Die Insel des Zorns - Alex Michaelides - E-Book

Die Insel des Zorns E-Book

Alex Michaelides

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Beschreibung

7 Personen, 3 Schüsse, 1 Leiche – Dramatische Rätsel-Psychothriller-Spannung vom Autor vonDie stumme Patientin! Mit reichlich Twists und Turns und einem überraschenden Ende, das atemlos macht, erzählt Alex Michaelides filmreife, raffinierte und psychologisch ausgefeilte Spannung zum Miträtseln. »Mein Name ist Elliot Chase und ich werde Ihnen eine Geschichte erzählen, wie Sie sie noch nie gehört haben. Es ist eine Geschichte über einen Mord. Oder nein, warten Sie, vielleicht ist es in Wahrheit eher eine Liebesgeschichte? Die wunderschöne Lana Farrar, Ex-Hollywood-Star und eine der berühmtesten Frauen der Welt, verbringt die Ostertage für gewöhnlich auf ihrer griechischen Privat-Insel. Wie jedes Jahr lädt sie ihre engsten Freunde ein, dem englischen Wetter zu entfliehen und Ostern mit ihr zusammen auf dieser idyllischen MIttelmeer-Insel zu feiern. Lanas Freunde - das wären meine Wenigkeit, Elliot Chase, und Lanas beste Freundin Kate, ihr Ehemann Jason, ihr Sohn Leo aus erster Ehe sowie die beiden langjährigen Angestellten Agathi und Nikos. Stellen Sie sich vor, wie ein starker Sturm - von den Griechen "Der Zorn" genannt - uns alle auf der Insel gefangen hält und unsere Auszeit sich plötzlich zur tödlichen Tragödie entwickeln und einer oder eine von uns sterben wird. Sie denken jetzt vielleicht, sie kennen diese Geschichte? Täuschen Sie sich nicht! Ich bin mir ganz sicher, DIESE Geschichte haben Sie noch nie gehört!« Wer trickreiche Thriller wie »The Glass Onion« liebt, kommt hier voll auf seine Kosten. In seinem hochkarätigen psychologischen Thriller »Die Insel des Zorns« setzt der #1 New York Times Bestseller-Autor von »Diestumme Patientin« Alex Michaelides wieder sein ganzes Können als Drehbuchautor ein und liefert seinen Leser*innen Rätsel-Spannung mit echtem Wow-Effekt. »Ein brillanter Krimi. Wunderbar gezeichnete Charaktere, die alle ein Motiv für einen Mord hätten, lassen Sie an einem Ort, der zum Sterben schön ist, miträtseln. Bis zu einem schockierenden und clever eingefädelten Finale. Ein teuflisches Lesevergnügen.« Chris Whitaker

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Seitenzahl: 366

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Alex Michaelides

Die Insel des Zorns

Thriller

Übersetzt von Kristina Lake-Zapp

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Mein Name ist Elliot Chase, und ich werde Ihnen eine Geschichte erzählen, wie Sie sie noch nie gehört haben. Eine Geschichte über einen Mord. Oder nein, warten Sie. Vielleicht ist es in Wahrheit eine Liebesgeschichte?

Lana Farrar, Ex-Filmstar und eine der berühmtesten Frauen der Welt, lädt jedes Jahr ihre engsten Freunde ein, Ostern auf ihrer idyllischen griechischen Privatinsel zu verbringen. Doch in diesem Jahr hält der von den Griechen »Zorn« genannte Sturm sie alle eine dramatische Nacht lang auf der Insel gefangen. Am nächsten Morgen ist einer von ihnen tot. Sie meinen, diese Geschichte zu kennen? Sie täuschen sich, seien Sie versichert!

Inhaltsübersicht

Widmung

Motto

Prolog

AKT I

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

AKT II

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

AKT III

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

AKT IV

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

AKT V

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

Epilog

Dank

Für Uma

ἦθος ἀνθρώπῳ δαίμων

Der Charakter ist das Schicksal des Menschen

 

Heraklit

Prolog

Beginne niemals ein Buch mit dem Wetter.

Wer hat das noch gleich gesagt? Ich kann mich nicht erinnern – irgendein berühmter Schriftsteller, nehme ich an.

Wer immer es war – er hatte recht. Das Wetter ist langweilig. Niemand will etwas über das Wetter lesen, schon gar nicht in England, wo das Thema dauerpräsent ist. Die Leute wollen etwas über andere Leute lesen – außerdem überspringen sie beschreibende Passagen generell, so meine Erfahrung.

Das Wetter zu meiden ist ein guter Rat – den ich jetzt auf eigene Gefahr missachte. Wie ich hoffe, eine Ausnahme, um die Regel zu bestätigen. Keine Sorge, meine Geschichte spielt nicht in England, also werde ich hier nicht vom Regen berichten. Da ist bei mir Schluss. Kein Buch sollte mit Regen beginnen, niemals. Es gibt absolut keine Ausnahme.

Ich erzähle vom Wind. Dem Wind, der um die griechischen Inseln weht. Dem wilden, unberechenbaren griechischen Wind. Wind, der einen in den Wahnsinn treibt.

Der Wind war heftig in jener Nacht – der Nacht des Mordes. Er war grimmig, zornig – fegte durch die Bäume, raste über die Wege, pfeifend, heulend, sämtliche anderen Geräusche mit sich reißend, verschlingend.

Leo war draußen, als er die Schüsse hörte. Auf Händen und Knien, hinter dem Haus, übergab er sich in den Gemüsegarten. Er war nicht betrunken, nur stoned. (Mea culpa, fürchte ich. Er hatte noch nie zuvor Gras geraucht; ich hätte ihm vermutlich keins geben dürfen.) Nach einem anfangs halb ekstatischen Erlebnis – offenbar verbunden mit einer außersinnlichen Wahrnehmung – wurde ihm übel, und er fing an, sich zu erbrechen.

Genau da raste der Wind auf ihn zu und schleuderte ihm das Geräusch direkt entgegen: Bamm! Bamm! Bamm! Drei Schüsse, in schneller Folge.

Leo richtete sich auf. So gut er konnte, kämpfte er sich durch den Sturm in Richtung der Salve – weg vom Haus, über den Pfad, durch den Olivenhain zur Ruine.

Und dort, auf der Lichtung, ausgestreckt auf der Erde … entdeckte er einen menschlichen Körper.

Der Körper lag inmitten einer immer größer werdenden Blutlache, umgeben von dem Halbkreis umgestürzter Marmorsäulen. Leo trat vorsichtig näher und warf einen Blick auf das Gesicht. Dann taumelte er zurück, die Züge verzerrt vor Entsetzen, den Mund geöffnet zu einem Schrei.

In dem Moment traf ich ein, zusammen mit den anderen – gerade rechtzeitig, um den Anfang von Leos Heulen zu hören, bevor der Wind das Geräusch von seinen Lippen riss und mit sich davontrug.

Wir alle standen einen Moment lang da, schweigend. Es war ein grauenvoller Moment, erschreckend – wie der Höhepunkt einer griechischen Tragödie.

Aber die Tragödie endete nicht. Nicht an diesem Punkt.

