Die Königin der Frösche - Akiz - E-Book

Die Königin der Frösche E-Book

Akiz

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Beschreibung

Das Tier im Mensch und der Mensch im Tier. Das beliebteste Märchen neu erzählt – rauschhaft und bildgewaltig Die junge Herzogstochter Ragna soll mit dem Jagdfürsten Waidhofenstein vermählt werden. Doch anstatt sich ihm und dem affektierten Gehabe am Hof unterzuordnen, entfesselt der Kuss mit einer Kröte eine Verwandlung, deren Wucht der gesamte Hofstaat kaum in den Griff zu bekommen scheint. Akiz' Roman führt in die dunkelsten Tiefen der deutschen Wälder. Wuchtig, wahrhaftig und zärtlich zugleich erzählt er vom Fluch und Segen, ein Mensch zu sein – und von der Liebe zwischen zweien, die kompromisslos um die eigene Freiheit ringen.

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Seitenzahl: 195

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Das ist das Cover des Buches »D ie Konigin der Fros che« von Akiz

Über das Buch

Das Tier im Mensch und der Mensch im TierDas beliebteste Märchen neu erzählt — rauschhaft und bildgewaltigDie junge Herzogstochter Ragna soll mit dem Jagdfürsten Waidhofenstein vermählt werden. Doch anstatt sich ihm und dem affektierten Gehabe am Hof unterzuordnen, entfesselt der Kuss mit einer Kröte eine Verwandlung, deren Wucht der gesamte Hofstaat kaum in den Griff zu bekommen scheint.Akiz' Roman führt in die dunkelsten Tiefen der deutschen Wälder. Zwischen Faszination und Ablehnung er wuchtig, wahrhaftig und zärtlich zugleich von der Liebe zwischen zweien, die kompromisslos um die eigene Freiheit ringen.

Akiz

Die Königin der Frösche

Roman

hanserblau

Für Greta, Lula und Alexa

1

Mittwoch, 9. Oktober 1799

Morgens ist es jetzt schon so frisch, dass heute früh, lange bevor die Sonne aufgegangen war, die Nüstern der Gäule dampften wie kochendes Wasser, während wir vom Erlenstein aus Richtung Königsbrunn die alte Böhmerstraße durch das Hirschental hinauffuhren. Heute früh, da wusste ich noch nichts von der Ungeheuerlichkeit, die über mich kommen sollte.

Zur Kapelle wollten wir, zur Heiligen Jungfrau, um Fürbitte zu sprechen, damit die Blattern unseren alten herzoglichen Vater noch ein weiteres Jahr verschonen mögen, denn im letzten Winter, bis zu Pfingsten, da hatte der Herrgott die Bänke abgeräumt, dass es einen grauste. Die Hengstenbergerin und ihr Kind, den Kohler Franz, die Frau vom Mühlringer und auch den alten Ischl-Franz hat er zu sich geholt. Selbst dem großen Mattheus Mistelbacher hatten die Blattern so zugesetzt, dass er nach einer Woche ganz blöde dreingeschaut hatte und man ihn gar nicht mehr erkennen konnte, und dann war auch er zum Himmel gefahren, und am darauffolgenden Donnerstag, da war ihm seine Herlinde gefolgt. Die Dorothea hat gesagt, dass der Kalte die Bauern und das Gesinde beim Eishauen und beim Brennholzschlagen in den Raunächten holen würde, aber die Zofen und Mägde, die Fuhrleute und die Schranzen in den windigen Kammern, die hatte er den ganzen Winter über auch am helllichten Tage mit sich gerissen, während die fahle Sonne über dunstigen Äckern hing.

Doch während der Kalte durch die Gänge und Flure gehetzt war und die Kranken und Alten wie Fallobst eingesammelt hatte, da musste er wohl unseren alten und blinden und verwelkten herzoglichen Vater, Seine Durchlaucht den Friedrich von Erlenstein, übersehen haben, wie er reglos auf seinem Abortstuhl hockte, doch ob unsere väterliche Durchlaucht noch einen weiteren Winter mit dem Leben davonkommen würde, das ist ganz und gar nicht gewiss.

