Die Jungfrau von Orleans - Friedrich Schiller - E-Book

Die Jungfrau von Orleans E-Book

Friedrich Schiller

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Beschreibung

Mit seinem 1801 erschienenen und uraufgeführten Drama 'Die Jungfrau von Orleans' hatte Friedrich Schiller zu seinen Lebzeiten großen Erfolg. Die Geschichte des lothringischen Bauernmädchens Johanna von Orleans, das - unter Berufung auf göttliche Eingebung - die französischen Truppen von Sieg zu Sieg führte, dann in die Hände der Engländer fiel und 1431 als Hexe verbrannt wurde, rückt Schiller aus den Grenzen des bloßen Geschichtsdramas heraus - Johanna wird bei Schiller nicht auf dem Scheiterhaufen verbrannt, sondern erlebt die Apotheose auf dem Schlachtfeld. Formal nimmt diese "romantische Tragödie" eine Sonderstellung in Schillers Werk ein: die dramatische Entwicklung wird durch lyrische Passagen unterbrochen, die Versformen sind ungewöhnlich vielfältig und reichen vom Blankvers über die feierliche Form der Stanze bis hin zum jambischen Trimeter, dem Dramenvers der antiken Tragödie.

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Seitenzahl: 129

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Friedrich Schiller

Die Jungfrau von Orleans

Eine romantische Tragödie 

PERSONEN

Karl der Siebente, König von Frankreich Königin Isabeau, seine Mutter Agnes Sorel, seine Geliebte Philipp der Gute, Herzog von Burgund Graf Dunois, Bastard von Orleans La Hire Du Chatel, königliche Offiziere Erzbischof von Reims Chatillon, ein burgundischer Ritter Raoul, ein lothringischer Ritter Talbot, Feldherr der Engelländer Lionel Fastolf, englische Anführer Montgomery, ein Walliser Ratsherren von Orleans Ein englischer Herold Thibaut d'Arc, ein reicher Landmann Margot Louison Johanna, seine Töchter Etienne Claude, Marie Raimond, ihre Freier Bertrand, ein anderer Landmann Die Erscheinung eines schwarzen, Ritters Köhler und Köhlerweib Soldaten und Volk, königliche Kronbediente, Bischöfe, Mönche, Marschälle, Magistratspersonen, Hofleute und andere stumme Personen im Gefolge des Krönungszuges

ERSTER AUFZUG

Hoflager König Karls zu Chinon

Erster Auftritt Dunois und Du Chatel

DUNOIS. Nein, ich ertrag es länger nicht. Ich sage Mich los von diesem König, der unrühmlich Sich selbst verläßt. Mir blutet in der Brust Das tapfre Herz und glühnde Tränen möcht ich weinen, Daß Räuber in das königliche Frankreich Sich teilen mit dem Schwert, die edeln Städte, Die mit der Monarchie gealtert sind, Dem Feind die rostgen Schlüssel überliefern, Indes wir hier in tatenloser Ruh Die köstlich edle Rettungszeit verschwenden. —Ich höre Orleans bedroht, ich fliege Herbei aus der entlegnen Normandie, Den König denk ich kriegerisch gerüstet An seines Heeres Spitze schon zu finden, Und find ihn—hier! Umringt von Gaukelspielern Und Troubadours, spitzfindge Rätsel lösend Und der Sorel galante Feste gebend, Als waltete im Reich der tiefste Friede! —Der Connetable geht, er kann den Greul Nicht länger ansehn.—Ich verlaß ihn auch, Und übergeb ihn seinem bösen Schicksal.

DU CHATEL. Da kommt der König!

ERSTER AUFZUG

Zweiter Auftritt

König Karl zu den Vorigen

KARL. Der Connetable schickt sein Schwert zurück, Und sagt den Dienst mir auf.—In Gottes Namen! So sind wir eines mürrschen Mannes los, Der unverträglich uns nur meistern wollte.

DUNOIS. Ein Mann ist viel wert in so teurer Zeit, Ich möcht ihn nicht mit leichtem Sinn verlieren.

KARL. Das sagst du nur aus Lust des Widerspruchs, Solang er dawar, warst du nie sein Freund.

DUNOIS. Er war ein stolz verdrießlich schwerer Narr, Und wußte nie zu enden—diesmal aber Weiß ers. Er weiß zu rechter Zeit zu gehn, Wo keine Ehre mehr zu holen ist.