Sie fing gerade erst an.

AKT I

Das ist die allertraurigste Geschichte, die ich je gehört habe.

 

Ford Madox Ford, Die allertraurigste Geschichte

1

Das ist die Geschichte eines Mordes.

Obwohl … vielleicht stimmt das nicht ganz. Im Grunde ist es eine Liebesgeschichte. Eine Liebesgeschichte der allertraurigsten Sorte – über das Ende der Liebe, den Tod der Liebe.

Ersteres trifft also doch zu.

Vielleicht denken Sie, dass Sie diese Geschichte kennen. Sie werden möglicherweise darüber gelesen haben – die Boulevardpresse liebte sie. Falls Sie sich erinnern: MORD AUF DER INSEL war eine beliebte Schlagzeile. Es würde mich wirklich nicht überraschen, wenn Sie sie kennen, denn die Geschichte verfügte über die perfekten Zutaten für einen Skandal: einen zurückgezogen lebenden ehemaligen Filmstar; eine griechische Insel, abgeschnitten vom Rest der Welt aufgrund des heftigen Windes … und eben einen Mord.

Über die fragliche Nacht wurde jede Menge Unsinn geschrieben. Alle möglichen absurden, falschen Theorien, was wohl geschehen oder eben nicht geschehen war, fanden Verbreitung. Ich las nichts davon. Ich hatte kein Interesse daran, mich an den Spekulationen darüber zu beteiligen, was auf der Insel passiert sein mochte.

Ich wusste, was passiert war. Ich war dort.

Wer ich bin? Nun, ich bin der Erzähler dieser Geschichte – und gleichzeitig einer der Charaktere.

Wir waren insgesamt sieben, gefangen auf der Insel.

Einer von uns war ein Mörder.

Doch bevor Sie anfangen, Wetten abzuschließen, wer von uns es getan hat, fühle ich mich verpflichtet, Ihnen mitzuteilen, dass das hier kein Krimiist. Die Frage lautet nämlich nicht: Wer war es? Dank Agatha Christie weiß jeder, wie eine Kriminalgeschichte abläuft: ein rätselhaftes Verbrechen, gefolgt von hartnäckigen Ermittlungen und einer genialen Lösung – und dann, wenn man Glück hat, kommt noch eine unerwartete Wendung. Diese Geschichte ist jedoch wahr, keine Fiktion. Es geht darin um echte Menschen an einem echten Schauplatz. Wenn überhaupt, lautet die Frage: Warum ist es passiert? Es handelt sich also eher um eine Charakterstudie, eine kritische Auseinandersetzung damit, wer wir sind und warum wir die Dinge tun, die wir tun.

Was nun folgt, ist mein aufrichtiger, von Herzen kommender Versuch, die Ereignisse jener grauenvollen Nacht zu rekonstruieren – den Mord an sich und alles, was dazu geführt hat. Ich verspreche Ihnen, die schlichte, ungeschminkte Wahrheit zu präsentieren – oder ihr zumindest so nahe wie möglich zu kommen. Alles, was wir getan, gesagt und gedacht haben, offenzulegen.

Aber wie?, höre ich Sie fragen. Wie soll das möglich sein? Wie kann ich all das wissen? Wie informiert sein über sämtliche Handlungen, über alles, was gesagt und getan wurde – genau wie über all das Ungetane, Ungesagte, all die Gedanken in den Köpfen der anderen?

Zum Großteil beziehe ich mich auf die Gespräche, die wir geführt haben, vor dem Mord und danach – mit denen, die überlebt haben. Was die Toten betrifft, so vertraue ich darauf, dass Sie mir künstlerische Freiheit in Bezug auf deren Innenleben zugestehen. Da ich von Beruf Dramatiker bin, bin ich für diese besondere Aufgabe vermutlich besser qualifiziert als die meisten anderen.

Meine Schilderung gründet sich außerdem auf meine Notizen – die ich vor und nach dem Mord gemacht habe. Gestatten Sie mir dazu ein paar erklärende Worte. Seit einigen Jahren habe ich die Angewohnheit, Notizbücher zu führen. Ich würde sie nicht »Tagebücher« nennen, denn so sind sie nicht angelegt. Es handelt sich lediglich um eine Aufzeichnung meiner Gedanken, Ideen, Träume. Notizen von zufällig aufgeschnappten Gesprächsfetzen und Beobachtungen. Die Bücher sind nicht besonders schick – einfache, schwarze Moleskine-Kladden. Ich habe das entsprechende Notizbuch aufgeschlagen neben mir liegen – und ich werde zweifelsohne darauf zurückgreifen, wenn wir weiter voranschreiten. Ich betone all dies, damit Sie, falls ich Sie an irgendeiner Stelle dieser Erzählung in die Irre führen sollte, verstehen, dass es sich um ein Versehen und keineswegs um Absicht handelt – weil ich die Ereignisse ungeschickterweise zu sehr von meiner eigenen Warte aus betrachte. Ein berufsbedingtes Risiko, wenn man eine Geschichte erzählt, in der man zufällig eine Nebenrolle spielt.

Gerade deshalb werde ich mein Bestes geben, weitestgehend außen vor zu bleiben, wenngleich ich hoffe, dass Sie mir eine gelegentliche Abschweifung gestatten. Und bevor Sie mir vorwerfen, meine Geschichte auf eine allzu labyrinthisch verschlungene Art und Weise zu präsentieren, lassen Sie mich Ihnen vor Augen rufen, dass es sich um eine wahre Geschichte handelt – genau so kommunizieren wir nun mal im echten Leben. Wir sind überall: Wir springen in der Zeit hin und her; in manchen Momenten verlangsamen wir, ehe wir wieder beschleunigen; dann wiederum spulen wir vor oder verlängern einzelne Augenblicke; andere bearbeiten wir, minimieren die Fehler und maximieren die Vorzüge.

Wir sind die unzuverlässigen Erzähler unseres eigenen Lebens.

Es ist seltsam, aber ich habe das Gefühl, Sie und ich sollten zusammen auf zwei Barhockern sitzen, jetzt, in diesem Moment, da ich Ihnen die Geschichte erzähle – wie zwei alte Freunde, die an der Theke etwas trinken.

Diese Geschichte ist für alle, die je geliebt haben, sage ich und schiebe einen Drink in Ihre Richtung – einen großen, Sie werden ihn brauchen –, während Sie es sich auf Ihrem Hocker bequem machen und ich beginne.

Ich bitte Sie, mich nicht allzu oft zu unterbrechen, zumindest nicht am Anfang. Im Anschluss wird es reichlich Gelegenheit zur Diskussion geben. Für den Augenblick ersuche ich Sie höflich, mich ausreden zu lassen und Nachsicht zu üben, wenn ein guter Freund Ihnen eine ziemlich lange Anekdote erzählt.

Es ist Zeit, unsere Schar von Verdächtigen kennenzulernen – in der Reihenfolge ihrer Wichtigkeit. Ich halte mich hinter den Kulissen bereit und warte auf mein Stichwort.

Beginnen wir also mit dem Star der Geschichte.

Beginnen wir mit Lana.

