Die Krimizimmerei - Spannende Kurzgeschichten für Kinder Band 5 - Martina Meier - E-Book

Die Krimizimmerei - Spannende Kurzgeschichten für Kinder Band 5 E-Book

Martina Meier

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Beschreibung

Inspektor Papierfresserchen ist gefürchtet in der Szene. Kein Diebstahl bleibt vor ihm verborgen und von den wirklich bösen Buben hat er schon so einige aus dem Verkehr gezogen. So sitzt er in seinem Büro und wartet auf die nächsten Fälle, die es zu klären gibt. Aber lange warten muss der pfiffige Kerl nicht, denn schon klingelt sein Telefon. „Was wohl dieses Mal aufzuklären ist?“, fragt er sich und greift zum Hörer. Eine ältliche, schluchzende Stimme dringt in sein Ohr. „Hier ist Erna Zimmermann. Bitte kommen Sie schnell, mein Alfons ist verschwunden. Ich weiß nicht, was ich tun soll ...“ Sogleich nimmt seine Spürnase Witterung auf ...

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Die Krimizimmerei

Spannende Kurzgeschichten für Kinder

Band 5

Martina Meier (Hrsg.)

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Impressum

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Herausgegeben von CAT creativ in Zusammenarbeit mit

© 2022 Papierfresserchens MTM-Verlag GbR

Mühlstraße 10, D- 88085 Langenargen

www.papierfresserchen.de – [email protected]

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.

Besuchen Sie uns im Internet - www.papierfresserchen.de

Alle Rechte vorbehalten. Taschenbuchauflage erschienen 2022.

Cover gestaltet mit einem Bild von © design on arrival (Fotolia lizenziert)sowie © qphotomania (Adobe Stock lizenziert)

Lektorat + Herstellung: Cat creativ – www.cat-creativ.at

ISBN: 978-3-99051-078-0 - Taschenbuch

ISBN: 978-3-99051-079-7 - E-Book

*

Inhalt

Alfons ist weg

Das Geheimnis der Luxusjacht

Schwarze Hühner – Weißer Schnee

Gartenbesuch

Mähmanuel - Der Bock des Gärtners ermittelt

Krimi im Supermarkt

Abenteuer auf Burg Gruselgrün

Erwischt!

Der gestohlene Ring

Katzendiebstahl

Achterbahn-Sabotage

Escape

Filmriss

Der Nachkomme Mühser

Diebstahl im Kinderzimmer

Tolle Premiere und lecker Erdbeereis

Ein verwaister Kinderwagen

Der Duft des Kaninchens

Eine Flucht

Die Frau, die im Regen steht

Schritte in der Nacht

Wo sind all die Abenteurer hin?

Überfall auf hoher See

Ein Fall für sich

Doppeltes Lottchen

Der mysteriöse Promimord

Gummimaukenklau

Mutterrache

Kapitän Stosszahn

Von schweren Eulen und einem blutigen Mord

*

Alfons ist weg

Polizeiobermeister Lutz Pieper kaute gelangweilt auf seinem Bleistiftstummel und blickte nun schon seit geraumer Zeit aus dem Fenster auf die verschneite Straße vor der Westwache. Es war Mittwoch, der 22. Dezember, kurz vor 17.00 Uhr und sein Chef, den alle – warum auch immer – nur Inspektor Papierfresserchen nannten, lag mit gebrochenem Bein im Krankenhaus. Nun musste er also allein die Stellung halten. Er gähnte und spürte, dass seine Augen bald zufallen würden. Wenn doch nur einmal etwas passieren würde in dieser kleinen Stadt. Immerhin: Vor einer halben Stunde hatte der starke Schneefall, der in der Frühe eingesetzt hatte, endlich aufgehört.

Das schrille Klingeln des Telefons ließ den Polizisten aufschrecken. War sein Wunsch etwa schon erhört worden? Pieper klemmte sich den Hörer zwischen Ohr und Schulter: „Polizeiwache West, Polizeiobermeister Pieper am Apparat.“

Eine ältliche, schluchzende Stimme drang in sein Ohr. „Hier ist Erna Zimmermann. Bitte kommen Sie schnell, mein Alfons ist verschwunden. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Er ist doch alt und so hilflos ohne mich. Er …“ Die Stimme versagte und das Schluchzen wurde lauter.

„Jetzt beruhigen Sie sich erst mal, liebe Frau. Nennen Sie mir bitte Ihre Adresse und ich komme sofort vorbei.“ Lutz Pieper nahm den angenagten Stift in die Hand und notierte die stammelnd vorgetragene Anschrift. „Ah, Wiesenpfad“, dachte er, „das ist ja hier um die Ecke, da laufe ich zu Fuß hin, der Dienstwagen ist sowieso eingeschneit.“ Er schaltete die Telefonumleitung zur Hauptwache ein, schnappte sich die Jacke mit den drei blauen Sternen am Schulterteil und verließ eilig das Büro. Wenn ein Mensch vermisst wurde, sollte man keine Zeit verlieren.

Kaum zehn Minuten später stand er vor der Haustür von Frau Zimmermann, die unmittelbar nach dem Klingeln öffnete. Wahrscheinlich hatte sie schon hinter der Tür auf ihn gewartet. Er trat durch die Diele in das mit dunklen Holzmöbeln eingerichtete Wohnzimmer.

Frau Zimmermanns Augen waren vom Weinen gerötet. Pieper setzte sich unaufgefordert auf einen mit Blümchenmuster bezogenen Ohrensessel. „So, nun erzählen Sie mal genau, was passiert ist“, forderte er die alte Dame auf.

„Wir sind vor einer halben Stunde vom Weihnachtseinkauf zurückgekommen, ich habe vor der Haustür die Geschenktüten abgestellt und eine Weile nach dem Schlüssel in meiner Handtasche gekramt. Als ich dann endlich aufschließen konnte, war Alfons nicht mehr da.“ Frau Zimmermann schluchzte erneut auf.

„Wie sieht denn Ihr Alfons aus? Haben Sie ein Foto von Ihrem Mann?“, fragte Pieper.

„Mein Mann?“ Die alte Dame guckte ihn erstaunt an. „Ich bin nicht verheiratet. Alfons ist doch mein Pudel. Ein reinrassiger, schwarzer Königspudel.“

„Halleluja“, dachte Pieper, „jetzt muss ich mich als Hundefänger betätigen.“ So hatte er sich seinen Einsatz nicht vorgestellt.

Frau Zimmermann hielt dem Polizisten ein Foto unter die Nase. „Hier, so sieht mein Alfons aus. Das war im letzten Jahr bei der Rassehundeausstellung. Da hat man ihm die Ehrenschleife verliehen. Er trägt immer noch das rote Halsband wie auf diesem Foto. Nehmen Sie es ruhig mit, junger Mann.“

Pieper musste schmunzeln, als jungen Mann hatte man ihn schon länger nicht mehr bezeichnet. Er wuchtete sich aus dem Sessel und nahm das Foto an sich.

„Hilft ja alles nichts“, dachte er, „da muss ich wohl wieder raus in die Kälte.“ Er nickte der alten Dame aufmunternd zu. „Frau Zimmermann, ich mache mich sofort auf die Suche. Der kleine Ausreißer wird bestimmt bald wieder bei Ihnen sein.“ Dann verließ er etwas widerwillig die behagliche Wärme des Hauses.

Draußen auf dem Gehweg hatte er nach kurzem Suchen die Pfotenabdrücke des Hundes entdeckt. Sie führten nach rechts vom Haus weg in Richtung des kleinen Tannenwäldchens, das weiter entfernt am Ende des Wiesenpfades lag. Hier draußen am Stadtrand standen nur noch wenige kleine Häuser, die meisten von ihnen schon etwas heruntergekommen. Auch die Abstände zwischen den Straßenlaternen wurden immer größer, bis es schließlich gar keine mehr gab.

