Die Klinik am See 50 – Arztroman - Britta Winckler - E-Book

Die Klinik am See 50 – Arztroman E-Book

Britta Winckler

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Beschreibung

Besonders beliebt bei den Leserinnen von Arztromanen ist der Themenbereich Frauenklinik. Gerade hier zeigt sich, wie wichtig eine sensible medizinische und vor allem auch seelische Betreuung für die Patientinnen ist, worauf die Leserinnen dieses Genres großen Wert legen. Die große Arztserie Klinik am See setzt eben dieses Leserinteresse überzeugend um. Britta Winckler ist eine erfahrene Romanschriftstellerin, die in verschiedenen Genres aktiv ist und über hundert Romane veröffentlichte. Die Serie Die Klinik am See ist ihr Meisterwerk. Es gelingt der Autorin, mit dieser großen Arztserie die Idee umzusetzen, die ihr gesamtes Schriftstellerleben begleitete. Sie selbst bezeichnete ihre früheren Veröffentlichungen als Vorübungen für dieses grandiose Hauptwerk. Ein Schriftsteller, dessen besonderer erzählerischer Wunsch in Erfüllung geht, kann mit Stolz auf sein Schaffen zurückblicken. Auf dem Parkplatz der Klinik am See herrschte ein reges Kommen und Gehen. Niemand achtete jedoch auf die junge Frau, die bereits über eine halbe Stunde regungslos hinter dem Lenkrad ihres Wagens saß. Bereits vor einer Woche hatte sie hier auf dem Parkplatz gestanden, es jedoch dann nicht gewagt, ihr Auto zu verlassen und die Klinik zu betreten. Auch jetzt zögerte sie. Sie hatte sich über die Klinik am See genauestens informiert und über den Chefarzt, Dr. Hendrik Lindau, nur Gutes gehört. Er war ihr als ein ausgezeichneter Gynäkologe empfohlen worden. Auch seine menschlichen Qualitäten wurden allgemein in den höchsten Tönen gelobt. Die junge Frau seufzte. Wieder glitt ihr Blick zum Eingang hin. Nein, sie wollte nicht wieder unverrichteterdinge wegfahren. Sie holte einen Handspiegel hervor, betrachtete lange und eingehend ihr Gesicht. Heute hatte sie sich nicht geschminkt, hatte ihr goldblondes Haar einfach nur zu einem Knoten zusammengedreht, den sie am Hinterkopf festgesteckt hatte. Sie wollte nicht auffallen. Dann warf sie den Kopf in den Nacken. Der Spiegel verschwand wieder in ihrer Handtasche. Ihr liebliches Gesicht nahm einen arroganten Ausdruck an. Niemand konnte ihr etwas vorschreiben. Sie konnte tun und lassen, was sie wollte. So stieg sie aus, und ohne nach links oder rechts zu sehen, überquerte sie den Parkplatz.

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Die Klinik am See – 50–

Eine Frau im Rampenlicht

Es ist nicht immer leicht, ein Star zu sein

Britta Winckler

Auf dem Parkplatz der Klinik am See herrschte ein reges Kommen und Gehen. Niemand achtete jedoch auf die junge Frau, die bereits über eine halbe Stunde regungslos hinter dem Lenkrad ihres Wagens saß. Bereits vor einer Woche hatte sie hier auf dem Parkplatz gestanden, es jedoch dann nicht gewagt, ihr Auto zu verlassen und die Klinik zu betreten. Auch jetzt zögerte sie. Sie hatte sich über die Klinik am See genauestens informiert und über den Chefarzt, Dr. Hendrik Lindau, nur Gutes gehört. Er war ihr als ein ausgezeichneter Gynäkologe empfohlen worden. Auch seine menschlichen Qualitäten wurden allgemein in den höchsten Tönen gelobt.

