Die Klinik am See 41 – Arztroman - Britta Winckler - E-Book

Die Klinik am See 41 – Arztroman E-Book

Britta Winckler

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Beschreibung

Besonders beliebt bei den Leserinnen von Arztromanen ist der Themenbereich Frauenklinik. Gerade hier zeigt sich, wie wichtig eine sensible medizinische und vor allem auch seelische Betreuung für die Patientinnen ist, worauf die Leserinnen dieses Genres großen Wert legen. Die große Arztserie Klinik am See setzt eben dieses Leserinteresse überzeugend um. Britta Winckler ist eine erfahrene Romanschriftstellerin, die in verschiedenen Genres aktiv ist und über hundert Romane veröffentlichte. Die Serie Die Klinik am See ist ihr Meisterwerk. Es gelingt der Autorin, mit dieser großen Arztserie die Idee umzusetzen, die ihr gesamtes Schriftstellerleben begleitete. Sie selbst bezeichnete ihre früheren Veröffentlichungen als Vorübungen für dieses grandiose Hauptwerk. Ein Schriftsteller, dessen besonderer erzählerischer Wunsch in Erfüllung geht, kann mit Stolz auf sein Schaffen zurückblicken. Neuhausen, eine knapp Tausend-Seelen-Gemeinde, war nicht groß. Es hatte auch nichts Besonderes zu bieten. Jedenfalls nichts, was Touristen und Erlebnishungrige angelockt hätte. Zwischen den in alpenländischen Stil erbauten Häusern war wenig von Leben und Betriebsamkeit zu merken. Der ganze Ort, eingebettet zwischen den Schlierseer Bergen, strömte eine geradezu himmlische Ruhe aus. Einen Touristenboom, wie er an vielen anderen zwischen und an den Bergen dieses Teils von Bayern gang und gäbe war, gab es hier nicht. Wahrscheinlich war es auch diese Ruhe, die eine Ruhe von gut betuchten, aber auch gestreßten Geschäftsleuten aus der Großstadt dazu inspiriert hatte, sich in diesem etwas abseits von den verkehrsreichen Straßen liegendem Ort niederzulassen, um irgendwann einmal den Lebensabend in dieser idyllischen Abgeschiedenheit zu verbringen. Das war auch bei Katharina Seelinger der Grund gewesen, in Neuhausen seßhaft zu werden. Ihr Haus, von den Einheimischen Villa Seelinger genannt, war eine gutgelungene Mischung von Bungalow und alpenländischem Fachwerkbau. Es stand an einem sanften Hang oberhalb des Ortes und war von einer fast mannshohen Hecke umgeben. Von den Fenstern der oberen Etage konnte man ganz Neuhausen überblicken, bis hinüber zur Ostseite des Wallberges. Vor Jahren, als ihr Mann noch lebte, war Katharina Seelinger ganz zufällig in diese Gegend gekommen und hatte sich gerade in dieses Haus verliebt. Ihr Mann hatte es dann noch kurz vor seinem Tode gekauft, und sie war kurzentschlossen in dieses Haus eingezogen, während ihr Mann noch die letzten paar Monate bis zu seinem Tode in der Stadtwohnung in München verbracht hatte, die sein Sohn aus erster Ehe nun bewohnte. An diesem, ihrem Stiefsohn, hatte sie bisher keine große Freude gehabt. Lothar Seelinger war ihr zu haltlos. Sein Lebenswandel gefiel ihr nicht. Er war jetzt fast dreißig Jahre alt, hatte es immer noch nicht zu etwas gebracht und lebte eigentlich nur von dem Geld, das sie ihm laut einer testamentarischen Verfügung ihres verstorbenen Mannes jeden Monat zukommen ließ. Wenig war das nicht gerade. Dafür mußten andere in seinem Alter schwer oder zumindest angestrengt arbeiten. Dennoch war er stets knapp bei Kasse, besonders in dem letzten halben Jahr, seit er eine Barsängerin als Freundin hatte, die er als seine Verlobte ausgab.

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Die Klinik am See – 41–

Wann wird Hochzeit sein?

