Die Krimizimmerei: Spannende Kurzgeschichten für Kinder Band 1 - Martina Meier - E-Book

Die Krimizimmerei: Spannende Kurzgeschichten für Kinder Band 1 E-Book

Martina Meier

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Beschreibung

Inspektor Papierfresserchen ermittelt: wilde Verfolgungsjagden, Mord, rätselhafte Diebstähle, vermisste Personen, Spionage, mysteriöse Schatten, kleine und große Detektive, Betrug, zwielichtige Gestalten und beunruhigende Geräusche in der Dunkelheit ... Krimis sind vor allem eines, und das weiß jeder seit Hitchcock, Tatort und Die Drei ??? – nämlich spannend! Für die erste Krimi-Anthologie des Papierfresserchen MTM-Verlags wurden tolle Kurz-Krimis ausgewählt, um besonders den Jüngeren eine prickelnde Lese-Gänsehaut zu bereiten. Hinein in die Krimizimmer(ei) mit ihren knarrenden Dielen, doppelten Böden und überraschenden Wendungen!

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Die Krimizimmer(ei)

Spannende Kurzgeschichten für Kinder - Band 1

Martina Meier (Hrsg)

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Impressum

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Besuchen Sie uns im Internet - papierfresserchen.de

© 2021 – Papierfresserchens MTM-Verlag GbR Mühlstr. 10, 88085 Langenargen

Alle Rechte vorbehalten. Taschenbuchauflage erschienen 2011.

2., leicht veränderte Auflage

Titelbild: Fotolia © Dessie und © design on arrival

Herausgegeben von CAT Creativ - cat-creativ.at

ISBN: 978-3-86196-044-7 - Taschenbuch

ISBN: 978-3-99051-068-1 - E-Book

*

Inhalt

Amadeus, Tamino und die Katzenfängerbande

Peer & Pjoto

Entführt

Das Messer

Frosty

Der verschwundene Teddy

Tod einer Fliege

Wille und die BMX-Rad-Bande

Mundraub mit Verfolgungsjagd

Jenny

Ein Fall für K & K

Hausarrest

Wer braucht schon Schrumpfköpfe?

Ein Fall für das Kleeblatt

Lilys erster Fall

Diebe am Supermarktparkplatz

Der Teddyganove

Die Bedrohung

Der entführte Dackel - (Krimi zum Miträtseln)

Der schwarze Rolf

Glitzernde Wände

Kellerassi

Corvus und der Ring des Hannibal

Das verschwundene Manuskript

Wo ist Hummel Bummel?

Die geheimnisvolle Lok

Was für eine Nacht

Der Seelandschatz

Tim kümmert sich

Halbe Sachen

Till und Tim als Meisterdetektive

*

Amadeus, Tamino und die Katzenfängerbande

Schneeschuh ist nirgends aufzufinden. Auch als Amadeus ihn immer und immer wieder ruft, kommt er nicht nach Hause. Katzen treiben sich gerne mal draußen herum, das weiß Amadeus. Was er aber nicht weiß, ist, dass das Radio am Morgen vor einer Katzenfängerbande warnte!

Auch am nächsten Tag bleibt Schneeschuh spurlos verschwunden. Amadeus sitzt traurig auf einer Bank und grübelt.

„Kann ich dir helfen?“, sagt Tamino, der unerwartet vor ihm steht.

„Hau bloß ab!“ Ausgerechnet Tamino muss ihn ansprechen! Tamino, den keiner mag, weil er so dick ist und blonde Locken hat.

„Aber du weinst ja!“ Tamino setzt sich und reicht Amadeus ein Taschentuch.

„Schneeschuh ist weg!“ Amadeus fängt zu schluchzen an. „Ich hab ihn schon überall gesucht!“

„Lass uns gemeinsam suchen! Und zwar richtig!“ Amadeus blickt auf. „Was meinst du mit richtig?“

Tamino zieht einen Block hervor. „Wir schreiben jetzt einen Steckbrief! Den stecken wir in Briefkästen, heften ihn an Bäume und verteilen ihn und, ach ja, ein Foto brauchen wir auch!“

„Danke!“ Amadeus ist verblüfft. „Du, ich, ähm, war gar nicht nett ...“

„Schon gut“, sagt Tamino und beginnt zu schreiben.

„Jetzt heißt es wohl warten!“, meint Tamino, als sie den letzten Steckbrief an einem Baum befestigen.

„Ihr sucht eure Katze?“, fragt eine ältere Dame.

„Ja, Schneeschuh ist verschwunden!“ Amadeus deutet auf den Steckbrief.

„Du meine Güte! Hoffentlich wurde sie nicht von der Katzenfängerbande gefasst! Das sind schlimme Zeiten!“

Erschrocken blickt Amadeus die Dame an. „Eine Katzenfängerbande?“

Die Dame nickt. „Sie fangen Katzen, um sie zu verkaufen. Die Polizei sucht sie, erfolglos bisher. Diese Bande benutzt einen großen blauen Lieferwagen, einen, wie ihn das städtische Tierheim besitzt, mit der gleichen Aufschrift am Wagen. Sie bevorzugen außergewöhnliche Katzen, heißt es.“

Amadeus schluckt. Schneeschuh ist äußerst außergewöhnlich!

„Was machen wir jetzt bloß?“, schnieft Amadeus.

„Wir durchsuchen die Stadt nach dem Lieferwagen! Ist doch klar! So finden wir die Bande, informieren die Polizei und schwupps ist Schneeschuh wieder bei dir.“

Amadeus und Tamino rasen kreuz und quer durch die Straßen, bis Amadeus schlagartig scharf bremst.

„Der Lieferwagen! Wir haben ihn!“ Die beiden steigen vom Rad, schleichen vorsichtig die Einfahrt entlang und verstecken sich hinter zwei großen Büschen.

„Das muss der Katzendieb sein!“ Amadeus will losrennen, doch Tamino hält ihn zurück.

„Warte! Du weißt ja nicht, wie gefährlich der ist! Wir müssen die Polizei rufen!“ Tamino zieht sein Handy aus der Tasche. Er guckt noch einmal hoch und zögert. „Amadeus, wir sind hier falsch! Ich kenne den Mann! Das ist ein Arbeiter vom Tierheim.“

Sie gehen zurück zu ihren Rädern. „Wohin sollen wir jetzt fahren?“, fragt Amadeus.

„Dorthin, wo sich alle Räuber und Diebe verstecken! In den Wald!“ Unterwegs erzählt Tamino von einer alten Holzhütte. „Wenn ich mich verstecken müsste, würde ich zu dieser Hütte fahren!“

Als sie den Wald erreichen, entdeckt Amadeus einen blauen Lieferwagen und tritt in die Pedale, ohne auf Tamino zu achten.

„Warte, nicht so schnell!“, ruft Tamino, doch Amadeus hört ihn nicht mehr. Tamino steigt ab und wartet. Nach zehn Minuten kommt Amadeus zurück.

„Wo bleibst du denn?“, keift Amadeus.

„Du warst zu schnell!“, sagt Tamino vorwurfsvoll. Amadeus zeigt auf Taminos Bauch. „Das glaub ich dir!“

Taminos Gesicht färbt sich dunkelrot. „Ach, such doch deine Katze alleine!“

„Sorry! Das wollte ich nicht!“, entschuldigt sich Amadeus.

„Ich weiß, dass ich dick bin. Meinst du, mir gefällt das?“ Tamino guckt Amadeus bitterböse an.