Die junge Frau seufzte. Wieder glitt ihr Blick zum Eingang hin. Nein, sie wollte nicht wieder unverrichteterdinge wegfahren. Sie holte einen Handspiegel hervor, betrachtete lange und eingehend ihr Gesicht. Heute hatte sie sich nicht geschminkt, hatte ihr goldblondes Haar einfach nur zu einem Knoten zusammengedreht, den sie am Hinterkopf festgesteckt hatte. Sie wollte nicht auffallen. Dann warf sie den Kopf in den Nacken. Der Spiegel verschwand wieder in ihrer Handtasche. Ihr liebliches Gesicht nahm einen arroganten Ausdruck an. Niemand konnte ihr etwas vorschreiben. Sie konnte tun und lassen, was sie wollte. So stieg sie aus, und ohne nach links oder rechts zu sehen, überquerte sie den Parkplatz.

Noch einmal hielt die junge Frau inne. Ihr Blick glitt an der Fassade des Gebäudes entlang. Sie wußte, daß die jetzige Frauenklinik in einem ehemaligen Schloß untergebracht war. Ihr gefiel das Gebäude. Es mußte schön sein, hier ein Kind zur Welt zu bringen, schoß es ihr durch den Kopf. Aber soweit war es noch lange nicht. Sie wußte noch nicht einmal, ob sie wirklich in anderen Umständen war. Ihr Blick glitt zu dem neuangebauten Trakt hinüber. Man hatte ihr erzählt, daß sich in diesem Trakt eine Kinderstation befand, die von der Tochter des Chefarztes und deren Mann geleitet wurde.

»Kann ich Ihnen behilflich sein?« Ein Mann in einem weißen Mantel hatte sie angesprochen.

»Nein, danke! Oder doch!« Die junge, sehr hübsche Frau streckte sich. »Ich möchte zu Dr. Lindau. Sind Sie Arzt hier?«

»Nein! Ich bin nur Pfleger und nebenbei auch Krankenwagenfahrer.« Der Mann, er war kaum älter als die Frau, lachte. Es war ein offenes, sympathisches Lachen. »Ich glaube, der Chef ist noch nicht in der Klinik. Er hat heute auch keine Sprechstunde. Sind Sie angemeldet?«

Die junge Frau hatte ebenfalls gelächelt. Jetzt verschloß sich ihre Miene wieder. »Nein! Wenn der Chefarzt nicht hier ist, dann werde ich eben auf ihn warten.« Sie ließ den Pfleger stehen, eilte leichtfüßig die Treppe hinauf und verschwand im Innern des Gebäudes.

Claus Hartung hätte beinahe gepfiffen. War er je einem so hübschen Mädchen begegnet? Am liebsten wäre er hinter ihr her geeilt, doch er hatte etwas zu erledigen, und dies eilte.

Die Frau sah den Pförtner. Sekundenlang war sie versucht, einfach an seiner Loge vorbeizugehen, sie hielt dann jedoch inne. Sie hatte nicht die Absicht, sich mit dem Mann auf ein Gespräch einzulassen, also sah sie über ihn hinweg.

»Ich möchte zu Dr. Lindau! Wo finde ich ihn?«

»Ich habe den Chef noch nicht zurückkommen gesehen. Ich weiß auch nicht, ob er heute überhaupt noch einmal kommt.« Der Pförtner, er war nicht mehr der Jüngste, musterte die hübsche junge Frau ungeniert. »Ich kann aber nachfragen«, sagte er dann eifrig.

»Tun Sie das!« Erst nach einigen Sekunden setzte die Frau ein »Bitte!« hinzu.

Der Pförtner nickte. »Ich werde seine Sekretärin fragen.« Er griff zum Telefonhörer.

Die junge Frau preßte die Lippen aufeinander. Zu dumm, daß der Chefarzt nicht im Haus war. Mit unbeweglichem Gesicht hörte sie auf die Worte, die der Pförtner in den Hörer sprach. Als er zu ihr her sah, sagte sie rasch: »Ich werde auf den Chefarzt warten.«

Der Pförtner teilte dies Marga Stäuber, der langjährigen Sekretärin des Chefarztes, mit. Er lauschte auf ihre Antwort, dann legte er die rechte Hand über die Muschel und fragte: »Wie heißen Sie?«

»Nein, ich bin nicht angemeldet. Ich werde aber trotzdem warten.«

Die junge Frau wandte sich einfach um.