2

Lana Farrar war ein Filmstar.

Lana war ein großer Star. Schon in sehr jungen Jahren wurde sie dazu – damals, als Ruhm noch etwas bedeutete, bevor jeder mit einem Internetanschluss zu Berühmtheit gelangen konnte.

Zweifelsohne kennen Sie ihren Namen oder haben ihre Filme gesehen. Sie hat zu viele gemacht, um sie alle aufzuzählen. Wenn Sie nur ansatzweise so ticken wie ich, sind Ihnen ein oder zwei davon sehr eng ans Herz gewachsen.

Obwohl sie sich schon ein ganzes Jahrzehnt, bevor unsere Geschichte beginnt, zur Ruhe gesetzt hatte, dauerte Lanas Ruhm an, und ganz gewiss wird Lana Farrar zu Recht noch in aller Munde sein, wenn ich schon lange tot und vergessen bin, als hätte es mich nie gegeben. Wie Shakespeare über Cleopatra schrieb: Sie hat ihren Platz in der Geschichte verdient.

Lana wurde, wie allgemein bekannt ist, im Alter von neunzehn Jahren von dem legendären, Oscar-preisgekrönten Hollywood-Produzenten Otto Krantz entdeckt, den sie später heiratete. Bis zu seinem frühzeitigen Tod verwandte Otto einen Großteil seiner Energie und Macht darauf, Lanas Karriere voranzutreiben, schnitt ganze Filme auf sie zu, damit sie ihr Talent bestmöglich zur Schau stellen konnte. Doch Lana war ohnehin dazu bestimmt, ein Star zu sein, ob mit oder ohne Otto.

Es lag nicht nur an ihrem makellosen Gesicht, der reinen, strahlenden Schönheit eines Botticelli-Engels mit tiefblauen Augen, ihrer einwandfreien Haltung, ihrer Art zu reden oder ihrem berühmten Lächeln. Nein, Lana hatte noch etwas an sich – etwas nicht Greifbares, die Aura einer Halbgöttin; etwas Mythisches, Magisches –, das dazu führte, dass man sie unentwegt ansehen wollte. In Gegenwart solcher Schönheit konnte man gar nicht anders.

Als sie noch sehr jung war, drehte Lana viele Filme – und um ehrlich zu sein, war es ein bisschen so, als würde man Schlamm auf eine Mauer werfen, um zu sehen, was kleben blieb. Ihre romantischen Komödien waren meiner Meinung nach von wechselhaftem Erfolg gekrönt, und sie lieferte einen nichtssagenden Thriller nach dem anderen ab, aber dann landete sie mit ihrer ersten Tragödie einen Volltreffer. Sie spielte die Ophelia in einer zeitgenössischen Adaption des Hamlet und wurde zum ersten Mal für den Oscar nominiert. Von da an wurde edles Leid zu Lanas Spezialität. Nennen Sie es Schmachtfetzen oder Schnulzen – Lana brillierte als jede dem Untergang geweihte romantische Heldin, von Anna Karenina bis Johanna von Orléans. Sie bekam nie den Mann, den sie wollte, und es gelang ihr nur selten, zu überleben – und dafür liebten wir sie.

Wie Sie sich vorstellen können, hat Lana vielen Leuten jede Menge Geld eingebracht. Als sie fünfunddreißig war, durchschritt Paramount eine schon mehrere Jahre andauernde finanzielle Katastrophe, nur die Gewinne, die Lanas größte Erfolge einbrachten, hielten das Studio über Wasser. Als sie plötzlich ihren Rückzug aus dem Filmgeschäft ankündigte, war die Branche schockiert. Wie konnte sie so etwas machen, auf dem Höhepunkt ihres Ruhms und ihrer Schönheit, im zarten Alter von vierzig Jahren?

Warum sie beschlossen hatte, aufzuhören, war ein Geheimnis – und es sollte auch eins bleiben, denn Lana gab keinerlei Erklärung ab. Weder damals noch in den kommenden Jahren. Sie sprach nie in der Öffentlichkeit darüber.

Mir jedoch verriet sie es, an einem winterlichen Abend in London. Wir tranken Whisky vor dem Kamin und beobachteten die Schneeflocken, die draußen am Fenster vorbeitrieben. Sie erzählte mir die ganze Geschichte, und ich erzählte ihr von …

Verdammt. Es passiert mir schon wieder – ich schlängele mich in die Erzählung hinein. Es scheint so, als könnte ich mich trotz allerbester Absichten nicht aus Lanas Geschichte heraushalten. Vielleicht sollte ich mich geschlagen geben – akzeptieren, dass wir untrennbar miteinander verbunden sind, sie und ich, verknotet wie ein Knäuel filziger Fäden, unmöglich zu entwirren oder voneinander zu lösen.

Doch wenngleich das der Wahrheit entspricht, begann unsere Freundschaft erst später. An diesem Punkt der Geschichte waren wir uns noch gar nicht begegnet. Damals lebte ich zusammen mit Barbara West in London. Und Lana war natürlich noch in Los Angeles.

Lana stammt gebürtig aus Kalifornien, wo sie auch aufgewachsen ist. Sie wohnte dort, arbeitete dort, drehte den Großteil ihrer Filme dort. Erst nach Ottos Tod und erst nachdem sie sich aus dem Filmgeschäft zurückgezogen hatte, beschloss Lana, Los Angeles zu verlassen und einen Neuanfang zu wagen.

Doch wohin sollte sie gehen?

Tennessee Williams sagte bekanntermaßen, dass es keinen Ort gibt, an den man sich zurückziehen kann, wenn man aus der Branche ausgeschieden ist – es sei denn, man entscheidet sich für den Mond.

Aber das tat Lana nicht. Stattdessen ging sie nach England.

Sie zog mit ihrem kleinen Sohn Leo nach London. Kaufte ein riesiges herrschaftliches Haus in Mayfair, sechs Stockwerke hoch. Sie hatte nicht die Absicht, lange zu bleiben – und ganz gewiss nicht für immer; es handelte sich vielmehr um die Erprobung eines zeitlich begrenzten neuen Lebensstils, während sie herausfinden wollte, was sie mit dem Rest ihres Lebens anfangen sollte.

Das Problem war, ohne ihre überwältigende Karriere, über die sie sich bislang definiert hatte, dämmerte Lana die unangenehme Erkenntnis, dass sie nicht wusste, wer sie war oder was sie mit sich selbst anfangen sollte. Sie fühlte sich verloren.

Zweifelsohne fällt es denjenigen von uns, die sich an Lana Farrars Filme erinnern, schwer, dies nachzuvollziehen. Auf der Leinwand litt sie über alle Maßen, doch mit stoischem Gleichmut, innerer Kraft und enormem Mut. Sie war eine Frau, die sich, ohne mit der Wimper zu zucken, ihrem Schicksal stellte und kämpfend niederging. Sie war alles, was man von einer Heldin erwartet.

