Die Kugeln des Bösen - Chang Kuo-Li - E-Book

Die Kugeln des Bösen E-Book

Chang Kuo-Li

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Beschreibung

Rasant-lässige Sniper-Action aus Taiwan – schwarzer Humor trifft auf politische Intrigen Der »grillende Killer« Alex Li und Kommissar Wu lösen ihren 2. Fall im coolen Hard-boiled-Thriller »Die Kugeln des Bösen« von Chang Kuo-Li. Politthriller mit actionreichem Plot Wie durch ein Wunder trägt Taiwans Präsident Hsu nur einen Kratzer davon, als er während einer Wahlkampf-Veranstaltung Opfer eines Scharfschützenangriffs wird. Die Beweislage ist allerdings verwirrend: Die gefundene Patronenhülse passt nicht zur Kugel, und der Schusswinkel erscheint unmöglich. Kommissar Wu, für den Fall extra aus dem Ruhestand geholt, berät sich im Geheimen mit seinem Freund, dem Scharfschützen Alex Li, der sich noch immer versteckt halten muss. Schnell ist Alex überzeugt, dass das Attentat fingiert war. Aber von wem? Bevor Wu und Alex der Sache weiter nachgehen können, eröffnen taiwanische Spezialkräfte die Jagd auf den offiziellen Sündenbock: den »grillenden Killer« Alex Li! Eine wilde Flucht nach Japan beginnt, von deren Gelingen nicht zuletzt das Schicksal Taiwans abhängt … Humor und Spannung aus Taiwan Schwarzer Humor und ein fernöstliches Setting machen auch den 2. Teil der actionreichen Thriller-Reihe des taiwanischen Autors Chang Kuo-Li zu einem besonderen Genuss. »Krimifans, die einen spannenden Plot mit treffsicherem schwarzem Humor mögen, sollten zugreifen.« Krimi-Couch.de über Der grillende Killer

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Seitenzahl: 484

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Ähnliche


Chang Kuo-Li

Die Kugeln des Bösen

Thriller

Übersetzt nach der englischsprachigen Ausgabe von Alice Jakubeit

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Wie durch ein Wunder trägt Taiwans Präsident Hsu nur einen Kratzer davon, als er während einer Wahlkampfveranstaltung Opfer eines Scharfschützenangriffs wird. Die Beweislage ist verwirrend: Die Patronenhülse passt nicht zur Kugel, der Schusswinkel erscheint unmöglich. Kommissar Wu, für den Fall extra aus dem Ruhestand geholt, berät sich im Geheimen mit seinem Freund, dem Scharfschützen Alex Li. Schnell ist Alex überzeugt, dass das Attentat fingiert war. Aber von wem? Bevor Wu und Alex der Sache weiter nachgehen können, eröffnen taiwanische Spezialkräfte die Jagd auf den offiziellen Sündenbock: den »grillenden Killer« Alex Li!

Inhaltsübersicht

Widmung

1. Teil: Unter Beschuss geraten

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

2. Teil: Allein dastehen

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

3. Teil: Schatten jagen

TARO ’N JIRO’S BAR

1. Kapitel

2. Kapitel

4. Teil: Drachen töten

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

Leseprobe »Der grillende Killer«

Ich danke Tseng Cheng-chung für seine Beratung zur Waffentechnik.

Er stand mir beim Schreiben dieses Romans zur Seite, ebenso wie vor all den Jahren bei meinem Comic Change-Up.

Ein Roman ist wie ein Spielfilm ein fiktionales Werk. Das bedeutet aber nicht, dass sie das Gleiche sind.

1. Teil: Unter Beschuss geraten

»Im vierten Jahrhundert v.d. Z., in der Zeit der Frühlings- und Herbstannalen, gab es einen berühmten Attentäter. Jetzt dürft ihr nicht vergessen, Leute, dass viele Attentäter berühmt wurden, es aber nicht so vielen gelang, ihre Ziele tatsächlich zu töten. Jemanden zu töten ist nicht so einfach, wie ihr vielleicht glaubt.

Jedenfalls, dieser Attentäter hieß Zhuan Zhu und war, so die Geschichtsbücher, bekannt für seine Treue und seinen Gerechtigkeitssinn. So. Der König von Wu war gerade gestorben. Alle seine Kinder und Enkel zankten sich darum, wer ihm nachfolgen sollte. Prinz Guang war der rechtmäßige Erbe, aber sein Cousin, Prinz Liao, riss den Thron an sich. Wütend befahl Guang Zhuan Zhu, den Usurpator zu beseitigen. Zhuan Zhu holte Erkundigungen ein und erfuhr, dass Prinz Liao gern Fisch aß. Also machte er sich auf zum Tai-See, um zu lernen, wie man zarten, köstlichen Fisch zubereitet. Denkt an den Fisch, den man in einem Sichuan-Restaurant bekommt. In Sojasoße und Chili-Bohnen-Paste gedünstet … Oder an den Fisch in gelber Sojabohnensoße, den es neulich in der Kantine gab. Könnt ihr ihn nicht auch riechen?

Zhuan Zhu hatte also einen Auftrag. Und jeder Auftrag erfordert seine eigene Waffe. Auftritt Ou Yezi, der legendäre Waffenschmied aus der Zeit der Frühlings- und Herbstannalen, Schöpfer von fünf berühmten Schwertern. Für die ersten vier verbrauchte er den Großteil seines Metalls, deshalb wurde das fünfte Schwert kürzer, eher ein Dolch. Aber er hämmerte und hämmerte auf die Klinge ein, bis sie schimmerte wie die Schuppen am Bauch eines Fischs. Und sie war auch nicht länger als ein Fisch, deshalb wurde sie entsprechend genannt. Fischbauch.

Liao, nunmehr König von Wu, wurde berichtet, sein Cousin Guang habe einen Koch, der den köstlichsten Fisch zubereite, und so besuchte er ihn, um zu sehen, ob das stimmte. Natürlich wurde er während des Essens streng bewacht. Vertrauenswürdige Diener kosteten jedes Gericht vor, bevor es die Lippen des Königs passierte. Die Bediensteten wurden nach Waffen durchsucht, ehe sie sich dem Tisch nähern durften. Nach zahlreichen Gängen wurde das Paradestück serviert: der Fisch. Zhuan Zhu trug ihn selbst zum Tisch und beschrieb den Gästen die Zubereitung. Mit einem Mal riss er mitten im Satz den Fisch auf, entnahm ihm den darin verborgenen Dolch Fischbauch und durchstieß mit einem einzigen Hieb die mehrschichtige Rüstung des Usurpatorkönigs. Der König starb. Als die Wachen des Königs begriffen, was geschehen war, starb auch Zhuan Zhu.«

Der Ausbilder zeigte mit seiner halb gerauchten Zigarre auf die Schüler, die vor ihm saßen. »Versteht ihr die Moral der Geschichte?«

»Ja, Herr Oberst! Haltet euch an Sushi und Sashimi und lasst die Finger von ganzen Fischen.«

Die ganze Klasse lachte schallend.

»Es ist erst halb fünf, Tuan, hast du schon Hunger? Hättest du gern Ausgang, damit du dir Sushi besorgen kannst, hm? Zweimal Wache für dich heute Nacht, von elf bis eins und von fünf bis sieben, mal sehen, ob das deiner Verdauung hilft.«

Der Ausbilder tippte mit dem Zeigefinger auf die Zigarre, und Asche schwebte zu Boden.

»Diese Geschichte lehrt uns, dass ein Attentäter zuerst die Gewohnheiten und Vorlieben seines Ziels in Erfahrung bringen und dann, zweitens, die Umgebung erkunden muss. Und drittens, und das ist für Scharfschützen entscheidend, die richtige Waffe auswählen. Zhuan Zhu hat Fischbauch gewählt, weil es keine schärfere Klinge gab und weil sie klein genug war, um sie in einem Fisch zu verbergen, wodurch sie den Durchsuchungen entging. Wenn ihr wisst, dass euer Ziel nicht weiter als vierhundert Meter entfernt sein wird, benutzt ihr nicht das M200. Das ist selbst schon einen Meter vierzig lang. Plus fünfzig Patronen – jede zehn Zentimeter lang –, und ihr Schwächlinge hebt euch einen Bruch, bevor ihr auch nur in Stellung gegangen seid.«

Wieder Gelächter unter den Schülern.

»Denkt an Fischbauch. Fortschrittliche Technologie, leicht, praktisch. Ihr seid Scharfschützen, vergesst das nicht. Wir gehen nicht in den Supermarkt und kaufen die größte Tüte Teigtaschen, nur weil das am günstigsten kommt. Wobei ihr Vielfraße das garantiert so macht.«

 

Oberst Huang Hua-sheng, Scharfschütze bei einer Spezialeinheit der Armee, Scharfschützenausbilder

1

Um 9:17 Uhr schlug der Präsident sich die rechte Hand auf den Bauch. Er krümmte sich zusammen wie eine Garnele, dann kippte er nach rechts. Seine Hand löste sich vom Bauch, er packte das Geländer vor sich und hinterließ einen leuchtend roten Fleck darauf. Blut tropfte auf den Boden des Jeeps und bildete dort eine Pfütze in Form einer Chilischote.

 

Um 9:11 Uhr war Präsident Hsu Huo-sheng – von seinen Personenschützern seines Vornamens wegen, der wörtlich »der Feuergeborene« bedeutete, mit dem Codenamen »Phönix« belegt – mit seiner Fahrzeugkolonne in die Huayin Street eingebogen. Es war die Endphase des Präsidentschaftswahlkampfs. Hsu war als Workaholic bekannt, der morgens um sechs aufstand. Das hatte er schon als einfacher Anwalt getan, und als er Präsident geworden war, hatte er diese Gewohnheit beibehalten. Jeden Morgen ging er eine halbe Stunde aufs Laufband, bevor er beim Frühstück die Papiere zu seinem Briefing für den Tag las. Und diese Zeit war ihm heilig. Niemand, nicht einmal die First Lady selbst, wagte es, ihn zu stören.

