Die Klinik am See 49 – Arztroman - Britta Winckler - E-Book

Die Klinik am See 49 – Arztroman E-Book

Britta Winckler

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Beschreibung

Besonders beliebt bei den Leserinnen von Arztromanen ist der Themenbereich Frauenklinik. Gerade hier zeigt sich, wie wichtig eine sensible medizinische und vor allem auch seelische Betreuung für die Patientinnen ist, worauf die Leserinnen dieses Genres großen Wert legen. Die große Arztserie Klinik am See setzt eben dieses Leserinteresse überzeugend um. Britta Winckler ist eine erfahrene Romanschriftstellerin, die in verschiedenen Genres aktiv ist und über hundert Romane veröffentlichte. Die Serie Die Klinik am See ist ihr Meisterwerk. Es gelingt der Autorin, mit dieser großen Arztserie die Idee umzusetzen, die ihr gesamtes Schriftstellerleben begleitete. Sie selbst bezeichnete ihre früheren Veröffentlichungen als Vorübungen für dieses grandiose Hauptwerk. Ein Schriftsteller, dessen besonderer erzählerischer Wunsch in Erfüllung geht, kann mit Stolz auf sein Schaffen zurückblicken. Die Miene des Chefarztes der Kli­nik am See war besorgt, als er mit dem Leiter der Station für innere Krankheiten das Krankenzimmer Nr. 17 verließ. Beide Ärzte, Dr. Lindau und Dr. Reichel, begaben sich in das Stationszimmer. "Es sieht nicht gut mit Frau Mein­hardt aus", ergriff Dr. Lindau das Wort. "Ihre unteren Gliedmaßen sind bereits zu neunzig Prozent bewe­gungsunfähig." Dr. Reichel nickte. "Die Lähmung hat auch schon teilweise bei den Händen und Unterarmen begonnen", sagte er. "Das ist der zweite Schub bei der Patientin, wenn ich die Krankenge­schichte richtig in Erinnerung habe", meinte Dr. Lindau. "Stimmt", bestätigte Dr. Reichel. "Ich habe die Anamnese selbst aufge­nommen.

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Die Klinik am See – 49–

Sie kämpften um ihr Glück

Die Eltern hatten andere Pläne

Britta Winckler

Die Miene des Chefarztes der Kli­nik am See war besorgt, als er mit dem Leiter der Station für innere Krankheiten das Krankenzimmer Nr. 17 verließ. Beide Ärzte, Dr. Lindau und Dr. Reichel, begaben sich in das Stationszimmer.

»Es sieht nicht gut mit Frau Mein­hardt aus«, ergriff Dr. Lindau das Wort. »Ihre unteren Gliedmaßen sind bereits zu neunzig Prozent bewe­gungsunfähig.«

Dr. Reichel nickte. »Die Lähmung hat auch schon teilweise bei den Händen und Unterarmen begonnen«, sagte er.

»Das ist der zweite Schub bei der Patientin, wenn ich die Krankenge­schichte richtig in Erinnerung habe«, meinte Dr. Lindau.

»Stimmt«, bestätigte Dr. Reichel. »Ich habe die Anamnese selbst aufge­nommen. »Die Symptome der Krank­heit traten bei Frau Meinhardt das erste Mal vor drei Jahren auf. Bis vor einem Jahr war sie dann beschwerde­frei. Vor einem halben Jahr kam der erste Schub, und jetzt ist es der zweite. Als die Patientin vor drei Wochen bei uns eingeliefert wurde, hatte ich wegen der Taubheit in ihren Händen zuerst Nervenwurzel-Reiz­syndrome vermutet. Inzwischen aber hat die Lumbalpunktion ergeben, daß es sich unverkennbar um eine Multip­le Sklerose handelt.«

»Schlimm«, entgegnete Dr. Lindau. »Wir spritzen auf jeden Fall weiter Kortikotropin«, fügte er hinzu.

Dr. Reichel sah den Chefarzt skep­tisch an. »Ob das noch etwas helfen wird?« warf er die Frage auf.

