Die Klinik am See 47 – Arztroman - Britta Winckler - E-Book

Die Klinik am See 47 – Arztroman E-Book

Britta Winckler

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Beschreibung

Besonders beliebt bei den Leserinnen von Arztromanen ist der Themenbereich Frauenklinik. Gerade hier zeigt sich, wie wichtig eine sensible medizinische und vor allem auch seelische Betreuung für die Patientinnen ist, worauf die Leserinnen dieses Genres großen Wert legen. Die große Arztserie Klinik am See setzt eben dieses Leserinteresse überzeugend um. Britta Winckler ist eine erfahrene Romanschriftstellerin, die in verschiedenen Genres aktiv ist und über hundert Romane veröffentlichte. Die Serie Die Klinik am See ist ihr Meisterwerk. Es gelingt der Autorin, mit dieser großen Arztserie die Idee umzusetzen, die ihr gesamtes Schriftstellerleben begleitete. Sie selbst bezeichnete ihre früheren Veröffentlichungen als Vorübungen für dieses grandiose Hauptwerk. Ein Schriftsteller, dessen besonderer erzählerischer Wunsch in Erfüllung geht, kann mit Stolz auf sein Schaffen zurückblicken. Vier junge Frauen saßen im Warteraum der Geburtsabteilung der Klinik am See. Eine von ihnen war Karin Lehnert. Sie wartete ebenso wie die anderen drei, denen man ihre Schwangerschaft auf den ersten Blick ansah, auf den Aufruf zur Untersuchung. "Frau Hoffmann, bitte!" In der geöffneten Tür zum Untersuchungszimmer stand eine junge Schwester. Freundlich winkte sie der Aufgerufenen zu und ließ sie an sich vorbei in das Untersuchungszimmer treten. Nachdenklich blickte Karin Lehnert auf die wieder geschlossene Tür. Ihre Gedanken gingen zurück in jene Tage und Wochen zu Beginn ihrer Schwangerschaft. Die Gegenwart, das Warten auf die Untersuchung verlor sich mit einem Mal für sie, und vor ihrem geistigen Auge tauchten die Erinnerungen an Eckehard Planck auf, dessen Kind sie nun unter dem Herzen trug. Im Zeitraffertempo zogen die Erinnerungen an die erste Begegnung mit Eckehard an ihr vor­über. Den Tag, an dem Eckehard das erste Mal in der von ihrem Vater betriebenen medizinischen Badeanstalt erschienen war, würde sie nie vergessen. Es war an einem sonnigen Vormittag gewesen, als Eckehard in dem kleinen Kontor der Badeanstalt aufgetaucht war, in der ihr Vater und ihre Zwillingsschwester Jutta die von ihren Hausärzten überwiesenen Badepatienten betreuten, während sie selbst in eben diesem kleinen Kontor für alle Formalitäten wie Kartei­füh­rung, Termingestaltung, Abrechnungen, Berichte und ähnliches zuständig war. Mit der medizinischen Versorgung, soweit diese die vom Arzt verordneten medizinischen Bäder und Massagen betraf, hatte sie nichts zu tun. Das war Sache des Vaters und ihrer Schwester Jutta, die beide in dieser Berufssparte ausgebildet waren. Karin erlebte in Gedanken jetzt noch einmal den Beginn ihrer Liebe zu Eckehard Planck, der damals so plötzlich vor ihrem Schreibtisch gestanden hatte. Zuerst war Eckehard Planck ein wenig überrascht, als er das Kontor betreten hatte und sich einer hübschen jungen Frau mit kastanienbraunem Haar und hellbraunen Augen gegenübersah. Er hatte eher damit gerechnet, es mit einer verknöcherten alten Jungfer zu tun zu bekommen. Der Anblick dieser sympathischen jungen Frau, die er auf Anfang der Zwanzig schätzte, war daher auch weitaus angenehmer und stimmte ihn fröhlich. "Einen schönen guten Morgen", grüßte er lächelnd.

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Die Klinik am See – 47–

Das Vermächtnis der Schwester

Jutta übernahm eine schwere Verantwortung

Britta Winckler

Vier junge Frauen saßen im Warteraum der Geburtsabteilung der Klinik am See. Eine von ihnen war Karin Lehnert. Sie wartete ebenso wie die anderen drei, denen man ihre Schwangerschaft auf den ersten Blick ansah, auf den Aufruf zur Untersuchung.

