Die Klinik am See 55 – Arztroman - Britta Winckler - E-Book

Die Klinik am See 55 – Arztroman E-Book

Britta Winckler

0,0

Beschreibung

Besonders beliebt bei den Leserinnen von Arztromanen ist der Themenbereich Frauenklinik. Gerade hier zeigt sich, wie wichtig eine sensible medizinische und vor allem auch seelische Betreuung für die Patientinnen ist, worauf die Leserinnen dieses Genres großen Wert legen. Die große Arztserie Klinik am See setzt eben dieses Leserinteresse überzeugend um. Britta Winckler ist eine erfahrene Romanschriftstellerin, die in verschiedenen Genres aktiv ist und über hundert Romane veröffentlichte. Die Serie Die Klinik am See ist ihr Meisterwerk. Es gelingt der Autorin, mit dieser großen Arztserie die Idee umzusetzen, die ihr gesamtes Schriftstellerleben begleitete. Sie selbst bezeichnete ihre früheren Veröffentlichungen als Vorübungen für dieses grandiose Hauptwerk. Ein Schriftsteller, dessen besonderer erzählerischer Wunsch in Erfüllung geht, kann mit Stolz auf sein Schaffen zurückblicken. Gudrun Fichtl stieß schweratmend die Haustür auf. Die Füße taten ihr weh. Die Einkaufstasche war schwer. Sie trat über die Schwelle, nach ein paar Schritten stellte sie die Tasche ab. Sie streckte sich, der Rücken schmerzte. Mit einem wütenden Blick bedachte sie die Tasche. Sie nahm sich vor, in Zukunft keine Bierflaschen mehr einzukaufen. Wenn ihr Mann zum Abendessen ein Bier wollte, dann sollte er sich dies in Zukunft selbst besorgen. Seufzend bückte sie sich nach der Tasche. Mitten in der Bewegung hielt sie inne. Sie hatte einen Laut gehört. Da, das war deutlich ein Stöhnen gewesen! Mit dem Fuß stieß Frau Fichtl gegen ihre Tasche, polternd fiel diese um. Sie achtete nicht darauf, sondern hastete in Richtung Treppe. "Sie? Was tun Sie hier?" Nicht gerade freundlich sah die ältere Frau auf das Mädchen, das auf der unter­sten Stufe saß. "Lassen Sie mich in Ruhe!" Das Mädchen krümmte sich zusammen. "Was ist los mit Ihnen?

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 136

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Leseprobe: Das Geheimnis der schönen Antonia

Dr. Leon Laurin stand wie festgewachsen auf einer belebten Straße in der Münchener Innenstadt, während er seine Frau Antonia, die vor einem Café auf der anderen Straßenseite saß, nicht aus den Augen ließ. Seit mehr als siebzehn Jahren waren sie miteinander verheiratet, hatten vier Kinder, führten, jedenfalls seiner Ansicht nach, eine glückliche Ehe. Und nun sah er sie zum dritten Mal innerhalb kurzer Zeit mit ihrem Jugendfreund Ingo Ewert in sehr vertrautem und angeregtem Gespräch – und auch dieses Mal, daran zweifelte er nicht, würde sie die Begegnung zu Hause ihm gegenüber nicht erwähnen. Er war der Ansicht gewesen, die Eifersucht seiner frühen Jahre längst überwunden zu haben, nun musste er feststellen, dass er einem Irrtum erlegen war. Am liebsten hätte er Ingo Ewert – Dr. Ingo Ewert, Leiter der Kinderklinik Dr. Ewert – direkt zur Rede gestellt. Oder noch besser: ihn am Kragen gepackt und geschüttelt und Auskunft darüber verlangt, wie er dazu kam, am helllichten Tag mit seiner, Leons, Ehefrau in einem Café zu sitzen und sich allem Anschein nach gut zu unterhalten. Jetzt griff er sogar nach ihrer Hand und drückte sie! Leon hatte Mühe, an sich zu halten. Als er die beiden vor zwei Wochen das erste Mal zusammen gesehen hatte, war er noch überzeugt gewesen, Antonia werde ihn mit den Worten empfangen: »Rate mal, wen ich heute getroffen habe!« Aber nichts Dergleichen war geschehen, kein Wort hatte sie gesagt, sie hatte Ingo Ewert nicht einmal erwähnt. Dabei wusste er ja nur zu gut, dass Ingo früher einmal bis über beide Ohren in Antonia verliebt gewesen war. Allem Anschein nach war er es immer noch. Er musste sie zur Rede stellen, er brauchte Gewissheit. Aber vielleicht war alles ganz harmlos, und er sah Gespenster. Dann würde sie ihn auslachen, und er stünde da wie der letzte Depp. War es also doch besser, ruhig abzuwarten, bis Antonia von sich aus auf ihn zukam, um mit ihm über Ingo zu sprechen? Aber was würde sie ihm dann sagen?

