Die Krimizimmerei Band 6 - Martina Meier - E-Book

Die Krimizimmerei Band 6 E-Book

Martina Meier

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Beschreibung

Kaum hatte Inspektor Papierfresserchen seinen letzten Fall abgeschlossen, da schellte schon wieder sein altes Telefon. „Ein vermisstes Mädchen“, wiederholte er das, was der Anrufer soeben gesagt hatte. „In Venedig?“ Das war sein Job! Denn wenn es darum ging, kniffelige Fälle zu lösen, dann war er tatsächlich der beste Kriminalist weit und breit. Und so packte er sogleich seinen Koffer, um nach Italien zu reisen. Kein Wunder also, dass auch im sechsten Band der Reihe „Die Krimizimmerei“ so mancher Verbrecher sein blaues Wunder erleben wird. Allen Schnüfflern also spannende Unterhaltung ...

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Die Krimizimmerei

Spannende Kurzgeschichten für Kinder

Band 6

Martina Meier (Hrsg.)

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Impressum

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Besuchen Sie uns im Internet - www.papierfresserchen.de

© 2023 – Papierfresserchens MTM-Verlag GbR

Mühlstr. 10, 88085 Langenargen

Alle Rechte vorbehalten. Taschenbuchauflage erschienen 2023.

Cover gestaltet mit einem Bild von © design on arrival (Fotolia lizenziert)sowie © McRoboom (Adobe Stock lizenziert)

Lektorat + Herstellung: Cat creativ – www.cat-creativ.at

ISBN: 978-3-99051-119-0 - Taschenbuch (mit Illustrationen)

ISBN: 978-3-99051-120-6 - E-Book

*

Inhalt

Das ist ja gar nicht Harald!

Der Studentenjob

Ein Einbruch kommt selten allein

Diebe auf dem Rummel

Schnappschuss

Der Plätzchendieb

Bissig

Zappenduster

Sandra und die Schlägerjungen

Schicksalstag

Das Geheimnis in der Schule

Mircos Fahrrad

Was soll denn das?

Francesca

Qualitätsmanagement

Traumberuf Friedhofsgärtner

Das Klappern der Zähne

Abenteuer am Leuchtturm

Ausgewischt

Der Pflaumendieb

Peters Wagen

Graf Argos

Laras Geburtstag

Der Eindringling

Die Herberge zur ewigen Ruhe

Totenfliegen

Wahre Freundschaft

Mission: Pflanzenmörder

Auf der Jagd nach der Goldnase

Elke, die Detektivin

Die Perle ist weg

Unfreiwilliger Klassenfahrtausflug

Verschollen

Tablet-Abend

Wo steckt Konrad?

Ein guter Ausblick

Hygge

Monsignore Nuntius

Nicht schon wieder Ohrenschmalz

*

Vorwort

Hände hoch!

Hier kommt Inspektor Papierfresserchen, ein gewiefter Ermittler, der in den zurückliegenden Jahren schon so machen kniffeligen Kriminalfall gelöst hat. Dabei ist es ihm ganz egal, ob eine Torte verschwunden, ein Junge entführt oder die Pflaumen auf mysteriöse Weise abhandenkommen. Inspektor Papierfresserchen ist einfach immer zur Stelle, wenn es darum geht, Verbrecher, Diebe und Mörder zur Strecke zu bringen.

Seine Methoden sind dabei vielleicht nicht immer ganz legal, aber all das hat er sich von seinen berühmten Kollegen abgeschaut, die ja wohl jeder von uns kennt: Sherlock Holmes, Miss Marple oder Pater Brown. Na ja, Inspektor Papierfresserchen ist natürlich nicht so anmaßend, sich mit diesen berühmten Herrschaften vergleichen zu wollen. Aber wer weiß schon, was in den kommenden Jahren noch so an Fällen an ihn herangetragen werden. Gut, Inspektor Papierfresserchen ist sicherlich nicht mehr einer der jüngsten Detektive, aber was spielt das schon für eine Rolle.

Da klingelt doch schon wieder das Telefon ... Nicht mal eine Minute zum Ausruhen gönnen dem armen Kerl die Klienten ...

Klar, dass im kommenden Jahr wieder neue Geschichten um den vielleicht bald berühmten Inspektor Papierfresserchen veröffentlicht werden. Die nächste Ausschreibung für alle Krimifreunde – egal welchen Alters – ist bereits online. Wie immer sollen sich auch im nächsten Buch die Geschichten wieder an Kinder und Jugendliche richten. Und weil Inspektor Papierfresserchen ein großer Gönner ist, hat er auch nichts dagegen, wenn der ein oder andere Fall von einem Kollegen oder einer Kollegin gelöst wird. Schließlich kann er ja nicht überall und zu jeder Zeit selbst ermitteln.

Wer also Lust hat, wieder tolle Krimifälle zu Papier zu bringen, der ist eingeladen, sich auch am 7. Band der Reihe „Krimizimmerei“ zu beteiligen.

Ausführliche Informationen gibt es natürlich wie immer auf unserer Internetseite www.papierfresserchen.de.

Ihr und euer Papierfresserchen-Team

*

Das ist ja gar nicht Harald!

Er schaute auf die Uhr. Kurz vor Mitternacht. Alles lief nach Plan. Ein schneller Sprung über den Gartenzaun.

„Super!“, dachte er. So einfach hatte er sich das gar nicht vorgestellt. Jetzt hieß es nur noch, Nerven behalten. Irgendwo schrie ein Käuzchen und eine schwarze Katze schlich von rechts nach links.

„Glück bringt’s!“, freute er sich und rieb sich die Hände. Es tat so gut, wieder den Duft der Freiheit zu genießen. Nach all dieser Zeit, nach all diesen vergeudeten Jahren. Er hatte seine Zelle so gehasst, dass er es kaum ausgehalten hatte. Dann diese vielen Sozialstunden! Wenigstens das Essen war ganz okay gewesen. Trotzdem: Freiheit war das, was er wollte. Endlich wieder draußen sein, die Vögel zu hören und barfuß über eine Wiese zu laufen, das war sein Leben.

Er atmete tief durch. Seine Beine fühlten sich an wie Pudding, sein Mund war ganz trocken. Schnell den Schraubenzieher raus und ran an die Arbeit. Wie er es vermisst hatte, dieses Kribbeln im Bauch, dieses Lampenfieber. Er spürte wieder Leben in sich, spürte das Adrenalin, das ihm durch die Adern schoss.

Eines hatte er sich geschworen: Nie wieder wollte er in den Bau zurück. Nie wieder in seinem Leben. Er wusste, es würde ihn umbringen.

Jetzt zitterten seine Hände. War es die Aufregung? War es die Vorfreude? Er wusste es nicht. Er lauschte. Hatte er eben ein ungewöhnliches Geräusch gehört? Egal. Wahrscheinlich bildete er sich alles nur ein. Er zwang sich, ruhig zu bleiben und weiterzuarbeiten.

Da, wieder ein Geräusch. Es hörte sich an wie ein unterdrücktes Lachen. Dann ein Scharren von Füßen. Was war das? War da etwa jemand im Haus? Das konnte nicht sein, er hatte lange genug gewartet.

„Mach weiter, mach weiter!“, ging es ihm durch den Kopf. Es klang wie ein Mantra.

Er kannte sich aus: Das Arbeitszimmer war links, der Schreibtisch mit der Geldschublade stand genau am Fenster. Das hatte er erfolgreich ausgekundschaftet, als er neulich vorgegeben hatte, der Wasserableser der Stadt zu sein. Er musste schmunzeln bei dem Gedanken. Die Leute glaubten einfach alles.