»Frau Hoffmann, bitte!« In der geöffneten Tür zum Untersuchungszimmer stand eine junge Schwester. Freundlich winkte sie der Aufgerufenen zu und ließ sie an sich vorbei in das Untersuchungszimmer treten.

Nachdenklich blickte Karin Lehnert auf die wieder geschlossene Tür. Ihre Gedanken gingen zurück in jene Tage und Wochen zu Beginn ihrer Schwangerschaft. Die Gegenwart, das Warten auf die Untersuchung verlor sich mit einem Mal für sie, und vor ihrem geistigen Auge tauchten die Erinnerungen an Eckehard Planck auf, dessen Kind sie nun unter dem Herzen trug. Im Zeitraffertempo zogen die Erinnerungen an die erste Begegnung mit Eckehard an ihr vor­über. Den Tag, an dem Eckehard das erste Mal in der von ihrem Vater betriebenen medizinischen Badeanstalt erschienen war, würde sie nie vergessen. Es war an einem sonnigen Vormittag gewesen, als Eckehard in dem kleinen Kontor der Badeanstalt aufgetaucht war, in der ihr Vater und ihre Zwillingsschwester Jutta die von ihren Hausärzten überwiesenen Badepatienten betreuten, während sie selbst in eben diesem kleinen Kontor für alle Formalitäten wie Kartei­füh­rung, Termingestaltung, Abrechnungen, Berichte und ähnliches zuständig war. Mit der medizinischen Versorgung, soweit diese die vom Arzt verordneten medizinischen Bäder und Massagen betraf, hatte sie nichts zu tun. Das war Sache des Vaters und ihrer Schwester Jutta, die beide in dieser Berufssparte ausgebildet waren.

Karin erlebte in Gedanken jetzt noch einmal den Beginn ihrer Liebe zu Eckehard Planck, der damals so plötzlich vor ihrem Schreibtisch gestanden hatte.

*

Zuerst war Eckehard Planck ein wenig überrascht, als er das Kontor betreten hatte und sich einer hübschen jungen Frau mit kastanienbraunem Haar und hellbraunen Augen gegenübersah. Er hatte eher damit gerechnet, es mit einer verknöcherten alten Jungfer zu tun zu bekommen. Der Anblick dieser sympathischen jungen Frau, die er auf Anfang der Zwanzig schätzte, war daher auch weitaus angenehmer und stimmte ihn fröhlich.

»Einen schönen guten Morgen«, grüßte er lächelnd. Dabei war es schon später Vormittag.

»Guten Tag«, gab Karin freundlich zurück. »Womit kann ich Ihnen helfen?«

Eckehard nannte seinen Namen und reichte der jungen Frau den Überweisungsschein seines Arztes. »Ich soll Bäder und Massagen bekommen«, erklärte er. »Wissen Sie, ich bin nämlich Fußballer und spiele im FC Auefelden, möchte aber in die Oberliga«, redete er munter darauflos. »Dazu muß aber meine Kondi­tion bestens sein. Aus diesem Grunde soll ich Bäder und Massagen erhalten. Zur Entspannung und Kräftigung der Muskeln, wie mein Arzt meinte.«

»Da sind Sie hier richtig, Herr Planck«, gab Karin sparsam lächelnd zurück und überflog den Einweisungsschein des Arztes. »Allerdings muß ich Ihnen sagen«, fuhr sie dann fort, »daß wir Ihnen eine Kondition, wie Sie das nennen, nicht vermitteln können. Wir sind kein Fitneß-Center, sondern eine medizinische Badeanstalt, in der medizinische Heilbäder und ebensolche Massagen verabreicht werden. Bei Ihnen handelt es sich, wie ich auf dem Überweisungsschein lese, um Muskelkrämpfe, die durch die Bäder und Massagen behoben werden sollen.« Prüfend, aber keineswegs aufdringlich sah sie den gutaussehenden jungen Mann wäh­rend dieser kurzen Belehrung an. Er machte einen sympathischen und guten Eindruck auf sie. Etwas irritiert aber senkte sie den Blick, als der neue Badepatient sie interessiert anblickte. In seinen blaugrün schimmernden Augen war ein Ausdruck, der sie verlegen machte und sie erröten ließ. Gleichzeitig aber verspürte sie ein eigenartiges, aber wohltuendes Kribbeln auf der Haut.