Als sich die Ungeheuerlichkeit zugetragen hat, da waren meine beiden älteren Schwestern und ich unten an der Mauer, am Fuß der Sankt Marienkapelle, wir hatten unsere Beichte und die Fürbitte schon gehalten, aber unsere herzogliche Mutter hatte mit dem Pfarrer noch Dinge zu besprechen, die uns nichts anzugehen hatten.

Als das Ungeheuerliche passierte, war alles um uns herum ganz still. Die Sonne war gerade aufgegangen und jagte glitzerndes Licht über nasse Felder, von Weitem hörte ich das Bellen eines heiseren Fuchses, und ich war voller Zorn, weil mir meine beiden Schwestern nicht zeigen wollten, wie es geht.

Ich wollte endlich wissen, wie es wirklich ist, und fauchte sie an, dass ich es leid war, immer nur so zu tun, als ob. Doch die Berta hörte mir überhaupt nicht zu. Sie blickte hinauf zur Kapelle und fragte die Mathilde, was die herzogliche Mutter denn noch so lange mit dem Pfarrer zu besprechen habe, und ob sie sich wohl darüber unterhalten würden, dass der Rocksaum der Berta zu kurz sei und ja jeder ihre Fesseln würde sehen können, und dass der Berta über den Sommer ein üppiger Busen gewachsen sei, und ob man denn schon bemerkt hatte, dass der alte Landgraf vom Aschinger Hof schon ganz verquer dreinschauen würde, und ob die Zofe nicht das Kleid mal anpassen könnte, so zerquetscht wie das aussehe, mit Verlaub.

Ich war außer mir vor Zorn und schimpfte so lange, bis die Mathilde schließlich sagte, dass ich nicht wissen müsse, wie es wirklich sei, denn die Mannsbilder würden den Unterschied nicht erkennen können, und dass ich zu jung sei und dass es zu gefährlich sei und auch, dass ich meine Hände aus den Rocktaschen nehmen solle und dass ich wie eine dumme Blunzensau aussehen würde, die ihre klammen Finger im muffigen Unterkleid aufwärmen wolle.

Der Fuchs war inzwischen weit entfernt. Sein keuchendes Husten kam jetzt von dort unten, wo der Mühlengrund vom Matthäuser Hof liegt, und nur noch dünn und schwach drang sein Bellen durch die morgendliche Luft zu uns hinauf.

Dann wurde ich gänzlich ungehalten und sagte, wenn mir die beiden Schwestern nicht bald verraten würden, wie es gehe, dann würde ich unserer herzoglichen Mutter berichten, mit wem die beiden zu Lichtmess im Stall waren. Da ist es ihnen ins Gebein gefahren, so sehr, dass die Mathilde dreinschaute, als wäre sie kopfüber in eisgefrorenes Wasser gesprungen, und die Berta bekam Flecken am Hals, so heiß wurden ihre Ohren. Doch ob es an der Erinnerung an den Knecht im Stall lag oder aus Angst, der herzoglichen Mutter könnten Geschichten zu Ohren kommen, das weiß ich nicht zu sagen.

Die Mathilde ist von der Mauer gerutscht und hat ihre Arme hängen gelassen, wenn es denn sein müsse, in Herrgottsnamen, hat sie gesagt, und dass ich eine saudumme Ochsenfutt sei.

Ich bin aufgesprungen, doch die Mathilde hat gesagt, ich müsse zuerst noch in die Knie gehen. Dreizehnmal.

Dann bin ich in die Knie gegangen. Dreizehnmal. Die Berta hat mitgezählt, und als mir das Herz raste und in meinen Ohren klopfte und ich meine Schultern gegen die spröden, weiß getünchten Mauersteine presste, da hat mir die Mathilde ihre Hände auf die Rippenbrust gelegt und sich mit aller Gewalt dagegengestemmt und mir geheißen, ich solle die Luft anhalten, in meinem Brustkorb hat es gehämmert, so wüst und gewaltig, als würde der Munkpeter auf dem Holzklotz Kienspäne schlagen, und die Berta hat hinauf zur Kapelle gestarrt, voller Angst, die herzogliche Mutter könnte herauskommen und sehen, was wir trieben.

Und dann, mit einem Mal, da war es mir, als würde sich der Morgennebel im Tannengrün auflösen, als würde die Luft heller werden und sich der Tag ächzend, fahl und blass erheben.