Die ganze Aktion würde nur wenige Minuten dauern. Sollte er noch nach dem Schmuck suchen? Vielleicht. In Gedanken überlegte er sich schon, was er alles mit dem Geld machen wollte. Auf jeden Fall hatte er sich vorgenommen, morgen ins erste Reisebüro zu gehen und einen Flug nach Spanien zu buchen. Er wollte nach Conil, an die Costa de la Luz. Wie er sich darauf schon freute! Endlich wieder am Strand liegen und abends Sangria schlürfen. Alle Sorgen vergessen und einfach nur ausspannen. Er spürte schon die Sonne auf seiner Haut und den heißen Sand unter seinen Füßen. Es würde nicht mehr lange dauern.

Mit einem Ruck stand er im Hausflur.

Dann ging alles unglaublich schnell: Jubelgeschrei, Blitzlichtgewitter, laute Tröten, fremde Menschen kamen auf ihn zu und grölten im Chor: „Surprise!“

„Das ist ja gar nicht Harald!“, hörte er plötzlich eine enttäuschte Stimme rufen.

Er ließ den Schraubenzieher fallen und erstarrte. Diese verflixten Reihenhäuser sahen auch alle so verdammt gleich aus ...

Dörte Müller, geboren 1967, schreibt und illustriert Geschichten für Kinder. Sie lebt mit ihrer Familie in Bonn. Ihr Debütroman „Geschichten aus dem Leben eines Au-pairs“ erschien 2014.

*

Der Studentenjob

Einen Kellerraum entrümpeln. Schuhgeschäft in der Innenstadt. Eine, vielleicht zwei Stunden Arbeit. „Leicht verdiente 30 Euro“, dachte sich Student Altmann auf dem Weg von der Arbeitsvermittlung für Studenten, vertreten auf dem Unicampus, in die City.

Ah, da, Firma Lobwasser. Bei Frau Rademacher melden. Diese führte ihn sogleich in den Keller, welcher etwas mittelalterlich Gewölbehaftes an sich hatte. Am Ende des Hauptganges befand sich jener Kellerraum, der angefüllt war mit allerlei Krimskrams. Alte Regalteile, ausgediente Stühle, zum Teil defekt, irgendwelche Metallstangen, die sonstwo zugehört haben mochten, Schränkchen, Bruchstücke von irgendwas und anderes sperriges Zeugs mehr. Danach gingen die beiden den Gang zurück, an der Treppe hoch in den Laden, ein Stück vorbei, im rechten Winkel hinein in einen weiteren Gang, an dessen Ende sich die Treppe hinauf in den Hof befand, auf welchem der Container für all den zu entsorgenden Sperrmüll stand. Damit war die Arbeit verteilt. Okay, kein Problem.

Frau Rademacher verließ den Keller, während Student Altmann sogleich mit der Schlepperei begann. Er nahm sich vor, die Arbeit zügig zu erledigen, schließlich wurde er nicht nach Stunden bezahlt. Die 30 Euro sollte er sich im Laden abholen, sobald er mit der Entrümpelung fertig war.

So trottete der Student mit einem dreibeinigen Stuhl und ein paar Regalteilen zum Container, warf sie achtlos hinein, trottete zurück, schnappte sich die nächste Fuhre. „Leicht verdientes Geld“, dachte sich der Student und war in Gedanken schon bei seiner Freundin, dem abendlichen Kinobesuch und der Spätpizza hernach.

Sein Weg durch den Keller führte ihn an mehreren geschlossenen Holz- und Metalltüren vorbei, doch vor allem fiel ihm ein weiterer Gang auf, welcher, kam man vom Hauptgang, bog in den Gang zum Hof ein, rechts von diesem abzweigte. Ein schmaler, weiß getünchter, schmuckloser Gang wie die anderen Gänge auch. Und an dessen Ende erspähte der Student die ersten Stufen einer weiter hinabführenden Treppe, welche dann hinter der Kellerwand verschwand. „Ein Tiefkeller‘, überlegte der Student kurz und fuhr mit seiner Tätigkeit fort. „Was mag sich wohl da unten, unter mir, noch befinden?“ Einerseits reizte es ihn, nachzuschauen, andererseits verströmte dieser schmale Gang mit der Treppe am Ende auch etwas Unheimliches, jedenfalls liefen dem Studenten regelmäßig leichte Schauer des Unbehagens über den Rücken, wenn er diesen Gang passierte. Und tatsächlich, er begann, an diesem Gang vorbeizuhuschen.

Dunkler wurde es draußen grad der zunehmenden Bewölkung wegen, dunkler wurde es auch im Keller. „Das Licht funktioniert nicht“, hatte Frau Rademacher noch gewarnt, „aber der Elektriker ist bestellt.“

Immer häufiger blickte sich der Student auf seinen Entrümpelungstouren wie absichernd um. Jedes Mal, wenn er den Hof mit der frischen Luft erreicht hatte, atmete er wie erleichtert auf – doch dieses nicht nur der körperlichen Anstrengung wegen.

Vom Hof zurück ins Gewölbe, vorbei am Gang zum Tiefkeller, um die Ecke in den Hauptgang, dann endlich wieder zurück in seinem Keller. Um die Ecke. Als erwartete er geradezu, dass hinter der Ecke, dort auf dem Gang zum Hof, der Fürst des Tiefgewölbes lauerte, auf ihn lauerte, ihn zu holen.

Mal ruhig! Klapperte da nicht etwas im Tiefkeller? Der Student eilte wieder vorbei an jenem schmalen Gang mit jener hinabführenden Treppe am Ende. Ein kurzer, furchtsamer, huschender Blick hinein, huschend wie seine treibenden Schritte. Um die Ecke, hastig in den Hauptgang, dunkler wurde es im Gewölbe, die Hälfte der Arbeit erst war getan.

Der Student nahm sich, einer Waffe gleich, eine dieser spitz zulaufenden Metallstangen, schloss sie fest in die rechte Hand, schleppte nur noch mit der linken. Vom Hauptgang um die Ecke in den Gang zum Hof, vorbei an diesem verdammten Gang da rechts. Der Student begann zu schwitzen, er hastete, lief manchmal schon ein paar Schritte. Was würde seine Freundin sagen, wenn sie ihn so sähe? Egal jetzt!

Er rannte, rannte mit dem Sperrmüll. Die Lichtverhältnisse verschlechterten sich zunehmend. Würde ihn jemand beobachten, man hielte ihn für verrückt. Beobachtete ihn bereits jemand? Dort am Ende des Ganges mit der Treppe am Ende hinunter in den Tiefkeller. Stand dort nicht gerade jemand, darauf aus, ihm gleich den Weg zum Hof zu versperren?

Er schnappte sich vom Sperrmüll, blickte den Hauptgang entlang. Dort hinten um die Ecke. Diese verfluchte Ecke, dort musste er herum, wollte er zum Hof gelangen. Wer klapperte dort unten im Tiefkeller? Wer lauerte auf ihn? Eine dieser Metallstangen her! War noch eine übrig?! Keine mehr da. Er nahm sich ein kleines Schränkchen, trug dieses wie einen Brustpanzer vor sich her, schlich den Hauptgang entlang, stieß das Schränkchen um die Ecke – stieß ins Leere. Niemand da. Aber dort im Gang zum Tiefkeller. Hatte dort eben nicht die Treppe geknarrt?

Der Hof. Endlich der Hof, frische Luft. Durchatmen. Der Student nahm sich eine der spitz zulaufenden Metallstangen aus dem Container. Zurück in den jetzt beinahe dunklen Keller. Schemenhaft Weg und Wände. Dicht an der Wand entlang wie ein gehetztes Wildtier, schon vom Räuber gierig ins Visier genommen. Zurück in seinen Kellerraum. Er begann zu zittern. Panik überkam ihn. Ein paar Fuhren waren noch übrig. Er blickte den Hauptgang entlang.