KARL. Du bist in deiner angenehmen Laune, Ich will dich nicht drin stören.—Du Chatel! Es sind Gesandte da vom alten König, René, belobte Meister im Gesang, Und weit berühmt.—Man muß sie wohl bewirten, Und jedem eine goldne Kette reichen. (Zum Bastard) Worüber lachst du?

DUNOIS. Daß du goldne Ketten Aus deinem Munde schüttelst.

DU CHATEL. Sire! Es ist Kein Geld in deinem Schatze mehr vorhanden.

KARL. So schaffe welches.—Edle Sänger dürfen Nicht ungeehrt von meinem Hofe ziehen. Sie machen uns den dürren Szepter blühn, Sie flechten den unsterblich grünen Zweig Des Lebens in die unfruchtbare Krone, Sie stellen herrschend sich den Herrschern gleich, Aus leichten Wünschen bauen sie sich Throne, Und nicht im Raume liegt ihr harmlos Reich, Sie beide wohnen auf der Menschheit Höhen!

DU CHATEL. Mein königlicher Herr! Ich hab dein Ohr Verschont, solang noch Rat und Hülfe war, Doch endlich löst die Notdurft mir die Zunge.  Du hast nichts mehr zu schenken, ach! du hast Nicht mehr, wovon du morgen könntest leben! Die hohe Flut des Reichtums ist zerflossen, Und tiefe Ebbe ist in deinem Schatz. Den Truppen ist der Sold noch nicht bezahlt, Sie drohen murrend abzuziehen.—Kaum weiß Ich Rat, dein eignes königliches Haus Notdürftig nur, nicht fürstlich, zu erhalten.

KARL. Verpfände meine königlichen Zölle, Und laß dir Geld darleihn von den Lombarden.

DU CHATEL. Sire, deine Kroneinkünfte, deine Zölle, Sind auf drei Jahre schon voraus verpfändet.

DUNOIS. Und unterdes geht Pfand und Land verloren.

KARL. Uns bleiben noch viel reiche schöne Länder.

DUNOIS. Solang es Gott gefällt und Talbots Schwert! Wenn Orleans genommen ist, magst du Mit deinem König René Schafe hüten.

KARL. Stets übst du deinen Witz an diesem König, Doch ist es dieser länderlose Fürst, Der eben heut mich königlich beschenkte.

DUNOIS. Nur nicht mit seiner Krone von Neapel, Um Gotteswillen nicht! Denn die ist feil, Hab ich gehört, seitdem er Schafe weidet.

KARL. Das ist ein Scherz, ein heitres Spiel, ein Fest, Das er sich selbst und seinem Herzen gibt, Sich eine schuldlos reine Welt zu gründen In dieser rauh barbarschen Wirklichkeit. Doch was er Großes, Königliches will— Er will die alten Zeiten wiederbringen, Wo zarte Minne herrschte, wo die Liebe Der Ritter große Heldenherzen hob, Und edle Frauen zu Gerichte saßen, Mit zartem Sinne alles Feine schlichtend. In jenen Zeiten wohnt der heitre Greis, Und wie sie noch in alten Liedern leben, So will er sie, wie eine Himmelstadt, In goldnen Wolken, auf die Erde setzen— Gegründet hat er einen Liebeshof, Wohin die edlen Ritter sollen wallen, Wo keusche Frauen herrlich sollen thronen, Wo reine Minne wiederkehren soll, Und mich hat er erwählt zum Fürst der Liebe.

DUNOIS. Ich bin so sehr nicht aus der Art geschlagen, Daß ich der Liebe Herrschaft sollte schmähn. Ich nenne mich nach ihr, ich bin ihr Sohn, Und all mein Erbe liegt in ihrem Reich. Mein Vater war der Prinz von Orleans, Ihm war kein weiblich Herz unüberwindlich, Doch auch kein feindlich Schloß war ihm zu fest. Willst du der Liebe Fürst dich würdig nennen, So sei der Tapfern Tapferster!—Wie ich Aus jenen alten Büchern mir gelesen, War Liebe stets mit hoher Rittertat Gepaart und Helden, hat man mich gelehrt, Nicht Schäfer saßen an der Tafelrunde. Wer nicht die Schönheit tapfer kann beschützen, Verdient nicht ihren goldnen Preis.—Hier ist Der Fechtplatz! Kämpf um deiner Väter Krone! Verteidige mit ritterlichem Schwert Dein Eigentum und edler Frauen Ehre— Und hast du dir aus Strömen Feindesbluts Die angestammte Krone kühn erobert, Dann ist es Zeit und steht dir fürstlich an, Dich mit der Liebe Myrten zu bekrönen.

