute. »Das wäre also das Ende unserer Freundschaft. Vio klettert hinauf auf den Gipfel menschlicher Größe, und ich armes, ruppiges Ding darf weiter im Dreck krabbeln!«

»Schwatze keinen Unsinn, Melanie!« rief Violanta, unangenehm berührt, aber sie versuchte, ihrer Freundin einen Kuß zu geben, der jedoch sehr ungnädig abgewehrt wurde in der Bitterkeit dieses jungen Herzens, das in dieser Stunde verriet, wie eng es eigentlich war. »Du bist gekommen, mich zu einem Picknick einzuladen, und ich lade dich dafür ein, mich nach Rom zu begleiten.«

»In welcher Eigenschaft? Etwa als deine – Kammerjungfer?« sprudelte es von den roten Lippen ebenso unweise wie taktlos.

»Sei kein Schaf! Als meine Freundin, die ich mir als lieben Gast einlade«, versetzte Violanta halb lachend, halb verletzt, und wieder mit dem deutlichen Gefühl, daß die Einladung besser unterblieben wäre. Aber sie hatte die Wirkung, daß sich die wenig erfreulichen Gefühle in dem engen Herzen Melanies im Handumdrehen in jubelnde Freude umwandelten, denn aus ihrem schäbigen Familienkreise herauszukommen, gehörte längst zu ihren Träumen.

»Vio, du bist ein Engel!« jauchzte sie. »Ist's wirklich wahr? Nach Rom soll ich, als Gast eines Feudalpalastes, – denn natürlich hast du doch einen solchen, wie ich ihn mir vorstelle, einen weiten Platz beherrschend, strotzend von Marmor und Gold – Herrschaft! Mir wirbelt der Kopf! Und wann soll die Reise losgehen? Morgen schon? Du kannst es wohl schon gar nicht mehr erwarten?«

»Liebes Kind, Vio muß an der Beisetzungsfeier für ihren Urgroßvater teilnehmen«, fiel Frau Porsenna ein. »Wenn du also gleich mitreisen willst, die Einwilligung deiner Eltern vorausgesetzt, dann müßtest du schon heute abend reisefertig sein. Freilich hieße das aber wohl, heute auf das Picknick verzichten.«

»Ich pfeife auf das lumpige Picknick!« versicherte Melanie mit glühenden Wangen. »Ein Begräbnis ist ja freilich keine Lustbarkeit, aber einen römischen Herzog sieht man auch nicht alle Tage begraben, und wenn er erst mal glücklich eingebuddelt ist, dann wollen wir uns mächtig amüsieren, nicht?«

»Wir erwarten heute nachmittag die Ankunft von Vios Sachwalter; ich fürchte also, es wird uns keine Zeit bleiben, bei deinen Eltern vorzusprechen, um ihre Erlaubnis zu deiner Mitreise einzuholen«, warf Frau Porsenna kühl ein. »Und da auch du ja kaum mit deinen Vorbereitungen fertig werden dürftest, so wird es wohl besser sein, du schiebst deinen Besuch bis nach der Beisetzung in Rom auf.«

»Ei bewahre, ich werde schon noch fertig mit meinen Siebensachen, und die Plötzlichkeit der Sache ist doch gewiß auch eine vollgültige Entschuldigung bei meinen Eltern«, versicherte Melanie großmütig. »Jetzt muß ich aber machen, daß ich heimkomme, und um Zeit zu sparen, werde ich sogar zehn Rappen für den Tram springen lassen. Kannst du mir zehn Rappen leihen, Vio; – Danke schön, du Engel du!« Worauf Melanie davonschoß wie ein losgelassener Brummkreisel. Als die Tür mit einem Knall hinter ihr zugeschlagen war, sahen Großmutter und Enkelin sich an.

»Melanie hat mich heute – enttäuscht«, sagte die erstere dann. »Vielleicht wäre es besser gewesen, die Dauer ihres Besuches gleich festzusetzen. Es ist doch eigentümlich, wie plötzliche, unvorhergesehene Ereignisse den Charakter eines Menschen, den man seit seiner Geburt zu kennen glaubt, ganz anders enthüllen können. Lieber Himmel, aus dem Mädchen hat ja der blasse Neid herausgesehen, – Neid aber ist eine sehr, sehr häßliche Eigenschaft, aus der sich noch vieles andere entwickeln kann.«

Violanta sagte nichts dazu, weil ihr so mancher Zug einfiel, den sie nach und nach in Melanies Charakter entdeckte: Neigung zur Unwahrheit, zur Verstellung und Unaufrichtigkeit, zur Überhebung, und nur die Macht der Gewohnheit hatte ihr über diese wenig erfreulichen Entdeckungen hinübergeholfen. Das wollte sie ihrer Großmutter ebensowenig eingestehen, wie daß sie ihre impulsive Einladung schon bereute, sie wahrscheinlich überhaupt nicht ausgesprochen hätte, wäre Melanie nicht mit ihrer Einladung zum Picknick gekommen, was ja eine Freundschaftstat bedeutete, zu welcher sie ganz und gar nicht verpflichtet gewesen wäre.

