Die Kapelle des Friedens und die Macht der Waffen - Martin Schulz - E-Book

Die Kapelle des Friedens und die Macht der Waffen E-Book

Martin Schulz

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Beschreibung

Die freie Journalistin Sophia Papadopoulou aus Bremen wird Zeugin eines Mordes in Chora Sfakion, einem Ort an der Südküste Kretas, während sie über illegalen Waffenhandel auf Kreta recherchiert. Dazu bittet sie den ihr bekannten Kriminalkommissar Niklas Kühnbaum um Unterstützung, der in einem Bergdorf der Lefka Ori seinen Ruhestand verbringt. Schnell gerät sie mit ihrem Partner ins Visier der Mörder. Beide stellen sich der Herausforderung, tauchen unter, ermitteln aus dem Untergrund heraus, erfahren die Unterstützung einer einheimischen Familie. Unter extremen Bedingungen bestehen sie ihre Abenteuer in der wilden Bergwelt der Lefka Ori und stoßen dabei auf überraschende Erkenntnisse. Auf dem Hintergrund Kretischer Gastfreundschaft und umrahmt von der Vielfalt kretischer Landschaften und Orte erwartet den Leser ein spannender Mix aus Krimi, Thriller, und Abenteuer mit von den ersten Schritten angefangen bis zum fulminanten Ende.

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Seitenzahl: 153

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Die Kapelle des Friedens und die Macht der Waffen

Ein Krimi-Abenteuer auf Kreta

Martin Schulz

2025

Personen im Kriminalroman:

Niklas Kühnbaum: Ein pensionierter Polizeiinspektor aus Hildesheim, der sich für seinen Ruhestand in dem kleinen Bergdorf Melidoni am Fuße der Weißen Berge zurückgezogen hat.

Sophia Küstner: Eine freie Journalistin aus Bremen, die für einen Artikel auf Kreta recherchiert.

Dimitris Sarris: Ein skrupelloser Bauunternehmer, der in illegalen Geschäften verwickelt ist.

Marios Kalogriou: Ein Finanzexperte und Komplize von Sarris, Inhaber einer georgischen Firma constructions import & export.

Georgios Soutakis: Angestellte von Sarris und Mordopfer

Alexios Stavros: Kommissar der Kriminalpolizei in Griechenland

Alesandro: griechische Hacker im Untergrund

Matteo: italienischer Hacker

Maria & Marcos: Wirtsleute in Agios Pantes

Harry Brinkmann: alter Kollege und Freund von Niklas

Ioannis Papadopoulos: Schwager von Marcos, Ziegenzüchter und Eigentümer der Berghütte

Athanasia Pavlidis: Kommissarin beim NCB National Central Bureau in Athen und Interpol Anlaufstelle in Griechenland

Leandros Papadopoulos: Familienältester und Großvater von Ioannis

Inhalt

1.Prolog

2. Spuren der Wahrheit

3. Eine gefährliche Spur

4. Unter dem Radar

5. Jagen und gejagt werden

6. Auf der Spur

7. Ein neuer Anlauf

8. Der Zufall hilft nach

9. Die Ereignisse überschlagen sich

10. Weidmanns Heil

11. Epilog

1. Prolog

Mit Wohlbehagen im Magen geht Sophia, ihr Appartement vor Augen, die breite Treppe den Berg hinauf. Gerade noch saß sie in der Taverne an der Uferpromenade in Chora Sfakion, eine der letzten, die außerhalb der Saison noch geöffnet hat. Der Nachgeschmack des vorzüglich gekochten griechischen Stifado liegt ihr noch auf der Zunge, dazu der süffig-fruchtige Weißwein und zum Abschluss der Tsipouro, einer extra Dosis Alkohol, die zu verschmähen den fröhlichen Wirt irritiert hätte. Nach diesem Arrangement kretischer Gastlichkeit findet sie leicht beschwingt ihre Schritte, erfüllt mit einer gesunden Dosis Wohlbehagen im Bauch.