KARL (zu einem Edelknecht, der hereintritt). Was gibts?

EDELKNECHT. Ratsherrn von Orleans flehen um Gehör.

KARL. Führ sie herein. (Edelknecht geht ab) Sie werden Hülfe fodern, Was kann ich tun, der selber hülflos ist!

ERSTER AUFZUG

Dritter Auftritt

Drei Ratsherren zu den Vorigen

KARL. Willkommen, meine vielgetreuen Bürger Aus Orleans! Wie stehts um meine gute Stadt? Fährt sie noch fort mit dem gewohnten Mut Dem Feind zu widerstehn, der sie belagert?

RATSHERR. Ach Sire! Es drängt die höchste Not, und stündlich wachsend Schwillt das Verderben an die Stadt heran. Die äußern Werke sind zerstört, der Feind Gewinnt mit jedem Sturme neuen Boden. Entblößt sind von Verteidigern die Mauern, Denn rastlos fechtend fällt die Mannschaft aus, Doch wen'ge sehn die Heimatpforte wieder, Und auch des Hungers Plage droht der Stadt. Drum hat der edle Graf von Rochepierre, Der drin befehlt, in dieser höchsten Not Vertragen mit dem Feind, nach altem Brauch, Sich zu ergeben auf den zwölften Tag, Wenn binnen dieser Zeit kein Heer im Feld Erschien, zahlreich genug, die Stadt zu retten. (Dunois macht eine heftige Bewegung des Zorns)

KARL. Die Frist ist kurz.

RATSHERR. Und jetzo sind wir hier Mit Feinds Geleit, daß wir dein fürstlich Herz Anflehen, deiner Stadt dich zu erbarmen, Und Hülf zu senden binnen dieser Frist, Sonst übergibt er sie am zwölften Tage.

DUNOIS. Saintrailles konnte seine Stimme geben Zu solchem schimpflichen Vertrag!

RATSHERR. Nein, Herr! Solang der Tapfre lebte, durfte nie Die Rede sein von Fried und Übergabe.

Dunois. So ist er tot!

Ratsherr. An unsern Mauern sank Der edle Held für seines Königs Sache.

KARL. Saintrallles tot! O in dem einzgen Mann Sinkt mir ein Heer! (Ein Ritter kommt und spricht einige Worte leise mit dem Bastard, welcher betroffen auffährt)

DUNOIS. Auch das noch!

KARL. Nun! Was gibts?

DUNOIS. Graf Douglas sendet her. Die schottschen Völker Empören sich und drohen abzuziehn, Wenn sie nicht heut den Rückstand noch erhalten.

KARL. Du Chatel!

DU CHATEL (zuckt die Achseln). Sire! Ich weiß nicht Rat.

KARL. Versprich, Verpfände was du hast, mein halbes Reich—

Du CHATEL. Hilft nichts! Sie sind zu oft vertröstet worden!

KARL. Es sind die besten Truppen meines Heers! Sie sollen mich jetzt nicht, nicht jetzt verlassen!

RATSHERR (mit einem Fußfall). O König, hilf uns! Unsrer Not gedenke!

KARL (verzweiflungsvoll). Kann ich Armeen aus der Erde stampfen? Wächst mir ein Kornfeld in der flachen Hand? Reißt mich in Stücken, reißt das Herz mir aus, Und münzet es statt Goldes! Blut hab ich Für euch, nicht Silber hab ich, noch Soldaten!

(Er sieht die Sorel hereintreten, und eilt ihr mit ausgebreiteten Armen entgegen)

ERSTER AUFZUG

Vierter Auftritt

Agnes Sorel ein Kästchen in der Hand, zu den Vorigen

KARL. O meine Agnes! Mein geliebtes Leben! Du kommst, mich der Verzweiflung zu entreißen! Ich habe dich, ich flieh an deine Brust, Nichts ist verloren, denn du bist noch mein.

SOREL. Mein teurer König! (Mit ängstlich fragendem Blick umherschauend) Dunois! Ists wahr? Du Chatel?

Du CHATEL. Leider!

Sorel. Ist die Not so groß? Es fehlt am Sold? Die Truppen wollen abziehn?