Die Klinik am See – 55 –

Sie glaubte fest an ihn

Alle anderen ließen sich von Vorurteilen leiten

Britta Winckler

Gudrun Fichtl stieß schweratmend die Haustür auf. Die Füße taten ihr weh. Die Einkaufstasche war schwer. Sie trat über die Schwelle, nach ein paar Schritten stellte sie die Tasche ab. Sie streckte sich, der Rücken schmerzte. Mit einem wütenden Blick bedachte sie die Tasche. Sie nahm sich vor, in Zukunft keine Bierflaschen mehr einzukaufen. Wenn ihr Mann zum Abendessen ein Bier wollte, dann sollte er sich dies in Zukunft selbst besorgen.

Seufzend bückte sie sich nach der Tasche. Mitten in der Bewegung hielt sie inne. Sie hatte einen Laut gehört. Da, das war deutlich ein Stöhnen gewesen! Mit dem Fuß stieß Frau Fichtl gegen ihre Tasche, polternd fiel diese um. Sie achtete nicht darauf, sondern hastete in Richtung Treppe.

»Sie? Was tun Sie hier?« Nicht gerade freundlich sah die ältere Frau auf das Mädchen, das auf der unter­sten Stufe saß.

»Lassen Sie mich in Ruhe!« Das Mädchen krümmte sich zusammen.

»Was ist los mit Ihnen? Hier kön­nen Sie nicht sitzen bleiben.«

Rosi Bürkel wandte ihr Gesicht ab. Eine Welle des Schmerzes ging durch ihren Körper. Sie wollte aber nicht, daß ihre Vermieterin dies bemerkte.

Gudrun Fichtl stemmte die Hände in die Seiten. Sie war auf dieses Mädchen nicht gut zu sprechen. Ihr und ihrem Freund hatte sie ein Zim­mer unter dem Dach vermietet, aber sie wollte die beiden schon lange wieder los sein, vor allem dieses Mädchen.

»Haben Sie wenigstens die Treppe geputzt? Es war ausgemacht, daß Sie einmal in der Woche die Treppe kehren. Soweit ich mich erinnere, ist dies jedoch noch nicht geschehen.«

»Hören Sie!« Die Zwangzigjährige wollte etwas sagen, aber sie konnte nicht weitersprechen. Sie preßte ihre Hände gegen den Unterleib.

»Aber was ist denn passiert?« Unsi­cher streckte Frau Fichtl die Hand aus, um ihrer Untermieterin zu hel­fen.

Rosi nahm die ihr dargebotene Hand nicht. Sie hatte nur den einen Wunsch, daß die Frau so schnell wie möglich verschwinden sollte.