Am Nachmittag wurde der »Commendatore« Doktor Pompeo Nemi gemeldet und von Großmutter und Enkelin empfangen. Der Jurist, welcher in seinen römischen Kreisen den sehr treffenden Übernamen »der weiße Löwe« führte, weil seine kolossale Gestalt mit dem mächtigen, von einer wilden, weißen Mähne umwallten Kopf, und den gelben, durch eine stark konvexe Brille enorm vergrößerten Augen zu beiden Seiten der breiten Nase in der Tat lebhaft an den König der Wüste erinnerte, vorausgesetzt, daß man sich solch liebes Tier weiß vorstellen kann. Er wurde durch den Anblick seiner neuen jungen Klientin ersichtlich ebenso angenehm überrascht wie durch den ihrer Großmutter mit ihrer wunderbar königlichen Greisinnenerscheinung. Naturgemäß konzentrierte sich sein Hauptinteresse jedoch auf die liebreizende Herzogin von Santa Rosa, in deren schönen, reinen Zügen sein geübtes Auge auf den ersten Blick die würdige Tochter des großen römischen Geschlechtes erkannte, dem er seit mehr denn einem Vierteljahrhundert Berater, Sachwalter und Vertrauter gewesen; aber es war nicht sosehr ihre eigenartige Schönheit als die unzweifelhaften Zeichen der Rasse und der stete, klare Blick ihrer veilchenblauen Augen, die den großen Menschenkenner anzogen.

Die Begrüßung und ritterliche Huldigung des in seiner Art großen Mannes, dessen Löwenstimme die friedlichen Räume der alten Dame mit ihrem Donnerrollen erfüllte, mutete auch Violanta samt seiner entschieden originellen Persönlichkeit so angenehm und sympathisch an, daß schon aus der ersten Viertelstunde dieser Bekanntschaft der Keim einer Freundschaft sich entwickelte, die nichts mehr erschüttern konnte. Und dieser erste Eindruck nahm ihr auch sofort die ganz natürliche Befangenheit, mit der sie Doktor Nemi entgegengetreten war; sie gab sich frei und natürlich wie immer, und auch die leise in ihr schlummernde Furcht, ob und wie sie die ihrer harrenden Aufgabe bestehen würde, wich damit der immer deutlicher werdenden Stimme des Blutes, die ihr das Bewußtsein, nunmehr eine große Dame zu sein, verlieh. Sie glitt sozusagen ohne Übergang aus der Rolle des schlichten Fräuleins Porsenna in die der Herzogin von Santa Rosa hinein, und zwar nicht nur darum, weil sie durch ihre Großeltern sorgfältig dafür geschult war, sondern weil ihr Blut im Angesicht der eingetretenen Tatsache sein Recht behauptete.

Nachdem festgesetzt war, daß die Abreise nach Rom mit dem Nachtzuge erfolgen sollte, berührte Frau Porsenna ein Thema, das zu erörtern ihr sehr am Herzen lag; nämlich, die von ihrem Mann befürchtete Möglichkeit, daß die Erbfolge ihrer Enkelin angefochten werden würde, weil es zum erstenmal in der Geschichte des Hauses Porsenna geschehe, daß die weibliche Deszendenz zur »Regierung« gelange.

