Die kleine Inseltöpferei - Fenna Janssen - E-Book
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Die kleine Inseltöpferei E-Book

Fenna Janssen

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Beschreibung

Ein Sommer voller Liebe, Lehm und Meeresrauschen.

Nella ist endlich angekommen. Die Porzellanmalerin hat nach einer Kindheit der Rastlosigkeit in Meißen ihren Platz gefunden. Als ihr Freund Florian sie mit einer Reise nach Langeoog überrascht, bleibt der romantische Antrag am Strand jedoch aus und Nella erfährt den wahren Grund ihres Urlaubs: Sie soll Florians Cousin bei seinem Souvenirladen unter die Arme greifen. Aber dann fühlt sie sich plötzlich zu dem lebensfrohen Jack hingezogen, der zwar keinen Schimmer von Buchhaltung hat, aber umso mehr vom Töpfern versteht ... 

Romantisch und voller Witz – das perfekte Lesevergnügen für den Urlaub.

Dieses E-Book Bundle enthält Teil 1-3 der einzeln erschienen E-Books "Die kleine Inseltöpferei": Teil 1: Träume in Pastell; Teil 2: Sehnsucht in Himmelblau; Teil 3: Liebe in Smaragdgrün.

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Über das Buch

Nella hat sich als Kind immer eine Heimat gewünscht, aber ihre Eltern sind stets mit ihr kreuz und quer durch Europa gereist. Als gelernte Porzellanmalerin hat sie in Meißen schließlich den Ort gefunden, der zu ihr passt und an dem sie sich zu Hause fühlt. Doch als ihr Freund sie kurzerhand für eine Woche nach Langeoog entführt, steht Nellas Leben plötzlich kopf. Sie verliebt sich in die bezaubernde Nordseeinsel, findet neue Freunde und ist fasziniert von dem gut aussehenden und charmanten Jack. In seiner kleinen Töpferwerkstatt knistert es gewaltig zwischen den beiden, aber wenn Nella mit diesem Mann glücklich werden will, muss sie ihr Schicksal mutig herausfordern und ihre Heimat verlassen.

Über Fenna Janssen

Fenna Janssen wurde in Lübeck geboren und wuchs in Hamburg auf. Viele Jahre war sie als Journalistin für diverse Zeitungen tätig. Inzwischen arbeitet sie erfolgreich als Autorin und bleibt auch in ihren Büchern ihrer norddeutschen Heimat treu.Im Aufbau Taschenbuch sind bereits ihre Romane »Der kleine Inselladen«, »Das kleine Eiscafé« sowie »Die kleine Strandbar« erschienen. Bei Rütten und Loening ist »Ein Sommer in Rimini« lieferbar.

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Fenna Janssen

Die kleine Inseltöpferei

Roman

Übersicht

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Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

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Titelinformationen

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1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

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15. Kapitel

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17. Kapitel

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19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

Impressum

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1. Kapitel

Die Kundin drehte den Wandteller um, fixierte dessen Unterseite mit ihrem Blick und runzelte die Stirn.

»Ich dachte, das hier wäre echtes Meißener Porzellan.«

»Ist es auch«, erwiderte Nella mit einem freundlichen Lächeln.

»Aber wo sind dann die gekreuzten Schwerter?« Die Frau sprach von dem weltbekannten Zeichen, das jedes einzelne Stück aus der Porzellanmanufaktur zierte.

Nella wollte zu einer Erklärung ansetzten, die sie im Laufe der Jahre bestimmt mehrere tausendmal abgegeben hatte. Doch da wandte sich die Kundin schon vom Tresen ab und rief laut durch den kleinen Verkaufsraum: »Hermann! Komm sofort her! Die wollen uns hier irgendeinen Mist aus China andrehen!«

Frechheit!, dachte Nella. Sie straffte die Schultern und hob das Kinn, als nun der Begleiter auftauchte. Beide waren um die fünfzig und fuhren mit ihrem Wohnmobil kreuz und quer durch Deutschland. Eben noch hatte Nella sich geduldig den langen Reisebericht angehört, bis die Kundin endlich Interesse an dem Wandteller gezeigt hatte. Nella hatte ihn abgenommen und über den Tresen gereicht. Er war wunderschön verarbeitet und in rosafarbenen und hellblauen Pastelltönen bemalt. Weinreben rankten sich um den äußeren Rand. In der Mitte begegneten sich zwei fein gezeichnete Schwalben in der Luft. Vielleicht befanden sie sich auf ihrem Hochzeitsflug. Oder sie trafen sich zufällig – wenn Nella oft genug darauf schaute, schienen sie vor ihren Augen zu tanzen. So einen Effekt hinzubekommen, war alles andere als leicht. Nella wusste das. Schließlich war sie selbst ausgebildete Porzellanmalerin. Fabrikware aus Asien würde da niemals heranreichen.

Während das Ehepaar nun gleichermaßen empört die Rückseite des Tellers betrachtete, sagte Nella: »Dieses Stück ist echte Handarbeit, das kann ich mit einem Zertifikat beweisen. Es stammt nur nicht aus der berühmten Manufaktur, sondern aus dem Atelier eines Kunsthandwerkers. Sehen Sie? Die Krone ist sein Zeichen, denn er heißt Ludwig Krone. Er beliefert unser Geschäft seit Jahren mit seinen Arbeiten. Wir finden, seine Motive sind einzigartig und seine Arbeitsweise ist tadellos. Er …« Sie merkte, dass sie zu viel redete und klappte den Mund zu.