*

Die junge Frau nahm ihre Umgebung nicht wahr. Sie war in Gedanken. Sie bereute nicht, was sie getan hatte, sie war glücklich. Für sie gab es keine Vergangenheit mehr. Sie wollte auch nicht daran erinnert werden, sie wollte ein ganz neues Leben beginnen. Dieser Gedanke ließ sie lächeln. Dabei hielt sie den Blick gesenkt und stolperte so auf dem Treppenabsatz. Wahrscheinlich wäre sie gestürzt, hätte eine Männerhand sie nicht im letzten Augenblick festgehalten.

»Alles in Ordnung?« Die Hand ließ sie los. Die junge Frau sah in ein markantes Männergesicht. Die leicht angegrauten Schläfen machten es noch interessanter. Der Blick des Mannes war offen, ein Gesicht, das Vertrauen erweckte. Und plötzlich wurde der jungen Frau klar, wer da neben ihr stand. Es war der Chefarzt, Dr. Hendrik Lindau, von dem sie schon so viel gehört hatte.

»Dr. Lindau? Nicht wahr, Sie sind Dr. Lindau?« Die junge Frau lächelte, und es zeigte deutlich, welch aparte Erscheinung sie war. Das lieblos zusammengefaßte Haar hatte sich inzwischen auch etwas ge­lockert. Es ringelte sich nun an Ohren und Stirn.

»Ja! Dr. Lindau!«

»Ich wollte zu Ihnen. Ich bin sehr froh, daß ich Sie nun doch noch treffe.« Die junge Frau war sich dessen nicht bewußt, aber die Erleichterung ließ sie noch immer lächeln.

»Ja, bitte! Was kann ich für Sie tun?«

»Sie sind mir empfohlen worden. Ich möchte mich von Ihnen untersuchen lassen.«

»Gerne. Kommen Sie nächste Woche einmal in meine Sprechstunde.« Dr. Lindau schenkte ihr noch ein Lächeln, dann wollte er weiter.

»Herr Doktor!« Die junge Frau griff einfach nach seinem Arm. »Ich bin Privatpatientin. Bitte, können Sie mich nicht gleich untersuchen?«

»Jetzt? Nein, ich habe heute keine Sprechstunde.«

»Bitte, Herr Doktor! Ich möchte nicht noch einmal kommen.«

»Haben Sie Beschwerden?« fragte der Chefarzt sachlich.

Jetzt hätte die junge Frau lügen können, aber das wollte sie nicht, also schüttelte sie den Kopf

»Ich möchte nur Gewißheit haben. Ich glaube… ich hoffe, daß ich in anderen Umständen bin.«

Dr. Lindau überlegte kurz. Es war nicht seine Art, eine Patientin wegzuschicken. Sie war zu ihm gekommen, weil sie Hilfe erwartete.

»Kommen Sie, gehen wir nach oben. Frau Wendler kann uns sicher sagen, ob Sie bereits am Montag kommen können.«

Da der Chefarzt nun wirklich weiterging, hatte die junge Frau keine andere Wahl, sie mußte ihm folgen.

Die junge Frau erkannte, daß sie den Chefarzt nicht umstimmen konnte. Sie spürte den Blick seiner Assistentin. Am liebsten hätte sie sich umgedreht und wäre gegangen, aber sie wollte endlich Gewißheit haben.

»Gut, um dreizehn Uhr!« Bettina setzte ihren Stift an, dann hob sie den Kopf. »Frau…«

»Nein! Ich werde meinen Namen nicht nennen.« Die rehbraunen Augen der jungen Frau verengten sich. »Dazu kann mich niemand zwingen! Herr Dr. Lindau, ich versichere Ihnen, daß ich nichts Unerlaubtes getan habe. Ich möchte nur nicht, daß man erfährt…« Sie biß sich auf die Lippen. »Es ist privat!« Ein Zittern lief um ihre Mundwinkel. Sie sah den Chefarzt wieder direkt an, und dieser sah, daß ihre Augen feucht geworden waren. »Ich habe doch ein Recht zu tun, was ich will.«

»Das kommt darauf an!« Dr. Lindau strich sich über das Kinn.

»Es ist meine Entscheidung, mein Problem.« Die junge Frau schnupfte auf. »Verzeihen Sie, Herr Doktor! Ich will niemanden mit meinen Problemen belästigen. Ich möchte von Ihnen untersucht werden, und wenn dies nicht möglich ist, dann…« Sie brach ab. Sie wollte sich keinen anderen Arzt suchen.