»Das Erbrecht von Donna Violanta ist unanfechtbar«, tröstete Doktor Nemi sie, »aber es ist wohl meine Pflicht zu sagen, daß der Versuch dazu noch bei Lebzeiten des alten Herrn unterderhand wiederholt gemacht worden ist. Nun, es ist bei dem Versuch geblieben, denn selbst der gerissenste Rechtsverdreher kann keinen schwachen Punkt zum Angriff in den Urkunden entdecken.«

»Ah, den schwachen Punkt hat man darum also bei der Erbin selbst gesucht«, rief Violanta aus. »Ich erhielt nämlich heute mittag ein Schreiben von einem römischen Advokaten, der mir im Auftrag seines Klienten, Don Ferrante Porsenna, einen Vorschlag macht. Don Ferrante nimmt an, daß es mir infolge meiner ausländischen Erziehung und immerhin doch einem großen Hause untergeordneten Lebensstellung schwerfallen wird, mir eine erträgliche Position inmitten des sehr exklusiven römischen Hochadels zu erringen, der mich – seiner Meinung nach – als Fremde boykottieren würde. Er macht mir daher den Vorschlag, auf mein Erbe mit allen Titeln und was darum und daran hängt, zu seinen Gunsten gegen eine Rente zu verzichten, deren ziffernmäßige Höhe ja gewiß recht anständig bemessen ist, mich aber leider gar nicht reizt. Da Don Ferrante es für angemessen gehalten hat, mit mir durch seinen Advokaten in Verbindung zu treten, so halte ich es für entsprechend, ihm durch meinen Sachwalter erwidern zu lassen, daß meine Erziehung mich vollkommen dazu befähigt, mein Erbe anzutreten, und ich es ganz beruhigt auf die angedrohte Boykottierung ankommen lassen könnte. Ich bedaure daher, seine Großmut hinsichtlich der dargebotenen Rente mit höflichem Dank abzulehnen.«

»Ausgezeichnet!« dröhnte Doktor Nemi mit einem wahren Löwengelächter, indem er seine mächtigen Löwentatzen laut schallend zusammenschlug. »Dieser liebe Don Ferrante ist immer originell, – er würde es auch in der ganz regelmäßigen Nichtbezahlung der Rente gewesen sein, falls Altezza seinen großmütigen Vorschlag angenommen hätten! Es wird mir einen Genuß bereiten, diesen Brief zu beantworten; einen ganz hervorragenden Genuß sogar. Altezza werden wohl wissen, daß Don Ferrante der jüngere Stiefbruder Ihres seligen Großvaters aus einer zweiten Ehe des alten Herrn ist. Der älteste Sohn aus dieser nicht gerade sehr harmonischen Ehe, Don Luigi, zog den Zorn seines Vaters auf sich, weil er trotz des erlassenen Verbotes die Erbtochter des Besitzers eines Gutshofes in der Nachbarschaft des Stammschlosses heiratete, und infolgedessen für sich und seine Nachkommen auf seine Erbrechte verzichtete.«

Es war ein strahlend schöner Nachmittag, als Violanta Porsenna, die nunmehrige Herzogin von Santa Rosa, in Begleitung Doktor Nemis, Melanie Osters und zweier von dem ersteren mitgebrachten Lakaien des verstorbenen Duca in Rom eintraf, – solch ein unvergleichlich köstlicher, römischer Mainachmittag, wo die noch nicht alles versengende Sonne von einem geradezu unwahrscheinlich blauen Himmel herabstrahlend all die zahllosen Brunnen und Fontänen in Gold und funkelnde Brillanten verwandelt, die Travertinmauern der Paläste wie aus glühender Lava erbaut erscheinen läßt, den Gartenanlagen der Plätze und den Blumenständen der Verkäufer eine berauschende Farbenpracht verleiht.

Nach langer Fahrt in einem allen Römern wohlbekannten prächtigen Landauer mit silbergezäumten Rappen landete die junge Erbin unter einer von kolossalen kannelierten Säulen getragenen Einfahrt, in der ein goldstrotzender, scharlachrot gekleideter, riesenhafter Portier mit schwarzer Kreppbinde um den Arm und an dem beschnürten und bequasteten hohen Stab mit dickem Messingknopf würdevoll aufgepflanzt stand. Und als Violanta mit Nemis Hilfe aus dem Wagen stieg und an seinem Arm zum erstenmal die Schwelle des Hauses ihrer Väter betrat, da hob der Mann seinen Stab hoch empor zum Gruß, zog den goldbetreßten Hut, von dem eine lange Kreppschleife herabhing, und sagte feierlich: »Es lebe die Herzogin von Santa Rosa, sie sei willkommen!«

Was Violanta in Zürich befremdet, wenn nicht gar lächerlich gefunden hätte, durchrieselte sie hier mit einem ganz eigenen Gefühl der Zugehörigkeit und Schicklichkeit. »Ich danke Ihnen! Es ist schön, auf der Schwelle des Hauses willkommen geheißen zu werden«, erwiderte sie bewegt, indem sie dem Riesen die Hand reichte. »Sie sind gewiß schon lange hier – bei uns?«