„Schluss! Ich kann da nicht mehr lang, hau einfach ab! Was sollen die paar dreißig Euro“, raste es durch seinen verschwitzten Kopf.

Doch selbst wenn er bis zur Treppe hoch ins Geschäft gelangen wollte, musste er fast bis zu jener verdammten Ecke, musste dieser Ecke seinen Rücken zu kehren. Da klapperte doch schon wieder etwas dort unten. Direkt unter ihm. Oder war es bereits hochgekommen, wartete dort hinter der Ecke?

Wild entschlossen packte der Student ein Sperrmüllteil mit der linken Hand, in die rechte nahm er die spitz zulaufende Metallstange wie einen Speer, näherte sich auf zittrigen Beinen jener Ecke und stach blind um diese herum in den Gang zum Hof hinein.

Die Stange, der Spieß, traf auf Widerstand, bohrte sich in etwas hinein.

Frau Rademacher schüttelte entsetzt den Kopf, als sie ihre Mitarbeiterin Hedwig Vries, von einer Metallstange durchbohrt, tot auf dem Kellerboden liegen sah. Diese hatte im Tiefkeller zu tun gehabt, wollte eben wieder zurück ins Geschäft gehen.

Kommissar Kieling vom Morddezernat war inzwischen eingetroffen, zwei Beamte in Uniform führten Student Altmann in Handschellen ab. Unentwegt redete der Student von einem Fürsten des Gewölbes, welcher hinter der Ecke auf ihn lauerte. „Es war Notwehr. So hören Sie doch! Notwehr!“

Seine Freundin würde für lange Zeit ohne ihn Kinofilme und Pizza genießen müssen.

Gerald Marten, Jahrgang 1955, lebt in Oldenburg in Holstein. Veröffentlicht seit 2001 Kurzprosa und Gedichte in Anthologien und Zeitschriften, u. a. in „Wo die wilden Geister wohnen Bd. 5“. 2002 erschien sein Roman „Segelraumschiff Gurk Fock #1, Balzmann Drei“ .

*

Ein Einbruch kommt selten allein

„Der Tresor im Casino unserer Dienststelle wurde während unseres Großeinsatzes geplündert.“

Weber, ein nicht gerade schmächtiger Kommissar, lungert hinter dem nierenförmigen, um seinen Bauch herum ausgebuchteten Eichenholzschreibtisch. Diese Bewegungsfreiheit sei ihm für seine schlaflose Nacht vergönnt. Nicht eine Stunde hat er in der gedimmten Bürostube geschlummert.

„Klären wir den Vorfall. Schnellstens! Bevor die mit Aufnahmegeräten bewaffneten Lokalredakteure bei uns einlaufen. Sie wollen unserer Enttäuschung spotten, verzerrte Fotos an grottige Berichte dranhängen, im Auftrag einer faktenfeindlichen Zeitung, die vor der Insolvenz steht.“

Sein Magen knurrt und kracht. Webers Körper verkommt in Wochen solcher Unrast zu einem Silo an Unpässlichkeiten. Die Wade krampft, der Stress raubt ihm Magnesium. Seine bis zur Heiserkeit exerzierten Monologe besänftigen ihn, Reflexionen betäuben allmählich Webers Entrüstung. Den linken Ellenbogen auf die Lehne gestützt, lümmelt er, in Selbstgespräche verstiegen, in seinem kupferbraunen Sessel.

„Mit einem Brecheisen wurde der Tresor aufgehebelt. Gnade dem Menschen, der es getan hat.“ Selbst schläfrig ist Weber ein agiler Geist, der in Analysen rasch zu fundierten Schlüssen gelangt.

„Die vergitterten Fenster waren auch verriegelt, allesamt. Türen durch Codes fremden Personen unzugänglich, niemand kennt sie, außer meine eigenen Leute. Ein provinzieller Hochsicherheitstrakt ist meine Inspektion.“

Auf der schwarzen Bildschirmfläche seines Rechners, ein durchs Raster moderner Technologie gefallenes Monstrum, spiegeln die Konturen eines fläzenden Mannes wider. Sobald der PC hochgefahren ist, wird Weber auf einer reaktionslahmen Tastatur Fahndungslisten durchrackern.

Weber stöbert, Weber zetert, Weber ist Solist auf einem Piano, das mit Bechstein wenig gemein hat.

„Welcher Narr knackt wegen einer Handvoll Groschen unseren Tresor? Wusste er um die geringe Summe, wusste er um sie wirklich nicht?“

Innerhalb der kärglichen Minutentoleranz trudeln die Beamten mit ihren Chips am Automaten ein und stempeln. Schichtbeginn für Sammer, Lindner, Fielmann. Jeder auf seine Weise zerknirscht, als Weber sie schnurstracks mit erhobenem Zeigefinger ins Büro lotst, seine Gedanken mit offenkundigem Gähnen vorträgt.

Sammer versucht, seiner Miene mit gekräuselter Stirn Seriosität herauszuschinden, Lindner tut betroffen, er keucht, und Fielmann, einen Clown braucht schließlich jedes Unternehmen, behandelt jene Vorfälle abseits der Streife mit Witz und Nachsicht. Die Bandbreite an Reaktionen und Verdrängungsmechanismen findet Weber erschreckend.

Sekretärin Ulla setzt sich Weber gegenüber, überschlägt ihre von Orangenhaut nahezu verschonten Beine. Ein pinker Rock, blickdicht, aber herausfordernd knapp, manifestiert ihren zweiten Frühling. Ohne Umschweife fragt sie ihren Chef: „Wem traust du es zu? Internen? Auch ich könnte es getan haben.“

„Auch du, Ulla, könntest es getan haben. Beteiligt gewesen sein. Komplizin. Aber nein, Ulla, du doch nicht.“

Ulla, eine aufreizende Antwort auf Uschi Glas, ist süchtig nach Schamlosigkeitsdemonstrationen, nach Anrüchigkeitsoffensiven. Die Affäre mit ihrem Klaus, also Weber, ist ein Garant, von Anklagen ausgenommen zu sein. Sie windet ihre kolorierten Korkenzieherlocken, Fortläufe bereits verblichener Haaransätze, spreizt ihre fünffarbig manikürten Fingernägel, auf dem zu ihrer Seite hin ausgebeulten Tisch rekelt sie diese Kunstwerke. Katze Ulla. Geschmeidig buckelt sie, bringt ihre Arme schleichend an Weber heran. Die Silhouetten ihrer noch halbwegs straffen Brüste betont der Stoff einer Bluse aus capriblauem Satin.

Augenblicklich erinnert sich Weber seiner Professionalität, drängt sie zurück: „Kein Kuss, jetzt nicht, Kätzchen.“

Ullas Lider sind stille Töne, in ihrer Wandelbarkeit erwecken sie Weber zu gegebener Zeit aus seiner Tristesse. Gegenwärtig irritiert ihn ihr Schlüsselbund, der im Niemandsland baumelt, in der schneidenden, von Weber durch zwei oder drei Zigarren geräucherten Luft.

Weitere Kollegen setzen zu Dienstantritt mit den Sohlen ihrer Sicherheitsschuhe Spuren, dem Anlass entsprechend begreift sie Weber als Fährten.

„Lass uns eine Kamera installieren. Winzig, getarnt, in einem Winkel, dort, wo niemand sie entdeckt.“

„Kennst du Diebe, die Tatorte doppelt aufsuchen. Sei nicht naiv, Ulla.“

Lehrling Bucher, ein schüchterner Kerl von fast pathologischer Blässe, verfrüht um eine Viertelstunde erscheint er, das ist sein Verständnis von Pünktlichkeit. „Komm herein“, sagt Weber, grüßt ihn und nickt zu Ulla, deren aufgedonnerte Erscheinung Buchers Jugend in jeder Morgendämmerung ein bisschen verlegen macht.