Gemeinsame Sorte führte sie zusammen

Britta Winckler

Neuhausen, eine knapp Tausend-Seelen-Gemeinde, war nicht groß. Es hatte auch nichts Besonderes zu bieten. Jedenfalls nichts, was Touristen und Erlebnishungrige angelockt hätte. Zwischen den in alpenländischen Stil erbauten Häusern war wenig von Leben und Betriebsamkeit zu merken. Der ganze Ort, eingebettet zwischen den Schlierseer Bergen, strömte eine geradezu himmlische Ruhe aus. Einen Touristenboom, wie er an vielen anderen zwischen und an den Bergen dieses Teils von Bayern gang und gäbe war, gab es hier nicht. Wahrscheinlich war es auch diese Ruhe, die eine Ruhe von gut betuchten, aber auch gestreßten Geschäftsleuten aus der Großstadt dazu inspiriert hatte, sich in diesem etwas abseits von den verkehrsreichen Straßen liegendem Ort niederzulassen, um irgendwann einmal den Lebensabend in dieser idyllischen Abgeschiedenheit zu verbringen.

Das war auch bei Katharina Seelinger der Grund gewesen, in Neuhausen seßhaft zu werden. Ihr Haus, von den Einheimischen Villa Seelinger genannt, war eine gutgelungene Mischung von Bungalow und alpenländischem Fachwerkbau. Es stand an einem sanften Hang oberhalb des Ortes und war von einer fast mannshohen Hecke umgeben. Von den Fenstern der oberen Etage konnte man ganz Neuhausen überblicken, bis hinüber zur Ostseite des Wallberges.

Vor Jahren, als ihr Mann noch lebte, war Katharina Seelinger ganz zufällig in diese Gegend gekommen und hatte sich gerade in dieses Haus verliebt. Ihr Mann hatte es dann noch kurz vor seinem Tode gekauft, und sie war kurzentschlossen in dieses Haus eingezogen, während ihr Mann noch die letzten paar Monate bis zu seinem Tode in der Stadtwohnung in München verbracht hatte, die sein Sohn aus erster Ehe nun bewohnte.

An diesem, ihrem Stiefsohn, hatte sie bisher keine große Freude gehabt. Lothar Seelinger war ihr zu haltlos. Sein Lebenswandel gefiel ihr nicht. Er war jetzt fast dreißig Jahre alt, hatte es immer noch nicht zu etwas gebracht und lebte eigentlich nur von dem Geld, das sie ihm laut einer testamentarischen Verfügung ihres verstorbenen Mannes jeden Monat zukommen ließ. Wenig war das nicht gerade. Dafür mußten andere in seinem Alter schwer oder zumindest angestrengt arbeiten. Dennoch war er stets knapp bei Kasse, besonders in dem letzten halben Jahr, seit er eine Barsängerin als Freundin hatte, die er als seine Verlobte ausgab. Ihr gegenüber tat er das jedenfalls. War er früher nach dem Tode seines Vaters alle zwei bis drei Monate einmal zu ihr auf Besuch gekommen – meistens dann, wenn Ebbe in seiner Brieftasche war – so erschien er nun seit ein paar Monaten mindestens jede zweite Woche. Immer in Begleitung seiner angeblichen Verlobten. Für diese junge Frau konnte Katharina Seelinger beim besten Willen keine Sympathien aufbringen. Diese Rita Gassner, wie ihr Name lautete, war ihr zu keß, zu aufdringlich, obwohl sie bei den Besuchen stets versuchte, die Freundlichkeit in Person zu sein – ebenso wie Lothar. Katharina Seelinger war aber inzwischen dahinter gekommen, jedenfalls fühlte sie es, daß die beiden nur auf ihr Geld aus waren. In den vergangenen Wochen hatte es manche Diskussionen darüber gegeben, weil Lothar gar zu gern Vollmachten über das Vermögen gehabt hätte, die ihm nach seiner Meinung als dem Sohn des Verstorbenen zustünden.

Daß derartige Gespräche, Diskussionen und Debatten für Katharina Seelingers Herzleiden nicht gerade heilsam waren, ihren Zustand nur verschlimmerten und sie in gefährliche Erregung versetzten, lag auf der Hand.

Darüber war sich auch Beate Rutloff im klaren und machte sich die größten Sorgen um die Gesundheit der ihrer Betreuung anvertrauten Katharina Seelinger. Beate hatte nicht nur einmal solcherart Herzanfälle erlebt. Nicht nur bei Katharina Seelinger, sondern schon früher, als sie noch als Krankenschwester in der Klinik am See tätig gewesen war. Damals hatte sie auch Katharina Seelinger als Patientin der Klinik auf der inneren Station betreut, die wegen ihres Herzleidens und einer unangenehmen Blasenentzündung fast vier Wochen dort gelegen hatte.

