Die Kunst zu sterben - Kim Leopold - E-Book

Die Kunst zu sterben E-Book

Kim Leopold

0,0
2,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Hayet versucht sich im Palast der Träume einzuleben, doch alles um sie herum zeigt ihr, wie wenig sie dazugehört. Gleich zwei neue Freunde geben ihr auf unterschiedliche Art Hoffnung, ihren Platz in der magischen Welt zu finden. In der Zwischenzeit muss Louisa um Alex' Leben bangen und spürt endlich, welche positiven Kräfte in ihr schlummern. In dieser trügerischen Sicherheit erreichen sie und ihre Freunde schlechte Nachrichten ... Kim Leopold hat eine magische Welt mit düsteren Geheimnissen, nahenden Gefahren und einem Hauch prickelnder Romantik erschaffen, bei dem Fantasy-Lover voll auf ihre Kosten kommen. Die Kunst zu sterben - Der 6. Band der Urban Fantasy Serie Black Heart!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



 

 

 

 

 

 

 

 

Black Heart 06

Die Kunst zu sterben

 

 

Kim Leopold

 

Für Janina B., weil sie das Spiel Black Heart in die Geschichte gebracht hat.

 

 

Das Problem ist, du denkst, du hast Zeit.

 

 

 

 

 

 

[was bisher geschah]

 

1768 - Nachdem die Hexe Freya ihre Magie gegen den König anwendet, müssen sie und ihr frisch gebackener Ehemann Mikael fliehen. Sie schaffen den Weg zum Hafen, wo sie ein Schiff nach Amsterdam besteigen.

 

2018 - Der Schreck über Daniels Anblick holt Louisas Magie ans Tageslicht, wodurch sie alle in Gefahr bringt. Insbesondere Alex muss um sein Leben kämpfen, während die Truppe nach Köln aufbricht, um Hilfe bei einer befreundeten Hexe zu suchen.

 

Am Palast der Träume freunden sich Hayet, Azalea und Zoe mit den beiden Wächtern Aslan und Jascha an, während Tyros in Marokko auf der Suche nach seiner großen Liebe in die Fänge von Hexenjägern gerät.

 

[1]

 

Freya

Auf dem Meer, 1768

 

Ich lausche dem Rauschen der Wellen, fühle, wie mich das Schiff rau hin- und herschubst und sich die Gischt sanft auf mein Gesicht legt. Mit der linken Hand taste ich nach der Reling, die rechte lege ich auf meinen Bauch.

Mir ist so übel.

Ich wünschte, die Seereise auf der Brevik läge schon hinter uns. Auch wenn mir der Gedanke, ein ganz neues Leben in einem fremden Land zu beginnen, Angst einjagt. Wenigstens habe ich Mikael an meiner Seite.

Die Matrosen rufen sich Befehle zu, während sie die Segel einholen. Wir sind in eine Nebelbank geraten, so viel habe ich mitbekommen. Was das für unsere Weiterfahrt bedeutet, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass das Schaukeln des Schiffes und damit meine Übelkeit immer schlimmer werden.

Ich höre Schritte hinter mir und spüre kurz darauf eine warme Hand an meiner Hüfte.

»Du solltest in dem Nebel nicht hier draußen stehen.« Mikael drückt mir einen Kuss auf die Schulter.

»Aber hier fühle ich mich wohler«, erwidere ich zu meiner Verteidigung.

»Weiß ich doch.« Er umarmt mich von hinten und legt sein Kinn auf meiner Schulter ab. Sein Bart kratzt an meinem Hals, und sein herber Duft füllt meine Nase.

Ich atme tief ein und freue mich für einen Moment über die Abwechslung zur salzigen Seeluft.

»Aber ich sehe kaum noch meine Hand vor Augen, so neblig ist es. Da mache ich mir einfach Sorgen, wenn ich nicht weiß, wo du bist. Ich will nicht, dass du vom Schiff fällst und es keiner mitbekommt.«

Berührt von seiner Sorge drehe ich mich um. »Ich fall schon nicht vom Schiff. Manchmal hast du eine zu große Fantasie.«

Er streichelt mir eine Strähne aus dem Gesicht, die sich aus meinem Zopf gelöst haben muss, und küsst mich sanft. »Nach allem, was wir jetzt schon zusammen erlebt haben, wären ein paar ruhigere Zeiten schön.«

»Ob wir damit so viel Glück haben?« Nachdenklich vergrabe ich mein Gesicht an seinem Hals. Es tut gut, ein paar Minuten ganz allein mit ihm zu haben. »Was meinst du, erwartet uns in Amsterdam?«