Weber schnappt ihn, den ausnahmslos beflissenen Burschen, und schlendert mit ihm zur Bäckerei, zwei Kreuzungen entfernt. Weber markiert den kollegialen Vorgesetzten: „Mein Lieber, hast du von dem Tresor gehört?“

„Nein … ja, doch, er ist aufgebrochen worden.“

„Das hat sich herumgesprochen.“

Weber lenkt den Dialog auf ein neutrales Terrain, Fußball, Stadionbesuche, er hat erfahren, sie sind Buchers Leidenschaft: „Hat deine Mannschaft verloren?“ Der Kommissar ermuntert den Jungen mit rötlichen Stoppelhaaren und einer von Sommersprossen besäten Nase, deren Spitze zum Himmel strebt, als verweise sie in einem Missionsauftrag auf Gott.

„3:0, den Gegner haben wir vorgeführt. Nach Eikriterien Güteklasse A.“

„Mit wem warst du dort?“

„Ist das ein Verhör?“ Der stets nachdenkliche Kerl wird schnippisch.

Straßenbahnen malmen an Schienen, ihr tosender Funkenwurf kündet den Tagesanbruch. Der Morgentau an den Oberleitungen erzeugt einen bitzelnden Sound. Feuchte Fahrradbremsen quietschen. Weber trägt plötzlich einen metallischen Geschmack auf seiner Zunge.

„Moritz und Thorsten waren mit mir unterwegs.“

„Unsere Azubis?“

„Exakt, Herr Weber.“

„Gab es irgendwelche Besonderheiten?“

„Nicht die Bohne.“

Buchers Lässigkeit befremdet. Abgesehen von der knisternden Bäckertüte und dem Motorbrummen der Autos, die an den Bordstein herandrängen, verdichtet sich eine seltsame Leere.

Wieder in der Stube, kringelt Webers Zigarre sporadische Inseln. Aufsteigende, nie ganz abziehende Schwaden lässt er zurück. Er packt seine Aktentasche, verabschiedet die Kollegen: „Servus allerseits“, und obwohl er fürchtet, die Chance, den Täter zu ertappen, würde verrinnen, möge es so geschehen, irgendwann muss er Feierabend machen.

Moritz und Thorsten haben frei. Weber ruckelt die Ausgangstür hin zur Vortreppe. Mehrfach. Bucher sprintet ihm nach: „Moritz war gestern in Spendierlaune, Schnaps hat er gerufen, Spirituosen. Geprahlt hat er. Einiges hätte er auf der Kante, aus Telefonverkäufen. Tanten nannte er die Angeworbenen.“

Folgender Tag: Weber beordert Moritz Schneider in sein Dienstzimmer, trägt ihm sogar eine Tasse Kaffee mit Sahnehäubchen auf. Dann macht es klick. Handschellen. Sammer legt sie an.

„Sie sind vorläufig festgenommen und werden dem Haftrichter vorgeführt. Ob Sie den Tresor geplündert haben, sei dahingestellt. Sie haben Seniorinnen ihre Kontonummern abgeschwatzt. Das haben wir ermittelt. Das ist Betrug.“

Als Weber den Enkeltrick einfließen lässt, meidet Moritz, den Kommissar anzusehen. Er spuckt. Nach Weber. Moritz schäumt, warnt: „Thorsten oder Bucher, na, warten Sie, wenn ich einen der beiden kriege.“

Keine fünf Minuten später: Weber hat Schneiders Speichel weggewaschen, Korken knallen, mit Ulla begießt er die Festnahme. Sie krallt Weber an der plump gepunkteten Krawatte. Ullas pinker Rock ist ein Stück nach oben gerutscht, noch höher …

Oliver Fahn wurde 1980 in Pfaffenhofen an der Ilm im Herzen Oberbayerns geboren. Der Heilerziehungspfleger lebt bis heute zusammen mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen in der Kreisstadt. Fahn veröffentlicht regelmäßig Beiträge in Kulturmagazinen und verfasst Texte für Anthologien.

*

Diebe auf dem Rummel

Schnaufend öffnete Felix die Tür von der Wohnung von Max und warf seine Tasche auf den Stuhl neben der Eingangstür. Er war von seinem Sportverein aus bis hierher gejoggt, nur um mit den anderen heute den einen Film zu gucken. Es roch lecker nach Popcorn und Chips.

„Da bist du ja endlich!“, rief Mark.

Alle zwei Wochen fuhren die Eltern von Max in das Theater, dann trafen sich die Freunde und guckten einen Film. Alle saßen auf dem Sofa nebeneinander. Ganz links saß Emma, daneben Max, dann kam Mark und neben ihn setzte sich Felix hin. Bei der Frage, welchen Film sie gucken wollten, gab es meistens Probleme, aber heute hatten sie sich auf einen Kriminalfilm geeinigt.

Der Film war sehr spannend und die Täter waren schnell durch ihre Fingerabdrücke überführt. Da der Film schon sehr früh vorbei war, einigten sie sich darauf, nicht nach Hause, sondern noch auf den Rummel zwei Straßen weiter zu gehen.

Da es Freitagabend war, war es hier enorm voll. Es gab eine neue Hauptattraktion: die Grusel-Bahn. Das war eine Achterbahn, aber mit neuen Effekten wie Nebelmaschinen und Wassersprühern. Sie fuhren eine Runde Achterbahn in der Hoffnung, dass die Schlange von der Geisterbahn kürzer werden würde. Aber es geschah genau das Gegenteil. Die Schlange war noch länger.

„Was machen wir jetzt? Die Schlange wird, glaube ich, immer länger“, sagte Mark enttäuscht.

„Ich würde sagen, dass wir uns einfach hinten anstellen und warten, bis wir drankommen.“ Als Emma das sagte, zuckte sie mit den Schultern.

Sie stimmten kurz ab und entschlossen sich, dass sie sich einfach anstellen und warten wollten. Nach zehn Minuten standen sie fünf Meter weiter und langweilten sich. Dabei beobachtete Mark die ganzen Menschen um sich herum. Dabei stach ihm ein Mann mit einem gelben Cappie ins Auge. Dieser Mann schlenderte über den Rummel und guckte um sich.

Doch dann waren sie auch dran. Die Fahrt war super und die Effekte machten das Ganze noch spannender und gruseliger. Als die Fahrt beendet war, stand der Mann mit dem Cappie wieder da. Mark wollte gerade die anderen anstupsen, um ihnen den Mann zu zeigen, doch das musste er gar nicht, da der gerade dabei war, einer alten Dame das Portemonnaie zu stehlen.

Doch diese Dame merkte es sofort und schrie ihn an. „Nehmen Sie die Hand aus meiner Tasche!“

Die vier Freunde hörten das und drehten sich um. Als Erste reagierte Emma, die sofort nach vorne rannte, um den Mann festzuhalten. Dieser erschrak, aber rannte schnell davon. Inzwischen waren auch die anderen Jungs losgerannt – hinter dem Mann her. Sie rannten quer über den Platz bis zum Dosenwerfen. Dort bog der Dieb um die Ecke und war verschwunden. Schnaufend blieben die Freunde stehen und guckten sich erschöpft um.

„Wo ist er hin?“, fragte Mark keuchend.

Sie guckten sich um, konnten aber keinen Dieb finden. Links und rechts standen die Wohnwagen der Schausteller, die hier arbeiten.

„Was machen wir jetzt?“, fragte Max, der diesem Rätsel nicht viel Aufmerksamkeit schenkte.

„Ich bin dafür, dass wir uns verstecken und gucken, ob er wiederkommt“, schlug Emma vor.

Nach einer kurzen Abstimmung entschlossen sie sich, sich zu verteilen und nach dem Dieb zu suchen. In einer Stunde würden sie sich wiedertreffen, wenn der Dieb bis dahin nicht gefunden wäre.