Das Frühstücksmenü des Präsidenten fand Erwähnung in den Lebenserinnerungen eines kürzlich in Rente gegangenen Butlers im Wohnsitz des Präsidenten: Rindfleischsuppe auf Tainan-Art, um zu zeigen, woher er kam. Zwei einseitig gebratene Spiegeleier, wie die Amerikaner sie mochten, dazu acht Teigtaschen nach Festlandart mit Schweinefleisch und Frühlingszwiebeln, um zu zeigen, dass er nach allen Seiten hin offen war.

Der Präsident glaubte daran, so sein ehemaliger Butler, dass das Frühstück die Energie für den gesamten Tag lieferte. Es war daher von entscheidender Bedeutung zu essen, bis der Bauch voll war. Das Mittagessen konnte er auslassen, es sei denn, er hatte einen dienstlichen Termin, und dann bestand es in der Regel aus einem Bambusblattpäckchen mit Klebreis und Fleischfüllung und einer Vier-Kostbarkeiten-Suppe. Zum Abendessen bevorzugte er Steak, idealerweise in Streifen geschnitten und mit einem Hauch Sojasoße, Wasabi und kross gebratenem Knoblauch. Dazu Reis.

Präsident Hsus Vor-Frühstückslaune war berüchtigt. Einer Geschichte zufolge, die nach außen gesickert war, hatte er sich einmal an der Krawatte gestört, die man ihm herausgelegt hatte: »Was soll ich nur machen?«, hatte er getobt. »Einen Krawattendiener beschäftigen?« Diese Anekdote war selbstverständlich mehrfach von einem Sprecher des Präsidialamtes bestritten worden. Doch es stimmte, dass niemand den Präsidenten ansprach, bevor er gefrühstückt hatte. Und er lächelte nie, solange er sich in seinem Wohnsitz befand, auch nach dem Frühstück nicht. Sein Lächeln war das eines Politikers – seine Mitarbeiter, selbst der Premierminister, bekamen es nur selten zu sehen. Den Wählern hingegen war sein ungetrübtes Strahlen sicher.

Sehen Sie, Politiker lieben Wählerstimmen noch mehr als Wähler das Geld.

Der von seiner Wahlkampfzentrale veröffentlichte Zeitplan war in halbstündliche Slots unterteilt. Jeder Tag begann um 7:30 Uhr mit einer Besprechung in der Zentrale, an der Hsu teilnahm. Allgemeine Fragen wurden bis acht Uhr abgehandelt, danach besprach Hsu sich vertraulich mit seinen engeren Beratern. Um 8:45 Uhr stieg er dann in den Jeep und begab sich auf Wahlkampftour.

Der Start war auf 9:00 Uhr terminiert, um dem dichtesten Berufsverkehr zu entgehen. Die Fahrzeugkolonne fuhr auf der langsamen Spur, und Hsu im Heck des Jeeps winkte den Wählern und Wählerinnen zu, die aus ihren Bürofenstern sahen.

Präsident Hsu liebte den Wahlkampf. Während seiner ersten Amtszeit war im Leitartikel einer Zeitung gespottet worden: »Hsu ist möglicherweise der einzige Mensch in Taiwan, der am liebsten jedes Jahr Wahlen hätte.«

In den vorigen Wahlkampf war er mit einem Rückstand von siebzehn Prozentpunkten gegangen, den er auf drei Prozentpunkte gesenkt hatte. Letztlich hatte er mit einer Mehrheit von bloß 38808 Stimmen sensationell den Sieg errungen.

Den Lebenserinnerungen des Butlers zufolge hatte Hsu gleich am Tag seines Einzugs den gesamten offiziellen Wohnsitz erkundet. Der Butler hatte angenommen, der neue Präsident sei bloß neugierig auf sein neues Zuhause, doch dann wurde der wahre Grund ersichtlich. In dem Flur, an dem die Zimmer für ausländische Gäste lagen, war er stehen geblieben und hatte auf die Wand gedeutet: »Hängen Sie diese Gemälde in die Bibliothek. Ich möchte hier ein Foto des amtlichen Wahlergebnisses hängen haben.« Und zwar nicht nur mit den Stimmen für ihn selbst, stellte der Butler klar, sondern mit den Stimmen für alle Kandidaten.

Denn es gibt keinen Sieg ohne einen besiegten Gegner, und Gäste, die mit einer Einladung in den offiziellen Wohnsitz geehrt wurden, sollten wissen, dass sie einen Mann mit einer Leidenschaft für das Siegen trafen. »Seht«, würde dieses Foto verkünden, »hier sind meine besiegten Gegner.«

Reportern erzählte Hsu gern, dass er als Kind an Asthma gelitten hatte und seine Mutter mit ihm ins örtliche Krankenhaus gefahren war, wenn er einen Anfall hatte, wo man ihm eine Steroidinfusion gab und ihm Ruhe verordnete. Und während er ruhte, hatte er das Gefühl zu schweben, fühlte sich schwerelos. Anfangs überlegte der junge Hsu, ob das bedeutete, dass er tot war. Später kam er zu dem Schluss, dass er einfach flog.

Und so fühle es sich auch an, eine Wahl zu gewinnen, erzählte er den Reportern. Wie fliegen. Als hätte man ein bisschen zu lange am Steroidtropf gehangen.

Aber diese Wahl war wieder hart umkämpft. Hsu hatte vor Zuversicht gestrotzt, bis zwei Oppositionsparteien eine unerwartete und noch nie da gewesene Allianz eingingen und mit einem gemeinsamen Spitzenkandidaten antraten. Einer Meinungsumfrage vom vorigen Wochenende zufolge lag Hsu mit elf Prozentpunkten zurück.

Bei diesem Rückstand hätte jeder andere Kandidat eingepackt. Nicht so Hsu. Er zeigte nur umso mehr Einsatz. Jeder einzelne von Taiwans dreiundzwanzig Millionen Einwohnern wusste, dass Hsu keiner war, der sich geschlagen gab. Manche liebten ihn dafür, andere nannten ihn einen Dummschwätzer. Bei einer Ansprache vor seinen Wahlkampfhelfern, von der irgendjemand ein Video online gestellt hatte, sah man Hsu mit verzerrtem Gesicht brüllen: »Habt keine Angst, weil wir zurückliegen. Das spornt uns erst recht an.« Folglich war Hsus Terminkalender für die letzte Woche so vollgepackt, dass nicht einmal eine Mücke darin eine Lücke für sich gefunden hätte. Hsu machte seinen Plan deutlich: »Wir steigern die Wahlbeteiligung in unseren Hochburgen, und in ihren nehmen wir ihnen Stimmen ab.«

Und das erinnerte alle daran, was er gesagt hatte, als er sich um das Amt des Bürgermeisters von Taipeh beworben hatte: »Zieht man einen Wähler von der gegnerischen auf die eigene Seite, ist das so gut wie zwei Stimmen. Also sagt mir, wo ihre Wähler sitzen, und da gehe ich hin.«

Hsu im offenen Heck des Jeeps hörte das durch die Lautsprecher verstärkte Geschrei der Menge, noch bevor die Fahrzeugkolonne auch nur in die Huayin Street eingebogen war. Dort waren seine Anhänger, wie er wusste. Passanten auf den Gehwegen sahen ihn an, wenn er stolz und aufrecht vorbeifuhr wie zu einer weiteren vierjährigen Amtszeit bestimmt.

Von Hsus Wahlkampfzentrale in der Zhongshan North Street war die Fahrzeugkolonne durch die Nanjing West Street zur Chengde Street gefahren und bog nun auf die Huayin Street in Richtung Taiyuan Road ab. Dies war eines der wenigen verbliebenen traditionellen Viertel und früher eine Hochburg von Hsu gewesen. Mittlerweile eher nicht mehr. Seine Gegner hatten viel Geld in die Hand genommen und ihn als einen gewieften Politakteur dargestellt, der seine Prinzipien dem Profit opferte.

Aber er wusste, wie er darauf reagieren musste: »Ich bin in einer Gegend wie dieser geboren. Ich bin in einer Gegend wie dieser aufgewachsen. Und ich werde niemals die Mütter und Väter vergessen, die das Schulgeld für ihre Kinder Cent für Cent zusammenkratzen müssen. Sie können versuchen, meinen Namen zu beschmutzen, aber sie werden keinen Erfolg haben. Ich schwöre Ihnen hier, Hand aufs Herz, dass meine Regierung Ihnen dabei helfen wird, die Ausbildung Ihrer Kinder zu bezahlen.«

Die Phrasen, die aus den Lautsprechern des Jeeps tönten, waren zu hören, lange bevor die Fahrzeugkolonne zu sehen war. Hsu stand hinter der Fahrerkabine, eine Hand auf dem Geländer, das dort angebracht war, und mit der anderen winkte er in einem fort wie eine dieser japanischen Katzenfiguren. Er winkte unermüdlich, doch er konnte nicht leugnen, dass der Wahlkampf körperlich fordernd war: An den Innenseiten beider Ellbogen trug er Tapes, um die Muskelschmerzen zu lindern, und am Rücken hatte er runde Hämatome von der Schröpfbehandlung. Dies war ein wichtiger Tag für seinen Wahlkampf. Es waren nur noch sieben Tage bis zur Wahl, und der heutige Tag markierte den Beginn des Endspurts.