»Es ist möglich, wenn es auch ungewöhnlich ist.«

»Danke! Sie bekommen deswegen sicher keine Unannehmlichkeiten. Ich werde am Montag pünktlich hier sein.« Sie lächelte, und das Lächeln galt Dr. Lindau. Sie hatte zu ihm Vertrauen. Sie konnte sich gut vorstellen, daß er ihr half, ihr Kind zur Welt zu bringen. Sie wollte ein Kind.

»Montag um dreizehn Uhr«, sagte Bettina Wendler. Sie schob ihre Unterlippe nach vorn. Wer war diese Frau? Irgendwie hatte sie das Gefühl, sie schon einmal gesehen zu haben.

»Ja! Ich bin Privatpatientin. Ich werde gleich nach der Untersuchung bezahlen.«

»Auch das ist ungewöhnlich«, stellte Bettina fest. Sie sah den Chefarzt an, doch dieser nickte.

»Bis Montag! Auf Wiedersehen!« Die Unbekannte wollte gehen, dann überlegte sie es sich aber anders. Sie reichte dem Chefarzt die Hand. »Danke!«

Dr. Lindau sowie seine Assistentin sahen hinter der Frau her. Sekundenlang sahen sie noch auf die Tür, als diese sich bereits hinter ihr geschlossen hatte.

»Ich weiß wirklich nicht, was ich von dieser Frau halten soll«, platzte Bettina schließlich heraus. »Irgend etwas stimmt mit ihr doch nicht.«

»Sie hat Probleme«, meinte Dr. Lindau ruhig.

»Es paßt alles nicht zusammen«, beharrte Bettina. Laut dachte sie: »Sie ist hübsch, irgendwie auch gepflegt, und trotzdem – dieses Haar! Die Frau könnte sehr viel mehr aus sich machen.«

Lächelnd stellte Dr. Lindau fest: »Vielleicht will sie dies nicht.« Er ahnte nicht, daß er damit den Nagel auf den Kopf getroffen hatte.

Bettina schob ihre Unterlippe vor. »Sie gefällt Ihnen also?«

»Ist sie Ihnen etwa unsympathisch?« konterte der Chefarzt.

»Nein, ich weiß nur nicht… Sie nennt ihren Namen nicht!« Sie schüttelte den Kopf. »Reichlich egozentrisch!«

»Sie wird ihre Gründe haben. Auf jeden Fall wollte sie nicht, daß wir uns über sie die Köpfe zerbrechen. Wir haben auch etwas anderes zu tun. Ich will nach Frau Bieler sehen. Es gab bei der Geburt unvorhergesehene Komplikationen.« Er ging zur Tür. Dort wandte er sich noch einmal um. »Im übrigen habe ich heute meinen freien Nachmittag. Sie haben mich nicht gesehen. Ich bin für niemanden zu sprechen.«

Bettina Wendler seufzte, aber dies hörte er schon nicht mehr. Er eilte zur Wöchnerinnenstation und dachte nicht mehr an die schöne Unbekannte, sondern an seine Patientin, deren Baby er heute morgen mit einem Kaiserschnitt hatte holen müssen.

Bettina konnte ihre Gedanken nicht so schnell von der Frau lösen. Sie starrte auf den Terminkalender, als ob dieser ihr den Namen verraten könnte. Sie hatte einfach ein X geschrieben.

*

Bettina Wendler verzichtete an diesem Tag bewußt auf ein Mittagessen, sie hatte sich mit einem Wurstbrot begnügt, denn sie wollte da sein, wenn die Unbekannte kam. Kurz vor dreizehn Uhr klopfte es.

»Herein«, rief Dr. Lindaus Assistentin. Erwartungsvoll sah sie zur Tür.

Sie war es! Heute trug sie eine übergroße Sonnenbrille und hatte ihr Haar mit einem Tuch zusammengebunden. Bettinas Blick glitt über die Gestalt der Frau. Sie trug ein Leinenkleid, das wie ein Sack an ihr hing. Sie war wirklich äußerst unvorteilhaft gekleidet. Eigenartig – sie hätte der Frau mehr Geschmack zugetraut.