„Nur gut, dass ich meine Taschenlampe dabei habe“, dachte Pieper. Er folgte der Hundespur immer weiter durch den knöchelhohen Schnee.

Nach ungefähr dreihundert Metern bemerkte er auf einmal vor sich eine weitere Spur, ganz offensichtlich von einem Menschen. Sie kamen von links. Offenbar hatte jemand den Wiesenpfad überquert und war dann auf derselben Seite weitergegangen, wie er es jetzt tat. Pieper stoppte, guckte sich die Abdrücke an, stellte dann seinen eigenen Fuß zum Vergleich daneben und murmelte: „Tiefes Sohlenprofil, bestimmt Schuhgröße 46 oder mehr. Muss ein ganz schön großer Kerl sein.“

Er verfolgte die beiden Spuren, die nun weitere 30 Meter nebeneinander vor ihm her verliefen. Dann endeten die Pfotenabdrücke abrupt. „Seltsam, seltsam“, grübelte Pieper. Als ob sich der Hund in Luft aufgelöst hätte. Oder – viel wahrscheinlicher – der Hund getragen wurde. „Jetzt wird es langsam interessant“, dachte er.

In ungefähr 100 Metern Entfernung stand am Waldrand nur noch ein einziges kleines Haus – die Menschenspur führte geradewegs dorthin.

Pieper stapfte weiter und war froh, dass er schwachen Lichtschein durch die Fenster des Hauses sehen konnte. Offensichtlich würde er dort jemanden antreffen. Er näherte sich dem Häuschen, das auch schon bessere Tage gesehen hatte, las den Namen Schulzke am Türschild und drückte den Klingelknopf.

Es dauerte ziemlich lange, bis er schlurfende Geräusche aus dem Inneren des Hauses hörte und die Türe dann zögerlich geöffnet wurde. Er sah einen großen, unrasierten Mann mit roten Stoppelhaaren im weißen Feinripp-Unterhemd. Herr Schulzke trug verbeulte Jeans und graue Wollsocken. Seine Füße waren verdammt groß, das fiel Pieper sofort auf.

„Ja, was is’ los?“, knurrte der Mann ihn an.

„Ich bin Polizeiobermeister Pieper von der Wache West und hätte ein paar Fragen an Sie. Darf ich kurz stören?“ Der Polizist wedelte mit seinem Dienstausweis.

„Nur, wenn’s unbedingt sein muss.“ Der unsympathische Kerl trat zur Seite und ließ den Polizisten ein.

Das Wohnzimmer war klein und roch muffig, auf dem zerschlissenen Sofa lag eine karierte Wolldecke, der Fernseher lief.

„Herr Schulzke, kennen Sie Frau Zimmermann, die am Anfang des Wiesenpfades wohnt? Sie vermisst seit dem späten Nachmittag ihren Hund. Dessen Spuren führen in Richtung des Tannenwäldchens und treffen auf halbem Weg mit großen, menschlichen Fußspuren zusammen, die geradewegs auf Ihr Haus zulaufen.“

„Nee, die alte Dame und ihren Pudel kenn’ ich nicht und ich habe auch nix gesehen. Ich interessiere mich nicht für andere Leute oder deren Köter. Außer, wenn sie als Schnitzel auf meinem Teller liegen.“ Herr Schulzke stieß einen glucksenden Laut aus und kratzte sich am Hinterkopf.

„Wahrscheinlich findet er sich irre witzig“, dachte Pieper, fragte dann laut: „Wann haben Sie denn zuletzt das Haus verlassen?“

„Ich bin seit heute Mittag hier. Bei dem Schnee und der Kälte bleib ich lieber auf dem Sofa. Hab’ was gegessen und dann den Bergdoktor im Fernsehen geguckt. Dabei bin ich dann wohl eingeschlafen, bis Sie mich jetzt geweckt haben.“

„Jaja, der Winter ist in diesem Jahr wirklich kalt und schneereich“, stimmte Pieper zu und räusperte sich. „Aber es hilft nichts. Herr Schulzke, ziehen Sie sich bitte an und holen Sie den Hund, den Sie hier irgendwo versteckt halten. Ich vermute, dass Sie von der netten Dame Lösegeld für Alfons erpressen wollten, stimmt’s?“

Schulzke klappte seinen Mund ein paarmal auf und zu, ehe er stotterte: „Wo…woher wollen Sie wissen, dass ich den Köter hier habe?“

„Nun, Sie haben sich selbst verraten. Ihre großen Fußspuren im Schnee waren gut sichtbar. Wenn es stimmen würde, dass Sie seit dem Mittag nicht mehr das Haus verlassen haben, wären die Spuren längst zugeschneit worden, denn der Schneefall hat erst gegen halb fünf aufgehört. Außerdem ...“

Piepers Stimme wurde energischer. „... wussten Sie, dass es sich bei Alfons um einen Pudel handelt, obwohl ich nur einen Hund erwähnt hatte. Wir gehen jetzt zusammen zu Frau Zimmermann und Sie werden sich entschuldigen! Vielleicht verzichtet sie ja auf eine Anzeige.“

Keine halbe Stunde später waren das überglückliche Frauchen und Alfons wieder vereint. Die alte Dame hatte unter einer Bedingung auf eine Anzeige verzichtet und so saßen sie und Pieper nun in der gemütlichen, warmen Stube, tranken Tee und sahen durch das Fenster nach draußen. Dorthin, wo ein sehr grimmig dreinblickender Schulzke noch länger damit beschäftigt sein würde, Frau Zimmermanns Auffahrt und Gehweg frei zu schippen.

Dagmar Oberländer, Jahrgang 1965, wohnhaft am schönen Niederrhein, schreibt seit Kurzem kleine Geschichten für Anthologien und ist eine „Krimi-Mimi“.

*

Das Geheimnis der Luxusjacht

Nico half seiner Schwester Mara hinauf auf die Jacht, sodass sie sich nun alle vier an Bord befanden. Gemeinsam mit Nicos Kumpel Raul und dessen jüngerem Bruder Tom hatten sie von ihrem Boot aus gesehen, wie die Besitzer der Jacht mit dem Beiboot an Land gefahren waren. Raul, der dieses Schiff schon seit einigen Tagen beobachtet hatte, war sich sicher, dass sich nun niemand mehr an Bord befand. Die Gelegenheit war also günstig, sich das luxuriöse Boot mal aus der Nähe anzusehen.

Während die Jungen diskutierten, ob man besser vom Bug oder der Heckplattform ins Wasser springen konnte, sah Mara sich genauer um. Sie stockte, als ihr Blick auf die Tür fiel, die ins Innere des Bootes führte. Waren da Blutspuren? Am Türgriff waren verschmierte Fingerabdrücke zu erkennen, während der Boden mit roten Tropfen befleckt war.

„Was ist?“ Tom stand plötzlich neben ihr und musterte sie neugierig. Auch Nico und Raul waren hinzugekommen.

Mara deutete auf die verdächtigen Spuren. „Ist das Blut?“

„Sieht ganz danach aus“, meinte Raul, nachdem er die seltsamen roten Flecken begutachtet hatte.

„Vielleicht ist ein Verletzter an Bord“, mutmaßte Nico.

„Oder eine Leiche“, spekulierte Tom. „Das Meer ist der ideale Ort, um einen Toten verschwinden zu lassen.“

„Womöglich gehört diese Jacht einem Mafiaboss“, überlegte Raul, bevor er vergebens versuchte, die Tür zu öffnen.