Im echten Leben war Lana völlig anders. Sobald man sie näher kennenlernte, begann man, eine andere Person hinter der Fassade zu sehen, ein weitaus zerbrechlicheres, kompliziertes Ich. Jemanden, der sehr viel weniger selbstbewusst war. Die meisten Menschen sind dieser Person nie begegnet. Doch während sich diese Geschichte entfaltet, müssen wir nach ihr Ausschau halten, Sie und ich. Denn Lana birgt alle Geheimnisse in sich.

Diese Diskrepanz – in Ermangelung eines passenderen Wortes – zwischen Lanas öffentlichem und privatem Ich war etwas, womit ich all die Jahre über zu kämpfen hatte. Ich weiß, dass es Lana genauso ging. Vor allem anfangs, als sie Hollywood verließ und nach London zog.

Zum Glück musste sie nicht allzu lange kämpfen, bevor das Schicksal eingriff und Lana sich verliebte – in einen Engländer, einen etwas jüngeren, gut aussehenden Geschäftsmann namens Jason Miller.

Ob diese Verliebtheit tatsächlich als Wende des Schicksals verstanden werden konnte oder bloß als willkommene Ablenkung – eine Möglichkeit für Lana, die Auseinandersetzung mit dem kniffligen, existenziellen Dilemma, sie selbst und ihre Zukunft betreffend, auf unbestimmte Zeit zu vertagen –, war in der Tat fraglich. Zumindest in meinen Augen.

Wie dem auch sei: Lana und Jason heirateten. London wurde Lanas neue Heimat.

 

Lana mochte London. Vor allem, so vermute ich, wegen der englischen Reserviertheit – die Menschen dort neigten eher dazu, sie in Ruhe zu lassen. Es entspricht nicht dem englischen Nationalcharakter, ehemalige Filmstars auf der Straße anzusprechen und um Selfies oder Autogramme zu bitten, ganz gleich, wie berühmt sie sind. Daher konnte Lana in der Regel ungestört durch die Stadt schlendern.

Sie ging viel spazieren. Lana genoss es, spazieren zu gehen – wenn das Wetter es erlaubte.

Ah, das Wetter. Wie alle, die eine gewisse Zeit in Großbritannien verbringen, entwickelte Lana eine ungesunde Besessenheit, das Klima betreffend. Im Laufe der Jahre wurde es für sie zu einer ständigen Quelle der Frustration. Ja, sie mochte London, aber nach fast zehn Jahren wurden die Stadt und das Wetter in ihrem Kopf eins. Beides war untrennbar miteinander verbunden: London war gleichzusetzen mit nass, mit Regen, mit grau.

In diesem Jahr war es besonders regnerisch und trüb gewesen. Ostern stand bevor, doch bislang zeigte sich nicht einmal der leiseste Anflug von Frühling. Derzeit war Regen angesagt.

Lana, die durch Soho schlenderte, schaute zu dem düster werdenden Himmel hinauf, und schon spürte sie einen Regentropfen auf ihrem Gesicht, dann einen auf der Hand. Verdammt. Sie sollte lieber umkehren, bevor es schlimmer wurde.

Also lenkte sie ihre Schritte zurück – und ihre Gedanken ebenso. Womit sie wieder bei dem heiklen Problem landete, das sie zuvor im Kopf hin und her gewälzt hatte. Etwas nagte an ihr, aber sie bekam nicht zu fassen, was. Schon seit mehreren Tagen fühlte sie sich beklommen. Rastlos, unsicher, als würde sie von etwas verfolgt, dem sie auszuweichen versuchte. Doch was war es?

Denk nach, sagte sie sich. Finde heraus, was es ist.

Im Gehen machte Lana eine Bestandsaufnahme ihres Lebens, auf der Suche nach irgendwelchen offenkundigen Sorgen oder Unzufriedenheiten. War es ihre Ehe? Unwahrscheinlich. Jason war gestresst von der Arbeit, aber das war nichts Neues – in ihrer Beziehung lief es im Augenblick gut. Das war nicht das Problem. Aber was dann? Ging es um ihren Sohn? Leo? Um das Gespräch, das sie neulich geführt hatten? Sie hatten sich in lockerem Rahmen über seine Zukunft unterhalten.

Oder steckte in Wahrheit etwas sehr viel Komplizierteres dahinter?

Ein weiterer Regentropfen riss sie aus ihren Gedanken. Lana betrachtete verdrossen die schwarzen Wolken. Kein Wunder, dass sie nicht klar denken konnte. Könnte sie doch nur den Himmel sehen … die Sonne!

Während sie weiterging, formte sich in ihrem Kopf die Idee, dem Wetter zu entfliehen. Wenigstens in dieser Hinsicht konnte sie etwas tun.

Wie wäre es mit einem Tapetenwechsel? Ostern stand vor der Tür. Was, wenn sie sich ein verlängertes Osterwochenende gönnten, eine Last-Minute-Reise machten, auf der Suche nach Sonnenschein?

Warum fuhren sie nicht für ein paar Tage nach Griechenland? Auf die Insel?

Ja, warum eigentlich nicht? Es würde ihnen guttun – Jason, Leo und vor allem Lana. Sie könnte auch Kate und Elliot einladen, überlegte sie. Ja, das wäre lustig. Lana lächelte. Die Verheißung auf Sonne und blauen Himmel hob augenblicklich ihre Stimmung.

Sie zog ihr Handy aus der Tasche.

Sie würde Kate sofort anrufen.

3

Kate war mitten in einer Theaterprobe.

In einer guten Woche sollte die Premiere im The Old Vic Theatre stattfinden – eine neue, mit Spannung erwartete Inszenierung von Agamemnon, einer Tragödie von Aischylos. Kate spielte die Klytaimnestra.

Dies war die erste Probeaufführung des Stücks im Theater, und es lief nicht gut. Kate kämpfte noch immer mit ihrer Darbietung – genauer gesagt, mit ihrem Text, was in dieser späten Probenphase kein gutes Zeichen war.

»Himmelherrgott, Kate!«, donnerte Gordon, der Intendant, mit seinem dröhnenden Glasgower Dialekt aus dem Parkett. »Wir haben in zehn Tagen Premiere! Kannst du dich nicht in Gottes Namen mit dem verdammten Buch hinsetzen und deinen Text lernen?«

Kate war genauso genervt. »Ich kann meinen Text, Gordon! Das ist nicht das Problem.«

»Was ist es dann? Bitte klär mich auf, meine Liebe.« Gordon erwartete keine Antwort auf seine sarkastische Frage. »Mach weiter!«, rief er.

Unter uns – entre nous, wie Barbara West zu sagen pflegte –, ich mache Gordon nicht zum Vorwurf, dass er die Geduld verlor.

Sie werden sehen, dass Kate trotz ihres immensen Talents – und machen wir uns nichts vor, sie war enorm talentiert – ausgesprochen chaotisch war und noch dazu schlampig, launisch, notorisch unpünktlich, oftmals streitlustig, nicht immer nüchtern. Außerdem war sie natürlich brillant, charismatisch, witzig, und sie besaß einen untrüglichen Sinn für die Wahrheit, sowohl auf als auch abseits der Bühne. All das in Kombination bedeutete – wie der arme Gordon persönlich erfahren musste –, dass es ein Albtraum war, mit ihr zu arbeiten.

