Die Lektorin - Ich schreibe dein Ende! - T. J. Hammann - E-Book
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Die Lektorin - Ich schreibe dein Ende! E-Book

T. J. Hammann

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Beschreibung

Diese Geschichte kannst du nicht mehr aus der Hand legen - denn dann wird jemand sterben!

Ein beängstigendes Manuskript landet auf dem Schreibtisch der Lektorin Lilli Ziegler: In dem Text verschafft sich jemand Zugang zu einem Familienhaus. Nicht irgendein Haus - sondern ihr eigenes! Lilli setzt alle Hebel in Bewegung, um sich und ihre Familie zu schützen. Doch innerhalb kürzester Zeit tauchen weitere Manuskriptauszüge auf. Lilli sieht sich einem unbekannten Feind ausgesetzt, der die Menschen in ihrem Umfeld besser zu kennen scheint, als sie selbst es tut. Mit jedem neuen Textauszug gerät Lilli tiefer in das perfide Spiel des mysteriösen Unbekannten. Bald befinden sich alle, die ihr etwas bedeuten, in tödlicher Gefahr. Ihr bleibt nicht mehr viel Zeit, das Ende der Geschichte in die eigene Hand zu nehmen ...

Das packende Thriller-Debüt von T. J. Hammann wird dich schockieren und begeistern!

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Seitenzahl: 395

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

CoverGrußwort des VerlagsÜber dieses BuchTitelKapitel 1 – GeheimnisseKapitel 2 – EntscheidungenKapitel 3 – Zwei KinderKapitel 4 – Was ganz BesonderesKapitel 5 – Jemand muss sterbenKapitel 6 – Ein leeres ZuhauseHat Ihnen mein Roman gefallen?DanksagungÜber den AutorLeseprobeImpressum

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Über dieses Buch

Diese Geschichte kannst du nicht mehr aus der Hand legen – denn dann wird jemand sterben!

Ein beängstigendes Manuskript landet auf dem Schreibtisch der Lektorin Lilli Ziegler: In dem Text verschafft sich jemand Zugang zu einem Familienhaus. Nicht irgendein Haus – sondern ihr eigenes! Lilli setzt alle Hebel in Bewegung, um sich und ihre Familie zu schützen. Doch innerhalb kürzester Zeit tauchen weitere Manuskriptauszüge auf. Lilli sieht sich einem unbekannten Feind ausgesetzt, der die Menschen in ihrem Umfeld besser zu kennen scheint, als sie selbst es tut. Mit jedem neuen Textauszug gerät Lilli tiefer in das perfide Spiel des mysteriösen Unbekannten. Bald befinden sich alle, die ihr etwas bedeuten, in tödlicher Gefahr. Ihr bleibt nicht mehr viel Zeit, das Ende der Geschichte in die eigene Hand zu nehmen …

T. J. H A M M A N N

DIE LEKTORIN

ICH SCHREIBE DEIN ENDE

T H R I L L E R

Kapitel 1 – Geheimnisse

»Bitte verzeihen Sie, Frau Ziegler, aber es ist dringend.«

Lilli bedeckte mit einer Hand die untere Hälfte des Telefons und hob eine Braue in Richtung ihrer Assistentin. »Ja?«

»Es ist dieses Manuskript. Herr Jung hat sehr darauf gedrängt, dass Sie es heute lesen.«

»Ich schaue es mir gleich an.«

Die junge Frau legte den Umschlag auf Lillis Schreibtisch, bevor sie die Tür hinter sich schloss.

Lilli nahm die Hand vom Hörer. »Schatz, bist du noch dran?«

»Ja, Mama«, sagte Emma.

Lilli warf einen Blick auf die ungelesenen Manuskripte, die sich auf und neben ihrem Schreibtisch stapelten. »Ein paar Stunden werde ich wohl noch brauchen.«

»Okay, dann fahr ich in die Stadt.«

»Du hast nicht vergessen, dass heute Donnerstag ist, oder?«

»Ich werd rechtzeitig zu Hause sein, keine Sorge.«

»Gut, viel Spaß.«

Lilli schaute aus der großflächigen Fensterfront ihres Büros im zweiten Stock des Verlagsgebäudes. Der Straßenverkehr staute sich wie so oft auf der Kreuzung vor dem Haupteingang. An mehreren Stellen huschten Fußgänger zwischen den wartenden Wagen hindurch und verschwanden auf den Treppen der U-Bahn-Station Hansaring.

Sie griff nach dem Umschlag, den ihre Assistentin ihr gebracht hatte. Darin befanden sich lediglich die ersten paar Seiten eines getippten Manuskripts, unprofessionell zusammengehalten von einer Heftklammer. Lilli kannte den Literaturagenten Steffen Jung seit fast einem Jahrzehnt. Hätte ihr ein anderer ein unkommentiertes Manuskript mit dem Drängen auf sofortige Bearbeitung geschickt, wäre es postwendend in der Mülltonne gelandet. Sie las die Überschrift.

Kapitel 1 – Geheimnisse

Verwirrt überprüfte sie erneut das Innere des Umschlags, doch der Titel des Manuskripts war nirgends zu finden.

Ihr Haus steht am Ende von ’ner ziemlich rissigen Straße. Außen rum sin’ da überall Büsche und Bäume reingesetzt, bestimmt damit die Leute nich dauernd reinglotz’n. Von dem Haus selber seh ich nur ’n paar rote Steine, sonst nix. ’ne schmale Auffahrt an der Seite reicht für zwei Autos, aber grad steht da keins.