»Nein, das glaube ich nicht«, erwi­derte Dr. Lindau. »Diese Spritzen lindern nur. Sie wissen genauso gut wie ich, daß gegen diese Art der Sklerose noch kein medizinisches Kraut gewachsen ist. Mit den ACTH­Spritzen versuche ich lediglich die Adrenalinausschüttung der Nebennie­ren anzuregen und schädliche Aus­wirkungen des Krankheitsschubs zu verringern.«

»Verstehe«, murmelte Dr. Reichel. »Endstation wird also ein Rollstuhl sein.«

»Genau«, bestätigte Dr. Lindau.

Etwas leiser setzte er hinzu: »Wenn die Patientin das noch erlebt.«

»Sie spielen auf die Herzinsuffizienz an?«

Dr. Lindau nickte. »Auch auf ihren Bluthochdruck.«

»Das kann sehr riskant werden«, meinte Dr. Reichel.

»Sie sagen es«, pflichtete Dr. Lindau dem Internisten bei. »Sorge bereitet mir aber auch die Depression der Patientin«, meinte er.

»Weiß sie es schon?« fragte Dr. Reichel.

»Was?« Fragend blickte Dr. Lindau den Kollegen an.

»Nun, das mit dem Rollstuhl«, antwortete der.

»Nein«, gab Dr. Lindau zurück, »noch nicht, und ich halte es nicht für angebracht, ihr das jetzt schon zu sagen. Ich habe allerdings die Absicht, ihren Sohn darüber zu informieren.« Er warf einen Blick auf die Uhr. »Ich muß jetzt hinüber zur Chirurgie«, sagte er. »Der Kollege Hoff wird schon warten.«

Mit einem Kopfnicken verabschiedete er sich vom Leiter der Station, verließ das Stationszimmer und lenkte seine Schritte der Chirurgie zu.

»Sie haben es gehört«, wandte sich Dr. Reichel an die im Raum anwesende Stationsschwester. »Kein Wort von einem Rollstuhl gegenüber Frau Meinhardt. Sagen Sie das bitte auch den übrigen Schwestern!«

»Ist schon recht, Herr Doktor«, erwiderte Schwester Marianne. »Arme Frau«, setzte sie hinzu. »Gerade erst siebenundvierzig geworden und schon so ein furchtbares Schicksal vor sich. Sie tut mir richtig leid.«

»Mir auch, Schwester Marianne, aber gegen dieses Leiden sind wir eben noch immer ziemlich machtlos«, entgegnete Dr. Reichel. »Besonders in diesem schon schwer zu nennenden Fall.«

*

Windstille lag über dem Tegernsee, über den sich ein wolkenloser Himmel wölbte. Die Sonne konnte also ungehindert ihre wärmenden Strahlen auf die Erde herabsenden. Sie erreichten natürlich auch die Anlagen des Tennis-Clubs »Blau-Weiß«, der sich auf der Süd-Ost-Seite des Sees, dicht hinter der Ortsgrenze von Tegernsee, etabliert hatte.

Um diese Zeit – es war die Mittagsstunde – war nicht viel Betrieb auf den drei Plätzen. Im Augenblick war nur einer von ihnen besetzt. In ein paar Stunden, am späten Nachmittag, sah es schon anders aus. Da war dann mehr los.

Thomas Meinhardt hatte eben die Netze der beiden unbesetzten Plätze nachgespannt. Wenn er auch nicht gerade begeistert von diesem Job war, so war er dennoch froh, ihn vor 3 Monaten bekommen zu haben. Natürlich hätte er viel lieber in seinem erlernten Beruf als Werbegrafiker gearbeitet. Die Werbeagentur, für die er bis vor vier Monaten tätig gewesen war, hatte aufgehört zu existieren. Trotz eifriger Bemühungen war es ihm nicht gelungen, in seiner Berufssparte eine neue Stellung zu finden. Sein bis auf wenige Mark zusammengeschrumpftes Bankkonto gestattete ihm nicht, wählerisch bei der Suche nach einer Verdienstmöglichkeit zu sein. Das kleine Haus am Rande von Auefelden, das er zusammen mit seiner Mutter bewohnte, kostete schließlich auch einiges. So war er also das geworden, was er jetzt war – eine Art Allround-Mann im Tennis-Club »Blau-Weiß« in Tegernsee.