„Weißt du was?“ Amadeus hält Tamino seine Hand hin. „Du hilfst mir, Schneeschuh zu finden. Und ich helfe dir, sportlicher zu werden!“

Tamino schlägt ein. „Abgemacht!“

Sie fahren lange durch den Wald. „Gleich sind wir da! Hinter den großen Tannen! Siehst du sie?“ Amadeus schüttelt den Kopf. „Bist du sicher, dass sie ...“, doch in diesem Moment erblickt Amadeus die Hütte. „Die ist ja klein!“

Sie schleichen um die Hütte, lugen in jedes Fenster. Die Hütte scheint leer zu sein! Vorsichtig stupst Tamino die Türe an und sie treten langsam ein.

„Was macht ihr hier? Raus da!“

Die Jungen zucken zusammen und drehen sich ängstlich um. Vor ihnen steht ein großer Mann mit einer Nase, gebogen wie ein Adlerschnabel.

„Wir, äh“, piepst Amadeus.

„Wir spielen Schatzsucher“, flunkert Tamino, seine zittrigen Hände tief in der Hosentasche versteckt.

„Das ist MEINE Hütte! Lasst euch nie wieder hier blicken!“

Ein weiterer Mann betritt die Hütte. „Das sind doch nur Kinder, Egon!“, lispelt er.

„Schnauze, Friedbert!“, brüllt Egon. Tamino sieht, dass Friedbert eine Box hinter sich versteckt.

„Verschwindet! Am anderen Ende des Waldes gibt es noch eine Hütte“, sagt Friedbert.

Tamino und Amadeus nicken und verlassen möglichst cool die Hütte, obwohl es ihnen ganz arg mulmig zumute ist. Draußen aber springen sie auf ihre Räder und strampeln um ihr Leben.

„Glaubst du, die beiden Männer sind von der Katzenfängerbande?“, fragt Amadeus.

Tamino japst noch immer nach Luft. „Ich denke schon. Friedbert hat eine Box hinter seinem Rücken versteckt! Lass uns die Polizei anrufen!“

„Was willst du ihr sagen? In der Box kann alles Mögliche gewesen sein!“, meint Amadeus unbeeindruckt.

„Es lugte ein Katzenschwanz hervor!“, grinst Tamino.

„Echt jetzt? Das heißt, wir haben sie gefunden?“, strahlt Amadeus. „Juhu!“

Nachdem sie auf der Polizeistation dem Polizisten Jäger alles beschrieben haben, machen sich Amadeus und Tamino auf den Nachhauseweg.

„Seit wann gibst du dich mit dem Fettsack ab, Amadeus?“ Hans und ein paar andere aus ihrer Klasse stehen vor ihnen. Amadeus reagiert nicht.

„Ahhh! Amadeus hat wohl einen neuen Freund, den Gehsteigpanzer!“, lacht Hans.

„Halt die Klappe, Hans!“ Amadeus fährt davon, Tamino strampelt ihm nach.

„Das hättest du nicht tun müssen! Das sind doch deine Freunde!“, meint Tamino.

„Tolle Freunde! Nicht einmal helfen wollten sie mir. Aber du! Du bist ein echter Freund.“

„Du willst mein Freund werden?“, fragt Tamino zögerlich und hörbar erstaunt.

„Nein! Wir sind doch schon Freunde!“

Fast eine Woche später erfahren Amadeus und Tamino von der Polizei, dass die Katzenfängerbande gefangen wurde. Sie können es kaum erwarten, Schneeschuh abzuholen.

Doch Polizist Jäger hat keine guten Nachrichten. „Es tut mir leid, Amadeus. Schneeschuh war nicht dabei.“

Amadeus ist so traurig wie nie zuvor in seinem Leben. Er will niemanden sehen, auch Tamino nicht! Tamino aber ist kein bisschen böse. Er beschließt, Frau Herz zu besuchen! Sie wohnt ein paar Straßen weiter. Sie ist oft alleine und freut sich über seine Besuche.

„Schön, dich zu sehen, Tamino! Komm rein. Es gibt frischen Apfelkuchen!“ Sie essen Kuchen und trinken heißen Kakao, als es unter dem Tisch schnurrt.

„Ich wusste nicht, dass sie eine Katze haben!“

„Sie ist mir vor über einer Woche zugelaufen. Sie ist so niedlich!“ Entzückt ruft Frau Herz unter den Tisch. „Flöckchen! Komm raus! Wir haben Besuch!“

Als die Katze auf die Bank hüpft, lässt Tamino die Gabel auf den Teller plumpsen. „Das ist doch ...“ Er kramt aus seiner Tasche den Steckbrief hervor. „Schneeschuh! Die Katze von Amadeus!“ Er deutet auf das Bild.

„Bitte, Frau Herz, darf ich den Kater mitnehmen?“

Frau Herz nickt. „Obwohl. Nein, lieber nicht! Amadeus soll ihn abholen. Mit einem Katzenkörbchen.“

Tamino beeilt sich, Amadeus die freudige Nachricht zu überbringen, und schon wenige Minuten später klingelt es an der Haustüre von Frau Herz.

„Schneeschuh!“, ruft Amadeus und schon kommt der Kater angeflitzt und springt auf seinen Arm.

„Danke Tamino! Du hast mir Schneeschuh wieder gebracht! Du hast dein Versprechen gehalten! Und ich werde es auch tun! Schließlich sind wir Freunde!“

„Ja, Freunde, richtige Freunde!“, sagt Tamino und strahlt, wie selten zuvor in seinem Leben.

Lina Ebhard ist 31 Jahre alt und lebt mit ihrem Mann in München. Sie schreibt seit einigen Jahren und konnte bereits einige ihrer Geschichten veröffentlichen.

*

Peer & Pjoto Schnüffeling

„Das darf doch wohl nicht wahr sein!“

Die energische Stimme Fiodora Steins prescht durch die 5c wie ein tosender Orkan. Auf eine Erklärung hoffend, steht die zierliche Pädagogin neben Sandro und Ferenc. Doch aus deren Mündern schlüpft nicht eine einzige Silbe. Stattdessen starren die beiden mit feuerroten Köpfen nach vorn zur Tafel. Wie oft hatte die Lehrerin mit den schrillsten und längsten Fingernägeln der Schule ihren Schülern ans Herz gelegt, aufs Schummeln zu verzichten?! Aber die zwei mussten ja mal wieder aus der Reihe tanzen.

„Nach der Stunde treffen wir uns beim Schulleiter!“, ergreift sie noch einmal das Wort. „Diesmal wird euer Verhalten Konsequenzen nach sich ziehen!“ Und der Klasse verkündet sie: „Ihr habt noch zwanzig Minuten.“

Ach du Schreck!

Für Ulrike sieht es nicht gut aus. Missmutig schielt sie auf ihr Blatt Papier, auf dem erst vier Hauptstädte notiert sind: Kopenhagen, Paris, Stockholm und Berlin. Alle restlichen Antworten befinden sich auf einem Zettel, den sie unter ihrer Federmappe versteckt hat. Nur wagt sie es jetzt nicht mehr, ihn auch zu benutzen.

In der Frühstückspause schlendern Ulrike und Martha Rose zum Schwarzen Brett. Ulrike ist gleich hellauf begeistert, als sie dort erfährt, dass man auf der Suche nach einem fähigen Redakteur (m/w) der Schülerzeitung sei. Derjenige, der bis Montag den besten Artikel schreibe, werde diesen heiß begehrten Posten erhalten, verspricht die Schulleitung. Ulrike strahlt übers ganze Gesicht und präsentiert dabei ihre Zwillingsgrübchen. „Das müsste eigentlich zu schaffen sein“, freut sie sich.

In diesem Moment kommen auch Sandro und Ferenc am Schwarzen Brett vorbei.

„Das wird der Stein noch leidtun!“, ärgert sich Ferenc lauthals. „Die hat doch nicht mehr alle! Wenn meine Eltern von dem Verweis was mitkriegen, bin ich geliefert.“

Martha Rose und Ulrike spitzen unauffällig die Ohren und tun so, als wären sie noch am Lesen.