Etwas an der Sprache, in der der Text verfasst war, kam ihr vertraut vor, obwohl sie es nicht genau zuordnen konnte. Sie ließ nachdenklich die Fingerspitzen über das Papier gleiten. Eine solche Schriftform hatte sie noch nie gesehen. Manche Buchstaben waren seltsam breit, andere ungewöhnlich schmal. Und dann die Hausbeschreibung. Was für ein unglaublicher Zufall.

Hab ich mir schon so gedacht, dass die nich da sein wird. Um die Zeit is die immer im Büro von ihrem Verlag. Die sitzt jetzt bestimmt kerzengrade am Schreibtisch und fummelt an ihrer komischen Riesenbrille rum.

Lilli erstarrte. Daumen und Zeigefinger ihrer linken Hand ruhten am Brillengestell. Ganz langsam legte sie ihre Handflächen auf die Schreibtischplatte, um das beginnende Zittern zu unterdrücken. Sie atmete geräuschvoll aus. Als ihr die eigene Körperhaltung auffiel, beugte sie den Rücken etwas, streckte ihn dann jedoch nach kurzem Zögern wieder durch.

Das hier musste irgendeine Art geschmackloser Scherz sein.

Ich könnt mich ja gar nich konzentrieren in so ’nem Büro. Überall kann man reinschau’n. Und die Frau würd wahrscheinlich nich mal merk’n, wenn jemand die ’ne Ewigkeit lang beobacht’n würde.

Plötzlich wurde sich Lilli der Fensterfront in ihrem Rücken überdeutlich bewusst. Bei dem Gedanken daran, jetzt im Moment von dem Autor dieses Manuskripts beobachtet zu werden, breitete sich auf ihren Armen eine Gänsehaut aus. Ein Kribbeln kroch ihren Rücken hinauf und verwandelte sich in ein unangenehmes Jucken. Falls dort tatsächlich jemand mit einem Fernglas lauerte und jede ihrer Bewegungen überwachte, würde sie demjenigen zeigen, dass sie sich nicht einschüchtern ließ.

Sie fuhr hoch und trat an die Scheibe. Auf der anderen Straßenseite lag das AZIMUT Hotel, ein hässlicher L-förmiger Steinklotz. Mit schnellen Blicken suchte sie die Fenster im ersten Stock ab, dann im zweiten und dritten. Nichts. Da starrte niemand halb hinter einem Vorhang verborgen zu ihr zurück.

Natürlich nicht.

Ihre Hand stoppte auf halbem Weg zu der Packung Zigaretten in ihrer Hosentasche. Eine Unterbrechung kam nicht infrage. Sie setzte sich wieder.

Die Tür an der Seite is zu, also geh ich in den Vorgarten. Durch die Fenster kann ich keine Bewegungen drinnen seh’n, aber eins der Fenster is offen. So gelang ich in die Küche.

Die Frau sollte echt besser aufpass’n, immerhin lebt die hier nich als Einzige.

Im Geiste ging sie die vergangenen Wochen durch, doch ihres Wissens hatte sie das Küchenfenster nie offen stehen lassen. Es war natürlich nicht auszuschließen, dass Lilli ihren Fehler nicht bemerkt hatte, weil Emma nach der Schule das Fenster für sie geschlossen haben könnte. Wahrscheinlicher erschien es Lilli allerdings, dass der Verfasser dieses Manuskripts log und nicht durch das Fenster eingestiegen war. Falls er überhaupt in ihr Haus eingebrochen war.

In der Küche sieht alles total ordentlich aus. Wie immer. Die Flächen sin’ sauber, und nix liegt rum. Alle Pfannen und Töpfe sin’ blank poliert und in Schränke gepackt. Im Wohnzimmer nebenan sieht’s genauso aus. Grüne Topfpflanzen, schöne Möbel und Kissen und so, kein Staub.

Die wird sich wohl nie ändern.

Hier sieht eigentlich nur eine Sache so richtig nach Leben aus, und das is die Geige von der Tochter. Die liegt mitten im Raum in so ’nem speziellen Koffer dafür. Der Deckel is offen. Als ob die grad erst damit gespielt hätte.

Lilli las den Absatz noch einmal, während ihr die Implikationen des Gelesenen klar wurden. Normalerweise bewahrte Emma die Geige in ihrem Zimmer auf. Als Lilli gestern Abend zu Bett gegangen war, war ihre Tochter im Wohnzimmer damit beschäftigt gewesen, neue Saiten aufzuziehen. Lilli hatte das Instrument heute Morgen bemerkt und bewusst nicht hochgebracht, damit Emma es selbst aufräumen musste, was nur bedeuten konnte …

Das Ding hat irgendwie was Erregendes. Mit ’nem Finger fahr ich übers Holz. Die is richtig schön geschwung’n, und oben den Hals kann man ganz leicht zerbrech’n. Da muss ich aufpass’n, weil ich ja Handschuhe anhab. Kann sonst schnell was passier’n.

Wie sich das wohl anfühl’n würde, die in echt zu berühr’n? Na ja, vielleicht irgendwann mal.

Hier sin’ überall Fotos von ihrer Familie verteilt, so an den Wänden und auf den Regalen und so. Auf manchen von denen sin’ die schon erwachsen, auf den meisten nich. Das is, als ob die Frau die ganze Zeit mit der Kamera neben denen hergelauf’n wär.