Ein Abgeordneter aus Hsus Partei seufzte und flüsterte einem Reporter ins Ohr: »Wenn Sie die Gelegenheit haben, filmen Sie ihn, wenn er das nächste Mal einen Tempel besucht. Er entzündet das Räucherwerk, dann schließt er die Augen und murmelt vor sich hin. Als würde er mit den Göttern reden oder so. Und wenn er fertig ist, ist er nicht mehr zu halten. Billiger als ein Sixpack Red Bull, schätze ich.«

Als die Lautsprecher seine Ankunft ankündigten, wurden auf der Huayin Street die Knallfrösche gezündet. Hsu schrie, hochrot im Gesicht: »Gebt mir noch vier Jahre, und ich verspreche euch, Taiwan wird das Land mit dem schnellsten Wachstum unter den Tigerstaaten sein. Der Aktienmarkt wird die 20000 erreichen. Das Durchschnittseinkommen wird 30000US-Dollar erreichen. Wir schaffen das, wenn wir zusammenarbeiten!«

Hsu hatte noch nie eine Wahl verloren. Bis jetzt.

 

Um Punkt 9:00 Uhr schloss der Mann – groß und dünn, weiß abgesetzte graue Adidas-Sneakers – das Metalltor zum Treppenhaus auf und eilte in den vierten Stock, begleitet vom Radau der Knallfrösche, der von der Straße hereindrang. Oben angekommen schloss er Zimmer 502 auf. Als er an das Fenster trat, das auf die Huayin Street hinausging, kam die Fahrzeugkolonne des Präsidenten gerade in Sicht.

Allerdings, stellte er fest, war seine Sicht durch Ladenschilder, die auf die Straße hinausragten, stark behindert, aber er wusste, in den anderen Zimmern würde es nicht besser sein, möglicherweise sogar schlechter. Er drückte ein Zielfernrohr ans Auge und stellte es scharf. Kein Zweifel: Dort, im Heck des Jeeps, stand Hsu Huo-sheng.

Der Mann beobachtete Hsu jetzt seit elf Tagen, und dabei war ihm eine Anhäufung von Lachfältchen am linken Mundwinkel des Präsidenten aufgefallen. Aus dieser Entfernung würde eine 5.56-mm-Patrone, auf diese Fältchen gezielt, den Kopf des Präsidenten zerplatzen lassen. Ganz ähnlich wie eine Wassermelone bei Schießübungen.

Als der Jeep hinter einem großen Ladenschild vorbeifuhr, verlor er sein Ziel aus den Augen. Gleich darauf erschien es wieder, doch jetzt verwehrte ihm eine Qualmwolke den Blick auf Hsus Gesicht. Jemand zündete direkt unterhalb des Hotelzimmers Knallfrösche, und dichte Rauchschwaden trieben durch die Straße. Der Mann steckte sich eine Zigarette an und setzte dann seelenruhig und mit geübten Griffen ein Scharfschützengewehr zusammen.

Er mochte das SWD. Ein Klassiker. Baujahr 1964, noch immer gut in Schuss und absolut zuverlässig. Ganz zu schweigen davon, dass es bloß 4,3 Kilo wog. Und dank jahrzehntelanger Handhabung und verschwitzter Wangen war der Kolben jetzt so glatt und weich wie Babyhaut.

Der Mann verwendete nur selten ein Zweibein, sondern stützte sich lieber an der Wand ab, schob den Lauf des SWD behutsam aus dem Fenster und nahm die besagten Lachfältchen ins Visier. Ohne hinzusehen, zählte er fünf Patronen ab, lud sie in ein Magazin und setzte es ein.

 

Der hinten offene, mit Transparenten geschmückte Jeep und seine Polizeieskorte wurden langsamer, als sie von der Chengde Road in die Huayin Street einbogen. Ein Dutzend uniformierter Polizisten trabte neben dem Jeep her; ein weiteres Dutzend in Zivil hatte sich in der Menge verteilt. Die Uniformierten waren durch kugelsichere Westen geschützt und mit Schlagstöcken, Betäubungsgewehren, geladenen Faustfeuerwaffen, Bodycams, Handschellen, Funkgeräten und ihren Mobiltelefonen ausgestattet. Die Kollegen in Zivil verfügten mehr oder weniger über die gleiche Ausrüstung, abzüglich der Schlagstöcke und Betäubungsgewehre, zuzüglich tragbarer Rechner, auf denen Ausweise und Fotos potenzieller Gefährder für die nationale Sicherheit gespeichert waren. Doch ob uniformiert oder nicht, ihnen allen brannte der Schweiß in den Augen, während sie inmitten der Guten nach einem bösen Jungen suchten, nach einer Bedrohung in der Masse.

Geschwind wie der Wind, standfest wie der Wald und so unerbittlich wie das Feuer starrten die Polizisten diejenigen nieder, deren Begeisterung sie zu nahe an den Jeep herandrängte. Es kümmerte sie nicht, wer die Wahl gewann. Sie wollten lediglich, dass es friedlich zuging.

Der vom Wahlkampfbüro herausgegebene Ablaufplan hatte der Polizei von Taipeh nur eine Stunde Zeit gegeben, um sich mit dem für den Schutz des Präsidenten verantwortlichen Special Service Command Center des Geheimdiensts National Security Bureau abzusprechen und die Route zu überprüfen. Diese Aufgabe war dem Polizeirevier Datong zugefallen. Und vor Abfahrt der Fahrzeugkolonne hatte der Leiter der Polizeieskorte seine Marschorder ausgegeben: Überprüft, ob eure Waffen geladen sind, und wenn jemand Ärger macht, seid nicht zimperlich. Betäubt sie, besprüht sie mit Gas, erschießt sie.

Die von Hsus Anhängern gezündeten Knallfrösche waren nicht der einzige Willkommensgruß für seine Fahrzeugkolonne: Sein Gegner Gu Yan-po hatte dafür gesorgt, dass auch Demonstranten vor Ort waren, die ihn verhöhnten. Gu hatte die Huayin Street bereits dreimal besucht; für Hsu war es der erste Auftritt hier. Von seinem Platz im Heck des Jeeps aus sah Hsu links alte Männer mit Gu-Yan-po-Baseballkappen und rechts alte Frauen in fluoreszierenden gelben Westen mit Gus Namen darauf. Gus Transparente hingen aus den Fenstern mancher Wohnungen. Der leitende Polizeibeamte richtete sich auf und musterte die Menschen noch genauer. Auch wenn Hsus Anhänger ihm einen lärmenden Empfang bereiteten, war dies noch immer feindliches Terrain.

Doch damit konnte Hsu Huo-sheng umgehen, er war nicht leicht abzuschrecken. Die gesamte Straße könnte mit Gus Transparenten gepflastert sein, er würde dennoch kommen. Eine Wählerstimme ist immer noch eine Wählerstimme. Die Lautsprecher kündeten von seinen Leistungen als Präsident – einige dieser Leistungen waren Hsu selbst nicht bekannt.

Das Pflaster in dem Abschnitt der Huayin Street, der eine Fußgängerzone war, war vor fünf Jahren erneuert worden, hatte sein Wahlkampfbüro herausgefunden. Damals war Hsu Bürgermeister von Taipeh gewesen. Und mit fünfunddreißig hatte er als frischgebackener Stadtrat im örtlichen Tempel an einer Zeremonie zur Feier des Geburtstags der dort residierenden Gottheit, des Göttlichen Herrn Jinchi, teilgenommen. Überdies hatte sich herausgestellt, dass seine Großmutter väterlicherseits, als sie mit Hsus Vater schwanger gewesen war, auf Arzneien eines längst vergessenen, ehemals in der Huayin Street ansässigen Apothekers vertraut hatte. Ohne die Huayin Street hätte es keinen Hsu Huo-sheng gegeben, könnte man sagen.

Das war einer der Vorteile eines Wahlkampfs. Alle diese vergessenen Augenblicke, diese Schnipsel aus der Familiengeschichte, fielen wie Hagelkörner vom Himmel und verschafften sich Gehör.

In Taiwan lebten etwa dreiundzwanzig Millionen Menschen. Wenn man alle abzog, die zu jung zum Wählen waren, alle, die niemals wählen gingen, und alle, die schon bei einem leichten Schauer zu Hause blieben, benötigte man etwa sieben Millionen Stimmen, um zu gewinnen. Also schlug Hsu mit der rechten Faust in die linke Hand und rief der Menge zu:

»Ihre Stimme! Ihre Stimme ist die einzige, die ich brauche!«

Präsidentschaftskandidaten sind nicht für ihre Zurückhaltung bekannt. Sie kämpfen Straße für Straße, Gasse für Gasse, ihren Kontrahenten stets dicht auf den Fersen, eingehüllt in eine gemeinsame Aura aus Schweiß und Geschrei.

Schließlich gaben sich auch Hsus scheuere Anhänger zu erkennen und kamen aus ihren Wohnungen auf die Straße. Sie erwiderten das Winken des Präsidenten und forderten seinen Sieg. Die derart weiter angewachsene Menge drängte vor zum Jeep.

Obwohl die Huayin Street vor über zehn Jahren ausgebaut worden war, war sie noch immer schmal und hauptsächlich von viergeschossigen Mehrfamilienhäusern mit Blechdächern gesäumt. Von der Witterung korrodierte Fenstergitter aus Metall zeugten von den Ängsten der Anwohner vor Einbrechern.

Von diesen Gittern war zuletzt 1981 die Rede gewesen, als Lin Yang-kang, seinerzeit Innenminister, auf Fragen im Parlament geantwortet hatte, er sei entschlossen, »der Sicherheitsgitterbranche eine Rezession zu bescheren«, indem er die Kriminalität bekämpfte. Die Fenstergitter hatten Lin Yang-kang überlebt und waren immer noch da, nur rostiger als früher.

Winkende Hände wurden zwischen den rostigen Gitterstangen hindurchgestreckt; die Anhänger auf der Straße drängten näher an den Jeep heran. Aus dem Kommandowagen am hinteren Ende der Fahrzeugkolonne kamen Befehle, und die Uniformierten umstellten den Jeep und bildeten eine menschliche Barriere. Dies passte dem Präsidentschaftskandidaten wiederum gar nicht, der sein Publikum dicht um sich haben wollte in der Hoffnung, die Fernsehkameras würden ein paar gute Bilder davon zeigen.