„Lass uns eine kleine Überraschung vorbereiten“, schlägt Sandro daraufhin vor. „Das hat die doch verdient, oder Kumpel?“ Sein hämisches Grinsen kann einfach nichts Gutes bedeuten. Dann verschwinden die Jungen in der Toilette. Vermutlich, um einen Plan auszuhecken.

„Glaubst du, die haben wirklich was vor mit Steinchen?“, fragt Martha Rose, während sie und Ulrike ihre Schritte zum Treppenaufgang lenken.

„Wir werden sie im Auge behalten, Röschen“, kommentiert Ulrike überzeugt. In der dritten Etage angekommen bleibt Ulrikes Aufmerksamkeit sofort am Lehrerzimmer haften. Neugierig tritt sie heran und legt ein Ohr an die angelehnte Tür, aus der eine ihr bekannte aufgeregte Stimme schallt.

Martha Rose hingegen findet diese Aktion eher nicht so gut. „Lass uns abhauen, Rieke!“, bittet sie ihre beste Freundin.

Aber Ulrike ist noch nicht willens dazu und macht: „Scht!“

„Manfred, ich habe dir schon tausendmal erklärt, dass sich an meinem Entschluss nichts mehr ändern wird“, sagt Fiodora Stein scharf, „wir passen einfach nicht zusammen!“

Ulrike verdreht angewidert die Augen und formt ihre Lippen zu einem Flüstern. „Ihr Ex“, deutet sie zu Martha Rose. Dann wird Fiodoras Stimme noch lauter, sie schreit fast ins Telefon, als würde sie einem Schwerhörigen etwas zu erklären versuchen.

„Komm jetzt endlich“, zischt Martha Rose, „du kannst doch nicht einfach ein Gespräch belauschen.“

„Mensch, Röschen, sie ist doch meine …“

Bevor Ulrike das Wort Tante aussprechen kann, packt Martha Rose ihre Freundin am Arm und schleift sie mit sich. „In der Schule, meine liebe Rieke, ist sie deine Lehrerin, kapiert?!“

„Ooch, Röschen“, beschwert sich Ulrike, „du bist heute mal wieder furchtbar kleinlich.“

Aber Martha Rose tut so, als hätte sie das überhaupt nicht gehört, und schiebt Ulrike stattdessen in den Kunstraum, wo Herr Meisterpilz bereits – etwas an die Tafel zeichnend – auf seine Schüler wartet. Der letzte Schultag dieser Woche vergeht eher schleppend und den beiden Freundinnen wäre nicht in den Sinn gekommen, dass ihnen noch eine Überraschung bevorstehen würde. Nach dem Unterricht entdecken sie jedoch gleich die große Menschentraube auf dem Parkplatz direkt gegenüber der Schule.

Während des näheren Herantretens erkennen sie schließlich den Grund der Zusammenkunft einiger Lehrer, des Schulleiters Wilhelm Hanseling und zweier Polizeibeamter.

„Das ... das ... glaub ich nicht!“, stammelt Ulrike vor sich hin, während sie das rote Cabriolet ihrer Tante Fiodora Stein mustert. Auch Martha Rose klappt sofort der Kiefer herunter. Die Scheiben wurden rundherum herausgetrennt und auf der Motorhaube wurde mit roten krakeligen Buchstaben eine Nachricht hinterlassen: Das wirst du noch bereuen, du dämliche Kuh! Das Schluchzen Fiodora Steins ist über den ganzen Parkplatz zu hören. Immerhin hat sie sich diesen Luxuswagen erst vor einigen Monaten gegönnt.

„Das waren bestimmt die beiden Spinner!“, empört sich Martha Rose.

Ulrike überlegt. „Und wie hätten sie das machen sollen, Röschen? Sie waren doch die ganze Zeit in der Klasse.“

„Die haben wen dazu angestiftet“, ist Martha Rose sich sicher.

Aber Ulrike schwirrt ein anderer Gedanke durch den Kopf. „Komm, Röschen, wir müssen zu mir. Schnell!“

Gleich nach ihrer Ankunft zieht Ulrike einen schwarzen Koffer unter ihrem Bett hervor und öffnet ihn. Rasch verteilt sie einige Perücken, etwas Schminkzeug, diverse Klamotten und verschiedene Accessoires auf dem Teppich.

„Ähm – Rieke?“, wundert sich Martha Rose. „Was machst du da eigentlich? Gehört das nicht alles deiner Schwester? Darfst du das überhaupt?“ Klar weiß Ulrike Boon, dass all diese Sachen ihrer älteren Schwester Charlotte gehören, die am Theater als Maskenbildnerin arbeitet.

„Wir kriegen raus, welcher Lump das war, Röschen, ganz sicher.“

„Aber die Polizei ...“

„Ach, die Polizei hat genug zu tun. Und meistens werden solche Sachen gar nicht aufgeklärt“, fällt Ulrike ihrer Freundin ins Wort. „Wir dürfen keine Zeit verlieren und sollten uns gleich an die Observation machen.“

„Obser...was?“, wiederholt Martha Rose hinterfragend. Schließlich weiht Ulrike Martha Rose in ihren Plan ein.

Etwa zehn Minuten später stehen beide Mädchen vor Ulrikes ovalem Spiegel. Jede mustert die andere ausgiebig, und keine kann sich das Lachen verkneifen, als sie ihre neuen Ichs in voller Größe betrachten.

„Du siehst voll zum Brüllen aus, Rieke“, feixt Martha Rose mit feuchten Augen.

„Hast ganz schön an Gewicht zugelegt, meine Gute!“ Ulrike versucht, ihrer Stimme nun Ernsthaftigkeit zu verleihen. „Ab jetzt bin ich Peer Schnüffeling und du Pjoto Schnüffeling, klar?“, sagt sie und steckt Martha Rose einen Ausweis in die Hosentasche, auf dem Pjoto Schnüffeling zu lesen ist.

Martha Rose hält sich vor Lachen mit einer Hand den Bauch und mit der anderen salutiert sie wie der Kapitän eines Schiffes. „Jawohl, Herr Schnüffeling – ich meine, Herr Peer Schnüffeling.“

Wenig später verlassen die Detektive ihr Quartier; ausgerüstet mit Fotoapparat, Zeitung, Gummihandschuhen und Handy treten sie hinaus auf die belebte Straße. Kaum haben die Schnüffelings einige Meter Fußmarsch hinter sich gebracht, preschen Sandro und Ferenc mit einem Fußball an ihnen vorbei.

Die Detektive erhöhen daraufhin ihr Tempo, um ihre auserwählte Zielperson in Augenschein zu nehmen. Vor dem Wohnhaus des schlaksigen Mittvierzigers setzen sich Peer und Pjoto Schnüffeling auf die Bank unter der uralten Weide. Peer tut so, als würde er interessiert in der Zeitung lesen, während Pjoto die Kamera betriebsbereit macht.

Eine Stunde vergeht, doch nichts geschieht. Gerade als Peer Schnüffeling noch einen Blick auf seine Armbanduhr werfen möchte, kommt Manfred Ohst vergnügt die Straße entlanggelaufen. In der linken Hand eine braune Plastiktüte tragend steuert er vor sich hin pfeifend seine Wohnung an, hält davor kurz inne und marschiert schließlich mit eiligen Schritten Richtung Hinterhof.

„Es geht los“, flüstert Peer Schnüffeling.