Gezielt hat sich Sophia diese vier Wochen im Januar ausgesucht, mitten im kretischen Winter, solange die Touristenströme noch nicht die Wege überfluten, aber die wenigen Gäste die einsame Lage an der Südküste zu schätzen wissen. Diese erste Taverne an der Hafenpromenade war ihr besonders angenehm mit der Atmosphäre eines Familienbetriebes und der Herzlichkeit, als sei sie selbst ein geachtetes Familienmitglied. Da lässt sich trefflich abschalten und sich ganz dem Geschmack der heimischen Küche hingeben. Davon reichlich gesättigt lag nichts näher, als den Abend auf dem Zimmer mit einem letzten Glas Wein ausklingen zu lassen. Denn nichts geht über diese wohltuende Ruhe, die eingefasst ist von der leisen Brandung des libyschen Meeres und geschmückt vom lockenden Ruf eines unsichtbaren Vogels.

Morgen ist sie wieder darauf angewiesen zu hören, was die Spatzen von den Dächern pfeifen. Als freie Journalistin liebt sie es, wie sich in oberflächlichen Gesprächen oft zwischen den Zeilen in einem Prozess logischer Verknüpfungen die Wahrheit heraus kristallisiert. Das war ihr Beruf, besser gesagt: ihre Berufung. Darum war sie hier, um Gerüchten um illegalen Waffenhandel im Westen Kretas auf den Grund zu gehen. Ihr Geschäft war so schwierig wie wichtig. Wahrheiten aus dem Untergrund ans Tageslicht der Öffentlichkeit zu fördern ist die einzige Chance, Gewalt und Unrecht aufzuhalten oder mindestens in engere Schranken zu weisen. Nur wo ein Kläger ist, da kommt es zu einer Klage und im besten Fall zu einem Prozess, an dessen Ende ein Richter Recht spricht und Gerechtigkeit wieder an seinen Platz rückt.

Da ertappt sie sich doch wieder einmal beim Schieben schwerer Gedanken, wollte sie doch heute Abend ganz abschalten und sich dem Frieden dieses Ortes hingeben. Wie sonst sollte sie selbst zur Ruhe kommen?

Nicht umsonst hat sie diesen stillen Südküstenort im Westen Kretas gewählt, um die Arbeit mit den Annehmlichkeiten Kretas zu verbinden. Heute Abend ist frei von allen Notwendigkeiten. Morgen kommt ein neuer Tag, Zeit genug, ihr Vorgehen zu planen und voranzutreiben. Als Single braucht sie auf niemanden Rücksicht zu nehmen und kann sich ganz ihren Recherchen hingeben. Einerseits schätzt sie ihre Freiheit, braucht diese gewisse Dosis Einsamkeit, andererseits muss sie irgendwie mit den Gefühlen der Sehnsucht umgehen. Denn ihre letzte Beziehung liegt noch nicht lange zurück. Erst vor vier Monaten hat sie sich von Ralf, ihrem langjährigen Freund und Partner getrennt. Kleinigkeiten des Alltags haben zu ewigen Auseinandersetzungen geführt und ihre Gedanken gebunden, ihr keine Luft gelassen für sich selbst und ihrem Handwerk nachzugehen. Geblieben ist ihr ihre chaotische Lebensführung. Gezieltes Einkaufen, Kochen, Aufräumen und Saubermachen gehören nicht zu ihren Stärken, sind zu profan in Relation zu ihren eigentlichen Aufgaben wie dem Aufdecken krimineller Machenschaften. Ihre Wohnung im fernen Bremen gleicht daher einem Tatort nach einem Kampfszenario. Dazu nervt sie ihr chronisch leerer Kühlschrank. Ein regelmäßiger Einkauf wäre zu trivial, als dass er einen der oberen Plätze ihrer To-Do-Liste erlangen könnte. Vor ihrer Abreise hatte sie absolut keine Lust zum Aufräumen oder Organisieren, sie wollte einfach nur weg.

Der Schrei einer Möwe holt sie ins Hier und Jetzt zurück. Ihre Haut wird umschmeichelt von einer leicht warmen Meeresbriese. Sträucher einer Bougainvillea mit ihren violetten Blüten streifen ihre langen brünetten Haare. Langsam bahnt sie sich ihren Weg durch ihr mediterranes Paradies. Genüsslich saugt sie die Luft ein mit einem Hauch von süßen Blüten und herben Kräutern.

