Die Leidenschaft des Prinzen: Die Ladys vom Cavendish Square - Band 2 - Jane Feather - E-Book
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Die Leidenschaft des Prinzen: Die Ladys vom Cavendish Square - Band 2 E-Book

Jane Feather

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Beschreibung

Enthüllen Sie das Geheimnis eines stürmischen Liebhabers: Der Regency-Roman »Die Leidenschaft des Prinzen« von Jane Feather als eBook bei venusbooks. London, im Jahr 1807: Auf einem herrschaftlichen Ball lernt die stolze Livia Lacey den russischen Prinzen Alex Prokov kennen. Charmant umwirbt er sie nach allen Regeln der Kunst – und Livia kann dem brennenden Verlangen, das er in ihr weckt, nicht lange widerstehen. Doch die Leidenschaft zwischen ihnen kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Alex etwas vor Livia zu verheimlichen scheint. Als er von geheimnisvollen Entführern verschleppt wird, werden Livias Gefühle auf die Probe gestellt: Ist sie wirklich bereit, alles zu riskieren, um Alex aus den gefährlichen Verstrickungen seiner Vergangenheit zu retten? »Jane Feather ist eine begnadete Geschichtenerzählerin – hinreißend und außergewöhnlich!« Los Angeles Daily News Begleiten Sie in der romantischen Regency-Trilogie »Die Ladys vom Cavendish Square« die drei Freundinnen Livia, Cornelia und Aurelia auf ihrer Suche nach der großen Liebe im London des 19. Jahrhunderts. Jetzt als ebook kaufen und genießen: »Die Leidenschaft des Prinzen« von Romance-Bestseller-Autorin Jane Feather. Lesen ist sexy: venusbooks – der erotische eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 702

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Über dieses Buch:

London, im Jahr 1807: Auf einem herrschaftlichen Ball lernt die stolze Livia Lacey den russischen Prinzen Alex Prokov kennen. Charmant umwirbt er sie nach allen Regeln der Kunst – und Livia kann dem brennenden Verlangen, das er in ihr weckt, nicht lange widerstehen. Doch die Leidenschaft zwischen ihnen kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Alex etwas vor Livia zu verheimlichen scheint. Als er von geheimnisvollen Entführern verschleppt wird, werden Livias Gefühle auf die Probe gestellt: Ist sie wirklich bereit, alles zu riskieren, um Alex aus den gefährlichen Verstrickungen seiner Vergangenheit zu retten? »Jane Feather ist eine begnadete Geschichtenerzählerin – hinreißend und außergewöhnlich!« Los Angeles Daily News

Über die Autorin:

Jane Feather ist in Kairo geboren, wuchs in Südengland auf und lebt derzeit mit ihrer Familie in Washington D.C. Sie studierte angewandte Sozialkunde und war als Psychologin tätig, bevor sie ihrer Leidenschaft für Bücher nachgab und zu schreiben begann. Ihre Bestseller verkaufen sich weltweit in Millionenhöhe.

Bei venusbooks erscheinen als weitere Bände der Reihe Die Ladys vom Cavendish Square:

Das Verlangen des Viscounts, Band 1

Das Begehren des Spions, Band 3

Außerdem erscheinen in der Reihe Das Erbe von Blackwood:

Das Geheimnis des Earls, Band 1

Das Begehren des Lords, Band 2

Der Kuss des Lords, Band 3

Die Website der Autorin: www.janefeatherauthor.com

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eBook-Neuausgabe November 2018

Ein eBook des venusbooks Verlags. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Dieses Buch erschien bereits 2008 unter dem Titel Verführerische Maskerade bei Blanvalet, einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH, München

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2008 by Jane Feather

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2008 unter dem Titel To wed a wicked Prince bei Pocket Books, a division of Simon & Schuster, Inc., New York.

Copyright © der deutschen Ausgabe 2008 by Verlagsgruppe Random House GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2018 dotbooks GmbH, München

Copyright © der Lizenzausgabe 2018 venusbooks GmbH, München

Copyright © der aktuellen eBook-Neuausgabe 2020 venusbooks Verlag. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Published by arrangement with Jane Feather.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Mexrix und Period Images

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (mm)

ISBN 978-3-95885-637-0

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des venusbooks-Verlags

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Jane Feather

Die Leidenschaft des Prinzen

Die Ladys vom Cavendish Square

Aus dem Amerikanischen von Jutta Nickel

venusbooks

Prolog

Cornwall, August 1771

Außer der Brandung, die gegen die Felsen schlug, drang kein Geräusch in das Zimmer des Steinhauses hoch oben auf den Klippen. Schweigend hingen die Menschen im Zimmer ihren Gedanken nach. Die Frau im Bett betrachtete das Gesicht des Babys, das in ihren Armen schlief, während der Mann am geöffneten Fachwerkfenster stand und in den Sommerabend hinausschaute.

Das Klopfen an der Tür durchbrach die Stille. Der Mann am Fenster drehte sich um und starrte die Frau an, die kaum merklich nickte. »Herein«, rief er leise.

In der Tür erschien ein Mann in grüner Uniform, die ihn als Major des elitären Preobrazhensky-Regiments zu erkennen gab, der Palastgarde der Zarin von Russland. »Bitte verzeihen Sie, mein Prinz, aber das Rendezvous müsste längst zu Ende sein. Die Zeit ist verstrichen.« Der Mann klang höflich, sein Tonfall beinahe unterhaltend; aber niemand bildete sich ein, dass sich hinter den freundlichen Worten etwas anderes verbarg als ein nachdrücklicher Befehl.

»Ich bin in fünf Minuten unten«, erwiderte der Prinz und winkte abweisend. Der Major zog sich zurück und schloss die Tür leise hinter sich.

Die Frau im Bett schaute auf und begegnete dem festen Blick ihres Begleiters. Tränen glitzerten in ihren blauen Augen. »Geh«, sagte sie ruhig, »und nimm ihn jetzt.«

»Wenn es nur einen anderen Weg gäbe ...« Seine Worte verloren sich, während er hilflos den Kopf schüttelte. »Sophia, du könntest mit mir kommen. Wir könnten heiraten ...«

Anstelle einer Antwort schüttelte sie ebenfalls den Kopf. »Du weißt genau, dass es nicht geht, Alexis. Die Zarin würde dir niemals verzeihen. Deine Karriere würde in Trümmern vor dir liegen, und deine Familie wäre ihrer Ehre beraubt.« Für den Bruchteil einer Sekunde huschte ein Lächeln über ihre reglosen Gesichtszüge. »Mein Liebster, du vergisst, dass ich dich so gut kenne wie sonst niemand. Ich weiß genau, dass du dein Leben nicht im Ausland verbringen könntest. Im Exil würdest du zerbrechen.«

»Mit dir nicht«, erwiderte er schlicht.

Wieder versuchte sie zu lächeln, aber es strengte sie an. Und es gelang ihr noch nicht einmal, ihren Schmerz zu verbergen oder die Trauer in ihrem Blick oder die dunklen Schatten unter ihren Augen. »Die Zarin wird deinen Sohn mit offenen Armen empfangen. Das gilt natürlich nicht für deine Frau oder deine Geliebte.« Sie ließ den Blick wieder über das Kind schweifen. »Katharina wird ihm seine illegitime Geburt nicht nachtragen. Sie sorgt für ihre Leute, nicht wahr?«

»Sehr richtig«, stimmte Alexis düster zu. »Ihr Sohn wird bei Hofe erzogen werden und sämtliche Vorzüge genießen dürfen. Katharina hegt eine gewisse Zuneigung zu Kindern.«

»Und sie wird auch mit deinem Kind zärtlich umgehen. Weil es dein Kind ist«, fügte sie hinzu, strich mit der Fingerspitze über die Wange des Babys und über den sanften Bogen seines Kiefers. »Alexis, der Kleine muss eine Zukunft haben«, erklärte sie mit tränenerstickter Stimme. »Die beste Zukunft, die wir uns nur denken können. Wenn er bei mir bliebe, würde das Stigma seiner unehelichen Geburt ihm diese Zukunft versperren. Er würde in einer Halbwelt aufwachsen, mit einer Mutter, die man als Ausgestoßene betrachtet.«

Dann starrte sie ihn mit grimmiger Wut an. »Ich habe ihm nichts zu bieten. Du hast einen edlen Namen, und du bist sehr angesehen in der Gesellschaft. Du kannst ihn ausbilden lassen, kannst ihm Verbindungen verschaffen. Du kannst alles, was ich nicht kann.«

»Sophia, ich würde mit dir ins Ausland gehen«, wiederholte er, »zusammen können wir es schaffen.«

Sie schüttelte den Kopf. »Wir würden unser Kind zu einem Leben in der sibirischen Eiswüste verdammen«, erklärte sie eisern, »wo es Katharinas Launen nach Belieben ausgeliefert ist. Du weißt genau, dass sie dir niemals vergeben würde ... und mir auch nicht. Unser Kind müsste leiden.«

Wieder schüttelte sie den Kopf, noch heftiger als zuvor. »Ich kann unserem Sohn nicht die Möglichkeiten bieten, die du ihm bieten kannst. Und ich werde weder dich noch ihn dem flüchtigen Ideal romantischer Seligkeit opfern.«

Diesmal musste er lächeln. »Ah, Sophia, du bist wirklich eisern. Katharina würde es begrüßen.«

»Das bezweifle ich«, bemerkte Sophia mit einem Anflug von Spott. »Sie würde mich als Nebenbuhlerin betrachten. Im Bett. Nicht mehr, nicht weniger. Und während du mit Tricks und Schlichen versuchst, nicht wieder neben ihr im Bett zu landen, würde sie dich lieber verbannen als dich in den Armen einer anderen Frau zu wissen. Du weißt genau, wie eifersüchtig sie ihre einstigen Liebhaber überwacht. Sie müssen sie immer noch mit ihrer Aufmerksamkeit umschmeicheln, selbst wenn sie sie nicht länger in ihrem Bett duldet.«

Alexis senkte den Kopf und gab ihr damit zu verstehen, dass sie die Wahrheit sagte. Seit vielen Monaten sprachen sie wieder und wieder darüber, und beide wussten, dass ihr Schicksal unausweichlich war. Es gab kein Entkommen. »Nun, dann ...« Er trat einen Schritt auf das Bett zu.