»Hmm«, macht er und legt sein Kinn auf meinem Kopf ab. »Mal überlegen. Eine fremde Sprache, ein fremdes Land, ein neues Leben … Aber ich bin mir sicher, dass wir uns schnell einleben. Wir werden Norwegen gar nicht mehr vermissen, wenn wir die ersten holländischen Spezialitäten probiert haben.«

Mikael weiß genauso gut wie ich, dass Amsterdam niemals unsere Heimat ersetzen wird, aber trotzdem haben wir die wenige gemeinsame Zeit an Bord genutzt, uns unser neues Leben so schön wie möglich auszumalen. Ich denke, das hilft uns dabei, den Abschied leichter zu verkraften.

Ob es tatsächlich so schön wird, weiß nur der Himmel. Vielleicht stolpern wir auch von einer Katastrophe in die nächste, und Amsterdam wird noch schlimmer als Christiania. Aber was kann schon schlimmer sein, als ganz knapp dem Tod entronnen zu sein?

Vieles, schießt es mir durch den Kopf, und ein mulmiges Kribbeln breitet sich in meiner Magengrube aus. Irgendwie fühlt es sich nicht so an, als könnten wir uns bald zurücklehnen und das Leben genießen. Vielleicht kommt das Gefühl auch einfach von den vergangenen Tagen. Vom Tod meiner Mutter und der Überforderung auf der Suche nach meiner Magie, vielleicht kommt es von der überstürzten Flucht und der Angst um Mikael. Vielleicht bin ich emotional ausgelaugt.

»Worüber denkst du nach?« Mikaels Stimme reißt mich aus meinen Gedanken. Ich hebe den Kopf, und er küsst meine Stirn. »Du bist so still.«

»Ich weiß nicht.« Ich zucke unsicher mit den Schultern. »Ich hab einfach kein gutes Gefühl im Bauch.«

Er schweigt einen Moment. »Inwiefern?«, fragt er dann argwöhnisch.

Natürlich. Er geht sicher davon aus, dass meine Gefühle mehr zu bedeuten haben, da ich eine Hexe bin. Sagt man nicht immer, dass Hexen in die Zukunft blicken können?

»Das kann ich dir noch nicht sagen«, erkläre ich leise und horche in mein Inneres, in dem es aufgeregt grummelt, wann immer ich an die Zukunft denke. Wenn ich doch bloß wüsste, was uns bevorsteht. »Ich hab einfach ein wirklich schlechtes Gefühl.«

Ich kann spüren, wie er über die Bedeutung meiner Worte nachgrübelt, und wünschte, ich könnte ihn irgendwie beruhigen.

»Komm mit«, meint er schließlich. »Wir können in der Kajüte weitersprechen. Der Nebel wird immer dichter und mir ist nicht wohl dabei, hier zu stehen.«

Seufzend stimme ich ihm zu und greife nach seiner Hand, um mich von ihm zurück ins Innere des Schiffes führen zu lassen. Kaum schlägt die Tür hinter uns zu, greift die Übelkeit mit aller Macht an. Ich presse eine Hand auf meinen Mund und lehne mich gegen die Wand, um in Ruhe durchatmen zu können. Das Schaukeln des Schiffes fühlt sich hier drinnen dreimal so stark an.

Ein paar Augenblicke später geht es wieder, und wir gehen weiter bis zur Kajüte. Dort sinke ich noch an der Tür zu Boden, in der irren Hoffnung, dass ich das Schaukeln so nicht mehr spüre. Aber egal, ob ich stehe, sitze oder liege, es fühlt sich an, als würde mein leerer Magen mitschaukeln.

»Hier.« Mikael reicht mir den kleinen Holzeimer, den wir vorsorglich in der Kajüte platziert haben, kurz nachdem wir gemerkt haben, dass ich nicht seetauglich bin.

»Danke«, krächze ich und klammere mich an dem Eimer fest, während ich darauf warte, dass das Unweigerliche geschieht. Dabei habe ich seit Tagen nur noch Brot gegessen und kaum etwas getrunken.

Mikael setzt sich neben mich und leistet mir Gesellschaft. Am ersten Tag hat er mir noch über den Rücken gestreichelt, aber das hat alles noch schlimmer gemacht, also habe ich ihn gebeten, damit aufzuhören. Ich bin froh, dass er trotzdem bei mir bleibt.

