Was nun, Frau Gräfin? - Michaela Dornberg - E-Book

Was nun, Frau Gräfin? E-Book

Michaela Dornberg

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Beschreibung

Sie ist jung, sie ist schön, und sie ist stolz – ihr Vater, der alte Graf und Patriarch Benno von Waldenburg, weiß genau, warum er seine Lieblingstochter dazu auserkoren hat, die Herrin auf Schloss Waldenburg zu werden. Es ist die große Überraschung, die er auf der herrlichen Feier anlässlich seines 60. Geburtstags verkündet. Sie führt zum Eklat – denn sein maßloser, ungeratener Stiefsohn Ingo denkt gar nicht daran, auf seine Ansprüche zu verzichten. Er will vor Gericht klagen. Die gräfliche Familie wird unruhige Zeiten erleben. Die junge Gräfin ist eine Familiensaga, die ihresgleichen sucht. Die junge Gräfin ist eine weit herausragende Figur, ein überzeugender, zum Leben erwachender Charakter – einfach liebenswert. Ohne ein Gefühl für Zeit und Raum saß Alexandra von Waldenburg auf ihrem Sessel, das Handy fest umklammernd. Nach unendlich langer Zeit, wie es schien, fand sie allmählich in die Wirklichkeit zurück, aber das in erster Linie wohl deswegen, weil sie einen Krampf in ihrer rechten Hand hatte. Sie legte das Handy auf den Tisch, spreizte ihre Finger, um wieder Leben hineinzubekommen, dann strich sie sich, wie erwachend, über die Stirn. Was war das gerade gewesen? Hatte sie geträumt? Am liebsten hätte sie ihre Schwester Sabrina noch einmal angerufen, um sich zu vergewissern, dass sie sich nicht verhört hatte, dass es diesen Anruf tatsächlich gegeben hatte, dass es kein Traum war. Diesen Gedanken verwarf Alexandra so schnell, wie er ihr gekommen war. Da gab es überhaupt nichts zu hinterfragen, Sabrina hatte klar und deutlich gesprochen, und ihre letzten Worte klangen noch in Alexandras Ohren – es liegt nun bei dir, eine Entscheidung zu treffen. Ich würde mir die Chance nicht entgehen lassen, den Mann wiederzusehen, den ich liebe. Alexandra griff nach ihrem noch immer halbvollen Sherryglas, nippte zuerst daran, dann nahm sie einen kräftigen Schluck, stellte das kostbare Kristallglas zurück auf den Tisch, starrte hinein wie eine Hellseherin in ihre Kugel. Sie sah eine goldfarbene Flüssigkeit, ein geschliffenes Glas, in dem sich das Licht brach. Ob sie da hinstarrte oder nicht, die Wahrheit würde sie darin nicht finden, auch keine Entscheidungshilfe. Sie musste in sich hineinhorchen und sich fragen was sie wollte. Nein, diese Frage war nicht richtig. Was sie wollte, das wusste sie ja, sie wollte Joe und niemand Anderen. Sollte sie sich nicht eher fragen, was vernünftiger war für sie? Das war sehr leicht zu beantworten. Wenn es um die Vernunft ging, dann musste sie sich für übermorgen gegen Joe und für Hendrik Hoorgen entscheiden. Bei Joe würde sie sich die Finger verbrennen. Was brachte es denn, ihn zu sehen?

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Die junge Gräfin – 24 –

Was nun, Frau Gräfin?

Alexandra trifft eine große Entscheidung

Michaela Dornberg

Ohne ein Gefühl für Zeit und Raum saß Alexandra von Waldenburg auf ihrem Sessel, das Handy fest umklammernd.

Nach unendlich langer Zeit, wie es schien, fand sie allmählich in die Wirklichkeit zurück, aber das in erster Linie wohl deswegen, weil sie einen Krampf in ihrer rechten Hand hatte.

Sie legte das Handy auf den Tisch, spreizte ihre Finger, um wieder Leben hineinzubekommen, dann strich sie sich, wie erwachend, über die Stirn.

Was war das gerade gewesen?

Hatte sie geträumt?

Am liebsten hätte sie ihre Schwester Sabrina noch einmal angerufen, um sich zu vergewissern, dass sie sich nicht verhört hatte, dass es diesen Anruf tatsächlich gegeben hatte, dass es kein Traum war.

Diesen Gedanken verwarf Alexandra so schnell, wie er ihr gekommen war.