Nur noch ein paar Schritte entfernt liegt der Eingang zu ihrem kleinen Appartement der Vetus Luxury Suites an einer großen Terrasse mit Blick auf den kleinen alten Hafen von Chora Sfakion. Sie sieht sich schon dort sitzen in einer flauschigen Jacke und einem Glas Wein in der Hand. Gerade ist sie zur Tür herein gekommen, hat ihre Tasche abgelegt und wollte sich die Weißweinflasche aus dem Kühlschrank holen, da wird die stille Idylle gestört von einem lauter werdenden Motorrad. Immer näher kommt dieses Gefährt auf der leer stehenden Hafenpromenade mit all ihren geschlossenen Tavernen. Neugierig, wie sie ist, eilt sie zum Fenster ihres Schlafzimmers und erstarrt bei dem Anblick, was sich wenige Meter unter ihrem Appartement ereignet. Das Motorrad mit offenbar zwei Männern besetzt ist im Begriff auf der Hafenpromenade zu wenden. Genau in dem Augenblick, als das Motorrad im Bogen ihre Gasse streift, sieht sie den Sozius mit ausgestreckter Hand auf einen dritten Mann zielen, der auf der parallelen Gasse zu ihrer Treppe bergauf geht. Sie hört ein leises Plopp und sieht, wie dieser Mann in sich zusammen sinkt.

Der Fahrer des Motorrads lässt den Motor aufheulen, entfernt sich schnell und macht einer gespenstischen Stille Platz, die sich wie eine schwarze Decke über diesen friedlichen Ort legt. Starr vor Entsetzen ist Sophia sich nicht sicher, wie sie sich verhalten soll. Doch nach kurzem Zögern wird sie von ihrer journalistischen Neugierde überstimmt. Instinktiv greift sie zu Tasche und Schlüssel, eilt die breite Treppe herunter und läuft auf den angeschossenen Mann zu. Vielleicht lebt er noch? Vielleicht ist er nur verletzt? Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Oder ist sie gerade Zeugin eines Mordes geworden?

Der Schatten einer Straßenlaterne liegt wie ein schützender Mantel über dem Ort des Geschehens. Wie ein Wesen nicht von dieser Welt liegt der männliche Körper unnatürlich verdreht auf dem Rücken auf dem kalten Beton der Gasse. Starr wie eine umgestürzte Statue blicken seine regungslosen Augen gen Himmel. Aus seiner Stirn fließt Blut in einem Rinnsal auf die Seite seines Kopfes. An ein Überleben ist kaum zu denken. Sophia reißt sich zusammen, streckt ihre rechte Hand aus und berührt seine Halsschlagader. Doch da ist kein Leben mehr zu spüren. Der Schock beginnt alles, ihre Gedanken, ihren Willen, ihre Vernunft zu lähmen. Aber sie ist eine starke Frau, reißt sich zusammen, lässt ihrer Neugierde ihren Lauf und beginnt das Unerklärliche zu erforschen. Was nicht sein darf das nicht sein kann. Wie kann ein Mensch in dieser friedlichen Stille ein solches Ende nehmen? Fragen verlangen nach Antworten. Die Wahrheit ist und bleibt das höchste Gut, will aufgedeckt und ans Tageslicht gebracht werden.

Zuerst greift Sophia nach dem abgetragenen grauen Jackett, schlägt es auf und findet in der Innentasche einen griechischen Führerschein. Georgios Soutakis, den Namen muss sie sich einprägen, geboren 1976 in Chania. Tiefer in der Tasche findet sich ein Zettel, die Ränder sind zum Teil abgerissen. Strukturen deuten darauf, dass dieser ein Teil einer von Hand gezeichneten Karte sein muss.