»Guten Tag!« Der jungen Frau entging der forschende Blick nicht. Ärgerlich sagte sie: »Wie Sie wissen, bin ich angemeldet.«

»Stimmt!« Bettina Wendler griff nach dem Terminkalender. »Um dreizehn Uhr! Um diese Zeit findet sonst keine Sprechstunde statt.«

»Es handelt sich um eine einmalige Untersuchung«, berichtete die Frau. Sie sah dabei über Bettinas Kopf hinweg.

»Das ist mir bewußt«, entgegnete Bettina. Sie hatte nicht die Absicht, sich von dieser Frau einschüchtern zu lassen.

Die junge Frau biß sich auf die Unterlippe. Sie wußte wirklich nicht, wie sie sich verhalten sollte. Nervös trat sie von einem Fuß auf den anderen.

»Dr. Lindau ist doch im Haus? Nicht, daß ich wieder umsonst gekommen bin.«

»Er ist auf der Station. Ich werde dort Bescheid sagen, daß Sie hier sind.« Bettina griff zum Telefonhörer. Die junge Frau hörte sie sagen: »Bitte, sagen Sie dem Chef, daß er ins Untersuchungszimmer kommen soll.«

Da Bettina schwieg, sah die Frau zu ihr hin. Die Blicke der beiden Frauen begegneten sich. Bettina umspannte den Hörer fester, sie sah die Unbekannte ironisch an, als sie weitersprach: »Nein, den Namen kann ich nicht nennen, aber der Chef weiß Bescheid.« Sie sah, daß die Frau sich abwandte. Lauter fuhr sie fort: »Terminkalender? Natürlich habe ich einen Terminkalender. Hier steht ein großes X.« Sie legte auf.

Bettina sah wieder zu der Unbekannten hin. Ihre Blicke trafen sich, die Unbekannte sah rasch zur Seite. So wartete sie, kühl beobachtete sie die Frau, die anfing auf und ab zu gehen. Dicht vor ihrem Schreibtisch blieb sie dann stehen.

»Der Chefarzt ist doch da?«

»Es wurde mir nichts Gegenteiliges gesagt. Ich nehme an, daß der Chefarzt jeden Augenblick kommt. Die Untersuchung findet im Nebenraum statt. Dort ist auch eine Umkleidekabine.«

»Danke!« Die Frau wandte sich wieder ab.

»Da ist noch etwas! Es ist üblich, daß ich eine Karteikarte anlege.«

»Nein!« Die Fremde fuhr herum. »Das ist nicht nötig!« Ihre Hand fuhr zur Sonnenbrille. Statt sie jedoch abzunehmen, rückte sie sie nur zurecht. »Es handelt sich um eine einmalige Untersuchung.« Sie ließ die Brille los, öffnete die Handtasche. Daraus nahm sie fünfhundert Mark. »Hier, dies dürfte doch genügen? Ich brauche auch keine Rechnung.«

»Mit den Rechnungen habe ich nichts zu tun. Die werden von der Sekretärin geschrieben.«

Die Frau legte das Geld auf den Schreibtisch. »Ich brauche keine Rechnung. Die Untersuchung dauert sicher auch nicht lange.«

»Ich weiß nicht… Wegen der Bezahlung müssen Sie mit dem Chef sprechen.«

»Ich wollte...« Die junge Frau brach ab. Sie hatte der Assistentin Geld anbieten wollen. Niemand sollte erfahren, daß sie die Frauenklinik am See aufgesucht hatte. Es sollte ja niemand wissen, wo sie sich aufhielt.

»Ja?«

Hastig griff die junge Frau wieder nach dem Geld. »Sie haben völlig recht, ich spreche mit Dr. Lindau darüber.« Ihr war noch rechtzeitig eingefallen, daß hier niemand wußte, wer sie war. Man hatte sie nicht erkannt. Sie zuckte zusammen, als sich hinter ihr die Tür öffnete. Als sie jedoch den Chefarzt erkannte, lächelte sie erleichtert.