»Morgen sind wir endlich in Amsterdam«, flüstert er. »Dann geht’s dir sicher ganz schnell wieder besser.«

»Ich hoffe es«, stöhne ich wehleidig. Es fühlt sich an, als wären wir schon eine Ewigkeit auf hoher See unterwegs. Dabei sind es erst drei Tage, und der Weg führt uns nicht mal auf die offene See, sondern quer durch das Deutsche Meer. Ich will mir nicht ausmalen, wie schlimm eine Überfahrt nach Amerika wäre. »Ich kann nicht mehr.«

»Du hast es bald geschafft, meine Heldin.« Mikael drückt einen Kuss auf meine Stirn und sorgt dafür, dass es mir für einen winzigen Moment besser geht.

[2]

Louisa

Köln, 2018

 

Ein Schrei reißt mich aus dem Schlaf.

Müde öffne ich die Augen und trauere dem Traum nach, den ich gerade hatte. Alex und ich unter einem Wasserfall. Er küsst mich, und dann –

Schlagartig setze ich mich auf. Im nächsten Moment durchschneidet ein weiterer Schrei die Stille.

Alex! Ich spring aus dem mir unbekannten Bett, von dem ich nicht weiß, wie ich hineingekommen bin, und reiße die Tür auf. Auf dem fremden Flur muss ich die Augen zusammenkneifen, weil mich das Tageslicht blendet.

Wo bin ich? Verwirrt sehe ich mich um und folge den Geräuschen, die aus dem Untergeschoss kommen. Ich laufe die helle Holztreppe hinunter und stehe in einem kleinen Eingangsbereich. Vor mir ein Spiegel, aus dem mir ein blasses Mädchen mit vor Schreck geweiteten Augen entgegenblickt.

Ich nehme den Duft nach Kräutern und Räucherstäbchen wahr, während ich mich zwischen drei Türen entscheiden muss und schließlich die nehme, die mir am vielversprechendsten vom Geruch erscheint. Sobald ich sie öffne, höre ich das schmerzerfüllte Stöhnen und die besorgten Stimmen drum herum.

»Er muss stillhalten, sonst kann ich ihn nicht heilen.«

»Du hältst ihn dort fest.«

»Wir müssen Tyros Bescheid sagen.«

Atemlos beobachte ich die Szene vor mir. Alex liegt auf dem Boden. Unter ihm eine dicke Plastikplane, die anscheinend sein Blut auffangen soll. Die anderen hocken um ihn herum. Moose hält seine Schultern fest, und Ivan fixiert sein heiles Bein. Eine blonde Frau springt auf und eilt durch den Raum, ihr Blick bleibt nur kurz an mir hängen, bevor sie sich darauf konzentriert, Kräuter und Tinkturen zusammenzusammeln.

Alex ist wach, und sein Blick findet mich sofort. »Lou«, krächzt er und reißt mich damit aus meiner Schockstarre. Ich lasse die Tür hinter mir ins Schloss fallen und laufe zu ihm, um mich neben seinem Kopf auf die Knie fallen zu lassen. Beinahe hätte ich mich hinuntergebeugt, um seine Stirn zu küssen, doch ich erinnere mich noch schnell genug daran, dass wir nicht allein sind.

»Wie geht’s dir?«, frage ich ihn unsicher.

»Ging mir schon besser.« Er versucht ein schiefes Grinsen, was ihm aber nicht so recht gelingen will.

Sein Bein sieht schlimm aus. Jemand hat seine Hose so abgeschnitten, dass die Wunde frei zugänglich ist. Das Holzstück steckt immer noch in seinem Oberschenkel, nur ist es mittlerweile rot von seinem Blut. Unwillkürlich frage ich mich, ob er das überhaupt überleben wird. Was, wenn mein magischer Ausbruch sein Todesurteil war?

Ich greife nach seiner Hand und ignoriere die Sorge, was die anderen dazu sagen könnten. Wenn er es nicht übersteht, ist es sowieso egal. Und wenn doch, finden wir sicher einen Weg, um eine solche Berührung zu verharmlosen.

Alex schließt bei meiner Berührung die Augen, und ich blicke zu Moose. Am liebsten würde ich ihn fragen, wie er die Situation einschätzt, aber ich möchte nicht, dass Alex aufgibt, sollte jemand in diesem Raum ihm schlechte Chancen einräumen.

Die Frau kehrt zurück und setzt sich neben mich. In einer Holzschale hat sie eine Paste zubereitet, in der anderen hält sie Verbandsmaterial. Sie legt die Sachen ab und lächelt mich an. »Hallo, Louisa.«

»Hallo«, erwidere ich schüchtern.