Von Lilli und ihrem Mann gibt’s auch welche. Die haben sich wohl viel im Urlaub rumgetrieb’n, und warum auch nich? Musst’n ja ’n paar Sachen bring’n, die sonst keiner abzieh’n will, damit die sich das alles leist’n konnt’n.

Mich wundert’s nich, dass das mit denen kaputt gegang’n is. Nene, ich find’s eher komisch, dass die Frau die ganzen Fotos und alles nich weggeschmiss’n hat. Aber die weiß halt die Wahrheit über ihn nich.

Ich geh mal nach oben, wo die Schlafzimmer sin’. Als Erstes kommt Theos altes Zimmer. Hier is leider nich viel zu holen für mich, weil der alles in seine neue Wohnung mitgenomm’n hat.

Lillis Zimmer is direkt gegenüber. Das hat ’n großes Bett für zwei Leute und ’n paar Fenster zum Garten hinten. In ’ner Schublade vom Nachttisch find ich ’n kleines Spielzeug. Ansonsten sin’ in ihren Schränken lange Röcke und so Kleider, die oben bis zum Hals zu sin’, und natürlich sin’ da auch ihre komischen Pullis, die die immer statt Blusen unter ihren Jacken trägt.

Jetzt is nur ein Zimmer übrig. Da is alles voll mit Klamotten und zerknüllten Sachen und so. Schmale Jeans überm Sofa. Tops, die den Bauch zeig’n, zwischen Sitzsäcken. Pinke Unterwäsche aufm Teppich.

Neben ihrem Schminktisch hängt ’n Poster von ’nem Typen in Unterwäsche. An den Wänden sin’ Fotos von Emma und ihren Kumpels in Clubs für Erwachsene. Keins von denen is älter als zwei Jahre, und ihre Eltern sin’ nirgends zu sehen. Int’ressant.

Obwohl das Zimmer ziemlich durch’nander is, find ich schnell, was ich gesucht hab. Geheimnisse.

Zu Hause schreib ich direkt alles für die auf. Es klackert sehr laut, aber ich werd nur immer aufgeregter, und es klackert noch mehr. Ich tu das wirklich. Jetzt werd’n die Rollen vertauscht!

Lilli sah dem Sekundenzeiger ihrer Armbanduhr beim Ticken zu, die Handflächen wieder auf die Schreibtischoberfläche gepresst. Obwohl sie saß, hatte sie das Gefühl, sich abstützen zu müssen. Sie schenkte sich ein Glas Wasser ein und verschüttete dabei etwas, sodass sich auf dem Holz des Tisches ein durchsichtiger Ring um das Glas bildete.

Dutzende Fragen drängten sich in ihrem Kopf, und jede einzelne schrie, als wäre sie die wichtigste. Sie schloss die Augen. Zuallererst musste sie herausfinden, ob dieser Scheißkerl tatsächlich heute in ihrem Haus gewesen war oder sogar in diesem Moment dort war. Lilli fuhr hoch. Emma!

Mit ein paar schnellen Griffen warf sie sich Mantel und Tasche über die Schulter und schloss das Büro hinter sich ab. Im Gehen zog sie ihr Handy aus der Tasche.

»Hallo, hier ist die Mailbox von Emma Ziegler. Ich bin momentan leider …«

Lilli fluchte, probierte es auf dem Festnetz. Wieder nichts. Auf dem Weg nach draußen wandte sie sich an ihre Assistentin.

»Ich fahre heute früher, es ist dringend«, sagte Lilli. »Sie sagten, Herr Jung habe das Manuskript eingereicht, richtig?«

»Ja, er hat eine E-Mail geschrieben, dass er es unten in den Briefkasten geworfen hat und Sie es heute auf den Schreibtisch bekommen sollen.«

»Zeigen Sie mir diese E-Mail bitte einmal.«

»Selbstverständlich. Hier, sehen Sie? Stimmt etwas nicht? Er …«

»Die ist nicht von ihm.«

»Wie bitte?«

»Das ist nicht seine Mailadresse!«

Lilli stieß die Tür zum Treppenhaus auf und eilte nach unten. Zum Glück war die Innere Kanalstraße frei, sodass der Heimweg nicht so lange wie normalerweise im Feierabendverkehr dauerte.

Vor der Haustür überfiel sie das Gefühl, beobachtet zu werden. Sie warf einen misstrauischen Blick die Straße hinab, dabei wusste sie selbst nicht, wonach sie eigentlich Ausschau hielt.

Drinnen ging sie als Erstes in die Küche. Wenn er durch den Garten eingedrungen war, musste er Dreck und Erde an den Schuhen gehabt haben. Es hatte zwar den Tag über nicht geregnet, aber es war auch nicht so kalt, dass die Erde hart genug gewesen wäre, um keine Spuren zu hinterlassen, mindestens am Fensterrahmen. Doch da war nichts. Selbst die kleine Ansammlung von Ölen, Gewürzen und Putzmitteln zwischen dem Spülbecken und dem Rahmen war in bester Ordnung.

Als Nächstes überprüfte sie das Wohnzimmer und fand auch hier alles unverändert vor. Der Teppich war sauber, das Fenster geschlossen, die Violine lag da, wo Lilli sie zurückgelassen hatte. Blieben also nur die Schlafzimmer. Sie hatte gerade den Flur betreten, als sie ein Knarzen hörte und schwere Schritte die Treppe hinuntergerannt kamen.