Ach … das ist nicht fair. Ich jubele Ihnen klammheimlich mein Urteil über Kate unter, als würden Sie das nicht bemerken. Ich bin ein ziemliches Schlitzohr, nicht wahr?

Ich habe versprochen, objektiv zu sein, zumindest soweit es mir möglich ist, damit Sie sich Ihre eigene Meinung bilden können. Also muss ich jetzt dieses Versprechen halten. Von nun an werde ich meine persönliche Meinung verschweigen.

Bei den Fakten bleiben.

Kate Crosby war eine britische Theaterschauspielerin. Sie wuchs in London in einer Arbeiterfamilie auf, auf der Südseite des Flusses, doch jahrelanges Training auf der Schauspielschule und Stimmbildung hatten jede Spur von Akzent eliminiert. Kate sprach mit einem sogenannten BBC-Akzent – ausgesprochen kultiviert und schwer einzuordnen –, obwohl ihr Vokabular, und das muss an dieser Stelle gesagt werden, so bodenständig blieb wie eh und je.

Sie provozierte bewusst, »stellte sich absichtlich auf eine der unteren Stufen«, wie Barbara es formuliert hätte. Derb ist das Wort, das ich benutzen würde, um Kate zu beschreiben.

Ich erinnere mich an eine berühmte Geschichte, in der es darum ging, wie Kate einst King Charles begegnete, als er noch der Prince of Wales war, bei einem Wohltätigkeitsessen, das er veranstaltete. Kate fragte Charles, wie weit es bis zu den Toiletten wäre – und fügte hinzu, sie sei so verzweifelt, dass sie, falls nötig, auch in irgendein Waschbecken pinkeln würde. Charles brüllte vor Lachen, offenbar zutiefst entzückt. Damit war Kates künftige Erhebung in den Adelsstand zweifelsfrei gesichert.

Als unsere Geschichte beginnt, ist Kate Ende vierzig. Vielleicht auch älter – das ist schwer zu sagen. Wie bei so vielen Schauspielerinnen war ihr exaktes Geburtsdatum eher variabel. Man sah ihr ihr Alter nicht an. Sie war wunderschön – so dunkel, wie Lana hell war. Dunkle Augen, dunkles Haar. Auf ihre eigene Art und Weise war Kate genauso attraktiv wie ihre amerikanische Freundin. Doch anders als Lana verwendete sie jede Menge Make-up, trug dick Eyeliner und mehrere Schichten schwarze Wimperntusche auf, die ihre großen Augen akzentuierten. Meines Wissens entfernte sie die Wimperntusche nie, ich glaube, sie fügte lediglich Tag für Tag ein, zwei Schichten hinzu.

Insgesamt wirkte Kates Look sehr viel mehr wie der einer Schauspielerin als Lanas – tonnenweise Schmuck, dazu Schals, Stiefel, voluminöse Mäntel –, als würde sie alles tun, um aufzufallen. Lana dagegen, die in vielerlei Hinsicht tatsächlich außergewöhnlich war, kleidete sich stets so schlicht wie möglich – als wäre es irgendwie geschmacklos, allzu große Aufmerksamkeit zu erregen.

Kate war eine dramatische Person, extrovertiert, befeuert von einer rastlosen Energie. Sie trank und rauchte pausenlos. In dieser und vermutlich auch in jeder anderen Hinsicht müssen Lana und Kate als Gegenteil voneinander verstanden werden. Ich gebe zu, dass mir ihre Freundschaft auf gewisse Weise stets ein Rätsel war. Sie wiesen so wenige Gemeinsamkeiten auf, und doch waren sie die allerbesten Freundinnen – und zwar schon seit sehr langer Zeit.

Tatsächlich war von all den verschiedenen, ineinander verschlungenen Liebesgeschichten die Beziehung von Lana und Kate die, die am ehesten begonnen hatte und am längsten hielt – und daher wahrscheinlich die traurigste.

Wie hatten zwei so unterschiedliche Menschen jemals Freundinnen werden können?

Ich nehme an, die Jugend hatte viel damit zu tun. Die Freundschaften, die wir schließen, wenn wir jung sind, entsprechen selten denen, auf die wir uns später im Leben einlassen würden. Wenn man so will, rückt die lange Zeit, die wir sie kennen, diese Menschen in unseren Augen in ein nostalgisches Licht, was dazu führt, dass wir uns ihnen gegenüber als nachsichtig erweisen; wir geben ihnen sozusagen einen »Freischein« für unser Leben.

Kate und Lana begegneten einander erstmals vor dreißig Jahren – an einem Filmset. Ein Independent-Film, der in London gedreht wurde: eine Adaption von The Awkward Age von Henry James. Vanessa Redgrave spielte die Hauptrolle Mrs Brook, und Lana war ihre Tochter, die naive Nanda Brookenham. Kate hatte die komische Nebenrolle der italienischen Cousine Aggie übernommen. Kate brachte Lana sowohl vor als auch hinter der Kamera zum Lachen, und während des Sommers wurden die beiden jungen Frauen Freundinnen. Kate führte Lana ins Londoner Nachtleben ein, und schon sehr bald waren sie jeden Abend unterwegs. Sie verbrachten eine wilde Zeit und kehrten mit einem Kater ans Set zurück – manchmal, daran bestand kein Zweifel, vor allem nicht bei Kate, noch immer betrunken.

Fühlt es sich nicht an, als würde man sich verlieben, wenn man eine neue Freundschaft schließt? Und Kate war Lanas erste enge Freundin. Die erste Verbündete, die sie im Leben hatte.

Wo war ich stehen geblieben? Verzeihen Sie, es erweist sich als ziemlich knifflig, eine lineare Erzählweise beizubehalten. Ich muss mich bemühen, diese Herausforderung zu meistern, sonst schaffen wir es nie auf die Insel – geschweige denn bis zum Mord.

Kates Probe, da waren wir.

Nun, es ging holprig weiter, und sie verhaspelte sich immer wieder. Doch der Grund war nicht, dass sie den Text nicht konnte. Sie konnte den Text. Sie fühlte sich einfach nicht wohl in der Rolle – sie fühlte sich verloren.

Klytaimnestra ist ein ikonischer Charakter. Die klassische Femme fatale. Die ihren Ehemann und seine Geliebte tötet. Ein Monster – oder ein Opfer, kommt darauf an, wie man es betrachtet. Was für ein Geschenk für eine Schauspielerin! Eine Rolle, in die man sich wirklich verbeißen kann. Sollte man meinen. Aber Kates Darbietung blieb blutleer. Sie schien nicht in der Lage zu sein, das nötige griechische Feuer in ihrem Bauch zu entfachen. Irgendwie musste sie sich in den Charakter einfinden, sich einen Weg unter die Haut, ins Herz und in die Seele der Klytaimnestra bahnen, um die Rolle ausfüllen zu können. Für Kate war das Schauspielen ein verworrener, magischer Prozess. Im Augenblick allerdings war daran nichts magisch – nur verworren.

Sie kämpften sich bis zum Ende durch. Kate machte ein tapferes Gesicht, aber sie fühlte sich elend. Gott sei Dank hatte sie wegen Ostern ein paar Tage frei, dann begannen die technischen Proben und die Kostümproben. Ein paar Tage, um sich zu sammeln, nachzudenken – und zu beten.

