Die Kairo-Affäre - Olen Steinhauer - E-Book
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Die Kairo-Affäre E-Book

Olen Steinhauer

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Beschreibung

Ein grandioser Thriller über den ewigen Machtkampf in der arabischen Welt

Ein US-amerikanischer Diplomat wird in einem Budapester Restaurant vor den Augen seiner Frau Sophie erschossen. Ein CIA-Analytiker mit libyschen Wurzeln taucht ab und verschwindet spurlos. Kurz darauf wird ein zweiter Diplomat ermordet, diesmal in Kairo. Der Arabische Frühling wirbelt die Machtverhältnisse in Nordafrika durcheinander und fordert Opfer auf allen Seiten.
Sophie vermutet die Drahtzieher des kaltblütigen Mordes an ihrem Mann in Kairo und will sie ausfindig machen. Währenddessen arbeitet man bei der CIA fieberhaft daran, eine außer Kontrolle geratene Operation zu vertuschen. Und Sophie findet sich plötzlich im Auge eines Sturms aus Gewalt und Verrat wieder.

Die Kairo-Affäre führt in die paranoide Welt der Geheimdienste, in der Information das wertvollste Gut und Vertrauen die härteste Währung ist. Ein Roman, mit dem Olen Steinhauer seinen Ruf als Meister des temporeichen wie anspruchsvollen Politthrillers untermauert.

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Seitenzahl: 605

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OLEN STEINHAUER

DIE KAIRO-AFFÄRE

Roman

Aus dem Englischen

von Rudolf Hermstein

Karl Blessing Verlag

Titel der Originalausgabe: The Cairo Affair

Originalverlag: St. Martin’s Press, New York

Auszüge aus dem Gedicht »Gerontion« von T. S. Eliot

aus: T. S. Eliot, Gesammelte Gedichte,

Frankfurt a. M. 1972/1988

1. Auflage

Copyright © 2014 der Originalausgabe

by Olen Steinhauer

Copyright © 2014 by Karl Blessing Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: Geviert, Grafik & Typografie

nach einem Motiv von plainpicture/Design Pics

Satz: Leingärtner, Nabburg

ePub-ISBN: 978-3-641-13631-4

www.blessing-verlag.de

Sammelstrategien

Die erste Entführung ereignete sich am 19. Februar 2011 in London, zwei Tage nach dem »Tag der Revolte«, und im Lauf der folgenden zweiundsiebzig Stunden kam es zu ähnlichen Vorfällen in Brüssel, Paris und New York. Ganze drei Tage, und fünf politisch aktive Libyer waren vom Angesicht der Erde verschwunden: Yousef al-Juwali, Abdurrahim Zargoun, Waled Belhadj, Abdel Jalil und Mohammed el-Keib.

In Langley erfuhr man von all diesen Entführungen auf den üblichen Wegen – Updates von den anderen Diensten, abgefangene E-Mails, RSS-Feeds und besorgte Berichte von Freunden und Kollegen –, doch irgendwie entging den Computer-Algorithmen, dass es sich vermutlich um eine konzertierte Aktion handelte. Erst ein Rechercheur im Office of Collection Strategies and Analysis, Jibril Aziz, erkannte den Zusammenhang. Selbst gebürtiger Libyer, war er darauf trainiert, Zusammenhänge zu entdecken, wo andere nicht hinsahen, und sein Eifer führte dazu, dass er manchmal Zusammenhänge vermutete, wo es keine gab.

Jibril arbeitete im Original Headquarters Building der CIA in einem Büro, das die Größe von dreien hatte, denn 1991 war ein Kontraktor engagiert worden, der die an ein Zuchthaus der 1950er-Jahre erinnernde Raumaufteilung geändert hatte: Er hatte zwei Mauern eingerissen, wodurch schließlich alle Angehörigen der Nordafrika-Abteilung der Collection Strategies zusammengebracht wurden. Jibril war einer von fünfzehn Analysten in diesem lang gestreckten Raum, von denen jeder halb hinter Raumteilern verborgen war. Manchmal versammelten sie sich allerdings an der jahrzehntealten Kaffeemaschine, um Probleme zu erörtern und Witze über den Blick aus ihren Fenstern zu machen, der weitgehend von geometrisch beschnittenen Rhododendronbüschen verstellt war, obwohl sie, wenn sie sich auf die Zehenspitzen stellten, einen Blick auf den belebten Parkplatz erhaschen konnten. Mit dreiunddreißig Jahren war Aziz der jüngste Analyst in den Collection Strategies.