Du CHATEL. Ja leider ist es so!

SOREL (ihm das Kästchen aufdrängend). Hier, hier ist Gold, Hier sind Juwelen—Schmelzt mein Silber ein— Verkauft, verpfändet meine Schlösser—Leihet Auf meine Güter in Provence—Macht alles Zu Gelde und befriediget die Truppen. Fort! Keine Zeit verloren! (Treibt ihn fort)

KARL. Nun, Dunois? Nun, Du Chatel! Bin ich euch Noch arm, da ich die Krone aller Frauen Besitze?—Sie ist edel, wie ich selbst Geboren, selbst das königliche Blut Der Valois ist nicht reiner, zieren wurde sie Den ersten Thron der Welt—doch sie verschmäht ihn, Nur meine Liebe will sie sein und heißen. Erlaubte sie mir jemals ein Geschenk Von höherm Wert, als eine frühe Blume Im Winter oder seltne Frucht! Von mir Nimmt sie kein Opfer an, und bringt mir alle! Wagt ihren ganzen Reichtum und Besitz Großmütig an mein untersinkend Glück.

SOREL. Glaub ihm nicht. Er hat sein Leben zehenmal für dich Gewagt und zürnt, daß ich mein Gold jetzt wage. Wie? Hab ich dir nicht alles froh geopfert, Was mehr geachtet wird als Gold und Perlen, Und sollte jetzt mein Glück für mich behalten? Komm! Laß uns allen überflüßgen Schmuck Des Lebens von uns werfen! Laß mich dir Ein edles Beispiel der Entsagung geben! Verwandle deinen Hofstaat in Soldaten, Dein Gold in Eisen, alles was du hast, Wirf es entschlossen hin nach deiner Krone! Komm! Komm! Wir teilen Mangel und Gefahr! Das kriegerische Roß laß uns besteigen, Den zarten Leib dem glühnden Pfeil der Sonne Preisgeben, die Gewölke über uns Zur Decke nehmen, und den Stein zum Pfühl. Der rauhe Krieger wird sein eignes Weh Geduldig tragen, sieht er seinen König Dem Ärmsten gleich ausdauren und entbehren!

DUNOIS. Ja sie ist eine Rasende wie du, Und wirft ihr Alles in ein brennend Haus, Und schöpft ins lecke Faß der Danaiden. Dich wird sie nicht erretten, nur sich selbst Wird sie mit dir verderben—

KARL (lächelnd). Ja, nun erfüllt sich mir ein altes Wort Der Weissagung, das eine Nonne mir Zu Clermont im prophetschert Geiste sprach. Ein Weib, verhieß die Nonne, würde mich Zum Sieger machen über alle Feinde, Und meiner Väter Krone mir erkämpfen. Fern sucht ich sie im Feindeslager auf, Das Herz der Mutter hofft ich zu versöhnen, Hier steht die Heldin, die nach Reims mich führt, Durch meiner Agnes Liebe werd ich siegen!

SOREL. Du wirsts durch deiner Freunde tapfres Schwert.

KARL. Auch von der Feinde Zwietracht hoff ich viel Denn mir ist sichre Kunde zugekommen, Daß zwischen diesen stolzen Lords von England Und meinem Vetter von Burgund nicht alles mehr So steht wie sonst—Drum hab ich den La Hire Mit Botschaft an den Herzog abgefertigt, Ob mirs gelänge, den erzürnten Pair Zur alten Pflicht und Treu zurückzuführen Mit jeder Stunde wart ich seiner Ankunft.

DU CHATEL (am Fenster). Der Ritter sprengt soeben in den Hof

KARL. Willkommner Bote! Nun so werden wir Bald wissen, ob wir weichen oder siegen.

ERSTER AUFZUG

Fünfter Auftritt

La Hire zu den Vorigen!

KARL (geht ihm entgegen). La Hire! Bringst du uns Hoffnung oder keine? Erklär dich kurz. Was hab ich zu erwarten?

LA HIRE. Erwarte nichts mehr als von deinem Schwert.

KARL. Der stolze Herzog laßt sich nicht versöhnen! O sprich! Wie nahm er meine Botschaft auf?

LA HIRE. Vor allen Dingen und bevor er noch Ein Ohr dir könne leihen, Lodert er, Daß ihm Du Chatel ausgeliefert werde, Den er den Mörder seines Vaters nennt.