»Wann können Sie mit Ihrer Bade- und Massagekur beginnen, Herr Planck?« fragte Karin nach sekundenlangem Schweigen. Ihre Stimme zitterte leicht. »Heute schon?«

»Jetzt gleich, wenn das geht«, erwiderte der junge Mann.

Karin nickte. »Es geht«, gab sie zurück. »Ich leite Sie gleich zur Betreuung weiter.«

»Von Ihnen werde ich also nicht betreut?« fragte Eckehard.

»Nein«, erwiderte Karin kurz und ein wenig verwundert. Eine solche Frage hatte ihr noch keiner der Badepatienten gestellt.

»Schade«, entgegnete Eckehard bedauernd.

»Warum?« entfuhr es Karin.

»Weil Sie mir außerordentlich sympathisch sind«, erwiderte Ecke­hard lächelnd. »Ihnen würde ich mich vertrauensvoll und mit größter Freude in die Hände geben.« Seine Worte und seine Blicke verrieten, daß er großen Gefallen an dieser jungen Frau gefunden hatte, daß sie ihn mächtig interessierte.

Karin spürte das auch. Sie kam sich plötzlich ein wenig hilflos vor. Es war das erste Mal, daß ein junger und noch dazu sehr gut aussehender Mann solche Worte sagte, die über die üblichen Höflichkeitsfloskeln hinausgingen und von denen sie fühlte, daß sie ehrlich gemeint und nicht nur als banales Kompliment zu werten waren. In ihrem Innern klang eine Saite an, die ein wohliges Gefühl in ihr auslöste.

»Sie sind plötzlich so nachdenklich geworden«, unterbrach Eckehard Planck die Gedanken der jungen Frau. »Das steht Ihnen nicht sehr. So ein hübsches Mädchen wie Sie sollte lachen und fröhlich sein, und ich würde sehr gern dabei helfen.«

Karin horchte auf. Wie eine versteckte Liebeserklärung klang ihr das in den Ohren. Verlegen senkte sie den Blick, fragte sich dabei aber in der gleichen Sekunde, wie es möglich war, daß sie für diesen jungen Mann, den sie zum ersten Mal sah, so etwas wie Sympathie empfand. Oder war es sogar mehr als das? Gab es das überhaupt, daß man innerhalb allerkürzester Zeit, innerhalb von Minuten also, Zuneigung für einen bisher völlig fremden Menschen empfinden konnte? Natürlich hatte sie schon gehört und gelesen, daß es diese sogenannte Liebe auf den ersten Blick gab. Sie ahnte in diesen Augenblicken nicht, daß auch ihr Besucher, der neue Badepatient, sich etwas ähnliches fragte.

»Ja, Herr Planck, ich habe alles notiert«, sagte Karin, »und werde Sie nun an meine Schwester weiterreichen, damit die Behandlung beginnen kann.« Sie drückte dabei auf einen Klingelknopf auf ihrem Schreibtisch. »Zehn Bäder mit Massage hat Ihr Arzt verschrieben.«

»Täglich?« fragte der junge Mann.

Karin lächelte. »Nein, zweimal in der Woche«, erwiderte sie.

»Dann werde ich Sie zweimal wöchentlich sehen und mit Ihnen ein wenig plaudern können«, meinte Ekkehard Planck.

Darauf entgegnete Karin nichts, stellte aber leicht verwundert fest, daß sie sich über diesen Wunsch – als solchen empfand sie jedenfalls die letzte Bemerkung ihres Besuchers – irgendwie freute. Ehe sie aber noch etwas sagen konnte, ging die Tür auf, und eine junge Frau in einem weißen Hosenanzug, trat ein, die der Frau, der Eckehard nun schon seit zehn Minuten gegenüberstand, zum Verwechseln ähnlich sah. »Aha, wir haben einen neuen Kunden«, sagte sie forsch, aber mit melodisch klingender Stimme, und lächelte.

Eckehard riß die Augen auf. Erstaunt sah er abwechselnd die beiden jungen Frauen an. »Das ist doch nicht möglich«, stotterte er verblüfft.

»Das ist meine Zwillingsschwester Jutta Lehnert«, ergriff Karin das Wort. »Sie wird nun Ihre Behandlung übernehmen.« Sie reichte Jutta den Überweisungsschein des Arztes.

»Angenehm.« Eckehard sprang auf und nannte seinen Namen.