Hsu warf die Arme in die Luft und rief der Menge zu: »Ich, Hsu Huo-sheng, bin euer Diener. Ihr alle wisst, was ich im Amt für euch getan habe, meine Erfolgsbilanz lässt sich nicht bestreiten! Was sagt ihr?«

Applaus und Pfiffe übertönten, was die Leute dazu zu sagen hatten. Die Straße war mittlerweile in dichten Rauch gehüllt.

 

Zwanzig Minuten zuvor hatte sich Alex in einem japanischen Café an einer Kreuzung auf der Huayin Street zum Frühstück niedergelassen: Reis mit Meeresfrüchten. Die Garnelen waren nicht vollständig aufgetaut, sodass immer wieder Eiskristalle zwischen seinen Zähnen knirschten, während der Thunfisch so häufig eingefroren und wieder aufgetaut worden war, dass der Geschmack, wenn man pingelig sein wollte, als fragwürdig zu bezeichnen war. Es störte ihn nicht groß. Er beträufelte sein Frühstück einfach mit Sojasoße, bis jedweder fragwürdige Geschmack übertüncht war.

Er wartete bereits eine Viertelstunde länger als geplant und war niemand, der sich gern versetzen ließ. Doch Wu war auch kein Mann, der ein Versprechen nicht hielt.

Es war eine ganze Weile her, dass er Wu gesehen hatte. Mit seinem Sohn hatte er mehr Kontakt, wenn auch bloß online und auch nur gelegentlich. Aber das hier, ein Treffen, das Wu persönlich per Textnachricht verabredet hatte, war ungewöhnlich.

Alex, Frühstück? Wir haben etwas zu besprechen.

Und es war nur richtig, dass Alex fünf Minuten zu früh eintraf, wenn er einen Angehörigen einer älteren Generation traf. Er hatte seinen Platz so gewählt, dass er einen Pfeiler im Rücken hatte, und behielt die Straße draußen im Auge. Nur sicherheitshalber. Er hatte nicht damit gerechnet, dass so viel los sein würde. Touristen auf der Suche nach Instagram-tauglichen Spots; Anwohner, die ihre üblichen Frühstückslokale ansteuerten; Ladenbesitzer, die ihre Rollläden hochzogen und die Ware vor die Tür stellten. Alex war kein Fan von belebten Plätzen. Und Wu wusste das. Warum also hier?

Explodierende Knallfrösche und ein Reporteransturm kündigten die Fahrzeugkolonne des Präsidenten an. Dies war keine Umgebung mehr, die er kontrollieren konnte. Zeit zu gehen. Er beglich die Rechnung, und als er sah, dass das andere Ende der Straße durch die Fahrzeugkolonne blockiert war, tauchte er in der Menge unter, die Baseballkappe tief ins Gesicht gezogen.

Er konnte nicht einfach davonstürmen. Überall würden bewaffnete Polizisten sein, darauf trainiert, jeden zu entdecken, der nicht ins Bild passte. Also wartete Alex auf eine Gelegenheit, sich davonzustehlen.

 

Das Gesicht vom Schirm seiner Baseballkappe verborgen, fand Alex einen Platz unter dem Ladenschild eines Sandwichlokals und beobachtete von dort zusammen mit den übrigen Leuten die Fahrzeugkolonne. Er konnte nicht sofort gehen, ohne sich verdächtig zu machen. Alle auf der Straßen drängten sich um den Jeep; er würde auffallen, wenn er in die andere Richtung ginge. Es war dumm gewesen, überhaupt herzukommen, ohne mit Wu gesprochen zu haben, wurde ihm klar. Warum sollte Wu eine Textnachricht schicken, von seinem eigenen Telefon aus, an einen von der Polizei gesuchten Mann? Und wenn Wu diese Nachricht nicht geschickt hatte, wer benutzte dann seine Nummer?

Alex suchte sämtliche Gesichter in einem Radius von zehn Metern ab. Nichts Verdächtiges, aber seine Kopfhaut kribbelte trotzdem. Irgendwo war jemand und beobachtete ihn. Er machte sich eine Wolke Knallfroschqualm zunutze und glitt weiter in die Menge hinein, um kein leichtes Ziel abzugeben.

Zwei Polizeiwagen vom Revier Datong rollten vor und drängten die Menge zurück. Der Jeep folgte dicht dahinter. Auf dem gegenüberliegenden Gehweg entzündete jemand eine weitere Schnur Knallfrösche. Durch den Rauch hindurch erspähte er einen Polizisten in Zivil, zu erkennen an der verräterischen Ausbeulung im Rücken der Jacke, wo sich die Faustfeuerwaffe verbarg. Auf den Streifenwagen drehten sich Kameras und nahmen alles auf, was sie sahen. Er senkte den Kopf wieder. Vor ihm drängte ein Mann auf den Jeep zu, eine Frau folgte ihm. Keiner von beiden war bewaffnet, aber irgendetwas sorgte dafür, dass sich das warnende Kribbeln weiter ausbreitete.

Noch immer knallten die Böller. Alex wandte den Blick einen Augenblick lang vom Jeep ab und ließ ihn über die Gebäude gegenüber wandern, eine Etage nach der anderen. Weit oben sah er reflektiertes Licht aufblitzen, nur eine Sekunde lang. Der Jeep war jetzt auf seiner Höhe, und während der Präsident alle Aufmerksamkeit auf sich zog, ging Alex in die Hocke, nahm die Baseballkappe ab und legte sie auf einen der Tische des Sandwichlokals.

 

Der Erste, der merkte, dass mit dem Präsidenten etwas nicht stimmte, war der zweiundsiebzigjährige Bezirksvorsteher, der beim Wahlkampf half. Er stand auf der Warteliste für eine Kataraktoperation, hatte das Hörgerät verweigert, das ein Enkel ihm vorgeschlagen hatte, und litt unter den Frühsymptomen einer Parkinson-Erkrankung. Doch als der Präsident auf ihn fiel und sie um ein Haar beide vom Jeep gepurzelt wären, konnte ihm das schlecht entgehen.

Der Bezirksvorsteher reagierte nicht sofort, aber nachdem er ein, zwei Sekunden lang stumm den Präsidenten gestützt hatte, brachte er einen Ausruf zustande:

»Blut! Da ist Blut!«

Und Blut ist ein Wort, das einem die Aufmerksamkeit sichert.

Der Leibwächter hinter dem Präsidenten wandte an, was er gelernt hatte. Er stieß den Bezirksvorsteher zur Seite und hechtete vor, um den zusammengesackten Körper des Präsidenten mit seinem eigenen zu schützen. Ein weiterer Personenschützer kniete sich mit gezogener Waffe neben ihn und zielte auf die Fenster der Mehrfamilienhäuser zu beiden Seiten der Huayin Street.

Von irgendeinem Dach stieg ein Vogelschwarm auf und kreiste über dem Jeep, und das löste den einzigen Schuss aus, der am Tatort zu hören war: Der Personenschützer, dessen Nerven bereits zum Zerreißen gespannt waren, feuerte instinktiv auf die Bewegung. Die Vögel stoben auseinander und ließen ein paar Federn zurück, die sachte zu Boden schwebten.

Mit finsterer Miene blaffte der Personenschützer in sein Mikrofon. Bei dem Radau, den die vielen Menschen machten, hörte ihn niemand. In dem schwarzen SUV, der dem Jeep folgte, schaltete jemand die Sirene ein, und zwei Motorräder mit Beiwagen begannen, unterstützt von den Polizeibeamten, die zu Fuß auf der Straße waren, eine Rettungsgasse zu öffnen. Die Beamten um den Jeep herum zogen in einer einzigen, wie choreografiert wirkenden Bewegung ihre Faustfeuerwaffen und liefen mit der Fahrzeugkolonne mit, als diese beschleunigte und aus der schmalen, unübersichtlichen Huayin Street auf die vergleichsweise sichere Taiyuan Road abbog. Die versammelten Menschen blieben verwirrt zurück.

Phönix wurde angeschossen!

Nur sechs Minuten nachdem die Fahrzeugkolonne auf die Huayin Street eingebogen war, war sie wieder fort.

Phönix wurde angeschossen!

 

Der Mann in dem Hotelzimmer beobachtete, wie der Präsident zusammenbrach und seine Eskorte wie eingeübt reagierte: Einige bewachten mit gezückten Waffen den Jeep; andere schwangen die Schlagstöcke und machten einen Fluchtweg frei. Im Heck des Jeeps huschten geduckte Gestalten umher.

Und der Wagen kam näher. Der Gewehrlauf folgte ihm, als er hinter den Ladenschildern hervor und in Schussweite kam. Der Mann entsicherte, schloss das linke Auge, atmete tief ein und hielt den Atem an. Das rechte Auge ans Zielfernrohr seines Gewehrs gedrückt, ließ er den Blick ein letztes Mal über die Straße wandern. Im überdachten Gang gegenüber fiel ihm ein Mann auf, der unter dem Schirm seiner Baseballkappe hervor zu ihm heraufsah. War das …? Doch bevor er einen zweiten Blick auf sein Gesicht werfen konnte – konnte er es wirklich sein? –, war der Mann fort, und seine Baseballkappe lag auf einem Tisch und wurde gleich darauf von der herandrängenden Menge zu Boden gestoßen.

Der Mann sicherte die Waffe wieder, wandte sich vom Fenster ab und ging zur Tür. Dann zögerte er. Er nahm zwei Patronen aus dem Magazin, drehte die Kugeln aus der Hülse und schabte mit einem Taschenmesser das Schießpulver heraus. Das Pulver flog aus dem Fenster, dann wurden etwaige Reste in den Hülsen mit einem Feuerzeug abgebrannt. Schließlich stellte er die beiden Patronenhülsen ordentlich nebeneinander auf die Fensterbank. Er spuckte aus, und der Zigarettenstummel fiel auf den gefliesten Boden. Ein Fuß, erhoben, um die Glut auszutreten, hielt auf halbem Weg inne. Er ließ sie brennen.