Das Ehepaar tauschte einen kurzen Blick. Dann schaute der Mann Nella an, wobei sein Gesicht überrascht aufleuchtete.

Nella kannte das schon. Mit ihren nackenlangen schwarzen Haaren, den strahlend hellblauen Augen, ihrer blassen Haut und ihrer zierlichen Figur sah sie wie ein junges, unschuldiges Mädchen aus und strahlte gleichzeitig eine Sinnlichkeit aus, die sie allerdings selbst noch nie an sich wahrgenommen hatte. Ihr war das stets ausgesprochen peinlich, und so atmete sie auf, als der Mann nun endlich wieder wegsah.

»Sehr hübsch«, sagte die Kundin. »Aber wir sind nicht so weit gefahren, um – ähm – anderes Porzellan zu kaufen. Haben Sie nicht was mit den Schwertern? Es soll ein Hochzeitsgeschenk für unsere Tochter sein.«

»Ich finde diese Schwalben eigentlich recht hübsch«, bemerkte ihr Mann Hermann. »Die sehen aus, als würden sie sich nach einer langen Trennung endlich wiederfinden.«

Nella staunte. »Jeder sieht etwas anderes darin«, bemerkte sie, senkte aber den Kopf, damit er sie bloß nicht noch einmal anstarrte.

»Alles schön und gut«, warf die Kundin ein. »Aber ich will was mit Schwertern.«

Also nahm Nella den Wandteller wieder an sich und hängte ihn an seinen Platz zurück. Dann breitete sie vor dem Ehepaar eine Auswahl der Meißener Porzellanmanufaktur aus. Ein paar Vasen waren darunter, von klein bis groß genug für Sonnenblumen, ein zwölfteiliges Teeservice, mehrere Wandteller und sogar zwei Suppenterrinen von beachtlichen Ausmaßen. Letztlich entschied sich das Paar für zwei Kaffeebecher mit Blumenmotiven. Nellas Meinung nach waren sie nicht halb so schön wie Ludwig Krones Arbeit, aber sie trugen das begehrte Zeichen mit den gekreuzten Schwertern und waren zudem erschwinglich.

Zufrieden zogen die Touristen ab.

Während Nella die verschiedenen Stücke zurück an ihren Platz räumte, kam Florian aus dem Büro.

»Na, kein gutes Geschäft gemacht?«

Nella bemühte sich um ein Lächeln. Ihr Freund kannte sie ziemlich gut, und er ahnte sicherlich, dass sie dem Paar zur Strafe für den verschmähten Wandteller am liebsten das teure Teeservice verkauft hätte.

»Zwei Becher«, erwiderte sie grummelnd.

Florian nickte. »Du weißt doch, Kleinvieh macht auch Mist. Besser zwei Becher als gar nichts.«

»Klar.« Sie sah zu ihm hoch und ließ ihr Lächeln breiter werden, auch wenn Florian Berger vielleicht nicht unbedingt Mister Wonderful war. Seine Neigung zu hängenden Schultern ließ ihn immer ein bisschen erschöpft aussehen und seinen grauen Augen und seinem aschblonden Haar hätte sie nur zu gern etwas mehr Farbe verpasst, wäre Florian denn eine Zeichnung gewesen und nicht ein lebendiger Mensch. In jedem Liebesfilm hätte er die Rolle des gutmütigen besten Freundes gespielt, und nicht die des heißblütigen Helden.

Na und?, fragte sie sich nicht zum ersten Mal. Darauf kam es schließlich nicht an. Florian hatte andere Qualitäten. An seiner Seite verspürte Nella eine Sicherheit, die sie in ihren frühen Lebensjahren schmerzlich vermisst hatte.

Kurz lehnte sie sich an ihn und hoffte auf eine liebevolle Umarmung. Aber Florian lachte nur verlegen auf.

»Nicht in der Öffentlichkeit, Mäuschen.«

Nella mochte es nicht, Mäuschen genannt zu werden. Und welche Öffentlichkeit? Niemand außer ihnen war jetzt im Geschäft.

Trotzdem löste sie sich von ihm, nickte und fragte: »Brauchst du mich noch? In einer halben Stunde schließen wir sowieso, und ich würde gern ein bisschen raus an die frische Luft gehen.«

Florian zog die Brauen zusammen. »Eigentlich wollte ich in Ruhe die Buchführung weitermachen. Wenn dann Kunden kommen …«

»Das schaffst du schon.«

Auf einmal hatte sie es eilig, fortzukommen. Sie verstand selbst nicht, warum. Es ging ihr doch gut an Florians Seite. Sie war zweiunddreißig Jahre alt und hatte ihren Platz gefunden. Neuerdings jedoch überkam sie manchmal eine innere Unruhe, die sie nicht verstand. Sie hoffte, es läge nur daran, dass Florian sich mit seinem Antrag so viel Zeit ließ. Seit fünf Jahren waren sie jetzt ein festes Paar – wie lange wollte er eigentlich noch warten?

Weil er wohl spürte, dass sie verstimmt war, drückte er sie nun doch kurz an sich.