Sophia hob das Kind hoch und küsste es auf die Stirn. Dann schloss sie die Augen, um die Tränen zurückzudrängen, und streckte ihm das Kind entgegen. »Nimm ihn und geh. Schnell.«

Er zögerte. »Meine Liebe ...«

»Um Gottes willen, Alexis, erbarme dich. Geh.« Es gelang ihr nicht, ihre Qualen zu verbergen.

Er nahm ihr das Kind ab, schmiegte es an sich, während er sich hinunterbeugte und Sophia auf die Lippen küsste. Sie fühlten sich kalt und leblos an, ganz anders als die warme, leidenschaftliche Frau, die er so sehr liebte, dass ihm ebenfalls die Tränen in die Augen stiegen. Aber es würde ihre Qualen nur verlängern, wenn er sich nicht beeilte. Alexis machte auf dem Absatz kehrt, verließ sie und schloss die Tür hinter sich.

Sie lauschte dem Widerhall seiner Schritte auf den Treppenstufen. Und als sie ihn nicht mehr hören konnte, tatsächlich erst dann, ließ sie ihren Tränen freien Lauf, verfluchte die Frau in ihrem prächtigen Palast in St. Petersburg, deren gedankenloser Wille das Glück einer Frau zerstört hatte, deren Existenz ihr wahrscheinlich noch nicht einmal bekannt war. Und die sie sicher nur als Störung betrachtet hätte, lästig wie eine Fliege und genauso leicht zu beseitigen.

Kapitel 1

London, September 1807

Livia Lacey schlug sich mit dem geschlossenen Fächer in die Handfläche. Mühsam versuchte sie, sich ihre Ungeduld nicht anmerken zu lassen, als das Orchester die ersten Takte eines Cotillons spielte. Jedes Mal, wenn sie einen Cotillon hörte, wippte sie unwillkürlich mit den Zehen. Ihre Tanzkarte war voll, aber der Partner, der für diesen Tanz vorgesehen war, glänzte durch Abwesenheit. Es war die pure Verschwendung, dass die Musiker ausgerechnet jetzt einen Cotillon spielten.

Sie registrierte kaum die neugierigen Blicke einiger ältlicher Anstandsdamen, die in einem entfernten Winkel des Ballsaales die Köpfe zusammengesteckt hatten, obwohl sie natürlich wusste, dass das Gespräch sich nur um sie drehte. Ihr unschicklicher Besuch neulich in Vauxhall musste den Damen zu Ohren gekommen sein. Unter gewöhnlichen Umständen ließ Livias Gefühl für Sitte und Anstand nichts zu wünschen übrig. Niemals verstieß sie gegen die ungeschriebenen Gesetze der Etikette, denen die Gesellschaft sich unterworfen hatte. Dennoch passierte es manchmal, dass sie den unbändigen Drang verspürte, sich mit einem Schlag aus all diesen Zwängen zu befreien. An jenem Abend hatte sie der Versuchung nicht widerstehen können, in Begleitung junger Adliger einen Ausflug nach Vauxhall zu wagen, noch dazu gekleidet wie sie. Es war ein erregendes Gefühl gewesen, das sich leider viel zu rasch verflüchtigt hatte. Und nun hatte sie mit ärgerlichen Konsequenzen zu rechnen.

Wenn Aurelia doch nur am Cavendish Square gewesen wäre, anstatt Nell und Harry in Schottland zu besuchen, hatte Livia im Nachhinein gedacht, dann hätte ich diesem lächerlichen Impuls nie und nimmer nachgegeben. Schließlich besaß sie einen gesunden Menschenverstand. Aber Einsamkeit und Langeweile hatten sie diesmal überwältigt. Wie dem auch sei, munterte sie sich entschlossen auf, es ist nicht mehr zu ändern. Der Vorfall ist in aller Munde. Aber schon bald würden sich die Klatschdamen mit einer anderen Geschichte amüsieren, und Livia hatte sich fest vorgenommen, sich von nun an ohne Fehl und Tadel in der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Sie ließ den Blick durch den Ballsaal schweifen, wo die Paare sich für den kunstvollen Tanz formierten. Noch gab es Gruppierungen mit freien Plätzen, aber falls Bellingham nicht unverzüglich auftauchte, würden sie alle besetzt sein. Dabei gab es keinen Tanz, den sie so schätzte wie den Cotillon.

»Lady Livia, warum tanzen Sie nicht? Darf ich Ihnen Prinz Prokov als Partner vorstellen?«

Überrascht drehte Livia sich um und entdeckte ihre Gastgeberin, die Herzogin von Clarington, die mit einem schlanken Gentleman mit hellem Haar neben ihr stand.

Der Gentleman verbeugte sich. »Wenn Sie mir die Ehre erweisen würden, Lady Livia ...« Er streckte die Hand aus. Der Mann sprach mit leichtem Akzent, den Livia genauso attraktiv und exotisch fand wie den massiven rubinroten Edelstein in seinem Siegelring. Offenbar ein vermögender Gentleman, der wegen seiner schlanken, geschmeidigen Statur noch dazu ein viel versprechender Tanzpartner zu sein schien.

Livia wünschte Bellingham zum Teufel. Ohnehin war er ein lausiger Tanzpartner. Im besten Fall. Ständig schaute er auf seine Füße, und unablässig musste er über die Ursprünge und die soziale Bedeutung des Tanzes dozieren. Niemals hätte sie ihn als Partner für einen Cotillon bevorzugt, aber leider hatte er sich zuerst auf ihrer Karte eingetragen. Sie war kurz davor gewesen, ihm den Tanz zu verweigern, hatte sich dann aber gefügt und beschlossen, seine langweilige Gesellschaft eine halbe Stunde lang zu ertragen. Welche Wahl hätte sie sonst gehabt? Nun, wenn Bellingham so unhöflich war, nicht rechtzeitig zu diesem Tanz aufzutauchen, dann hatte er es sich selbst zuzuschreiben, dass sie ein anderes Angebot annahm.

Lächelnd ergriff sie die Hand und erhob sich. »Es wäre mir ein Vergnügen, Sir.«

Der Mann schloss seine Finger um ihre und führte sie zum Parkett. Seine Hand fühlte sich warm und trocken an, und Livia konnte nicht leugnen, dass ihr ein merkwürdiger Schauder über den Rücken rann. Er brachte sie an ihren Platz, verbeugte sich so theatralisch, dass sie unwillkürlich lächeln musste, und sie bedankte sich mit einem Knicks, als der Tanz begann.

Er war ein ausgesprochen guter Tänzer. Genauso gut wie ich, dachte Livia ohne falsche Bescheidenheit. Denn sie wusste, dass sie sich elegant und würdevoll bewegte, und ihr Partner fügte sich ausgezeichnet in die kunstvollen Schrittfiguren des Cotillons. Es war ein Tanz, bei dem man gewöhnlich auf Plaudereien verzichtete. Auch er schien zufrieden, dass sie sich verschwörerisch zulächelten, als sie aufeinandertrafen und sich nach festgelegten Schrittfolgen des Tanzes wieder trennten. Als die Musik schließlich verklang, grüßten sie einander nochmals mit Knicks und Verbeugung, und er bot ihr den Arm, um sie vom Parkett zu führen.

»Vielen Dank, ich habe es sehr genossen«, sagte Livia, während er sie zu einer Terrassentür begleitete. Die leichten Sommergardinen waren zurückgezogen, um die frische Brise in den überhitzten Ballsaal einzulassen. »Sie sind ein ausgezeichneter Tänzer, Prinz ... Prokov, nicht wahr?«

»Richtig, Lady Livia«, erwiderte er mit einer angedeuteten Verbeugung. »Alexander Prokov, stets zu Diensten.« Er hielt die wehenden Gardinen fest, sodass sie auf den kleinen Balkon mit der Brüstung treten konnte, der auf den Garten hinter dem Anwesen zeigte. »Darf ich Ihnen ein Glas Limonade bringen? Oder vielleicht Champagner?«

»Champagner, bitte«, erklärte Livia und ertappte sich bei der Einbildung, dass die Atmosphäre um sie herum irgendwie zu prickeln begann. Genau wie prickelnde Perlen im Champagner ... sofort verbot sie sich solch launische Gedanken. Es musste am hellen Septembermond liegen, der unübersehbar am nächtlichen Himmel über dem Garten prangte.

»Ja, der Abend ist wie geschaffen für Champagner«, stimmte er mit ernster Miene zu, aber der funkelnde Blick aus seinen tiefblauen Augen strafte ihn Lügen. »Bitte warten Sie hier auf mich.«

Livia beobachtete, wie er sich geschickt durch den überfüllten Ballsaal bewegte. Hier legte er einem Gast die Hand auf die Schulter, dort schien er jemandem ein freundliches Wort ins Ohr zu flüstern, und die Menge teilte sich wie weiland das Rote Meer für Moses. Woher war er nur so plötzlich aufgetaucht, dieser Prinz Prokov? Den ganzen Sommer über war London wie leer gefegt gewesen. Erst jetzt, es war schon beinahe Mitte September, kehrte die Gesellschaft langsam wieder in die Stadt zurück. Daher war es vielleicht nicht verwunderlich, dass sie ihm bisher noch nicht über den Weg gelaufen war.