Vielleicht war ihm nicht klar, was für ein Inferno nur wenige Funken verursachen können.

Er verließ das Haus auf dem gleichen Weg, auf dem er auch gekommen war, schloss zuerst Zimmer 502 und dann die Brandschutztür wieder ab. Auch jetzt kein Aufzug. Leichtfüßig lief er die Treppe hinab, von niemandem gesehen. Draußen ertönten Sirenen. Dann Rufe, dann Schreie. Auf der Straße angelangt, sauste er durch eine Gasse und zeigte keinerlei Bedauern darüber, dass ihm die Show entging.

2

Der stellvertretende Leiter der städtischen Polizei von Taipeh, Lu, saß in einem schwarzen Minivan am hinteren Ende der Fahrzeugkolonne, als das Funkgerät knisternd zum Leben erwachte und meldete, dass auf den Phönix geschossen worden war. Er setzte seinen kugelsicheren Helm auf, sprang aus dem Wagen und schrie die nächststehenden bewaffneten Polizisten an.

»Ich will alle auf den Knien sehen!«

Sechs Automatikgewehre wurden angelegt, und der Leiter der Einheit brüllte: »Auf die Knie! Alle auf die Knie!«

Angst, die beste Methode, einen chaotischen Tatort unter Kontrolle zu bringen. Die beste Methode, Angst einzuflößen? Schusswaffen. Innerhalb weniger Sekunden kniete die gesamte Menschenmenge und war still.

»Tatort sichern!«

Die Uniformierten wie auch die Beamten in Zivil sperrten die Stelle, an der der Jeep gerade eben noch gestanden hatte, mit gelbem Flatterband ab. Bewaffnete Polizisten des Reviers Datong eilten von den nahe gelegenen Wachen herbei und riegelten die Straße an beiden Enden ab.

Der stellvertretende Polizeichef Lu hatte sich bei der Einsatzbesprechung absolut – und wiederholt – klar ausgedrückt: »Wenn was passiert, Tatort abriegeln. Niemand darf weg.« Oder, wie er es lieber ausgedrückt hätte: »Wenn sie pinkeln müssen, sollen sie in den Rinnstein pinkeln. Wenn sie kacken müssen, können sie sich in die Hose kacken. Nicht mal der Göttliche Herr Jinchi selbst darf weggehen, solange ich es nicht erlaube.«

Der Göttliche Herr Jinchi saß ganz ruhig auf einem Altar in einem Tempel in einer Gasse. Er ging nirgendwohin, hatte auch gar kein Verlangen danach. Aber er verfolgte stumm, wie ein großer dünner Mann mit gesenktem Kopf und einem sehr großen Rucksack vorbeiging und nicht stehen blieb, um Räucherwerk zu entzünden oder sich hinzuknien. Einige Sekunden später trabte eine bewaffnete Polizeieinheit in Gegenrichtung vorüber. Auch diesmal kein Räucherwerk, kein Knien.

 

Einundzwanzig Automatikgewehre und siebenundzwanzig Faustfeuerwaffen hielten die Huayin Street unter Kontrolle. Lu, der stellvertretende Polizeichef, schrie die kniende Menge in einem Ton an, der einschüchtern sollte:

»Nicht mal eine Ratte darf hier raus. Und wenn es eine versucht, wird sie erschossen!«

Die knienden Bürger starrten zu Boden. Suchten vielleicht nach ungehorsamen Ratten. Doch um diese Uhrzeit waren hier keine. Es gab Kakerlaken, die vor den umherstampfenden Polizeistiefeln davonhuschten, und Papierfetzen von den Knallfröschen, auch sie von den stampfenden Polizeistiefeln in Aufruhr versetzt. Aber keine Ratten.

Die Huayin Street begann hinter dem Taipeher Hauptbahnhof und führte zum Einkaufsviertel Yuanhuan. Vor dem Neubau des Bahnhofs hatte dieses Gebiet Großhändler diverser Waren beherbergt: chinesische Medizin in Dadaocheng, Kleidung in der Taiyuan Road, Geschenke in der Chang’an West Road. Und natürlich war es die Heimat des Yuanhuan-Nachtmarkts gewesen, seinerzeit berühmter als sein Konkurrent in Shilin. Die Huayin Street selbst zog, eingezwängt zwischen breiteren und auffallenderen Straßen, nicht viel Aufmerksamkeit auf sich. Doch sie war da, ging weiter ihren Angelegenheiten nach und sah die Zeit vergehen und die Welt sich weiterdrehen. Sie sah mit an, wie Yuanhuan abgerissen wurde und steigende Einkommen den Nachtmarkt zwangen, zur Ningxia Road umzuziehen; wie die Kleidungsgroßhändler begannen, Socken und Damenunterwäsche aus Korea zu verkaufen, während die Tabakläden auf ihren Schildern den Satz »Rauchen schadet Ihrer Gesundheit« ergänzten. Aber die Huayin Street machte so weiter wie immer, und Jahrzehnte vergingen, ein Tag unspektakulärer als der andere. Bis heute.

Zwei uniformierte Polizisten zeichneten mit Kreide auf die Straße, wo der Jeep zum Zeitpunkt der Schüsse gestanden hatte. Ein Zeuge – männlich, das Mobiltelefon in der Hand und mit Sandalen – wartete in der Nähe.

Lu blickte die Huayin Street entlang, in der immer noch der Rauch der Knallfrösche hing.

»Sucht die Straße ab«, befahl er.

Acht Beamte stellten sich an einem Ende der Straße in einer Reihe auf und rückten langsam vor, die Augen auf den Boden vor ihnen gerichtet. Sie wussten, wonach sie suchten: Kugeln, Patronenhülsen, Blut, alles, was mit dem Schuss in Verbindung stehen könnte.

Der Augenzeuge wurde vor den stellvertretenden Polizeichef geschleift.

»Das ist Herr Cai, ihm gehört eins der Geschäfte. Er hat gerade gefilmt, als auf den Präsidenten geschossen wurde.«

Die Aufnahmen waren nicht sonderlich gut: zu viel Rauch, und die kugelsicheren Scheiben an den Seiten des Jeeps waren auch nicht hilfreich. Doch man sah, wie der Personenschützer im Jeep sich über den Präsidenten warf.

»Der Mann mit der Baseballkappe da, wo stand der?«, fragte Lu, dem die einzige Person in der Menge aufgefallen war, die den Kopf gesenkt hielt. »Direkt gegenüber?«

»Ich stand vor meinem Laden, er war direkt gegenüber von mir. Ich habe ihn gesehen, als der Jeep des Präsidenten vorbeifuhr.«

Der stellvertretende Polizeipräsident stellte sich vor Herrn Cais Koffergeschäft.

»War sonst noch jemand in der Nähe?«

»Jede Menge Leute, alle hielten ihre Handys hoch und haben gefilmt.«

Lu ging zu dem überdachten Gang auf der anderen Straßenseite, wobei er seine Schritte zählte, und vollzog dann eine zackige Kehrtwende. Er stand unter einem Schild, das für Sandwiches warb, neben einem wackligen Klapptisch.

»Der Mann mit der Baseballkappe stand also hier?«

Herr Cai nickte, und ein Polizist sprühte einen Kreis aus Farbe um Lus Füße.

Der stellvertretende Polizeipräsident kniff ein Auge zu und blickte die Straße entlang. Wenn er eine Schusswaffe hätte, wenn er der Schütze wäre, wenn er von hier aus geschossen hätte … hätte er den Präsidenten in den Rücken getroffen.

Er bezähmte den Impuls, »peng« zu sagen, und ging stattdessen in die Hocke, um sich die von zahllosen Füßen niedergetrampelte Baseballkappe näher anzusehen.

»Ist das die Kappe?«

Herr Cai nickte. »Ich glaube schon.«

»Tütet sie ein.«

Lu hatte sein erstes Beweisstück – und damit, hoffentlich, DNA-Spuren.

Die zweite Zeugin war eine alte Dame, die Zünderin all der Knallfrösche und allen Anwohnern der Huayin Street bekannt.

»Oh, ich habe sie nicht für ihn gekauft. Ich habe sie zum Geburtstag des Königs der Affen morgen gekauft. Aber der Präsident war hier, und da dachte ich, das ist ein guter Anlass, um sie zu zünden …«

Eine schnelle Umfrage unter den übrigen Ladenbesitzern bestätigte, dass morgen tatsächlich der Geburtstag des Affenkönigs war, und mehrere von ihnen hatten aus diesem Anlass Knallfrösche gekauft. Die alte Frau wohnte in der Huayin Street, seit sie mit neunzehn Jahren geheiratet hatte. Abgesehen von gelegentlichen Ausflügen in ihr Heimatdorf in Miaoli verließ sie die Gegend kaum. Niemand hatte ihr Knallfrösche geschenkt oder sie dafür bezahlt, sie zu zünden. Sie hatte einfach vorgehabt, den Affenkönig zu ehren.

Aber als sie den Bezirksvorsteher, den sie gut kannte, im Jeep gesehen hatte, hatte sie ihren Enkel ins Haus geschickt, die Knallfrösche zu holen, sie mithilfe eines Stocks an die Regenrinne gehängt und mit zitternden Händen angezündet.

Im nahe gelegenen Tempel bestätigte man ihre Geschichte: Am nächsten Tag war der Geburtstag von Sun Wukong alias der Affenkönig, und der Stadtrat hatte eine Prozession um die Tempelgebäude genehmigt. Lu wies nicht darauf hin, dass der Affenkönig eine fiktive Gestalt war, die vor einigen Jahrhunderten von einem Romanautor erschaffen worden war und als solche keinen Geburtstag hatte. Oder hatten sie etwa die Geburtsurkunde des Affenkönigs irgendwo vorliegen?