Nella stellte sich auf die Zehenspitzen, gab ihm einen schnellen Kuss auf die Wange und verließ dann das Geschäft. Draußen blieb sie erst einmal stehen und sog tief die Luft ein. Es war ein milder Nachmittag Mitte Juni, und das Leben spielte sich vorwiegend draußen ab. Einheimische wie Touristen genossen einen Bummel durch die Altstadt oder saßen in einem der vielen Straßencafés. Nella blickte hoch zum Burgberg mit dem Dom und der imposanten Albrechtsburg, und sofort fühlte sie sich ruhiger. Diese Stadt mit ihren geschichtsträchtigen Bauten vermittelte ihr wie immer ein Gefühl von Sicherheit und Zugehörigkeit. Seit sie, kaum volljährig, hierhergezogen war, hatte sie ihre Entscheidung nie bereut.

Kurz drehte sie sich um. Das Geschäft »Porzellan Berger« gehörte seit drei Generationen Florians Familie und lag direkt am Marktplatz. In dem altrosa verputzten Haus mit seinem schmucken Treppengiebel war im Erdgeschoss der Verkaufsraum eingerichtet. Die Wohnung darüber stand leer, seit Florians Eltern nach Teneriffa gezogen waren. Er selbst begnügte sich mit der winzigen Mansarde unter dem Dach.

Nella seufzte nun doch. Wenn er nur endlich zur Sache kommen würde! Dann könnten sie sich die größere Wohnung gemütlich einrichten, eine Familie gründen und ein wunderbares, ruhiges Leben führen. Nichts anderes wünschte sie sich.

Und Florian? Manchmal zweifelte Nella an seinen Absichten. Dann fragte sie sich, ob diese ganze schöne Zukunft, die sie sich seit Jahren ausmalte, möglicherweise nur ein Phantasiegebilde war, das in Kürze ausradiert sein würde.

Sie wandte sich ab und beschloss, zum Elbufer zu gehen. Der Blick aufs Wasser übte stets eine beruhigende Wirkung auf sie aus.

Weit war sie nicht gekommen, als ihr Handy klingelte.

»Hallo, Mama.«

»Rate mal, wo wir sind!«

Das war so ungefähr die dümmste Frage, die ihre Eltern ihr stellen konnten, und Nella verzog das Gesicht. Sie bog in die Elbstraße ein und setzte ihren Weg fort, während sie sagte: »Ostern wart ihr irgendwo in der Provence. Ich schätze, es gibt zu viele Möglichkeiten, deswegen versuche ich es gar nicht erst.«

»Komm schon, Nella-Kind. Gib dir ein bisschen Mühe.«

Sie mochte es auch nicht, Nella-Kind genannt zu werden. Warum glaubte alle Welt bloß, sie müsste verniedlicht werden, nur weil sie klein und zierlich war?

»Ich komme wirklich nicht darauf. Außerdem …«

»Was denn?«

»Ach, nichts.«

Um ein Haar hätte sie gesagt, was sie wirklich dachte: Dass es sie kein bisschen interessierte, wo sich ihre Eltern derzeit befanden. Oder, um ganz ehrlich zu sein: Dass sie wünschte, Mandy und Georg Hansen wären ein normales Ehepaar im Rentenalter, das in einem hübschen Häuschen auf der anderen Elbseite lebte, gern im Garten arbeitete und sich auf Enkelkinder freute.

Bloß war an Mandy und Georg gar nichts normal. Als Deutschland vor mehr als dreißig Jahren wiedervereinigt worden war, hatte sie nichts mehr in der sächsischen Provinz gehalten. Damals waren sie ungefähr in Nellas Alter gewesen. Sie hatten sich einen gebrauchten Bus gekauft und waren in die Welt hinausgefahren. Georg war Kunstmaler und verdiente sich ein bisschen Geld mit Porträts, Mandy nahm Putzstellen an, wenn sie irgendwo länger blieben. Sie waren arm, oft hatten sie kaum etwas zu essen. Aber die Freiheit war für sie das höchste Gut, und sie änderten ihren Lebensstil auch nicht, als an der Costa Brava ihre Tochter zur Welt kam.

Als Kind hatte Nella geglaubt, alle Menschen würden so leben wie sie. Immer unterwegs, immer am Rande des Existenzminimums. Erst als sie älter wurde, fiel ihr auf, dass andere Leute ein festes Dach über dem Kopf hatten, ihre Kinder zur Schule schickten und höchstens einmal im Jahr eine Urlaubsreise unternahmen.

Nella wurde von Mandy unterrichtet, und je älter sie wurde, desto mehr wuchs ihre Sehnsucht nach einer Heimat. Die kleine Stadt Meißen wurde zum Ziel ihrer Träume. Von dort stammte ihre Familie, und das wenige, das Mandy und Georg erzählten, bestärkte sie in ihrem Wunsch. Meißen klang wunderbar normal, das Leben dort versprach ruhig und vielleicht sogar ein wenig langweilig zu sein.

Als Nella ihren Eltern mitteilte, sie wolle dorthin ziehen und eine Ausbildung zur Porzellanmalerin absolvieren, schüttelten beide nur fassungslos den Kopf. Sie verstanden nicht, dass Nella etwas brauchte, was sie ihr nicht geben konnten: Beständigkeit.

»Bist du noch dran?«, rief ihre Mutter. »Oder kannst du nicht reden, weil dein spießiger Freund dir schon strafende Blicke zuwirft?«

»Florian ist nicht spießig«, gab Nella empört zurück. Sie beschleunigte ihren Schritt, als könnte sie vor den Anschuldigungen davonlaufen. »Er ist ein guter und zuverlässiger Mann, der mich liebt und sein Leben mit mir verbringen will.«

»Wie aufregend!« Mandys Stimme troff vor Sarkasmus.