Sie schaute zu, wie er mit zwei Gläsern in der Hand zu ihr kam, sich wie zuvor geschickt durch die Menge manövrierte, bis er bei ihr war und ihr ein Glas reichte.

»Einen Toast«, erklärte er und hob sein Glas. »Auf neue Freunde.«

Livia stieß mit ihrem Kelch gegen seinen und hob kaum merklich die Brauen, als sie auf seinen unzweideutigen Toast trank. »Dann sind wir also Freunde?«, erwiderte sie nüchtern.

Er musterte sie aufmerksam. »Was spricht dagegen? Nichts, soweit ich sehe.«

Sie zuckte die Schultern und hoffte, dass ihre Bemerkung bissig genug war, um ihm begreiflich zu machen, wie arrogant er sich ihr gegenüber benahm. »Es ist nicht meine Art, leichtfertig Freundschaften zu schließen, Sir«, entgegnete sie, »ich lasse mir Zeit, bevor ich so wichtige Entscheidungen treffe.« Mit leicht zusammengezogenen Brauen schaute Livia ihn an und musste irritiert feststellen, dass er ihren Blick spöttisch erwiderte. Ihre Bemerkung war offenbar wirkungslos geblieben.

Kurz darauf drehte sie sich weg und betrachtete das Geschehen im Ballsaal. »Ich kann mir gar nicht denken, was Lord Bellingham zugestoßen ist. Eigentlich hätte er den Cotillon mit mir tanzen sollen.«

»Ah, Bellingham, so hieß er also«, nickte ihr Begleiter nachdenklich. »Ich fürchte, ich hatte keine Ahnung, als ich ihm vor einiger Zeit begegnet bin.«

Livia wirbelte überrascht herum. »Sie sind ihm begegnet? Wo?«

»Oh, ich bitte um Vergebung, ich hätte es schon viel früher erwähnen sollen. Ich fürchte, Lord Bellingham hat einen kleinen Unfall erlitten, der ihn gehindert hat, Ihnen die Hand zum Tanz zu reichen«, erklärte er.

Livia starrte ihn entgeistert an. »Einen kleinen Unfall?«

»Ja. Er ... äh ... er ist in den Brunnen gestürzt«, berichtete der Prinz und schüttelte mitfühlend den Kopf. »Sehr bedauerlich.« Er deutete auf die spritzende Fontäne in der Mitte des Gartens unter ihnen.

Livia rang um Fassung. Insgeheim war sie überzeugt, dass der Mann lachte, obwohl er äußerlich ernst blieb; aber gegen das amüsierte Glitzern tief in seinem Blick konnte er nichts ausrichten. »Ja, ich denke auch, Sie hätten es eher erwähnen sollen.« Angestrengt versuchte Livia, ihre Stimme kühl und distanziert klingen zu lassen, merkte aber, dass sie jämmerlich scheiterte. Die Vorstellung, wie der aufgeblasene und beleibte Bellingham in den Brunnen stürzte, kam ihr reichlich absurd vor.

Der Prinz wischte ihre Bemerkung mit einer Handbewegung fort. »Ma'am, da gibt es nicht viel zu berichten. Der bedauernswerte Gentleman ist einfach in den Brunnen gestürzt.« Er schüttelte den Kopf. »Er hat wirklich Pech gehabt. Ich wage zu vermuten, dass er nach Hause gefahren ist, um sich trockene Kleidung anzuziehen. Daher war er nicht in der Lage, die Verabredung mit Ihnen einzuhalten.«

Livia starrte ihn immer noch erschrocken an. Langsam dämmerte es ihr. »Äh ... könnte es sein, dass Sie irgendwie in diesen Unfall verstrickt sind, Prinz?«

»Oh, kaum der Rede wert«, versicherte er und nippte an seinem Champagner.

Livias Stimme vibrierte vor Gelächter. »Und wie genau darf ich mir das vorstellen?«

»Ich habe ihn wohl an der Schulter berührt«, meinte er beiläufig, »nur ganz leicht, wie ich Ihnen versichern darf. Unglücklicherweise schien es auszureichen, um den Gentleman aus dem Gleichgewicht zu bringen. Ich habe früher schon beobachtet, dass manche Menschen viel weniger im Gleichgewicht sind als andere. Vielleicht ist es Ihnen auch schon aufgefallen?« Spöttisch hob er eine Braue und schaute sie über den Rand seines Glases an.

»Aber warum nur sollten Sie Lord Bellingham in den Brunnen stoßen wollen, Prinz Prokov?«, hakte Livia nach und hatte Mühe, nicht lauthals zu lachen. Es wäre zu unhöflich, sich in aller Öffentlichkeit über den bedauernswerten Bellingham zu amüsieren, ausgerechnet über ihn, dem seine Würde so sehr am Herzen lag wie sonst nichts auf der Welt.

»Nun, er war mir im Weg«, erklärte ihr Begleiter. Offenbar war es für ihn die natürlichste Art, Hindernisse aus dem Weg zu räumen. »Ich habe den Brunnen entdeckt. Zufällig stand er daneben ... in der Tat, ich glaube, er hatte einen Fuß auf den Rand des Bassins gestellt. Es schien alles sehr logisch.«

»Aber wie kann es sein, dass er Ihnen im Weg war, wenn er sich am Brunnen aufgehalten hat? Das Bassin ist doch knapp zwei Meter vom Pfad entfernt«, wandte Livia ein und rang zum zweiten Mal um Fassung. Die Unterhaltung war geradezu aberwitzig.

»Ah, nein, da liegt ein Missverständnis vor. Er hat mir nicht den Weg versperrt, weil ich an ein bestimmtes Ziel gelangen wollte. Er hat meinem Wunsch im Weg gestanden, mit Ihnen zu tanzen. Ich habe ihn mit ausgesuchter Höflichkeit gebeten, mir seinen Eintrag auf Ihrer Tanzkarte zu überlassen. Aber er sah sich gezwungen, mir eine Predigt zu halten, dass es ungebührlich sei, die Reihenfolge der Eintragungen zu ändern. Es gab vieles, was er dazu zu sagen hatte, aber das meiste kam mir irgendwie belanglos vor ... Predigten haben mich noch nie interessiert.« Er schmunzelte, als hätte er den Vorfall nun zu ihrer Zufriedenheit erläutert.

»Sie wollten mit mir tanzen?«, fragte Livia fassungslos. Es war schmeichelhaft. Oder besser, es wäre schmeichelhaft gewesen, wenn das Kompliment nicht von einem Mann stammen würde, der eindeutig den Verstand verloren hatte.

»Ja«, bestätigte er schlicht. »Ich habe Sie schon den ganzen Abend über beobachtet. Es war mein Wunsch, Ihnen vorgestellt zu werden.«

»Und es hätte nicht gereicht, unsere Gastgeberin darum zu bitten? Stattdessen mussten Sie jemanden in den Brunnen schubsen?«

»Nun, ich hatte den Eindruck, als könne ich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen«, entschuldigte er sich. »Ich wollte Ihnen vorgestellt werden, und ich wollte auch mit Ihnen tanzen. Es schien nur einen Weg zu geben, nämlich einen Ihrer voraussichtlichen Partner zu beseitigen. Und weil ich den Cotillon ganz besonders schätze, schien es mir die richtige Wahl zu sein. Übrigens«, fügte er hinzu, »ich habe diesen Bellingham bei den ländlichen Tänzen beobachtet und hatte nicht den Eindruck, dass er gut tanzen kann. Mit mir sind Sie also wesentlich besser gefahren. Leider stand er meiner überaus höflichen Bitte mit größter Unversöhnlichkeit gegenüber, wenn Sie verstehen.«

Livia hatte nicht die geringste Ahnung, wie sie ihre Ausgelassenheit noch länger zügeln sollte. Unmöglich, ihn wegen seiner Arroganz jetzt noch mit einem frostigen Kommentar zu bedenken und einfach fortzugehen. Denn es gab ein Problem: Der Mann sagte schlicht die Wahrheit. Einerseits war ihr klar, dass sie durchaus Mitgefühl für Lord Bellingham empfand. Aber wie oft hatte sie andererseits den Drang verspürt, seiner Großspurigkeit mit einer eiskalten Dusche einen gehörigen Dämpfer zu verpassen.

Sie lachte. Er lehnte sich gegen die Brüstung und beobachtete sie lächelnd, bis sie sich wieder im Griff hatte. Dann nahm er ihr den Fächer aus der Hand, schlug ihn auf und fächelte ihr Luft zu, bis die Röte in ihren Wangen sich ein wenig verflüchtigt und sie sich die Augen mit einem dünnen seidigen Taschentuch abgetupft hatte.

»Du liebe Güte«, meinte sie, »wie unhöflich, dass ich so lachen muss ... der arme Bellingham.« Livia schüttelte den Kopf, als wollte sie die letzten Fetzen ihrer Belustigung loswerden, und schaute ihn an. »Ich muss gestehen, Prinz Prokov, dass Sie eine ausgesprochen unenglische Art an den Tag legen, mit Widrigkeiten umzugehen.«

»Weil ich kein Engländer bin«, betonte er und gab ihr den Fächer zurück, »das slawische Temperament neigt zur Impulsivität. Gewöhnlich entscheiden wir uns für die schnellste und effizienteste Art, Widrigkeiten aus dem Weg zu räumen.«

Livia musterte ihn noch aufmerksamer als zuvor, bemerkte die hohen Wangenknochen, die lange, dünne Nase, die fein geschwungenen Lippen und den blonden Haarschopf, den er sich aus der breiten, intelligenten Stirn gekämmt hatte. Seine Gesichtszüge wirkten edel, und die wundervoll blauen Augen fielen ihr besonders auf.