Der dritte Augenzeuge war ein gewisser Herr Xian, ein Tourist aus Hongkong, der zwei Tage zuvor mit Frau und Tochter in Taiwan eingetroffen war. Die Familie war auf der Suche nach Sashimi und Donuts in die Huayin Street gegangen. Vom Besuch des Präsidenten hatten sie nichts gewusst.

»Ich war vor dem Jeep, da in dem Bogengang. Ich habe gesehen, wie der Präsident sich gekrümmt hat, als hätte er Bauchschmerzen, und dann hat die Polizei angefangen, mit Waffen rumzufuchteln.«

Eine rasche Durchsuchung ergab, dass die einzige potenzielle Waffe, die Herr Xian bei sich trug, ein Selfiestick war. Seine Hände wurden vergeblich auf Schussrückstände untersucht. Ebenso wenig bestand Anlass, seine Frau oder seine Tochter zu verdächtigen. Sie mussten noch warten, bis man überprüft hatte, ob sie die waren, die sie zu sein behaupteten, aber nach einer halben Stunde konnten sie gehen. Nicht zurück nach Hongkong natürlich. Sondern um sich in die Donut-Schlange zu stellen. Lu schüttelte den Kopf und fragte sich, was, abgesehen von einem Kometeneinschlag, die Leute davon abhalten würde, nach Snacks zu gieren, mit denen man ihnen auf Instagram den Mund wässrig gemacht hatte.

Dann kam eine Nachricht von seinem Chef, dem Polizeipräsidenten, der direkt ins Krankenhaus gefahren war. Er bestätigte, dass dem Präsidenten in den Bauch geschossen worden war, verlor jedoch kein Wort über seinen Zustand.

Lu steckte das Telefon wieder ein und ließ den Blick nochmals über den Tatort wandern. Das Special Service Command Center hatte im Jeep zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen installiert. So war das offene Heck an drei Seiten von kugelsicheren Scheiben geschützt, und an der offenen Rückseite des Fahrzeugs hatten zwei Personenschützer als menschliche Schilde fungiert. Ein Schütze hätte nur dann eine Chance gehabt, wenn der Präsident weiter nach hinten gegangen und der Schuss abgegeben worden wäre, ehe die Personenschützer ihn wieder abschirmen konnten.

Und wenn dem Präsidenten in den Rücken geschossen worden war, warum hatte er sich dann so nach vorn gekrümmt? Gleichermaßen unerklärlich: Wenn dem Präsidenten in den Rücken geschossen worden war, warum berichtete der Polizeipräsident dann von einer Bauchverletzung?

Lu blickte an den heruntergekommenen Mehrfamilienhäusern, die diese Straße säumten, hinauf. Es gab eine weitere Möglichkeit. Das Heck des Jeeps war nicht überdacht. Falls der Schütze irgendwo da oben gewesen war, wäre es ein leichter Schuss gewesen.

Es gab keine Möglichkeit, den Präsidenten vor allen Risiken zu schützen. Und aus jahrelanger Erfahrung wusste Lu überdies, dass es wenig Sinn hatte zu versuchen, einen Mann zu beschützen, der darauf bestand, Märkte, Mehrfamilienhäuser und Busstationen zu besuchen, einen Mann, der keine Hand sehen konnte, ohne sie zu schütteln. Doch in all den Jahren der Volksnähe war nie etwas passiert, abgesehen von dem Tennisarm durch das viele Händeschütteln. Und jetzt ein Schusswaffenattentat.

Und das hier in Taiwan mit seinen strengen Waffengesetzen, den Überwachungskameras in jeder Straße und einer zu konfuzianischer Ethik erzogenen Bevölkerung, die auf jedem Foto Fingerherzen machte.

 

Als das Special Service Command Center hörte, dass der Präsident angeschossen worden war, ordnete es an, die Fahrzeugkolonne solle mit Vollgas zum Xing’an Hospital fahren, das etwa eine Viertelstunde entfernt lag. Die Ambulanz des Krankenhauses war samstags geschlossen, aber die Notaufnahme war geöffnet, und die herannahenden Sirenen lockten jede Menge Schaulustige aus dem Gebäude. Der Polizeipräsident und der ihn begleitende Trupp Polizisten machten den Weg zur Tür frei, und die Fahrtrage mit dem Präsidenten wurde, geschützt von bewaffneten Personenschützern mit Schutzschilden, zum Operationssaal geleitet.

Der stellvertretende Chefarzt des Krankenhauses hatte Dienst und war ein hervorragender Traumachirurg. Er und drei weitere Ärzte nahmen, bereits mit Handschuhen und OP-Maske, die Fahrtrage in Empfang und schoben sie in den OP. Zwei Personenschützer und der Leiter des Wahlkampfbüros begleiteten sie. Das Krankenhaus ließ verlautbaren, es werde etwa eine Stunde dauern, den Zustand des Präsidenten zu beurteilen, und alle weiteren Informationen werde das Büro des Präsidenten herausgeben.

Über dem Krankenhaus kreisten zwei Hubschrauber, während drei von der Militärpolizei entsandte Nebelparder-Panzer davorstanden und die Maschinengewehre Kaliber .50 beim Laden der Munition lustig klirrten.

Im Netz wurde über das Attentat auf den Präsidenten berichtet.

Heute Morgen um 9:17 Uhr wurde Präsident Hsu Huo-sheng während eines Wahlkampfauftritts auf der Huayin Street von einem unbekannten Täter angeschossen. Gegenwärtig wird der Präsident im Xing’an Hospital behandelt. Über seinen Zustand ist nichts bekannt.

Die Vizepräsidentin Hu Tsui-li trat mit ernstem Gesicht im Fernsehen auf. Sie sei, sagte sie, in Taichung, wo sie Wahlkampf mache, und könne zum Gesundheitszustand des Präsidenten nichts sagen. Abschließend kündigte sie an, unverzüglich nach Taipeh zurückzukehren, gab aber keinen Kommentar zu einer möglichen Aussetzung des Wahlkampfs ab.

Als Nächster kam der Vorsitzende des Legislativ-Yuans, der Premierminister, an die Reihe und rief alle Abgeordneten, unabhängig von der Parteizugehörigkeit, auf, für den Präsidenten zu beten.

 

Der stellvertretende Polizeipräsident Lu hatte zwei Tatorte abzuriegeln und zu untersuchen. Der erste war die Huayin Street. Der andere der Jeep selbst. Da die Huayin Street gesichert und erste Befragungen vorgenommen worden waren, eilte er zum Krankenhaus, wo er seinen Beamten befahl, das Fahrzeug zu beschlagnahmen. Das ging schneller, als mit dem umstehenden Personal des Special Service Command Center zu verhandeln. Er selbst folgte und riss das Flatterband um den Jeep herum ab, dann drehte er sich um und gab dem Spurensicherungsteam, das hinter ihm hertrottete, Anweisungen. »Blut, Einschusslöcher, die Dashcam, und wenn Sie mich richtig glücklich machen wollen, finden Sie mir eine Kugel!«

Bisher wussten sie nichts. Wer auf den Präsidenten geschossen hatte, wie oft und wo er getroffen worden war – nichts war klar. Momentan wussten sie nicht einmal, ob es überhaupt ein Attentat mit einer Schusswaffe gewesen war.

Der Jeep war von Anhängern des Präsidenten finanziert worden. Die Kabine vorn bot Platz für Fahrer und Beifahrer. Das Heck war offen. Dort gab es keine Sitze, nur ein Geländer, das an der Rückwand der Fahrerkabine befestigt war, und die kugelsicheren Scheiben an drei Seiten.

Die Kriminaltechniker machten sich an die Arbeit und hatten bereits wenige Minuten später einen ersten Bericht für Lu: Nichts wies darauf hin, dass die Kabine oder irgendein anderer Teil des Fahrzeugs von einer Kugel getroffen worden wäre. Der Fahrer und Hsus Wahlkampfleiter, der auf dem Beifahrersitz gesessen hatte, waren vorsichtshalber beide von der Polizei des Reviers Datong zur Befragung mitgenommen worden.

Sieben Minuten später hatten sie mehr: eine Delle im Metallgeländer hinten an der Fahrerkabine.

Acht Minuten später noch mehr: eine Kugel, gefunden in einer Ritze im hinteren Teil der Ladefläche.

Damit war es so gut wie bestätigt: Auf den Präsidenten war geschossen worden.

Der stellvertretende Polizeipräsident Lu, vor Kurzem siebenundfünfzig geworden, schwang sich ins Heck des Fahrzeugs. Niemand applaudierte. Das Projektil, das die Kriminaltechniker ihm zeigten, hatte etwa die Größe eines Erdnusskerns. Lu konnte drei schwache Kratzer darauf ausmachen.

»Geben Sie das ins Labor.«

Ein mobiles Labor des Criminal Investigation Bureau, der nationalen Kriminalpolizei, war vor Ort. Zwölf Minuten später hatten sie eine vorläufige Einschätzung: Die illegal in Taiwan gefertigte Bleikugel war vom Metallgeländer abgeprallt, zu Boden gefallen und dann in eine Ritze im hinteren Teil des Jeeps gerollt. Sie sah aus wie ein Projektil für eine 9-mm-Faustfeuerwaffe, aus einer illegalen Waffenfabrik, eher primitiv, und hinten klebten noch Reste des Treibmittels. Allerdings war es nicht die Kugel, die den Präsidenten getroffen hatte – es gab keine Spuren von Blut daran.