In diesen drei Monaten, in denen er nun hier tätig war, hatte er es geschafft, eine gewisse Beliebtheit bei den Club-Mitgliedern zu erreichen. Besonders bei den Damen, die ihn öfter und gern zu einem kurzen Match inspirierten.

Dr. Feller, Rechtsanwalt in Tegernsee und Clubpräsident, hatte nicht die geringsten Einwände, wenn Tom – so wurde Thomas allgemein angesprochen – sich zu einem Spielchen mit den vorwiegend jüngeren weiblichen Mitgliedern zur Verfügung stellte. Ihm war inzwischen auch schon aufgefallen, daß einige der Tennisdamen es geradezu darauf anlegten, mit Tom zusammen dem weißen Sport zu huldigen. Man konnte beinahe sagen, daß sie nur seinetwegen kamen.

Thomas wußte das, doch zu seiner Ehre mußte man sagen, daß er das nicht zu seinem Vorteil ausnutzte. Er freute sich zwar darüber, daß man ihn mochte, aber in seinem Innern gab es kein Echo dazu.

Das heißt doch ein wenig, und zwar immer dann, wenn Gabriele Rombach erschien, um ein oder zwei Stunden lang Tennis zu spielen. Mit ihm natürlich. Am Anfang war sie oft mit wechselnden Partnern gekommen. Das hatte aber vor zwei Monaten schlagartig aufgehört. Seither erschien sie stets allein.

»Haben Sie Lust und Zeit zu einem Spiel mit mir?« war stets ihre erste Frage, wenn sie das Clubgelände betrat und sich direkt an ihn wandte, wo immer sie ihn auch gerade antraf – ob im Clubhaus oder draußen bei den Plätzen.

Es war Zufall, daß er dann tatsächlich gerade Zeit hatte und auch nicht nein sagen konnte. Daß er dann nach einem etwa halbstündigen Spiel mit der hübschen Gabriele, die erst vor kurzem ihren 19. Geburtstag gefeiert hatte, noch einen Drink genoß, war nichts Ungewöhnliches. Es störte ihn allerdings etwas, daß diese Drinks immer von ihr bezahlt wurden. Einige Male hatte er zwar versucht, trotz seiner etwas schmalen Brieftasche zu bezahlen, war aber bei Gabriele auf Widerstand gestoßen.

»Seien Sie nicht kindisch, Tom!« hatte sie lächelnd gesagt. »Sie opfern Ihre Zeit, um mit mir zu spielen, und da ist es doch wohl recht und billig, daß ich Sie dafür zumindest zu einem Drink einlade. Ich weiß doch, daß Sie nicht gerade fürstlich für Ihre Arbeit hier bezahlt werden. Ich, das heißt, mein verehrter Papa, der hat genug Geld.« Diese letzten Worte waren nicht etwa hochmütig oder überheblich über ihre Lippen gekommen, nein, sie waren lediglich eine einfache Feststellung einer sehr hübschen jungen Frau, der Tochter eines reichen Vaters, die es genoß, mit dessen Geld sich und anderen viel Freude zu machen.

Ja, und so war es bis jetzt geblieben – er, Thomas, spielte ein kurzes Match mit Gabriele, die trotz ihres Vaters Reichtums nicht etwa die verwöhnte junge Dame hervorkehrte, und plauderte anschließend bei einem Drink noch ein halbes Stündchen mit ihr.

Zwei Tage hatte er sie nun schon nicht mehr gesehen. Ernsthaft fragte er sich, ob er vielleicht verliebt in sie war. Eine klare Antwort darauf fand er aber nicht. Es machte ihn nur nachdenklich. So nachdenklich, daß er sogar etwas an Konzentration verlor, wenn er sich als Spielpartner für eine der anderen Damen zur Verfügung stellte. So wie am Vortage.