Außerdem sprach er mit einem leichten, aufregenden Akzent. Ein Slawe? Seltsam, denn in diesem Zusammenhang hatte sie bisher immer an düstere Mienen und schwarzes Haar gedacht. Aber es schien Ausnahmen zu geben. »Sind Sie aus Russland?«, riet sie ins Blaue hinein, »oder vielleicht aus Polen?«

»Größtenteils aus Russland«, erklärte er, nahm ihr das Glas ab und stellte es auf die Brüstung. »Sollen wir noch mal tanzen?«

»Ich fürchte, ich kann nicht«, entgegnete Livia und warf einen Blick auf ihre Tanzkarte, die mit einem Seidenband an ihr Handgelenk geknüpft war. »Es sei denn, Sie können es arrangieren, dass die nächsten sechs Gentlemen auf meiner Karte ebenfalls unglückliche Bekanntschaft mit dem Brunnen schließen.«

»Wer steht jetzt auf der Liste?«, wollte er prompt wissen. Livia lachte schallend, bevor sie sich umwandte und entschlossen in den Ballsaal zurückmarschierte, wo ihr nächster Partner den Blick untröstlich umherschweifen ließ.

Alexander Prokov blieb auf dem Balkon stehen und betrachtete den märchenhaften Garten, der sich unter ihm erstreckte. Fackeln brannten am Wegesrand, und tausende kleiner Lichter hingen im Geäst der Bäume. Er verspürte nicht die geringste Lust, an diesem Abend noch irgendjemand anders auf das Parkett zu bitten.

Livia hatte große Schwierigkeiten, sich auf ihren Partner zu konzentrieren, und war froh, dass sie ihren Schritten keine allzu große Aufmerksamkeit widmen musste.

»Ich nehme an, dass Gretna Green für uns am besten wäre ... wir könnten übermorgen durchbrennen. Was halten Sie davon, Livia?«

Abrupt richtete sie den Blick auf Lord David Foster. »Was haben Sie gesagt, David? Bitte entschuldigen Sie, ich habe Sie nicht ganz verstanden.«

»Gretna Green«, wiederholte er ernst. »Ich hatte vorgeschlagen, dass wir übermorgen durchbrennen und direkt nach Gretna Green fahren.«

Livia starrte ihn entgeistert an. »Was?«

»Liv, seit einer halben Stunde unterhalte ich mich schon mit Ihnen«, verkündete er, »und Sie haben mir nicht eine Minute zugehört. Langsam fühle ich mich wie eine Holzpuppe auf beweglichen Beinen.«

»Oh, David, es tut mir sehr leid.« Sofort hatte sie ein schlechtes Gewissen. »Zugegeben, ich war meilenweit entfernt. Aber jetzt höre ich Ihnen zu. Wollen Sie wirklich nach Gretna Green fahren? Es kommt alles so plötzlich ... ich habe schon immer durchbrennen wollen. Aus Bettlaken ein Seil knüpfen und aus dem Fenster klettern ... Sie könnten in einer unscheinbaren Kutsche auf der Straße auf mich warten.«

»Es reicht«, wehrte er lachend ab. »Obwohl ich Sie natürlich auf der Stelle heiraten würde, wenn Sie mich haben wollten.«

»Das ist wirklich sehr galant, David. Aber ich fürchte, Sie könnten es sich nicht leisten, mich zu heiraten. Ich besitze keinerlei Vermögen«, gestand sie freimütig.

»Und ich fürchte, Sie haben Recht«, seufzte er. »Ich werde weiterhin mit der Sehnsucht in meinem Herzen leben müssen.

Den restlichen Abend konzentrierte Livia sich auf ihre Partner, schaute sich aber trotzdem nach dem geheimnisvollen Russen um. Er schien so unauffällig verschwunden zu sein, wie er aufgetaucht war. Nachdem das Orchester den letzten Tanz gespielt hatte, entschuldigte sie sich bei ihrem Partner unter dem Vorwand, dass sie sich verabschieden wollte, und machte sich auf die Suche nach ihrer Gastgeberin.

Die Gastgeberin stand am oberen Ende einer geschwungenen Treppe und hielt Hof. Sie verabschiedete die Gäste auf deren Weg nach unten in die Halle, wo die Dienstmädchen eifrig die Abendmäntel hervorholten. Draußen warteten die Kutschen mit den Burschen in einer Reihe, während die Lakaien die Namen der abreisenden Gäste ausriefen.

Schließlich war Livia nahe genug an die Herzogin gerückt, um sich zu bedanken und sich zu verabschieden. »Ich habe den Tanz mit Prinz Prokov sehr genossen«, erklärte sie, während sie der Herzogin die Hand drückte, die im Seidenhandschuh steckte. »Ist er neu in der Stadt? Ich kann mich nicht erinnern, ihm schon einmal begegnet zu sein.«

»Oh, ja, er ist sicher ein Gewinn für uns«, tirilierte die Herzogin, »ach, wie öde es ist, jede Saison dieselben Gesichter zu sehen. Und dann solch eine ausgezeichnete Ergänzung unseres kleinen Kreises. Obwohl ... russische Prinzen gibt's wie Sand am Meer ...«, sie senkte die Stimme und fuhr flüsternd fort, »... aber trotz allem ist der Titel natürlich nicht zu verachten, nicht wahr, meine Liebe?«

»Ja, da kann ich Ihnen nur zustimmen«, murmelte Livia, »ich freue mich schon darauf, ihn wiederzusehen. Das Fest war wundervoll, Hoheit. Vielen Dank.« Livia drehte sich um, verließ ihren Platz und wollte die Treppe hinabgehen. Plötzlich schob sich eine Hand unter ihren Ellbogen, und eine Stimme flüsterte: »Uns gibt's wie Sand am Meer? Ich bin erschüttert.«

Livia schaute auf und bemerkte den Prinzen, der irgendwie auf der Treppe erschienen war und sie jetzt mit gleichmäßigem Schritt hinunterbegleitete. »Ich habe mich nicht so ausgedrückt«, widersprach sie, »es waren nicht meine Worte.«

»Aber Sie haben zugestimmt«, spottete er, »ich habe Sie genau gehört.«

»Ich wollte nur höflich sein«, entgegnete sie schlagfertig, »und wenn Sie lauschen, dürfen Sie sich nicht beklagen, dass Sie Dinge hören, die Ihnen nicht passen.«

»Wie wahr«, bestätigte er und schien sich sogar zu freuen. »Ich möchte Sie gern nach Hause begleiten. Ich vermute, dass Sie ohne Anstandsdame unterwegs sind?«

»Soll das heißen, dass Sie andernfalls noch jemanden in den Brunnen stoßen würden?«, wollte Livia wissen. »Aber Sie haben Recht. Wie der Zufall es will, hat meine Anstandsdame heute Abend nur ihren Namen gegeben, um die Form zu wahren. Lady Harley ist bereits nach Hause gefahren, zusammen mit ihren Töchtern. Meine Kutsche wartet auf mich. Danke, aber ich brauche keine Begleitung.«

»Oh, da muss ich Ihnen widersprechen«, behauptete er und wandte sich an das wartende Dienstmädchen. »Lady Livia Laceys Umhang.«

Das Mädchen knickste und eilte in die Garderobe, um das Kleidungsstück zu holen, während der Prinz zur Tür ging, um dem Lakaien seine Anweisungen zu erteilen. »Lady Livia Laceys Kutsche.«

Der Lakai gab den Befehl an einen Burschen am Fuß der Treppe auf der Straße weiter. »Lady Livia Laceys Kutsche.« Der Bursche hielt die Fackel vor seinen Körper und rannte an den aufgereihten Wagen entlang, während er den Namen laut ausrief.

Eine große bauchige Kutsche, es handelte sich um eine Berline, löste sich aus der Reihe und rollte zum Eingang des Clarington Mansion. Der Bursche sprang vor, klappte den Fußtritt aus und öffnete die Tür.

»Meine Kutsche«, sagte Livia, nahm dem Dienstmädchen lächelnd den Umhang ab und drückte ihr diskret eine Münze in die Hand. »Vielen Dank für den Tanz, Prinz Prokov.«

»Das ist Ihre Kutsche?« Ausnahmsweise klang er erschrocken. »Wirklich eine erstaunliche Equipage.«

»Wir nennen sie unsere ›Teetasse‹«, erklärte sie, raffte die Falten ihres Umhangs und des Ballkleides zusammen und eilte die flachen Stufen zum Fußweg hinunter.

»In der Tat, das trifft die Sache ganz genau«, stimmte er zu und schien sich prächtig zu amüsieren. »Wenn Sie gestatten, Ma'am.« Bevor sie widersprechen konnte, war er an ihrer Seite, griff nach ihrem Ellbogen und half ihr beim Einsteigen. Dann kletterte er neben sie in den Wagen, schlug die Tür fest hinter sich zu und ließ sich in die Polster in ausgeblichenem Purpur sinken. Aufmerksam und fasziniert schaute er sich um. »Wann sind diese Kutschen aus der Mode gekommen? Es muss schon mehr als zwanzig Jahre her sein.«

»Mindestens«, bemerkte Livia, denn sie hatte längst begriffen, dass es bestenfalls vergeblich und schlimmstenfalls würdelos war, ihm zu widersprechen. Außerdem war sie sich gar nicht mal sicher, dass sie überhaupt protestieren wollte. »Der Wagen hat einer entfernten Verwandten gehört. Ich vermute, dass sie darauf beharrt hat, ihren gesellschaftlichen Rang zu zeigen, wenn sie ausgefahren ist.«

Er musterte sie aufmerksam. Im dämmrigen Innern der Kutsche schimmerten seine Augen plötzlich hell. »Ach, wirklich? Wie interessant.«

»Warum sollten Sie das interessant finden, Prinz? Ich bin mir sicher, dass sie sich so verhalten hat, wie die Umstände es erforderten. Sie ist Ende letzten Jahres gestorben«, ergänzte Livia.