„Könnt ihr mit diesen schrecklichen Spekulationen aufhören?“, mischte sich nun Mara ein. „Lasst uns besser gehen!“

„Nein“, widersprach ihr Raul. „Ich will wissen, was sich hinter der Tür verbirgt. Vielleicht wurde jemand entführt und ist verletzt. Oder wir finden einen Toten und …“

„Raul, es reicht“, fiel Nico seinem Freund verärgert ins Wort. „Du machst meiner Schwester Angst. Die Tür ist verschlossen. Und auf keinen Fall brechen wir sie auf! Vermutlich ist nicht einmal etwas Schlimmes passiert.“

„Ich denke auch, wir sollten besser gehen“, meinte Tom. „Mit Gangstern oder Mafiabossen sollten wir uns nicht anlegen.“

„Ist das euer Ernst?“, fragte Raul empört.

„Ja, Raul!“, meinte Nico und ergriff Maras Hand. Er warf seinem Freund noch einen wütenden Blick zu und stieg zurück ins Motorboot.

„Jetzt komm schon“, meinte Tom und klopfte seinem Bruder auf die Schulter.

Raul fluchte, warf noch einen letzten Blick auf die Tür, bevor er Tom schließlich folgte.

„Hör auf, eingeschnappt zu sein“, redete Nico auf seinen Kumpel ein. „Es wäre unvernünftig gewesen, die Tür aufzubrechen. Damit hätten wir uns doch nur strafbar gemacht.“

„Also lassen wir lieber ein paar mutmaßliche Verbrecher davonkommen“, brummte Raul schlecht gelaunt.

„Wir könnten die Küstenwache informieren“, schlug Mara vor.

„Was willst du denen denn sagen?“, entgegnete Raul. „Dass wir ein paar Blutspuren entdeckt haben, während wir uns unerlaubten Zutritt auf die Jacht verschafft haben?“

„Außerdem werden sie nicht einfach ein Boot durchsuchen, nur weil ein paar Jugendliche herumfantasieren“, fügte Nico hinzu.

„Trotzdem“, mischte sich nun Tom ein. „Einen Versuch ist es wert. Raul, hast du vergessen, dass Onkel Carlo bei der Küstenwache arbeitet? Er hilft uns bestimmt.“ Mit diesen Worten bediente Tom auch schon sein Smartphone.

Die anderen hörten aufmerksam zu, als Tom erklärte, dass sie beobachtet hatten, wie zwei Personen sich mit einem Beiboot eilig von der Jacht entfernt hatten und sie dieses Verhalten recht sonderbar fanden. Dies entsprach zwar nicht ganz der Wahrheit, doch damit hatte Tom erklärt, weshalb sie an Bord gegangen waren und dass sie dort Blutspuren entdeckt hatten. Tom gab das Bootskennzeichen und den Standort an, bevor er das Gespräch beendete. Dann schaute er zufrieden in die erwartungsvollen Gesichter der anderen und erklärte: „Sie werden der Sache nachgehen.“

Gespannt warteten die Freunde auf die Ankunft der Küstenwache, die schnell angefahren kam. Zeitgleich traf auch das Beiboot mit den Besitzern der Jacht ein. Die Freunde beobachteten, wie die Küstenwache mit ihnen diskutierte, bevor sie schließlich gemeinsam an Bord gingen. Nach geraumer Zeit stiegen zwei Beamten der Küstenwache zurück auf ihr Boot und fuhren los.

Die anfängliche Enttäuschung der Freunde, dass man wohl nichts an Bord gefunden hatte, schlug schnell in Überraschung um, als sie sahen, dass sich nun auch die Jacht in Bewegung setzte und der Küstenwache hinterherfuhr. Raul ließ den Motor an und folgte ihnen in den Hafen.

Dort wartete bereits ein Wagen der Finanzpolizei. Zwei Uniformierte stiegen aus, kaum, dass das Schiff Anker gelegt hatte. Gemeinsam mit der Küstenwache gingen die Männer zielstrebig an Bord und blieben lange Zeit verschwunden. Schließlich verließ die Küstenwache die Jacht und Tom ergriff die Gelegenheit. Er eilte zu den beiden Männern und war kurz darauf in ein Gespräch mit einem der Beamten verwickelt.

„Das ist Onkel Carlo“, erklärte Raul.

„Seht mal!“, rief Nico und deutete auf die Jacht, als die Finanzpolizei das Boot verließ und dessen Eigentümer mitnahm.

„Wurden sie jetzt doch verhaftet?“, wunderte Mara sich, als sie beobachtete, wie die zwei Verdächtigen im Streifenwagen Platz nahmen.

„Scheint so“, erwiderte Raul und wirkte ebenfalls verwundert.

Mara runzelte die Stirn. „Dann gab es also doch eine Leiche?“

„Nein“, ertönte eine Stimme hinter ihnen. Die drei wirbelten herum und schauten gespannt auf den Mann, der in Toms Begleitung zu ihnen gestoßen war.

„Onkel Carlo, was ist passiert?“ Raul warf ihm einen erwartungsvollen Blick zu.

„Einer der Männer hat sich mit einem Küchenmesser so dumm verletzt, dass er in die Notaufnahme musste. Doch uns fiel auf, dass die Jacht unter amerikanischer Flagge läuft und die erlaubte Aufenthaltsdauer vor zehn Tagen bereits überschritten worden war.“ Der Mann bemerkte Maras fragenden Blick und fügte daher hinzu: „Wenn sich ein ausländisches Boot mehr als achtzehn Monate in EU-Gewässern aufhält, muss dafür Steuer gezahlt werden.“

„Doch das beste kommt noch. Wisst ihr, was man an Bord der Jacht gefunden hat?“ Tom grinste, als er in die erwartungsvollen Gesichter seiner Freunde blickte.

„Jetzt sag schon!“, zischte Raul.

„Über eine Tonne Zigaretten, die bereits beschlagnahmt wurden. Die Männer werden nun befragt, doch sicher ist, dass sie Teil eines großen Schmugglerrings sind. Die Ware stammt ursprünglich aus Nordafrika.“

„Aber dann waren sie doch in einem Nicht-EU Gebiet“, überlegte Mara.

„Wir reden hier von illegalem Handel“, erklärte Onkel Carlo. „Da kümmert man sich nicht um die Registrierung einer Jacht, die sicherlich in keinem großen Hafen eingelaufen ist, sondern vermutlich irgendwo in Küstennähe beladen wurde. Aber das wird noch alles überprüft.“

„Und wie geht es jetzt weiter? Müssen wir nicht eine Aussage machen?“, wollte Nico wissen.

„Nein, der Einsatz gilt offiziell als eine Routinekontrolle. Ich will gar nicht wissen, was ihr tatsächlich auf der Jacht getrieben habt, doch ihr werdet mir versprechen, dass ihr euch nie wieder unerlaubten Zutritt auf fremde Boote verschafft.“

„Dies sollte uns eine Lehre sein“, bemerkte Mara sichtlich erleichtert. Nun erst war ihr wirklich bewusst geworden, in welche Schwierigkeiten sie hätten geraten können. Weniger dachte sie dabei an den Ärger mit der Polizei. Was wäre passiert, wenn die Männer sie erwischt hätten oder noch ein dritter Mann an Bord gewesen wäre? Was wäre geschehen, wenn sie es mit skrupellosen, bewaffneten Verbrechern zu tun gehabt hätten?

„Aber jetzt kommt“, riss Onkel Carlo Mara aus ihren Gedanken. „Dieser kleine Triumph gegen das Verbrechen sollte gefeiert werden! Ich lade euch alle auf ein Eis ein.“

Pamela Murtas wurde 1975 in Frankfurt-Höchst geboren, lebte jedoch seit ihrem zehnten Lebensjahr in Italien, wo sie an der Deutschen Schule Mailand ihr Abitur absolvierte. Nach drei Jahren Moskauaufenthalt kehrte sie nach Italien zurück, um in Rom professionellen Reitsport zu betreiben. Seit 2007 wohnt sie erneut in Deutschland. Veröffentlicht hat sie bisher den vierteiligen Abenteuerroman „Destini“, außerdem weitere Kurzgeschichten und Gedichte in verschiedenen Anthologien.