Kapitel 2 – Entscheidungen

Im ersten Moment konnte sich Lilli nicht bewegen. Eine Welle von Panik spülte durch ihre Glieder und ließ sie erstarren. Sie hatte gar nicht in Erwägung gezogen, dass es sich bei dem Manuskript um eine Falle handeln und ihr der Mann hier auflauern könnte.

Die Schritte näherten sich schnell, sie waren schon fast am Fuß der Treppe. Sie hatte keine Zeit mehr. Küche oder Wohnzimmer? Küche. Unter Aufbietung all ihrer Willenskraft zwang sie sich, einen Schritt in die Küche zu machen. Sie drückte den Rücken an die Wand neben dem Türrahmen. Ihre Brust war wie zugeschnürt, die Beine schwach. Sie konnte kaum atmen vor Angst.

Lilli lauschte. Sie musste sich beruhigen, musste wieder Kraft in ihren Beinen spüren, wenn sie fliehen wollte. Sie stellte sich vor, wie sie durch den Flur und hinaus auf die Straße rennen oder das Küchenfenster aufreißen und hinausspringen würde, sobald der Mann das Wohnzimmer betreten hätte, und langsam kehrte etwas Leben in ihre Muskeln zurück.

Die Schritte polterten den Flur entlang, vorbei am Wohnzimmer und zu ihr in die Küche. Ein großer, kräftiger Mann drängte eine junge Frau vor sich her. Er hielt sie an den Haaren gepackt und beugte sie grob über das Spülbecken.

»Emma!«

Ihre Tochter und der Mann, an dessen Gesicht sie erkannte, dass er wohl noch nicht lange die zwanzig überschritten haben konnte, fuhren erschrocken zu ihr herum.

»Mama!«

»Was tut ihr denn da?«

»Ich dachte, du kommst erst in ein paar Stunden nach Hause!«

»Ach, du meine Güte!« Lilli sah zu Boden. »Es ist etwas passiert. Ich habe versucht, dich anzurufen, aber … zieht euch erst mal etwas an.«

Während die beiden nach oben verschwanden, zündete sich Lilli eine Zigarette an. Von ihrem Platz am Fenster aus schielte sie zur Spüle und rieb sich mit der freien Hand über das Schlüsselbein. Soweit sie wusste, hatte Emma bisher keine romantischen Beziehungen geführt. Umso verstörender erschien ihr die Art, wie dieser junge Mann mit ihrer Tochter umging.

Sie ging im Geiste die vielen Tage durch, an denen ihre Tochter sie auf der Arbeit angerufen, mit ihr über Belanglosigkeiten gesprochen und sie gefragt hatte, wann sie zu Hause eintreffen würde. Offenbar hatte es sich bei einigen dieser Anrufe lediglich um Absicherungen für Ungestörtheit gehandelt. Es gefiel Lilli nicht, dass Emma glaubte, sie in dieser Weise belügen zu müssen.

Keins von denen is älter als zwei Jahre, und ihre Eltern sin’ nirgends zu sehen.

Nun, da ihre Gedanken zu dem Manuskript zurückgekehrt waren, wurde ihr vor allem eines bewusst: Sie hatte dem Autor zugetraut, ihr hier im Haus aufzulauern. Lilli wusste nicht, ob es an dem intimen Tonfall des Manuskripts lag, an der Tatsache, dass der Verfasser ihre Gewohnheiten kannte, oder daran, dass er ihre Familie erwähnt hatte, aber sie fühlte sich bedroht und würde die Sache bei der Polizei melden. Wenn irgendein Stalker glaubte, ihr oder ihrer Familie nachstellen zu können, würde sie das im Keim ersticken.

»Also, Essen mit Freunden, ja?«, fragte Lilli kurz darauf.

Emma lümmelte in Sweatshirt und Jogginghose auf einem Stuhl am Esstisch herum, die blonden Locken zerzaust. Ihr Freund hatte die Gelegenheit zur Flucht ergriffen.

»Ich weiß, ich weiß. Tut mir leid«, sagte sie.

»Warum hast du mir nichts von ihm erzählt? Du hättest das nicht vor mir geheim halten müssen.«

»Ich hätte ihn dir ja irgendwann vorgestellt. Wir treffen uns erst seit Kurzem und wollten nicht direkt alles offiziell machen, weißt du?«

Lilli unterdrückte das Bedürfnis, die Brauen zusammenzuziehen, und nickte. »Ich muss dich um etwas bitten. Schau mal nach, ob etwas aus deinem Zimmer fehlt. Es besteht die Möglichkeit, dass jemand in unser Haus eingebrochen ist.«

»Wovon sprichst du?«

»Ich habe heute auf der Arbeit dieses Manuskript erhalten.«

Emma nahm die Blätter entgegen und begann zu lesen. Zwischendurch schaute sie besorgt zu Lilli. Schließlich wurden ihre Augen groß, sie sprang auf und verschwand ein weiteres Mal ins Obergeschoss. Es dauerte nicht lange, bis sie zurückkehrte.

»Und das ist auch wirklich alles dein Ernst, ja, Mama? Du warst nicht in meinem Zimmer?«

»Selbstverständlich nicht.«

»Dann hat jetzt irgendein Perverser mein Tagebuch. Ich glaub, mir wird schlecht.«

Lilli versuchte, ihrer Tochter einen Arm um die Schulter zu legen, doch die befreite sich und ließ sich auf einen der Stühle fallen.