»Ah, das tut mir leid«, murmelte Prinz Prokov.

»Ich habe sie nie kennen gelernt«, erklärte Livia, »wie gesagt, wir waren nur entfernt verwandt ... ich bin mir noch nicht einmal sicher, über welche Verbindungen genau die Verwandtschaft verlaufen ist ... Aber wir haben denselben Nachnamen getragen. Das war ihr aus unerfindlichen Gründen so bedeutsam, dass sie mich zu ihrer Erbin gemacht hat.« Noch während sie sprach, musste Livia sich fragen, warum sie eigentlich so ausführlich Auskunft gab. Was ging es den Gentleman eigentlich an? Aber trotzdem schien er ihr Geständnis irgendwie zu provozieren.

»Erzählen Sie mir über sich, Lady Livia.«

»Es gibt nichts zu erzählen.« Livia machte es kurz, denn für einen Abend reichte es mit den Vertraulichkeiten. »Aber Sie könnten mir zum Beispiel erklären, was ein russischer Prinz in Zeiten wie diesen in London verloren hat. Haben Sie keine Angst, dass man Ihnen mit Misstrauen begegnen könnte? Russen sind hier nicht besonders erwünscht, seit Ihr Zar einen Vertrag mit Napoleon geschlossen hat.«

»Ach, die leidige Politik«, er winkte ab, »was für eine lästige Angelegenheit. Ich will nichts damit zu tun haben. Außerdem bin ich nur halb russisch.«

»Oh, und die andere Hälfte?«

»Natürlich englisch«, erklärte er so erfreut wie selbstgefällig, dass Livia unwillkürlich lachen musste. Dieser Mann brachte sie wirklich zu oft zum Lachen.

»Darauf wäre ich nie gekommen«, bemerkte sie. »Das gilt natürlich nur, wenn man Ihr ausgezeichnetes Englisch nicht zählt.«

»Ach, wir Russen können uns in allerlei Sprachen flüssig ausdrücken«, erklärte er leichthin, »außer in unserer eigenen. Nur die Leibeigenen sprechen Russisch.«

Livia wollte gerade nachfragen, als die Kutsche hielt und der Bursche die Tür öffnete. »Danke, Jemmy«, sagte sie und stützte sich beim Aussteigen auf seine Hand.

»Nun, hier trennen sich unsere Wege, Prinz Prokov. Nochmals vielen Dank für den Tanz, obwohl ich es keineswegs billigen kann, mit welchen Mitteln Sie sich aufs Parkett geschlichen haben.« Livia reichte ihm lächelnd die Hand, rein freundschaftlich, wie sie hoffte, und auch ein wenig abweisend.

Er führte ihre Hand an seine Lippen, drehte sie um und drückte einen unmissverständlichen Kuss in die Handfläche. »Sie erlauben, dass ich Ihnen einen Besuch abstatte, Mylady.« Es klang weniger nach einer Bitte als vielmehr nach einer Forderung.

Livia sah keinen Grund, seine Ankündigung zurückzuweisen. Allerdings schätzte sie es, dass ihre Wünsche in solchen Dingen ebenfalls berücksichtigt wurden. Trotzdem gab sie sich mit einem verhaltenen Lächeln zufrieden, wünschte ihm leise eine gute Nacht und eilte die Treppen zu ihrem Haus hinauf. Just an diesem Abend hätte sie es begrüßt, wenn ihr ältlicher Butler Morecombe ihre Rückkehr erwartet hätte. Aber wie erwartet musste sie dreimal klopfen, bevor sie seine Filzpantoffeln drinnen über den Boden schlurfen hörte. Dann wurde der Bolzen qualvoll langsam zurückgezogen, bevor die Tür sich knarrend öffnete und der alte Mann misstrauisch durch den Spalt lugte.

»Oh, Sie sind's«, verkündete er, als hätte es sonst noch jemand sein können.

»Ja, Morecombe, ich bin es«, erwiderte Livia ungeduldig, »um Himmels willen, machen Sie die Tür auf.«

»Geduld, Geduld«, schimpfte er kaum hörbar und sperrte weiter auf, »kommen Sie schon rein. Ehrenwerte Leute liegen um diese Zeit längst im Bett.«

Livia schlüpfte ins Innere und widerstand dem Impuls, mit einem Blick über die Schulter zu prüfen, ob der russische Prinz das amüsante Theater vom Bürgersteig aus beobachtet hatte.

Alexander wartete, bis die Tür wieder geschlossen worden war. Dann trat er auf die Straße zurück und schaute am Haus hinauf. Es war ein stattliches Gebäude, das sich gut in die Nachbarschaft am eleganten London Square einfügte. Es gab Anzeichen, dass das Mauerwerk und die Fenster kürzlich bearbeitet worden waren; der Zaun war schwarz gestrichen, der kupferne Klopfer an der Tür glänzend poliert, die Treppenstufen fein geschliffen. Kein Zweifel, dachte er, die Bediensteten erfüllen ihre Pflichten.

Er machte sich auf den Weg und lächelte verhalten, während er den Abend in Gedanken an sich vorüberziehen ließ. Der Bericht seines Informanten über Lady Livia war korrekt gewesen. Sie war die passende Frau. In der Tat, dachte er weiter, sie passt sogar sehr gut. Und wenn er sich nicht grob täuschte, dann versprach das respektlose Gelächter, das sie manchmal kaum unterdrücken konnte, eine amüsante und unkonventionelle Zusammenarbeit.

An der Ecke des Cavendish Square hielt er inne und überlegte, welche Richtung er einschlagen sollte. Nach Hause? Oder in einen seiner Clubs? Er horchte in sich hinein und stellte fest, dass ihm nicht der Sinn danach stand, sich noch einmal in den Trubel zu stürzen. Außerdem hatte er keine Lust zum Kartenspielen, und er lenkte seine Schritte in Richtung seiner Wohnung in der Bruton Street.

Er bewohnte eine geräumige und bequeme Suite, die von seinem Kammerdiener und einem Pagen gepflegt wurde. In der Küche schwang ein exzellenter Koch das Zepter. Es entsprach dem Temperament des Prinzen, dass es sich um einen reinen Männer-Haushalt handelte. Schon sein Vater hatte es vorgezogen, und auch der junge Alexander hatte sich ausschließlich unter männlichen Erziehern bewegt, nachdem er seiner Amme endgültig entwachsen war. Jedenfalls so lange, bis die Zarin Katharina ihn unter ihre Fittiche nahm, weil sie ihn als älteren Gefährten für ihren Enkel vorgesehen hatte. Aber selbst in den kaiserlichen Schulzimmern hatte es kaum Frauen gegeben; die Jungen waren unter den aufmerksamen Blicken der Privatlehrer aus dem Militär und der Diplomatie aufgewachsen, die die Zarin persönlich ausgewählt hatte. Schließlich hatte sie für ihren Erben eine Erziehung vorgesehen, die ihn auf den kaiserlichen Thron vorbereiten sollte. Selbstverständlich erst dann, wenn sie sich seines unbefriedigenden Vaters entledigt hatte.

Dieser Tage ertappte Prinz Prokov sich oft dabei, dass er sich fragte, wie erfolgreich die Erziehung eigentlich gewesen war – wenn er darüber nachdachte, welche Entscheidungen Alexander I. in letzter Zeit getroffen hatte, der russische Zar, mit dem er befreundet war.

Der Prinz betrat seine Wohnung und verzog das Gesicht, als Stimmen aus dem kleinen Salon rechts der Halle an sein Ohr drangen. Wie üblich tauchte sein Diener geräuschlos auf.

»Besuch, Sir«, kündigte er mit einer Verbeugung an, »Herzog Nicolai Sperskov, Graf Constantin Fedorovsky und noch jemand. Die Herren wünschten, hier auf Ihre Rückkehr zu warten.« Er nahm dem Prinzen den Ausgehumhang, den Spazierstock und die Handschuhe ab.

Alex nickte knapp. »Was trinken sie?«

»Wodka, Prinz.«

»Bringen Sie mir einen Cognac.« Alex öffnete die Tür zum Salon.

»Ah, Alex, ich hoffe, du hast nichts dagegen, dass wir hier auf dich warten.« Am Kamin stand ein unförmiger Gentleman mit rosigen Wangen, der sich mit einem Wodkaglas in der Hand umdrehte. »Exzellenter Wodka. Gratuliere«, anerkennend schwenkte er das Glas, »hast du ihn aus St. Petersburg mitgebracht?«

»Ungefähr ein Dutzend Flaschen, Nicolai«, bemerkte Alexander beiläufig und auf Französisch, die Sprache, in der sich alle zu Hause fühlten. »Du kannst dir gern eine mitnehmen.«

Der Herzog zwirbelte seinen beeindruckenden rabenschwarzen Schnurrbart und strahlte. »Großzügig wie immer, mein lieber Freund.«

Alex lächelte und streckte Constantin Fedorovsky zur Begrüßung die Hand entgegen. »Constantin ... ich hatte keine Ahnung, dass du dich in England aufhältst ... und ...« Mit fragendem Blick wandte er sich dem dritten Besucher zu.

