Die kleine Dame melodiert ganz wunderbar (4) - Stefanie Taschinski - E-Book

Die kleine Dame melodiert ganz wunderbar (4) E-Book

Stefanie Taschinski

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Beschreibung

Oh Schreck! Mama und Papa Bär wollen aus dem Brezelhaus ausziehen! Mama Bär erwartet nämlich Nachwuchs und die Wohnung wird zu klein. Das können die kleine Dame und Lilly niemals zulassen. So schmieden sie wieder große Pläne und gründen schwuppdich den Brezelhaus-Chor, der neben seinen tierischen Mitsängern auch den griesgrämigen Hausmeister, Herrn Leberwurst, zum Klingen bringen soll… Vielleicht lässt er sich ja zu einem Wohnungstausch überreden? Trubel und diverse Auf und Abs auf der Tonleiter sind da nicht ausgeschlossen!

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Seitenzahl: 137

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Stefanie Taschinski

Die kleine Dame melodiert ganz wunderbar

Stefanie Taschinski,

1969 in Hamburg geboren, veröffentlichte 2010 ihr erstes Kinderbuch »Die kleine Dame«, das sich als zauberhaftes Debüt erwies und inzwischen für das Kino verfilmt wird. In den nächsten Jahren folgten weitere wunderbare Bücher, zum Beispiel »Die Popkörner« bei Arena.

Die Autorin lebt mit ihrer Familie in Hamburg.

Nina Dulleck,

Kinderbuchautorin und Illustratorin, ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt in einem Dorf in Rheinhessen. In ihrer Nachbarschaft wohnen unter anderem noch zwei Zwergschweine, ein zahmer Eichelhäher, ein sehr dünner Tiger und ungefähr 500 Pferde. Sie alle bieten jede Menge Stoff für lustige Geschichten.

Stefanie Taschinski

Die kleine Dame melodiert ganz wunderbar

Mit Bildern von Nina Dulleck

Für meine Liebsten

1. Auflage 2017

© Arena Verlag GmbH, Würzburg 2017

Alle Rechte vorbehalten

Einbandillustration: Nina Dulleck

E-Book-Herstellung und Auslieferung:readbox publishing, Dortmund, www.readbox.net

E-Book ISBN 978-3-401-80913-7

www.arena-verlag.de

Inhalt

Nordpol, Südpol, Glückspol

Unter der Käseglocke

Rote Wangen

Gesagt – getan

Unentschieden

Das erste Fragezeichen

Junge trifft Mädchen

Zum Knäckebrot damit!

Das zweite Fragezeichen

Die rote Nelke

Wenn ein Weg versperrt ist …

Die Überraschung

Brezelhaus-Salafari

Die Eiswürfelmaschine

Vorhang auf!

Die Einladung

Gestatten? Herr Teewurst

Im Hinterhof die Nachtigall

Wie am Schnürchen

Im Duett

Ein Minimensch namens …

Nordpol, Südpol, Glückspol

Der Glückspol gilt bis heute als unentdeckt. Keine bekannte Salafari hat ihn erreicht, kein Logbuch ihn erwähnt. Obwohl es kaum zu glauben ist, hat sich bis zum heutigen Tag nicht ein einziger mutiger Weltenbimmler auf die Suche nach diesem geheimnisvollen Ort gemacht, von dem es heißt, er werde von einem besonderen Haus beschützt. Einem Haus, über dessen Eingangstür eine goldene Brezel glänzt.

Vermutlich hast du noch nie etwas vom Glückspol gehört und kennst das Haus mit der goldenen Brezel nicht. Wenn du mit deinen Eltern durch die kleine Seitenstraße gingest, in der das Brezelhaus in Hamburg steht, fiele dir die goldene Brezel vielleicht gar nicht auf. Sie ist nicht sonderlich groß. Sie leuchtet nicht in der Art einer Werbetafel. Möglicherweise würdest du das Nest bemerken, das die zwei Tauben über der grünen Haustür auf einem schnörkeligen Etwas gebaut haben. Aber ehe du die Form der Brezel erkannt hättest, wäret ihr schon weitergelaufen.

Und mit jedem Schritt würdest du dich vom Glückspol entfernen.

Wäre da nicht diese Geschichte.

Wären da nicht diese Worte, die dich Buchstabe für Buchstabe an deinen Ohren und am Bauch kitzelten, dich von einem Fuß auf den anderen hüpfen ließen, bis du dich umdrehtest und auf einmal etwas höchst Seltwürdiges hörtest:

Das tiefe Flötenspiel des Brezelhaus-schornsteins, über den der Wind streicht.

Fu-fu-foo.