Da gab es überhaupt nichts zu hinterfragen, Sabrina hatte klar und deutlich gesprochen, und ihre letzten Worte klangen noch in Alexandras Ohren – es liegt nun bei dir, eine Entscheidung zu treffen. Ich würde mir die Chance nicht entgehen lassen, den Mann wiederzusehen, den ich liebe.

Alexandra griff nach ihrem noch immer halbvollen Sherryglas, nippte zuerst daran, dann nahm sie einen kräftigen Schluck, stellte das kostbare Kristallglas zurück auf den Tisch, starrte hinein wie eine Hellseherin in ihre Kugel.

Sie sah eine goldfarbene Flüssigkeit, ein geschliffenes Glas, in dem sich das Licht brach. Ob sie da hinstarrte oder nicht, die Wahrheit würde sie darin nicht finden, auch keine Entscheidungshilfe.

Sie musste in sich hineinhorchen und sich fragen was sie wollte.

Nein, diese Frage war nicht richtig. Was sie wollte, das wusste sie ja, sie wollte Joe und niemand Anderen.

Sollte sie sich nicht eher fragen, was vernünftiger war für sie?

Das war sehr leicht zu beantworten. Wenn es um die Vernunft ging, dann musste sie sich für übermorgen gegen Joe und für Hendrik Hoorgen entscheiden.

Bei Joe würde sie sich die Finger verbrennen. Was brachte es denn, ihn zu sehen? Auch wenn seine Verlobte Benita von Ahnenfeld nicht dabei sein würde, so war die Tatsache bekannt, und der goldene Ring an seiner linken Hand war die Fessel, die ihn auf Dauer an Benita band.

Nun ja, Hendrik Hoorgen war auch kein potentieller Bewerber um ihre Hand. Dafür hatte er seine Abneigung gegen den Adel und das Wohnen auf Schlössern deutlich zum Ausdruck gebracht.

Sie würde ihn nicht treffen, um ein Schäferstündchen mit ihm zu verbringen, sie erwartete auch keine innigen Umarmungen und Küsse, sondern herrliche Stunden bei einem großartigen kulturellen Ereignis.

Sie würde eine Premiere der Aida von Verdi erleben mit dem Ensemble der Mailänder Scala, also erste Sahne. Und dorthin würde Hendrik sie mit einem Privatflugzeug bringen. Auch erste Sahne, denn so etwas hatte sie in ihrem Leben noch nicht gehabt, auch nicht gehört, dass jemand in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis auf eine solche Art eingeladen worden war.

Warum zögerte sie noch?

Im Grunde genommen war es klar, dass sie Hendriks Einladung folgen musste, die sie ja auch bereits angenommen hatte.

Und Joe, meldete sich die zaghafte Stimme ihres Herzens. Sie würde Joe wiedersehen, und wenn es auch nur für ein paar Stunden war, und wenn dieses Wiedersehen bei ihrer Schwester Sabrina und deren Familie stattfand.

Immerhin …

Fuhr sie nach Greven, dann konnte sie feststellen, ob ihre Gefühle für ihn noch immer unvermindert stark waren oder ob sie sich in einen Traum verstrickt hatte, der fernab jeder Realität war.

Sie konnte in seine Augen blicken, und Alexandra war sich sicher, dass sie darin lesen konnte ob er sie ebenfalls mit der Intensität liebte wie sie ihn.

So, wie es jetzt war, konnte es auf keinen Fall weitergehen. Sie interpretierte in alles etwas hinein. Und vielleicht war es beispielsweise wirklich ganz irrsinnig zu glauben, er sei vor Benita geflohen, seit er sie, Alexandra, wiedergesehen hatte.

In diesen Gedanken hatte sie sich so richtig verrannt, dabei war es vermutlich eher so, dass er den Job in den Vereinigten Emiraten angenommen hatte, weil er überdurchschnittlich gut bezahlt wurde.

Ihr Verstand sagte es ihr, ihr Herz widersprach, weil ihr Herz noch immer auf ein Wunder hoffte. Sie träumte davon, dass wie im Märchen der Prinz doch noch den Weg zu der richtigen Prinzessin finden würde.

Ihre Gedanken flatterten wie Schmetterlinge, und je mehr sie nachdachte, umso weniger konnte sie sich für etwas entscheiden.

Sie trank den Rest ihres Sherrys aus, stand auf, um sich das Glas nochmals zu füllen, hielt inne, weil sie jetzt flaschenweise Sherry trinken könnte, ohne dadurch klarer zu sehen.

Aber da sie nun schon mal stand, begann sie unruhig im Raum herumzuwandern.