»Ich bin direkt hergekommen«, sagte Lilli, »um zu überprüfen, ob tatsächlich jemand da war. Hier unten deutet nichts darauf hin, und ich bin mir sicher, dass ich das Fenster nicht offen gelassen habe.«

»Same.«

»Wie bitte?«

»Ich habe das Fenster auch nicht aufgemacht.«

Lilli nickte nachdenklich. »Also spricht nur dein Tagebuch dafür, dass er wirklich hier war. Gibt es irgendeine andere Erklärung für das Verschwinden? Hast du es vielleicht in letzter Zeit irgendwohin mitgenommen?«

»Nein. Es lag in meinem Schreibtisch, wie immer. O Mann, das alles ist echt creepy!«

Lilli gab ihr einen Kuss auf die Stirn und strich ihr beruhigend über die Haare. »Keine Sorge, wir schaffen das. Fehlt sonst etwas aus deinem Zimmer?«

»Ich guck noch mal.«

Während Emma hochging, tigerte Lilli durchs Wohnzimmer, überdachte das Geschehene. Der Manuskriptschreiber kannte Lillis Kleidungsstil, ihren Sinn für Ordnung, ihre Angewohnheiten, daraus konnte sie jedoch nicht zwingend schließen, dass sie den Kerl kannte. Er könnte sie auch bloß sehr genau aus der Ferne beobachtet haben. Keiner ihrer Bekannten würde bei ihnen einbrechen und versuchen, ihr und Emma Angst einzujagen. Das konnte sie sich einfach nicht vorstellen.

Wer immer der Typ war, er würde für diese Sache zur Rechenschaft gezogen werden. Sie holte ihre Autoschlüssel aus der Küche.

»Emma, bist du so weit?«, rief sie vom Flur aus. »Ich fahre dann …«

Lilli erstarrte. Hatte sie das gerade richtig gesehen? Ein flaues Gefühl breitete sich in ihrem Magen aus. Sie kehrte ins Wohnzimmer zurück, vergewisserte sich. Tatsächlich. Ihre Augen hatten ihr keinen Streich gespielt. Nun hatte sie Gewissheit.

Er war hier gewesen.

»Wow, das ist beunruhigend«, sagte Sandra. Sie legte das Manuskript zwischen Lilli und sich auf den Tisch. Die beiden saßen im Wohnzimmer, Sandras Kinder spielten im Obergeschoss. Sandras geistig behinderte jüngere Schwester Vivien blätterte in einer Ecke des Raums in einem Bilderbuch. »Wundert mich nicht, dass du damit zur Polizei gehst. Es gibt echt ein paar kaputte Menschen auf der Welt.«

Mit ihrer massigen Gestalt, der Kurzhaarfrisur und der tiefen Stimme wirkte Sandra Radakovich zwar auf den ersten Blick ein wenig einschüchternd, doch Lilli kannte sie seit über zwanzig Jahren und wusste, dass sie sich in jeder Situation auf ihre Freundin verlassen konnte.

»Das kannst du laut sagen. Glaubst du, er ist gefährlich?«

»Er?«, fragte Sandra. »Hast du etwa schon jemanden im Sinn?«

»Nein, aber es ist offensichtlich, dass es ein Mann ist, oder etwa nicht?«

»Woran erkennst du das?«

Lilli griff nach dem Text, deutete auf eine Passage. »Na ja, zum Beispiel an dieser seltsamen Art, in der er über Emmas Violine schreibt.«

»Ist doch nichts dabei. Ich wette, auch manche Frauen würden so über ihre Instrumente schreiben.«

»Sandra, hör mal: Das Ding hat irgendwie was Erregendes. Die is richtig schön geschwung’n, und oben den Hals kann man ganz leicht zerbrech’n.« Lilli sah Zustimmung heischend zu ihrer Freundin. »Das ist eindeutig ein Mann, und er spricht hier nicht von der Geige, sondern von meiner Tochter. Er droht damit, ihr den Hals umzudrehen!«

Sandra las nachdenklich den Absatz. »Hm. Also, ich weiß nicht. Wenn du es mir nicht gesagt hättest, wäre ich gar nicht auf die Idee gekommen, das als Drohung gegen deine Tochter zu lesen. Ich habe eher daran gedacht, dass es sich bei deinem Stalker um einen Musiker oder eine Musikerin handeln könnte. Vielleicht spielt sie sogar ein Streichinstrument oder wollte immer eines lernen.«

»Du hältst das nicht für bedrohlich?«

»Klar, das Manuskript als solches ist echt übel und die Tatsache, dass jemand bei euch eingebrochen ist, natürlich auch. Ich will mir gar nicht vorstellen, was ich mit einem Kerl anstellen würde, der hier im Haus meinen Kindern nachstellt.« Sie sah in Richtung der Treppe, die hoch zu den Kinderzimmern führte. Ihr Blick verdüsterte sich. Dann zuckte sie mit den Schultern, holte einen Lottoschein hervor und tippte sich mit dem Kugelschreiber ans Kinn. »Wann hat Emma noch mal Geburtstag?«

»7. Juli.«

»Aber das überzeugt mich nicht davon«, sagte sie, während sie die entsprechenden Zahlen ankreuzte, »dass es sich um einen Mann handeln muss. Hast du noch mehr?«

Lilli blätterte stirnrunzelnd in dem Manuskript. »Da. Er sucht in meinem Zimmer nach meinem …«

»Sexspielzeug?«

»Genau. Warum sollte eine Frau das tun?«

»Warum sollte ein Mann das tun, wenn er nichts damit vorhat? Dir ist nichts entwendet worden, oder?«

»Na, weil es ihn erregt.«

»Das weißt du doch gar nicht. Ich finde, es klingt, als ob sie dir grollt oder als ob sie sich an dir rächen will oder so.«

»Ich wüsste nicht, welche Frau Grund dazu hätte.« Sie überlegte kurz. »Andererseits wüsste ich auch nicht, welcher Mann …«

Tobias, Sandras Jüngster, lief weinend die Treppe herunter.