»Alex, darf ich dir Paul Tatarinov vorstellen«, bemerkte Constantin Fedorovsky. »Wir sind vor zwei Tagen vom Hof eingetroffen.«

»Monsieur, seien Sie mir willkommen«, grüßte Alex höflich. »Ah, danke, Boris.« Sein Kammerdiener war lautlos eingetreten und brachte die Karaffe und die Kelchgläser. »Stellen Sie es hier ab.« Er deutete auf einen Konsolentisch. Der Mann gehorchte und verabschiedete sich mit mehreren Verbeugungen aus dem Zimmer.

»Inzwischen bevorzuge ich Cognac«, sagte Alex und füllte den Schwenker. »Darf ich noch jemanden verführen?«

»Nein, nein, vielen Dank ... Wodka ist in Ordnung«, lehnte Constantin freundlich ab und hob das Glas, um die klare Flüssigkeit im Glas zu betrachten. »Dieser ist weich wie Samt. Nicolai hat vollkommen Recht.«

»Du sollst auch eine Flasche bekommen«, bot Alexander an und machte es sich in dem Sessel am Kamin bequem. Mit übergeschlagenen Beinen nippte er an seinem Cognac und musterte seine Besucher ebenso aufmerksam wie höflich.

»Du fragst dich bestimmt, warum wir hier auf dich warten«, meinte der Herzog und zupfte an seinem Schnurrbart.

»Es ist mir immer ein Vergnügen, wenn meine Freunde mich besuchen«, erwiderte Alex.

Tatarinov verzog das Gesicht, eilte dann hastig zur Tür, riss sie auf und linste hinaus ins dämmrige Foyer. Ein paar Sekunden später schloss er sie und drehte sich wieder um. Sein Blick fiel auf die schweren Samtvorhänge, die dicht vor die Fenster gezogen worden waren. Entschlossen eilte der Mann hinüber, zog den Stoff wenige Zentimeter zur Seite und schaute auf die dunkle Straße hinaus.

»Tatarinov ist immer sehr vorsichtig«, murmelte Herzog Nicolai.

»Mit Bedacht, nehme ich an«, erwiderte Alex und musterte seinen Besucher mit leicht zusammengekniffenen Augen. »Befürchten Sie, dass wir belauscht werden könnten, Tatarinov?«

»Immer ... man kann nie vorsichtig genug sein«, bestätigte der Mann. »Seit der Zar dieses verdammte Ministerium für Innere Sicherheit eingerichtet hat, treibt sich die Geheimpolizei überall herum.« Er stand nun breitbeinig direkt vor dem Kamin und schwankte so heftig, als befände er sich an Deck eines schlingernden Schiffes. Mit funkelndem Blick betrachtete er seinen Wodka.

»Nun, wenn Sie sich darüber ausgelassen haben, könnten wir vielleicht auf den Punkt kommen«, drängte Alex und nippte wieder an seinem Cognac.

»Tatarinov bringt uns beunruhigende Neuigkeiten vom Hof«, erklärte der Herzog. »Es scheint, als wären dem Zaren ein paar Gerüchte über unser kleines Unternehmen ans Ohr gedrungen.«

Alex blieb entspannt sitzen. Nur sein Blick wurde schärfer. »Kann er Namen nennen?«

Tatarinov schüttelte den Kopf. »Nicht dass ich wüsste. Nur wird ihm langsam klar, dass sich ein paar Leute in seiner Nähe aufhalten, die ... wie soll ich sagen ... die mit dem kaiserlichen Auftritt auf der Bühne der Weltpolitik nicht ganz zufrieden sind.«

»Das ist die reine Wahrheit«, bekräftigte Constantin, »während der Kaiser sich am Ufer der Memel in Pose wirft und sich mit dem Vertrag brüstet, den er dort mit Bonaparte geschlossen hat, lacht der Franzose hinter vorgehaltener Hand. Er wird Russland benutzen. Er wird das Land auspressen und es in seiner schwächsten Stunde fallenlassen. Entweder will der Zar der Wahrheit nicht ins Auge sehen, oder er kann es nicht. Weil er nicht in der Lage ist, die Wahrheit zu erkennen. Glaubt er etwa im Ernst, dass er Napoleon durch den Vertrag von Tilsit zu seinem neuen Busenfreund gemacht hat? Zu einem unverbrüchlichen Verbündeten?«

Er marschierte frustriert durch den Salon. »Noch nicht einmal auf den Rat seiner Mutter würde er in dieser Angelegenheit hören«, rief er mit hoher Stimme, »dabei hat die Kaiserinwitwe kein Geheimnis daraus gemacht, was sie von der Annäherung an Bonaparte hält.«

»Es stimmt. Gewöhnlich hört Alexander auf ihren Rat. Aber nicht in dieser Sache.« Nicolai schüttelte traurig den Kopf. »Wenn er sich nicht überzeugen lässt, muss er aus dem Weg geräumt werden ... auf welche Art auch immer.«

»Sachte, sachte, mein Freund«, mahnte Alex, »man kann sich auch verständigen, ohne große Worte zu verlieren.«

»Alex, du bist der einzige Mensch, den er niemals verdächtigen wird«, gab Nicolai zu bedenken und richtete den Blick unter den buschigen grauen Augenbrauen aufmerksam auf ihn. »Du bist mit ihm aufgewachsen, hast mit ihm die Schulbank gedrückt, bist sein engster Vertrauter. Es dürfte nicht leicht für dich sein, über einen solchen Verrat nachzudenken.«

Im Salon herrschte angespanntes Schweigen, bis Alex wieder das Wort ergriff. »Ich betrachte es nicht als Verrat«, verkündete er ruhig, »es ist ein hässliches Wort. Wir unterhalten uns darüber, wie wir unser Vaterland retten können, selbst wenn wir dafür einen Mann opfern müssen.«

»Der Zar ist nichts als ein arroganter Dummkopf«, behauptete Constantin. »Es steckt viel zu viel von seinem Vater in ihm, und viel zu wenig von seiner Großmutter, der Zarin Katharina. Wenn ihr mich fragt, ich bin der Auffassung, dass wir den Zaren loswerden müssen. Den Zaren, seine Frau und seine Mutter ... wir sollten den Thron der Schwester des Zaren überlassen, der Großherzogin Katharina. Sie ist die Einzige in der Familie, die den Geist und den unbändigen Willen der alten Dame in sich trägt.«

Alex schwieg, während die Männer weiter debattierten. Er dachte an die Kindheit des Zaren, daran, wie behütet und verwöhnt er aufgewachsen war. Man hatte ihn beständig ermutigt, sich beinahe als Gott zu betrachten, so perfekt und unfehlbar, wie ein menschliches Wesen nur sein konnte. Nie hatte man es ihm gesagt, wenn er einen Fehler gemacht hatte; jeden Wunsch hatte man ihm umgehend erfüllt. Wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass ein erwachsener Mann unter solchen Umständen klug und weise regierte? Alexander hatte die Großmutter des Zaren, die Zarin Katharina, als außergewöhnlich kluge Frau von bestechendem Intellekt und ausgezeichneter Bildung kennen gelernt. Die Zarin war eine Frau, die ungeachtet aller Ländergrenzen mit den klügsten Köpfen der zivilisierten Welt korrespondierte. Wie hatte es nur geschehen können, dass sie in der Erziehung ihres Nachfolgers derart versagte?

»Alex, du bist sehr still.«

Nicolais Bemerkung riss Alex aus seiner Grübelei. »Bitte entschuldige, ich habe nachgedacht.«

»Nützliche Gedanken, wie ich hoffe«, meinte Tatarinov verbittert.

»Vielleicht. Vielleicht auch nicht.« Interessiert musterte Alex den Neuling in der Londoner Emigrantenszene. Es war eine Welt, in der sich alle möglichen Leute tummelten, närrische und kluge, reiche und arme. Aber ihnen allen war gemeinsam, dass sie jenem Adel angehörten, der Mütterchen Russland unter Zwang oder freiwillig hatte verlassen müssen. Tatarinov war anders. Der Mann war wie ein roher Diamant, dem der Schliff des gewöhnlichen Emigranten fehlte. Aber wie alle Männer im Salon liebte er sein Vaterland über alles, und nichts galt ihm mehr als seine Ehre. Was trieb einen Mann wie Tatarinov an? Alex würde ein Auge auf ihn haben müssen.

»Ich denke, es könnte hilfreich sein, im Detail herauszufinden, was der Zar weiß ... oder vermutet«, schlug Alex vor.

»Du hast doch sein Ohr. Kannst du ihn nicht aushorchen?«, fragte Constantin.

Alex nickte. »Ich hatte ohnehin vor, ihm in den kommenden Tagen zu schreiben. Dann werde ich das Thema anschneiden. Mal sehen, wohin es uns führt.« Er unterdrückte ein Gähnen.

»Ah, bitte entschuldige«, meinte Nicolai und erhob sich. »Wir halten dich auf.«

»Keineswegs«, leugnete Alex, erhob sich aber zusammen mit seinen Gästen. Es stimmte tatsächlich, dass ihm nichts so lästig war wie sein gegenwärtiger Besuch. Denn schließlich lagen noch mehrere Stunden Arbeit vor ihm, und er konnte es kaum erwarten, endlich anzufangen.