Sie blieb hier und da stehen, starrte auf die in Leder gebundenen Buchtitel, ohne auch nur einen davon zu erfassen. Also wanderte sie weiter, blieb vor einem der Fenster stehen, schaute hinaus in den Park, der in silbrig-helles Licht getaucht war. Kein Wunder, es war Vollmond, ein Mond, der wie ein dicker kalter Ball am Himmel hing.

Alexandra seufzte.

Verstärkte das ihre innere Unruhe? Auch wenn Wissenschaftler immer wieder beteuerten, der Vollmond habe überhaupt keinen Einfluss auf die menschliche Psyche, sah sie das anders.

Sie bildete es sich wirklich nicht ein, aber bei Vollmond konnte sie einfach nicht schlafen.

Aber das würde sie heute auch so nicht können, Vollmond hin oder her.

Joe?

Ja, schrie ihr Herz.

Hendrik?

Ja, sagte ihr Verstand.

Alexandra schenkte sich doch noch ein wenig Sherry ein, obschon sie wusste, dass das in keiner Weise zur Lösung ihres Problems beitragen würde.

Sie setzte sich wieder, starrte erneut ins Glas, stellte es erst einmal, ohne getrunken zu haben, auf den Tisch, dann schaute sie auf ihre Armbanduhr.

Schade, dachte sie, jetzt war es zu spät, um Sabrina nochmals anzurufen, nochmals mit ihr zu reden.

Doch wozu eigentlich?

Sabrina hatte ihr unmissverständlich zu verstehen gegeben, was sie an ihrer Stelle tun würde.

Den Mann ihrer Liebe treffen!

Sie hatte es sich so sehr gewünscht!

Warum tat sie sich nun so schwer damit, jetzt Hendrik abzusagen und zu Joe zu fahren?

Welche Überlegungen hatte sie nicht angestellt. Sie hatte in die Emirate zu ihm reisen wollen, um mit ihm zu reden, ihn zu sehen.

Nun präsentierte ihre Schwester ihre große Liebe praktisch auf dem Silbertablett, und ihr erschien der Weg bis Greven als ein unüberwindliches Hindernis.

Alexandra stand auf, drehte wieder ein paar Runden. Zum Glück waren die Räume auf Schloss Waldenburg groß, und man stieß nicht gleich nach ein paar Schritten gegen eine Wand, eine Tür oder ein Fenster.

Irgendwann war sie aber das unsinnige Herumlaufen leid. Es brachte ja doch nichts.

Entschlossen ging Alexandra zur Tür, löschte das Licht und ging hinaus.

Der Sherry stand unberührt auf dem Tisch. Sie hatte ihn schlichtweg vergessen. Daran konnte man deutlich erkennen, wie sehr sie durch den Wind war.

Alexandra durchquerte die Halle, lief zur Treppe, wollte hinaufgehen, als sie abrupt innehielt, eine Kehrtwendung machte und in ihren Lieblingssalon ging, den sie nach ihrer Ur-Ur-Großmutter Caroline benannt hatte.

Sie trat ein, näherte sich Carolines Bild, starrte die von dem Gemälde herablächelnde junge Frau an und erkundigte sich leise: »Was hättest du getan, Caroline?«

Sie hätte diese Frage nicht stellen müssen, zum einen konnte Caroline ihr dazu nichts sagen, zum anderen lag die Antwort klar auf der Hand.

Caroline wäre ganz gewiss nicht so zögerlich gewesen. Sie hätte sich für die Liebe entschieden.

Aus der Familienchronik ging hervor, dass Caroline immer das getan hatte, was sie wollte. Auch sie war, wie Alexandra jetzt, bereits in sehr jungen Jahren die Chefin der Waldenburgs geworden, und das als Frau in der damaligen Zeit. Da hatte sie ganz andere Probleme lösen müssen als das, mit dem ihre Nachfahrin sich jetzt herumschlug. Sie hatte, solange sie nicht verheiratet war, und das war, für damalige Verhältnisse erst sehr spät geschehen, dafür gesorgt, dass bei den Waldenburgs auch eine unverheiratete Komtess sich Gräfin nennen durfte. Davon profitierte Alexandra jetzt. Und sie hatte sich nicht beirren lassen und war bei der Wahl ihres Ehemannes ihrem Herzen gefolgt.

Alexandra war sehr stolz darauf, eine Nachfahrin dieser außergewöhnlichen Frau zu sein, und es machte sie glücklich, dass sie Caroline äußerlich sehr stark glich.