»Was hast du eigentlich dagegen, wenn ich heiraten und Kinder haben will?«

»Gar nichts. Aber es sollte schon der richtige Mann sein.«

»Du bist ungerecht. Ihr habt Florian nur einmal kennengelernt, als ihr vor zwei Jahren zu Besuch hier wart und …«

»Das hat mir völlig gereicht, um mir ein Urteil zu bilden«, fiel ihre Mutter ihr ins Wort. »Der Mann passt nicht zu dir, Nella.«

»Ach, hör schon auf. Du bist mit Papa doch auch seit bald vierzig Jahren zusammen.«

»Dein Vater ist aber ein ganz anderer Mensch. Er ist abenteuerlustig und hat eine freie Seele.«

Freie Seele? Was soll das sein?, fragte sich Nella.

»Du meinst, es macht ihm nichts aus, wenn der Tank leer ist, der Regen durch das Busdach tropft und das letzte Stück Brot gegessen ist?«

»Ach, Nella. Es tut mir leid, dass deine Kindheit anscheinend so schrecklich war.«

So schlimm war sie gar nicht, hätte sie gern geantwortet. Es hatte auch schöne und lustige Zeiten gegeben, aber sie hatte diese Art von Gespräch schon zu oft mit ihren Eltern geführt, um jetzt noch einzulenken.

Daher sagte sie nur: »Ich – ähm – habe kurz was besorgt. Aber jetzt muss ich zurück ins Geschäft.«

»Warte, Nella. Ich wollte nicht streiten. Du sollst glücklich werden.«

»Aber nicht an der Seite von Florian, wenn es nach euch geht.«

»Na ja, also …«

»Lass gut sein, Mama.«

Sie hörte ein lang anhaltendes Seufzen und musste lächeln. Ihre Mutter klang genau wie sie selbst, wenn ihr etwas zu schaffen machte.

Schließlich fragte Mandy: »Habt ihr jetzt eigentlich schon feste Pläne gemacht? Wann soll die Hochzeit sein? Sind wir eingeladen?«

Nella war auf einmal froh, dass dies kein Videoanruf war. Sie spürte, wie sie rot anlief, blieb stehen und kämpfte um ihre Fassung.

»Nein«, meinte sie dann. »Noch nicht.«

»Das heißt, er hat dir immer noch keinen Antrag gemacht?«

Einerseits klang Mandy erleichtert, andererseits beleidigte es wohl ihre Ehre als Mutter, dass ihre Tochter hingehalten wurde.

»Worauf wartet er denn noch? Florian ist zwei Jahre älter als du.«

Fast hätte Nella gelacht. Es klang, als stünde ihr Freund schon mit einem Bein im Grab.

»Kein Grund sich aufzuregen.«

»Hör zu Nella, wenn er es nicht tut, dann machst du es eben.« So ganz logisch verhielt sich ihre Mutter nicht, aber das kannte Nella von ihr nicht anders.

»Bist du nun für oder gegen Florian?«, wollte sie trotzdem wissen.

»Ist doch egal. Also? Machst du ihm einen Antrag?«

»Auf keinen Fall. In dem Punkt bin ich altmodisch.«

»Na gut.« Ihre Mutter hatte offenbar genug von dem Thema, denn sie sagte: »Übrigens hast du noch nicht erraten, wo wir sind. Soll ich es dir sagen?«

»Klar«, erwiderte Nella.

»In Vilassar de Mar.«

»Ach …« Nella musste schlucken. In der Kleinstadt nördlich von Barcelona war sie geboren worden, und im Laufe der Jahre waren ihre Eltern immer mal wieder mit ihr dorthin gefahren. Doch als Heimat hatte sie den Ort nie empfunden.

Auf einmal drehte sie sich um und ging zurück in Richtung Marktplatz.

Meine Heimat ist hier in Meißen, sagte sie sich. Bei Florian.

»Weißt du«, redete ihre Mutter weiter, »es hat sich gar nicht so viel verändert. Vielleicht bleiben wir ein Weilchen hier und hängen alten Erinnerungen nach. Ich sehe noch vor mir, wie dein Papa mit dir zum ersten Mal an den Strand gegangen ist und …«

»Tut mir leid, ich muss Schluss machen.«

Es brachte sie nur durcheinander, mit ihrer Mutter zu reden. Sie fühlte sich dann wieder wie das unsichere Mädchen, das seinen Platz im Leben nicht kannte.

»Willst du nicht noch mit Papa sprechen?«

»Wirklich, ich kann nicht. Bitte grüß ihn ganz herzlich.«

»Wird gemacht, Nella-Kind. Und sag Bescheid wegen der Hochzeit. Wir werden ja ein Weilchen brauchen, um bis nach Meißen zu kommen.«

Nella drückte das Gespräch weg und ging schneller. Fast rannte sie, und als sie die Tür zum Geschäft aufstieß, war sie außer Atem.

Florian kam nach vorn. »Ach, du bist es. Warst ja nicht lange weg.«

Sie wartete darauf, dass ihr Herz bei seinem Anblick vor Glück stehen blieb, aber es klopfte unbeirrt weiter.