»Mama! Luka hat mich getreten!«

»Entschuldige, die Pflicht ruft. Ich bin sofort zurück.«

Während Sandra mit ihrem Sohn nach oben ging und Lilli gedankenverloren den Blick durch das Wohnzimmer streifen ließ, wurde ihr wieder einmal bewusst, wie ähnlich Sandras Leben ihrem eigenen war. Heiraten, Kinder bekommen, ein gemeinsames Haus kaufen oder bauen, sich scheiden lassen. Zugegeben, dieser letzte Schritt war bei Sandra bisher ausgeblieben, aber sie war schließlich auch zehn Jahre jünger.

Lilli überflog erneut einige der Textstellen. Sie waren wohl wirklich nicht so eindeutig, wie sie ihr zunächst erschienen waren, das musste sie zugeben. Die Vorstellung, es würde sich bei dem Stalker um eine Frau handeln, gefiel ihr deutlich besser als die Alternative. Sollte Sandra recht haben mit ihrer Vermutung, müsste sich Lilli weniger um Emma sorgen. Eine Frau würde ihrer Tochter bestimmt nichts antun, allerdings war sie nicht überzeugt von Sandras Einschätzung. Sie hörte aus dem Text einen jungen Mann heraus, und wenn das nur ihrem Instinkt und ihrer jahrelangen Berufserfahrung geschuldet war.

»Du fährst von hier direkt zur Polizei, richtig?«, fragte Sandra, als sie zurück war. »Vielleicht wäre es klug, eine Kopie von dem Manuskript anzufertigen, nur für den Fall, dass die eine Mappe oder so was für deine Anzeige anlegen. Dann können die ein Exemplar direkt behalten.«

»Ja, das ist eine gute Idee.«

»Dann mache ich mir auch gleich eine Kopie. Könnte ja sein, dass mir was auffällt.«

Lilli blätterte nachdenklich in den Seiten. »Eines verstehe ich nicht. Was glaubt er über Daniel zu wissen?«

»Hä?«

Lilli zeigte ihr die Stelle. »Er sagt, dass ich die Wahrheit nicht kenne. Welche Wahrheit? Und woher soll irgendjemand ein so schlimmes Geheimnis über Daniel wissen?«

»Ach so. Ja, das habe ich mich auch gefragt. Wer weiß denn außer Daniel viel über euch als Paar und eure Trennung?«

»Hannah wahrscheinlich. Du weißt ja, seine neue Freundin.«

»Und wie ist die so?«

Lilli zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Wir haben bisher keine fünf Sätze miteinander gewechselt.«

»Wer käme sonst infrage?«

»Tja, ich weiß nicht, wen er zurzeit zu seinen Freunden zählt. Von Emma und Theo einmal abgesehen, reden wir eigentlich kaum über etwas, und selbst das passiert nur selten. Die beiden sind volljährig. Wenn sie Daniel besuchen wollen, steigen sie in eine Bahn und fertig. Mich muss da keiner fragen.«

»Vielleicht solltest du Daniel mal darauf ansprechen. Dann kannst du dich auch gleich mit seiner neuen Tussi unterhalten, denn entweder hat er jemandem etwas über dich erzählt, das er besser für sich behalten hätte, oder …«

»Oder?«

Sandra winkte ab. »Ach, vergiss es. Ich kümmere mich um die Kopien. Halt mich auf dem Laufenden darüber, was die Polizei sagt, ja?«

»Klar.«

Lilli warf sich im Flur ihren Mantel über und zog das gefaltete Foto, das gerahmt in ihrem Wohnzimmer gehangen hatte und dessen Schutzglas zersprungen war, aus einer der Innentaschen. Das Bild zeigte Daniel, Lilli und die Kinder auf Theos Abschlussball. Daniel trug einen lockeren Anzug ohne Krawatte, die schwarzen Haare stilvoll mit Gel hergerichtet, ein schwaches Lächeln auf den Lippen. Es war die letzte Aufnahme von der Familie als Einheit. Die Risse des Schutzglases waren von der Mitte ausgegangen und hatten sich zwischen den Familienmitgliedern ausgebreitet. Einer der Risse war genau durch Daniels Gesicht verlaufen.

Im Geiste brachte sie den Gedanken zu Ende, den Sandra nicht ausgesprochen hatte, weil er ihr wohl genauso fremdartig erschienen war, wie er nun auf Lilli wirkte. Entweder hatte Daniel jemandem etwas über Lilli erzählt, oder er war selbst der Manuskriptschreiber.

»Haben Sie eine Vermutung, wer Ihnen dieses Manuskript geschickt haben könnte?«, fragte der Polizeioberkommissar, nachdem er ihre Geschichte gehört und ihre Personalien aufgenommen hatte.