Die Detektive blinzeln sich zu. Pjoto schleicht unauffällig hinter Ohst her und macht ein Foto, während Ohst, sich unbeobachtet fühlend, seinen Beutel in den grauen Abfallcontainer wirft. Dann reibt er sich er schmunzelnd die Hände und sucht unverzüglich seine Wohnung auf. Peer und Pjoto Schnüffeling treten nun zum Container, streifen sich die Handschuhe über und werfen einen Blick in das von Ohst weggeworfene Utensil.

„Bingo“, freut sich Peer Schnüffeling, als er außer der Sprühflasche auch das pinkfarbene Handy Fiodora Steins ausfindig machen kann.

„Du hattest echt den richtigen Riecher“, nickt Pjoto anerkennend und tippt indessen die 110 auf der Tastatur des Handys ein.

An diesem Wochenende hat Ulrike es noch geschafft, einen informativen und spannenden Artikel zu verfassen. Das Herz klopft ihr bis zum Hals, als sie diesen am Montagmorgen im Sekretariat der Schule abgibt.

In der Mittagspause ist es dann soweit. Alle Schüler und Lehrer versammeln sich in der Aula, um der Verkündung des Ergebnisses beizuwohnen.

Schulleiter Wilhelm Hanseling tritt ans Mikrofon und räuspert sich ein paar Mal. Schließlich beginnt er feierlich, die Überschrift des Gewinnerartikels vorzulesen: „Peer und Pjoto Schnüffeling geben Polizei wichtigen Hinweis!“

Als der längst ergraute Schulleiter geendet hat, bricht ein tosender Beifall aus. Ulrike hat das Gefühl, jeder der Anwesenden würde trotz des Lärms ihre galoppierenden Herzschläge hören können. Dann sagt Wilhelm Hanseling stolz: „Sehr gut gemacht, Ulrike. Du hast das Potenzial, eine richtig gute Journalistin zu werden. Weiter so. Aber eines würde mich noch interessieren: Woher kennst du diese beiden ominösen Herren?“

Alle Augenpaare sind erwartungsvoll auf Ulrike gerichtet, die nun ein wenig nervös auf dem Stuhl hin und her rutscht. Was könnte sie darauf antworten?

Nach einer Weile erhebt sie sich mutig und sagt: „Erst einmal vielen Dank dafür, dass ich die neue Redakteurin sein darf. Aber weil ich tatsächlich Journalistin werden möchte, fühle ich mich schon heute an den Ehrenkodex gebunden. Ich hoffe, ihr versteht das.“

Nach der Veranstaltung sagt Martha Rose verwundert: „Und ich dachte, du wirst mal der beste Schnüffler aller Zeiten.“

Ulrike legt den Arm um die Schulter ihrer Freundin, fängt an zu kichern und meint: „Röschen, Röschen!“

Marion Trost, Schon in der Grundschule wurde sie von Buchstaben und Wörtern beinahe magisch angezogen. Während ihrer kaufmännischen Ausbildung schrieb sie immer wieder kurze Texte, die sie später in andere einfließen ließ.

*

Entführt

Die Hütte im Wald hatte etwas Unheimliches. Klein und windschief stand sie zwischen hohen Bäumen, deren Wipfel im schwindenden Tageslicht hin und her schwankten. Die kleine Gartenpforte davor war umwachsen von rankendem Efeu, und wie es schien, aus den Angeln gebrochen.

Tobias sah sich um. Wo war er hier eigentlich? Dieses Haus hatte er noch nie zuvor gesehen, obwohl er oft durch diesen Wald streifte. Die ersten Sterne funkelten bereits am Himmel und er hätte eigentlich jetzt den Heimweg antreten müssen, doch die Neugier lockte ihn, dieses kleine, offenbar leer stehende Gebäude, näher zu begutachten. Wenigstens einmal wollte er kurz durch die Fenster schauen, die jetzt wie aufgerissene dunkle Augen wirkten und in das Dunkel des Dickichts zu blicken schienen. Die Scheinwerfer eines Autos tauchten plötzlich auf und glitten über ihn hinweg. Tobias duckte sich instinktiv hinter einen Busch. Der Wagen hielt direkt neben ihm und im Schein des aufgehenden Mondes konnte er zwei Männer darin erkennen, die offenbar miteinander stritten. Die Lichtkegel erloschen und die Türen wurden geöffnet. Für einen Augenblick hielt Tobias die Luft an.

„Keine Angst, die kriegen uns nicht!“, hörte er den einen sagen. „Auf diese Hütte hier kommt kein Mensch! Und nun lass uns endlich die wertvolle Fracht ausladen! Die Kleine wird uns einen feinen Batzen Geld einbringen.“ Tobias drückte sich tiefer ins Gebüsch und sah entsetzt dabei zu, wie die Männer ein gefesseltes Mädchen aus dem Kofferraum herausholten. Er sah die Panik in ihren Augen und ihre vergeblichen Versuche, sich zu wehren. Er hörte ihre Schreie, die vom Knebel gedämpft wurden und das Lachen der Männer, als sie sie mit einer Wildkatze verglichen. Längst schon waren die Gangster mit ihr im Haus verschwunden, doch Tobias hockte immer noch hinter dem Busch und versuchte sich zu beruhigen. Er konnte es kaum glauben, dass er gerade eben Zeuge einer Entführung geworden war. Vielleicht schreckten diese Männer nicht einmal vor einem Mord zurück! Ihm lief bei diesem Gedanken eine Gänsehaut über den Rücken. Schnell griff er zu seinem Handy und alarmierte die Polizei.

In der Hütte brannte jetzt ein schwaches Licht. Tobias lugte durch das Fenster und sah die beiden Männer im Kerzenschein an einem Holztisch sitzen. Ihre Erscheinung wirkte auf Tobias so abschreckend, dass er ihnen jede Bösartigkeit zutraute. Wo war das Mädchen? Er schlich um das Haus herum und sah durch das winzige Fenster, aus dem ein Lichtstrahl in den verwilderten Garten fiel. Im Schein einer Petroleumlampe sah er sie auf einem Bett sitzen, mit verweinten Augen, angekettet an dem eisernen Bettgestell. Sie erschrak, als sie sein Gesicht vor dem Fenster erblickte.

Plötzlich klingelte sein Handy. Scheiße! Seine Mutter! An die hatte er gar nicht mehr gedacht! „Tobi, wo bist du denn? Wir warten hier schon alle auf dich“, sagte sie.

„Das geht jetzt nicht, Mama“, flüsterte er und stellte das Handy ab. Ein Zweig knackte plötzlich hinter ihm und im selben Moment spürte er den kalten Lauf einer Pistole an seinen Hals.

„Ach, wen haben wir denn da?“ Eine Alkoholfahne schlug ihm ins Gesicht. „Mitkommen Bürschchen!“ Der Mann nahm ihm das Handy ab, packte ihn am Kragen und zog ihn mit sich. Im Haus roch es modrig. Die alten verstaubten Möbel und die abgetretenen Läufer erinnerten ihn an die Werkstatt seines Opas. Tobias stand schweigend vor den beiden ungepflegten Männern und hoffte auf das schnelle Eintreffen der Polizei. „Das gibt’ s doch nicht!“, rief plötzlich einer der Gangster und sah aus dem Fenster. „Der Kleine hier hat uns die Bullen auf den Hals gehetzt!“ Sie sahen Scheinwerferlichter zwischen den Bäumen aufblitzen. „Hol das Mädchen, Billy! Schnell! Wir müssen hier weg!“

Mit Handschellen aneinander gefesselt wurden Tobias und das Mädchen grob ins Auto gestoßen. Der schwarze Kombi fuhr ohne Beleuchtung den Waldweg entlang, bog in einen Feldweg ein und blieb hinter einer Hecke stehen. Sie ließen die Polizeifahrzeuge vorüberfahren und schlugen dann den Weg direkt zur Autobahn ein. Mit hoher Geschwindigkeit raste das Auto über den Asphalt. Niemand sagte ein Wort. Tobias’ Herz schlug ihm bis zum Hals. Er wusste, dass er und das Mädchen in großer Gefahr schwebten. Eigentlich hätte er jetzt um diese Zeit seine Geburtstagsgäste empfangen sollen. Fünfzehn! Vielleicht war das sein letzter Geburtstag! Er versuchte, die aufkeimende Panik zu unterdrücken. Das Mädchen neben ihm sah weinend aus dem Fenster. Tobias spürte ihre Angst und nahm ihre Hand. Sie sah ihn an und erwiderte seinen Händedruck.