»Ich wollte nur einen kurzen Spaziergang machen.«

»In Ordnung. Dann kann ich mich wieder um die Buchführung kümmern, und du hältst die Stellung?«

»Klar, ich schließe auch gleich ab. Wollen wir vielleicht nachher essen gehen?«

»An einem Donnerstag?«

Irgendwann einmal hatten sie es sich zur Gewohnheit gemacht, nur am Samstag ein Restaurant aufzusuchen. Nella hatte diese Regelung immer gefallen.

»Ich … dachte, wir können ja mal eine Ausnahme machen.« Sie ahnte, es lag am Anruf ihrer Mutter, dass sie plötzlich aus ihrem gewohnten Trott ausbrechen wollte.

Schon setzte sie zu einer Entschuldigung an, als Florian auf einmal nickte. »Warum eigentlich nicht? Ich will dir sowieso etwas erzählen, und dann können wir ein bisschen feiern.«

Ratlos sah Nella zu, wie er wieder im Büro verschwand. Wenn das die Ankündigung eines Antrags sein soll, ist die aber höchst seltsam, fand sie.

Als sie ein paar Minuten später die Eingangstür abschließen wollte, klingelte das Telefon.

»Porzellan Berger, was kann ich für Sie tun?«

»Sehr viel, hoffe ich. Sie sind Nella, richtig? Die zauberhafte Freundin meines glücklichen Cousins?«

»Ich … äh … ich glaube schon«, stammelte Nella und fragte sich entsetzt, wie es möglich war, dass eine Männerstimme wie Meeresrauschen klang.

2. Kapitel

Nella fuhr mit dem Bus von ihrer Einzimmerwohnung in Meißen-Nord zurück in die Altstadt. Der warme Tag ging in einen lieblichen Abend über, und sie hatte sich für ein luftiges Sommerkleid entschieden. Florian hatte zwar gemeint, es sei nicht nötig, dass sie extra heimfuhr, um sich umzuziehen, aber sie hatte darauf bestanden. Sie wolle sich hübsch machen für ihn, hatte sie mit einem Lächeln gesagt.

Was nicht die ganze Wahrheit gewesen war. Der Anrufer vorhin hatte sie durcheinandergebracht, und auch jetzt, mehr als eine Stunde später, ging ihr die Stimme nicht aus dem Kopf. Fast glaubte sie, das Meer riechen zu können. Nicht das warme, sonnendurchflutete Mittelmeer, das sie aus ihrer Kindheit so gut kannte, sondern den Ozean des Nordens – scheinbar kalt und grau, doch zugleich samtig und verlockend.

Unwillkürlich schauderte sie und schlang die Arme um den Oberkörper. Im Bus war die Klimaanlage ausgefallen, und es herrschten mindestens dreißig Grad. Nella fröstelte trotzdem.

Sie hatte dem Anrufer noch nicht antworten können, da hatte Florian schon im Büro den Hörer abgenommen und ihr durch die offene Tür zugerufen: »Das ist für mich, Mäuschen! Mein Cousin Johannes. Du kannst auflegen.«

»Moment mal«, hatte der Mann protestiert. »Ich würde mich gern mit Ihnen unterhalten.«

»Worüber?«

»Nun, es wäre zum Beispiel nett, Ihren Namen zu erfahren. Sie können unmöglich Mäuschen heißen.«

»Nella Hansen.«

»Wunderbar.«

Wunderbar? Sie hatte dann doch lieber den Hörer aufgelegt und abgewartet, ob Florian ihr anschließend eine Erklärung liefern würde. Doch das tat er nicht, sondern murmelte nur etwas von einer Überraschung, über die er sowieso beim Essen mit ihr sprechen wollte.

Nella mochte keine Überraschungen. Davon hatte es früher genug gegeben. Plötzliche Ortswechsel, wenn sie sich gerade mühsam irgendwo eingelebt hatte, neue Nachbarskinder, die sie bestenfalls mitleidig anstarrten, schlimmstenfalls mit dem Finger auf sie zeigten und sie auslachten, weil sie so ärmlich gekleidet war, weil sie in einem schrottreifen Wohnmobil lebte und weil sie kein Portugiesisch oder Französisch oder Italienisch sprach.

Wenn jedoch Florian so geheimnisvoll tat, dann konnte das doch nur mit ihren Zukunftsplänen zu tun haben, oder? Aber wie passte sein Cousin Johannes Berger da rein? Nella wusste wenig über den Mann. Nur, dass er das schwarze Schaf der Familie war und auf einer kleinen Insel in der Nordsee lebte.

Florian hatte ein italienisches Restaurant vorgeschlagen, und obwohl Nella deutsche Hausmannskost bevorzugte, willigte sie ein. Eine halbe Stunde später saßen sie an einem Tisch draußen, tranken Rotwein und aßen Spaghetti mit Meeresfrüchten.

Nella fragte sich zum hundertsten Mal, was das Ganze sollte. Florians Geheimnistuerei, seine leuchtenden Augen, seine kleinen Bemerkungen über eine aufregende Neuigkeit. Das konnte doch nur eines bedeuten, oder?

Sie blinzelte ihrem Freund zu und beschwor ihn im Geiste: Nun sprich endlich! Sag mir, dass du mich heiraten willst! Sag mir, dass du die Wohnung deiner Eltern für uns herrichten lässt!