KARL. Und, weigern wir uns dieser Schmachbedingung?

LA HIRE. Dann sei der Bund zertrennt, noch eh er anfing.

KARL. Hast du ihn drauf, wie ich dir anbefahl, Zum Kampf mit mir gefodert auf der Brücke Zu Montereau, allwo sein Vater fiel?

LA HIRE. Ich warf ihm deinen Handschuh hin und sprach: Du wolltest deiner Hoheit dich begeben, Und als ein Ritter kämpfen um dein Reich. Doch er versetzte: nimmer täts ihm not, Um das zu fechten, was er schon besitze. Doch wenn dich so nach Kämpfen lüstete, So würdest du vor Orleans ihn finden, Wohin er morgen willens sei zu gehn; Und damit kehrt' er lachend mir den Rücken.

KARL. Erhob sich nicht in meinem Parlamente Die reine Stimme der Gerechtigkeit?

LA HIRE. Sie ist verstummt vor der Parteien Wut. Ein Schluß des Parlaments erklärte dich Des Throns verlustig, dich und dein Geschlecht.

DUNOIS. Ha frecher Stolz des herrgewordnen Bürgers!

KARL. Hast du bei meiner Mutter nichts versucht?

LA HIRE. Bei deiner Mutter!

KARL. Ja! Wie ließ sie sich vernehmen?

LA HIRE (nachdem er einige Augenblicke sich bedacht). Es war gerad das Fest der Königskrönung, Als ich zu Saint Denis eintrat. Geschmückt Wie zum Triumphe waren die Pariser, In jeder Gasse stiegen Ehrenbogen, Durch die der engelländsche König zog. Bestreut mit Blumen war der Weg und jauchzend, Als hätte Frankreich seinen schönsten Sieg Erfochten, sprang der Pöbel um den Wagen.

SOREL. Sie jauchzten—jauchzten, daß sie auf das Herz Des liebevollen sanften Königs traten!

LA HIRE. Ich sah den jungen Harry Lancaster, Den Knaben, auf dem königlichen Stuhl Sankt Ludwigs sitzen, seine stolzen Öhme Bedford und Gloster standen neben ihm, Und Herzog Philipp kniet' am Throne nieder Und leistete den Eid für seine Länder.

KARL. O ehrvergeßner Pair! Unwürdger Vetter!

LA HIRE. Das Kind war bang und strauchelte, da es Die hohen Stufen an dem Thron hinanstieg. "Ein böses Omen!" murmelte das Volk, Und es erhob sich schallendes Gelächter. Da trat die alte Königin, deine Mutter, Hinzu, und—mich entrüstet es zu sagen!

KARL. Nun?

LA HIRE. In die Arme faßte sie den Knaben Und setzt' ihn selbst auf deines Vaters Stuhl.

KARL. O Mutter! Mutter!

LA HIRE. Selbst die wütenden Burgundier, die mordgewohnten Banden, Erglüheten vor Scham bei diesem Anblick. Sie nahm es wahr und an das Volk gewendet Rief sie mit lauter Stimm: "Dankt mirs, Franzosen, Daß ich den kranken Stamm mit reinem Zweig Veredle, euch bewahre vor dem miß- Gebornen Sohn des hirnverrückten Vaters!" (Der König verhüllt sich, Agnes eilt auf ihn zu und schließt ihn in ihre Arme, alle Umstehenden drücken ihren Abscheu, ihr Entsetzen aus)

DUNOIS. Die Wölfin!—die wutschnaubende Megäre!

KARL (nach einer Pause zu den Ratsherren). Ihr habt gehört, wie hier die Sachen stehn. Verweilt nicht länger, geht nach Orleans Zurück, und meldet meiner treuen Stadt: Des Eides gegen mich entlaß ich sie. Sie mag ihr Heil beherzigen und sich Der Gnade des Burgundiers ergeben, Er heißt der Gute, er wird menschlich sein.

DUNOIS. Wie Sire? Du wolltest Orleans verlassen!

RATSHERR (kniet nieder). Mein königlicher Herr! Zieh deine Hand Nicht von uns ab! Gib deine treue Stadt Nicht unter Englands harte Herrschaft hin. Sie ist ein edler Stein in deiner Krone, Und keine hat den Königen, deinen Ahnherrn, Die Treue heiliger bewahrt.

DUNOIS. Sind wir Geschlagen? Ists erlaubt, das Feld zu räumen,