Tobias Blick fiel plötzlich auf eine Zeitung im Fußraum. Entführt! Alina, 14! Er sah das Foto des Mädchens daneben und wusste sofort, dass es Alina war, die hier gerade neben ihm saß. Entführt! Das wurde er jetzt auch gerade. Wohin würde man sie jetzt bringen? Wie konnten sie diesen Verbrechern entkommen?

„Keule, lass sie uns rausschmeißen! Die ganze Sache hier ist gelaufen!“, flüsterte Billy. „Jetzt haben wir auch noch den Kleinen an der Backe. Das Risiko ist einfach zu groß!“

Keule nickte und lenkte den Wagen schweigend durch die Nacht. Er hielt auf einem Schottergrundstück und stellte den Motor ab. Billy stieg aus und öffnete ihnen die Tür. Alina schrie, als Billy plötzlich die Waffe auf sie richtete.

„Raus jetzt!“ Immer noch hielt Tobias Alinas Hand. Er stieg aus und zog sie mit sich. Sie schluchzte. Todesangst baute sich auch in Tobias auf. „Los!“, fauchte Billy und stieß die Jugendlichen vor sich her. „Schneller!“ Sie befanden sich plötzlich in einer Höhle. Tobias hörte, wie der Gangster die Waffe entsicherte.

„Schnell weg hier, Alina!“, schrie Tobias und rannte los. Schüsse fielen. Tobias und Alina schlichen durch die dunklen Gänge. Sie duckten sich in eine enge Nische und hielten die Luft an, als sie der Lichtkegel einer Taschenlampe streifte. Die Schritte kamen näher. Alina klammerte sich enger an Tobias. Er spürte ihr schnell klopfendes Herz. Billy pfiff kurze knappe Töne, als würde er einen Hund rufen.

„Wo sind denn die Vögelchen hingeflattert? Kommt Kinder, das Jenseits wartet.“ Billys Lachen hallte von den Höhlenwänden wider. Es schien ihm zu gefallen, sie in Angst und Schrecken zu versetzen. Dicht ging er an ihnen vorbei.

„Wir müssen hier weg!“, flüsterte Tobias. So schnell sie konnten, tasteten sie sich schweigend durch die Dunkelheit. Sie stießen sich die Köpfe an den niedrigen Decken und stolperten über Geröll. Schritte ganz in ihrer Nähe! Tobias zog Alina fest an sich und strich ihr beruhigend über den Rücken. Sie wagten kaum zu atmen. Eine unheimliche Stille legte sich über sie. Wo war der Mann geblieben? Hatte er seine Taschenlampe ausgemacht und stand jetzt lauernd in der Dunkelheit? Ganz deutlich spürten sie seine Präsenz. Plötzlich hörten sie direkt neben sich das Durchladen einer Waffe und im selben Augenblick spürte Tobias den Lauf einer Pistole an seinen Kopf. Das Licht der Taschenlampe ging an und erleuchtete die kleine Höhle. Entsetzt sahen sie in Billys grinsendes Gesicht. Von Todesangst erfasst, trat Alina den Mann mit einer solchen Wucht in den Unterleib, dass dieser stöhnend zusammenbrach und die Waffe fallen ließ. Tobias ergriff Waffe und Lampe und so schnell sie konnten, rannten sie davon. Die Schreie des Mannes hallten ihnen durch die Höhle nach. Da war er: der Ausgang! Wieder fielen Schüsse. Die beiden Jugendlichen rannten um ihr Leben.

Tobias stürzte plötzlich zu Boden. Eine Kugel hatte sein Bein gestreift. Durch die Handschellen war auch Alina gestürzt. Sie entriss Tobias die Pistole und richtete sie auf die beiden Männer, die jetzt direkt vor ihnen standen. „Keinen Schritt weiter! Waffe her!“, schrie sie bestimmt. Billys Lachen verstummte, als Alina ihm die Waffe aus der Hand schoss. „Der Schlüssel und das Handy!“ Keule warf ihr beides zu. In seinen Augen stand Angst. Tobias öffnete das Schloss der Handschellen und rief die Polizei. Sie fesselten die beiden Männer an einen Pfahl und setzten sich auf einen großen Stein.

In der Ferne sahen sie die Blaulichter der Polizeifahrzeuge. Alina und Tobias sahen sich an. Die Last der Entführung fiel von ihnen ab. Sie hatten es geschafft. „Ich glaube, wir sind ein richtig gutes Team“, sagte Alina. Tobias’ Herz machte einen Satz, als er ihr Lächeln sah. Der Schmerz im Bein schien verschwunden.

„Ja, das sind wir, Alina“, sagte er und nahm zärtlich ihre Hand. Er wusste plötzlich, dass seine Geburtstagsfeier die schönste seines Lebens sein würde.

Gabriele Datenet,geboren 1956 in St. Blasien / Schwarzwald. Schreiben, Malen, Lesen sowie Tiere und Natur sind die großen Hobbys.

*

Das Messer

Seit gestern wohne ich, Neele, zehn Jahre alt, bei meiner besten Freundin Lea. Dass ich hier bin, hat einen besonderen Grund. Meine Mama hat gerade ein Baby bekommen. Und jetzt ist sie noch mit Jona, so heißt mein neuer Bruder, im Krankenhaus.

Und da Papa immer lange arbeiten muss, hat Leas Mutter vorgeschlagen, dass ich ein paar Tage bei ihnen wohnen könnte. So könne ich gleich mal sehen, wie das tägliche Leben mit Geschwistern ist, hat sie gemeint.

Lea hat nämlich zwei große Brüder; Luke und Felix. Beide sind genau vierzehn Jahre alt. Trotzdem sind sie keine Zwillinge, da Luke und Felix keine echten Geschwister sind. Felix ist der Sohn von Leas Papa aus erster Ehe und Luke ist der Sohn von Leas Mama aus erster Ehe. Und zufällig sind beide nicht nur gleich alt, sondern verstehen sich auch ansonsten super. Nur mit Lea und mir wollen sie meistens nichts zu tun haben, weil sie meinen, dass wir beide noch Babys sind.

Trotzdem haben wir an diesem Abend alle zusammen verstecken gespielt. Lea hat gerade gezählt und ich bin ganz hinten ins Beet, unter einen Busch gekrochen. Da war es ganz schön dunkel und gruselig. Plötzlich hat es vorne an der Tanne geraschelt. Aber Lea konnte das nicht sein, da ich laut und deutlich ihre Stimme gehört habe.

„Elf, zwölf, dreizehn, …“, hat sie gezählt. Und dann hat es wieder geraschelt.

„Huuuuh“, hat es gemacht. Mein Herz hat laut geklopft und dann ist Felix mit einem Satz neben mir gelandet. Ich habe mich so erschreckt, dass ich beinahe geschrien hätte.