»Lassen Sie mich doch! Ich bin gestürzt, das ist alles.«

»Ich sehe doch, daß Sie Schmerzen haben und bluten.«

»Ich sagte doch, ich bin gestürzt. Mein Freund hat mich die Treppe hinuntergestoßen.«

»So? Ich dachte, Ihr Freund ist in München.«

»Er, er kam vorhin zurück.« Und dann konnte Rosi nicht anders, sie stöhnte auf. Der Schmerz ließ wieder nach, und sie herrschte die Vermieterin an: »Was starren Sie mich denn so an? Ich habe Blutungen, das ist alles.«

»Blutungen«, wiederholte Frau Fichtl. Es dauerte einige Zeit, bis sie begriff. »Sie… Sie sind…«

»Schwanger, ja! Jedenfalls war ich es.«

»Sie sind schwanger«, empörte sich Frau Fichtl. »Wenn ich das gewußt hätte!« Sie schnaubte verächtlich. »Wie stellen Sie sich das denn vor? Ich bestehe darauf, daß Sie ausziehen. Hier können Sie das Kind auf keinen Fall zur Welt bringen.«

»Warum regen Sie sich denn so auf? Vielleicht bin ich gar nicht mehr schwanger. Der Sturz könnte doch eine Fehlgeburt ausgelöst haben.«

»So geht das nicht! In der Klinik am See wird man sich um Sie kümmern.«

»Ich brauche keinen Arzt«, widersprach Rosi. Gleich darauf preßte sie aber die flachen Hände gegen ihren Leib.

»Sie bluten ja noch immer«, stellte Frau Fichtl fest. Sie ließ sich jedoch auf keine weitere Diskussion mehr ein. Sie dachte gar nicht daran, hier die Verantwortung zu übernehmen. Wozu gab es in Auefelden eine Frauenklinik? Von dieser Klinik und vor allem von deren Chefarzt Dr. Lindau hörte man nur Gutes. Resolut griff Frau Fichtl nach dem Telefonhörer.

*

Rosi Bürkel hielt die Augen geschlossen, als sie aus dem Krankenwagen gehoben wurde. Sie hatte nicht in die Klinik gewollt, ihre Vermieterin hatte jedoch keine Rücksicht auf ihren Wunsch genommen, sie hatte nach dem Krankenwagen telefoniert. Und nun war sie hier. Gern wäre sie von der Liege gesprungen und weggelaufen, aber sie fühlte sich zu schwach dazu. Die Schmerzen hatten nachgelassen, geblieben war nur ein leichtes Ziehen.

»Bringen Sie die Patientin ins Untersuchungszimmer«, hörte sie eine Stimme dicht neben sich sagen.

Nun öffnete sie die Augen doch. Eine Frau in einem weißen Kittel beugte sich über sie. »Wie fühlen Sie sich, haben Sie noch Schmerzen?«

Rosi wollte sich aufsetzen, aber die Frau wehrte ab. »Bleiben Sie liegen! Sie haben Blutungen. Im wievielten Monat sind Sie?«

Rosi preßte die Lippen aufeinander und schloß die Augen wieder. Warum ließ man sie denn nicht in Ruhe?

»Ich bin Dr. Westphal«, hörte sie die Frau sagen. »Ich werde Sie jetzt untersuchen. Vielleicht können wir noch verhindern, daß es zu einer Fehlgeburt kommt.«

Rosi drehte den Kopf einfach zur Seite. Sie wollte diese Ärztin weder hören noch sehen.

»Ich möchte schlafen, Frau Doktor!«

»Gleich! Es handelt sich nur um einen kleinen Eingriff. Haben Sie noch Schmerzen?« Dr. Anja Westphal fühlte den Puls der Patientin. Sie war fieberfrei. »Wie kam es zu dieser Fehlgeburt?«

»Das ist doch egal! Ich wollte nicht in die Klinik. Warum läßt man mich denn nicht in Ruhe?« Rosi richtete sich auf.

»Sie müssen liegenbleiben. Sie brauchen Hilfe.«

»Ich habe niemanden um Hilfe gebeten!« Aggressiv stieß Rosi die Hand der Ärztin zur Seite. In diesem Augenblick betrat der Chefarzt das Untersuchungszimmer.

»Ein Notfall?« fragte Dr. Lindau.