Die fast vierzigjährige Frau des Club-Präsidenten hatte ihn um ein Spiel gebeten, das er aber nach drei Sätzen abgebrochen hatte, nachdem ihm etliche Fehler unterlaufen waren.

»Sie spielen aber sehr unkonzentriert, Tom«, hatte sich Margot Feller nicht verbeißen können, ihm tadelnd zuzurufen. »Was ist los mit Ihnen? Haben Sie Kummer?«

»Tut mir leid, gnädige Frau, aber ich mache mir ein wenig Sorgen um meine Mutter, die schon seit einiger Zeit in der Klinik liegt.« Etwas anderes war Thomas als Erklärung für sein unkonzentriertes Spiel nicht eingefallen. So ganz hatte er damit auch nicht unrecht. Er sorgte sich wirklich um seine Mutter, die er mehr liebte als alles andere. Doch er wußte auch, daß seine mangelnde Konzentration nicht allein darauf zurückzuführen war, sondern mehr mit Gabriele zusammenhing. Er vermißte sie einfach.

»Das tut mir leid, Tom«, kam Margot Fellers Entgegnung. »Und ich dachte schon, daß es mit unserer hübschen Frau Rombach zusammenhängt, daß sie heute so viele Fehler machten. Gut, beenden wir das Spiel, und ich hoffe, daß ich das nächste Mal einen etwas aufmerksameren Gegner in Ihnen habe.«

Thomas war gar nicht dazu gekommen, darauf noch etwas zu sagen, denn Margot Feller hatte schon den Platz verlassen und war im Clubhaus verschwunden.

Daran mußte Thomas jetzt denken, während er am Rande des einen Platzes stand und versonnen dem Spiel der im Augenblick einzigen Aktiven zusah. Sekunden später aber bewegten sich seine Gedanken in eine andere Richtung. Er dachte an seine Mutter, die in der Klinik am See lag. Inständig hoffte er, daß sie bald wieder gesund würde. Dabei wußte er noch gar nicht einmal genau, von was für einem Leiden sie befallen war. Er hatte zwar erst vor kurzem mit dem Stationsarzt, einem Dr. Reichel, gesprochen, doch eine präzise Antwort auf seine Frage nach der Art der Krankheit, deretwegen seine Mutter in der Klinik lag, hatte er nicht erhalten.

»Ich will es aber wissen«, murmelte er vor sich hin. »Heute noch, wenn ich Mama besuche.« Sein Blick richtete sich auf die Uhr an seinem Handgelenk. Noch hatte er Zeit. In einer Stunde etwa würde er wie jeden Tag auf seinem Vesparoller nach Auefelden fahren. Die Besuche bei seiner Mutter gehörten seit drei Wochen zum festen Bestandteil seines Tagesablaufes. Mit Dr. Feller, dem Club-Präsidenten, hatte er das abgesprochen, und der hatte keine Einwände gehabt.

»Ich verstehe Sie, Tom, und finde es nur gut, daß Sie sich so um Ihre Mutter sorgen und sich um sie bemühen.« Lächelnd hatte er hinzugefügt: »Unsere Tennisdamen werden es überstehen, wenn Sie mal für ein oder zwei Stunden nicht greifbar sind.«

Thomas war Dr. Feller sehr dankbar für sein Verständnis. Er wäre aber entschlossen gewesen, auch ohne dessen Einverständnis für ein oder zwei Stunden den Tennisclub zu verlassen, um seine Mutter zu besuchen. Dazu liebte er sie zu sehr.