Er begleitete seine Gäste zur Tür und kehrte in den Salon zurück, wo Boris die Gläser einsammelte. »Heizen Sie das Feuer an, und lassen Sie den Cognac stehen«, befahl Alex auf dem Weg zum Sekretär. »Dann dürfen Sie das Haus abschließen und sich zurückziehen.«

»Wie Sie wünschen, Prinz Prokov.«

Alex schnappte sich ein Blatt Papier, griff nach seiner Feder und spitzte sie. Nachdenklich runzelte er die Stirn. Seinem Besuch war nicht bewusst, dass er sich auf Bitten des Zaren in London aufhielt; zum Wohle Russlands sollte er Augen und Ohren aufsperren, ohne dass jemand den geringsten Verdacht schöpfte. Der Zar beabsichtigte, in den nächsten Wochen seinen Botschafter aus London abzuberufen. Und wenn die diplomatischen Beziehungen erst einmal offiziell abgebrochen waren, brauchte er jemanden, der ihn über das politische und diplomatische Geschehen in England informierte. Alex war in die Rolle des sorglosen aristokratischen Emigranten geschlüpft, der sich nicht für Politik, sondern lediglich für die glitzernden Vergnügungen in den Ballsälen und Salons der Londoner Gesellschaft interessierte. Er hatte sich perfekt in Stellung gebracht, um nach den Wünschen des Zaren als Geheimagent zu agieren, und ihm blieben nur wenige Wochen, um sich in den richtigen Kreisen zu etablieren.

Aber es steckte noch ein Trumpf in seinem Ärmel – der Zutritt zu der Geheimorganisation russischer Anarchisten, die in London gegründet worden war. An den Informationen, die er von diesen Männern erhielt, hegte der Zar ebenfalls das lebhafteste Interesse.

Alex begann zu schreiben.

Kapitel 2

»Tante Liv ... Tante Liv! Wach auf, wir sind wieder da!«

Das aufgeregte Kind weckte Livia mit seinen Rufen aus einem tiefen, traumlosen Schlaf, und mit seinen kleinen Fingern trommelte es unaufhörlich auf ihre Wange.

»Franny, Darling, du sollst Tante Liv nicht stören«, bat Aurelia Farnham leise. »Liv, es tut mir leid, ich habe nicht bemerkt, dass sie in dein Zimmer gestürmt ist.«

Livia öffnete die Augen und lächelte. Sie stützte sich auf den Ellbogen und strich sich das dunkle Haar aus der Stirn. »Ellie, du bist zurück«, seufzte sie erfreut. »Franny, meine Liebe, ich bin jetzt wach, du kannst aufhören, meine Wange zu kitzeln. Komm aufs Bett.« Einladend klopfte sie auf die Decke.

»Tante Liv, wir haben eine lange, lange Reise hinter uns. Tausend und noch mal tausend Meilen von Schottland zu Großvater nach Hause, und Susannah war übel und sie hat sich über Linton und Stevie ...«, plapperte das kleine Mädchen atemlos, während es auf das Bett krabbelte.

»Ich bin froh, dass ich nicht in der Kutsche saß«, meinte Livia und lächelte Aurelia verschmitzt an. »Obwohl ich Nell und Harry sehr gern in Schottland besucht hätte. Leider hat mein Vater nach mir verlangt. Wo stecken die beiden jetzt? Immer noch in Ringwood, oder sind sie mit dir nach London zurückgekehrt?«

»Nein, sie sind noch in Hampshire, auf Dagenham Manor. Harry hat Markby um den kleinen Finger gewickelt ... es grenzt an ein Wunder. Du würdest kaum deinen Augen trauen.«

»Vermutlich nicht«, stimmte Livia zu und richtete sich in den Kissen auf. Nell war in erster Ehe schon einmal verheiratet gewesen; Graf Markby, ein allseits gefürchteter Gentleman, war der Vater ihres ersten Ehemannes, der im Krieg gefallen war. »Dann hat er sich mit Nells Eheschließung abgefunden?«

»Scheint so«, meinte Aurelia. Es klopfte leise an der Tür, und sie öffnete. »Ah, der Tee. Vielen Dank, Hester.« Sie öffnete die Tür weiter, damit das junge Dienstmädchen mit dem schweren Tablett eintreten konnte.

Hester stellte das Tablett auf die Kommode und deutete einen Knicks an. »Soll ich einschenken, Ma'am?«

»Nein, ich kümmere mich selbst darum.« Aurelia griff nach der silbernen Teekanne. »Bitte richten Sie Daisy aus, dass sie heraufkommen und Franny zum Frühstück abholen soll.«

»Ja, Ma'am.«

»Vielen Dank, Hester.« Livia lächelte, das Mädchen knickste noch einmal und eilte aus dem Zimmer.

»Will kein Frühstück«, verkündete Franny schmollend, »will bei euch bleiben.«

»Vor zehn Minuten hast du noch behauptet, dass du kurz vor dem Hungertod stehst«, widersprach ihre Mutter und goss den Tee in zwei Tassen aus zartem Sèvres-Porzellan. »Außerdem würdest du Miss Ada und Miss Mavis kränken, wenn du das Frühstück verschmähst, das die beiden extra für dich vorbereitet haben. Und das willst du doch nicht, oder? Du weißt doch, dass sie deinen Haferbrei jedes Mal mit Honig verfeinern.«

Franny blickte zwar immer noch misstrauisch drein, verschwand aber ohne größeren Protest, als ihr Kindermädchen ein paar Minuten später auftauchte.

»Gott weiß, wie sehr ich dieses Kind liebe. Aber manchmal treibt es mich an den Rand der Erschöpfung«, erklärte Aurelia und schloss die Tür, nachdem die zwei das Zimmer verlassen hatten. »Sie plappert dreimal mehr als Susannah und Stevie zusammen.« Versunken lächelnd dachte sie darüber nach, wie sehr sich die Kinder ihrer Freundin Nell von ihrer eigenen Tochter unterschieden, die als kleine Plaudertasche so oft ihre Nerven strapazierte. Mit der Teetasse in der Hand setzte sie sich auf die Bettkante. »Erzähl mal, was hast du inzwischen angestellt?«

»Nichts Besonderes«, meinte Livia und tunkte eine Makrone in den Tee. »Gestern Abend hatte ich allerdings eine ungewöhnliche Begegnung ... aber zuerst muss ich wissen, wie es Nell und Harry und den Kindern geht. Seit Nell aus Schottland abgereist ist, um nach Hause zu fahren, habe ich nichts mehr von ihr gehört. Ich möchte ganz genau wissen, wie es Harry gelungen ist, den Grafen um den kleinen Finger zu wickeln. Denn ich war felsenfest überzeugt, dass den alten Mann der Schlag trifft, wenn er erfährt, dass sie die Flucht ergriffen hat.«

»Zuerst sah auch alles danach aus«, bestätigte Aurelia, »aber schließlich haben sie ihn vor vollendete Tatsachen gestellt. Was blieb ihm übrig, als die Tatsachen zu akzeptieren?«

Seit der Schlacht am Trafalgar Square waren Aurelia und ihre Schwägerin Cornelia Dagenham verwitwet. Cornelias Schwiegervater, Graf Markby, hatte als Oberhaupt der Familie die Erbschaft der Kinder verwaltet. Dann hatte Cornelia sich in den Viscount Harry Bonham verliebt und war vor einem halben Jahr mit ihm durchgebrannt. Man hatte allgemein erwartet, dass der Graf sie seinen Zorn spüren lassen würde.

»Der alte Mann hätte die Tatsachen nicht so gnädig hinnehmen müssen.« Livia lehnte sich seitwärts und stellte die Tasse aufs Bett.

»Stimmt. Aber Harry hat eine Art an sich ... möchtest du noch Tee?«

»Ja, bitte, noch einen Tee ... ich weiß, was du meinst. Er strahlt eine Art aus, die jeden in den Bann schlägt. Es ist, als ob er ein unsichtbares Netz auswirft«, fügte Livia lachend hinzu. »Schließlich hat Nell ihm auch nicht widerstehen können. Obwohl sie es nach Kräften versucht hat.«

»Allerdings, das hat sie.« Aurelia lachte ebenfalls und reichte ihrer Freundin die volle Tasse. »Aber jetzt platzt sie beinahe vor Glück«, seufzte sie, »wie ich sie beneide. Natürlich ist es nicht in Ordnung, dass ich sie um ihr Glück beneide, aber was soll ich machen?«

»Du kannst nichts dafür.« Beschwichtigend streckte Liv die Hand nach ihrer Freundin aus. »Und irgendwo da draußen wird es auch für dich einen Harry geben. Ganz bestimmt, Ellie.« Sanft drückte sie Aurelia die Hand.

Aurelia zuckte die Schultern und hatte ihr Lächeln bereits wiedergefunden. »Kann sein«, meinte sie, »aber jetzt will ich wissen, was es mit dieser besonderen Begegnung von gestern Abend auf sich hat.«

»Kaum zu glauben, es war ein russischer Prinz«, erklärte Livia und setzte sich noch ein Stück höher in ihren Kissen auf. Ihre grauen Augen funkelten vor Vergnügen.

»Ein attraktiver russischer Prinz?«, drängte Aurelia. Das belustigte Funkeln in ihrem Blick hatte den Trübsinn längst verscheucht.

»Sehr attraktiv. Und seine Art scheint irgendwie auch unbezwingbar zu sein. Er hat Bellingham in einen Brunnen gestoßen.« Sie schaute zu, wie Aurelia sich vor Lachen den Bauch halten musste. Wenige Minuten später hatte sie ihr in allen Einzelheiten berichtet, wie der steifbeinige Lord Bellingham im Brunnen der Claringtons baden gegangen war.

»Erzähl weiter«, verlangte Aurelia, und Livia gehorchte.