Ihre Gedanken liefen in die Irre, denn es ging bei ihr ja überhaupt nicht darum, ihrem Herzen zu folgen. Das wollte sie, sie würde barfuß überall hingehen, wo Joe sich aufhielt.

Da würde sie auch nicht lange überlegen.

Hier ging es darum, zu entscheiden, wohin sie am Donnerstag gehen sollte – in die Oper, zu ihrer Schwester nach Greven?

Alexandra seufzte.

Es war dumm von mir, Caroline, hierherzukommen und von dir einen Hinweis zu bekommen. Wäre ja schön, wenn es sprechende Gemälde gäbe.

Sie blieb noch eine Weile stehen, betrachtete das Antlitz dieser ungewöhnlichen Frau, zu einer Erkenntnis kam sie wenigstens.

Sie würde sich mal so frisieren wie Caroline, bestimmt stand ihr auch die Frisur, bei der die Haare ganz einfach mit zwei Kämmchen zurückgenommen wurden. Bei Caroline waren es diamantbesetzte, die sich ganz gewiss auch noch in einer der zahlreichen Schmuckschalen befanden. Aber das wäre in der heutigen Zeit übertrieben, zwei Hornkämmchen taten es auch, und die besaß Alexandra sogar.

Sie wandte sich ab, verließ den Raum, und kaum draußen in der Halle angekommen, vergaß sie die Frisur, vergaß Caroline.

Wie angesprungen waren ihre Gedanken sofort wieder bei Joe und Hendrik.

Als Alexandra nach oben ging, erinnerte sie sich an das Treppenorakel, das sie sich als kleines Mädchen ausgedacht hatte. Das hatte sie immer befragt, wenn sie sich nicht entscheiden konnte.

Eine Stufe bedeutete ja, die nächste bedeutete nein, die darauffolgende wieder ja und so fort.

Das bedeutete allerdings nicht, dass sie sich an das Resultat hielt, denn wenn es ihr nicht in den Kram passte, hatte sie es kurzerhand als Unsinn abgetan und es so gemacht, wie sie es wollte. Sie hatte es sich einfach zurechtgebogen.

Obschon sie wusste, dass es nur Unfug war, fing sie dennoch an zu zählen.

Die erste Stufe Joe, die nächste Stufe Hendrik …

Mitten auf der Treppe hielt sie inne und beschloss, es bleiben zu lassen, denn sie hatte Angst davor, dass auf der letzten Stufe nicht Joe, sondern Hendrik an der Reihe sein könnte.

Und um das Ganze zu durchbrechen, nahm sie für den Rest der Treppe jeweils zwei Stufen, und dabei achtete sie sorgsam darauf, dass sie in Gedanken nicht weiterzählte.

Schnell dachte sie an etwas ganz anderes, und bei der Gelegenheit fiel ihr auch Miguel wieder ein, dem sie versprochen hatte, mit Gundis Eltern zu reden. Sie würde es unbedingt tun, und damit war das Thema eigentlich auch schon wieder gegessen, denn sie hatte noch nicht einmal die Tür zu ihrem eigenen Bereich erreicht, als wieder die zwei Namen in ihr herumgeisterten …, Joe …, Hendrik …, Hendrik …, Joe.

*

Eine Nacht wie diese hatte Alexandra überhaupt noch nicht erlebt, und die wünschte sie auch nicht ihrem ärgsten Feind.

Natürlich war an Schlafen nicht zu denken, und das lag nicht am Vollmond, den sie eh durch dicke, schwere Vorhänge ausgesperrt hatte.

Wenn man so wollte, hatte sie die meiste Zeit auf der Treppe verbracht. Alexandra konnte sich nicht daran erinnern, wie viele Male sie in die Küche getappt war. Zuerst hatte sie sich eine heiße Milch mit Honig gemacht, was eine der klassischen Einschlafhilfen war. Wen immer es auch half, ihr nicht. Dann erinnerte sie sich, dass ein Esslöffel Honig pur die Rettung sein sollte. Ihr half es nicht, Alexandra war sich sicher, dass auch ein ganzes Glas Honig keinen Erfolg gezeigt hätte.

Später bemerkte sie, dass sie kein Mineralwasser mehr oben hatte, dafür aber, vielleicht bedingt durch den Honig, einen unbändigen Durst hatte.

Kurze Zeit später versuchte sie es mit Fencheltee, und da es vielleicht auch Kamille sein konnte, hängte sie vorsichtshalber gleich auch noch einen Beutel davon mit in ihren Becher.