Am Schluss der Probe verkündete Gordon, dass er nach Ostern von allen absolute Textsicherheit verlangte. »Oder ich übernehme keine Verantwortung für das, was ich tue, verstanden?« Er richtete seine Worte an die gesamte Besetzung, aber allen war klar, dass er Kate meinte.

Kate schenkte ihm ein breites Lächeln und hauchte einen Kuss auf seine Wange. »Gordon, mein Lieber, mach dir keine Sorgen. Ich habe alles unter Kontrolle. Versprochen.«

Gordon verdrehte die Augen. Er wirkte nicht überzeugt.

 

Kate ging in den Backstage-Bereich, um ihre Sachen zu holen. Sie hatte gerade erst die Garderobe der Hauptdarstellerin bezogen, und aus ebendiesem Grund herrschte Chaos: Überall stieß man auf halb ausgepackte Taschen, Make-up und Kleidung.

Als Erstes zündete Kate in einer neuen Garderobe stets die Jasminkerze an, die sie extra dafür gekauft hatte. Das sollte ihr Glück bringen und außerdem die muffige Luft hinter der Bühne erfrischen. Immer roch es abgestanden, nach altem Holz, Teppich, feuchtem Mauerwerk – und nach dem Rauch, den sie aus dem Fenster blies, wenn sie heimlich eine Zigarette rauchte.

Sobald die Kerze brannte, wühlte Kate in ihrer Tasche, zog eine Pillenflasche heraus und schüttete eine Xanax in ihre Hand. Sie wollte nicht die ganze Tablette nehmen, nur ein kleines Stückchen, ein winziges Bröckchen, um nicht mehr ganz so nervös zu sein. Sie brach sie in zwei Hälften, dann teilte sie eine Hälfte davon in Viertel. Anschließend ließ sie das bittere Pillenstück auf der Zunge zergehen. Sie mochte den strengen Geschmack nach Chemie, redete sich ein, er würde bedeuten, dass die Tablette wirkte.

Kate schaute aus dem Fenster. Es regnete. Nicht stark – es würde bald aufklaren. Sie würde einen Spaziergang am Fluss entlang machen. Ein Spaziergang täte ihr gut. Es galt, den Kopf frei zu bekommen. Ihr ging so viel durch den Sinn, dass sie schon ganz benommen war. Sie musste so vieles bedenken, sich wegen so vieler Dinge Sorgen machen, doch im Augenblick schaffte sie es einfach nicht, sich damit auseinanderzusetzen.

Vielleicht würde ein guter Tropfen helfen. Sie öffnete den kleinen Kühlschrank unter dem Schminktisch und nahm eine Flasche Weißwein heraus.

Anschließend schenkte sie sich ein Glas ein und stellte es auf dem Tisch ab. Sie zündete sich eine Zigarette an, was strikt gegen die Vorschriften verstieß und vermutlich mit der Todesstrafe geahndet wurde, aber Scheiß drauf. So wie es aussah, würde sie ohnehin zum letzten Mal in diesem Theater auftreten – oder in irgendeinem anderen.

Hasserfüllt starrte sie das Textbuch auf dem Schminktisch an. Es schien ihren Blick zu erwidern. Sie streckte die Hand danach aus und drehte es um. Was für ein Desaster. Warum um alles in der Welt hatte sie es für eine gute Idee gehalten, bei Agamemnon mitzuwirken? Sie musste high gewesen sein, als sie die Rolle annahm! Vor ihrem inneren Auge sah sie die grausamen Verrisse und krümmte sich. Die Theaterkritikerin der Times hatte sie schon immer gehasst; sie würde sie mit größter Freude auseinandernehmen. Genau wie dieser Bastard vom Evening Standard.

Ihr Handy klingelte – eine willkommene Ablenkung von ihren finsteren Gedanken. Sie griff danach und warf einen Blick aufs Display. Es war Lana.

»Hey. Alles okay?«, fragte Kate.

»Bald schon«, erwiderte Lana. »Mir ist gerade eben klar geworden, dass wir ein bisschen Sonnenschein brauchen. Kommst du auch mit?«

»Wie bitte? Wohin?«

»Auf die Insel – über Ostern?«

Bevor Kate etwas sagen konnte, fuhr Lana fort: »Sag nicht Nein! Nur wir: du, ich, Jason und Leo. Und natürlich Agathi … Ich bin mir nicht sicher, ob ich auch Elliot einladen soll – er ist mir in letzter Zeit ein bisschen auf die Nerven gegangen. Nun, was denkst du?«

Kate tat so, als müsste sie überlegen, dann schnippte sie die Zigarettenkippe aus dem Fenster in den Regen.

»Ich buche sofort meinen Flug.«

4

Lanas Insel war ein Geschenk. Ein Geschenk der Liebe.

Otto hatte sie ihr geschenkt, zur Hochzeit. Zugegebenermaßen ein unglaublich extravagantes Geschenk – aber das war typisch für ihn. Nach allem, was man so hörte, war Otto Krantz eine ganz besondere Nummer gewesen.

Die Insel gehörte zu Griechenland, befand sich im südlichen Teil der Ägäis und zählte zur Inselgruppe der Kykladen. Von den berühmtesten haben Sie sicher schon gehört – Mykonos und Santorin –, aber der überwiegende Teil der Inseln ist unbewohnt und unbewohnbar. Einige davon befinden sich in Privatbesitz, so wie die Insel, die Otto für Lana gekauft hatte.

Sie kostete nicht so viel, wie Sie vielleicht annehmen. Natürlich jenseits der kühnsten Träume eines Normalsterblichen, aber für eine Insel nicht unerschwinglich, weder im Erwerb noch im Unterhalt.

Zum einen war sie winzig – ein paar Hundert Morgen groß –, nicht viel mehr als ein Felsen. Und in Anbetracht der Tatsache, dass die neuen Besitzer ein Filmproduzent aus Hollywood und seine Muse waren, lebten Otto und Lana dort relativ bescheiden. Sie beschäftigten nur einen Angestellten in Vollzeit – einen Verwalter, aber das ist eine Geschichte für sich, eine Anekdote, die Otto liebend gern zum Besten gab. Otto erfreute sich überhaupt sehr an den Eigenheiten der Griechen, war fasziniert von ihnen. Und hier, weit weg vom griechischen Festland – das muss an dieser Stelle gesagt werden –, waren die Inselbewohner besonders exzentrisch.

Die nächstgelegene bewohnte Insel war Mykonos, zwanzig Minuten mit dem Boot entfernt. Es lag daher nahe, dass Otto sich dort auf die Suche nach einem Verwalter für Lanas Insel machte. Doch einen zu finden, erwies sich als schwieriger als erwartet. Niemand, so schien es, war bereit, auf der Insel zu leben, nicht einmal für das großzügige Gehalt, das Otto bot.