»Hallo, Tom, so versonnen?«

Thomas fuhr herum, als er die Stimme hinter sich vernahm. In seinen Augen blitzte es auf, als er Gabriele Rombach vor sich stehen sah, die ihn freundlich anlächelte. Sein Blick huschte über ihre schlanke Gestalt, die bereits im Tennisdreß steckte. Die Gegenwart dieser jungen Frau verwirrte ihn jedes Mal. Weshalb das so war, konnte er nicht sagen. Waren es ihre irisierenden Augen, in denen es verhalten aufleuchtete, wenn sie ihn ansah? Oder war es die schlanke Figur mit den langen Beinen, die nur knapp von dem kurzen Tennisröckchen bedeckt waren?

»Haben Sie Zeit und Lust?« kam da auch schon Gabrieles obligatorische Frage. Auffordernd sah sie Thomas an und wünschte sich im gleichen Augenblick, daß er endlich einmal ein wenig aus seiner Reserve herauskäme. Schon lange war sie sich darüber klar geworden, daß sie sich in diesen Mann verliebt hatte. Ob dieses Gefühl, das ein seltsam angenehmes Kribbeln auf ihre Haut zauberte, Liebe war, konnte sie nicht sagen. Sie wußte nur, daß es sie auf eine ganz bestimmte Weise zu Thomas hinzog. Gleichzeitig spürte sie aber auch, daß er, wie aus seinen Blicken und überhaupt aus seinem ganzen Verhalten ihr gegenüber zu merken war, etwas für sie übrig hatte. Warum aber verhielt er sich dann so passiv? Diese Frage beschäftigte sie schon seit Tagen. Sie konnte als Frau doch nicht von sich aus sagen, daß er ihr nicht ganz gleichgültig war.

Nur ganz wenige Sekunden dauerten diese Gedankengänge, die nun von Thomas unterbrochen wurden. »Lust ja, aber Zeit nicht allzuviel«, antwortete er auf Gabrieles Frage und sah auf seine Uhr. »In einer guten halben Stunde muß ich in die Klinik fahren, zu meiner Mutter«, fügte er hinzu.

Gabrieles Lächeln verflachte. Ernst sah sie Thomas an. Sie wußte, daß seine Mutter in der Klinik am See lag. Er hatte es ihr einmal erzählt, und sie wußte auch, daß er sich große Sorgen machte. »Wie geht es ihr?« fragte sie mitfühlend.

Thomas zuckte mit den Schultern. »Jedenfalls nicht besser als vor einer Woche«, erwiderte er. Seine Stimme zitterte ein wenig.

»Das tut mir ehrlich leid«, gab Gabriele zurück. »Aber Sie dürfen nicht die Hoffnung auf Besserung aufgeben, Tom!« Sanft legte sie ihre Hand auf Thomas’ Arm. »Ich weiß, daß die Ärzte in der Klinik am See sehr gut sind, und ich glaube fest, daß sie Ihre Mutter heilen werden.«

»Ich hoffe es«, murmelte Thomas.

»Sie lieben Ihre Mutter wohl sehr?« Das war Frage und Feststellung zugleich.

Thomas nickte. »Mehr als alles auf der Welt«, entgegnete er. »Ich würde alles tun, damit sie wieder gesund wird.«

Sinnend blickte Gabriele in die Ferne. Sie dachte an ihre Mutter, die vor sechs Jahren gestorben war. Wie gern hätte sie jetzt ihren Rat gesucht, ihr Verständnis und vielleicht auch ihre Hilfe. Ihr Vater war zwar auch sehr verständnisvoll und erfüllte ihr alle Wünsche, aber er war eben ein Mann, der sich sicherlich nicht in das Gefühlsleben seiner Tochter so hineinversetzen konnte, wie es bei einer Mutter der Fall war.

»Sie haben noch eine Mutter, Gabriele?« fragte Thomas leise. Seit 14 Tagen sprach er Gabriele nur noch mit dem Vornamen an, auf ihren Wunsch.

Gabriele schüttelte den Kopf. »Nein, nur noch einen Vater«, erwiderte sie. »Der aber ist schwer in Ordnung«, setzte sie lächelnd hinzu. »Ich habe ihm übrigens von Ihnen erzählt.«

»Von mir?« Thomas blickte Gabriele überrascht an. »Weshalb das?«

»Hätte ich das nicht tun sollen?« gab Gabriele fragend zurück. Mit leicht schräggelegtem Kopf sah sie Thomas an. »Ich soll Sie auch mal zu uns einladen«, fügte sie hinzu.