»Die Patientin hatte eine Fehlgeburt. Sie steht noch unter Schock. Sie hat auch sehr viel Blut verloren.«

Dr. Lindau trat näher. Er sah auf Rosi und stellte bei sich fest, daß sie noch sehr jung war. Er stellte sich vor. »Sie wurden mit dem Krankenwagen in die Klinik gebracht«, meinte er. Ihre Vermieterin rief an.«

»Ich wollte nicht ins Krankenhaus. Warum will das hier niemand begreifen?«

»Sie heißen Rosi Bürkel, nicht wahr? Sie sind gestürzt. Ihre Vermieterin hat mit Recht den Krankenwagen angefordert.«

Rosi drehte den Kopf zur Seite, sie dachte gar nicht daran, sich ausfragen zu lassen. »Ich wollte nicht ins Krankenhaus«, murmelte sie mit abweisendem Gesicht.

»Die Einlieferung war wirklich notwendig«, meinte Dr. Westphal. »Ich muß eine Curettage machen. Warum es zu der Fehlgeburt gekommen ist, kann ich noch nicht sagen.«

»Hat Ihnen Frau Fichtl das nicht gesagt?« Rosi sah vom Chefarzt zu der Frauenärztin. »Mein Freund hat mich geschlagen. Dann hat er mich gestoßen, und ich bin die Treppe hinuntergefallen.

»Das könnte stimmen. Fräulein Bürkel hat Prellungen am Rücken und Striemen am Oberarm.«

»Sie glauben mir nicht? Er hat mich auch ins Gesicht geschlagen.« Rosi hob die rechte Hand an die Wange. Dr. Lindau beugte sich über sie, eine leicht gerötete Schwellung war zu erkennen.

»Er ist sehr brutal. Mit den Fäusten ist er auf mich losgegangen.« Jetzt schluchzte Rosi.

Es waren deutlich Spuren von Miß­handlung zu sehen. Dr. Anja Westphal zog die Luft ein. Das Mäd­chen war mißhandelt worden. Kein Wunder, wenn es sich aggressiv benahm.

Rosi schluchzte jetzt lauter.

»Ich gebe ihr ein leichtes Beruhigungsmittel«, meinte die Frauenärztin. »Der Eingriff wird nicht lange dauern. Zimmer 26 wird heute vormittag frei. Dort kann Fräulein Bürkel vorerst bleiben. Sie muß sich ausruhen. Morgen werde ich sie dann gründlich untersuchen. Vielleicht muß auch eine Bluttransfusion gemacht werden.« Sie sah den Chefarzt an, und dieser nickte zustimmend.

Rosi warf sich auf der Liege herum. »Ich will niemanden sehen«, schluchzte sie.

»Ruhig! Sie müssen ruhig bleiben!« Dr. Anja Westphal legte ihr die Hand auf die Schulter. »Sie haben noch immer leichte Blutungen.«

»Ich habe auch Schmerzen. Mein Unterleib, er brennt wie Feuer.«

Erstaunt zog Dr. Lindau die Augenbrauen in die Höhe. Das Mäd­chen hatte ein Benehmen von einer Sekunde auf die andere geändert. Aber das spielte keine Rolle, wichtig war, daß dem Mädchen geholfen wurde. Er nickte Dr. Westphal noch einmal zu.

Wieder wurde Rosi durch eine weitere Tür geschoben und so gelangte sie in den OP. Hier wartete bereits Schwester Sylvia. Da es sich nur um einen kleinen Eingriff handelte, konnte sie assistieren. Rosi ließ alles teilnahmslos über sich ergehen.

»Wir sind fertig! Sie haben doch nichts gespürt?« Dr. Westphal reichte Schwester Sylvia die Curette zurück. »Es kommt alles in Ordnung, Sie müssen keine Angst haben.«

Rosi antwortete nicht, doch die Frauenärztin ließ sich nicht abschrecken. Sie war sicher, daß das Mäd­chen einiges mitgemacht hatte, und blieb freundlich.

»Ich wasche mir nur rasch die Hände und ziehe einen anderen Mantel an, dann begleite ich Sie in Ihr Zimmer.«

»Ich muß in der Klinik bleiben?«

»Ja, einige Tage auf jeden Fall! In diesem Zustand können wir Sie nicht entlassen. Aber darüber sprechen wir morgen. Heute brauchen Sie Ruhe.«

»Ich bin müde«, stimmte Rosi zu und schloß die Augen. Sie wollte jetzt wirklich nicht mehr denken. Sie hatte ihr Kind verloren. Sie war schwanger gewesen, aber sie hatte sich eigentlich nicht dazu berufen gefühlt, Mutter zu werden. »Schlafen, ich möchte schlafen«, murmelte sie.