Das lag nicht allein daran, dass der Verwalter ein ausgesprochen einsames Leben würde führen müssen, nein, unter den Einheimischen kursierte außerdem der Mythos – ein gruseliges Schauermärchen –, dass es seit Zeiten der Römer auf der Insel spukte. Es brachte Pech, auch nur einen Fuß darauf zu setzen, geschweige denn darauf zu leben, und sie waren abergläubische Menschen, diese Bewohner von Mykonos.

Am Ende gab es nur einen Bewerber für den Job: Nikos, ein junger Fischer.

Nikos war Mitte zwanzig und vor Kurzem Witwer geworden. Er war ein schweigsamer, trauriger Mann. Lana erzählte mir, sie halte ihn für schwer depressiv. Allein sein war alles, was er wollte, teilte er Otto mit.

Nikos war nicht sonderlich gebildet und sprach nur gebrochen Englisch – aber Otto und ihm gelang es, sich untereinander verständlich zu machen, oftmals mit aussagekräftigen Gesten. Einen Vertrag unterzeichneten sie nicht, sie besiegelten ihr Abkommen per Handschlag.

Von da an verbrachte Nikos das ganze Jahr über allein auf der Insel. Offiziell als Verwalter des gesamten Anwesens, inoffiziell als Gärtner. Anfangs gab es kaum etwas, was man als Garten bezeichnen konnte. Nikos lebte schon einige Jahre dort, bevor er anfing, Gemüse zu ziehen – und zwar, wie sich bald herausstellte, mit beträchtlichem Erfolg.

Im folgenden Jahr ließ Otto – inspiriert durch Nikos’ Erfolg – einen kleinen Obstgarten aus Athen importieren: Apfel-, Birnen-, Pfirsich- und Kirschbäume, an Seilen aus Helikoptern herabgelassen, wurden auf ein von einer Mauer eingefriedetes Stück Land gepflanzt. Auch sie gediehen. Alles schien zu blühen, auf dieser Insel der Liebe.

Klingt herrlich, nicht wahr? Idyllisch, ich weiß. Selbst jetzt ist es ausgesprochen verlockend, zu romantisieren. Niemand möchte mit der Realität konfrontiert werden, wir alle ziehen ein Märchen vor – und genau so wirkte Lanas Leben auf die Außenwelt: eine faszinierende, märchenhafte Geschichte. Doch wenn ich eines gelernt habe, dann das: Die Dinge sind selten so, wie sie scheinen.

Jahre später erzählte mir Lana eines Abends die Wahrheit über Otto und sie und dass in ihrer Märchenehe nicht alles so märchenhaft war, wie es sein sollte. Vielleicht war es unvermeidlich, dass mit Ottos herausragender Persönlichkeit, seiner Großzügigkeit, seinem unermüdlichen Tatendrang und Ehrgeiz auch andere, weniger attraktive Charaktereigenschaften einhergingen. Zum einen war er um einiges älter als Lana und nahm ihr gegenüber eine väterliche, um nicht zu sagen patriarchalische Haltung ein. Er kontrollierte, was sie tat, schrieb ihr vor, was sie zu essen und wie sie sich zu kleiden hatte, zeigte sich unerbittlich kritisch gegenüber jeder Entscheidung, die sie traf, stellte sie infrage, schikanierte sie – und wenn er betrunken war, neigte er zu physischer und psychischer Gewalt.

Wären sie länger zusammengeblieben, hätte Lana vermutlich rebelliert, sobald sie älter und unabhängiger wurde. Vielleicht hätte sie ihn eines Tages sogar verlassen.

Aber ob das wirklich der Fall gewesen wäre, werden wir nie erfahren. Nur ein paar Jahre nach der Hochzeit erlag Otto einem Herzinfarkt, ausgerechnet auf dem Flughafen von Los Angeles. Er war auf dem Weg zur Insel, wo er sich auf Anweisung seines Arztes mit Lana treffen wollte. Leider kam er nie am Zielort an.

Nach Ottos Tod blieb Lana für mehrere Jahre der Insel fern. Die Erinnerungen und Assoziationen, die sie damit verband, wühlten sie einfach zu sehr auf. Doch im Laufe der Zeit fühlte sie sich wieder in der Lage, ohne allzu großen Schmerz an die Insel zu denken, an die guten Zeiten, die sie dort gemeinsam verbracht hatten. Und deshalb beschloss sie, dorthin zurückzukehren.

Von da an stattete Lana ihrer Insel mindestens zweimal im Jahr einen Besuch ab, manchmal auch öfter. Vor allem, seit sie nach England gezogen war, brauchte sie eine Zuflucht vor dem Klima.

 

Bevor wir fortfahren, muss ich Ihnen von der Ruine erzählen. Wie Sie noch sehen werden, spielt sie eine entscheidende Rolle in unserer Geschichte.

Die Ruine war mein Lieblingsfleck auf der Insel: ein Halbkreis aus sechs umgestürzten, verwitterten Marmorsäulen auf einer Lichtung, umgeben von Olivenbäumen. Ein atmosphärischer Ort, leicht zu füllen mit Magie. Ein perfekter Ort für eine innere Einkehr. Ich saß oft auf einem dieser Säulenstücke, atmete und lauschte einfach nur der Stille.

Die Ruine gehörte zu den Überbleibseln einer antiken Villenanlage, die vor über tausend Jahren auf der Insel gestanden und einer vermögenden römischen Familie gehört hatte. Die zerbrochenen Säulen waren das Einzige, was davon übrig geblieben war. Einst, so erzählte man Lana und Otto, hatte die Ruine ein kleines Theater beherbergt, in dem private Vorführungen für einige wenige Zuschauer stattfanden.

Eine nette Geschichte – wenngleich meiner Meinung nach an den Haaren herbeigezogen. Ich konnte mich des Verdachts nicht erwehren, dass sie von einem übereifrigen Immobilienmakler stammte, der hoffte, Lanas Fantasie zu befeuern. Falls dem so war, funktionierte es. Lana war sofort gefesselt, und sie bezeichnete die Ruine von da an als »das Theater«.

Für eine Weile ließen Otto und sie die alte Tradition wiederaufleben: An den Sommerabenden führten sie Sketche und Dramolette in der Ruine auf, geschrieben und zum Besten gegeben von der Familie und ihren Gästen – eine Gepflogenheit, die glücklicherweise aufgegeben wurde, lange bevor ich das erste Mal auf die Insel reiste. Die Aussicht, Filmstars bei ihren Auftritten in Amateurdramen bewundern zu müssen, ist ehrlich gesagt mehr, als ich ertragen kann.

Abgesehen von der Ruine gibt es noch drei weitere Gebäude, alle jüngeren Datums: das kleine Haus des Verwalters – eher eine Hütte – sowie das Haupthaus nebst Gästehaus.

Das Haupthaus steht in der Mitte der Insel – ein Sandsteinmonstrum, über hundert Jahre alt. Es hat blassgelbe Wände, ein rotes Terrakottadach und grüne Holzfensterläden. Otto und Lana haben es umgebaut und erweitert und die maroden Bereiche renovieren lassen. Das Gästehaus im Garten haben sie bauen lassen, genau wie einen Swimmingpool und einen Anleger am zugänglichsten Strand der Insel, an dem ihr Schnellboot vertäut ist.