Eine ganze Stunde lang suchten sie alles ab, konnten aber nichts finden. Enttäuscht gingen sie wieder in die Wohnung von Max und verabschiedeten sich. Sie machten aus, dass sie sich alle am nächsten Abend wieder treffen wollten, um auf dem Rummel nach dem Dieb Ausschau zu halten.

Am nächsten Tag trafen sie sich bei Anbruch der Dunkelheit. Diesmal aber alle zusammen. Nach einer halben Stunde fiel Felix ein Mann auf, der einen grauen Sportanzug anhatte und so ähnlich aussah wie der Mann von gestern. Leise gab er den anderen ein Zeichen und sie verfolgten ihn unauffällig.

Nach nur zehn Minuten ging er zu einer älteren Frau, griff in ihre Tasche und zog ein Portemonnaie heraus. Wie vom Blitz getroffen rannten alle auf einmal los. Emma rannte diesmal so, um ihm den Weg abzuschneiden. Max blieb bei der älteren Dame stehen und fragte, ob alles okay sei. Mark und Felix rannten direkt hinterher dem Mann her und machten laut rufend auf den Dieb aufmerksam.

Der Dieb bog wieder beim Dosenwerfen um die Ecke, aber diesmal war Emma da und schnitt ihm den Weg ab. Mark und Felix kamen von der anderen Seite. Der Dieb saß in der Klemme und blieb stehen. Bevor jemand etwas sagen konnte, rannte er wieder los und zwischen zwei Wohnwagen hindurch. Felix, der damit schon gerechnet hatte, rannte ihm blitzschnell nach und war bald dicht hinter ihm.

Dann kam eine große Mauer und man konnte nur nach links oder rechts laufen. Von daher kamen aber auch Mark und Emma. Jetzt gab es keinen Ausweg mehr! Doch es konnte schon wieder keiner etwas sagen, da Max und die ältere Dame angerannt kamen und die ältere Dame den Mann böse anguckte und ihn mit ihrer Handtasche schlug. Das kam so überraschend, dass der Mann erschrocken stehen blieb und erst mal begreifen musste, was gerade passiert war. Doch da kam schon die Polizei um die Ecke und nahm den Mann fest. Die Dame bedankte sich bei den Kindern und gab ihnen Geld, um eine Runde mit der neuen Geisterbahn zu fahren. Dieser Abend war der beste für sie seit Langem für die Freunde!

Jonah Unglaubeund hat schon viele Geschichten geschrieben.

*

Schnappschuss

„Er hat sie ermordet!“, ereiferte sich Amalia Burkhard, den Hörer zitternd in der Hand haltend.

„Was ist denn passiert?“, erkundete Kommissar Arnhelm, seinem Assistenten Hartmann einen Wink zum Mithören gebend.

„Der Mörder. Ich weiß, wer der Mörder ist!“

„Einen Schnappschuss!“

„Was?“

„Einen Schnappschuss hab ich schon damit gemacht! Wie du an der Datenrückwand erkennen kannst“, rief Eckehard Amalia erklärend zu, die mitten im Partygewühl steckte.

„Nur einen Schnappschuss!“, hatte Armin Mangold gefordert. „Um die neue Kamera einzuweihen. Du bist doch sonst nicht so prüde!“

Amalia hatte die Fotos von ihrer Geburtstagsparty vor sich liegen. Der Schnappschuss lag oben auf. „Er hat sie ermordet!“

„Was ist denn passiert?“

„Der Mörder. Ich weiß, wer der Mörder ist! Können Sie vorbeikommen?“

„Ja, klar!“

„Eckehard Hunold hat diese Schauspielerin ermordet!“ Amalia deutete auf das Porträt in der Zeitung, dass dieselbe Frau zeigte, die ihr Freund im Bild festgehalten hatte. „Er ist der Mörder von Melinda Arbogast!“ Voller Wut starrte sie auf den Schnappschuss mit der nackten Frau, die man stranguliert im Park gefunden hatte.

Eckehard war wieder einmal total abgebrannt. Also tat er, was er immer tat, wenn er pleite war. Im Park hatte er mitten ins Ziel getroffen. Es war sein Glückstag. Die wertvolle Kamera schenkte er seiner Freundin zum Geburtstag.

Amalia perseverierte: „Er ist der Mörder! Eckehard Hunold!“

„Was ist eigentlich ein Schnappschuss, Chef? Hieran scheiden sich die Geister. Aber so viel steht fest: Schnappschießen macht Spaß! Das gilt besonders für solch einen Schnappschuss“, erörterte Hartmann und betrachtete eingehend die Fotografie mit der schönen, nackten Schauspielerin. „Allerdings muss man zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort und stets schussbereit sein, um das alles schaffen zu können, denke ich.“

Ein Unwetter brach los. Blitze zuckten am Himmel.

„Woher können Sie denn so etwas? Ich meine ... denken!“

„Wie bitte?“ Hartmann blickte gedankenverloren aus dem Fenster im Büro. Irgendwo hatte es eingeschlagen.

„Ich dachte schon, ein Blitz des Geistes hätte sie getroffen, Hartmann!“ Missmutig schenkte sich Kommissar Arnhelm einen Kaffee nach. Mit den Augen Blitze schießend, zog er einen Flunsch.

„Es waren fast immer Foto-Schnappschüsse, die die Welt bewegten und veränderten. Wie die Aufnahme, die Sie da in Händen halten, wieder einmal mehr unter Beweis gestellt hat.“

„Wenn der Sturm anhält, werden wir die ganze Nacht hier festsitzen, Chef!“

„Bei so einem Wetter jagt man nicht mal einen Mörder vor die Tür!“

„Oh, Mann!“ Das Gemurmel von Eckehard ging in den heftigen Regenfällen unter. Ein Blitz erhellte die Nacht. Er warf den Kopf hin und her, als wolle er den starken Niederschlag von sich schütteln. „Halten Sie an!“ Die Stimme im Kampf gegen das Unwetter laut erschallen lassend, mit den Armen schwingend, lief er frontal auf die Scheinwerfer des Wagens zu, der mit quietschenden Reifen vor ihm zum Stehen kam.

„Ich habe eine Panne!“ Er klopfte hartnäckig an die Scheibe, die die Frau am Steuer schließlich entgeistert herunterließ. „Ich brauche dringend eine Mitfahrgelegenheit!“ Hastig wiederholte er sein Anliegen. „Es hat eine Panne gegeben und ...“

„... hier ist weit und breit nichts von einer Panne zu sehen!“, meldete sich der Mann auf dem Beifahrersitz zu Wort, der zornig um sich blickte.

Mit einem Ruck beugte sich Eckehard in das Innere des Wagens und packte den Beifahrer am Kragen. „Hör gut zu, Freundchen! Ich hab einen echt beschissenen, miesen, nassen Tag hinter mir! Hier geht es auf Leben und Tod und ich ...“

„… würdest du jetzt wieder loslassen?“

Abrupt ließ Eckehard ihn wieder los und wich zurück. „Ihr müsst mich mitnehmen!“, verlangte er von den beiden, die sich mit Blicken beratschlagten. „Verdammt! Bei dem Gesichtsausdruck von ihr und der mürrisch vorgeschobenen Unterlippe von ihm werde ich auch noch den Rest der Nacht im Nassen zubringen müssen“, dachte Eckehard angespannt.

„In Ordnung! Mach die Tür auf!“, delegierte der Mann. „Lass ihn rein!“

„Danke!“ Eckehard klopfte aufs Autodach und schwang sich auf die Rückbank.