In jenen vier Wochen hatte sich zwischen ihr und der alten Dame eine fast freundschaftliche Beziehung entwickelt, die soweit ging, daß Katharina Seelinger sie auch nach der Entlassung aus der Klinik nicht mehr entbehren wollte. Den Vorschlag, besser gesagt, die Bitte der liebenswerten Industriellenwitwe, die damalige Schwester Beate als ständige private Betreuerin mit in ihre Villa zu nehmen, hatte Beate nicht abschlagen können, denn sie mochte diese Frau, die sie irgendwie an ihre eigene verstorbene Mutter erinnerte. Daß sie Katharina Seelingers Bitte entsprach, hatte allerdings noch zwei andere Gründe. Zum einen war es die finanzielle Seite, denn das Gehaltsangebot Katharina Seelingers war fast doppelt so hoch wie das, was sie als Krankenschwester in der Klinik bekam. Ausschlaggebend aber für ihre Entscheidung, private Betreuerin bei Katharina Seelinger zu werden, war wahrscheinlich etwas anderes – nämlich ihre unglückliche Liebe zu einem Forstassistenten aus Auefelden. Eine Liebe, der die Erfüllung versagt blieb, weil der Mann verheiratet war und Familie hatte.

Beate hatte eingesehen, daß es sinnlos war, auf etwas zu hoffen und zu warten, was sich niemals erfüllen würde. Es hatte geschmerzt, diese Erkenntnis. So gesehen kam Beate das Angebot Katharina Seelingers gerade recht, um ihr seelisches Tief überwinden zu können und nicht mehr in unmittelbarer Nähe des Mannes zu sein, den sie doch nicht haben konnte.

Vor nunmehr einem halben Jahr war das gewesen. Beate hatte ihre Entscheidung nie bereut. In der Villa Seelinger in Neuhausen hatte sie sich in den vergangenen Monaten so eingelebt, als hätte es für sie nie etwas anderes vorher gegeben. Sie fühlte sich hier wie zu Hause. Das lag nicht etwa an dem wirklich hübschen und behaglich eingerichteten Haus – sie selbst bewohnte ein großes Zimmer mit eigenem Bad und Toilette in der ersten Etage – sondern mehr daran, daß sie von Katharina Seelinger nicht als bezahlte Angestellte angesehen und behandelt wurde. In den vergangenen Monaten hatte sich zwischen ihr und ihrer Arbeitgeberin eine Beziehung entwickelt, die fast als Mutter-Tochter-Beziehung anzusehen war. Sie war nicht mehr die Schwester Beate, sondern einfach nur Beate.

»Ich hätte mir eine Tochter gewünscht, die so ist wie Sie, Beate.«

Solche und ähnliche Worte hatte Katharina Seelinger des öfteren gesagt. »Es ist schön, daß es Sie gibt und daß Sie bei mir sind.«

Erst vor wenigen Tagen hatte Katharina Seelinger beim Nachmittagstee, den sie beide immer gemeinsam einnahmen – ebenso gemeinsam wie das Essen – so gesprochen und Beate war das nahegegangen.

»Ich werde immer für Sie da sein, Frau Seelinger«, war ihre Erwiderung gewesen, und das war ehrlich gemeint. Sie hatte Katharina Seelinger wirklich sehr gern. Sie war für sie wie eine Ersatzmutter, von der sie auch ins Vertrauen gezogen wurde. Ja, sie war zur Vertrauten Katharina Seelingers aufgestiegen, die mit ihr alles besprach. In vielen und oft langen Gesprächen hatte Beate inzwischen fast die gesamte Lebensgeschichte ihrer Arbeitgeberin erfahren. Beate wußte auch, daß es außer dem Stiefsohn Lothar, der nach Katharina Seelingers Meinung ein Tunichtgut war, ein Erbschleicher, der es gemeinsam mit seiner angeblichen Verlobten Rita auf das Seelinger-Vermögen abgesehen hatte, noch einen Sohn gab. Einen leiblichen Sohn der alten Dame, der aber seit Monaten irgendwo in Übersee verschollen war.