»Habe ich eben gelesen«, gab Jutta lächelnd zurück und wedelte mit dem Überweisungsschein. »Ich werde Sie jetzt unter meine Fittiche nehmen.« Und an ihre Schwester wendend, fragte sie: »Hast du alles eingetragen, Karin? Oder gibt es noch etwas, was du von dem jungen Mann wissen mußt?«

O ja, ging es Karin durch den Sinn, einiges würde ich schon noch gern wissen. Laut aber antwortete sie: »Nein, Jutta, er gehört jetzt dir.«

»Na, dann darf ich bitten, Herr Planck.« Jutta nickte Eckehard auffordernd zu.

Der aber hatte immer noch nicht vollständig seine Fassung wiedergefunden. Diese frappante Ähnlichkeit der Schwestern irritierte ihn. Unwillkürlich stellte er sich die Frage, welche von beiden nun die Hübschere war. Die Antwort auf diese Frage fiel ihm nicht leicht, denn in ihren äußeren Erscheinungen fand er keinen Unterschied. Lediglich in ihrem Wesen schienen die beiden Schwestern sich nicht zu ähneln, wie er in diesen wenigen Minuten erkannt zu haben meinte. War die eine, die, mit der er zuerst gesprochen hatte und von der er nun wußte, daß sie Karin hieß, sanft, ein wenig scheu, zurückhaltend und irgendwie schutzbedürftig –, jedenfalls hatte er diesen Eindruck – so schien die andere forscher, selbstbewußter und energischer zu sein. Ihre wenigen Worte und überhaupt ihr ganzes Auftreten zeigten das.

»Gehen wir, Herr Planck!« unterbrach Jutta die Gedanken des jungen Mannes. Ihrer Schwester noch einen verabschiedenden Blick zuwerfend, dirigierte sie Eckehard aus dem Kontor auf einen breiten Gang, auf dessen beiden Seiten sich die verschiedenen Bade- und Massagekabinen befanden.

Mit einem Ausdruck leisen Bedauerns blickte Karin auf die wieder geschlossene Tür. Sie gestand sich ein, daß sie sich gern noch ein wenig mit diesem neuen Badepatienten unterhalten hätte. »Ich kann ihn leiden«, flüsterte sie und erschrak im nächsten Augenblick über diese Erkenntnis. Etwas unwillig verdrängte sie solcherart Gedanken und wandte sich wieder ihrer Büroarbeit zu.

*

An zwei Tagen in der Woche erschien Eckehard Planck in der Badeanstalt. Von Jutta wurde er regelmäßig nach dem Bad massiert. Es war für ihn eine Freude, wenn ihre Hände seinen Körper bearbeiteten. Am liebsten wäre er täglich gekommen. Es zog ihn zu diesen beiden Zwillingsschwestern hin. Er kam nie mit leeren Händen. Mal brachte er Blumen mit und ein andermal irgendwelches Naschzeug, Süßigkeiten oder Schokolade. Aber nicht nur für Karin, sondern auch für deren Schwester Jutta. Innerhalb weniger Tage – nach zwei Wochen etwa – entstand zwischen ihm und den beiden Mädchen ein fast freundschaftliches Verhältnis. Seine Art sich zu geben, seine burschikose Plauderei, wenn er von seinem Fußballeben erzählte, machten ihn für die Schwestern mehr als sympathisch.

Karin jedenfalls wartete geradezu auf sein Erscheinen und auf ein paar Worte von ihm. Tagelang, manchmal auch in der Nacht, hatte sie in sich hineingehorcht und sich gefragt, was Eckehard ihr bedeutete. Mehr und mehr hatte sich dabei in ihr die Erkenntnis gebildet, daß sie wirklich in Eckehard verliebt war. Mehr noch – sie gestand sich ein, daß sie diesen jungen Mann nicht nur sehr mochte, sondern daß sie ihn wahrhaftig liebte. Wenn sie das auch mit keiner Silbe, mit keinem Wort zum Ausdruck brachte, sprachen ihre Blicke und ihre Gesten doch eine unmißverständliche Sprache, wenn Eckehard bei ihr hereinschaute, ihr ein paar Blumen brachte und einige Worte mit ihr plauderte, bevor er sich Juttas massierenden Händen auslieferte.