Bevor er am 22. Februar auf den Fall der verschwundenen Libyer gestoßen war, hatte Aziz in der Mittagspause verzehrt, was seine Frau Inaya ihm mitgegeben hatte, und die Übersetzung einer gerade im Radio übertragenen Rede Muammar Gaddafis überprüft, in der er über eine Stunde lang über »Ratten und Agenten«, »Ratten und Katzen« und »diese Ratten, die die Tabletten genommen haben« hergezogen war.

Wenn sie nicht Gaddafi folgen, wem würden sie dann folgen? Jemandem mit Bart? Unmöglich. Das Volk ist auf unserer Seite, unterstützt uns, das ist unser Volk. Ich habe es nach oben gebracht. Überall rufen sie Parolen zur Unterstützung Muammar Gaddafis.

Nach dieser deprimierenden Arbeit versuchte er, sich mit den auf Libyen bezogenen Berichten abzulenken, die überraschend eingegangen waren, und hatte darin nach etwas Positivem gesucht, das seine Stimmung hätte heben können. Dabei stieß er auf die verschwundenen Libyer, und beim Lesen war ihm, als sei ein Licht angeschaltet worden. Das war etwas greifbar Reales nach dem wahnhaften Geschwafel eines Diktators, und er empfand die ästhetische Begeisterung, die jeden Forscher überkommt, wenn er Zusammenhänge entdeckt, wo vorher nichts dergleichen zu erkennen war.

Aber da war noch mehr: Stumbler.

Um mit seinem direkten Vorgesetzten zu sprechen, musste Aziz den Flur entlanggehen, sich gegen den scharfen Geruch des Desinfektionsmittels wappnen und eine laute Treppe hinaufsteigen, dann in Jake Copelands Vorzimmer warten, wo er oft mit Rechercheuren aus Europa und Südamerika plauderte, die alle darauf warteten, ein paar Worte mit dem Boss zu wechseln. Wegen des Zustands der Welt berichtete die Asien-Abteilung seit Kurzem direkt an Copelands Vorgesetzten, sodass abgesehen von den wöchentlichen Berichten niemand wirklich wusste, was in diesem Teil der Welt vor sich ging.

»Sie machen es«, sagte Aziz und breitete fünf Seiten auf Copelands Schreibtisch aus, jede mit einem Foto, zehn Zeilen Biografie und den Umständen des Verschwindens.

»Es?«, fragte Copeland.

»Stumbler, Jake. Es läuft.«

»Jetzt beruhigen Sie sich erst mal.«

Aziz setzte sich schließlich und zeigte mit einem langen braunen Finger der Reihe nach auf jedes der Gesichter. »Eins, zwei, drei, vier, fünf. Alle verschwunden, genau wie es in dem Plan steht. Das ist Stufe eins, exakt.«

Copeland runzelte die Stirn und rieb sich mit dem Handballen ein Auge.

»Schauen Sie in Ihre Mailbox«, sagte Aziz. »Ich habe Ihnen den Bericht geschickt.«

Copeland lehnte sich zurück und rief seine E-Mails auf. Er scrollte sich zu Aziz’ Bericht durch. »Ziemlich langatmig, oder?«

»Ich warte.«

Seufzend fing Copeland an zu lesen.

22. Februar 2011

AKTENNOTIZ

BETREFF:

Unerwartete Entwicklungen im Verhalten libyscher Exilanten

LONDON:

Am Nachmittag des 19. November, nach einem Mittagessen mit anderen Mitgliedern der Demokratischen Front Libyens (DFL) im Momo (Heddon Street), fuhr Yousef al-Juwali mit der Piccadilly Line in südlicher Richtung, vermutlich auf dem Weg zu seiner Wohnung in Clapham. Berichten des MI-5 zufolge ist auf Überwachungsaufnahmen zu sehen, dass al-Juwali in der U-Bahn von einem etwa einen Meter achtzig großen Mann in einem dick wattierten Mantel angesprochen wurde. Arabischer Typ, Nationalität unbekannt. Nach einem kurzen Gespräch stiegen beide Männer an der Waterloo Station aus und gingen zu Fuß zur York Road, wo ein schwarzer Ford Explorer vorfuhr. Oberirdische Überwachungskameras registrierten, dass al-Juwali zögerte – der Explorer, so wird angenommen, kam unerwartet –, doch nach einem weiteren kurzen Wortwechsel stiegen beide Männer ein. Yousef al-Juwali ist seitdem verschwunden. Nachforschungen ergaben, dassder Explorer am Abend zuvor gestohlen worden war. Er wurde zwei Tage danach in South Croydon gefunden, verlassen und gründlich gereinigt.

BRÜSSEL:

Bei einem ähnlichen Vorfall bestieg Abdurrahim Zargoun (Vereinigtes Libyen) am 20. Februar an der Place du Petit Sablon mit einem kleineren, dunkelhäutigen Mann einen Bus. Zargoun ist seitdem ebenfalls verschwunden.

PARIS:

Waled Belhadj, Gründungsmitglied der DFL, der Gerüchten zufolge ein bislang namenloses Exilanten-Netzwerk aufbaute, verschwand am 20. Februar. Es gibt keinerlei Erkenntnisse über die Umstände, die zu seinem Verschwinden führten.

MANHATTAN:

Gestern (21. Februar) wurden zwei Männer – Abdel Jalil und Mohammed el-Keib von der Organisation Freies Libyen (OFL) – bei einer Hochzeitsfeier auf Long Island gesehen. Gemeinsam fuhren sie mit dem Zug nach Manhattan zurück, wo sie zu el-Keibs Wohnung in der Ecke Lexington Avenue und 89th Street weitergingen. Als sie eine Stunde später wieder herauskamen, befanden sie sich in Begleitung eines Mannes, dessen Körpergröße den Schluss zulässt, dass es derselbe war, der in London Yousef al-Juwali angesprochen hatte. Etwa einen Meter achtzig, nordafrikanischer Typ, mit einem Mantel bekleidet. Zusammen nahmen sie die U-Bahn in nördlicher Richtung in die Bronx und bestiegen dann den BX32-Bus nach Kingsbridge Heights. Vermutlich sind sie an einer von vier unbeobachteten Haltestellen ausgestiegen, bevor der Bus die Endhaltestelle erreichte. Sie sind seit sechzehn Stunden verschwunden.

EINSCHÄTZUNG:

Um diese Ereignisse in die richtige Perspektive zu setzen, sollte man berücksichtigen, dass der Aufstand in Libyen einen seiner (mutmaßlich) zahlreichen Höhepunkte erreicht hat. Achtundvierzig Stunden vor dem ersten Verschwinden, in Bengasi, gingen Libyer zu einem »Tag der Revolte« auf die Straße, um ihrer Verachtung für das Regime Muammar Gaddafis Ausdruck zu verleihen. Die Reaktion der libyschen Regierung bestand darin, den Aufstand mit brutaler Gewalt niederzuschlagen. Die libysche Exilgemeinde (der ich angehöre) lebt in einem Zustand der Angst, seit nach und nach spärliche Nachrichten aus Nordafrika eingehen.

Die oben aufgeführten Männer bilden das Rückgrat der internationalen Anti-Gaddafi-Bewegung. Jeder von ihnen ist namentlich in dem 2009 von mir erstellten vorläufigen Vorschlag für einen Regimewechsel erwähnt (AE/Stumbler). Wenn diese fünf Männer mobilisiert wurden, ist mit einer größeren Aktion zu rechnen.

Angesichts der oben angeführten spärlichen Erkenntnisse gibt es zwei Möglichkeiten:

a.  Abkommen. Die verschiedenen Exilgruppen (OFL, DFL, VL) haben ein Geheimabkommen geschlossen und machen entweder für eine vereinigte Public-Relations-Initiative mobil oder bereiten sich für eine Invasion Libyens vor.

b.CIA-Präsenz. Stumbler wurde offiziell zwar 2009 ad acta gelegt, doch ist denkbar, dass unsere eigene Agency oder eine unabhängig arbeitende Abteilung zu dem Schluss gekommen ist, angesichts der Tatsache, dass sich jetzt eine Erfolg versprechende Erhebung abzeichnet, sei der richtige Zeitpunkt gekommen, den Plan umzusetzen, beginnend mit der geheim gehaltenen Versammlung dieser führenden Exilpolitiker.