*

Im Stehen trank Dr. Anja Westphal eine Tasse Kaffee. Sie hatte sich verspätet. Dies war auch kein Wunder, denn bis weit nach Mitternacht war sie im Kreißsaal gewesen. Sie hatte nicht nur den Zwillingen ans Licht der Welt verholfen, sondern auch noch zwei weiteren Babies. Als sie die Station betrat, hatten sich die Kollegen und Schwestern gerade zur Morgenvisite zusammengefunden.

»Wie geht es den Zwillingen?« war die erste Frage der Frauenärztin.

Dr. Lindau selbst konnte ihr dies beantworten. »Die schlimmste Gefahr ist gebannt. Das Mädchen wird noch einige Zeit im Brutkasten bleiben müssen, aber Schäden werden keine zurückbleiben.«

Erleichtert atmete Dr. Westphal durch. »Und wie geht es Frau Neubauer?« fragte sie weiter.

Diesmal antwortete die Oberschwester: »Sie hat bereits Besuch von ihrem Mann.«

»Schön!« Dr. Westphal lächelte.

»Den Neuzugang, den wir mitten in der Nacht hatten, hast du auch versorgt«, meinte der Chefarzt. »Du scheinst heute nacht kaum Schlaf gehabt zu haben.«

»Stimmt, aber das ist kein Problem. Heute nachmittag habe ich frei.«

Dr. Lindau nickte ihr zu. Er wußte, daß er sich auf seine Kollegin hundertprozentig verlassen konnte. Sie war seine rechte Hand. Auch verband ihn mit ihr eine Freundschaft, die bereits in die Studienzeit zurückführte. Schließlich wandte er sich wieder an die Stationsschwester: »Hat es sonst noch irgendwelche besonderen Vorkommnisse gegeben?«

»Da ist die Notaufnahme von gestern. Wir konnten noch kein Krankenblatt anlegen.«

»Hat sie die Nacht durchgeschlafen?« fragte Dr. Westphal.

»Ja, es scheint der Fall gewesen zu sein«, entgegnete die Oberschwester. »Nur zieht sie es jetzt vor, mit uns überhaupt nicht mehr zu sprechen.«

»Wie?« Dr. Westphal war besorgt. »Geht es ihr nicht gut?«

»Das glaube ich nicht. Das Frühstück, das Schwester Bärbel ihr auf den Nachttisch gestellt hatte, hat sie restlos aufgegessen. Sie übersieht uns nur, hat noch mit keinem von uns ein Wort gesprochen. Selbst den Morgengruß hat sie uns verweigert.«

»Dann sehen wir uns Fräulein Bürkel einmal an«, entschied der Chefarzt. »Wir beginnen mit der Visite ausnahmsweise bei Zimmer 26.«

Die kleine Gruppe setzte sich in Bewegung. Die Oberschwester persönlich klopfte kurz an die Zimmertür, ehe sie diese öffnete. Rosi sah zur Tür, doch als sie drei Ärzte und zwei Schwestern eintreten sah, drehte sie ihr Gesicht Richtung Wand.

Was war nur mit dem Mädchen los? Dr. Westphal sah zum Chefarzt. Dieser trat an das Bett heran. »Visite, Fräulein Bürkel! Ich möchte Ihnen zuerst die Ärzte vorstellen. Ich bin Dr. Lindau, der Chefarzt dieser Frauenklinik. Ich war gestern kurz dabei, als Sie von meiner Kollegin, Frau Dr. Westphal, untersucht wurden.«

Er hielt inne. Keine Reaktion.