»Dreißig Jahre, Altezza zu dienen«, antwortete er stolz, und Nemi fügte hinzu: »Als ich dieses Haus zum erstenmal betrat, also vor mehr als fünfundzwanzig Jahren, öffnete mir der damals noch junge Angelo schon die Tür. Er ist aus Santa Rosa della Rocca gebürtig und wird Ihren Großvater noch gekannt haben.«

»Gewiß!« versicherte der Portier strahlend. »War ich doch schon zehn Jahre alt, als Don Pietro Porsenna uns leider für immer verließ. Oft hat er mit mir gesprochen, denn er kam gern und oft nach Santa Rosa. Wer hätte es gedacht, daß seines Sohnes Tochter dereinst hier als Herrin einziehen und ich sie als erster im Palazzo Porsenna begrüßen würde!«

»Ja, wer hätte das gedacht!« wiederholte Violanta, die immense Vorhalle betretend, aus deren anderem Ende, dem Portal gegenüber, verglaste Türen in einen von Loggien umschlossenen Innenhof führten, aus welchem das leise Plätschern eines Brunnens zu hören war. Die Vorhalle wurde von einer doppelten Reihe von Säulen aus dunkelgrünem afrikanischen Marmor mit reichen Kapitälen getragen, zwischen denen auf hohen Sockeln die lebensgroßen Marmorstatuen von acht Kardinälen aller Zeitalter standen, – Söhne des Hauses Porsenna, wie Nemi Violanta erklärte.

»Und dies hier ist der Ahnherr Ihres Geschlechtes«, sagte er, indem er auf eine Bronzestatue deutete. »Der etruskische König Porsenna von Clusium, dem heutigen Chiusi. Einige Archäologen und Kunsthistoriker bestreiten zwar, daß dieses Bildwerk Porträt ist und aus dem fünften Jahrhundert vor Christi Geburt stammt, Tatsache aber ist, daß es sich seit undenklichen Zeiten im Besitz der Familie befindet. Porsenna der Prächtige in seiner historischen goldenen Rüstung –«

»Hören Sie, liebster Dottore, lassen Sie das arme Mädel doch erst mal über die Schwelle ihres Hauses treten, bevor Sie ihr kunsthistorische Vorträge halten«, unterbrach ihn eine frische Stimme, und Violanta sah auf dem Absatz des rechten Flügels der monumentalen Treppe eine kleine, kugelrunde Dame stehen, deren rosigem, rundem Gesicht die düstere Trauerkleidung, in die sie gehüllt war, nichts von seinem heiteren, freundlichen Ausdruck nahm.

»Die Frau Principessa-Witwe von Aquasanta, Witwe Don Riccardos, des Neffen Ihres Herrn Großvaters,« wandte sich Doktor Nemi vorstellend an Violanta, die den Arm ihres Führers losließ und die Treppe hinaufeilte, wo die noch außerordentlich jung aussehende Dame sie sogleich wie eine alte Bekannte umarmte und küßte.

»Willkommen in deiner Heimat, meine liebe, mir so lang fremd gebliebene Kusine«, rief sie herzlich in deutscher Sprache. »Da ich in diesem Hause bisher die stellvertretende Herrin war, so wollte ich auch die erste sein, die dich darin begrüßt. Ich habe mich nämlich schon auf dich gefreut.«

Violanta erwiderte diese freundlichen Worte ihrerseits durch eine geradezu stürmische Umarmung; so glücklich und froh machte sie die liebe, herzliche Art und Weise der Mutter des früh verstorbenen Erben.

»Das hatte ich nicht zu träumen gewagt, hier so freundlich begrüßt zu werden«, versicherte sie. »Nun bin ich ja mit einem Schlage hier zu Hause! Und ich darf du zu dir sagen, liebe – Tante?«

»Aber natürlich doch, ich habe dich ja auch nicht gesiezt! Und weißt du was? Nenne mich lieber bei meinem Vornamen, Olga. Eine richtige Tante bin ich streng genommen eigentlich auch nicht, ganz abgesehen davon, daß die sechs oder sieben Jahre, die ich mehr habe als du, auch noch kein Grund zum Betanten sind. Du sollst mich liebhaben! Ich brauche jemanden, der mich liebhat«, versetzte die Principessa, die in der Tat noch viel jünger erschien, als sie mit ihren achtundzwanzig Jahren war. »Und nun komme mit mir herauf, denn die ganze bucklige Verwandtschaft erwartet dich droben zur Begrüßung. Kommen Sie mit, lieber Doktor?« wandte sie sich an Nemi, der mit Melanie Oster nachgekommen war, und auf diese deutend, fragte sie halblaut: »Das ist wohl deine Kam –«