Ohne lange zu überlegen, steckt Sophia den Führerschein zurück, behält aber das geheimnisvolle Papierfragment und versenkt es in den Tiefen ihrer Handtasche. Es wird Zeit, ihrer Bürgerpflicht nachzukommen. In der Handtasche fischt sie nach ihrem Handy, wählt die Notrufnummer der griechischen Polizei 100, hört noch ein Klacken am anderen Ende. Dann aber erlischt plötzlich jedes Leben ihres kleinen Gerätes, das Display ist schwarz und die Ahnung findet ihre Bestätigung, dass der Akku am Ende mit seinem Tagewerk ist. Selbst für ein Handyfoto bleibt keine Energie. Ein leiser Fluch kommt über ihre Lippen. Aber es hilft nichts. Eine öffentliche Telefonzelle in der Nähe ist ihr nicht bewusst. Also nimmt sie ihre Kräfte zusammen, eilt so schnell ihre unbequemen Schuhe es zulassen die Treppe hinauf hin zu dem Ladegerät in ihrem Appartement. Hastig aufgeschlossen findet sie es, wie sie es am Morgen zurück gelassen hat, und legt ihr kleines Ding an den rettenden Tropf. Eine halbe Unendlichkeit vergeht, bis es zu neuem Leben erwacht. Diesmal antwortet gleich der Wachhabende. Offenbar ist die Polizeidienststelle in Chora Sfakion nicht besetzt, und sie wird nach Chania durchgestellt. Mit bewegter Stimme berichtet Sophia das eben Erlebte, nennt Ort und ihren Namen und wird gehalten, sich nicht vom Fleck zu rühren, Kollegen würden sie so bald als möglich aufsuchen. Die trockene Sachlichkeit des Polizeibeamten steht in einem solchen Kontrast zur brutalen Hinrichtung eines Menschen, wie sie sie gerade erleben musste. Die sachliche Art tut ihr andererseits gut und hat ihr Entsetzen ein Stück weit aufgefangen.

Nun muss sie sich erst mal setzen auf einen der bequemen Sessel aus dunkelbraunem Geflecht. Das Gefühl für die Zeit hat sich so weit entfernt. Erst jetzt wagt sie einen Blick auf die Uhr, es ist 22:34 Uhr. Eigentlich ist jetzt eine gute Zeit, um sich zurückzuziehen und an Schlaf zu denken. Aber das Adrenalin im Blut steht dem ebenso entgegen wie der zu erwartende Besuch der Polizei. Ein Glas Tee mag vielleicht helfen, den Magen zu beruhigen und das Warten zu überbrücken. Dieses tut so gut, dass ihm gleich noch ein zweites folgt.

Nach einer gefühlten Ewigkeit hört sie von weitem die Sirene des Polizeifahrzeugs, wie es immer lauter und näher kommt. Wenig später läutet es an der Tür. Ein uniformierter Polizeibeamter stellt sich als Alexios Stavros vor, Kommissar der Kriminalpolizei. „Sie sind Sophia Papadopoulo? Dann kommen Sie bitte mit und zeigen mir, wo Sie den toten Mann gefunden haben.“ Sophia greift gezielt nach ihren Utensilien und führt den Beamten die Gasse hinunter zu dem Fleck, an dem sie den Toten zurückgelassen hat.

Doch am Selbigen angekommen tut sich nichts als eine einzige große Leere auf. Der Tote ist wie vom Himmel verschluckt. An seinem Platz ist nichts als eine feuchte Stelle zu finden, die bei der Bauart von griechischen Wasserleitungen nichts Ungewöhnliches ist.

„Hier ist es passiert und genau hier hat er gelegen!“ Sophia ist außer sich. Wieder ist sie von Schrecken und Entsetzen ergriffen. Hat sie geträumt? Soll sie an sich zweifeln? „Nun mal ganz in Ruhe. Erzählen sie von Anfang an, was sie hier erlebt haben.“

„Es war etwa viertel nach Zehn, als ich unten aus der Taverne kam. Auf meinem Weg zu meinem Appartement musste ich in diese dunkle Gasse einbiegen, bin über diese Treppe hier zu meinem Appartement gekommen. Dort war ich gerade erst ein paar Minuten, da hörte ich ein Motorrad die Uferpromenade entlang fahren. Ich ging sofort zu meinem Schlafzimmerfenster und sah unten zwei Männer auf einem Motorrad. Einer streckte seine Hand aus und zielte mit einer Waffe auf einen dritten Mann, der gerade im Begriff war, die Gasse hinaufzugehen. Einen leisen Schuss konnte ich gerade noch so hören, da fiel der Mann zu Boden und blieb genau hier liegen.“ Sophia richtet ihre Finger auf die feuchte Stelle auf dem Betonboden. „Können sie alle drei Personen und das Motorrad näher beschreiben?“