Mama sagt immer, dass ich ein riesengroßer Angsthase bin. Vielleicht hat sie ja recht damit. „Mann – Felix das ist mein Versteck“, habe ich gefaucht und bin etwas zur Seite gerutscht. Und plötzlich habe ich gemerkt, dass ich mich auf irgendetwas draufgesetzt hatte. Mit meiner Hand habe ich nach dem Gegenstand getastet. Der fühlte sich eiskalt und hart an. Vorsichtig habe ich ihn hervorgezogen und gleich wieder fallen lassen, als ich gesehen habe, was es war. Denn vor mir lag ein Messer. Es hatte einen schwarzen Griff. An der Schneide klebte etwas komisches Braunes, von dem man nicht mehr sagen konnte, was das wohl mal gewesen war.

Felix schnappte sich das Messer ganz lässig und meinte, dass das Tatwerkzeug nun endlich wieder aufgetaucht sei. Nach mehr als zehn Jahren. „Was für ein Tatwerkzeug?“, habe ich gefragt und cool getan. Obwohl ich mich überhaupt nicht cool fühlte.

„Das Tatwerkzeug! Weißt Du etwa nicht, dass in diesem Haus, bevor wir eingezogen sind, eine alte Frau gelebt hat. Die wurde ermordet. In ihrem Haus, mit einem Messer, mit schwarzem Griff“, hat er gesagt.

„Mit einem Me...hhhssser?“, habe ich ganz entsetzt gefragt und mein Herz hat schon wieder laut geklopft. „Woher willst du denn wissen, dass das ausgerechnet mit diesem Messer geschehen ist?“ Das Wort Mord wollte ich lieber gar nicht benutzen, weil ich mich auch so schon genug gruselte.

„Die Polizei hat damals nach genau so einem Messer gesucht. Das weiß ich, weil die Polizei noch mehrmals hier war, nachdem wir schon hier eingezogen waren. Im Wohnzimmer ist es passiert. Da ist immer noch ein fetter Blutfleck unter dem kleinen grünen Teppich.“ Vorne an der Tanne raschelte es schon wieder. Langsam hatte ich das Gefühl, dass ich mich gleich übergeben müsste.

„Eckstein, Eckstein alles muss versteckt sein, hinter mir und vor mir gilt es nicht und an beiden Seiten nicht“, hörte ich Leas Stimme durch den Garten schallen. Als sie gerade „1-2-3 – Ich komme!“ rief, sprang Felix mit einem riesen Satz aus dem Beet und verschwand hinter dem Gartenhäuschen. Und ich saß immer noch unter dem Busch und gruselte mich, während ich das Messer, die Tatwaffe aus einem echten Mordfall, betrachtete.

„Das Messer muss auf jeden Fall der Polizei übergeben werden“, schoss es mir durch den Kopf. Also holte ich einmal tief Luft, packte es und krabbelte nach vorne zum Gartenweg. Dann machte es Bumm, weil Luke und ich auf dem Gartenweg zusammengestoßen waren. „Du musst dich verstecken, Blödfrau“, meckerte er mich an.

„Du bist ja selbst nicht versteckt“, hab ich zurückgemeckert. „Und übrigens ist mir das Versteckspiel gerade schnurzpiepegal, weil ich die Mordwaffe gefunden habe.“ Um welche Mordwaffe es sich handelt, wollte Luke interessiert wissen.

„Werden hier etwa mehrere Mordwaffen gesucht?“, fauchte ich und fuchtelte mit dem Messer vor seinem Gesicht herum. „Das Messer, mit dem die alte Frau ermordet wurde, die mal hier in diesem Haus gewohnt hat“, fügte ich noch hinzu.

„Hier hat noch nie eine alte Frau gewohnt“, antwortete Luke und zog mich hinter dem Brennholzstapel in Deckung. Und dann wollte er das Messer genau ansehen. Als ich ihm sagte, dass die Polizei jahrelang nach genau diesem Messer gesucht habe, fing Luke plötzlich an zu grinsen und meinte, dass ich Felix aber ganz schön auf den Leim gegangen wäre. In diesem Haus wäre nie ein Mord passiert. Hier hätte vorher so eine Ökofamilie gewohnt. Die hätten ihr ganzes Essen selbst im Garten angebaut.

„Sogar Hühner hatten die“, erzählt Luke weiter. „Und von Zeit zu Zeit gab es Hühnersuppe. Einmal soll ein Huhn dem Ökovater entwischt sein. Er hat es wohl mit diesem Messer bis ins Haus verfolgt. Erst im Wohnzimmer hat er es erwischt und deshalb ist da auch der große Blutfleck unter dem kleinen grünen Teppich.“

Mittlerweile wurde es hier draußen langsam dunkel und jetzt fürchtete ich mich wirklich. Mama hat wohl doch recht, dass ich ein Angsthase bin. Zitternd stand ich auf und wankte hinter dem Holzstapel hervor. Auf dem Rasen vor der Terrasse blieb ich stehen und bemerkte, dass ich das Messer noch immer in der Hand hielt. Angeekelt ließ ich es zu Boden fallen. „Ich hab dich“, schrie Lea in diesem Augenblick und klopfte mir auf die Schulter.

„Biiiist du verrückt, mich so zu erschrecken!“, habe ich gerufen und starrte Lea wütend an. Lea musterte mich erstaunt. In diesem Augenblick rief Leas Mutter, dass wir reinkommen sollten, weil Schlafenszeit sei. Ich bin als Letzte durch die Terrassentür ins Wohnzimmer hineingegangen und als niemand hingesehen hat, habe ich den kleinen grünen Teppich angehoben und darunter war tatsächlich ein dunkelbrauner Fleck. Schnell habe ich den Teppich wieder fallen lassen und bin hinter Lea ins Badezimmer gerannt.

Als wir später in den Betten lagen, habe ich noch überlegt, wie ich Lea am besten von dem Messer erzählen soll. Und während ich überlegt habe, hat Lea angefangen, ganz tief zu atmen. Sie war eingeschlafen. Da lag ich nun allein auf meiner Matratze und habe mich gegruselt in dem fremden Haus. Die Standuhr im Wohnzimmer hat zehnmal, elfmal, zwölfmal geschlagen und dann muss ich eingeschlafen sein.

Am nächsten Morgen hatte ich das Messer zum Glück erst einmal vergessen. Bis wir das Frühstücksgeschirr in den Garten getragen haben. Da lag das Messer immer noch auf dem Rasen. Aber jetzt am Morgen sah es gar nicht mehr so furchterregend aus. „Du“, habe ich zu Leas Mutter gesagt. „Da liegt ein Messer!“

„Oh, dieses Messer habe ich schon seit letztem Herbst gesucht. Ich benutze es immer, um den Löwenzahn aus dem Rasen zu stechen.“ Beinahe hätte ich die Tassen fallen lassen.

„Wirklich?“, habe ich gefragt.

„Natürlich. Wozu kann man denn ein Messer im Garten sonst brauchen!“, hat Leas Mama geantwortet. „Und guckt mal, da hat sich schon brauner Rost auf der Schneide gebildet. Wahrscheinlich, weil es lange draußen lag.“ Luke und Felix haben mich ganz frech angegrinst.

„Ihr Mistsäcke“, habe ich lautlos gezischt. Und da haben sie nur noch breiter gegrinst.

Später habe ich Lea gefragt, was das für ein Fleck unter dem grünen Teppich im Wohnzimmer ist. „Da haben doch Luke und Felix mal ein ganzes Glas Tuschwasser ausgekippt. Mama war echt sauer“, hat Lea geantwortet. Und dann musste ich plötzlich an meinen neuen kleinen Bruder denken. Der da so süß und friedlich bei Mama im Krankenhausbett lag.

„Hoffentlich wird er nicht auch so ein Idiot wie Leas Brüder“, habe ich gedacht und plötzlich hatte ich ganz große Sehnsucht nach Mama, Papa und dem kleinen Jona!

Nicole Weinhardt ist 36 Jahre alt und lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in Norddeutschland. Ihre Freizeit verbringt sie gern mit Reiten, Krimis lesen und Geschichten erfinden.