Aber Florian blinzelte nur aus seinen grauen Augen zurück und meinte: »So etwas sollten wir uns öfter gönnen.«

Dann hob er sein Glas, um mit ihr anzustoßen, räusperte sich und fügte hinzu: »Nächste Woche sind wir im Wattenmeer.«

»Du meinst, wir ziehen ein? Das ist ja toll! Wie hast du denn die Renovierung geschafft, ohne dass ich etwas davon mitbekommen habe? Etwa abends, wenn ich schon weg war?«

»Renovierung? Was? Und einziehen? Wohin denn?« In diesem Augenblick strahlte Florian nicht unbedingt eine hohe Intelligenz aus.

Nella lachte. »In die Wohnung im ersten Stock, wohin denn sonst?«

»Eigentlich ist es nur ein Zimmer in einer Pension, aber dafür mit einem extra langen Bett. Meine Füße werden jedenfalls nicht überhängen.«

»Deine Füße, aha. Florian?«

»Ja, Mäuschen?«

»Wovon redest du?«

»Von unserer Woche auf Langeoog, natürlich.«

Ein Gefühl schwappte in ihr Herz, so plötzlich wie eine Sturmflut bei Nordwestwind. Berauschende Freude, blanke Panik. Nella hatte nicht gewusst, dass beide Gefühle zu einem einzigen zusammengewirbelt werden konnten. Bis jetzt.

»Langeoog.« Ihre Stimme krächzte wie die einer alten Frau.

»Genau, ist das nicht eine tolle Überraschung? Jack hat uns eingeladen.«

»Uns?«

»Ja, freust du dich gar nicht?«

»Ähm …« Ein paar Nudeln fielen von ihrer Gabel auf den Teller zurück.

»Ich verstehe überhaupt nichts. Wer ist Jack?«

»Mein Cousin Johannes.«

»Ach so.« Sie musste ein bisschen Zeit gewinnen. »Der vorhin angerufen hat. Aber ich dachte, ihr hättet keinen Kontakt.«

Florian hob die hageren Schultern. »Seit er damals nicht mit ins Geschäft einsteigen wollte, ist er in der Familie unten durch. Aber ich mochte ihn immer gern. Er ist ja nur drei Jahre älter als ich. Wir sind wie Brüder aufgewachsen. Bis er dann alles hingeschmissen hat.«

Er trank einen weiteren Schluck Wein. »Ich ging zu der Zeit noch zur Schule und erinnere mich genau daran, wie Johannes verkündete, dass er ab sofort Jack heißen wolle. Wie Jack London, der Abenteuerschriftsteller. Und genau so wollte er auch leben. Um die Welt reisen …«

»… und Bücher schreiben?«

Florian lachte kurz auf. »Tja, er hat wohl ziemlich schnell erkannt, dass er kein Talent zum Schreiben hat. Er ist eher Kunsthandwerker. Und um die Welt ist er auch nicht gereist. Ist irgendwie in Langeoog hängen geblieben und besitzt da einen Souvenirladen.«

»Kunsthandwerker?« hakte Nella nach.

»Ja, da habt ihr was gemeinsam. Er ist wohl ein ganz ordentlicher Töpfer. Er verkauft nicht nur irgendwelchen Kitsch, sondern auch die eigenen Werke.«

»Verstehe.« Dabei verstand sie gar nichts mehr. Ja, sie hatte neben der Lehre zur Porzellanmalerin auch das Töpferhandwerk erlernt. Aber seit Jahren schon tat sie weder das eine noch das andere.

»Und deshalb also hat er vorhin angerufen?«, fragte sie nach.

»Ganz genau.«

»Einfach so?«

»Mhm.«

»Nach all den Jahren will er dich wiedersehen und lädt dich nach Langeoog ein?«

»Habe ich doch gerade gesagt. Und nicht nur mich, sondern uns beide. Nun ja, wenn du es genau wissen willst, war das meine Bedingung.«

»Dass ich mitkomme?«

»Ja. Ich will natürlich nicht ohne dich fahren.«

Nella spürte, dass dies nicht die ganze Wahrheit war. Irgendetwas verbarg Florian vor ihr, aber sie kam nicht darauf, was es war. Er schien auch langsam die Geduld zu verlieren. Seine Stirn war gerunzelt, seine Mundwinkel zeigten nach unten.

Nur, was hatte er denn erwartet? Freudensprünge? Statt eines Heiratsantrags schlug er ihr eine Woche Ferien vor. Das musste erst mal verdaut werden, fand Nella. Außerdem hatte Florian stets behauptet, er reise genauso ungern wie sie selbst. Nella widmete sich ebenfalls ihrem Wein. Die Spaghetti schmeckten ihr ohnehin nicht besonders.

Florians gute Laune kehrte zum Glück schnell zurück. Dies war eine der Eigenschaften, die sie besonders an ihm liebte. Er konnte nie lange böse sein und legte großen Wert auf Harmonie zwischen ihnen.

»Übrigens scheinst du vorhin am Telefon starken Eindruck auf ihn gemacht zu haben«, sagte er mit einem Schmunzeln.

Ihr Herz setzte einen Schlag aus.