Es ist schwer zu beschreiben, wie lieblich die Insel ist – war? Ich kämpfe hier ein wenig mit den korrekten Zeiten. Ich bin mir nicht sicher, wo ich mich aktuell befinde – in der Gegenwart oder in der Vergangenheit? Ich weiß nur, wo ich gern wäre, bestünde auch nur die leiseste Chance darauf. Im Augenblick würde ich alles tun, um dorthin zurückzukehren.

Ich kann mir alles so deutlich vorstellen. Wenn ich die Augen schließe, bin ich dort: auf der Terrasse des Hauses, einen kalten Drink in der Hand, die Aussicht genießend. Die Insel ist überwiegend flach, deshalb kann man weit sehen: über die Olivenbäume hinweg auf die Strände und Buchten und auf das türkisfarbene Meer. Das Wasser ist, wenn es ruhig ist, blau und wie Glas, durchsichtig. Doch wie die meisten Dinge im Leben hat es mehr als nur ein Gesicht. Wenn Wind aufkommt, was regelmäßig der Fall ist, wirbeln die aufgewühlten Wellen und Strömungen den Sand auf dem Meeresboden auf und lassen das Wasser trüb, dunkel und gefährlich aussehen.

Der Wind plagt diesen Teil der Welt. Er sucht ihn das ganze Jahr über heim, wenngleich nicht kontinuierlich, nicht stets mit derselben Intensität – aber jedes Mal, wenn er es tut, gerät er in Zorn und fegt über das Wasser, bevor er mit voller Wucht auf die Inseln trifft. Agathis Großmutter pflegte den ägäischen Wind als ὀργή zu bezeichnen – was so viel bedeutet wie Zorn, Wut, Raserei.

Die Insel hat übrigens auch einen Namen.

Sie wurde Aura genannt, nach der griechischen Göttin der Morgenbrise. Ein hübscher Name, der die wilde Kraft des Windes und der Göttin Lügen strafte.

Aura war eine niedere Göttin, eine Nymphe, eine Jägerin, eine Gefährtin der Artemis. Sie mochte Männer nicht besonders gern und tötete sie zum Spaß. Als sie Zwillinge zur Welt brachte, verschlang sie einen davon, während Artemis den anderen retten konnte.

Nebenbei gesagt: Ganz ähnlich sprachen die Einheimischen über den Wind, den sie als »monströs« und »gefräßig« bezeichneten. Kein Wunder, dass er es in ihre Mythen geschafft hat, personifiziert durch Aura.

Ich konnte von Glück sagen, dass ich ihn nie persönlich erlebt hatte – den Wind, meine ich. Mehrere Jahre war ich bei meinen Besuchen auf der Insel mit außergewöhnlich ruhigem Wetter gesegnet, oft verpasste ich einen Sturm nur um ein, zwei Tage.

Aber nicht in diesem Jahr. In diesem Jahr holte mich der Zorn ein.

5

Am Ende lud Lana mich auf die Insel ein – obwohl sie Kate gegenüber behauptet hatte, ich würde sie nerven.

Ich bin übrigens Elliot, nur für den Fall, dass Sie nicht von allein darauf gekommen sind.

Und Lana scherzte bloß, als sie das sagte. So war unsere Beziehung eben. Leicht, prickelnd, wie die Bläschen in einem Glas Bollinger.

Nicht, dass man mir auf meinem Flug nach Griechenland Champagner angeboten hätte, nicht einmal griechischen Schaumwein. Bei Lana und ihrer Familie war das wahrscheinlich anders – sie reisten so auf die Insel, wie Lana überallhin reiste: mit einem Privatjet bis Mykonos und dann weiter per Boot. Normalsterbliche wie ich nahmen einen Linienflug oder buchten, was traurigerweise immer häufiger vorkam, bei einer Billigfluggesellschaft.

Und so steige ich, an einem ausgesprochen bodenständigen Check-in-Schalter am Flughafen Gatwick, in diese Geschichte ein. Ich habe ungeduldig darauf gewartet, mich Ihnen vorstellen zu können. Jetzt endlich können wir uns richtig kennenlernen.

Ich hoffe, ich werde Sie als Erzähler nicht enttäuschen. Ich mag die Vorstellung, dass Sie mich für eine angenehme Gesellschaft halten – einigermaßen unterhaltsam, geradeheraus, umgänglich, womöglich sogar tiefgründig –, vor allem dann, wenn ich Ihnen schon ein paar Drinks spendiert habe.

Ich bin um die vierzig plus/minus ein, zwei Jährchen. Man sagt mir oft, ich würde jünger aussehen. Das liegt zweifellos an meiner Weigerung, erwachsen zu werden – ganz zu schweigen von alt. Im Innern fühle ich mich immer noch wie ein Kind. Tut das nicht jeder?

Ich bin durchschnittlich groß, vielleicht ein klein bisschen größer, und von eher schmächtiger Statur, aber nicht mehr ganz so spindeldürr wie früher. Früher schien ich mich in Luft aufzulösen, sobald ich mich zur Seite drehte. Das hatte natürlich viel mit den Zigaretten zu tun, keine Frage. Ich habe die Raucherei inzwischen unter Kontrolle, bis auf einen gelegentlichen Joint und ganz selten mal eine Zigarette, aber in meinen Zwanzigern und mit Anfang dreißig … mein Gott. Ich war stark tabakabhängig, lebte förmlich von Rauch und Kaffee. Ich war mager, drahtig, nervös und ängstlich. Meine Gesellschaft muss das pure Vergnügen gewesen sein. Zum Glück bin ich ruhiger geworden.

Ich würde sagen, das ist das einzig Gute am Älterwerden. Ich werde endlich ruhiger.

Ich habe dunkle Augen und dunkle Haare, genau wie mein alter Herr. Durchschnittliche Erscheinung. Manche haben mich als »gut aussehend« beschrieben, aber dafür halte ich mich nicht – außer in vorteilhaftem Licht.

Barbara West pflegte zu behaupten, die beiden wichtigsten Dinge im Leben seien Licht und Timing. Sie hatte recht. Wenn das Licht zu grell ist, sehe ich nur meine Makel. Ich hasse zum Beispiel mein Profil und die Art und Weise, wie merkwürdig meine Haare im Nacken abstehen, außerdem mein kleines Kinn. Es ist stets ein unerfreulicher Schock, wenn mein Blick in einer Kaufhausumkleide zufällig auf einen Seitenspiegel fällt und ich meine hässlichen Haare, die große Nase und das fehlende Kinn bemerke. Kurz gesagt: Ich sehe nicht gerade aus wie ein Filmstar. Im Gegensatz zu den anderen in dieser Geschichte.

Ich wuchs außerhalb von London auf. Je weniger ich über meine Kindheit sage, desto besser. Beschränken wir uns auf einige wenige Worte. Wie wäre es mit dreien?

Sie war finster. Das fasst es ungefähr zusammen.

Mein Vater war ein Unmensch, meine Mutter trank. Sie lebten zusammen in Schmutz, Elend und Hässlichkeit – wie zwei betrunkene Kinder, die in der Gosse zankten.