Sophia gibt ihr Bestes, sich zu konzentrieren. „Es war so gut wie dunkel. Das Motorrad war relativ neu, so etwas wie eine Reiseenduro mit einem orangenen Tank, vielleicht eine KTM. Der Fahrer war eher klein mit fülliger Figur, vielleicht 40 Jahre alt. Der Sozius war groß, schlank, deutlich jünger, vielleicht so um die 20. Beide hatten dunkle Integralhelme auf, darum konnte ich ihre Gesichter nicht sehen, ihr Alter kann ich nur schätzen. Der dritte Mann, der zu Fuß in meine Richtung die Gasse hoch ging, hatte es irgendwie eilig. Er war mittel groß mit eher längeren dunklen Haaren, einem schmalen Gesicht und vielleicht so ungefähr 30 Jahre alt. Er trug schwere Lederstiefel, deren Geräusch ich noch im Ohr habe. Die Handfeuerwaffe des Sozius musste mit einem Schalldämpfer versehen gewesen sein, denn ich hörte nur ein leises Plopp, und der Dritte stürzte zu Boden.“ – „Was haben sie unternommen, nachdem sie alles beobachtet haben?“ – „Ich wusste zunächst nicht, was ich tun sollte, habe gezögert, bin dann aus der Wohnung gerannt, die Treppe runter bis zum Tatort, habe mir den Mann angesehen, seinen Puls gefühlt und mit seiner Kopfverletzung, einem Einschussloch an seiner Stirn gesehen, dass dieser Mann nicht mehr am Leben sein konnte. Sofort habe ich sie angerufen, doch mein Handy war leer und ich musste es erst in meinem Appartement wieder aufladen. Alles Weitere sehen sie selbst.“ Ohne erklären zu können warum behält sie aus einem inneren Instinkt heraus den Namen des Toten und vor allem das Papierfragment erst mal für sich. Denn schließlich ist sie die einzige Zeugin und könnte als solche das nächste Opfer werden.

Weitere Fahrzeuge treffen ein. Polizeibeamte sperren den Tatort ab. Einer nimmt Proben von der feuchten Stelle, an der der Kopf des Toten gelegen haben soll. Doch das Blut ist wie weggespült. Die dunkle Gasse wiegt sich in Unschuld, als wäre nichts gewesen.

„Kommen sie morgen früh um neun in unsere Polizeidienststelle hier in Chora Sfakion. Wir werden dann ihre Aussage aufnehmen. Vielleicht fallen ihnen bis dahin noch weitere Details ein.“

Sophia hat getan, was sie musste, hat ihre Bürgerpflicht erfüllt. Nun - von weiteren Befragungen entlassen – steigt sie mit schweren Schritten wiederum hinauf zu ihrem Appartement und lässt sich in ihre Kissen fallen. Aber der Schlaf will sich nicht einstellen. Wo ist diese Leiche geblieben? Wer hat sie entfernt? Wer war dieser Georgios Soutakis? Wer hat sein Blut weg gewischt? Und was für ein Motiv steckt hinter dieser Gewalttat? Frage auf Frage schwirrt ihr durch den Kopf. Vielleicht ist es gut, mit einem Vertrauten darüber zu sprechen. Da kommt ihr eine Idee, sie greift zum Handy, sucht die noch frisch abgespeicherte Nummer und findet genau den Kontakt, den sie sich wünscht. Nach dem Gespräch legen sich die Gedanken. Und von Müdigkeit überwältigt kann sie sich endlich in einen traumlosen Schlaf fallen lassen.