Der Fuchs war inzwischen fort, die Berta hielt sich am Rockzipfel fest und biss sich ihre untere Lippe beinah entzwei, und dann, kurz bevor es passierte, da trat die Mathilde zur Seite.

Dann sind mir die Knie weggesackt.

Langsam und zart wie Federn einer Gans.

Dunkel war es in meinen Ohren und eigentümlich leer.

Dann ist der Boden näher gekommen.

Mit geschlossenen Augen habe ich ihn sehen können.

Jedes einzelne Grashaar.

Und dann hat sich das Ungeheuerliche zugetragen.

Wundersam laut war das Rauschen in meinen Ohren, und geströmt hat es, so laut, dass ich meine eigenen Gedanken nicht mehr hören konnte.

Und dann, als sich nasskühle Erde in mein Gesicht gedrückt hat, da ist es passiert, da habe ich den fiebrigen Traum gesehen. So fiebrig und ungeheuerlich war er, dass ich es kaum zu sagen weiß.

Aus trübem Wassergrund, zwischen funkelnden Lichtern tauche ich auf, das letzte Sonnenlicht kommt über die Baumwipfel gekrochen, lässt sich fallen und taucht seine Finger ins grüne Wasser.

Der Forst, das Umland und die schattenhaften Berge sind schon dunkel.

Lange habe ich geschlafen, meine Glieder sind steif und starr.

Die Sonne ist am Untergehen.

Doch ich spüre, wie Leben durch die Wurzeln der großen Ulme am Ufer, in ihren Stamm, durch ihre tief ins Wasser reichenden Arme, durch bleiches Schilf und durch meine Adern und meinen Geist fließt.

Fremde Rufe dringen aus der Ferne durch Blattwerk und Äste. Der Teich glänzt glatt und nass und prächtig, und dicht steht der Wald.

Als das Licht des Tages schließlich vergangen ist und die schwarzen Tannen über dem Wasser zu rauschen beginnen, leise und zart, da höre ich die Kröten und ihren Gesang und spüre eine Weite, wild und ungestüm und mächtig, gerade so, als ob der Teufel in mein Ohr geflüstert hätte.

Die lahmen und gestrengen Abende im Hofgarten, wenn der Kapellmeister seine Sonaten zum Vortrage bringt, das Sitzen auf harten Stühlen zwischen Schranzen und Gräfinnen, Kadetten und Fürsten, der penetrante Duft ihres madigen Puders in der Nase, all das liegt in weiter, weiter Ferne.

Auf dem Wasser schillern Pfützen in der öligen Abendsonne wie gläserne Haut. Wasserläufer funkeln in den Wellen. Der Herbst keimt aus allen Ecken. Man kann ihn riechen. Es dampft in der Luft und tropft im Gehölz.

Dann steigt die Nacht empor. Der Himmel wütet schwarz und blau. Bäume rauschen.

Hie und da glupscht ein Froschgesicht hervor, und Krötengetier zuckt im wärmenden Schlick. Ich greife in den Wassergrund. Mit zackigen Stößen tauchen die Kröten hinab. Niemand würde sehen, wenn ich mit ihnen gehen würde.

Nur noch ein letztes Krötengetier sitzt am Ufer. Ihre Augen glotzen in die Dunkelheit. Dickes, regloses Glas, das die Nacht und das Leben in ihr erblickt. Auch Dinge, die nicht hier, sondern woanders, an fernen Orten, zu einer anderen Zeit, zu sehen sind.

Ihre warzige, hellblaue Haut ist weich und schlapp und braun und dünn. Ihr Hals bläht sich in Todesangst auf. Doch weder Trauer noch Hoffnung ist in den Augen der Krötenseele zu sehen, während sie in meiner Hand um ihr Leben tritt.

Gruselig ist es mir ums Herz. Dann verstummt die Luft.

Und der Wind, die Bäume und die Gräser.

Die summenden Grillen.

Das Käfergetier.

Die Vögel.

Alles hält den Atem an.

Dann presse ich die Kröte an meine Lippen.

Dann wache ich auf.