Der Mann war etwa in ihrem Alter. Mit den ausgeprägten Geheimratsecken und dem Grau in seinem Dreitagebart wirkte er ausgezehrt und müde. Dieser Eindruck wurde durch seine professionelle Teilnahmslosigkeit verstärkt. Er hatte sie vom Empfang aus in ein kleines Büro am Ende eines Gangs geführt, sobald ihm klar geworden war, dass er für Lilli eine Anzeige schreiben musste. Das leise Klicken seiner Computertastatur begleitete ihr Gespräch.

»Nicht wirklich. Möglicherweise irgendein frustrierter Schriftsteller, den wir nicht verlegen wollten?«

Die halb geöffneten Augen schauten sie ausdruckslos an. »Reagieren diese Leute häufiger mit einer solchen Heftigkeit auf eine Ablehnung durch Ihren Verlag?«

»Nein, zum Glück nicht.«

»Sie sagten, Sie und Ihr Mann sind geschieden?«

Lilli nickte.

»Wie lange schon?«

»Wir haben uns vor ziemlich genau zwei Jahren getrennt.«

»Wie heißt Ihr Ex-Mann?«

»Daniel Ziegler.«

Eine Braue des Polizisten zuckte. »Sie haben den Namen Ihres Mannes im Zuge der Scheidung nicht abgelegt?«

»Ich habe den Namen meines Mannes nie angenommen. Er hieß ursprünglich Daniel Lang. Nach der Trennung hat er meinen Nachnamen aus beruflichen Gründen behalten.«

»Was macht Ihr Ex-Mann beruflich?«

»Die meiste Zeit seines Lebens hat er als Kameramann gearbeitet. Privat hat er sich über zwei Jahrzehnte lang erfolglos am Schreiben von Filmdrehbüchern versucht, bis er es vor zweieinhalb Jahren tatsächlich geschafft und das Drehbuch zu Eine zerbrochene Flasche geschrieben hat. Da er unter dem Namen Ziegler berühmt geworden ist, konnte er nicht mehr zu seinem alten Namen zurückkehren.«

Das Klicken der Tastatur verstummte, ein Blick der trüben Augen, dann ging es weiter. »Ihr Ex-Mann ist also Drehbuchautor?«

»Ja.«

Tipp, tipp, tipp.

»Denken Sie, das ist verdächtig?«, fragte Lilli.

»Wie lief die Trennung ab?«

Sie unterdrückte den Impuls nachzuhaken. »Einvernehmlich. Wir hatten uns auseinandergelebt.«

»Warum so kurz nach seinem großen Erfolg?«

»Die Beziehung hatte schon länger jede Leidenschaft verloren. Ich schätze, der Erfolg gab ihm den Mut, mich zu verlassen.«

»Die Trennung ging also doch von ihm aus?«

»Nein, sie war einvernehmlich.«

»Richtig, richtig. Wie haben Sie reagiert, als er eine Scheidung ansprach?«

»Ich habe ihm darin zugestimmt, dass eine Trennung wohl das Beste für uns sei und dass wir meiner Meinung nach warten sollten, bis Emma achtzehn und außer Haus wäre.«

»Und er wollte nicht warten?«

»Daniel ist nicht der gemäßigte, vernünftige Typ. Wir haben es eine Weile versucht, aber er konnte nicht gut mit der Situation umgehen. ›Wenn wir nicht mehr zusammen sind, sollten wir auch nicht mehr zusammenleben‹, das war seine Meinung.«

»Inwiefern konnte er nicht gut mit der Situation umgehen?«

»Er war sehr reizbar, es kam oft zu Streit.«

»Hat er Ihnen gegenüber jemals Drohungen ausgesprochen oder Ihnen Gewalt angetan?«

»Was? Nein. Ganz normales Streiten.«

»Halten Sie Ihren Ex-Mann für gefährlich?«

»Nein!«

»Worum ging es bei diesen Streitereien?«

»Ach, alles Mögliche. Meistens Kleinigkeiten. Ich glaube, die Trennung hat ihm sehr wehgetan. Mir ja auch.«

»Haben Sie während Ihrer Beziehung bereits in dem Verlagshaus am Hansaring gearbeitet?«

»Ja.«

»Dann nehme ich an, er weiß, wo Sie arbeiten?«

»Natürlich.«

»Und er hat einen Schlüssel zu Ihrem Haus?«

»Ja.«

Das Klicken der Tastatur wurde entschiedener. »Gut, wir sind fast fertig, Frau Ziegler. Haben Sie noch ein paar Minuten?«

»Klar.«

»Wann haben Sie Ihren Ex-Mann kennengelernt?«

»Vor fünfundzwanzig Jahren. Ich war damals dreiundzwanzig, Daniel einunddreißig.«

»Gab es vor ihm wichtige Männer in Ihrem Leben? Erwähnenswerte Beziehungen?«

»Warum wollen Sie das wissen?«

»Es könnte relevant werden, je nachdem wie sich die Sache in den nächsten Wochen entwickelt. Ich werde Ihnen gleich alles Weitere erklären.«

Lilli biss sich auf die Unterlippe. »Ja, es gab vor ihm jemanden. Sein Name ist Kasper Adams. Er war meine Jugendliebe. Was er heute so treibt, weiß ich nicht. Ich habe ihn seit meinem Abiturabschlussball nicht mehr gesehen.«

»Dann habe ich eine letzte Frage an Sie. Wer ist eingetragener Eigentümer Ihres Hauses?«

Sie blinzelte. »Ähm, mein Mann und ich. Warum?«

»Es ist so: Wir ermitteln im Fall von Straftaten oder bei begründetem Verdacht auf eine begangene oder geplante Straftat. Bei Ihnen handelt es sich bei der fraglichen Straftat um einen sogenannten Einbruchdiebstahl. Es ist gut, dass Sie hergekommen sind.«

Lilli nickte.