Wegen der historischen Animositäten zwischen den oben genannten Gruppen ist ein »Abkommen« unwahrscheinlich. Zwar teilen alle drei Gruppen den Wunsch nach einem Ende von Gaddafis Herrschaft, doch ihre Vorstellungen von einem Libyen nach dem Sturz Gaddafis gehen aufgrund ideologischer Diskrepanzen weit auseinander. Dennoch wäre dies das optimale Szenario.

»CIA-Präsenz« wäre zwar theoretisch wahrscheinlicher, hätte aber meiner Ansicht nach katastrophale Folgen. Stumbler wurde in diesem Büro aus der Taufe gehoben, doch es war das Produkt einer bestimmten Zeit, und diese gehört seit Beginn des Arabischen Frühlings der Vergangenheit an. Die praktischen Einwände, die gegen den ursprünglichen Plan erhoben wurden, bleiben gültig, und angesichts der Berichte über libysche Bürger in Bengasi, die beim Kampf gegen den Diktator ihr Leben verlieren, würde jede Intervention der Vereinigten Staaten (entweder durch amerikanische Soldaten oder durch von den USA handverlesene Vertreter der Exilpopulation) mit Recht als ein Hijacking der libyschen Revolution angesehen werden, was zu einer erhöhten Glaubwürdigkeit des Gaddafi-Regimes führen und jede spätere pro-westliche Regierung diskreditieren würde.

Jibril Aziz

OCSA

Jake Copeland lehnte sich zurück, um die Rückenschmerzen zu lindern, die ihn seit fast einer Woche plagten. Rückenschmerzen und Hämorrhoiden – so beschrieb er seinen Job auf Partys, wenn Freunde ihn mit hochgezogenen Augenbrauen fragten, wie denn das Leben im Geheimdienst so sei. Er saß jetzt seit zwei Jahren an diesem Schreibtisch, seit die neue Regierung im Amt war, und hatte in dieser Zeit oft genug erlebt, dass Rechercheure mit abenteuerlichen, unbewiesenen Theorien in sein Büro gestürmt kamen. Jibril war auch nicht besonnener als die anderen, aber er war intelligent und engagiert, und im Gegensatz zu den meisten seiner Kollegen hatte er Erfahrung im Außendienst für die CIA. Doch als Kind libyscher Einwanderer hatte er auch ein persönliches Interesse an der Region und konnte manchmal nicht von seinen Emotionen abstrahieren. Und nun das. »Stumbler, hm?«

»Was habe ich die ganze Zeit gesagt? Die setzen Stumbler jetzt doch um.«

»Und wen meinen Sie mit ›die‹ –«

»Ich meine uns. Und das ist moralisch verwerflich.«

»Es war Ihr Plan, Jibril.«

»Und vor zwei Jahren wäre das auch das Richtige gewesen. Aber jetzt nicht. Nicht mehr.«

Copeland sah ihn lange durchdringend an, bevor er antwortete. Er mochte Jibril. Der Mann war besessen; er war kurzsichtig. Doch seine Pläne und Entwürfe enthielten im Allgemeinen einen wertvollen Kern, einen winzigen Diamanten in der Asche, den auszugraben Copelands Aufgabe war. Die Zusammenarbeit mit Jibril Aziz war selten langweilig.

»Wenn da, wie Sie sagen, wir dahinterstecken, warum kommen Sie dann damit zu mir?«

»Sie können ihnen Einhalt gebieten. Uns Einhalt gebieten.«

»Sie glauben wirklich, dass ich so viel Einfluss habe?«

Der Jüngere zögerte. »Dann schicken Sie mich hin.«

»Nach Libyen? Kommt nicht in Frage. Keine Kriegsgebiete für Sie.«

Jibril war oft vorschnell, aber er war nicht dumm. Er wusste,dass man da nichts tun konnte. Schließlich nickte er. »Sie haben recht, Jake. Ich habe nichts in der Hand. Aber da ist irgend etwas. Meinen Sie nicht auch?«

»Natürlich ist da was. Das bestreite ich gar nicht. Aber wenn –«

»Also muss ich mal nachsehen«, sagte Jibril.