Den hellen Triller der Amsel, die hoch oben in der Regenrinne hockt. Sri-sri-ti.

Das knisterige Lied des Hausmeisters Leberwurst, der mit seinem Besen einmal gründlich durch den Torweg fegt. Risch-risch-tap.

Genauso klingt das Brezelhaus morgens um Viertel vor sieben. Aber halt, warte mal. Da ist ja noch etwas! Du hörst es nicht? Am besten stellst du dich ganz nah an das Haus direkt unter das Wohnzimmerfenster der Familie Bär, die dort links im Hochparterre wohnt. Hörst du’s jetzt? Da ist es wieder. Das hohe Quietschen der Kreide, die über die Tafel kratzt.

Qui-qui-krax machte es, Karlchen Bär legte den Kopf auf die Seite und las den Namen, den sie eben an die Tafel geschrieben hatte. Sie wusste bereits, dass es mit Namen eine besondere Bewandtnis hat und man nie exakt vorhersagen kann, wie sie sich später verwandeln. Aus Mama kann Mamsi werden, aus Papa Papsel und aus Karla – wie sie in echt hieß – Karlchen. Und das bloß, weil ihre große Schwester Lilly, ganz früher einmal, als Lilly selbst noch klein gewesen war, beschlossen hatte, dass das zahnlose, kahlköpfige Karla-Baby wie ein Junge aussah. Bis heute – sechs Jahre später – nannten sie noch alle Karlchen, sogar in der Schule. Ja, die Wahl eines Namens war eine wichtige Angelegenheit, der man sich mit Liebe und Sorgfalt widmen sollte. Sogar vor dem Frühstück.

Neben Karlchen hockte Lilly vor der Tafel, die Papa vor ein paar Wochen an die Wand zwischen Wohnungstür und Badezimmer gelehnt hatte, und versuchte, Karlchens krakelige Buchstaben zu entziffern. Du musst nämlich wissen, dass Karlchen erst im vergangenen Sommer zur Schule gekommen war und das »Pf« hatte sie vor nicht einmal einer Woche kennengelernt.

»Pfrädderik?«, las Lilly und runzelte die Stirn. »Was ist das denn für ein Name?«

»Wieso?«, fragte Karlchen würdevoll zurück. »Mir gefällt der.«

Lilly las den Namen noch einmal. »Meinst du etwa Frederick?«

Karlchen stöhnte. »Steht da doch!«

»Na ja … fast«, meinte Lilly. »Aber der erste Buchstabe muss ein F sein, der zweite ein r und der dritte ein e und kein ä.«

Karlchen schüttelte ungläubig den Kopf. »Kann gar nicht sein«, sagte sie. »Pferd schreibt man auch mit Pf. Hat uns Herr Berg gerade beigebracht.«

»Pferd schon«, nickte Lilly und tippte auf das doppelte d. »Und davon brauchst du nur eins.«

»Ooah«, stöhnte Karlchen, leckte ihren Zeigefinger an und wischte den Namen einmal komplett weg. »Das ist so schwer!«

Dann schrieb sie den Namen erneut auf die Tafel. Mit einem F, einem r, einem e und hinten nur einem d.

»Richtig?«, fragte sie leicht genervt und gab die Kreide weiter.

»Ja«, sagte Lilly und quetschte nun selbst einen Namen ganz oben in die Ecke.

»Frieda?«, las Karlchen.

»Na ja, wir brauchen noch mehr Mädchennamen«, meinte Lilly. Einen Moment lang betrachteten die zwei die vollgeschriebene Tafel.

»Viel Platz ist da nicht mehr«, stellte Karlchen fest.

»In Mamas Bauch auch nicht«, sagte Lilly.

Die beiden warfen sich einen Blick zu und hielten die Luft an. Dann schauten sie wieder zu der Tafel.

Dort standen schon ganz viele Namen.

Mädchennamen und Jungsnamen.

Namen für das Baby in Mamas kugelrundem Bauch.

Wenn Lilly nur daran dachte, pritzelte es in ihrem eigenen Bauch wie eine Riesenportion Badekonfetti. Und Lilly dachte ständig daran. Denn in drei Wochen hatte Mama »Stichtag«. Das hieß nicht, dass Mama da gestochen werden sollte. Nein, der Stichtag war der vorausberechnete Geburtstermin des Babys.