Ein matter Pelz lag auf meiner Zunge. Finger und Gesicht waren taub. Der Geruch von Eichenfurnier und alten, gewachsten Lederriemen und staubigen Damenschuhen und das Parfum der herzoglichen Mutter umklammerte die Luft wie ein Sarg aus abgestandenem Talg.

Am Allerwertesten tat es mir weh und auch am Rücken, obschon wir drei, meine Schwestern und ich, so eng gepfercht beieinandersaßen, dass wir die übelsten Stöße abfederten wie weiche Kissen.

Erst als wir am alten Matthäuser Hof vorbeifuhren und den Forst hinter uns ließen, kroch das Leben wieder zurück in meine Haut und in meine Knochen, und mein Gesicht hörte auf, sich anzufühlen wie ein durchweichter Sack voll alter Äpfel.

Die Kutsche ratterte und knatterte. Bäume, Tannengrün, Buschwerk, das Licht zwischen Ästen und Zweigen, alles rannte und flüchtete und funkelte an meinen Augen vorbei, und das Hämmern der Räder auf den Steinen war kaum zu ertragen.

Die herzogliche Mutter bohrte ihre stechenden Augen in mich hinein und wollte wissen, wie es denn möglich sei, dass draußen, hinter der Kirche, an der frischen Luft, eine Ohnmacht über mich kommen konnte.

Ich sagte, dass ich es nicht wisse, aber dass es mir jetzt endlich auch ergehe wie den feinen und vornehmen Damen am Hofe. Genauso wie der Matante, oder der Kuchelsteiner Landgräfin, die ständig von schwindenden Sinnen hinfortgefegt werden. Die Berta und die Mathilde knoteten an ihren Rocksäumen, als wären sie nicht ganz gescheit, und blickten betreten auf den Boden, und die Kutsche holperte so sehr, als würden die Räder und ihr Beschlag den Verstand verlieren.

Dann wurde es mit einem Mal leiser. Die Straße wurde breiter. Ab hier, hinter den Feldern, hatte der Alois mit seinen trübsinnigen Söhnen den vom Schmelzwasser zerpflückten Weg mit Kieseln aufgeschüttet.

Ob ich wohl absichtlich die Luft angehalten hätte, damit mir die Sinne schwinden mögen, fragte die herzogliche Mutter, doch wir drei, meine Schwestern und ich, haben eifrig die Köpfe geschüttelt.

Wenn ein junges Frauenzimmer beim Anblick eines Mannsbildes erblassen und in Ohnmacht fallen würde, so könne das liebreizend sein und auch charmant, sagte die Mutter. Doch derlei absichtlich herbeizuführen, das sei degoutant und ganz und gar répréhensible.

Das finde ich auch, habe ich beigepflichtet, degoutant sei es. Ganz und gar degoutant.

Mein Gesicht war taub wie eine faule Birne, und der Geschmack auf meiner Zunge war kalt. Als hätte ich an frischem Metall geschleckt. Und dann kam es mir wieder, was sich an der Mauer hinter der Kapelle zugetragen hatte. Wie ich den Atem angehalten hatte, wie meine Beine sanft geworden waren und wie ich von oben sehen konnte, dass ich ins Gras fiel, wie die Berta und die Mathilde versuchten, mich auf den Rücken zu drehen, und wie ich erschrocken war, als ich mein eigenes Gesicht gesehen hatte. Meine blassen Lippen und die offenen, leeren Augen.

Abends, nach dem Essen, im großen Kaminsaal, wenn der Hofkapellmeister seine Sonaten, die kein Ende nehmen wollen, zum Vortrag bringt, oder auch am Sonntag in der Kirche, wenn der Pfarrer das Vaterunser spricht und immer irgendeine Tante oder Cousine, eine Nichte, eine Landgräfin oder eine Schwägerin von dahinschwindenden Sinnen ergriffen und aus den Reihen gerissen wird, wenn sich das Weiße in ihren Augen herausdreht und sie grunzen wie trächtige Sauen, dann hatte ich mich immer gefragt, wohin ihre Seelen gehen und was ihre Augen wohl sehen würden, während ihre leeren Hüllen auf dem Kirchenboden oder dem Parkett im Musikzimmer herumliegen wie abgestreifte Kleider.