*

Schwarze Hühner – Weißer Schnee

„Nein, nein und nochmals nein“, fluchte Bauer Stefan, als er den Hühnerstall betrat. Aufgrund der täglichen Zählung hatte er festgestellt, dass schon wieder zwei seiner Ayam Cemani-Hühner fehlten. Sofort begann er, das Drahtgeflecht nach Löchern abzusuchen – ergebnislos. Das kleine Tor zum Garten war ebenfalls verschlossen. Der Hühnerstall konnte von der Scheune begangen werden, aber auch vom Garten her, wenn die Vögel im Freien waren. Seit drei Wochen ging dieser Spuk nun schon. Mittlerweile hatte er bereits zwölf seiner Ayam Cemani-Hühner verloren, ohne sich die Sache erklären zu können.

Im Haus angekommen, berichtete er seiner Frau und dem Altbauern von dieser Misere.

„Kann es ein Fuchs sein, der da wildert?“, fragte der Alte.

„Wie denn, wenn das Gartentor zu ist und es kein Loch im Zaun gibt. Davonfliegen können die Viecher nicht, weil das Drahtgeflecht viel zu hoch ist“, erklärte Stefan wütend.

„Es muss sich jemand in der Nacht dem Zaun nähern und das Gartentor öffnen. Derjenige kann dann mühelos hineinspazieren und die Hühner stehlen!“, brachte sich Helga, Stefans Frau, nun ins Gespräch ein. „Was sagt denn Andi dazu?“

Der Altbauer blickte entsetzt auf. „Du glaubst doch nicht, dass mein Enkel die Hühner klaut? Was sollte er denn mit ihnen anfangen?“ Er verließ erzürnt den Raum.

Andi kam in die Wohnküche. Er hatte das Gespräch gehört und war verwundert. Die Hühner waren schon eine Besonderheit durch ihre schwarze Haut und ihr dunkles Fleisch. Hin und wieder verkaufte der Vater zwei oder drei Stück an den Adler-Wirt im Nachbarort, der sie als Spezialität auf der Speisekarte anpries. Wann immer der Vater ein solches Küken kaufte, musste er weit über 50 Euro pro Tier bezahlen. Und danach dauerte es Monate, bis es groß genug war für das Restaurant des Adler-Wirtes.

„Und wenn wir eine Kamera installieren?“, schlug Andi seinem Vater vor.

Gesagt, getan!

Am nächsten Morgen fuhr Stefan in die Kreisstadt in ein Fachgeschäft. Nachdem er ausreichend beraten worden war, kehrte er frohen Mutes ins Dorf zurück. Gleich am Sonntag wollte er einen geeigneten Platz suchen, um die Kamera zu installieren. Nachdem er niemand eingeweiht hatte, wo er die Kamera montieren wollte, wartete er, bis seine Familie zum Kirchgang unterwegs war und begab sich dann in den Garten, suchte einen günstigen Platz und befestigte das Ding unter dem Dach an einem Mauervorsprung.

So hatte Stefan sich das vorgestellt! Endlich hätte er einen Dieb überführen können, doch es kam keiner. Die Zahl der Hühner blieb tagelang konstant.

In der Nacht fiel der schon vor Tagen angekündigte Schnee. Stefan musste die Schneefräse anwerfen, denn über Stunden hinweg fielen so viele Flocken, dass ein halber Meter erreicht wurde. Seine Hoffnung war aber, dass man Fußspuren finden würde, falls ein Dieb kam. Aber es geschah nichts!

Einige Tage später stellte sich Föhn ein und brachte den Großteil der weißen Pracht wieder zum Schmelzen. Mit einem lauten Krach sauste eine Dachlawine in den Garten und mit ihr die Kamera. Sie hatte sich in den Schneehaufen gebohrt und die Frage, ob sie noch funktionsfähig war, erübrigte sich, weil sie in mehrere Einzelteile zerfallen war.

Erneut besorgte Stefan eine Kamera. Die Tage vergingen und es geschah nichts. Es kamen wieder ein Sonntag und ein Kirchgang. Diesmal leistete Stefan seiner Familie Gesellschaft und begleitete sie ins Gotteshaus. Nur der Altbauer war zu Hause geblieben. Angeblich hatte er starke Kreuzschmerzen. Als Stefan mittags in den Hühnerstall kam, wurde er zornig, tatsächlich fehlten wieder zwei Ayam Cemani-Hühner. Sofort suchte er nach Schuhabdrücken, fand aber keine. Auf dem PC konnte man nichts erkennen, denn der Bildschirm war schwarz. Er hatte doch alles richtig montiert?

„Verdammt, was sollte das denn?“, rief er wütend.

Stefan überlegte, ob er neue Ayam Cemani-Hühner kaufen sollte. Aber würde er denn da nicht den vermeintlichen Dieb unterstützen? „Wenn sie eine Krankheit hätten, müsstest du sie alle töten und hättest gar keine. Also würde ich vorschlagen, dass du wieder zwei Dutzend kaufst“, erklärte Helga ihrem Mann.

Gesagt, getan!

Tagelang passierte nichts, außer dass es erneut schneite. Als Andi in den Hof ging, entdeckte er im Schnee frische Blutstropfen. Panisch lief er zurück ins Haus und berichtete dem Vater von seinem Fund.

Aber! Es fehlte kein Huhn! Vater und Sohn sahen einander verdutzt an und gingen zurück ins Haus.

Da stand der Altbauer und hielt sich ein Taschentuch vor die Nase. „Nasenbluten!“, erklärte er mürrisch. „Bringt mich ins Krankenhaus!“ Dann entfernte er kurz zu Demonstrationszwecken das Taschentuch.

„Schon gut!“, meinte der Vater, lief in die Garage und holte seinen Pkw.

Nach kurzer Zeit kamen die beiden Männer zurück. Der Altbauer beschloss, sich in sein Zimmer zurückzuziehen. Er wollte sich hinlegen und ausruhen. Das Veröden der porösen Adern in der Nase war doch etwas schmerzhaft gewesen und sein Kreuz tat ihm höllisch weh.

Die nächsten Tage verliefen ereignislos. Der Hühnerbestand blieb gleich. Andi besuchte seinen Großvater immer wieder in dessen Zimmer. Heute hatte er vergessen, anzuklopfen, während er eintrat. Auf dem Nachtkästchen des Alten erspähte er ein Säckchen mit weißem Pulver, eine Scheckkarte und beides war auf einem kleinen Spiegel platziert. Er tat aber so, als ob er nichts gesehen hätte, plauderte mit dem Großvater und verließ nach geraumer Zeit wieder das Zimmer.

Andi marschierte in den Stall und versteckte sich hinter den großen Strohballen, denn er hatte ein komisches Gefühl. Plötzlich hörte er schlurfende Schritte und lautes Gegacker. Zwischen den einzelnen Heuhalmen entdeckte er seinen Großvater, der zwei Hühner unter den Armen hielt.