Eckehard spürte natürlich auch, daß Karin ihm zugetan war, und das intensivierte seine Gefühle für sie. Auch er erkannte, daß diese etwas scheue junge Frau viel für ihn bedeutete. Der Wunsch, mit ihr in einer harmonischen Zweisamkeit leben zu können, ließ ihn nicht mehr los. Doch etwas in ihm hemmte ihn, Karin das zu sagen oder zumindest andeutungsweise zu verstehen zu gehen. Er wußte nicht, was das war. Hing es etwa mit Jutta zusammen, die ihrer Schwester aufs Haar ähnelte? Hatte er sich vielleicht sogar auch in sie verliebt und konnte deshalb Karin gegenüber nicht frei und offen über seine Gefühle reden?

Eckehard ahnte nicht, daß sich die beiden Mädchen, mit denen sich seine Gedanken beschäftigten, auch mit ihm befaßten und von ihm sprachen. Es war der Abend nach seiner fünften Behandlung in der Badeanstalt.

Jutta war in Karins Kontor gekommen, um wie gewohnt, mit ihr gemeinsam die verschiedenen Behandlungskarten der Badepatienten zu ergänzen, die üblichen Eintragungen vorzunehmen und die nächsten Termine einzutragen.

»So, das hätten wir wieder einmal«, meinte Jutta. »Wen haben wir denn morgen?« wollte sie wissen.

Karin blätterte in ihrem Terminblock. »Vormittag drei«, antwortete sie dann. »Zwei Frauen und ein Mann«, setzte sie hinzu und nannte auch die Namen der Badepatienten.

»Und nachmittags?« fragte Jutta.

»Ebenfalls drei«, erwiderte Karin. »Aber morgen ist ja Vater wieder da«, fügte sie hinzu.

»Wird ja auch Zeit«, murmelte Jut­ta und erntete dafür einen tadelnden Blick der Schwester.

»Jutta, die drei Wochen Ferien hatte unser Vater doch wirklich gebraucht«, meinte Karin. »Überarbeitet hast du dich doch wohl kaum, denn in dieser Zeit war ja auch Herr Kranach zu deiner Entlastung da.«

»Natürlich hast du recht«, lenkte Jutta lächelnd ein. »Wann hat denn Eckehard den nächsten Termin?« fragte sie übergangslos.

Etwas erstaunt blickte Karin ihre Schwester an. »Eckehard?« wiederholte sie fragend den Vornamen des Mannes, an den sie täglich dachte und von dem sie sich wünschte, daß er käme. »Du nennst ihn beim Vornamen?«

Jutta nickte. Von Verlegenheit war bei ihr nichts zu merken. »Warum nicht?« gab sie zurück. »Es hat sich eben so ergeben«, fuhr sie fort. »Er ist ein netter Kerl, und irgendwie kann ich ihn gut leiden, auch wenn für ihn der Fußball anscheinend der Sinn des Lebens ist.« Prüfend sah sie ihre Schwester an. »Wenn ich es richtig mitbekommen habe, sprichst du ihn ja auch mit dem Vornamen an und läßt dir Blumen von ihm schenken.«

Karin errötete und senkte den Blick, enthielt sich aber einer Erwiderung.

Hinter Juttas Stirn begann es zu rumoren. Schon seit etlichen Tagen war ihr aufgefallen, daß Karin immer errötete und verlegen wurde, wenn aus irgendeinem Grunde – es betraf vorwiegend die Behandlung Ecke­hards und die nächsten Termine für ihn – die Sprache auf ihn kam. Sie war nicht dumm, und es war nicht schwer zu erraten, daß ihre scheue und stille Schwester in diesen Mann verliebt war. In einer gewissen Weise war sie, Jutta, das ja auch. Jedenfalls mochte sie ihn, wobei sie aber noch weit davon entfernt war, ihre Gefühle für Eckehard als Liebe zu bezeichnen. Er war ihr eben einfach nur sehr sympathisch. »Du magst ihn wohl sehr, wie?« ergriff sie wieder das Wort.

»Ja«, flüsterte Karin nach kurzem Zögern.

»Und er dich auch?« wurde Jutta neugierig. Sie wollte es jetzt genau wissen, denn sie hatte schon längst mitbekommen, daß Eckehard ihrer Schwester Zuneigung entgegenbrachte.