„So ein verdammter Mist! Wäre Melinda Arbogast auf dem Schnappschuss nicht nackt gewesen, hätte Amalia mich niemals verraten. So viel steht fest! Nur ihrer verdammten Eifersucht wegen bin ich jetzt auf der Flucht. Oh, Mann! Dabei war sie in ihren Filmen eigentlich ständig nackt. Aber das hier ist kein Film, das ist die knallharte, echte, beschissene, miese, nasse Realität. Die nackten Tatsachen gewissermaßen!“, sagte er zu sich selbst.

Wie ein Ertrinkender bewegte Eckehard den Kopf. Er hatte sich an der teilweise verdeckten Ecke eines Kiosks postiert, die Hände steckten in den vollgesogenen Manteltaschen. In der kühlen Morgenluft dampften seine feuchten Kleider.

„Verdammt! Was hast du getan? Oh, Mann! Was hast du getan?“, warf er sich vor, als er nochmals einen Blick auf die Zeitung mit seinem Konterfei wagte. „Den Mörder finden! Du willst den Mörder finden? Vergiss es! Aber versuchen muss ich es trotzdem!“, bemerkte er. „Und ich hab auch schon eine super Idee!“ In Siebenmeilenschritten preschte er los.

„Ich seh mir das an, ja!“, rief Armin Mangold der Kundin über die Schulter zu, die sich für eine Farbnuance entschieden hatte, und eilte ans Telefon. Seine Angestellten hatten alle Hände voll zu tun.

„Coiffeur Mangold!“, meldete er sich hastig. „Also, wenn Sie bei mir höchstpersönlich einen Termin möchten, dann kann ich sie nur noch heute Nachmittag einschieben ... Morgen bin ich restlos ausgebucht ... Und übermorgen fahre ich zu einem Wettbewerb ... Oder ich trage Sie für nächste Woche ein ... Gut! Ist notiert. Bis nachher also!“ Er klappte den Terminkalender zu und machte sich wieder an die Arbeit.

„Der Kerl ist schlauer, als ich dachte, Hartmann! Aber ich bin schlauer. Mir entkommt er nicht!“ Bärbeißig wandte sich Kommissar Arnhelm seinem Assistenten zu, der sich wie üblich auf keine Wortlastigkeiten einließ.

Eckehard versteckte sein hübsches Gesicht hinter den vom Regen feuchten, hochgeschlagenen Kragen seines Mantels. Auf einem Schleichweg, ein paar Straßen von der gemeinsamen Wohnung entfernt, lauerte er seiner Freundin auf. Sollte sie das Haus verlassen, um irgendwo hinzugehen, dann würde sie diesen verborgenen Weg nehmen. „Tut mir leid! Es geht nicht anders!“ Er presste die Hand auf ihren Mund, zog sie hinters Gebüsch, wo er sie gegen die hohe Mauer drückte. „Hör mir zu, Amalia!“, flüsterte er ihr ins Ohr. „Vertrau mir! Es wird alles gut! Ich werde jetzt die Hand von deinem Mund nehmen und du wirst nicht schreien! Ich liebe dich! Darum hab ich ja auch diese Kamera geklaut, um dir eine Freude zu machen. Und mit diesem Schnappschuss hab ich nicht das Geringste zu tun. Ich hab dir das schon tausendmal zu erklären versucht, dass ich unschuldig bin. Aber nein, in deiner blinden Eifersucht musstest du ja gleich die Bullen rufen!“

„Erzähl das doch den Bullen, dass du nur ein Dieb bist! Lass mich durch. Ich habs eilig!“

„Hast du noch die Kamera?“

„Natürlich hab ich die noch!“

„Gut! Dann wirst du sie jetzt holen und ich warte hier!“

„Vergiss es! Ich hab einen neuen Friseur und den werde ich deinetwegen nicht warten lassen!“ Kurzerhand setzte sie sich in Bewegung.

„Ein neuer Friseur? Schon wieder! Warum machst du das mit mir? Während du erneut einen Haarabschneider reich machst, sitzt mir deinetwegen das Messer an der Kehle!“, schrie er ihr hinterher. Mit seinen langen Beinen hatte er sie schnell eingeholt. „Ich meine, es könnte doch sein, dass Friseure ohne dich pleite gingen. Bei wie vielen Königen der Schere warst du eigentlich in der letzten Zeit? Kann sein, du hast sie bald alle durch. Verdammt! Ich werde auf dich warten!“

„Halt die Klappe!“, war ihr lapidarer Kommentar, bevor sie ins Reich der Lockenwickler verschwand.

„Bereits seit Stunden ist sie bei diesem Figaro. Jetzt reichts! Ich geh rein. Sie muss mir einfach helfen!“, sagte er sich und betrat den Barbierladen. Er schaute sich nach ihr um und entdeckte sie unter einer Haube sitzend.

„Oh, Mann! Das ist dieser fiese Kerl! Der Typ, dem ich im Park die Kamera mit dem Schnappschuss geklaut habe! Dieser Kerl, der meine Amalia gerade fragt, ob sie was lesen will, ist der Mörder!“, dachte er.

Eckehard hob etwas die Haube an und beugte sich über sie. „Ich brauche dringend dein Mobiltelefon!“

Wortlos griff sie in ihre Tasche und reichte es ihm.

„Ich danke dir, Amalia ...“

Susanne Ulrike Maria Albrecht, geboren 1967, hat bereits zahlreiche Werke veröffentlicht und wurde mehrfach ausgezeichnet. Beim vierten internationalen Wettbewerb „Märchen heute“ 2016 belegte sie den ersten Platz. 2022 errang sie den dritten Platz mit ihrem Text „In der Morgenröte“ beim 4. Mädchenchorfestival zum Weltfrauentag 2023 der Chorakademie Konzerthaus Dortmund.

*

Der Plätzchendieb

Das Telefon klingelt. „Detektivbüro.“

„Hier ist Frau Winter. Kommen Sie. Meine Zimtsterne wurden gestohlen.“

Detektiv Kuno eilt an den Tatort. Frau Winter zeigt ihm den Schrank, in den sie die drei Schachteln Weihnachtsplätzchen gestellt hatte, die sie gestern gebacken hatte. Nun sind nur noch zwei da. Kuno fragt sie: „Hatten Sie nach dem Backen Besuch?“

„Ja“, sagte Frau Winter. „Der kleine Klaus, der Postbote und der Untermieter.“

Nun befragte Kuno die drei nach den Plätzchen.

Klaus meinte, dass er keine Plätzchen genommen habe. Der Postbote fragte ihn, wo er die Schachtel verstecken solle, seine Tasche sei so voll. Und der Untermieter meint, er möge keinen Zimt.

Jetzt musste Kuno überlegen. Wer war der Täter? Nein, Klaus war zu klein und kam nicht an die Schachteln heran. Der Postbote hatte tatsächlich eine volle Tasche. Und der Untermieter aß keinen Zimt. Kuno dachte nach. War er wieder am Anfang? Aber einer musste es sein.

Plötzlich wusste er, wer der Täter war.

Wisst ihr es auch?

Dieter Geißler,geboren 1954 in Weimar, Ausbildung zum Koch, danach Studium an der Fachschule für Gaststätten- und Hotelwesen Leipzig. Arbeitete als Küchenleiter in Großküchen, später Produktionsleiter in der Schulspeisung. Heute lebt der Rentner in Frankenheim, in der „Hohen Rhön“. Durch eine Krankheit kam er mit 57 Jahren zum Schreiben. Er verfasst Gedichte und Kindergeschichten. In verschiedenen Verlagen wurden von ihm Gedichte, Kindergeschichten Anekdoten veröffentlicht.

*

Bissig

Gelangweilt klickte sich Inspektor Papierfresserchen auf seinem Computer durch die Liste der neuen Fälle. Er gähnte. Nichts Aufregendes. Alles ruhig in der Region, alles ruhig in der Polizeiinspektion. Viel zu ruhig, befand Inspektor P., nahm einen Schluck aus seiner Teetasse, verzog das Gesicht und klickte gelangweilt weiter. Müde lehnte er sich im Bürostuhl zurück und schloss die Augen.