*

Frosty

Der Winter in diesem Jahr will und will kein Ende nehmen. Während sich die Erwachsenen über die ergiebigen Schneefälle und das damit verbundene ständige Schneeräumen ärgern und die rutschigen Straßen beklagen, genießen Katrin und ihr anderthalb Jahre jüngerer Bruder Martin die weiße Pracht in vollen Zügen – so wie alle Kinder.

Eines Tages bauen sie im Garten einen riesigen Schneemann. Die Augen und die Knöpfe an seinem Bauch bestehen aus Glassteinen, der Mund aus Kieseln und die Nase aus einer roten Möhre. Im rechten Arm lehnt ein Reisigbesen und auf seinem Kopf sitzt ein Hut, den Martin von seinem Vater erbettelt hat. Frosty, wie ihn die Geschwister taufen, sieht aus wie ein ganz normaler Schneemann, wenn er auch ein sehr schönes und großes Exemplar ist.

Da er aber ein besonderer Schneemann sein soll, denken sich sowohl Katrin als auch Martin etwas aus, was ein gewöhnlicher Schneemann nicht hat. Martin schiebt Frosty ein Paar alte Latschen links und rechts unter dessen dicken Kugelbauch, weil ein Schneemann mit Füßen „etwas noch nie da Gewesenes ist“, wie er überschwänglich meint. Katrin hängt ihm eine goldfarbene Kette mit einem blauen Stein um, die sie auf dem Nachtschränkchen ihrer Mutter gefunden hat.

„Was ist denn das für eine Kette?“, fragt Martin.

„Die hab ich auch noch nie gesehen“, antwortet Katrin. „Es ist wahrscheinlich Modeschmuck, den sich Mama neu gekauft hat.“

„Hat sie es dir denn erlaubt, die Kette für Frosty zu nehmen?“, will Martin wissen.

„Direkt gefragt habe ich sie nicht“, entgegnet Katrin, „aber was soll sie schon dagegen haben? Es ist ja nur vorübergehend.“ Die Geschwister sind mit ihrem Werk zufrieden. Voller Genugtuung betrachten sie Frosty von allen Seiten. Selbst von der Straße aus kann man noch einen Blick auf ihn erhaschen. „Jetzt wünsche ich ihm nur noch ein langes Leben“, sagt Katrin.

„Auf ein langes Leben von Frosty!“, ruft Martin und bewirft seine Schwester mit einem Schneeball, woraus sich im Nu eine wilde Schneeballschlacht entwickelt.

Als Katrin und Martin am nächsten Tag aus der Schule kommen, fragt die Mutter, ob sie zufällig ihre Kette gesehen hätten. „Ich suche sie schon eine ganze Weile. Es ist eine wertvolle Goldkette mit einem Saphir, ein Erbstück von Großmutter. Ich habe sie gestern das erste Mal getragen und sie dann auf mein Nachtschränkchen gelegt. Aber nun ist sie weg.“

Die Geschwister sehen sich an, ohne etwas zu sagen. Nach dem Mittagessen stürzen sie sofort in den Garten auf Frosty zu – und erstarren vor Schreck. Zwar hat sich der Schneemann, trotz seiner Schuhe, keinen Zentimeter von der Stelle gerührt – aber die Kette ist verschwunden.

„Die hat er bestimmt abgetan, weil sie ihm nicht gefallen hat“, sagt Martin. „Er ist ja schließlich ein Schneemann und keine Schneefrau.“

„Quatsch“, fährt ihn Katrin heftig an, „der kann sich doch nicht bewegen.“

„Weiß ich“, erwidert Martin kleinlaut, „sollte nur ein Scherz sein.“ Aber nach Scherzen ist ihnen beiden nicht mehr zumute.

„Die muss jemand weggenommen haben“, sagt Katrin grübelnd.

„Vielleicht eine Elster“, wirft Martin zaghaft ein, „die heißen nicht umsonst diebische Elstern und sie sollen eine Vorliebe für glänzende Sachen haben.“

Katrin merkt, dass ihr Bruder jetzt keinen Spaß machen wollte, sondern ehrlich bemüht ist, nach einer Erklärung für das Verschwinden der Kette zu suchen. Deshalb fährt sie ihm nicht wieder über den Mund. Außerdem ist sie sich sehr wohl bewusst, dass das mit der Kette ihre Idee gewesen ist. Schweigend blickt sie zu Boden.

„Sieh mal“, sagt sie mit einem Mal und zeigt Martin die Spuren im Schnee. Es sind ziemlich große Fußabdrücke, die von der einen Seite des Gartens bis zu Frosty führen und dann in derselben Linie wieder zurück.

„Da war jemand in unserem Garten und hat die Kette gestohlen“, bemerkt Martin.

Katrin nickt niedergeschlagen: „So muss es gewesen sein. Erinnerst du dich, dass man Frosty auch von der Straße aus sehen kann?“

„Mist“, murmelt Martin.

„Jemand ist die Straße entlang gegangen und hat Frosty gesehen. Die Kette ist dem vermutlich sofort ins Auge gesprungen“, sagt Katrin verzweifelt. Erneut weist sie ihren Bruder auf etwas am Boden hin: „Das sind doch noch andere Spuren. Von wem stammen die wohl?“

Martin zieht die Stirn in Falten. „Hätte er eine Pfeife im Mund und eine karierte Schirmmütze auf, sähe er aus wie Sherlock Holmes“, denkt Katrin.

„Das sind Spuren von einem Tier. Vielleicht eine Katze, oder …“ Martin stutzt, dann fährt er fort: „Oder der Fremde hatte einen Hund bei sich.“

„Das ist es!“, ruft Katrin. „Lass uns sehen, wohin die Spuren führen.“

Die Kinder folgen den Abdrücken um das Haus herum, doch auf der Straße verlieren diese sich. Die Geschwister überlegen fieberhaft, was sie unternehmen können, aber sie kommen zu keinem brauchbaren Ergebnis. Nur darüber sind sie sich einig: Der Mutter nicht den wahren Grund zu erzählen, warum die Kette unauffindbar bleibt.

Einige Tage sind vergangen. Die Geschwister haben ein schlechtes Gewissen, insbesondere Katrin, trauen sich aber noch immer nicht, sich den Eltern zu offenbaren. Obwohl die Mutter mittlerweile jeden in der Familie verdächtigt, die Kette „verschlampt“ zu haben. Einmal hat Martin gar mit angehört, wie die Mutter den Vater fragte, ob er vielleicht Verwendung für die Kette gehabt oder sie eventuell zu Geld gemacht habe. Der Vater reagierte sehr empört, und Martin wäre am liebsten mit der Wahrheit herausgerückt, um dem elterlichen Zwist ein Ende zu bereiten. Aber er hatte Katrin versprochen, nichts zu verraten, und daran hielt er sich.

Als er mit Katrin wieder einmal gemeinsam vor Frosty steht, drängt er seine Schwester, der Mutter alles zu beichten, damit die Verdächtigungen zwischen den Eltern endlich aufhören. Katrin sieht ein, dass dies wohl der einzig sinnvolle Weg ist, den häuslichen Frieden wieder herzustellen. In diesem Augenblick taucht ein kleiner brauner Hund neben ihnen auf, den sie noch nie zuvor gesehen haben, und schnüffelt an Frosty herum.

„Heb ja nicht dein Bein gegen Frosty“, droht Martin scherzhaft, während Katrin zum Geräteschuppen flitzt, die Tür öffnet und den Hund mit leisen Rufen lockt. Tatsächlich läuft das Tier neugierig hinter Katrin her, die mit ihm im Geräteschuppen verschwindet. Martin blickt den Beiden verständnislos nach, doch schon schießt Katrin wie eine Rakete wieder aus dem Geräteschuppen heraus, schlägt die Tür zu, schließt sie ab und steckt den Schlüssel ein. Ein leises Jaulen und Fiepen begleitet ihr Tun.