Der Jeep wurde offiziell zum Beweisstück erklärt, und der stellvertretende Polizeipräsident quittierte es dem säuerlich dreinblickenden Major vom Special Service Command Center. Ein Kran hievte das Fahrzeug auf einen Transporter, und dann ging es ab zum Criminal Investigation Bureau zu weiteren Untersuchungen. Lu brauchte mehr Kugeln. Oder wenigstens noch eine. Die, die den Präsidenten getroffen hatte.

Er kehrte in die Huayin Street zurück, ohne auf weitere Nachrichten zum Zustand des Präsidenten zu warten. Dort hatte die Suche etwas Neues ergeben: Patronenhülsen. Auf der Fahrt zurück blaffte er Befehle in sein Mobiltelefon.

»Die Kugel ist Marke Eigenbau, und das bedeutet, das organisierte Verbrechen weiß garantiert etwas darüber. Finden Sie die beiden Waffenbauer – wie heißen die noch? Der Waffenschmied heißt der eine und … der Büchsenmacher, das ist der andere. Moment, der Waffenschmied sitzt, der hat lebenslänglich wegen Mordes bekommen. Spüren Sie den Büchsenmacher auf und holen Sie ihn auf die Wache, denken Sie sich irgendeinen Vorwurf aus. Falls die Staatsanwaltschaft nicht mitspielt, sprechen Sie selbst mit dem Büchsenmacher. Sagen Sie ihm, Sie arbeiten für mich, und laden Sie ihn zum Tee ein. Herrgott, laden Sie ihn zu einem fünfundzwanzigjährigen Single Malt ein, ich übernehme die Rechnung.«

Als Lu auflegte, hielt sein Wagen gerade auf der Huayin Street vor dem Happy Hotel.

Das Hotel belegte den ersten, zweiten und dritten Stock eines siebengeschossigen Gebäudes. Im Erdgeschoss befand sich ein Feuertopflokal, und auf den drei obersten Etagen waren Wohnungen. Einen vierten Stock gab es nicht. Das hätte Unglück gebracht. Die Hotelrezeption lag im ersten Stock, Dienst hatte eine Frau über vierzig in einer zu eng sitzenden Dreiviertelhose, zu hohen Plateauschuhen und mit einem Kamm im Haar. Als Lu sich näherte, wandte sie sich ab. Vielleicht hatte sie Angst, dass sein Anblick ihr Albträume bescheren würde.

»Wir berechnen fünfhundert für zwei Stunden, und wir führen kein Gästebuch.«

»Dann ist das hier ein Stundenhotel?«, fragte Lu sie.

Lai, der Beamte, der erkannt hatte, dass dieses Hotel einen genaueren Blick lohnte, meldete sich zu Wort. »Ja, ein Stundenhotel, genauer ein Love Hotel: Die Gäste machen Liebe, dann machen sie sich vom Acker. Der Chef interessiert sich nicht für Gästebücher, nur fürs Geldverdienen.«

»Wer war in Zimmer 502, als der Präsident angeschossen wurde? Wie sah er aus?« Lu musterte die Frau und die beiden Feuchtigkeitspflaster unter ihren Augen.

Lai wieder: »Niemand, angeblich. Wer geht schon an einem Samstagmorgen mit einer Nutte ins Stundenhotel?«

»Wo ist der Chef?« Lu betrachtete die Finger der Frau, zwischen denen Fetzen von Papiertaschentüchern klemmten und deren Nägel alle verschiedene Farben hatten.

Er nahm eine vorläufige Einschätzung vor: Die Frau war nicht verdächtig.

Nochmals Lai: »Er ist betrunken und schläft im Hinterzimmer.«

Lu und Lai ließen die Frau und ihren Kamm stehen und gingen nach oben, um einen Blick in Zimmer 502 zu werfen.

Neben dem Aufzug befand sich eine Brandschutztür aus Metall, durch die man auf einen langen Flur mit unbelegten Hotelzimmern zu beiden Seiten gelangte. Lu öffnete die Tür zu 502. Bad rechts, ein Doppelbett, am Fußende eine Bettdecke mit rosa Blumenmuster, zu einem Dreieck gefaltet. Links eine billige Frisierkommode mit Plastikstuhl davor. Nirgends eine Möglichkeit, sich zu verstecken.

Und auf der Fensterbank mit Blick auf die Huayin Street: zwei Patronenhülsen, ordentlich nebeneinander aufgestellt.

»Gewehrpatronen?«

»Sieht so aus.«

»Holen Sie die Spurensicherung her. Ich will, dass alles untersucht wird. Fußabdrücke, Fingerabdrücke, jedes Schamhaar im Abfluss, alles.«

 

Dann Neuigkeiten aus dem Krankenhaus, vom stellvertretenden Chefarzt, der, noch in OP-Kleidung, panisch in ein Dutzend Kameras starrte.

»Der Präsident ist wohlauf. Die Kugel hat seinen Bauch durchschlagen …«

Ein Reporter schrie auf.

»Verzeihung, ich sollte sagen … Die Kugel hat seinen Bauch gestreift, die Haut, und hat eine Fleischwunde verursacht. Sieben Stiche. Im Augenblick ruht der Präsident, aber in einer Stunde sollte er das Krankenhaus verlassen können.«

Die versammelten Reporter klangen wie ein Schwarm wütender Bienen, als sie dem stellvertretenden Chefarzt ihre Fragen entgegenschleuderten, mit ihren Mikrofonen auf ihn eindrangen und ihn schließlich von allen Seiten umschlossen.

Der Umstand, dass der Präsident nicht ernsthaft verletzt war, war für die Polizei Taipeh kaum von Belang. Er war dennoch angeschossen worden, und sie hatten nichtsdestotrotz einen Attentäter zu suchen und ein Verbrechen aufzuklären. Im Konferenzraum drängten sich hochrangige Polizeibeamte. Das Criminal Investigation Bureau hatte seinen Chief Secretary, den dritthöchsten Beamten in der CIB-Hierarchie, geschickt, zur »Unterstützung« beziehungsweise, zutreffender, »um die Kontrolle zu übernehmen und dafür zu sorgen, dass niemand Mist baut«.

Der Polizeipräsident hing noch im Krankenhaus fest. Zusammen mit dem Leiter der dem CIB übergeordneten National Police Agency und deren Chef, dem Innenminister, wartete er darauf, zum Präsidenten vorgelassen zu werden. Seine Theorie war wohl, nahm Lu an, dass der Präsident sich sicherer fühlen würde, wenn er aus der Betäubung erwachte und den Polizeichef sah, und ihn deshalb unverzüglich befördern würde. Das war gar nicht einmal so abwegig, denn der Polizeichef hatte seinen Posten ursprünglich von Hsu in dessen früherer Rolle als Bürgermeister von Taipeh bekommen.

Lu, der als Letzter eintraf, setzte sich keuchend an den Tisch, um die Besprechung zu leiten. Vor ihm stand eine nierenförmige Metallschale, wie man sie im OP verwendete. Er betrachtete sie zuerst von Weitem, dann beugte er sich vor und starrte sie aus nächster Nähe scheel an. In der Schale lag eine einzelne Kugel aus Metall, daneben die dunkelblaue Anzugjacke des Präsidenten.

Ja, es wurde auf ihn geschossen.

»Also, es ist uns endlich gelungen, die Kugel zu finden, mit der auf den Präsidenten geschossen wurde. Es liegt auf der Hand, dass dieser Fall von besonderer Bedeutung ist, deshalb werde ich aus dem Bericht des Krankenhauses vorlesen, damit ich die Fakten richtig wiedergebe.«

Er setzte seine Lesebrille auf, senkte den Blick auf das Dokument und sagte erst einmal nichts. Gleich darauf setzte er die Brille wieder ab.

»Tja, es ist eine lange Geschichte, daher kürze ich ab: Die Kugel, mit der auf ihn geschossen wurde, wurde im Futter seines Anzugs gefunden, nicht in seinen Eingeweiden.«

Er sah hinüber zum Leiter des Criminal Investigation Bureau, dann betrachtete er das runde Dutzend am Tisch versammelter Kollegen. Ausnahmsweise schienen sie alle zuzuhören. Das hatte er sehen wollen. Ein bisschen Angst.

»Die Kugel hat seinen Bauch nur gestreift, mehr nicht. Das Glück ist mit den Guten, vielleicht. Jedenfalls, die Kugel fanden nicht die Chirurgen, als sie ihn wieder zusammennähten, sondern eine Krankenschwester entdeckte sie, als sie seinen Anzug aufhängte. Sie hörte etwas zu Boden fallen, hob es auf, und da haben wir sie. Das Krankenhaus sagt, man habe das Blut an der Kugel untersucht, und es stimme mit dem des Präsidenten überein.«

Niemand hob die Hand, um zu fragen, wie die Kugel in den Anzug gekommen war.

»Die Kriminaltechnik hat sich die Jacke angesehen und ist zu dem Schluss gekommen, dass die Kugel über den Bauch des Präsidenten geschrammt ist und sich mit letzter Kraft ins Seidenfutter seines Anzugs gebohrt hat, um später herauszufallen und von der Krankenschwester gefunden zu werden. Sie haben außerdem festgestellt, dass es eine Kupferkugel ist, angefertigt für eine 9-mm-Faustfeuerwaffe, vermutlich aus derselben Waffe abgefeuert wie die aus Blei, die wir im Heck des Jeeps fanden. Die Schusswaffe selbst ist vermutlich ein Eigenbau.«

Niemand hob die Hand, um zu fragen, warum die eine Kugel aus Blei und die andere aus Kupfer war.

»Die Kriminaltechniker haben sich auch die beiden Patronenhülsen angesehen, die wir in Zimmer 502 des Happy Hotels gefunden haben. Normale 7.62-mm-Gewehrpatronen, mit Spuren verbrannten Treibmittels innen.«

»Gewehrpatronen?«, fragte niemand.