»Ich kann nicht glauben, daß Robert tot ist, und ich hoffe immer noch, da er eines Tages wieder zurückkehrt.« An diese Hoffnung klammerte sich Katharina Seelinger immer wieder. Besonders dann, wenn ihr Stiefsohn Lothar wieder einmal mit seiner Rita dagewesen war.

Lothar Seelinger wußte natürlich, daß er einen Stiefbruder hatte. Ihm war auch bekannt, daß dieser ein uneheliches Kind seiner Stiefmutter war, das sie mit in die Ehe mit seinem Vater gebracht hatte. Diesem aber konnte er bis heute noch nicht verzeihen, daß er Robert akzeptiert und sogar auch adoptiert hatte. Natürlich war er ganz froh darüber, daß dieser Robert nicht mehr am Leben war, wie es das deutsche Konsulat in Uganda seinerzeit auf Anfragen mitgeteilt hatte. Er brauchte das Erbe, das Seelinger-Vermögen mit niemandem zu teilen. Bei jedem seiner Besuche versuchte er erneut, seiner Stiefmutter die Hoffnung auf eine Rückkehr Roberts zu zerstören. Bewußt versetzte er dabei die Frau seines verstorbenen Vaters in Erregung, hoffend und geradezu darauf wartend, daß dadurch das kranke Herz der Stiefmutter streiken würde und er schneller an ihr Geld käme. Seine Verpflichtungen, besser gesagt, seine Schulden wuchsen ihm mehr und mehr über den Kopf.

All das war nicht nur Katharina Seelinger bekannt, sondern zu einem großen Teil auch Beate. Was sie nicht genau wußte, das ahnte sie aber. Das Verhalten Lothar Seelingers und seiner Freundin Rita gegenüber Katharina Seelinger ließen kaum Zweifel an ihren wahren Absichten aufkommen, auch wenn die beiden sich als die Besorgten und Mitfühlenden hinsichtlich Katharina Seelingers Gesundheitszustand aufspielten.

Vor einer Stunde waren sie hiergewesen. Wie immer war es wieder um Geld gegangen, das Lothar für irgend etwas benötigte. Beate erinnerte sich an dieses Gespräch.

»Wozu brauchst du schon wieder Geld?« fragte Katharina Seelinger. »Deinen Scheck hast du doch bekommen.«

»Ich bin dabei, mir etwas aufzubauen, denn irgendwann werden Rita und ich ja heiraten, und da muß doch eine Existenzgrundlage da sein, Katharina.« Lothar Seelinger sprach seine Stiefmutter stets mit dem Vornamen an.

»Was willst du denn aufbauen?«

»Ich spiele mit dem Gedanken, einen Barbetrieb zu eröffnen«, erwiderte Lothar Seelinger. »Der bringt Geld ein, und Rita kennt sich in der Branche aus.«

»Daran zweifle ich nicht«, gab Katharina Seelinger sarkastisch zurück und bedachte die üppige Rotblonde mit einem vernichtendem Blick.

»Was wollen Sie damit andeuten?« fuhr Rita Gassner auf. Funkelnd sah sie die Dame des Hauses an. »Ich bin Sängerin in einer exklusiven Bar, in der nur bestes Publikum verkehrt. Haben Sie etwas gegen Sängerinnen?« fragte sie etwas spitz.

»Nein, gegen Sängerinnen habe ich nichts, wenn sie Stil und Form haben«, erwiderte die Herrin des Hauses. »Sie etwa, Beate?« wandte sie sich fragend an diese, die neben ihrem Lehnsessel stand.

»Weshalb fragst du deine Angestellte um ihre Meinung, Katharina?« entrüstete sich Lothar Seelinger und warf Beate einen grimmigen Blick zu. Es wurmte ihn schon lange, daß diese junge Frau mit den großen braunen Augen immer bei den Gesprächen, die er mit seiner Stiefmutter führte, zugegen war. Für ihn war Beate eben nur eine Angestellte, die bei privaten Unterhaltungen nichts zu suchen hatte.

Katharina Seelinger blitzte ihren Stiefsohn an. »Beate ist keine Angestellte«, erklärte sie mit etwas schärferem Klang in der Stimme. »Sie ist meine Vertraute, die mich kranke Frau betreut und pflegt.« Sie atmete heftig und griff sich an die linke Brust.