Karlchen linste an Lilly vorbei in Richtung Küche, wo Mama und Papa das Frühstück machten. Die Tür war nur angelehnt. Karlchen senkte die Stimme. »Mamsis Bauch ist genauso rund wie der Tropenhelm der kleinen Dame.«

Lilly gluckste los. »Aber schon viel größer!«

Bis zu diesem Sommer war die kleine Dame zweifelsohne die allerkleinste Bewohnerin des Brezelhauses gewesen. Kleiner als Mama und Papa. Kleiner als der nasenhaarige Hausmeister Herr Leberwurst, kleiner als Lilly und sogar ein Stückchen kleiner als Karlchen. Denn die kleine Dame, die vor zwei Sommern im geheimen Teil des Hinterhofs ihr weißes Zelt aufgebaut hatte und dort zusammen mit Chaka, ihrem tausendjährigen Chamäleon campierte, war nicht größer als ein ausgewachsener Kaiserpinguin. Sogar mit Tropenhelm maß sie weniger als einen Meter.

Lilly konnte nicht sagen, was sie mehr überrascht hatte, als sie die kleine Dame zum allerersten Mal traf: die vielen exotischen Sprachen, die die kleine Dame aus dem »Effeff« beherrschte, oder ihre Fähigkeit, schwuppdich zu chamäleonisieren. Dazu brauchte sie bloß ihren Schirm aufzuspannen und sie nahm auf allerfeinste Weise die Farben und Muster ihrer Umgebung an.

Die Tür zur Küche öffnete sich ein Stückchen und Pim, ihr schwarzer Hund, trottete auf sie zu.

»Los, Hund, hol die Trödel-Elsen«, hörte Lilly die Stimme ihres Vaters.

»Pim«, stieß Karlchen hervor und umarmte den Räuberhund. »Ach, mein lieber, lieber Pim.«

»Mädchen, die Brezeln sind fertig!«, rief ihre Mutter.

Da sprang Lilly auf und flitzte an Karlchen und Pim vorbei in die Küche. »Erste!«

Mama Bär saß am Küchentisch und strich sich über den großen Bauch. »Guten Morgen, Zuckerschnecke«, sagte sie zu Lilly. »Guten Morgen, Schelmine«, sagte sie zu Karlchen und gab ihren Töchtern einen Kuss.

Pim legte sich unter den Tisch auf Karlchens nackte Füße.

Papa holte die Brezeln aus dem Ofen. »Achtung, die sind noch sehr, sehr ha…ha…heiß«, stieß er hervor und warf sie in den Brotkorb.

Dann setzte er sich neben Mama an den Tisch. »Schatz«, beruhigte er sie. »Mach dir keine Sorgen. Wir werden etwas finden. Das verspreche ich dir. Und wenn ich dafür um die ganze Welt radeln müsste.«

Lilly lächelte. Ja, Papa hatte Mama so lieb, dass er für sie sogar bis zum Mond radeln würde. Und das ist weit, sogar für einen Fahrradspezialisten wie Papa Bär.

Mama Bär nippte an ihrem Fencheltee. »Aber du weißt doch, wie schwierig das heutzutage ist. Fast unmöglich!«

Wovon sprachen die zwei eigentlich? Sie wollten doch nicht im Ernst so kurz vor der Geburt verreisen?

Lilly gab einen Klecks Butter auf ihre Brezel. Sofort schmolz sie zu einem goldenen See. Zum Glück kosteten die Salafaris mit der kleinen Dame keinen Cent. »Mama, können wir eine Brezel für die kleine Dame aufheben?«, bat sie.

Mama nickte.

Papa schob Mama einige Papierbögen hin. »Sieh mal, was ich im Internet gefunden hab.«

Mama blätterte durch die Papiere.

»Die eine Wohnung hat sogar einen Südbalkon«, sagte Papa.

»Welche Wohnung?«, fragte Lilly zwischen zwei Bissen.

»Wer zieht um, Papsel?«, wollte Karlchen wissen.

Mama hob den Blick von den Papieren und strich nervös über ihren Bauch. Papa räusperte sich und rutschte auf seinem Stuhl herum. »Also …« Er holte Luft. »Mama und ich …« Er sah Lilly an. »Du und Karlchen.« Er zeigte unter den Tisch. »Unser Hund, also … ich meine, wir alle zusammen, wir brauchen eine neue Wohnung.«

»Eine neue Wohnung?«, wiederholte Lilly.

Karlchen schüttelte den Kopf. »Wir haben doch eine. Sogar eine sehr hübsche!«

»Ja«, nickte Mama. »Sehr hübsch und sehr klein.« Wieder strich sie sich über ihren Bauch.

So klein nun auch wieder nicht, fand Lilly.