»Meine Freundin, Fräulein Oster, die so freundlich war, mich zu begleiten, um mir über die erste Zeit des Fremdseins hinwegzuhelfen«, fiel Violanta hastig ein und hoffte, daß Melanie den Ansatz zu dem Worte Kammerjungfer nicht gehört hatte. Melanie machte der Principessa ihren schönsten Tanzstundenknicks, der einer geschmeidigen Grazie indes nicht entbehrte. Sonst aber war sie entschieden noch auf den Mund gefallen, denn sie stotterte nur etwas Unzusammenhängendes, als die Principessa ihr die Hand reichte und auch sie willkommen hieß.

»Wenn ich dir sagte, daß die ganze bucklige Familie sich zu deiner Begrüßung eingefunden hat, so meinte ich damit die Kinder und Schwiegersöhne von Onkel Ferrante, der ja mit seiner ältesten Tochter hier im Hause eine Wohnung hat«, plauderte die Principessa auf Deutsch weiter. »Onkel Birbante (›Spitzbube‹), wie mein seliger Mann diesen lieben Verwandten unter uns nannte, hat natürlich als Sohn sofort die ihm sehr zusagende Rolle des Oberzeremonienmeisters für die morgige Beisetzungsfeier übernommen, und das kommt ihm ja auch gewiß zu. Der Onkel ist, wie du wohl wissen wirst, Witwer. Seine drei Töchter, sein Sohn und seine beiden Schwiegersöhne sind also hier versammelt: seine Schwester, Tante Ciacinta, kann ja ihr Kloster natürlich nicht verlassen, und bei der Beisetzung werden wohl auch die Witwe und der Sohn von Onkel Ferrantes älterem Bruder Luigi fehlen. Es ist geradezu eine Schande, daß Onkel Ferrante diesen Leuten nicht einmal den Tod ihres Schwieger- und Großvaters angezeigt hat, – nun, das ist ein Kapitel, über das wir uns noch aussprechen müssen. Es ist ja wahr, daß Onkel Luigi gegen den Willen seines Vaters die Tochter des Bauern Volpe geheiratet hat, aber eben diese Tochter ist mit Tante Ciacinta zusammen im Institut der Damen vom Sacro Cuore auf Trinita del Monti erzogen worden und war dort sowohl wie später eng mit ihr befreundet. Tante Ciacinta war auch tapfer genug, an dieser Freundschaft festzuhalten, aber Onkel Ferrante hat sich bei seinem Vater lieb Kind gemacht und seines Bruders Familie ihm zu Ehren total geschnitten. Gut, das mag seine Ansicht sein, aber meinem Gefühle nach geht es denn doch zu weit, den ›Bauern Porsenna‹, wie er seinen Neffen ständig nennt, sogar von den Beisetzungsfeierlichkeiten auszuschließen.«

Die Neuangekommenen wurden durch die Flucht der Gesellschaftsräume geführt, so daß Violanta sogleich die ganze Pracht und Herrlichkeit in Augenschein nehmen konnte.

»Herr, du meine Güte! Wird Vio auf diesem Thron sitzen und Hof halten?« rief Melanie erstaunt aus, als sie im Thronsaal auf einer um drei Stufen erhöhten Plattform den Thronsessel, ein Meisterwerk vergoldeter Schnitzerei, aufgestellt sah.

»So schlimm wird sie es nicht haben, liebes Fräulein«, erklärte die Principessa lächelnd. »In allen Häusern der großen, alten Familien Roms steht solch ein Thron für den Fall, daß der Papst das Haus mit seinem Besuch beehrt.«

In den Gesellschaftsräumen waren Kunstschätze in fast erdrückender Menge angehäuft: Gemälde und Familienbildnisse von den Händen erster Meister, antike und auch einige moderne Bildwerke in Marmor und Bronze; elegante Vitrinen voll kostbaren Porzellans, Juwelen, Familien- und anderen Reliquien, Kuriositäten von historischem Interesse – ein intimes Museum mit einem Wort, das gewöhnliche Sterbliche nie zu sehen bekommen, von dessen Vorhandensein der Reisende keine Ahnung hat.