»Ist Ihnen nicht gut?« fragte Beate besorgt. »Augenblick, ich hole die Tropfen.«

»Lassen Sie nur, Beate!« wehrte Katharina Seelinger mit einem erzwungen wirkenden Lächeln ab. »Es geht schon wieder.«

»Vertraute? Pflegen?« kam es über Rita Gassners Lippen, und ein abschätziges Lächeln huschte um ihre Mundwinkel. »Die junge Dame wird schon wissen, weshalb sie das tut. Na ja, bei dem Vermögen, das…«

»Ich muß doch sehr bitten«, rief Beate der Rotblonden entrüstet zu. Sie hatte gut verstanden, was die Frau mit den stark geschminkten Lippen mit ihren Worten andeuten wollte.

»Das möchte ich auch sagen, Verehrte«, ergriff Katharina Seelinger für Beate Partei. »Wenn Ihnen in meinem Hause etwas nicht paßt – bitte sehr, ich halte Sie nicht auf, wenn Sie gehen möchten.«

»Das… das… ist doch…« Rita schnappte nach Luft. Empört wollte sie aufspringen, wurde jedoch von Lothar zurückgehalten.

»Gib jetzt Ruhe!« fauchte er seine Freundin an. Ihm war daran gelegen, seine Stiefmutter nicht zu erzürnen, denn er wollte ja etwas von ihr. »Also, Katharina, wie ist es?« wandte er sich an die Herrin des Hauses. »Kannst du mir aushelfen?«

»Wieviel hast du gesagt?« wollte Katharina Seelinger wissen.

Lothar nannte die Summe.

Katharina Seelinger sah ihren Stiefsohn finster an. »Unmöglich«, stieß sie hervor. »Soviel hätte ich gar nicht im Hause.«

»Dann stell mir einen Scheck aus!« verlangte Lothar.

»Das mache ich grundsätzlich nicht«, erwiderte Katharina Seelinger. »Da bin ich noch konservativ eingestellt.«

»Aber ich bekomme doch mein monatliches Geld auch per Scheck«, entgegnete Lothar.

»Das macht die Bank entsprechend einer Vereinbarung automatisch.«

Lothar, der seine Felle wegschwimmen sah, kniff die Augen etwas zusammen und wechselte einen kurzen Blick mit seiner Freundin. »Wie wäre es mit einer Art Vollmacht, Katharina?« brachte er dann ein wenig zögernd hervor. »Die kann ja durchaus begrenzt sein, obwohl…« fügte er hinzu, unterbrach sich aber sofort und starrte seine Stiefmutter an.

»Obwohl was?« fragte sie.

Lothar schluckte. »Ich wollte sagen, daß ich ja ohnehin einmal alles bekommen werde«, stieß er unbeherrscht hervor.

»Das steht noch in den Sternen«, konterte Katharina Seelinger. »Du weißt, daß du noch einen Stiefbruder hast, der mein leiblicher Sohn ist.«

»Hör’ auf, Katharina!« fuhr Lothar auf. »Dein Sohn ist tot. Das hast du doch schriftlich vom Konsulat, wie ich weiß.«

»Ich habe nur den Bescheid, daß Robert verschollen und aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr am Leben ist«, belehrte Katharina Seelinger ihren Stiefsohn. »Ich betone – wahrscheinlich. Das aber heißt, daß es keinen Beweis für seinen Tod gibt. Ich hoffe immer noch.«

»Katharina, deine eingebildeten Hoffnungen grenzen ja schon an Irrsinn«, rief Lothar wütend aus. Zu spät erkannte er, daß er jetzt zu weit gegangen war.

»Das ist genug… genug…« Katharina Seelinger faßte sich an die Brust. Ihr Atem ging hastig und stoßweise. Ihr Gesicht verlor an Farbe, wurde bleich, und über ihren Körper lief ein Zittern.

Beate reagierte sofort, sprang zu einem kleinen Glasschrank und holte das Fläschchen mit den stärkenden Herztropfen. Sekunden später flößte sie der nach Atem ringenden Katharina Seelinger mit einem kleinen Silberlöffel ein paar Tropfen ein.

»Bitte, Herr Seelinger, gehen Sie jetzt!« forderte sie den jungen Mann energisch auf und meinte damit selbstverständlich auch dessen Freundin. Ihre Stiefmutter braucht jetzt unbedingt Ruhe.«

»Müssen wir uns von einer Angestellten hinauswerfen lassen?« empörte sich Rita Gassner.