Kaum dass er eingeschlafen war, riss ihn ein lautes Geräusch aus dem Schlaf. Zuerst hatte er tatsächlich vermutet, sich selbst beim Schnarchen gehört zu haben. Aber das war es nicht gewesen, was ihn geweckt hatte. Irgendjemand schepperte mit einem Mülltonnendeckel im Hinterhof der Polizeiinspektion. Das Geräusch klang schlimmer als das Wecksignal seines Handyweckers. Noch einmal schepperte es im Hinterhof. Ein Blick auf die Uhr bestätigte dem Inspektor, dass er zumindest eine halbe Stunde geschlafen hatte. Immerhin. Auch so konnte man sich die Dienstzeit vertreiben. Papierfresserchen rollte mit seinem Stuhl knapp ans Fenster, erhob sich, warf einen Blick in die Nacht und ordnete seine Frisur in der Spiegelung der Fensterscheibe. Schließlich gab er den sinnlosen Versuch auf.

Geräuschlos öffnete Papierfresserchen das Fenster, schob seinen Kopf in die frische, klare Winterluft und warf einen kritischen Blick nach unten. Er hatte Katzen erwartet, die sich um Essensreste stritten. Oder vielleicht Waschbären, die in dieser Hinsicht sehr energisch werden konnten und auch mal Mülltonnen umwarfen.

Aber das, was er sah, war nun wirklich völlig furchtbar. Orangeglühende Augen starrten ihn an, erinnerten ihn an die Fantasiegestalten aus seinen Kindheitsträumen. An Drachen, boshafte Zwerge oder irgendwelche gemeinen und hinterhältigen Elfen. Der Inspektor schüttelte den Kopf. Diese Wesen gab es nicht. Also, was war es, das sich in der Mülltonne verbarg, die kaum zwei Meter tiefer, direkt unterm Fenster stand? Er überlegte, suchte in seinem Verstand nach einer vernünftigen Antwort und scheiterte.

„Wer weiß, vielleicht ist es ein tollwütiger Fuchs, der nur darauf wartet, dass ich meine Finger in die Tonne stecke“, murmelte der Inspektor und betrachtete seine Hände. „Aber, gibt es denn überhaupt noch tollwütige Füchse?“ Wieder warf Inspektor P. einen Blick nach unten, der prompt mit glühendem Augenzwinkern beantwortet wurde. Er schüttelte den Kopf. Nein, bestimmt befand sich kein Fuchs in einer Notlage. Seufzend trat der Polizist vom Fenster zurück, schlüpfte in seine warme Jacke, griff nach den Handschuhen und tauschte die bequemen Hausschuhe gegen bunte Gummistiefel, die ihm seine Kollegin Kristiane für herbstliche Regeneinsatznotfälle besorgt hatte. Grinsend hatte sie ihm die roten Gummistiefel mit den weißen Herzchen überreicht. Mit Todesverachtung hatte Papierfresserchen die Stiefel anprobiert und getan, als wäre deren Optik in Ordnung. Als wären sie schwarz oder dunkelgrün statt rot und hätten keine Herzen aufgedruckt. In der Dämmerung war das aber ohnehin gleichgültig. Es würde ihn niemand sehen, wie er mit den eigenartigen Dingern an den Füßen in den Hof stapfte, denn alle anderen – auch die lieben Kollegen – waren schlauer und blieben im Trockenen.

„Nur kurz mal nachsehen“, murmelte Inspektor P. und beugte sich vorsichtig über die Mülltonne. „Blöd“, knurrte er und meinte sich selbst, denn er hatte vergessen, eine Taschenlampe mitzubringen. Er streifte die Handschuhe über, wiederholte: „Echt blöd!“

Und zuckte zusammen. Der jammernde Laut, der aus der Tonne drang, schrie nach höchster Eile. Papierfresserchen überlegte keinen winzigen Augenblick länger. Hier war die Not deutlich hörbar. Er griff beherzt in die Tonne und stellte umgehend fest, dass das Ding, das sich prompt in seine Hand verbissen hatte, überaus wehrhaft war. Sein Schrei erreichte mühelos das vierte Stockwerk des Gebäudes, worauf sich ein Fenster öffnete.

„Was soll der Krawall?“, wurde Papierfresserchen von oben angeherrscht.

Der Inspektor winselte, litt erbärmlich, doch niemand erbarmte sich seiner. Dem Polizisten entkam ein Lautes: „Aaaaahhh, verdammt!“ Außerdem ließ er noch etliche gut formulierte Flüche vom Stapel. Seinem kleinen Neffen hätte er für jedes dieser Schimpfworte zwei Euro abgenommen, innerhalb von wenigen Atemzügen also zumindest zwölf Euro verdient.

Papierfresserchen zog zähneknirschend die Hand aus der Mülltonne. Er atmete einmal tief ein, während die spitzen Zähne des Beißers genüsslich auf der Hautfalte zwischen Daumen und Zeigefinger herumkauten. Rasch schob der Inspektor die freie Hand unter den Leib des Ungeheuers, sodass das nervöse Zappeln des streitsüchtigen Monsters nachließ und sich der Biss lockerte. Mit vor Rührung rinnender Nase und einem tränenfeuchten: „Auslassen!“, versuchte Papierfresserchen, den bissfesten Kerl zu beruhigen. Flott schälte er sich aus seiner Jacke und nahm das Kerlchen gefangen, indem er seine behandschuhte Hand und das Vieh darin einwickelte, regelrecht fesselte.

Der Inspektor trat den Rückweg an. Im Vorhaus der Polizeiinspektion warf er endlich einen interessierten Blick auf seine Beute. Erstaunt riss er die Augen auf.

„Mei, wie goldig“, entfuhr es Kristiane, als ihr Papierfresserchen das Ungeheuer präsentierte.

„Kannst du mir das Goldstück bitte von der Hand nehmen. Erste Hilfe, sofort! Ich verblute“, entfuhr es dem Inspektor erbost.

Und dann geschah das, was er sich nicht gewünscht hatte, denn die Kollegin zückte zuerst ihr Handy und schoss ein Foto von ihm und seinem neuen Haustier. Danach beschaffte sie eine Kinderbadewanne. Rosa. Mit Blümchen. Woher sie das Ding hatte, war Papierfresserchen ein Rätsel. Kristiane füllte die Wanne seelenruhig mit Wasser, schüttete etwas Salz hinein und griff dann vorsichtig zu.

„Das kaum bananenlange Krokodilchen wird gesucht. Die Kleine heißt Lilly. Irgendein Viehdieb hat sie aus einem nahen Reptilienzoo mitgehen lassen. Hast du nicht die entsprechenden Nachrichten gelesen?“ Die Kollegin betrachtete das Krokodil und hielt es erstaunlich knapp vor ihr Gesicht, sodass sich Papierfresserchen umgehend wünschte, Lilly würde sich in die Nase der Kollegin verbeißen. Nur ein bisschen.

„Die Süße ist ein kleines Salzwasserkroko. Lilly wird in der Wanne aushalten müssen, bis sie abgeholt wird.“ Kristiane grinste Papierfresserchen an: „Kollege, gratuliere. Fall gelöst.“

Der Inspektor verdrehte die Augen, griff nach einem Geschirrtuch, schälte den zerkauten Handschuh von seiner Hand und verband die immer noch blutende Wunde wortlos.

Bereits am nächsten Tag druckte die regionale Zeitung ein hübsches Bild ab. Die Schlagzeile lautete:

Erstes Polizeikrokodil tritt den Dienst an.