Dr. Lindau reichte ihr die Hand. »Wir können gleich ins Untersuchungszimmer gehen. Bettina, zeigen Sie Frau…« Er stutzte. »Ich wechsle nur rasch den Mantel.«

»Kommen Sie, bitte«, sagte Bettina. Sie öffnete die Verbindungstür und ließ der Frau den Vortritt. »Einen Augenblick, bitte!« sagte sie dann. Sie nahm einen weißen Mantel vom Kleiderständer und eilte damit zu Dr. Lindau zurück.

Die junge Frau stand mitten im Raum und sah sich um. Ihr Herz klopfte. Nicht mehr lange, und sie würde wissen, ob das Ausbleiben ihrer Periode durch die Aufregungen der letzten Zeit bedingt war. Sie hatte stets darauf gewartet, daß ihr am Morgen übel war, aber dies war bisher nicht der Fall gewesen.

»Herr Doktor, soll sich die Patientin schon ausziehen?« hörte sie die Assistentin des Chefarztes fragen. Unwillkürlich schoß ihr das Blut ins Gesicht. Sie wollte dies alles so schnell wie möglich hinter sich bringen. Also ging sie auf die Umkleidekabine zu, die sich am anderen Ende des Raumes befand.

Da hatte der Chefarzt aber auch schon das Untersuchungszimmer betreten. »Nein, warten Sie noch einen Augenblick! Setzen Sie sich doch!«

Die junge Frau drehte sich um und sah, daß der Chefarzt auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch deutete.

»Ich nehme an, daß keine Karteikarte angelegt worden ist«, fuhr Dr. Lindau fort. Er ging um den Schreibtisch herum und nahm Platz. Erwartungsvoll sah er dann auf seine unbekannte Patientin.

»Ich möchte es nicht, Herr Doktor! Es ist auch nicht nötig!« Zögernd kam sie näher.

»Setzen Sie sich!« Der Chefarzt sagte es ruhig, aber es war klar, daß er gewohnt war, sich durchzusetzen.

Die junge Frau nahm Platz. Nun erschien ein Lächeln auf dem Gesicht des Chefarztes. Freundlich sagte er: »Ihre Sonnenbrille können Sie hier abnehmen.«

»Oh!« Die Hand der Frau fuhr in die Höhe.

»Ich weiß! Sie wollen nicht erkannt werden.« Dr. Lindau beugte sich etwas nach vorn. »Glauben Sie mir, ich habe nicht die Absicht, Nachforschungen anzustellen. Sie können in dieser Hinsicht völlig unbesorgt sein.«

»Tut mir leid!« Die junge Frau nahm die übergroße Brille ab. Ihre rehbraunen Augen sahen den Chefarzt an. In diesem Augenblick wirkte sie sehr jung, sehr unsicher, sehr zerbrechlich. Dann verschloß sich ihre Miene. »Ich möchte Sie nicht belästigen, Herr Doktor. Ich danke Ihnen, daß Sie für mich eine Ausnahme machen und diese Untersuchung vorzeitig angesetzt haben. Kann ich mich jetzt freimachen?«

Dr. Lindau legte seine Handflächen gegeneinander, nachdenklich sah er die junge Frau an. »Wollen wir nicht zuerst von Ihren Beschwerden sprechen?«

»Ich habe keinerlei Beschwerden.«

»Und warum suchen Sie dann einen Gynäkologen auf? Ich meine, warum ist es Ihnen damit so eilig?«

»Ich glaube, ich bekomme ein Baby. Ich möchte wissen, ob meine Vermutung stimmt.«

»Gehe ich richtig in der Annahme, daß Ihre Periode ausgeblieben ist?«

Die junge Frau nickte.

»Das kann auch andere Gründe haben.«

»Ich weiß!« Die junge Frau senkte den Kopf. »Ich hoffe aber…«

Der Chefarzt sah auf den gesenkten Kopf. Er wußte nicht, wie er der Frau sonst noch helfen konnte. Sie hätte einen Gesprächspartner gebraucht.

Der Kopf der jungen Frau fuhr in die Höhe. »Bitte, untersuchen Sie mich! Mehr will ich nicht.«

»Machen Sie sich frei und setzen Sie sich auf den Stuhl.« Die Stimme des Chefarztes war jetzt sachlich. Während die junge Frau in der Kabine verschwand, wusch er sich die Hände.