Wir haben doch kaum ein paar Worte miteinander gewechselt, dachte sie bei sich, sprach es aber nicht aus. Auch die Tatsache, dass ihr diese energische Baritonstimme seit nunmehr zwei Stunden nicht mehr aus dem Kopf ging, gehörte nicht hierher. Das war sowieso bloß Einbildung. Vielleicht, dachte Nella plötzlich, vielleicht war es sogar eine gute Idee, den legendären Cousin kennenzulernen. Das würde ihr helfen, ihre Gefühle wieder an den rechten Platz zu rücken. Liebe auf den ersten Blick mochte es ja geben, aber von Liebe auf den ersten Wortwechsel hatte sie noch nie gehört.

Außerdem liebe ich Florian, sagte sie sich im Stillen. Er ist ein guter Mann! Zuverlässig und freundlich.

Sie griff über den Tisch nach seiner Hand und drückte sie fest. Florian grinste, entzog ihr dann seine Hand und rollte eine Gabel voll Nudeln auf. Nella leerte ihr Weinglas und betrachtete ihren Freund nachdenklich.

Doch, ich liebe ihn, dachte sie erneut und nickte dazu, als müsse sie diese Tatsache vor sich selbst bestätigen. Als seien erst ein paar Tage und nicht fünfeinhalb Jahre vergangen, erinnerte sie sich daran, wie sie zum ersten Mal das Porzellangeschäft Berger betreten hatte. Damals hatte sie sich bereits ein gutes Leben in Meißen aufgebaut. Sie arbeitete als Porzellanmalerin in der Manufaktur, teilte sich mit einer Kollegin eine Wohnung und genoss ihr Leben, das in ruhigen Bahnen verlief.

Das Geschäft am Marktplatz weckte schon seit einiger Zeit ihre Neugier. Damals fand Nella, das kleine Schaufenster sei langweilig dekoriert, und auch der Verkaufsraum präsentierte sich wenig einladend. Vollgestopfte Regale, kaum Licht und so enge Gänge, dass jeder Kunde Angst haben musste, etwas kaputt zu machen.

»Hier fühlt man sich ja wie der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen!«, rief sie aus und erntete einen bitterbösen Blick von einem jungen hageren Mann hinter dem Tresen.

Zehn Minuten lang hatte sie sich daraufhin entschuldigt und gar nicht mitbekommen, dass der junge Mann längst nicht mehr böse, sondern eher interessiert guckte.

Ein paar Tage später gingen sie zum ersten Mal aus. Nellas Mitbewohnerin fragte, was sie bloß mit so einem Langweiler anfangen wolle, aber Nella wusste: Florian Berger war genau der Mann, nach dem sie unbewusst seit ihrer Ankunft in Meißen Ausschau gehalten hatte. Ein zurückhaltender, ruhiger Typ, der ihr nicht die Sterne vom Himmel holte, sondern ihr irgendwann vorschlug, im Porzellangeschäft der Familie zu arbeiten. Sie sei künstlerisch begabt und habe einen Blick für Inneneinrichtung und Schaufensterdekoration, genau so jemanden bräuchten sie dringend. Nella hatte lange gezögert. Sie war gern Porzellanmalerin, aber die Arbeit in der Manufaktur wurde ihr zunehmend langweilig, weil sie doch meist nur Motive nach Schablonen auftrug. Und töpfern könnte sie weiterhin auch in ihrer Freizeit. Außerdem war die Bezahlung gut, also nahm sie an. Insgeheim stellte sie sich natürlich vor, dass sie eines Tages Florian heiraten und Mitbesitzerin des Geschäfts werden würde. Aber diesen Traum fand sie ein bisschen unverschämt, deshalb sprach sie mit niemandem darüber. Sie verdiente genug, um sich eine eigene kleine Bleibe zu mieten.

Keine Mitbewohnerin konnte ihr von da an in ihre Beziehung reinreden. Schwierig blieb es nur mit ihren Eltern, die mit Florian so gar nichts anfangen konnten. Aber dies hier war ihr, Nellas Leben, und sie machte sich mit Begeisterung daran, es neu zu gestalten.

Zunächst verpasste sie dem Geschäft eine Verjüngungskur, stellte nur noch wenige, aber erlesene Stücke ins Schaufenster, entrümpelte den Verkaufsraum, strich ihn eigenhändig in hellen, fröhlichen Farben, fand Kunsthandwerker wie Ludwig Krone und verwandelte »Porzellan Berger« nach und nach in ein florierendes kleines Unternehmen.

Ihre Eltern behaupteten, sie lasse sich ausnutzen, aber Nella wusste, dass sie für ihre eigene Zukunft arbeitete. Florian und sie wurden ein gutes Team im Geschäft, und privat waren sie ein Paar, das keine aufregenden Höhepunkte, aber auch keine nervenzehrenden Dramen kannte.

Manchmal wünschte Nella, Florian wäre ein bisschen liebevoller, manchmal fragte sie sich sogar, ob seine Gefühle für sie möglicherweise nachließen. Aber darüber wollte sie lieber nicht so genau nachdenken.

Außerdem: Die Tatsache, dass er mit ihr verreisen wollte, zeigte doch, dass ihm sehr wohl viel an ihr lag. Und – an diesem Punkt ihrer Überlegungen schnappte sie nach Luft – vielleicht gehörte die Reise nach Langeoog ja zu einem ausgeklügelten Plan. Dort, an einem Strand, in einem Dünental oder an einem anderen romantischen Ort, würde Florian auf die Knie sinken und sie bitten, seine Frau zu werden.

Hoffentlich nicht bei einer Wattwanderung, dachte sie und kicherte. Florian hat es nicht so gern, wenn seine Sachen schmutzig werden.