Copeland biss sich auf die Unterlippe und setzte sich anders hin, um einen plötzlich einsetzenden stechenden Schmerz zu unterdrücken. »Sprechen Sie weiter.«

»Ich brauche die Genehmigung für einen Flug.«

»Sie fliegen nicht nach Tripolis.«

»Budapest.«

»Budapest?«

Jibril nickte. »Nur ein Gespräch. Eine kurze Unterhaltung, und dann sage ich Ihnen Bescheid, so oder so.«

»Darf ich fragen, mit wem Sie da sprechen wollen?«

»Mit unserem Stellvertretenden Konsul, Emmett Kohl.«

»Ich wage nicht zu fragen, in welchem Zusammenhang er damit steht.«

»Vertrauen Sie mir nicht, Jake?«

Copeland vertraute ihm, also hörte er zu, als Jibril in die Vergangenheit zurückging, zu Stumbler und dem Weg, den der Plan durch die Botschaften und Regierungsstellen genommen hatte, bevor er mit dem Ablehnungsvermerk zu ihnen zurückgekommen war. Jibril suchte krampfhaft nach Verbindungen, aber er tat es Copeland zuliebe – um ihm bürokratische Argumente für seine Einwilligung zu liefern. Schließlich schrieb Copeland eine Aktennotiz, die Jibril Aziz ermächtigte, in zwei Tagen nach Ungarn zu fliegen, finanzierbar aus dem Forschungsbudget, und reichte sie Jibril zur Weitergabe an seine Sekretärin. »Danke, Sir«, sagte Aziz, und Copeland fragte sich, wann er zum letzten Mal – oder ob er überhaupt jemals – das Wort Sir aus Jibrils Mund gehört hatte.

Er sah Aziz an dem Nachmittag noch einmal, als er mit dem Mantel über dem Arm zum Parkplatz ging. Sie nickten einander nur knapp zu, aber er merkte, dass der Jüngere im siebten Himmel war. Er durfte wieder reisen. Nicht alle Rechercheure waren so, aber Aziz hatte den Dreck und die Plackerei der Arbeit vor Ort kennengelernt; anders als viele seiner Kollegen hatte er sich seine Sporen verdient, indem er Ausländer dazu verleitet hatte, ihr Vaterland zu verraten. Hatte man einmal gelernt, wie man Menschen so etwas antut, entwickelte man eine Neigung zum Betrug, und dann waren nüchterne Bürowände, mit Teppich bezogene Raumteiler und flimmernde Computerbildschirme nur noch ein schwacher Ersatz für das eigentliche Leben. Und die Aufrichtigkeit ebenso.

Erster Teil – EINE UNTREUE FRAU

Erster Teil

EINE UNTREUE FRAU

Sophie

1

Vor zwanzig Jahren, bevor ihre Reisen politisch wurden, hatten Sophie und Emmett ihre Hochzeitsreise nach Osteuropa gemacht. Ihre Eltern waren skeptisch gewesen, was diese Wahl anging, aber in Harvard hatten Sophie und Emmett gelernt, sich auch um das zu kümmern, was auf der anderen Seite des Planeten geschah, und in den Fernsehzimmern ihrer Wohnheime hatten sie das Zerbröckeln der UdSSR mit einer Spannung verfolgt, die man nicht unbedingt von ihnen erwartet hätte. Sie hatten mit dem irrigen Gefühl zugesehen, dass sie, zusammen mit Ronald Reagan, an den Grundfesten des korrupten sowjetischen Systems gerüttelt hatten. Als sie 1991 heirateten, beide erst zweiundzwanzig, hatten sie geglaubt, es sei Zeit für einen Freudensprung.