»Mich?«

»Ja, Sie«, bekräftigte Gabriele. »Oder ist Ihnen das unangenehm?« fragte sie.

»Nein, natürlich nicht«, beeilte sich Thomas mit der Antwort.

»Also, wenn wir schon dabei sind – wie wäre es denn mit übermorgen nach Ihrem Dienstschluß?« fragte Gabriele.

Einen Augenblick lang überlegte Thomas. Das kam ihm alles ein wenig überraschend. Hinzu kam noch, daß er gewisse Hemmungen hatte. Er, der nichts hatte, nichts besaß und nicht auf eine prall gefüllte Brieftasche verweisen konnte, sollte in das Haus des reichen Rombach kommen? Von dem trennten ihn doch Welten.

Gabriele schien Gedanken lesen zu können. Um ihre Lippen huschte ein Lächeln. »Sagen Sie jetzt um Gottes willen nicht nein, weil mein Vater zufällig reich ist«, sagte sie. »Für ihn zählt in erster Linie der Mensch. Soll ich noch deutlicher werden, Tom?« setzte sie fragend hinzu.

»Nein, ich habe schon verstanden.« Thomas sah Gabriele in die Augen, etwas länger als sonst.

Gabriele erwiderte diesen Blick. »Also?« fragte sie nur.

Thomas nickte. »Gut, ich komme gern«, erwiderte er. »Vielen Dank auch für diese Einladung.«

Gabriele lächelte. »Seien Sie nicht so förmlich«, entgegnete sie. »Wir werden gemütlich Kaffee trinken und Kuchen essen und miteinander plaudern.«

»Zusammen mit Ihrem Vater?« entfuhr es Thomas.

»Natürlich«, antwortete Gabriele. »Der ist nämlich neugierig auf den Mann, mit dem seine einzige Tochter so gern Tennis spielt.«

Deutlicher konnte sie nun nicht werden.

»Gut, abgemacht, ich komme übermorgen zum Kaffee«, erklärte Thomas entschlossen. Spontan ergriff er Gabrieles Hand, die ihm auch willig überlassen wurde. »Danke, Gabriele«, sagte er. »Ich freue mich.« Das war auch wirklich der Fall.

*

Nur schwach leuchtete es in den Augen von Carola Meinhardt auf, als sie die Stimme ihres Sohnes vernahm, der das Krankenzimmer betreten hatte. Man merkte ihr kaum an, wie sehr sie sich über seinen Besuch freute. Sie fühlte sich einfach zu schwach, um diese Freude mit Worten zum Ausdruck zu bringen.

»Hallo, Mama.« Thomas trat an das Bett heran und gab seiner Mutter einen Kuß auf die Stirn. Es schnitt ihm jedes Mal ins Herz, wenn er sie so teilnahmslos, in einem schon fast als depressiv zu bezeichnendem Zustand im Krankenbett liegen sah. »Wie geht es dir?« Es war immer die gleiche Frage, die er bei seinen Besuchen als erste stellte. Immer aber erhielt er auch die gleiche Antwort.

»Nicht gut, Junge«, erwiderte die Mutter auch jetzt wieder. »Es wird nicht besser, eher schlimmer.« Ihre Stimme klang leise, so, als würde es sie anstrengen zu sprechen.

Thomas schluckte schwer. »Deine Beine, sind die immer noch taub?« fragte er besorgt.

Die Mutter nickte. »Bei den Armen beginnt es auch schon langsam«, antwortete sie.

»Gibt es denn gar nichts, womit die Ärzte dir helfen können?«

Mit einer müden Bewegung der rechten Hand winkte Carola Meinhardt ab. »Ich kriege Spritzen«, murmelte sie und starrte an die Zimmerdecke.