Sie begriff, dass drei Gläser Wein auf fast leeren Magen zu viel waren, und trank lieber schnell einen großen Schluck Wasser.

»Was ist so lustig?«, fragte Florian, der seinen Teller inzwischen leer gegessen hatte.

»Ach, nichts.« Nella bemühte sich um einen ernsthaften Gesichtsausdruck. So ganz gelang er ihr nicht, aber Florian lächelte nachsichtig.

»Stell dir nur vor, eine Woche Nordsee. Frische Luft, gutes Essen und lange Tage am Strand.«

»Klingt gut.« Nella begann, sich für den Gedanken zu erwärmen. In den letzten Jahren waren sie höchstens für ein Wochenende nach Dresden gefahren.

Sie hatte sich einmal vorgenommen, auf große Reisen für den Rest ihres Lebens zu verzichten. Aber Langeoog war ja noch in Deutschland. Das zählte vielleicht nicht. Und eine Woche war ein überschaubarer Zeitraum.

»Aber was wird aus dem Geschäft?«, fragte sie.

»Meine Eltern kommen in ein paar Tagen her. Sie haben Sehnsucht nach der Heimat und übernehmen die Arbeit, während wir weg sind.«

»Also ist alles schon geplant.«

»Ganz genau.« Florian grinste sie an. »Habe ich zu viel versprochen? Ist das nicht eine wundervolle Neuigkeit?«

Nella antwortete nicht sofort. Sie wollte sich ja freuen, aber sie war auch besorgt. Selbst wenn es stimmte, was sie sich eben ausgemalt hatte. Selbst wenn Florian wirklich um ihre Hand anhalten wollte – es gab da ein klitzekleines Problem namens Jack Berger.

Wenn mich schon seine Stimme durcheinanderbringt, dachte Nella beklommen, was passiert dann, wenn ich ihm begegne?

Im nächsten Moment schalt sie sich einen Dummkopf. Sie hatte sich da in etwas verrannt, ganz klar. Ab sofort würde sie keine Sekunde mehr an Florians Cousin denken.

Also stand sie auf, ging um den Tisch herum und setzte sich auf Florians Schoß.

»Ich freue mich.« Dann küsste sie ihn lange und ausgiebig. Florian ließ es zu und erwiderte sogar ihren Kuss. Auf einmal machte es ihm anscheinend nichts mehr aus, mit ihr in der Öffentlichkeit Zärtlichkeiten zu tauschen. Wahrscheinlich hatte er auch mehr Wein getrunken, als ihm guttat.

Erst als der Kellner an ihren Tisch trat, ließ Nella von ihrem Freund ab und kehrte zu ihrem Platz zurück. Dass ihr Herz wieder keine Anstalten machte, vor lauter Glück kurz auszusetzen, ignorierte sie.

Stattdessen lachte sie auf, als Florian nun eine Flasche Prosecco bestellte.

»Wir haben etwas zu feiern«, erklärte er dem Kellner, und Nella fragte sich kurz, ob er vielleicht hier und jetzt schon auf die Knie fallen würde.

Aber nein, das wäre ihm dann wohl doch zu viel öffentliche Aufmerksamkeit.

Oder? Als er in seine Hosentasche griff, bekam sie plötzlich Zweifel. Aber dann zog er nur sein Smartphone hervor und wischte eine Weile darauf herum.

»Jack hat mir ein paar Fotos geschickt«, sagte er. »Willst du mal sehen?«

»Ähm, nö.«

Florian hob die Brauen. »Nein? Warum denn nicht?«

Er drehte das Smartphone zu ihr um, und Nella kniff schnell die Augen zusammen.

»Was hast du denn? Hier, schau doch. Das ist Jack.«

Sie wusste, sie machte sich lächerlich, also öffnete sie die Augen, blickte aber nicht auf das Display, sondern knapp darüber und betrachtete einen Knopf an Florians Hemd. Wie sie es schaffte, den Blick nicht zu senken, wusste sie selbst nicht, aber der kleine blaue Knopf auf gestreifter Baumwolle gab ihr Halt.

Florian merkte nichts.

»Er sieht unverschämt gut aus, findest du nicht? Der Glückspilz hat nur die besten Gene in der Familie abbekommen. Früher war ich ganz schön neidisch auf ihn.«

»Aha«, murmelte Nella und fixierte den Knopf, als hinge ihr Leben davon ab.

»Und Langeoog scheint ihm gut zu bekommen«, fuhr Florian ahnungslos fort. »Er ist blonder als früher, und seine blauen Augen wirken in dem braun gebrannten Gesicht viel heller. Ich finde ja, er sieht ein bisschen wie Bradley Cooper aus, mit helleren Haaren und ohne Bart.«

Das war zu viel für Nella. Sie verabschiedete sich von dem Knopf und richtete ihren Blick endlich auf das Display.

»Herrgott!«, stieß sie aus.

»Was ist denn, Mäuschen?«

Nella hob den Blick und lächelte sanft.

»Dein Cousin kann dir nicht das Wasser reichen«, erklärte sie entschieden und fragte sich, ob dies womöglich die größte Lüge ihres Lebens war.

3. Kapitel

Eine Woche verging mit hektischen Vorbereitungen. Nella überlegte sich ständig neue Ausreden, mit denen sie die Reise absagen konnte, doch keine erschien ihr plausibel genug.