»Das werden Sie wohl müssen«, erwiderte Beate schlagfertig, »wenn Sie vermeiden wollen, daß man Sie beide zur Verantwortung zieht, wenn Frau Seelinger durch Ihre Schuld…«

»Ja, ja, ist schon gut«, fiel Lothar der Betreuerin und Vertrauten seiner Stiefmutter heftig ins Wort. So sehr er sich auch in seinem tiefsten Innern wünschte, daß Katharina Seelinger das Zeitliche segnete, so wenig wünschte er sich aber, dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Dieser Frau, die zur Vertrauten seiner Stiefmutter geworden war, traute er durchaus zu, daß sie ihn und Rita mit ihren Aussagen stark belasten konnte und das auch tun würde, wenn es darauf ankam. Abrupt erhob er sich, faßte Rita am Arm und zog sie mit sich hin zur Tür. »Sagen Sie meiner Stiefmutter, daß wir morgen wiederkommen!« rief er Beate zu und verschwand mit seiner rotblonden Freundin – unwillig, ärgerlich, ja schon fast wütend, weil er nicht das erreicht hatte, was ihm am Herzen lag.

Beate hörte die beiden zwei Minuten später abfahren. Sie kümmerte sich jetzt um Katharina Seelinger, der die eingeflößten Tropfen doch etwas geholfen hatten. »Soll ich Sie zu Bett bringen?« fragte sie.

»Nein, Beate«, erwiderte Katharina Seelinger leise. Man merkte, daß ihr das Sprechen noch ein wenig Anstrengung abverlangte. »Ich lege mich auf die Couch.«

Beate geleitete sie fürsorglich dahin, half ihr beim Hinlegen und breitete einen Plaid über sie aus. »So, nun ruhen Sie sich ein wenig aus«, sagte sie und lächelte. »Es wird schon wieder besser werden. Ich setze mich drüben in den Sessel und bleibe in Ihrer Nähe.«

»Danke, Beate«, flüsterte Katharina Seelinger und schloß die Augen. »Was täte ich nur ohne Sie?« fügte sie hinzu. »Ich glaube, ohne Sie wäre ich verloren.«

*

Jedesmal wenn Dr. Lindau die vermögende Industriellenwitwe aufsuchte, um ihren Gesundheitszustand zu überprüfen und sich dabei ihre privaten Beschwerden oder Probleme anhörte und dann in irgendeiner Form Rat gab, bewunderte er das schmucke Haus am Hang.

»Guten Tag, Herr Doktor.«

Diese Worte der Begrüßung rissen Dr. Lindau aus seiner kurzen Hausbetrachtung. Lächelnd schritt er zur geöffneten Haustür, in deren Rahmen seine ehemalige Krankenschwester Beate stand. »Sie haben mich wohl kommen gehört, Schwester

Beate?« fragte er, verbesserte sich aber sofort und entschuldigte sich für die Anrede. »Pardon, Sie sind ja nicht mehr in meiner Klinik als Schwester – Frau Rutloff.«

»Bleiben Sie ruhig bei Schwester Beate, Herr Doktor«, gab Beate lä­chelnd zurück. »Im Prinzip bin ich es ja noch immer, wenn auch auf privater Basis. Ja, wir haben Sie kommen gehört«, beantwortete sie die erste Frage des Chefarztes der Klinik am See, »und Frau Seelinger meinte sofort, daß das nur Sie sein könnten.«

»Hm, Frau Seelinger hat wirklich ein ganz gutes Gedächtnis und weiß, daß ich jeweils am Fünfzehnten erscheine«, entgegnete Dr. Lindau und betrat den Vorraum der Villa. »Wie geht es denn unserem Sorgenkind?« fragte er Beate mit verhaltener Stimme.

Beate lachte leise. »Kind ist gut, Herr Doktor«, erwiderte sie. »Dieses Sorgenkind ist immerhin bald neunundfünfzig Jahre alt.« Wieder ernst werdend, setzte sie hinzu: »Ich mache mir Sorgen.«

»Wieder ein Herzanfall?« fragte Dr. Lindau interessiert.

»So ungefähr…«

Dr. Lindau ahnte etwas. »Besuch von ihrem Stiefsohn?« Seine Frage kam nicht von ungefähr, wußte er doch von Katharina Seelinger, was sie von diesem Stiefsohn hielt. Sie hatte ihm nicht nur einmal von ihm berichtet und von dem Kummer, den er ihr machte.