2. Spuren der Wahrheit

Niklas Kühnbaum sitzt auf der Terrasse seiner angemieteten Wohnung hoch oben in seinem Bergdorf Melidoni und blickt weit in die Ferne über Anhöhen und Olivenhaine hinweg bis zum Golf von Souda und darüber hinaus bis in die Weiten des Kretischen Meeres. Neben sich dampft leicht sein Becher Nachmittagskaffee, den er sich eben aus der Küche mitgebracht hat. Er liebt es über die Maßen, sich seinen Cappuccino in einem Ritual von der Mahlung bis zur Extraktion mit entspannter Hinwendung zuzubereiten, um ihn dann in einem nicht begrenzten Zeitraum Schluck für Schluck zu genießen und im Nachklang den Geschmack von Schokolade und trockenen Früchten auf der Zunge entfalten zu lassen. Über dem Horizont weit im Westen geht die Sonne dem Ende ihres Tagewerks entgegen. Jetzt im März vermag sie die Tage schon aufs angenehmste zu wärmen.

Einen Platz an der Sonne, den hat er sich lange gewünscht und hat lange danach gesucht. Endlich die Seele von Licht und Wärme umschmeicheln lassen und Abstand finden zu seinem alten Leben in den Tiefen menschlicher Bosheit als Kriminalkommissar in Hildesheim, das ist sein Ziel. Er kann nicht anders, als hin und wieder daran zurückzudenken, auch wenn es ihn mehr Gedanken macht als von solchen befreit. Denn er war richtig gut gewesen, hat es verstanden, systematisch und beharrlich zu ermitteln, hat keinen Tag und keine Nacht gescheut, bis er die Täter zur Strecke gebracht und verhaftet hat. Der Respekt vor und die Anerkennung seiner Kollegen über seine überdurchschnittliche Aufklärungsquote war schon zur Normalität geworden. Doch er musste mehr und mehr erleben, wie er selbst, seine Gesundheit und seine Seele drohten, auf der Strecke zu bleiben.

Jetzt umfängt ihn ein erhabenes Gefühl der Freiheit beim Blick in die Weite. Es ist, wie einer Einbahnstraße entronnen zu sein, in der es kein Zurück mehr gibt. Immer mehr Fälle - einer so grausam wie der andere - mit immer weniger Kollegen bearbeiten zu müssen, brachten ihn an seine Grenzen, physisch wie psychisch. Der Doktor hat mahnend seinen Lebensstil beklagt. Er möge mehr an sich denken, Sport treiben, vor allem seine Ernährung umstellen, sonst erwarte ihn bei seinen Zuckerwerten ein vorzeitiger Herz-Kreislauf-Zusammenbruch mit bösem Ende. Doch geschieden von seiner Frau war es als Single alles andere als leicht, sich gesund zu ernähren, wenn keine Zeit blieb für spezielles Einkaufen und Kochen. Im Zuge der Gefechte blieb oft nur der Griff nach dem fettigen Burger um die Ecke oder der nicht minder gesunden und schnell gelieferten Pizza. Sein Chef war alles andere als erfreut, als er seinen Vorruhestand eingereicht hat. Seine Ruhestandsurkunde hat er nahezu wortlos und ohne Dank überreicht bekommen.

Aber jetzt hat er es geschafft, hat seine Zelte abgerissen in der nur allzu vertrauten Stadt Hildesheim in Niedersachsen, bekommt seine kleine Rente aufs Konto ausgezahlt und hat diesen einen Platz der Ruhe und des Friedens gefunden. Dies ist der Ort mit reichlich Zeit, die Seele heilen zu lassen und die Zuckerwerte in den Griff zu bekommen. Weit abseits der touristischen Ströme steht es ihm jederzeit frei, in seine Bergschuhe zu steigen und in die Lefka Ori, die weißen Berge, zu wandern oder wie jetzt, es sich mit einem Becher Kaffee gut gehen zu lassen. Die Welt dürfen nun andere retten, angefangen mit den Verantwortlichen der verfehlten Personalpolitik. Seine alten Kollegen tun ihm schon leid, müssen sie doch seinen Platz mit ausfüllen, denn ein Nachfolger war im Stellenplan nicht vorgesehen. Doch zuletzt ist jeder seines eigenen Glückes Schmied. Kurt, sein bester Freund und Kollege, hat es bis zur Altersgrenze ausgehalten, ist wenige Monate nach seinem Ruhestand zusammen gebrochen und auf den Friedhof gezogen. Das war hart und hat den letzten Ausschlag gegeben, auf die maximale Rente zu verzichten und andernorts ein neues Leben zu beginnen.