»Stellt euch mal vor«, sagte Papa, »wenn das Baby größer wird. Dann reicht euer Kinderzimmer nicht mehr.«

Mama zog Karlchen zu sich heran. »Genau«, bestätigte sie. »Dann platzt unsere Wohnung aus allen Nähten.« Sie tippte auf ihren Bauch und lachte ein bisschen. »Wie mein Bauch.«

»Aber noch ist das Baby ja ganz klein«, stellte Lilly fest.

»Das stimmt«, sagte Papa und legte den Arm um Lillys Schulter. »Wir schauen uns ja nur schon mal um, damit wir rechtzeitig etwas finden.«

Unter der Käseglocke

Den ganzen Vormittag über hatte Lilly sich wie ein Krümel unter einer riesigen Käseglocke gefühlt. Den Englisch-Test hatte sie in jedem Fall verhauen und von der Multiplikation vierstelliger Zahlen hatte sie sowieso nichts mitbekommen. Lilly konnte an nichts anderes denken als daran, dass Papa sich andere Wohnungen ansah. Andere Wohnungen! Dabei hatten sie das allerbeste Zuhause im Brezelhaus!

Schnaufend trat sie in die Pedale und kämpfte gegen eine Regenbö an, die ihr entgegenblies. Mamas und Papas Worte trommelten laut in ihren Ohren.

»Unsere Wohnung platzt aus allen Nähten«, hatte Mama gesagt.

»Wir brauchen eine neue Wohnung«, hatte Papa gesagt.

Lilly presste die Lippen aufeinander und strampelte noch schneller. Ein waschechter Hamburger Sommerregen hatte eingesetzt und den Stoff ihrer Jeans durchweicht. Egal, sie würde jetzt trotzdem nicht nach Hause fahren, sondern direkt die kleine Dame besuchen. Lilly bog in die Seitenstraße ein, in der das Brezelhaus stand. Der Regen hatte das Gold der Brezel blitzeblank gewaschen. Wie hell sie leuchtete! Sogar im Regen. Lilly schob ihr Rad in den schummrigen Torweg und lehnte es vor den Müllcontainern an die Wand.

Risch-risch-tap fegte in diesem Moment der Hausmeister aus dem Hinterhof in den Torweg. »Ist das hier ein Fahrradparkplatz?«, schnauzte er sie ohne Vorwarnung an.

Von Lillys Fahrradhelm tropfte es, Jacke und Hose klebten an der Haut, ihre Schuhe waren durchweicht. »Darf ich das Rad nicht fünf Minuten hier stehen lassen?«, bat sie.

Aber die Leberwurst schnaubte. »Du räumst den Torweg frei! Dalli-dalli!«

Heute ging aber auch alles schief! Widerwillig brachte Lilly das Rad nach vorn an die Straße, und während sie es mit klammen Fingern anschloss, rann ihr der Regen hinten in die Kapuze. Aber darauf kam es jetzt auch nicht mehr an!

Mit zusammengebissenen Zähnen flitzte Lilly über den raspelkurzen Rasen, unter der Teppichstange hindurch und schlüpfte in die dichte grüne Ligusterhecke, die den Hinterhof des Brezelhauses in zwei Hälften teilte: den vorderen Teil, in dem die Leberwurst regierte, und den hinteren geheimen Teil, wo die kleine Dame campierte.

»Kleine Dame!«, rief Lilly, kaum dass sie auf der anderen Seite aus der Hecke geklettert war. Sie sah sich nach ihr und ihrem Chamäleon um. »Chaka!«

Das hohe Sommergras neigte sich unter den glänzenden Tropfen und der Regen prasselte unablässig auf das dichte Blätterdach der Büsche und Bäume. Wie im Regenwald, dachte Lilly, während sie die Zweige der alten Weide auseinanderschob. Ein Elbregenwald.

»Kleine Dame, bist du hier?«, fragte sie, zog den Reißverschluss des weißen Zelts auf und hielt überrascht inne. Unmittelbar vor ihrer Nase pendelte Chakas gezackter Schwanz von der Zeltdecke. »Hey, Chaka«, begrüßte sie das Chamäleon und bückte sich, um ins Trockene zu gelangen.

In der Mitte des Zelts hinter Gläsern mit bunten Federn, leuchtenden Glasscherben, sprießenden Blumenzwiebeln und einer silbernen Laterne blickte die kleine Dame von ihrem Salafaribuch auf.

»Lilly! Hereinspaziert, hereinflaniert.«

»Kleine Dame, ich muss dir was erzählen!«, sagte Lilly. »Mama und Papa wollen aus dem Brezelhaus aus…«

»Eins nach dem anderen«, fiel die kleine Dame ihr munter ins Wort. »Mach es dir in meinem Sessel bequem. Chaka und ich brauchen nur noch einen klitzekleinen Moment.«

Wie jetzt? Lilly wollte es sich nicht bequem machen, sondern der kleinen Dame sofort erzählen, was ihre Eltern beschlossen hatten. Sie sah von Chaka, der unter der Zeltdecke hing, zur kleinen Dame, die wieder die Haarschnecken von ihren Ohren anhob.

