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Der Mord am Trierer Kioskbesitzer Hermann Becker zwingt Kommissar Daniel Fischer zur Eile. Becker war kein Opfer, sondern ein zynischer Erpresser, der die Schwächen der Stadt gnadenlos ausnutzte. Als die Ermittlungen ein vertuschtes Verbrechen und einen Rachefeldzug aufdecken, muss Fischer die Fassade der Lügen durchbrechen. Die wahre Gefahr geht von einer Frau aus, die ihre vermeintliche Hilflosigkeit perfekt inszeniert. Fischer muss die kalte Berechnung hinter dem perfekten Mord entlarven, um die Wahrheit in den Schatten der alten Römerstadt zu finden.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Die Kälte der Steine
Die Kälte der Steine
Ein Kriminalroman aus Trier
Jenny Ann Winter
© 2025
1. Auflage – Jenny Ann Winter
Teil I: Der Morgennebel von Trier
Kapitel 1: Kälte und Kaffee
Trier, Dienstag, 07:15 Uhr.
Der Regen hatte in der Nacht aufgehört, aber die feuchte Kälte kroch immer noch von der Mosel her über die Stadt und drückte auf die Porta Nigra. Die römischen Steine schienen das ewige Nass aufzusaugen, was Daniel Fischer nur noch müder machte. Kommissar Fischer hasste nasse Tage. Sie waren klamm, sie rochen nach Moder und sie verlangsamten die Welt. Er hasste sie fast so sehr wie er die neue, aufgeblähte Bürokratie der Kriminalpolizei hasste – all die Formulare, die Videokonferenzen, die unnötige Hektik, die seine Kollegen aus der Hauptstadt mitzubringen schienen. Fischer brauchte Ruhe, um zu sehen.
Er stand vor einem unscheinbaren Kiosk, eingebettet zwischen einem leeren Bäcker und einem Wettbüro in einer Seitenstraße nahe dem Hauptmarkt. Der Ort war die Definition von grau. Die Leuchtreklame war aus, das Plexiglas des Fensters zerkratzt. Eine dünne Schicht aus grellem gelbem Polizeiband flatterte gespenstisch im Morgenwind. Dieses grelle Gelb war der einzige Farbtupfer in der melancholischen Tristesse.
Fischer, ein Mann in den späten Vierzigern, dessen Gesichtszüge unter dem Einfluss von gutem Rotwein und schlechter Laune über die Jahre zerfurcht waren, zog den Kragen seines abgetragenen Mantels höher. Er hatte seit drei Stunden keinen anständigen Kaffee bekommen, und das war eine Beleidigung für ihn. Er spielte seit zwanzig Jahren Klavier in einer kleinen Jazzband in einem Kellerlokal, und sein ganzes Leben war ein Kampf zwischen der geordneten Schönheit der Musik und dem chaotischen, ungerechten Lärm der Welt.
Am Boden, hinter dem Tresen, lag Hermann Becker, der Kioskbesitzer. Er lag da, als wäre er müde geworden und hätte sich einfach hingelegt. Nur die Position des Arms und das große, dunkle Karminrot, das auf dem Linoleumboden des Kiosks blühte, verriet die endgültige Stille. Becker war ein Mann von vielleicht sechzig Jahren, mit schütterem Haar und einem Bart, der aussah, als hätte er nie wirklich eine Form gefunden.
Fischer kniete unbeholfen hin, ignorierte den dumpfen Schmerz in seinen Knien und konzentrierte sich auf das Detail. Tod durch einen gezielten Stich in die Brust. Kein Kampf, keine zerbrochenen Tassen, keine verrutschten Zeitungen. Der Ort war fast pedantisch ordentlich. "Das ist kein Raubüberfall", murmelte Fischer, mehr zu sich selbst als zum Team. "Kein gewöhnlicher."
Klara May, seine analytische Assistentin, stand mit ihrem Tablet in der Hand neben ihm. Sie war jung, effizient und der Fels in der Brandung von Fischers Temperament. Ihr Blick war rein datengetrieben. "Die Tatzeit schätzen wir auf Mitternacht. Die Tür war nicht aufgebrochen. Entweder kannte der Täter ihn, oder Becker hat ihn reingelassen. Keine Abwehrmale. Der Stich ist sauber, professionell." Klara hatte bereits die ersten forensischen Bilder mit genauen Maßen der Wunde verglichen. Die Präzision des Stiches sprach gegen eine Tat im Affekt. Hier hatte jemand gewusst, was er tat, oder zumindest sehr entschlossen gehandelt.
Sibylle Bronchard, Fischers zweite Assistentin, gesellte sich dazu. Sie war die Psychologin des Teams, hatte einen feinen Blick für menschliche Schwäche und ein Gespür für Lügen, das fast schon unheimlich war. Sie sah nicht auf das Blut, sondern auf die spärlichen Habseligkeiten Beckers. "Es fehlen nur die Tageseinnahmen – ein paar hundert Euro. Unbedeutend. Es ist nur ein Manöver, Kommissar. Raubmord ist die Fassade. Die Geste der Leere. Jemand wollte, dass wir denken, es ginge ums Geld."
Fischer stieß ein ärgerliches Zischen aus. Er hasste Theater. Er sah auf Beckers Gesicht – es war ausdruckslos. Ein Einsiedler, ein unauffälliger Mann, der außer ein paar Zigaretten und Lotto-Scheinen nichts Besonderes verkaufte. "Raubmord. Ein Stich. In einem Kiosk. Becker war ein Einsiedler. Wer tötet einen Einsiedler?", wiederholte Fischer, aber diesmal war es eine rhetorische Frage, die sein Denken in Gang setzte. Ein Einsiedler, der getötet wird, muss ein Geheimnis gehütet haben, das größer war als seine Isolation. Die Tat war ein Urteil, keine Gelegenheit.
Die Umgebung des Kiosks, unweit der belebten Fußgängerzone Triers, schien die Gleichgültigkeit selbst widerzuspiegeln. Die Nacht hatte alles verschluckt, und die Passanten, die jetzt neugierig an der Absperrung vorbeizogen, waren schnell von den Ereignissen des Vormittags abgelenkt.
Draußen stand der Streifenpolizist Karl Scheuermann Wache. Er war einer der jungen, übermotivierten Männer, aber bei ihm war es anders. Seine Augen waren wachsam, fast zu wachsam, als würden sie nach der Gefahr suchen, die er vor Jahren nicht gesehen hatte. Fischer sah ihn an und spürte sofort die Anspannung. Karl hatte seine Mutter vor Jahren bei einem Autounfall verloren – ein Schicksalsschlag, der ihn an die Polizei gebracht hatte. Ein Trauma, das ihn noch immer im Nacken saß und das ihn in jedem Todesfall nach Hinweisen auf die verlorene Kontrolle, nach Schuld und Täter suchen ließ. Er wirkte, als würde er jeden Augenblick erwarten, dass sich das Verbrechen als etwas anderes, etwas Persönlicheres, als der Zufall präsentierte. Fischer wusste, dass Karl in diesem Fall, der nun den Anschein eines unbedeutenden Raubes trug, etwas suchen würde, das tief in seiner eigenen Vergangenheit verwurzelt war.