Jetzt weiß ich, wohin sie entschwinden. Jetzt bin ich auch dort gewesen. Ungeheuerlich ist es dort. Ungeheuerlich, doch auch sanft und ewig, und auch aufregend und leicht und still, denn dort scheint es keine Schläge von herzoglichen Müttern zu geben und auch keine bohrenden Blicke von Pfarrern. Schwestern können einen nicht mit Worten entblößen, und auch der Gestank der Alten fehlt ganz und gar.

Doch je mehr ich mich bemühte, mich zu erinnern, wohin meine Sinne entschwunden waren, während mein Körper reglos auf dem Rücken im Gras an der Mauer hinter der Kapelle lag, desto dünner wurde das, was ich sah, und schließlich verblasste es ganz, und dann war da nur noch das Rattern und Schlagen der Räder.

Jetzt muss ich schließen.

Die Kammerzofe hat mich zum Essen gerufen. Die anderen sind schon alle unten.

2

Sonntag, der 13. Oktoberim Jahre 1799 des Herrn

Heiliger Vater im Himmel, geheiligt werde Dein Name,

Erlaube mir, Dir meine Sorgen kundzutun, denn lange habe ich mit mir selbst gestritten, ob ich die Umstände aufschreiben soll, zu denen es hier am Hofe gekommen ist, doch nun kann ich es nicht mehr länger für mich behalten, denn wunderlich ist es mir zumute, wenn ich sehe, wie sichmeine jüngste Tochter zu verändern scheint.

Bis vor einer Woche, da schien es mir noch, dass sich das unselige Kind fleißig bemühte, sich wie eine Dame aufzuführen, die sich am Hofe gemäß ihres Standes zu benehmen weiß. Doch seit dem Tage, als wir von der Kapelle am Hirschenstein an die Hofburg zurückgekehrt waren, nachdem wir der Heiligen Jungfrau Fürbitte geleistet hatten,da scheint mir das Kind eigenartig zu sein, und es wird mit jedem Tag seltsamer. Still sitzt sie da und blickt in dieDunkelheit vor den Fenstern. Und auch ist es mir, dasssie, seit Neuestem, den Fliegen und dem Käfergetier unter der Tafel nachzuschauen pflegt, als ob es nichts Interessanteres am Hofe zu betrachten gäbe.

Mit dem Pfarrer habe ich schon Zwiesprache gehalten, doch auch er scheint keine Erklärung zu haben. Ich hoffe, dass es nur eine juvenile Stimmung ist, oder dass es ander baldigen Ankunft des Jagdfürsten liegt?

Dem Herzog geht es unverändert. Seit Wochen und Monaten eile ich jeden Morgen in seine Kammer, zu schauen, ob sich seine eingefallene Brust noch hebt und senkt, und lasse jedes Mal vor Erleichterung die Schultern fallen, wenn ich höre, dass er noch schnauft. Für gewöhnlich heiße ich dann nach dem Haushofmeister rufen, damit er heißen Hafersud und Hagebuttentee in den Rachen seiner Durchlaucht bis hinunter in den brüchigen Magen stürzen möge. Und immer, wenn ich die Fenster der herzoglichen Kammer öffnen lasse, damit es nicht mehr gar so sehr nach Fäulnis und alten Laken stinken möge, da gedanke ich es der Muttergottes. Nicht, weil ich meinen Gatten, den alten herzoglichen Vater, liebe, das tue ich nicht, sondern weil die Hengstenberger mit ihrem ewigen Gezänk um die Erbpacht des Forstes und auch der Kurfürst, der schon lange ein Auge auf unser verwittertes Herzogtum und die angrenzende Grafschaft von Steinbrunn geworfen hatte, weil sie noch am selben Todestag des Herzogs wie die Feldmäuse ankriechen würden, um an meinem Gebälk zu nagen.

Doch seit zwei Tagen scheint sich der Zustand des Herzogs nicht weiter zu verschlechtern. Das vom Arzt verschriebene Brechpulver und die abendlichen Klistiere zeigen wohl ihre Wirkung.