Im Gegensatz zu Emmett war Sophie noch nie in Europa gewesen, und sie hatte sich nach den Cafés am linken Seineufer gesehnt. »Aber dort wird Geschichte geschrieben«, hatte Emmett zu ihr gesagt. »Das sind die weniger ausgetretenen Pfade.« Schon früh hatte Sophie gemerkt, dass das Leben interessanter war, wenn sie sich von Emmetts Enthusiasmus anstecken ließ, und so hatte sie sich nicht gesträubt.

Sie warteten bis September, um den Touristenmassen im August zu entgehen, und ließen ihre Reise langsam angehen, mit vier Tagen in Wien, dieser öden Stadt der Zuckerbäcker-Architektur und der Museen. Kühle, aber höfliche Österreicher bevölkerten breite Prachtstraßen und kopfsteingepflasterte Gassen, allesamt mit Wichtigerem beschäftigt als glotzenden amerikanischen Touristen. Sie besichtigten den Stephansdom und die Hofburg, die Kunsthalle und die Cafés Central und Sacher, und Emmett erzählte von Graham Greene und den Dreharbeiten zu Der dritte Mann, über die er anscheinend unmittelbar vor der Abreise recherchiert hatte. »Kannst du dir vorstellen, wie es hier unmittelbar nach dem Krieg ausgesehen hat?«, fragte er sie an ihrem letzten Wiener Nachmittag im Sacher. Er umfasste das riesige Bierglas, das vor ihm auf dem Marmortisch stand, und schaute aus dem Fenster. »Die waren dezimiert worden. Haben wie Ratten gelebt. Seuchen und Hungersnot.«

Sie betrachtete die blitzenden BMWs und Mercedes, die an der imposanten Rückseite der Staatsoper entlangkrochen, und konnte sich das überhaupt nicht vorstellen. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, ob ihr die Fantasie fehlte, die ihr Mann als selbstverständlich ansah. Enthusiasmus und Phantasie. Sie musterte ihn gründlich. Jungenhaftes Gesicht und runde, haselnussbraune Augen. Eine Haarlocke, die ihm über die Stirn herabhing. Wie schön er ist, dachte sie, während sie mit ihrem noch ungewohnten Ehering spielte. Das war der Mann, mit dem sie den Rest ihres Lebens verbringen würde.

Er wandte sich vom Fenster ab, schüttelte den Kopf und sah dann ihre Miene. »Hey. Was ist denn?«

Sie wischte sich die Tränen ab, dann packte sie seine Hand, so fest, dass ihr Ehering sich in die weiche Haut ihres Fingers drückte, aber sie ließ ihn trotzdem nicht los. Sie zog ihn zu sich heran und flüsterte: »Lass uns auf unser Zimmer gehen.«

Enthusiasmus, Phantasie und Engagement, dachte sie, während er umständlich mit Schillingscheinen zahlte. Das waren die Eigenschaften, die sie an Emmett Kohl am meisten liebte, Eigenschaften, die sie selbst ihrer Meinung nach nicht aufzuweisen hatte. In Harvard hatte sie gelernt, alles in Frage zu stellen, und sie hatte die Herausforderung angenommen und prompt ihre Illusionen sowohl über die Rechte als auch über die Linke verloren, so sehr, dass sie, wenn Emmett mit seinen Mini-Vorlesungen über Geschichte oder Auslandsbeziehungen begann, einfach nur dasaß und zuhörte, weniger beeindruckt von den Fakten als von seinem Glauben. Darum ging es beim Erwachsensein– Glaube. Woran glaubte sie selbst? Sie war sich nicht sicher. Gegen ihn war sie nur ein halber Mensch. Mit ihm, hoffte sie, würde sie sich zu etwas Besserem entwickeln.

Während sie sich vor historischen Kunstwerken und exotischen Sprachen ihrem frisch angetrauten Mann unterlegen fühlte, waren im Bett die Rollen vertauscht, und wann immer die Angst sie überkam, zog sie ihn deshalb ins Bett. Emmett ließ es sich gern gefallen, so benutzt zu werden, und kam gar nicht auf die Idee, sich über das Timing ihrer sexuellen Impulse zu wundern. Er war schön und klug, aber beklagenswert unerfahren, während sie die Bettetikette vom Drummer einer Punk-Band, dem Assistenten eines französischen Geschichtslehrers und, im Laufe eines einzigen experimentellen ton besuchte, gelernt hatte.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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