»Gewehrpatronen«, wiederholte er ungeachtet dessen. »Wir haben also nach jemandem mit einer 9-mm-Faustfeuerwaffe gesucht, und jetzt sind 7.62-mm-Gewehrpatronen aufgetaucht. Ich würde meinen, Ihnen allen ist klar, dass eine Faustfeuerwaffe und ein Gewehr sehr verschiedene Waffen sind?«

Lus kühler Blick wanderte um den Tisch. Alte Kollegen, langjährige Untergebene, sie alle merkten, dass er mit seiner Geduld fast am Ende war. Tatsächlich: »Wobei ich den Verdacht habe, dass einige von Ihnen womöglich Probleme haben, ihren eigenen Schwanz von einem Hühnerbein zu unterscheiden.«

Der Chief Secretary des CIB gestattete sich ein Kichern – er und Lu hatten seinerzeit zusammen beim CIB gearbeitet, und er war froh zu sehen, dass der stellvertretende Polizeipräsident Lu, seinen Freunden besser als »Eierkopf« bekannt, nach einem ungewöhnlich betriebsamen Vormittag allmählich wieder ganz der Alte war.

»Tja, ich danke Ihnen allen dafür, dass Sie so schnell zwei 9-mm-Faustfeuerwaffenprojektile und zwei 7.62-mm-Gewehrpatronenhülsen gefunden haben. Sie müssen erschöpft sein. Mensch, Yan, Sie waren mal bei der Armee, oder? Sie müssen mehr Geschosse abgefeuert haben als jeder andere hier. Jedenfalls, eine schnelle Frage an Sie alle, falls Sie so freundlich wären. Kann man mit einem 7.62-mm-Gewehr 9-mm-Faustfeuerwaffenmunition abfeuern? Und falls nicht, würde bitte jemand erklären, warum wir 9-mm-Projektile und 7.62-mm-Hülsen haben?«

Alle runzelten die Stirn und senkten den Kopf, mit einem Mal sehr fasziniert von der Maserung der Tischplatte. Die Mäuse in den Wänden hörten auf zu nagen, aus Angst, sie könnten in der plötzlichen Stille zu hören sein.

»Nein. Aus dem gleichen Grund, warum man kein Pferd mit einer Katze paaren kann und eine schöne Füllerpatrone meinem miesen Kuli nichts nutzt. Möchte also vielleicht jemand darüber spekulieren, was zur Hölle hier eigentlich vorgeht?«

Yan, ein hoher Polizeibeamter, den Lu in Ermangelung anderer Kandidaten zu ihrem Hauptverdächtigen zu küren erwog, stotterte eine Antwort: »Ich würde vielleicht vorschlagen, Herr stellvertretender Polizeipräsident, dass wir nach zwei Schützen suchen. Einen in der Menschenmenge und einen oben im Hotel.«

»Reizend, zwei Schützen, die man finden muss. Einen mit einer Faustfeuerwaffe Marke Eigenbau und einen mit einem so langen Gewehr, dass man einen Lappen an ein Ende hängen und das Ganze Mopp nennen könnte. Und keine der beiden Waffen haben wir gefunden, nur Kugeln aus einer Faustfeuerwaffe und Patronenhülsen von einem Gewehr. Okay, sagen wir also, der mit der Faustfeuerwaffe, nennen wir ihn Schütze A, nutzt den Lärm und den Qualm der Knallfrösche, um seine beiden Schüsse abzugeben, hebt die Patronenhülsen vom Boden auf und verlässt den Tatort. Währenddessen gibt Schütze B, ein viel relaxterer Geselle, seine beiden Schüsse ab und lässt die Patronenhülsen ordentlich nebeneinander auf der Fensterbank für uns stehen. Vielleicht ist er ein kleiner Ordnungsfanatiker, ein bisschen zwanghaft. Ein Ex-Militär vielleicht, daran gewöhnt, immer alles ordentlich zu hinterlassen. Also hebt er seine Hülsen auf, stellt sie auf die Fensterbank, packt sein Gewehr ein und zieht los nach … ich weiß auch nicht, vielleicht belohnt er sich für einen gut erledigten Auftrag mit einem Entenbraten im Guide-Michelin-Sternerestaurant Le Palais? Was halten Sie von dieser Rekonstruktion?«

Wenn Polizisten im Range von Lu Fragen stellten, bedeutete das nicht unbedingt, dass sie Antworten hören wollten. Meistens bedeutete es, dass sie die Antwort bereits kannten. Und deshalb antwortete auch niemand. Lu fuhr fort.

»Schütze A mit der Faustfeuerwaffe muss von hinter dem Jeep, wo keine kugelsichere Scheibe ist, auf den Präsidenten geschossen haben. Warum also ist die Wunde am Bauch und nicht am Rücken? Und wenn Schütze B oben im Hotel war, warum hat der Präsident dann keine Kugel im Kopf oder in der Schulter? Kriminaltechnik, ich will einen ballistischen Bericht.«

Ein junger Beamter schlüpfte in den Konferenzraum und legte einen großen Umschlag vor den Leiter der Kriminaltechnik. Lu verfolgte das und trommelte dabei mit den fünf Fingern seiner rechten Hand nacheinander auf den Tisch.

»Lunchpaket von Ihrer Frau?«, fragte er.

Der Leiter der Kriminaltechnik, nervös wie ein Mann, der seiner Frau die Auszüge eines geheimen Bankkontos aushändigen muss, öffnete den Umschlag und entnahm ihm einen kleinen Plastikbeutel, der eine einzelne Zigarettenkippe enthielt, bis zum Filter heruntergebrannt.

»Die haben wir in Zimmer 502 im Happy Hotel gefunden, zusammen mit den Patronenhülsen. Sie lag unter der Fensterbank auf dem Boden. Wir nehmen an, dass der Schütze sie geraucht hat, während er auf die Fahrzeugkolonne des Präsidenten gewartet hat.«

»Irgendwas von Interesse?«

»Japanische Marke, Hope. Nicht die Kingsize-Version, sondern die kürzere, die sie Short Hope nennen. Wir haben es überprüft, die kann man in Taiwan nicht kaufen, nicht einmal in den Duty-free-Shops am Flughafen.«

»Na toll, er raucht also eine japanische Zigarette, die er hier nicht gekauft haben könnte, und lässt die Kippe zurück, um uns zu sagen, dass er … was? Dass er in Japan war, gerne reist, dass er zu Mittag gerne ein Schale Ramen isst …«

»Herr stellvertretender Polizeipräsident, Lai, einer der Beamten am Tatort, kam zu dem Schluss, dass sich ein etwaiger Schütze wahrscheinlich eher in einem Hotelzimmer als in einer der Wohnungen positionieren würde. Er ist mit einem Team da rauf und hat die Patronenhülsen und die Zigarettenkippe in Zimmer 502 gefunden.«

»Erzählen Sie mir was, was ich noch nicht weiß. Und schlagen Sie Lai für eine Belobigung vor. Was noch?«

Der Leiter der Kriminaltechnik präsentierte, nunmehr wie ein Mann, der Quittungen aus einem Stundenhotel vorlegt, einen zweiten Plastikbeutel. In diesem befanden sich versengte Knallfroschfragmente.

»Wir haben die Überbleibsel der Knallfrösche eingesammelt und untersucht. Keine Kugeln, keine Patronenhülsen. Die Ladenbesitzer sagen, sie haben ihre Knallfrösche alle im selben Geschäft gekauft. Wir sind in dieses Geschäft gegangen, und der Inhaber hat zugegeben, dass er seine Bestände von einer illegalen Feuerwerksfabrik bekommt. Sie befindet sich in Chiayi, wir haben die dortige Polizei gebeten zu ermitteln.«

Der stellvertretende Polizeipräsident Lu sah den Leiter des Reviers Datong an.

»Fan, die Huayin Street ist Ihr Revier, was zünden die Leute da Knallfrösche? Und zu Sun Wukongs Geburtstag? Ich dachte, das Umweltamt hätte das untersagt. Ich weiß, dass der Stadtrat versucht zu unterbinden, dass die Ladeninhaber sie zünden.«

»Ich habe das überprüft, es war die neuere, ungefährlichere Sorte. Und den Geburtstag von Göttern zu feiern ist eine volkstümliche Tradition, das können wir nicht untersagen. Jedenfalls, die alte Frau hat uns erzählt, dass sie sie vor fünf Tagen gekauft hat, bevor sie wusste, dass der Präsident kommt. Aber als sie dann ihren Freund, den Bezirksvorsteher, im Jeep beim Präsidenten sah, hat sie sie gezündet. Anscheinend hat er immer Interesse an ihrem Laden gezeigt. Der Bezirksvorsteher, nicht der Präsident.«

»Tja, sagen Sie das nicht dem Präsidenten, das würde ihn verletzen. Andere Ladenbesitzer haben auch Knallfrösche gezündet, war das verabredet?«

»Sieht nicht so aus. Sie hat damit angefangen; die anderen haben dann einfach mitgemacht. Gruppendynamik.« Lu bekam nicht mit, wer hier der Soziologe war.

»Also, der Schütze muss gewusst haben, dass es Meister Suns Geburtstag war, dass ihm zu Ehren Knallfrösche gezündet werden würden und dass sich das Happy Hotel auf Zimmer für Gäste ohne Registrierung spezialisiert hat, die Angst haben, Überwachungsbilder könnten auf dem Tisch des Scheidungsrichters auftauchen. Für die Landung in der Normandie war nicht so viel Recherche nötig.«

»Ja«, stimmte der Mann aus Datong zu, dem nicht viel anderes übrig blieb.

»Und er muss auch die heutige Route des Präsidenten gekannt haben. Warum benutzt ein solch meisterhafter Planer eine Waffe Marke Eigenbau? Und mit einem Schuss hat er gar nicht getroffen, mit dem anderen hat er ihm gerade mal einen Kratzer beigebracht, und dann hat er aufgegeben und ist nach Hause gegangen? Ergibt keinen Sinn!«