3

Sonntag, 13. Oktober 1799

Jetzt bin ich endlich wieder alleine. Die anderen sind noch unten im Kaminzimmer. Es ist das erste Mal im Jahr, dass man das Feuer einheizt, alle sind zugegen und starren in die Glut. Die Dorothea erzählt, ihre weiche Backen zucken, wenn sie lacht mit ihren kleinen, zarten Augen. Es ist, als ob sie immer erstaunt ist, jahrein und jahraus, jeden Tag und jede Stunde. Wie ein verwundertes Schaf blickt sie umeinander, gerade so, als ob sie zu begreifen versuchte, was um sie herum geschieht, immerzu. Und doch weiß sie mehr als manch einer am Hof und erzählt Geschichten, die wundersamer nicht sein könnten, und die Zofen klappern mit den Stricknadeln.

Ich habe gesagt, mir sei es nicht wohl. Die Dorothea wollte mir einen Hagebuttentee kochen. Nein, nein, habe ich gesagt, es sei nur die Müdigkeit, die mir in den Knochen sitze, nichts weiter.

Hier oben in der Mädchenkammer ist alles ruhig. Auch auf den Gängen ist niemand zu hören, keine der Dielen knarzt. Nur ab und zu vernehme ich das vom Wein umnebelte Gebrüll der Grafen und Fürsten durch die hölzernen Türen, und manchmal dringen dumpfe Wellen von Gelächter zu mir hinauf in die Kammer, und von draußen, vor dem Fenstersims, da gurren Tauben.

Gestern Nacht ist es wieder geschehen. Ganz und gar merkwürdig ist es mir zumute, und ich hadere, ob ich niederschreiben soll, was mir widerfahren ist, denn allzu eigentümlich ist das Traumgespinst und von so gottloser Art, dass ich besser daran täte, es für immer in meinem Herzen zu begraben und niemals preiszugeben. Und doch will ich es niederschreiben, denn wenn ich es nicht täte, so fürchte ich, den Verstand zu verlieren.

Die ganze vergangene Woche über, seit meinem fiebrigen Traum, da ist es mir, als ob ich in einer Eintönigkeit ertränkt werde wie in einem zähen Brei. Ich kann kaum noch atmen. Es kommt mir vor, als könnte ich mit einem Mal die Öde sehen, wie sie in den Ecken und Zargen und den Sparren und Fugen hockt. In jeden Winkel der Hofburg war sie gekrochen gleich wucherndem Schimmel. Welche Schublade man auch öffnet, hinter welche Tür man auch blickt, allüberall ist sie verstreut und blüht und sprießt und trägt trübe Zweige. Selbst die kleinen Schoßhündchen der Matante und die Rotkehlchen aus dem Vogelkäfig des Hofkämmerers können den muffigen Dunst aus den Winkeln nicht mehr vertreiben. Sehr eigentümlich ist es. Ganz und gar eigentümlich.

Die Sonne geht auf und wieder unter. Das Essen im großen Speisesaal wird hinein- und wieder hinausgetragen. Die Musikstunden in der Kammer im Westflügel kommen und gehen, die Häkelstunden, die Enseignements de l’étiquette, die Anproben und die Abendstunden, in denen wir uns die immer gleichen Geschichten der Matante und die Aventures de chasse der steifkreuzigen Kadetten und Vasallen anhören müssen, nehmen kein Ende mehr.

Erst gestern, zwei Tage vor Kirchweih, da kamen die ersten Herbststürme endlich über das Tal und haben ein wenig Abwechslung gebracht. Für eine kurze Nacht haben sie an den Fensterläden der Stuben gerissen, an den Türen des Pfarrhauses, an den Scheunen und Kornkammern im Mühlgraben, den Ochsenställen, am Stiegenhaus der neu getünchten Amtsstube und an den verrauchten Butzenscheiben des Brückenwirts. Aber in der Früh, da war das Unwetter schon wieder eingeschlafen.

Nach dem Abendmahl, da war man noch in den Garten gegangen, um die laue Herbstfrische zu atmen. Der Hofkapellmeister hatte gewarnt, man dürfe es nicht übertreiben mit der offenen Luft, die sei nicht wohltuend für unsere zarten Lungen, aber dennoch war fast die ganze herzogliche Familie für eine volle Stunde im Hofgarten en promenade, bis es schließlich dunkel wurde und so kalt, dass alle auf ihre Kammern gingen, um sich für den Schlaf bereit zu machen.