„Ach, haltet doch die Klappe!“, herrschte der Alte die Vögel an. Dann öffnete er das große Stadeltor, das man nur von der Innenseite aufschließen konnte, und schob es ein Stück zur Seite. Draußen sah Andi den Adler-Wirt stehen, der dem Großvater sofort die beiden Hühner abnahm und ihm etwas in die Hand drückte, dass der Junge nicht erkennen konnte. Aber Andi war nicht dumm, denn er konnte zwei und zwei zusammenzählen. Er wartete, bis der Großvater wieder durch den Stadl zurück zum Wohnhaus gegangen war und eilte dann in die Wohnküche, wo der Vater gerade vesperte. „Du wirst es nicht glauben, aber der Hühnerdieb ist der Großvater!“, sprudelte er heraus. „Und ich weiß auch, warum er das macht! Er tauscht nämlich die Hühner beim Adler-Wirt gegen Rauschgift ein!“

Der Bauer wurde weiß wie die Wand. „Das kann doch nicht wahr sein!“, polterte er los, sprang auf und eilte hinaus auf den Gang und zum Zimmer seines Vaters. Ohne anzuklopfen, betrat er den Raum und konnte sehen, was auch sein Sohn tags zuvor entdeckt hatte. „Ja bist du von allen guten Geistern verlassen? Du stiehlst meine Hühner, damit du dir Stoff besorgen kannst? Warum? Ich sollte dich eigentlich bei der Polizei melden!“, polterte Stefan.

Der Altbauer schaute seinen Sohn entsetzt an. „Wieso? Woher weißt du …?“, stotterte er verlegen.

„Andi hat dich beobachtet und gesehen, wie du dem Adler-Wirt zwei Hühner übergeben hast. Wohl im Tausch für das Rauschgift!“

Der Alte wirkte bestürzt. „Das wollte ich nicht. Das Rauschgift lindert meine verfluchten Kreuzschmerzen, sonst könnte ich mich gar nicht bewegen, denn kein anderes Mittel hilft mir mehr gegen den Krebs. Der Tod kommt früh genug! Ich wollte euch nicht belasten. Verzeih mir und erkläre es auch meinem Enkel! Er ist ein kluger Bursche!“

Hannelore Futschek wurde am 19. Juni 1951 in Wien geboren. Nach Matura und Studium in Wien heiratete sie 1975. Mit ihrer Familie zog sie 1984 ins Weinviertel. Sie übte mehrere Berufe aus, unter anderem als Bankangestellte, Bestatterin und Angestellte im Arbeitsmarktservice Niederösterreich, wo sie sich vor allem für die Karriere von Frauen und die Gleichbehandlung einsetzte. Seit ihrer Pensionierung schreibt sie Kurzgeschichten, in denen sie meist selbst Erlebtes schildert. Das Spektrum hat sie in den letzten Jahren um Romane erweitert, die auch Liebesgeschichten, Biografien und Krimis zum Thema haben. Bis dato wurden in mehreren Anthologien ihre Kurzgeschichten veröffentlicht. Auch die Acrylmalerei zählt zu ihren Hobbys.

*

Gartenbesuch

Kobolde, Trolle, wütende Elfen? Saras Fantasie schlug wilde Kapriolen. Als wäre ein nächtliches Unwetter durch den Garten getobt, so sah es aus. Weiße Fetzen, einstmals eine Plastiktüte, sprenkelten Terrasse, Beete, Rasen. In der Tüte hatte Sara im letzten Herbst Nüsse gesammelt, um sie nach und nach an die Eichhörnchen zu verfüttern. Das Futterhäuschen der Vögel lag runtergerissen von der Kette mitten auf der Rasenfläche. Die Eichhörnchen-Bar, die Sara mit ihrem Vater vor einem Jahr für den Garten der Großmutter zusammengezimmert und die sie gestern Nachmittag frisch mit Haselnüssen gefüllt hatte, hing nicht mehr am Nagel. Wo war sie geblieben? Saras Augen suchten den Garten ab und fanden sie unter dem großen Rhododendronbusch.

Sara verbrachte einige Tage bei ihrer Großmutter, worauf sie sich sehr gefreut hatte. Jeden Tag hatten sie sich etwas Schönes vorgenommen. Heute wollten sie in den Zoo gehen, aber das musste wohl einen Augenblick warten.

„Nun müssen wir erst einmal aufräumen!“, sagte ihre Großmutter mit einem Seufzer, nachdem sie am Morgen die Fensterläden geöffnet hatte. „Der Sturm heute Nacht hat einiges angerichtet.“

Der Sturm? Sara hatte offenbar tief und fest geschlafen und nichts mitbekommen. „Wie hatte der Wind das alles geschafft?“, wunderte sie sich. Wie hatte er eine Plastiktüte zerfetzt? Nein, Sara glaubte das nicht. Bestimmt war jemand im Garten gewesen. Aber so leicht kam man nicht herein, denn das Grundstück war von hohen Hecken umgeben, durch die sich höchstens ein Kind zwängen konnte. Und das Tor, das sich nur über die Gegensprechanlage öffnen ließ, war verschlossen gewesen. Andererseits, wer sollte sich die Mühe machen, erst über ein hohes Tor oder die Hecke zu klettern, um dann Schabernack – das war ein Wort aus dem Sprachgebrauch ihrer Großmutter – zu treiben? Sara zog die Stirn in tiefe Falten. „Kobolde, Trolle, Elfen?“

Ihre Großmutter lachte. „Nein, die waren es ganz bestimmt nicht!“

„Einbrecher?“, dachte Sara laut, die vielleicht gestört worden waren.

Aber diesen Gedanken ließ ihre Großmutter gar nicht erst zu. „Es war der Wind!“, behauptete sie steif und fest und machte sich daran, die Futterhäuschen wieder an die angestammten Plätze zu bringen, während Sara die Fetzen der Tüte zusammensammelte. Im Anschluss holten sie aus dem Keller Körner für die Vögel und Nüsse für die Eichhörnchen und füllten sie in die Behälter.

Am nächsten Morgen, die Sonne schien bereits in ihr Zimmer, sprang Sara aus dem Bett und eilte zum Fenster. Ob sie wieder dagewesen waren? Es war ein Bauchgefühl.

Und tatsächlich, ihr Gefühl trog sie nicht. Abermals lagen die Futterhäuschen auf der Erde. Dieses Mal war sie sich ganz sicher – am Abend waren die Futtertanks randvoll gewesen. Jetzt waren sie leer, das konnte sie bereits von Weitem sehen. Es waren eben doch Kobolde, Trolle oder Elfen. Oder Wichtel, die gab es ja auch. Es waren Wesen, die sich nicht nur Spaß machten und Schabernack trieben, sondern die ebenfalls Hunger hatten. Der Wind mochte die Häuser von ihren Plätzen getrieben haben, aber er hatte mit Sicherheit nicht die Körner und Nüsse verschlungen.

Aufgeregt sprang Sara die Treppe hinunter zu ihrer Großmutter, die in der von köstlichem Kaffeeduft erfüllten Küche saß und einen Becher mit dem heißen Getränk in den Händen hielt. „Hast du es gesehen?“, fragte Sara. „Ich glaube nicht, dass es der Wind gewesen sein kann!“

Ihre Großmutter nickte, nahm einen großen Schluck aus ihrer Tasse und sagte: „Ich habe nun einen Verdacht. Die Spuren sind eigentlich eindeutig. Nach dem Frühstück gehen wir raus, räumen auf und dann besprechen wir alles Weitere.“

Sara wäre am liebsten ohne etwas zu essen in den Garten gerannt, um zu sehen, welche Spuren ihre Großmutter meinte. Und sosehr Sara sie auch ausfragte, ihre Großmutter ließ sich nicht in die Karten schauen. Stattdessen frühstückten sie und gingen eine halbe Stunde später nach draußen. Die Großmutter wies Sara an, genau hinzuschauen, was sie sähe. Die Futterhäuschen lagerten heute an anderen Stellen als gestern, alle beide ohne Inhalt. Es waren auch keine Reste des Futters irgendwo zu sehen, gab Sara zu bedenken.