»Wirklich faszinierend«, kommentierte Aurelia, nachdem ihre Freundin den Bericht beendet hatte. »Ich kann es kaum erwarten, ihn kennen zu lernen. Klingt so, als hätte er ernste Absichten, uns zu besuchen.«

»Das war jedenfalls der Eindruck, den er bei mir hinterlassen hat«, bestätigte Livia, schlug die Bettdecke beiseite und schwang die Füße auf den Boden. »Aber heute Vormittag bin ich mit Lilly Devries zu einem Ritt im Park verabredet. Falls er auftaucht, muss ich ihn leider enttäuschen.« Sie eilte zum Schrank und öffnete ihn. »Ellie, hast du Lust, uns zu begleiten?«

»Nein, ich denke nicht«, lehnte Aurelia ab und ging zur Tür. »Nicht heute Vormittag. Nach der langen Reise fühle ich mich ein wenig erschöpft. Heute früh um sechs haben wir Basingstoke verlassen. Franny ist seit fünf Uhr auf den Beinen.«

»Wenn es so ist, wirst du höchstpersönlich die Gelegenheit haben, den russischen Prinzen zu sehen. Das heißt, falls du nicht zu müde bist, an meiner Stelle den Besuch zu empfangen«, schlug Livia vor und suchte die Reitkleidung in ihrem Schrank.

»Vielleicht«, erwiderte Aurelia. »Wir sehen uns unten beim Frühstück.«

»Bin gleich unten«, versprach Livia und schüttelte die Falten ihres dunkelgrünen Kostüms aus. »Wenn du Hester über den Weg läufst, sag ihr doch, dass sie zu mir kommen soll. Das Kostüm muss gebügelt werden.«

»Ich sage ihr Bescheid.« Aurelia verließ das Zimmer.

Livia breitete das Kostüm auf dem Bett aus und schlüpfte dann in das Morgenkleid aus Taft, das auch schon bessere Tage gesehen hatte. Als Hester eintrat, bürstete sie sich gerade die dichten dunklen Locken. Zwei Lakeland Terrier folgten dem Dienstmädchen auf dem Fuße. Die kleinen Hunde kläfften aufgeregt zur Begrüßung, stürmten auf Livia zu und tänzelten auf den hinteren Pfoten, als hätten sie sie ein ganzes Jahr lang schmerzlich vermisst.

»Lady Farnham hat gesagt, dass Sie mich brauchen, Ma'am«, rief Hester durch den Lärm.

»Ja, Hester. Wenn Sie bitte mein Reitkostüm bügeln würden ... seid endlich still«, befahl sie den Hunden, »natürlich freue ich mich auch, euch zu sehen.« Livia legte die Bürste weg, beugte sich hinunter und wollte die Terrier streicheln, die versuchten, auf ihren Schoß zu klettern. »Ich gehe jetzt nach unten zum Frühstück und wäre dankbar, wenn Sie in ungefähr einer halben Stunde heißes Wasser hochbringen könnten.«

»Ja, Ma'am.« Hester griff nach dem Kostüm und eilte fort. Livia folgte ihr mit den Hunden.

Aurelia saß im gemütlichen Salon und las die Morning Gazette. Gleich nach ihrer Ankunft im Haus am Cavendish Square hatten sie und ihre Freundinnen sich das Zimmer zusammen eingerichtet, um sich privat zurückziehen zu können. Inzwischen besaß das Haus kaum noch Ähnlichkeit mit dem kalten, zugigen und vernachlässigten Anwesen, in dem sie die erste Jahreshälfte verbracht hatten.

»Schau mal, in den Hofnachrichten ist die Rede von deinem Prinzen«, bemerkte Aurelia und schaute auf, als Livia mit den Hunden den Salon betrat. »Vor zwei Tagen ist er Prinny vorgestellt worden, und zwar bei einem Empfang, den die Königin gegeben hat. Lies mal ...« Sie streckte ihrer Freundin die Zeitung entgegen und knabberte an einem Toast.

Livia setzte sich und überflog die Notiz. »Er hat nicht verraten, wie lange er sich schon in London aufhält«, sagte sie und griff nach der Kaffeekanne. »Aber es scheint, als könnte es sich höchstens um ein oder zwei Wochen handeln. Daran dürfte es liegen, dass ich ihm bisher noch nicht über den Weg gelaufen bin.«

»Prinz Prokov«, grübelte Aurelia und nahm sich einen zweiten Toast vom Büffet. »Was glaubst du, ist er Emigrant? Oder doch nur ein ausländischer Gast?«

Livia zuckte die Schultern. »Er hat sich nicht erklärt. Aber er hat bemerkt, dass er Politik als lästige Angelegenheit betrachtet und nichts damit zu tun haben will. Ich glaube, er will hier nur ein wenig spielen.«

»Ein Glücksritter also«, Aurelia hob die Augenbraue, »was meinst du, Liv? Willst du dich auf ein Spielchen mit ihm einlassen?«

Livia ärgerte sich darüber, dass ihr die Röte in die Wangen stieg. »Es kommt darauf an, was er spielen will«, meinte sie und zuckte wie beiläufig mit den Schultern.

Aurelia nickte und musterte ihre Freundin mit einem aufmerksamen Blick aus ihren braunen Augen. »Könnte recht amüsant werden«, kommentierte sie leichthin und widmete sich wieder ihrem Frühstück.

Was für ein wundervoller Vormittag, dachte Livia, als sie auf der obersten Treppenstufe vor dem Haus stand und sich die Handschuhe überzog, wie geschaffen für einen Ausritt. Ihr Herzschlag stockte einen Moment lang, als sie das Pferd sah, das in der Straße auf sie wartete. Der Mietstall hatte ihr wieder den scheckigen Wallach geschickt. Im besten Fall würde das Tier dumpf durch die Gegend trotten, und bei aller Bescheidenheit konnte Livia von sich behaupten, dass sie eine ausgezeichnete Reiterin war. Der Wallach wurde ihr wahrlich nicht gerecht. Aber sie konnte es sich nicht leisten, ihr eigenes Pferd in London unterzubringen. Wer knapp bei Kasse ist, kann keine großen Sprünge machen, redete sie sich entschlossen zu und stieg die Stufen hinunter.

Zusammen mit dem Pferd hatte der Mietstall einen ältlichen Burschen geschickt, der ihr jetzt in den Sattel half. »Wo geht es hin, Ma'am?«

»In den Hyde Park ... Stanhope Gate«, kündigte Livia an, rückte sich im Sattel zurecht und spürte, wie der Wallach den breiten Rücken unter ihr regte, ohne einen Schritt nach vorn zu machen.

Der Bursche stieg auf sein eigenes Pferd und pfiff durch die Zähne. Sofort setzten die beiden Tiere sich in Bewegung. Livia lenkte den schwerfälligen Wallach, der sich noch nicht einmal durch das lärmende Gedränge am Piccadilly aus seiner Gemütsruhe reißen ließ, durch den dichten Verkehr. Wie geschaffen für nervöse Reiter, dachte sie, aber kaum erträglich für jemanden, der sich eigentlich ein Pferd mit feurigem Temperament gewünscht hatte.

Unwillkürlich keimte ein Fünkchen Neid in ihr auf, als sie Lilly Devries mit ihrem Burschen am Eingang des Hyde Park warten sah. Lilly saß auf einer lebhaften grauen Stute mit feinen Zügen und anmutig hohen Schritten. Aber hatte Lillys Ehemann nicht auch ein ansehnliches Vermögen?

»Guten Morgen, Livia. Haben wir nicht einen wundervollen Tag?«, sprudelte es wie üblich aus Lilly hervor. »Wie hat dir der Ball bei Lady Clarington gestern Abend gefallen? Es hat mich ganz krank gemacht, dass ich nicht dabei sein konnte. Aber Hector hat darauf bestanden, dass wir das Dinner bei seinen Eltern einnehmen ... kaum zu glauben, wie langweilig es war.« Sie lenkte ihr Pferd auf den dunklen Sand, der im Streifen um den Park herumführte und den gepflasterten Weg für die Kutschen säumte. Die Stute tänzelte anmutig neben dem kräftigen scheckigen Wallach.

Livia plauderte belanglos über den Ball und war überrascht, dass sie aus unbegreiflichen Gründen kein Wort über den russischen Prinzen verlor. Lilly hätte die Ohren aufgesperrt, denn sie interessierte sich von jeher für Klatsch und Tratsch aller Art. Tatsächlich gab es keinen Grund für Livia, die Begegnung mit Prinz Prokov zu verschweigen. Natürlich würde sie niemandem außer Ellie und Nell erzählen, dass Bellingham unfreiwillig im Brunnen baden gegangen war; trotzdem zögerte sie, auch nur ein Wort über die Lippen zu bringen.

»Oh, sieh nur, da kommt Colonel Melton«, platzte Lilly unvermittelt heraus und riss Livia aus ihren Gedanken. »Da vorn, in der Gruppe, die direkt auf uns zureitet.«

Livia schaute auf. Drei Reiter ritten im Schritt auf dem Pfad in ihre Richtung. Zwei von ihnen trugen den violettfarbenen Umhang der Dragoner, und der dritte Mann war in einen zivilen Reitanzug gekleidet. Es handelte sich um Prinz Prokov. Vor Aufregung rieselte Livia ein Schauder über den Rücken.

»Guten Morgen, Ladys.« Colonel Melton rief ihnen einen Gruß zu und lupfte galant den gefiederten Hut. »Was für ein Zufall, Lady Devries, Lady Livia. Bestimmt kennen Sie Lord Talgarth.« Er deutete auf den zweiten Mann in Gardeuniform, der sich ebenfalls galant verbeugte. »Sind Sie schon mit Prinz Prokov bekannt gemacht worden?«

»Ich glaube kaum«, erwiderte Lilly, lächelte freundlich und begutachtete den Neuling mit unverhohlenem Interesse. »Es ist mir ein Vergnügen, Sir.«