Ohne Erfolg! Sie war dem Weinen nahe. Sie war müde, fühlte sich erschöpft, aber ihre Gedanken kamen nicht zur Ruhe, die geisterten herum wie ein aufgescheuchter Vogelschwarm.

Muskelentspannung nach Jacobsen …

Sie legte die CD auf, machte brav alle Übungen, die eine nicht unangenehme Männerstimme ansagte.

Fehlanzeige!

Vielleicht lesen.

Das brachte nun gar nichts, denn sie konnte sich auf kein einziges Wort konzentrieren, weil da überall Joe und Hendrik zu stehen schien.

Alexandra stand auf, setzte sich in ihrem Salon vor den kleinen Fernseher, den sie sich irgendwann einmal gekauft hatte, weil sie nicht immer Lust hatte nach unten in das Fernsehzimmer zu gehen.

Sie knipste wild herum, blieb an einem Kriminalfilm hängen, der aber schon so lange lief, dass sie nicht mehr hineinfand, alles andere interessierte sie nicht. Als sie den Fernseher wieder ausknipste, fragte sie sich unwillkürlich, was für Leute es wohl sein mochten, die morgens um drei Verkaufssender einschalteten, die es in massen gab, und die alles mögliche anpriesen.

Also wieder zurück ins Bett, dort hatte sie sich gerade hingelegt, als ihr einfiel, dass sie nach dem Genuss des Honigs unbedingt ihre Zähne nochmals putzen musste.

Im Badezimmer starrte sie in den Spiegel. Ihr Gesicht war geisterhaft blass, sie hatte rote Augen, ihre Haare umstanden wirr ihr Gesicht.

So, wie sie jetzt aussah, konnte man sie glatt als Vogelscheuche in den Garten stellen, dieser Anblick würde alles vertreiben, nicht nur die Vögel.

Lustlos putzte sie ihre Zähne, schnitt sich eine Grimasse, dann ging sie wieder zurück in ihr Bett.

Irgendwann gegen Morgen fiel sie in einen unruhigen Schlummer, der begleitet war von wirren Träumen.

Joe zerrte an ihr, Hendrik zerrte an ihr, und da war dann noch jemand, der an ihr herumriss.

Das Schrillen ihres Telefons riss Alexandra aus diesem Albtraum.

Für einen Augenblick hatte sie Orientierungsschwierigkeiten, sprang aus dem Bett, musste sich kurz setzen, weil ihr schwarz vor Augen wurde, dann schleppte sie sich zum Tisch, auf dem das Telefon lag und meldete sich.

Hatte ihre Stimme verschlafen geklungen, denn der Anrufer, Peter Zumbach, der Leiter ihrer Forstbetriebe, erkundigte sich sofort besorgt: »Bitte entschuldigen Sie, Gräfin. Habe ich Sie geweckt?«

Diese Frage veranlasste Alexandra auf die Uhr zu sehen, sie schrak zusammen, schon nach halb neun. So lange schlief sie niemals, nicht einmal an Sonntagen.

»Nein, nein, Herr Zumbach«, wehrte sie sofort hastig ab, ohne zu erklären, weshalb sie so schläfrig klang. Sie konnte ihm doch schlecht sagen, dass er sie in der Tat aufgeweckt hatte, dass sie schlecht geschlafen hatte, einmal wegen des Vollmondes, zum anderen, weil sie sich nicht entscheiden konnte, wen sie treffen sollte. Das würde den guten Zumbach total verwirren, der zu den Menschen gehörte, die glaubten, dass die Waldenburgs etwas Besonderes waren. Dieses Bild hatte sich ganz besonders durch ihren Vater bei ihm eingegraben, der ja auch ein ganz besonderer Mensch war, aber das hatte nichts mit dem Grafentitel zu tun.

»Was gibt’s, Herr Zumbach?« Jetzt klang ihre Stimme munterer.

»Ärger, Frau von Waldenburg, Ärger ohne Ende. In dem verpachteten Jagdrevier toben Wilderer herum, denen es wohl einzig und allein darum geht, die Tiere aus reiner Mordlust abzuknallen und sie dann liegenzulassen. Der Pächter ist verärgert und besorgt und bittet darum, dass wir den Schaden ansehen und dann entsprechend Anzeige erstatten, das können ja nur wir. Ich habe mich mit ihm verabredet. Vielleicht möchten Sie sich das Ganze ja auch ansehen?«

»Ja, selbstverständlich, Herr Zumbach. Wir hatten das ja schon einmal. Der Täter wurde gefasst, verurteilt. Kann ja sein, dass er seine Haftstrafe verbüßt hat und jetzt Rache nimmt.«