„Was siehst du noch?“, fragte ihre Großmutter.

Sara graste mit ihren Augen den Garten ab. Sah doch aus wie immer. Oder? Moment. In dem Beet, in dem im Herbst die schönsten Dahlien blühten, waren kleine Erdhaufen zu sehen, als hätte dort jemand gegraben. Sara begutachtete die Stelle genauer. Als hätte dort jemand mit der Hand und langen Fingernägeln gekratzt, so sah es aus. Und dann entdeckte sie den Abdruck einer sehr kleinen Hand mit Krallen in der frischen Erde. Sara schlug die Hand vor den Mund. „Ein Kobold!“, flüsterte sie.

Sie konnte den Gesichtsausdruck ihrer Großmutter nicht richtig deuten, aber es sah ganz danach aus, als versuchte diese, ein Grinsen zu unterdrücken, während sie eine kleine Glocke an das Futterhäuschen der Eichhörnchen knotete. „Wir legen uns heute Nacht auf die Lauer und werden sehen, wer da Schabernack treibt.“

Sara riss die Augen auf. Bei ihrer Großmutter versprach es immer abwechslungsreich zu werden. Aber das – sich auf die Lauer legen – das war der absolute Höhepunkt. Wen oder was würden sie überführen?

Nach dem Abendbrot saßen sie in der Küche im Schein von Kerzenlicht, ihre Bücher vor sich. Es musste eine stille Beschäftigung sein, damit sie in die Dunkelheit lauschen konnten. Sara pinselte lustlos, sie war mit ihren Gedanken überall, nur nicht bei ihrem Mandala, das sie in Frühlingsfarben ausmalen wollte. Mehrmals glaubte sie, etwas zu hören, aber ihre Großmutter meinte, wenn es so weit wäre, gäbe es einen deutlichen Lärm.

„Sara, wach auf!“

Jemand, ihre Großmutter, strich ihr sanft über den Arm. Sara war eingeschlafen. Als die Töne eines leisen Klingelns in ihr Bewusstsein drangen, war sie augenblicklich munter. Ja, da war etwas am Futterhäuschen.

Langsam schlichen sie ins Wohnzimmer. Im schwachen Licht der Straßenbeleuchtung sah Sara einen Schatten auf der Terrasse, einen kleinen Schatten. Ein Kobold? Als sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten und sich der Schatten bewegte, erkannte sie ein Fell. Eine Katze, ein Hund oder ein Fuchs? Für ein Eichhörnchen jedenfalls waren die Umrisse viel zu groß. Aber weder Katzen noch Hunde (oder Füchse) konnten so wendig klettern. Und dieses Wesen konnte eindeutig wie ein Äffchen klettern. Jetzt hing es unter dem Futterhäuschen und baumelte daran wie ein Faultier. Ein Faultier mit einem geringelten Schwanz.

„Dachte ich es mir“, murmelte ihre Großmutter.

„Was ist das?“, wagte Sara, nach einer Weile zu fragen. Irgendwie kam ihr das Tier bekannt vor und doch konnte sie es nicht einordnen.

„Ein Waschbär!“ Ihre Großmutter machte Licht im Wohnzimmer, riss die Terrassentür auf und schlug mit einem großen Kochlöffel auf einen Kochtopf. Im Nullkommanichts war das fellige Wesen verschwunden. „Die Tiere suchen nach Futter. Und wenn sie es sich bequem machen können, dann wählen sie gerne diesen Weg.“ Ihre Großmutter deutete auf den Garten. „Morgen werde ich die Futterhäuser entfernen und den Kompost durchsehen. Nicht, dass dort noch Fallobst lagert. Wenn sie keine Nahrung mehr finden, haben sie keinen Anreiz mehr, in den Garten zu kommen.“

Sara nickte benommen, so schnell war alles gegangen. Okay, ein Waschbär. Wer hätte das gedacht? Aber ein wenig enttäuscht war sie schon. Zu gerne hätte sie einmal einen Kobold zu Gesicht bekommen. Oder einen Wichtel oder Troll.

Ein Waschbär.

Sara schüttelte den Kopf. Kaum zu glauben.

Bettina Schneider,Jahrgang 1968, lebt in Berlin, verheiratet, zwei Kinder und ein Hund, Studium der Betriebswirtschaftslehre, im Anschluss zehn abwechslungsreiche Jahre im Rechnungswesen in der Privatwirtschaft, heute Freiraum für kreative Tätigkeit. Sie schreibt mit Begeisterung Kurzprosa, einiges davon ist veröffentlicht. Sie ist eine Leseratte, liebt Sonne und blauen Himmel und mag Waldspaziergänge.

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Mähmanuel - Der Bock des Gärtners ermittelt

Im Erwachsenenkrimi ist es immer der Gärtner. Im Kinderkrimi ist es hingegen der Bock des Gärtners, genau genommen Mähmanuel. Mähmanuel ist ein gewitzter Ziegenbock, der mit seiner tierischen Familie, nämlich den Ziegen Melli, Elli und Schaf Erna, auf einer Wiese hinter des Gärtners Haus lebt. Das Holzhäuschen des Gärtners steht in einem 12.000-Seelendorf, was sich wiederum unter meist weiß-blauem Himmel mitten in Bundesland Bayern befindet. Dort war die Welt noch in Ordnung, aber 500 Meter weiter im Nachbardorf, da brodelte sich was zusammen, das konnte Bock Mähmanuel riechen.

Im Nachbardorf befand sich der Gruber-Bauernhof. Vor ein paar Monaten war der Gruber-Bauer verstorben. Einfach so. Na ja, vielleicht hatte er sich ein bisserl zu ungesund ernährt und war aufgrund seiner angefutterten Speckwampe und der täglichen Schachtel Zigarren zu kurzatmig und starb deswegen dann mit 65 Jahren ein bisserl zu dick und ein bisserl zu früh. Bevorzugt ernährte er sich nämlich vom fettigen Schweinebraten und kugelrunden Semmelknödeln. Den gesunden Salat und das vitaminreiche Obst überließ er stets seinen Häschen und Hühnern. Tierlieb war er schon, der alte Gruber-Bauer. Zwar war er kein Veganer, aber immerhin behandelte er seine Nutztiere würdevoll und mit Respekt. Tierquälerei und Massentierhaltung waren dem Gruber-Bauer fremd. Seine Tiere hatten echtes Stroh als Einstreu, täglich Weidegang und er legte auf Mutter-Kalb-Haltung wert. Geschlachtet wurde auch auf der Weide, was unnötige Transporte vermied und somit möglichst wenig Stress bei den Tieren erzeugte.

Nun war allerdings der Gruber junior der einzige Erbe und Gruber junior war – mit Verlaub – ein echter Depp! Mit geringem Arbeitsaufwand das Maximum an Profit rausschlagen, das war sein Lebensmotto. Gruber junior stockte die Anzahl der Kühe auf, Weidehaltung und Schlachtung vor Ort schaffte er ab. Vielmehr verpachtete er die Weide an einen anderen Landwirt und ließ die Kühe ausschließlich im Stall auf Gitterrosten stehen. Die Kälber wurden schon kurz nach der Geburt von der Mama getrennt und so konnte jeder Tropfen Milch von der Kuh abgezapft und verkauft werden. Die paar Hühner und Hasen ließ der Gruber junior einfach vor sich hin vegetieren und gab ihnen nur sporadisch Futter.

Mähmanuel, der regelmäßig auf Erkundungstour durch sein Dorf marschierte und gern auch durch das Nachbardorf streifte, beäugte die großen Veränderungen auf dem Gruber-Hof skeptisch.