„Was soll das?“, stammelt Martin entgeistert.

„Ich weiß nicht, es ist nur so eine Ahnung“, antwortet Katrin geheimnisvoll. In diesem Moment hören sie den schrillen Ton einer Hundepfeife, dann ruft eine Männerstimme laut: „Hasso! Hassooo!“ Katrin geht um das Haus herum zur Straße, Martin folgt ihr.

Ein Mann blickt sich dort suchend nach allen Seiten um. Als er die Kinder sieht, fragt er sie: „Habt ihr zufällig einen kleinen braunen Hund gesehen?“ Ehe die Beiden antworten können, lässt sich ein Bellen und Winseln vernehmen.

„Da ist er ja“, sagt der Mann erfreut und ruft: „Hasso, Hasso, hierher!“

Als der Hund immer noch bellt, aber nicht auftaucht, sieht der Mann die Kinder böse an: „Warum kommt Hasso nicht? Was habt ihr mit meinem Hund gemacht?“ Und er tritt drohend auf Katrin zu. Martin stellt sich schützend vor seine Schwester:

„Bleiben Sie hübsch da, wo Sie sind“, sagt er, „wir haben Ihren Hund nur für eine Weile in Verwahrung genommen.“ Dem Mann fallen fast die Augen aus dem Kopf.

„Was habt ihr?“, fragt er ungläubig staunend. „Ihr habt Hasso in Verwahrung genommen? – Aber nun dalli, dalli, schnellstens her mit meinem Hund, sonst …“

„Was ist sonst“, fragt Martin mit fester Stimme.

„Sonst rufe ich die Polizei“, sagt der Mann.

„Machen Sie das ruhig“, entgegnet Katrin und tritt neben ihren Bruder. „Die können wir gut gebrauchen, denn ich wollte sie auch gerade rufen.“

„Du wolltest auch die Polizei rufen?“, fragt der Mann verdattert. Dann scheint er zu begreifen: „Ach so, weil ihr nicht wusstet, wem der Hund gehört. Aber das hat sich ja nun geklärt.“

„Sie haben mich nicht richtig verstanden“, erwidert Katrin. „Wir haben Ihren Hund als Geisel genommen, oder, falls Ihnen das besser gefällt, als Pfand.“

Martin bemerkt, wie der Mann einen kleinen Schritt rückwärts macht und sich mit der rechten Hand fahrig durch das Gesicht wischt, als schwitze er. Dabei ist es doch bitterkalt.

Allmählich dämmert ihm, worauf seine Schwester hinaus will.

„Also, Schluss mit dem dummen Gequatsche“, sagt der Mann ärgerlich und nimmt wieder eine drohende Haltung ein. „Gebt mir jetzt meinen Hund oder ihr könnt was erleben.“

„Wenn Sie uns die Kette geben, geben wir Ihnen Ihren Hund zurück“, sagt Katrin.

„Wovon redet ihr?“ gibt sich der Mann ahnungslos, doch eine leichte Verunsicherung ist nicht zu überhören. „Was für eine Kette soll ich euch geben?“

„Na, die, die Sie unserem Schneemann geklaut haben“, antwortet Martin.

Der Mann erbleicht, erwidert aber unwirsch: „Papperlapapp, ich weiß nichts von einer Kette, schon gar nichts von einer Kette, die ich angeblich gestohlen haben soll.“

„Dann eben nicht“, sagt Katrin. „Dann rufen wir halt die Polizei. Das dürfte auch in Ihrem Interesse liegen, denn schließlich wollen Sie ja Ihren Hund wiederbekommen, den wir gefangen halten.“ Und sie zupft ihren Bruder am Ärmel und macht Anstalten, ins Haus zu gehen.

„Nicht so eilig“, sagt der Fremde nun in einem vertraulichen Tonfall, als wolle er den Geschwistern ein Geheimnis verraten. „Ich habe zwar keine Kette gestohlen, aber wenn mich nicht alles täuscht, habe ich neulich eine Kette hier auf der Straße gefunden. – Je mehr ich darüber nachdenke, umso wahrscheinlicher ist es. – Passt auf, ich bin in einer halben Stunde wieder zurück. Und bis dahin“, er legt seinen rechten Zeigefinger auf seine Lippen, „zu niemandem ein Wort, einverstanden?“ Dabei schaut er die Geschwister mit einem konspirativen Lächeln an, als gelte es, einen Piratenschatz zu heben.

Dann dreht er sich um, geht die Straße zurück und steigt in ein rotes Auto.

„Ob der zurückkommt?“ fragt Martin.

„Ich glaube schon“, antwortet Katrin, „der will doch seinen Hund wiederhaben.“

Und tatsächlich – nach einiger Zeit sehen die Kinder das rote Auto am unteren Ende der Straße parken. Das Kennzeichen können sie auf die Entfernung allerdings nicht lesen. Der Fremde steigt aus und nähert sich mit raschen Schritten. Als er die Geschwister erreicht hat, öffnet er die linke Hand: Dort liegt die goldene Kette mit dem blauen Saphir. „Jetzt will ich aber zuerst meinen Hund“, sagt der Mann mit dem Anflug eines hinterhältigen Grinsens.

„Okay, kommen Sie mit“, sagt Katrin und die Kinder führen den Fremden um das Haus herum zum Geräteschuppen.

„Hasso, mein Liebling“, ruft der Mann, als er seinen Hund bellen und jaulen hört. Martin, der hinter dem Mann steht, beobachtet, wie dieser die Linke mit der Kette zur Faust ballt und sie in seine Manteltasche steckt.

„Er hat bestimmt vor, mit seinem Hund zu verschwinden, ohne uns die Kette zurückzugeben“, denkt Martin. Seine Schwester öffnet die Tür des Geräteschuppens, der kleine braune Hund fegt heraus, läuft schwanzwedelnd zu seinem Herrchen und springt außer sich vor Freude an ihm hoch.

„Da bist du ja wieder“, begrüßt der Mann seinen Hund und streichelt ihn über Kopf und Rücken. „Los, komm!“ ruft er dann und wendet sich um, ohne die Kette herauszurücken – genauso, wie Martin es befürchtet hat. Der Mann rennt los, Hasso springt ausgelassen um ihn herum. Als der Mann gerade die Straße erreicht hat und zu seinem Auto spurten will, läuft er direkt in die Arme zweier Polizisten, die die Kinder benachrichtigt hatten, als der Fremde die Kette holte.

„Ja, so war das mit Frosty und der Kette“, sagt Martin.

Der Vater hat mit wachsendem Erstaunen der Erzählung seiner Kinder gelauscht. „Wie seid ihr denn darauf gekommen, dass der kleine braune Hund etwas mit der Sache zu tun hatte?“, fragt er.

„Wegen der Hundespuren, die neben den Fußabdrücken im Garten zu sehen waren“, antwortet Katrin und fügt verschmitzt hinzu: „Vielleicht war es ja auch nur mein Gespür für Schnee, wie bei Fräulein Smilla.“

Der Vater ist mächtig stolz auf seine beiden „erfolgreichen Detektive“, die Mutter ist hocherfreut, die wertvolle Kette wieder zu haben. Darüber vergisst sie sogar zu schimpfen, weil Katrin die Kette ohne ihre Erlaubnis genommen hat, und die Kinder nach dem mysteriösen Verschwinden der Kette, ihre Eltern so lange im Unklaren über die Hintergründe gelassen haben.

---ENDE DER LESEPROBE---