Erst als schließlich Ruhe in der Hofburg eingekehrt war, und als man nur noch das heisere Rauschen der Wälder hörte, wie es durch die offenen Fenster der Kammer zog, da bin auch ich endlich eingeschlafen, und dann ist es wieder geschehen. Dann ist wieder ein Fiebertraum über mich gekommen. Noch ungeheuerlicher war er als mein Traum zuvor. So ungeheuerlich, dass ich mir wünschte, meine Schwestern hätten mir nie gezeigt, wie es geht, dass einem die Sinne schwinden.

Ich bin wieder am Teich.

Ich sehe Schilf, wie es sich im Abendwind wiegt. Verlorene Wolken, Tannengrün und blauschwarzer Wassergrund.

Ich sehe den Tag, wie er schwerfällig über dem Teich anbricht, zögernd, gerade so, als könnte er etwas Grauenhaftes erblicken.

Ich sehe hinüber, auf die andere Seite des Teiches, dort, wo ich das Krötengetier auf die nasse, warzige Haut geküsst hatte.

Doch dort, im sumpfnassen Gras, dort ist jetzt stattdessen ein junger Mann.

Starr vor Schreck und reglos sitzt er da. Nackt und bloß und reglos und steif. Sein Wesen ist jung. Seine Haut ist straff. Und schwitzend kalte Angst dringt aus seinen Poren. Seine Augen flackern, gleich nassem, zitterndem Glas. Silbriger Schweiß läuft über seine glänzende Haut. Fiebrige Säfte kochen in seinem Geist. Und auf seiner Zunge liegt der Geschmack meiner Lippen. Weich und süß.

Er blickt sich um, gerade so, als würde er den Teich, das Gras und den Waldrand zum ersten Mal sehen. Immer unruhiger wird er, als er merkt, dass nichts mehr ist wie zuvor.

Sein Herz schlägt ihm bis zum Hals, und Todesangst sitzt hinter den kleinen Löchern in der Mitte seiner Augen, denn sein Körper ist ihm nunmehr ein wankender Brocken aus schwerem Fleisch und harten Knochen, und fremd ist es ihm, dass ein mächtiger Wind in ihn hinein- und wieder hinausbläst, wenn er atmet. Alles an ihm scheint lose und locker und fremdartig zu sein, gerade so, als würde es gar nicht zu ihm gehören. Doch am unheimlichsten ist es ihm, dass das, was hinter seinem Rücken geschieht, seinem Blick gänzlich verborgen bleibt.

Ich sehe, wie eine wüste Sehnsucht in seinem Körper um sich greift, schlimmer, als er es jemals gekannt hat. Dann versucht er hinunterzukriechen, in den kalten Wassergrund, wo er Schutz im Schlick und unter Algen, Schilf und Steinen zu finden hofft und sich zwischen den anderen Kröten verstecken will. Doch er kann gar nicht so schnell schauen, da schwimmen sie mit zuckenden Beinen davon, und schon sind sie verschwunden. Dann wird ihm der Atem dünn. Er taucht auf und giert nach Luft.

Ich sehe, wie er sich mühsam und zitternd ans Ufer schleppt. Ein wilder Schrecken und eine große Furcht kriechen aus seinem Bauch, hinauf in seinen Hals.

Grausam und tief und voller Sehnsucht und Schmerz.

Seine Kehle bläht sich auf, bis die Haut so dünn ist, dass sie zu platzen droht, und man feine rote Adern sehen kann.

Und dann dringt ein Schrei aus dem Jungen heraus, dass es zittert und dröhnt.

Dann wache ich auf.

4

Dienstag, 15. Oktober 1799

Heute Mittag, da habe ich es genau gesehen. Hinter meinem Rücken, da haben mich die Schwestern und auch die Mutter und auch der Pfarrer und sogar die Matante angeschaut, als wär es ihnen seltsam zumute, wenn sie mich betrachten. So, als hätte ich mich verändert.

Doch das habe ich nicht.

Ich habe im Spiegel zu sehen versucht, was es ist, was seltsam an mir sein soll, aber ich konnte nichts Besonderes erkennen.