Drei Monate später musste Mähmanuel feststellen, dass die Ställe auf dem Gruber-Hof überfüllt, voller Kot und Matsch und die Tiere dort allesamt verwahrlost waren. Die Trinkgefäße und Futternäpfe waren nur mit Dreck befüllt, die Kühe, Hühner und Hasen hungrig und krank. Keinen sonst schien das Ganze zu stören oder überhaupt aufzufallen. Der Gruber junior war schlichtweg überfordert mit allem und lag meist bis Mittag im Bett.

Nachdem der Veterinär von der Aufsichtsbehörde ein guter Spezl des Gruber junior war, hatte dieser auch nichts von ihm zu befürchten. Im Sportunterricht damals hatte der Gruber junior den eigentlich unsportlichen Veterinär regelmäßig als Ersten in die Mannschaft gewählt und stets sein Moped für Ausfahrten mit Freundinnen geliehen, sodass der Veterinär als Dank beim Gruber junior stets ein Auge zudrückte beziehungsweise zuletzt sogar beide Augen zumachte, um keine Verstöße gegen das Tierschutzgesetz zu sehen.

Des Gärtners Bock Mähmanuel hatte für diese Machenschaften überhaupt kein Verständnis und so machte er sich schließlich auf und lärmte und sang tagtäglich vier Stunden lang vor des Gruber junior geerbtem Anwesen. So ein Bock konnte einen ganz schönen Lärm veranstalten, aber zwei Ziegen und ein Schaf, dazu noch viel mehr, und als dann noch Hund Lumpi, Katze Sissi, Hahn Kurti und der halbe Geflügelhof vom Bauer Sepp dazukamen, da gab das ein ordentliches Konzert. Und so geschah es, dass die Zeitungs- und Fernsehfritzen auf den ungewöhnlichen tierischen Gesangsverein aufmerksam wurden und folglich auch gleich auf den Skandal vom Gruber junior.

Zu Recht war der Aufschrei nun riesig! Die vernachlässigten Tiere wurden in Obhut des Amtes genommen, tierärztlich versorgt, auf mehrere Gnadenhöfe verteilt, geschlachtet beziehungsweise zum Teil leider auch notgeschlachtet. Der Gruber junior hingegen wurde auch versorgt, und zwar mit Handschellen und durfte eine ganze Weile hinter schwedischen Gardinen – so nennt man das Gefängnis – Kartoffeln schälen und über sein Verbrechen gegen das Tierschutzgesetz nachdenken. Sein Spezl, der Veterinär, durfte ihn übrigens beim Kartoffelschälen tatkräftig unterstützen.

In der Hoffnung, dass beide Halunken sowohl das Kartoffelschälen als auch das Nachdenken ernst nahmen, beende ich hiermit diese Geschichte mit der Bitte: Liebe Leser groß und klein, wenn ihr auch einmal Zeuge von Tierquälerei seid, zögert nicht und verpfeift den Tierquäler! Denn auch wenn der Bock nicht unbedingt zum Gärtner gemacht werden sollte, wenn ein Bock etwas zum Tierschutz beitragen kann, dann könnt ihr das erst recht!

P.S: Der Bock Mähmanuel sonnt sich übrigens nach seiner erfolgreichen Tierrettungsaktion im Kreise seiner drei Damen auf der saftigen Wiese hinter des Gärtners Haus.

Nicole Kristin Kessler,seit elf Jahren unverändert 27 Jahre jung, römisch-katholisch, Gärtnerehefrau, zwei Töchter (geb. 2016 und 2019), Makro-Mini-Hobbybauernhofbetreiberin in Bayern, Notarfachwirtin in der Schickeria (= München), süchtig nach Büchern. Diese Geschichte ist eigentlich für ihre meist zuckersüßen Töchter Madeleine und Josepha entstanden, aber wenn sich noch andere kleinen und großen Leser*Innen daran erfreuen, dann soll’s ihr recht sein.

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Krimi im Supermarkt

Heute war ein besonderer Tag, denn Paul, jetzt schon zehn Jahre alt, darf heute zum ersten Mal alleine einkaufen gehen. Er war schon oft mit Papa oder Oma einkaufen und durfte dann auch schon mal alleine etwas holen oder den Einkauf bezahlen. Aber alles alleine machen, das durfte er bisher nie.

Paul nahm sich die Einkaufsliste, das Geld und den Einkaufskorb und ging in den Flur. Dort zog er sich seine Jacke und Schuhe an und winkte seinem Vater zum Abschied zu. Nun ging es los und, auch wenn er es nie zugeben würde, Paul war sehr aufgeregt. Die Straße vor der Haustür erschien ihm viel größer und breiter als sonst, wenn er mit Papa unterwegs war. Doch Paul ließ sich davon nicht beeindrucken, er lief einfach ein wenig schneller und an der Ecke war der Laden ja auch schon. Erleichtert ging er hinein und sah gleich, dass die nette Verkäuferin da war, die ihn anlächelte und begrüßte: „Na, kleiner Mann, heute ganz allein unterwegs!“

Paul lächelte zurück, holte sich seinen Einkaufswagen und ging freudestrahlend hinein, dort zog er als Erstes seine Einkaufsliste aus der Jackentasche. Als er dort stand und überlegte, was er zuerst holen sollte, kam eine fürchterlich laute Person herein, die jeden anpöbelte und auch viele Leute schubste. Paul erschrak und versteckte sich hinter einen Kaugummiaufsteller. Dabei vergaß er seinen Einkaufswagen, an dem sein Einkaufskorb hing, mitzunehmen.

Dieser fürchterlich laut pöbelnde Mann sah den Einkaufswagen und meckerte gleich noch lauter los. Er trat ihn um, dabei fiel Pauls Korb im hohen Bogen auf die Erde und erreichte fast sein Versteck. Der Mann war immer noch sehr wütend und drohte jetzt auch noch, auf Pauls Korb loszugehen, da fasste Paul seinen ganzen Mut zusammen und rannte los, um seinen Einkaufskorb zu retten.

Paul war der Korb sehr wichtig, denn er war ständiger Begleiter seiner vor zwei Jahren verstorbenen Mutter. Egal ob sie mit ihm zum Spielplatz spaziert war, zum Einkaufen gegangen oder zur Arbeit gelaufen war, Paul kannte seine Mutter nur mit diesem Korb am Arm. Er rannte also los und erreichte ihn als Erster, griff sofort zu und beeilte sich, um sich im nächsten Gang schnell wieder zu verstecken. Paul bog an der nächsten Regal-Kreuzung ab und duckte sich wieder hinter einem Aufsteller, sein Herz klopfte ihm bis zum Hals, doch er war stolz, den Korb gerettet zu haben.

Als sich sein Herz wieder etwas beruhigte, hörte er von weiter hinten aus dem Gang, eine Stimme: „Hey, Junge! Komm ganz leise zu uns hier hinten!“

Paul schaute sich erstaunt um und sah plötzlich die nette Verkäuferin, sie befand sich weiter hinten im Geschäft und winkte Paul zu sich heran. Der überlegte noch etwas länger, ob er es wagen sollte, doch dann wollte er nur noch zu dieser netten, freundlichen Frau und rannte, so schnell er konnte, zu ihr. Sie umklammerte ihn gleich und lobte seinen Mut, dann schob sie ihn in einen Raum weit hinten im Geschäft und schloss hinter ihm die Tür ab.

Dort angekommen, schaute Paul in die erschrockenen Augen der anderen Kunden, die die Verkäuferin schon vor ihm gerettet und dort in Sicherheit gebrachte hatte

Ein Mann kam zu Paul und redete beruhigend auf ihn ein, dass die Polizei schon gerufen worden sei, dass der Raum sicher sei und so weiter. Doch beruhigend war das nicht, denn Paul machte sich Sorgen. Die nette Verkäuferin war doch noch draußen und der pöbelnde Mann brüllte noch genauso laut wie zu Beginn seines Einkaufs!