»Wir lauschen dem Regenlied. Sehr hübsche Melodie. Findest du nicht?«, fragte die kleine Dame.

Lilly hörte vor allem das Brausen und Tosen all der Worte, die sich über den Tag in ihr aufgestaut hatten. Worte, die ins Freie drängten.

»Ich …«, sagte sie.

Im nächsten Augenblick begann Chakas Schwanz, hin und her zu pendeln.

»Einsundzwei, einsundzwei«, summte die kleine Dame. »Einsundzweiunddreiundvier …?« Sie blickte zu dem Chamäleon. »Chaka, bitte entscheide dich.«

Lilly setzte sich auf die Lehne des Ohrensessels. Draußen klatschte witsch ein Zweig auf das Zeltdach. Die kleine Dame schien sich ganz in das Rauschen und Prasseln des Regens einzuspinnen. »Hörst du es, Lilly? Hörst du es?«, wisperte sie.

»Hm, es regnet«, sagte Lilly.

»Die Stimme des Regens ist höchst geheimnisvoll«, erklärte die kleine Dame.

Na, wenn die kleine Dame das meinte. Für Lilly hörte es sich nur wie ganz gewöhnlicher Regen an.

»Die Stimmen«, fuhr die kleine Dame fort, »wechseln sich ab. Der Regen, der Wind, die Vögel, sie singen alle dasselbe Lied.«

»Ach ja?« Lilly wollte jetzt nichts von Liedern hören. Nicht einmal von Liedern der kleinen Dame. Aber diese ließ sich nicht beirren und winkte Lilly zu sich.

»Chaka und ich können es noch nicht beweisen, aber wir glauben, dass es das Brezelhaus-Lied ist.«

Nun war Lilly doch verblüfft. Sie blickte auf die großen und kleinen Klekse im Notizbuch der kleinen Dame. »Was meinst du mit Brezelhaus-Lied? Das kann man aufmalen?«

Die kleine Dame schüttelte den Kopf und seufzte. »Oh nein. So einfach ist es nicht.« Sie notierte etwas. »Ich versuche, den Klang jeder einzelnen Stimme aufzumalen. Das hier ist der Regen.« Sie malte einen weiteren Kringel. »Leider ist es sehr, sehr schwer, seinen Klang einzufangen.« Sie blickte Lilly an. »Du musst wissen, jedes Haus melodiert auf seine ganz eigene Weise. Auch das Brezelhaus.«

Lilly fühlte, wie es sich in ihrer Brust ganz eng zusammenzog. »Dabei kann ich dir nicht helfen«, sagte sie. »Wir … wir ziehen nämlich bald aus dem Brezelhaus aus.«

Die kleine Dame machte ein verdutztes Gesicht. »Noch einmal flugs zurückgespult. Hast du gerade gesagt, ihr zieht aus dem Brezelhaus aus?«

Lilly nickte.

»Aber wieso, weshalb, warum wollt ihr euer Nest wechseln?«

»Mama und Papa meinen, unsere Wohnung ist zu klein. Vor allem, wenn jetzt das Baby kommt.«

Die kleine Dame schüttelte den Kopf. »Hat man je so einen Unsinn gehört! Jeder vernünftige Adler, der seinen Horst gefunden hat, bleibt. Jede kluge Meise, die ihren Nistkasten bezogen hat, bleibt. Und welcher Glückspilz könnte so töricht sein, sein Nest im Brezelhaus aufzugeben?«

»Keiner!«, rief Lilly und fuhr aufgeregt fort. »Karlchen und ich wollen ja auch nicht weg. Nie, niemals. Aber Mama meint, unsere Wohnung platzt aus allen Nähten. Und Papa besichtigt neue Wohnungen.«

Die kleine Dame sprang auf. »Aber euer Nest ist nicht zu klein. Es ist groß, was sage ich, es ist riesengroß!«

»Das sehen Mama und Papa anders.«

»Dann brauchen sie wohl eine Brille. Allein in euer Kinderzimmer würde mein Zelt zweimal passen. Und ihr habt überdies noch eine Schuh-Spiegel-Diele, ein Sofa-Sessel-Zimmer, eine Back-Pixmentier-Küche, ein Zähneputz-Badezimmer und einen Schlafschrank für deine Eltern!«