Inspektor Papierfresserchen befand sich in Bildmitte. An seinen Füßen trug er noch die roten Gummistiefel mit den weißen Herzen, was an sich schon einen Bericht wert gewesen wäre. Die Hauptattraktion jedoch war das Jungkrokodil, das zufrieden – wenn auch ein bisschen verbissen – an der Hand des Inspektors hing. Das schmerzverzerrte Gesicht des Polizisten sprach Bände.

Inspektor Papierfresserchens Kollegen dagegen fanden, dass Krokodil und Gummistiefel überaus fotogen waren. Sofort wurde der Zeitungsnachricht großformatig kopiert, um im Eingangsbereich der Polizeiinspektion aufgehängt zu werden.

Astrid Miglarlebt in Reichraming (Österreich) in einer kleinen Gemeinde, die direkt am Eingang zum Nationalpark Kalkalpen liegt. Schreiben bedeutet für sie, Freude daran zu haben. Würde ihr das Erdenken ihrer Geschichten keine Freude bereiten, gäbe es diese Geschichten nicht. So einfach ist das. Und gleichzeitig schwierig. www.astridmiglar.at.

*

Zappenduster

Wenn Cindy von dem Erlebnis beim Hosenkauf erzählt, kommt sie immer noch vor Aufregung außer Atem. Das war nämlich so:

Cindy ist in letzter Zeit erheblich gewachsen, sodass ihr ihre Hosen zu kurz wurden. Was blieb da weiter übrig, als im Geschäft neue Hosen zu kaufen. Weil Cindys Mutti in der letzten Woche Zeit hatte, gingen sie in ein Kaufhaus. Cindy musste nicht lange suchen, dann hatte sie einen Berg von sage und schreibe sechs Hosen gefunden, die sie gern anprobieren wollte. Ihre Mutti trug sie alle über ihren Arm. Das sah aus, als wollten sie den ganzen Hosenständer leer kaufen.

„Jetzt haben wir aber eine genügende Auswahl, mein Kind“, sagte ihre Mutti, „jetzt müssen wir in eine Umkleidekabine gehen, damit du die Hosen anprobieren kannst. Siehst du eine Kabine?“, fragte sie.

„Ja, da hinten an der Wand“, sagte Cindy und beide machten sich auf den Weg zur Umkleidekabine. Gerade als sie den Vorhang der Kabine zuzogen, sagte eine freundliche Stimme durch die Lautsprecher, die in der Decke angebracht waren: „Meine Damen und Herren, wir schließen in zehn Minuten. Bitte beenden Sie Ihren Einkauf. Wir danken für Ihren Besuch und wünschen Ihnen einen guten Abend.“

Cindy und ihre Mutti hatten diese Durchsage leider nicht gehört, da sie gerade besprachen, in welcher Reihenfolge Cindy die Hosen anprobieren sollte.

Cindy hatte gerade ihre Füße in die vierte Hose gesteckt, da wurde es ganz still. Keine Stimmen von Kunden oder vom Verkaufspersonal war mehr zu hören. Und plötzlich wurde es zappenduster.

„Was ist denn hier los?“, stammelte Cindy.

„Das ist ja merkwürdig“, sagte auch ihre Mutti. „Das ist ja derartig dunkel, dass man fast nichts mehr sieht. Haben die hier Stromausfall? Wie spät ist es denn eigentlich?“ Dann schaute sie auf ihre Armbanduhr. Weil sie die Uhrzeit nicht genau erkennen konnte, hielt sie die Uhr ganz dicht vor ihre Augen.

„Ach du meine Güte, es ist ja schon Geschäftsschluss, deshalb haben sie das Licht ausgeschaltet. Die haben uns hier in der Umkleidekabine ganz vergessen.“

„Müssen wir jetzt hier in der Kabine die ganze Nacht bleiben? Bis morgen früh?“, fragte Cindy ängstlich.

„Nein, nein. Ich habe eine Idee. Wir rufen vom Handy den Papa an, der kann dann Hilfe holen“, beruhigte die Mutter ihre Tochter.

Sie wählte die Telefonnummer von Cindys Papa und erklärte ihm, was geschehen war. Der wiederum wählte die Telefonnummer der Polizei und sie vereinbarten, dass sie sich vor dem Geschäft treffen wollten. Dann machte er sich auf den Weg zum Geschäft. Dort traf er im gleichen Augenblick ein wie die Polizei. Die hatten auch den Geschäftsführer informiert, sodass nun zwei Polizisten, der Geschäftsführer und Cindys Papa vor der Tür standen. Der Geschäftsführer schloss auf, knipste das Licht an und alle machten sich auf den Weg zur Umkleidekabine, in der Cindy und ihre Mutti warteten.

„Prima, jetzt können wir wieder was sehen“, freute sich Cindy. Und auch die Mama war über das Licht hocherfreut.

Aber die Freude über die Befreiung dauerte nicht lange. Als nämlich die Polizisten in Begleitung des Geschäftsführers und von Papa bei den beiden ankamen, nahm der beabsichtigte Kauf von Hosen eine böse Form an.

„Guten Abend, die Damen“, begann der eine Polizist, „ist wohl schon ein wenig spät, um Hosen zu kaufen?“, fragte er mit ernstem Gesicht. „Sie wollten wohl die Hosen alle mitnehmen, ohne zu bezahlen? Das nennt man dann Diebstahl.“

„Aber ich bitte Sie, Herr Polizist“, sagte Mama, „wir sind doch keine Diebe. Wir hatten einfach nicht bemerkt, wie spät es war.“

„Und plötzlich war es zappenduster“, fügte Cindy zu. „Na, das war doof.“

„Also, ich kann Ihnen versichern, dass meine Damen, also meine Frau und meine Tochter, bestimmt keine böse Absicht hatten und vielleicht einen Diebstahl begehen wollten. Dafür lege ich meine Hand ins Feuer.“

„Aber eingeschlossen sein und sechs Hosen in der Kabine zu haben, ist schon eine eigenartige Sache“, erwiderte der Polizist. Dann fragte der Polizist den Geschäftsführer, was der jetzt vorhatte.

„Die Familie macht mir wirklich nicht den Eindruck, als wolle sie etwas klauen. Ich schlage vor, wir schicken alle jetzt wieder nach Hause. Und morgen kommen Sie wieder und kaufen dann die Hosen, die Sie sich ausgesucht haben. Heute sind ja alle Kassen geschlossen, da geht es nicht mehr. Einverstanden?“

Der Polizist überlegte kurz, stimmte dann dem Vorschlag des Geschäftsführers zu. Er sagte dann aber noch mahnende Worte zu Cindy und ihrer Mama: „Dass dann, wenn sich jemand einschließen lässt, die Vermutung des absichtlichen Diebstahls vorliegt, werden Sie sicher verstehen. Und dass das nicht ohne Folgen sein kann, werden Sie ebenfalls verstehen. Heute aber wollen wir alle mal ein Auge zudrücken und die Angelegenheit auf sich beruhen lassen. Also, nächstes Mal auf die Ansagen achten und rechtzeitig das Geschäft verlassen. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?“

Cindy und ihre Mama nickten und gingen dann in Begleitung von Papa, dem Geschäftsführer und den beiden Polizisten zum Ausgang. Dort hatten sich viele Menschen eingefunden, denn ein Polizeiwagen mit blinkendem Blaulicht vor einem Geschäft lockt immer Schaulustige an.

Jedes Mal, wenn Cindy ihre neue Hose, die sie am nächsten Tag dann kaufte, anzieht, denkt sie immer an diese Begebenheit. Plötzlich zappenduster. War schon spannend – und auch etwas unheimlich. Aber ihre Mama war ja dabei, was sollte ihr da Schlimmes passieren?

Charlie Hagist wurde 1947 in Berlin-Steglitz geboren.

---ENDE DER LESEPROBE---