Sie stellt sich als Diana vor, und irgendwie bin ich verwirrt, weil ich dachte, Diana wäre viel älter. Die Frau vor mir sieht aus wie Mitte dreißig. Einzig und allein die Lachfalten um ihre Augen herum zeigen ihr Alter an.

»Hast du schon mal jemanden geheilt?«, fragt sie mich.

Ich lache auf, so absurd klingt die Frage in meinen Ohren. Haben Moose und Ivan ihr denn nicht erzählt, was in dem Apartment in Düsseldorf passiert ist?

Sie scheint nicht überrascht zu sein und lächelt bloß sanft. »Es ist gar nicht schwer. Du musst dich einfach nur gut auf das konzentrieren, was du erreichen möchtest.«

»Aber ... aber wieso erzählst du mir das jetzt? Können wir die Unterrichtsstunde nicht auf später verschieben?«, frage ich und blicke zu Alex, der sichtlich unter seinen Schmerzen leidet. Ich wünschte, sie würde ihn einfach heilen. Warum redet sie nur und handelt nicht?

»Ich könnte deine Hilfe gebrauchen. Zusammen sind wir viel stärker.«

»O-Okay.« Unsicher zucke ich mit den Schultern. »Was soll ich tun?«

Sie bittet mich auf die gegenüberliegende Seite und streckt ihre Hände über Alex’ Beinen aus. Zögernd lege ich meine Handflächen in ihre. Ein warmes Gefühl breitet sich in meiner Magengrube aus, und mir wird schlagartig bewusst, dass ich von ihr nichts zu befürchten habe.

»Ivan wird auf mein Zeichen den Druckverband lösen«, erklärt sie. »Aber wir beide schließen die Augen und konzentrieren uns vollkommen darauf, sein Bein zu heilen.«

»Aber wie?« Ich habe keine Ahnung, woran ich überhaupt denken soll. Soll ich mir etwa vorstellen, wie alles zusammenwächst? Wie Muskeln und Sehnen und Fasern und Blutbahnen ihren Weg zueinanderfinden, um sich schließlich unter rosiger Haut zu verbergen?

»Du stellst dir einfach ein heiles Bein vor, ja?« Diana lächelt mich aufmunternd an. »Du denkst ganz fest daran. Wann immer du merkst, dass deine Gedanken abschweifen, führst du sie sanft zurück. Du darfst erst aufhören, wenn ich es dir sage. Hab Vertrauen in deine Kräfte – und in mich.«

Ich nicke, und sie drückt meine Hände, um mir zu signalisieren, dass es losgehen wird. Nervös schließe ich die Augen und atme tief ein und aus. Ich stelle mir Alex vor, wie er am Ufer neben mir steht, und fokussiere sein Bein. Ich konzentriere mich auf die weiche Haut seines Oberschenkels, auf die Härchen und seine Muskelstränge, die sich unter der leicht gebräunten Haut abzeichnen.

Meine Aufmerksamkeit wandert weiter hinauf, über seinen Bauch und ...

Stopp! Ich merke, wie ich abschweife und führe meine Konzentration zurück auf sein Bein. Es fällt mir schwer, nicht immer wieder andere Dinge zu denken, aber bald finde ich einen Weg, meine Gedanken zu kontrollieren.

Es wird schwerer, als er zu schreien beginnt. Am liebsten würde ich die Augen öffnen, weil ich Angst habe, dass unsere Magie nichts bewirkt, aber Dianas Worte hindern mich daran.

Hab Vertrauen.

Also vertraue ich.

[3]

 

Hayet

Österreich, 2018

 

Nach dem Aufwachen fühle ich mich merkwürdig leer. Als hätte man mir ein Stück meiner Seele geraubt, ein winziges nur, kaum bemerkbar, aber eben doch weg. Ich reibe mir durchs Gesicht, streiche die lästigen Haare nach hinten, die sich nachts immer aus meinem Haargummi lösen und sich den Weg in mein Gesicht bahnen.

Irgendetwas stimmt nicht.

Irgendetwas fühlt sich merkwürdig an.

Mit einem unruhigen Kribbeln im Bauch schlage ich die Decke zurück, leise, um niemanden zu wecken, und tapse zum Fenster. In der Ferne geht gerade die Sonne auf, der Innenhof liegt noch ruhig in den Schatten. Nichts an diesem Sonnenaufgang ist ungewöhnlich.

Ich atme tief ein und strecke mich, bevor ich mich schließlich umdrehe, um mir etwas Frisches zum Anziehen aus dem Schrank zu holen. Yanis hebt den Kopf und blinzelt mich müde aus treuen Hundeaugen an. Eine stille Frage, ob alles in Ordnung ist.