»Sie sagten gestern, daß Sie gegen Ihren Willen bei uns eingeliefert worden sind. Ich kann Ihnen nur noch einmal versichern, daß Ihre Einlieferung notwendig war.« Er hielt wieder inne, denn immer noch war ihm nur Rosis Rücken zugekehrt. Er räusperte sich. Mit leiser, freundlicher Stimme fuhr er fort: »Wir haben jedoch nicht die Absicht, Sie gegen Ihren Willen hier festzuhalten.«

Seine letzten Worte blieben nicht ohne Wirkung auf die Patientin. Sie fuhr herum. »Sie wollen mich entlassen?«

»Ja, nachdem Sie uns gesagt haben, wie Sie sich fühlen und wenn Sie es wirklich wünschen.« Dr. Lindau versuchte den Blick des jungen Mädchens festzuhalten.

»Mir geht es schlecht, sehr schlecht.« Rosis Augen begannen zu flackern. »Ich habe noch immer Schmerzen.«

»Frau Dr. Westphal wird Sie gleich noch einmal untersuchen. Einige Tage sollten Sie auf alle Fälle noch liegen bleiben.«

»Ich kann den Aufenthalt hier nicht bezahlen. Ich habe keine Krankenversicherung.«

Das war es also! Dr. Lindau tauschte einen raschen Blick mit seiner Kollegin. Er erkannte, daß Anja genauso dachte, also sagte er: »Darüber machen Sie sich mal keine Sorgen. Wichtig ist, daß Sie wieder ganz gesund werden. Sagen Sie uns, bitte, wen wir verständigen sollen.«

Rosi Bürkel antwortete wieder einmal nicht. Sie starrte zur Decke empor.

»Fräulein Bürkel, Sie sind zwar noch jung, aber Sie sind kein Kind mehr. Ich nehme an, daß Sie volljährig sind.«

»Ja!« Mehr kam nicht von Rosis Lippen.

»Na, sehen Sie! Ich muß Ihnen einige Fragen stellen, denn wir müssen ein Krankenblatt anlegen. Vielleicht gibt es Verwandte, die wir benachrichtigen sollen.«

»Nein! Ich habe niemanden. Ich lebe bereits seit meinem achtzehnten Lebensjahr allein.« Rosi starrte noch immer zur Decke empor.

»Ihr Freud, Sie leben doch…« Weiter kam der Chefarzt nicht. Rosi warf sich so heftig im Bett herum, daß die Decke zu Boden fiel.

»Sie dürfen sich nicht so heftig bewegen«, meinte Dr. Westphal, und ehe die Schwester sich nach der Bettdecke bücken konnte, hob sie diese auf. »Bitte, bleiben Sie ruhig. Wir meinen es hier alle nur gut mit Ihnen.«

Mit Rosi ging nun eine Veränderung vor sich. Völlig unerwartet begann sie zu schluchzen.

Die Frauenärztin deutete diesen Ausbruch falsch. Sanft berührte sie Rosis Schulter. »Sie sind noch jung. Sie werden noch viele Kinder haben können.«

Rosi bedeckte ihr Gesicht mit den Händen, sie schluchzte nun immer heftiger.

»Nicht doch!« Der Druck von Dr. Westphals Hand verstärkte sich. »Sie dürfen sich nicht aufregen. Sie brauchen wirklich noch Ruhe.«

»Wozu? Lassen Sie mich doch in Ruhe! Ich brauche niemanden, ich will niemanden sehen.«

»Das ist doch keine Lösung.« Dr. Westphal strich Rosi nun über das wirre schwarze Haar.

»Aber was soll ich denn tun?« Rosi griff nach der Hand der Ärztin und umklammerte sie. »Bitte, helfen Sie mir!«

»Es ist bereits alles in Ordnung«, versuchte Dr. Westphal, sie erneut zu beruhigen. »Ein paar Tage Ruhe und Sie können wieder alles machen.«

»Aber ich weiß doch nicht wohin. Ich…« Rosi brach ab.

»Sie sind sehr erregt. Wir werden Sie auf alle Fälle bis nächste Woche hierbehalten.« Dr. Westphals Blick suchte den des Chefarztes. Dieser nickte.

»Ich kann für den Aufenthalt hier nicht bezahlen. Ich wollte nicht in die Klinik.«