»Ja«, hauchte Karin. »Er hat es zwar noch nie gesagt, aber ich spüre es, und seine Blicke haben es mir verraten.« Sie brachte diese Worte in einem Ton über die Lippen, der Jutta rührte. Zum einen klang es froh, zum anderen aber auch irgendwie entsagungsvoll. Jutta kannte ihre um eine halbe Stunde jüngere Schwester sehr gut. In diesen Sekunden und Minuten wurde ihr klar, daß Karin nicht nur einfach verliebt war, sondern daß sie Eckehard wirklich von Herzen liebte. Sie spürte aber auch, daß die geliebte kleinere Schwester, wie sie Karin manchmal nannte, sich nach der Erfüllung dieser Liebe sehnte, obwohl sie darüber kein Wort verlor. Karin gehörte nicht zu den emanzipierten Frauen der Jetztzeit, die, wenn notwendig auch in der Liebe die Initiative ergriffen, um zu dem erträumten Ziel zu gelangen. Für sie, Jutta, wäre es kein großes Problem gewesen, Eckehard in einer Weise, bei der sie sich als Frau nichts vergab, für sich zu gewinnen. Nach all dem, was sie inzwischen von ihm und seiner Wesensart kannte, war sie sich ziemlich sicher, ihn auf ihre Seite ziehen zu können. Doch solcherart Gedanken oder Absichten hatte sie gar nicht.

Fest stand für sie jedenfalls, daß Eckehard sich zu Karin hingezogen fühlte. Trotz ihrer erst 22 Jahre hatte sie sich doch schon etwas Menschenkenntnis angeeignet, die ihr sagte, daß Eckehard keine Spielchen mit tieferen Gefühlen trieb, sondern daß er es ernst meinte.

»Du kannst Eckehard wohl auch gut leiden, wie?« unterbrach Karin das Schweigen. Erwartungsvoll blickte sie die Schwester an.

»Ja, das kann ich«, bestätigte Jutta ohne Verlegenheit.

»Liebst du ihn etwa auch?« brachte Karin leise über ihre Lippen.

Nachdenklich sah Jutta ihre Schwester an. »Ich finde ihn sympathisch«, antwortete sie.

Karin überlegte sekundenlang. »Würdest du ihn heiraten wollen, wenn er dich das fragte?« stieß sie dann hervor.

In Juttas Zügen zeigte sich Überraschung über diese Frage. Sehr gut hatte sie den ein wenig bangen Ton aus Karins Worten herausgehört. Sieh an, ging es ihr blitzartig durch den Sinn, mein Schwesterlein hat anscheinend Angst, daß ich ihr den Mann, zu dem sie sich hingezogen fühlt, abspenstig mache. Ein verständnisvolles Lächeln glitt um ihre Mundwinkel. »Heiraten? Den Ecke­hard?« gab sie fragend zurück und wiegte den Kopf hin und her. »Das hat er mich noch nicht gefragt«, sagte sie lächelnd.

»Wenn er es aber täte?« blieb Karin weiter bei diesem Thema.

»Dann würde ich mir zumindest Bedenkzeit ausbitten«, erwiderte Jut­ta nach kurzem Überlegen. Hinter ihrer Stirn überschlugen sich die Gedanken. Ihr war klar, daß Karin Angst hatte, Eckehard könnte wirklich so eine entscheidende Frage stellen, und sie, Jutta, würde nicht ablehnen. Das wiederum bedeutete dann für ihre Schwester, daß diese einen Traum und eine jetzt in ihr aufkeimende Sehnsucht und Hoffnung begraben konnte.

»Ich kann dir aber jetzt schon sagen, liebes Schwesterherz«, ergriff Jutta nach diesem kurzen Überlegen wieder das Wort, »daß ich zum einen noch keinerlei Ambitionen habe, Ehefrau zu werden, und zum anderen mir auch gar nicht vorstellen kann, ausgerechnet Eckehard zu heiraten – so sympathisch er mir auch ist. Zu einer ehrlichen Zweisamkeit gehört nämlich Liebe«, fuhr sie fort. »Die aber ist bei mir nicht vorhanden, soweit es Eckehard betrifft. Bei dir aber scheint sie da zu sein.« Lächelnd sah sie die Schwester an. »Habe ich recht?« fragte sie.

»Ja«, erwiderte Karin leise.

»Er liebt dich doch auch. Oder?«

Karin nickte. »Ich glaube ja«, flüsterte sie.

»Und keiner von euch beiden hat bisher den Mut gehabt, darüber zu sprechen?« wurde Jutta neugierig.

Karin schüttelte den Kopf. »Wann denn? Wo und wie?« kam es leise klagend über ihre Lippen. »Hier im Büro vielleicht?«