Lächelnd winke ich ab. Schlimm genug, dass ich mir mit ihm ein Bett teilen muss. Meine Gedanken möchte ich lieber noch für mich behalten.

Er gähnt herzhaft und vergräbt seine Schnauze wieder in den Bettlaken. Dass die Wächter noch nicht gemerkt haben, dass er kein Hund ist, wundert mich. Aber nach unserem Anreisetag hat ihm keiner mehr viel Aufmerksamkeit gewidmet. Dazu sind sie hier alle wohl viel zu beschäftigt mit dem, was in der magischen Welt gerade geschieht. Irgendetwas scheint passiert zu sein, was auch der Grund dafür ist, dass einige Lehrer fehlen.

Ich schlüpfe in eins meiner Lieblingskleider und dicke Strumpfhosen, bevor ich meine Haare bürste und den oberen Teil zurückstecke, damit er mir nicht immer im Gesicht hängt. Der Lebensbaumanhänger liegt wie ein leises Versprechen auf meinem Ausschnitt.

Ob Maman gewusst hat, auf was für ein Abenteuer wir uns hier einlassen?

Dass wir so schnell nicht wiederkommen würden, weil Zoe und Azalea Gefallen an der Idee gefunden haben, hier unterrichtet zu werden? Und ich nicht weiß, was ich ohne Zoe und Yanis noch im Cirque soll? Ich meine, vielleicht würde Yanis sogar mit mir zurückkehren. Ohne mich würde er wahrscheinlich sowieso nicht hierbleiben, aber die eigentliche Frage ist doch: Möchte ich überhaupt zurück zum Cirque? Ist das nicht vielleicht das größere Problem?

Leise seufzend verlasse ich das Zimmer, um meine Erkundungsgänge im Schloss fortzusetzen, während ich darüber nachdenke, was ich tun soll. Genauso wenig wie der Cirque mein Zuhause ist, ist der Palast der Träume ein Zufluchtsort für mich. Hier summt alles vor Magie. Wenn es nicht gerade Zoe ist, die vor meinen Augen ihre Kräfte anwendet, findet sich hinter jeder Ecke eine andere Hexe, die mir vorführt, was ich nicht kann.

Und wenn es so still ist wie jetzt, weil alle noch schlafen, erinnern mich die vielen immergrünen Pflanzen und die Grimoires in den Regalen an die Daseinsberechtigung dieser Schule.

Aber wo würde ich mich dann wohlfühlen? Weg von all dem? Irgendwo zwischen Menschen, die nicht einmal wissen, dass Magie existiert?

Ich könnte meinen Anteil vom Geld nehmen und eine Weltreise machen. Wenn ich zwischendurch immer wieder Tarotkarten und Träume deute, würde ich vielleicht sogar genug verdienen, um ein paar Monate mehr zu finanzieren.

Aber was dann?

»Du siehst aus, als würdest du dir über ein schwerwiegendes Problem den Kopf zerbrechen.«

Ich blicke überrascht auf. So tief in Gedanken versunken habe ich gar nicht gemerkt, wie ich im Kaminzimmer angekommen bin und beinahe in Aslan hineingelaufen wäre.

Er lächelt schief und blickt mich aus braunen Augen an. Sein Französisch ist nicht das Beste, aber mein Deutsch reicht noch lange nicht aus, um mich flüssig mit ihm zu unterhalten. »Kannst du auch nicht mehr schlafen?«

Ich seufze. »Irgendwie nicht. Ich wollte die Stille nutzen, um meine Gedanken zu sortieren.«

»Hast du etwas dagegen, wenn ich dich begleite?«

Ich schüttle den Kopf und setze mich wieder in Bewegung. Wir laufen ein paar Minuten schweigend nebeneinander her, und erkunden Gänge, die ich bisher noch nicht kannte, finden Lehrerzimmer und Wächterquartiere, eine Bibliothek, und noch mehr Klassenräume und Schlafzimmer. Das Schloss ist gigantisch groß, und es wird noch Wochen dauern, bis ich mich hier zurechtfinde.

Es ist angenehm, mit Aslan zu schweigen. Die Stille zwischen uns fühlt sich nicht an, als müssten wir sie dringend mit Worten füllen, und trotzdem ist es schön, nicht allein zu sein. Irgendwann denke ich trotzdem, dass ich etwas sagen sollte, um ihm zu zeigen, dass ich seine Anwesenheit schätze.

»Warum kannst du nicht schlafen?

---ENDE DER LESEPROBE---