Plötzlich schrien immer mehr Männer, die Polizei war angekommen und versuchte, das Problem mit dem pöbelnden Mann zu lösen. Alle in diesem Raum waren totenstill und lauschten, doch es wurde irgendwie nicht leiser, sondern lauter, der Mann schrie den Polizisten wirre Sachen zu und diese schrien dann zurück. Erst wurde es immer lauter und lauter, doch dann war es schlagartig still. Keiner in dem Raum sagte ein Wort, die meisten trauten sich nicht mal mehr, zu atmen.

Da klapperte auf einmal das Schloss und die Tür sprang auf, viele erschraken und schrien los. Doch es war die freundliche Verkäuferin, die die erlösenden Worte sprach: „Es ist vorbei! Die Polizei führt ihn gerade raus und dann ist alles heil überstanden!“

„Meine Heldin!“, dachte Paul.

Susanne Kühnarbeitet ehrenamtlich an der Mildred-Harnack-Schule, wo sie mit einer Kollegin die Kreativ AG und den Buchclub leitet.

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Abenteuer auf Burg Gruselgrün

Am liebsten wäre ich wieder ins Auto gestiegen und irgendwo anders hingefahren. Denn eines war klar: Überall würde es aufregender sein als hier. Aber leider ist es immer so, dass sich die Kinder den Eltern fügen müssen. Und nun stand ich vor diesem alten Kasten, der sich Burg Gruselgrün nannte. „Jetzt sind wir endlich da. Ist das nicht die schönste Burg der Welt?“

Ich wollte schon antworten, aber mein Vater fuhr mit seinem Vortrag fort.

„Ja, diese Burg wird die nächsten zwei Wochen unser Zuhause sein. Ich finde …“

Ich habe nie erfahren, was er fand, weil ich ihn ungläubig fragte: „Zwei Wochen? Ich dachte, wir bleiben nur fünf Tage!“

„Nein, nein, Kleines. Deine Mutter und ich haben beschlossen, dass wir zwei Wochen bleiben. Übrigens, es soll ein tolles Programm geben.“

Ich konnte nicht glauben, dass meine Eltern auf so einen billigen Spruch reinfielen.

„Lasst uns reingehen!“, schlug meine Mutter vor.

In der Eingangshalle wurden wir von einem komischen Typen empfangen, zu dem mir nur ein Wort einfiel: Zombie. Er war bleich, hatte eine Glatze und starke Schatten unter den Augen. So ein richtiger Zombie eben.

„Guten Tag, ich bin Igor Gruselstein, der Hausdiener. Sie sind Familie ... äh …“

„Winkelbach. Das sind meine Frau Inge und meine Tochter Lisa. Und ich bin Franz Winkelbach.“

Zombie Igor schaute in ein Buch, das er vor sich liegen hatte. „Äh ... ja, Winkelbach. Sie haben das Zimmer 113. Hier ist der Schlüssel. Ach ja, bevor ich es vergesse, in einer Stunde ist eine ... äh ... Gruselführung durch die Burg geplant.“

„Die lassen wir uns natürlich nicht entgehen, oder?“

„Nein ...“, sagte ich gelangweilt. Keines der bisherigen Geschehnisse hatte mein Interesse geweckt.

Unsere Zimmer ließen zu wünschen übrig. Es gab weder Kühlschrank noch Fernseher. Eine Dreiviertelstunde später kamen wir wieder in die Eingangshalle. Jetzt musste ich mich auch noch mit dieser Führung herumquälen. Gott sei Dank konnte ich meinen 08/15 MP3-Player nach draußen schmuggeln. Das Handy war leider konfisziert. Ich hatte zu genaue Nachforschungen im Garten unseres Nachbarn angestellt und dabei das Rosenbeet zertrampelt. Die Konsequenz war Handyverbot.

Ungefähr in der Mitte der Führung legte sich eine Hand auf meine Schulter. Ich drehte mich um. Da sah ich ein Mädchen ungefähr in meinem Alter. Ich nahm einen Ohrstöpsel raus.

Sie sprach mich an: „Hallo, ich heiße Andrea. Aber alle meine Freunde nennen mich Andy. Wie heißt du?“

„Ich heiße Lisa. Die meisten nennen mich Lis“, antwortete ich.

„Was hörst du?“, fragte Andy.

„Deutsch Pop. Willst du auch?“

„Ja, gern.“

Wir unterhielten uns über Stars und Sternchen, dies und das – bis zum Ende der Führung. Dann stellte uns Zombie Igor das restliche Personal vor:

Gary Dracul, der Koch, sah aus wie ein Vampir. Seine Zähne hatten wohl auch noch nie eine Zahnspange gesehen, denn seine oberen Eckzähne standen vor wie bei einem dieser Blutsauger. Außerdem hatte er mit Gel zurückgekämmte, schwarze Haare. Seine bleiche Haut war nur ein Zusatz – oder ein Einstellungskriterium. Denn Werner Wolfszahn, der Gärtner, sah ebenfalls so aus, als würde er nur nachts rausgehen. Außerdem hatte er starke Körperbehaarung und eine lange, zottige Mähne. Manche nannten so etwas Matte. Langsam fragte ich mich, ob die Angestellten unter ihren richtigen Namen arbeiteten. Andy gab mir recht, es sah so aus, als würden hier nur Monster arbeiten.

„Falls wir uns noch mal treffen wollen. Meine Zimmernummer ist 126“, meinte Andy am Schluss.

„Okay, und meine ist 113.“ Wir verabschiedeten uns und die Gruppe löste sich auf, um zum Abendessen aufzubrechen.

Nach dem Abendessen gingen alle auf ihre Zimmer. Ich wollte noch einen guten Krimi lesen, damit mein Tag nicht vollkommen langweilig enden musste. Meine Eltern schliefen schon, als ich bei dem Teil angekommen war, an dem die Detektivin den Mörder stellte.

Plötzlich hörte ich draußen auf dem Gang Schritte. Ich hielt kurz inne, dachte mir dann nichts dabei und las weiter. Nach einiger Zeit fiel allerdings der Strom aus und ich saß im Dunkeln. Langsam beschlich mich das Gefühl, dass zwischen den Schritten im Gang und dem Stromausfall ein Zusammenhang bestand. Ich schnappte mir meine Taschenlampe.

„Welche Zimmernummer hatte Andy noch? Ach ja, 126“, dachte ich laut und machte mich auf den Weg zu ihrem Zimmer.

„124, 125, 126, da ist es ja!“, sagte ich leise. Ich klopfte zweimal. Nach dem zweiten Mal öffnete sich die Tür. Andy stand im Pyjama vor mir. Sie sah nicht verschlafen aus.

„Hast du gelesen?“, fragte ich sie.

„Ja. Hast du auch gemerkt, dass das Licht ausgefallen ist?“, kam die Gegenfrage.

Ich nickte nur. Wir wollten sehen, wer dafür verantwortlich war. Während wir durch die Gänge schlichen, erzählte ich Andy von den Schritten. Sie meinte, dass das derjenige gewesen sein müsste, der das Licht hatte ausfallen lassen – wer würde sonst durch die Gegend schleichen? Andy war gerade dabei, ihre Theorie näher zu erklären, als sie plötzlich ein lauter Eulenschrei unterbrach. Er kam nicht von draußen, denn er war laut und nah. Erschrocken blickten wir uns um.

Ich leuchtete auf den Boden. Dort befand sich ein Stolperdraht. Ich rief: „Ducken!“ Und schon sauste ein schwarzer Gegenstand hinunter.

„Eine Gummifledermaus mit Tomatensoße darüber“, stellte Andy fest.

---ENDE DER LESEPROBE---