Violanta schritt an der Hand ihrer freundlichen Führerin dahin wie in einem Traum, und das sah die Principessa sehr gut und flüsterte ihr zu:

»So, jetzt sind wir am Ziel, und nun wach auf, denn es dürfte sich empfehlen, den Verwandten mit wachen Sinnen entgegenzutreten.«

Irgend etwas im Tone der Sprechenden machte, daß von Violanta das eigentümliche, traumhafte Gefühl der Unwirklichkeit wich, mit dem sie wortlos durch die Prachtgemächer ihres – ihres Palastes geschritten war, gleichsam als hätte sie alles das schon einmal vor so langer Zeit gesehen, daß sich die Jahre gar nicht mehr zusammenzählen ließen. Ja, vor dem verhängten Bild, das Doktor Nemi ihr zeigen wollte, hatte sie die deutliche Erinnerung, als ob sie denselben Rahmen aus poliertem und ziseliertem Silber, teilweise vergoldet und mit Steinen besetzt, schon gesehen haben müßte, und hinter dem Vorhang ein Bildnis, welches aber so verschwommen vor ihrem geistigen Auge stand, daß sie nichts weiter darauf erkennen konnte als ein Paar dunkler Augen, die sie wie aus einem Nebel unter goldig schimmernden Wimpern klar und vertrauenerweckend ansahen, während eine kleine, schlanke und zarte Kinderhand herauszuwinken schien – Doch die mahnenden Worte der freundlichen Principessa rissen sie jäh aus diesem seltsamen Zustande eines Unterbewußtseins heraus, der ihrem Wesen sonst ganz fremd war – mit einem Ruck fand sie sich wieder zurück in die Wirklichkeit und begriff, daß es sich jetzt darum handeln würde, ihre Stellung entweder zu behaupten oder sich ihrer zu begeben, handelnde, selbständige Person oder Marionette zu werden, die so tanzen mußte, wie man ihr pfiff.

Das Zimmer, in welches sie nun eintrat, war ein schöner, mittelgroßer Salon mit seegrünen Seidendamast-Tapeten und in Weiß und Gold lackierten, echten Empiremöbeln mit rosa und grün gestreiften seidenen Überzügen. Hier befand sich eine Gruppe von Damen und Herren versammelt, aus welcher, als die Principessa die Tür öffnete, die große, elegante, schlanke und jugendlich wirkende Gestalt eines Mannes den Eintretenden entgegenging. Sein Kopf mit dem sorgfältig gescheitelten, kurz geschnittenen und noch restlos vollen, dunklen Haar machte auf den ersten Blick den Eindruck eines Mannes von etwa dreißig Jahren; ein zweiter Blick jedoch zeigte Spuren, die sich in wesentlich späterem Alter einzufinden pflegen. Die Augen aber waren es, die dem entschieden wohlgebildeten, aristokratischen Gesicht das Charakteristische verliehen. Sie waren von jener im Süden nicht gar zu selten vorkommenden Art, die man »Adleraugen« nennt, weil sie, auch im scharfen Profil gesehen, die Iris fast im ganzen Umfang sehen lassen. Hier waren sie von einem hellen Stahlgrau, und die Pupille hatte die bei Menschen nur selten beobachtete Eigenschaft, sich nicht zu einem Punkt, sondern zu einem ovalen Strich zusammenzuziehen, was ihnen etwas entschieden Katzenartiges verlieh.

»Onkel Ferrante, hier bringe ich unsere uns leider so lange unbekannt gebliebene Verwandte Violanta Porsenna«, sagte die Principessa vorstellend.

»Ah!« machte Don Ferrante gedehnt, wobei sein Blick über Violanta hinweg auf den hinter ihr eintretenden Doktor Nemi fiel, und an einem leichten Zucken seiner Augenbrauen und dem eigentümlichen Zusammenziehen seiner Pupillen ersah der letzere mit innerlicher Befriedigung, daß er gut getan, seine Klientin über den langen Umweg zu ihres Großvaters jüngstem Stiefbruder zu begleiten. »Ah,!« wiederholte Don Ferrante, auch Melanie Oster mit dem Blick streifend, indem er jetzt erst seine Nichte ansah. »Ich bin entzückt, deine Bekanntschaft zu machen, meine liebe Violanta, und zwar um so mehr, als dein Herz dich getrieben zu haben scheint, der Beisetzung meines in Gott ruhenden Vaters uneingeladen beiwohnen zu wollen.«