»Das Problem bei der ganzen Angelegenheit – oder vielmehr eines der Probleme – besteht allerdings darin, dass im Grunde kein nennenswerter Sachschaden entstanden ist. Dadurch wird die Dringlichkeit der Sache enorm gemindert, und bei Anzeigen wegen Diebstahls gegen Unbekannt ist in den meisten Fällen ohnehin nicht viel zu machen.«

»Was soll das bedeuten? Dass Sie gar nichts unternehmen werden?«

»Nein, nein. Wie gesagt, die Anzeige wegen Einbruchdiebstahls habe ich gerade aufgenommen.«

»Sie werden die Sache nicht untersuchen?«

»Es gibt in Ihrem Fall weitere Komplikationen. Ich habe nach dem Eigentümer Ihres Hauses gefragt, weil der juristische Begriff Einbruch das unbefugte Eindringen in Ihre Wohnung beschreibt. Ich werde gleich jemanden bei Ihnen vorbeischicken. Er wird an Ihren Fenstern und Balkonen nach Einbruchspuren suchen, die Ihnen womöglich nicht aufgefallen sind. Falls wir keine finden, liegt der Verdacht nahe, dass der Eindringling einen Schlüssel hatte. Sollte sich also Ihr Ex-Mann mit seinem Schlüssel Zugang zu seinem Haus verschafft haben, hat kein Einbruch stattgefunden, verstehen Sie?«

»Und wenn es nicht Daniel war?«

Er blätterte durch die Kopie des Manuskripts, die sie ihm überlassen hatte. »Ich kann hier beim besten Willen keine ernste Bedrohungslage erkennen. Was ich mir vorstellen kann, ist, dass Sie weitere derartige Schreiben erhalten werden. Den meisten Stalkern geht es um Aufmerksamkeit. Die werden mit der Zeit immer aufdringlicher und offenbaren ihre Identität in der Regel von ganz allein. Deshalb ist es wichtig, dass Sie uns darüber informieren, sollten sich weitere Belästigungen wie diese ereignen, damit wir angemessen darauf reagieren können. In Ordnung?«

Lilli sah auf ihre Hände.

»Frau Ziegler, ich würde an Ihrer Stelle die Schlösser zum Haus austauschen lassen und diesen Wisch einfach ignorieren.«

Der Polizeioberkommissar erhob sich und geleitete sie nach draußen.

In ihrem Wagen, einem in die Jahre gekommenen VW Golf, fiel es ihr schwer, sich auf die Straße zu konzentrieren. Das Rucken der Gangschaltung und das leise Brummen des Motors waren die einzigen Geräusche in der Stille der Fahrerkabine. Es war also vermutlich Daniel. Einem Polizisten bereitete es vielleicht keine Mühe, dem Vater ihrer Kinder so etwas Furchtbares zuzutrauen, doch sie konnte das nicht.

Während der Anfangszeit ihrer Beziehung hatte er Lilli häufiger in seine Drehbücher hineingeschrieben, hatte ihr damit gezeigt, wie sehr er sie liebte. Er hatte sie dann immer ganz genau beim Lesen seiner Texte beobachtet, um den Moment bloß nicht zu verpassen, in dem sie merkte, dass er von ihr schrieb. Dann hatte er sie auf seine verträumte Art angelächelt, und sie hatte versucht, sich nicht anmerken zu lassen, wie viel ihr diese kleinen Gesten bedeuteten.

Ihre Gedanken wanderten zum Rest der Befragung. Das unscharfe Gesicht eines lockigen Jungen drang aus der ersten Hälfte ihres Lebens zu ihr herauf. Sie seufzte, schaltete das Radio an.

»… haben. Singt und jault mit bei Rod Stewarts The First Cut Is The Deepest!«

Lillis Hand zuckte Richtung Radio, legte sich aber wieder auf den Schaltknüppel, ohne den Sender gewechselt zu haben. Bereits die ersten paar Gitarrenanschläge trieben ihr zu ihrer eigenen Überraschung ein wildes Grinsen ins Gesicht. Plötzlich war sie wieder sechzehn Jahre alt, es war Sommer, die Grillen zirpten, Gras kitzelte ihre Beine, ihr Kleid war weich und leicht, Kaspers Bauch hob und senkte sich unter ihrem Kopf, Blumenduft lag in der Luft.

Sie drehte das Radio lauter, noch lauter, und beim Refrain schmetterte sie den Text aus voller Kehle mit. »Baby, I’ll try to love again but I know … the first cut is the deepest!«

Zwischen den Zeilen lachte sie lauthals, trommelte im Takt auf dem Lenkrad. Kasper zog sie hoch, hielt sie bei den Händen, tanzte mit ihr über die Wiese, frei und ausgelassen. Dann standen sie im Nieselregen. Es war dunkel, und sie hörte gedämpfte Partymusik. Er weinte, sie wollte sich entschuldigen.

Einem Impuls folgend, nahm sie ihr Handy. Sie könnte doch … Aber da endete das Lied auch schon, und der Gedanke erschien ihr albern.

»Eine Polizistin war da und hat die Fenster untersucht, während du weg warst«, sagte Emma etwas später von der Wohnzimmercouch aus.

Lilli kam gerade aus der Küche, zwei Teller mit Pizzastücken in den Händen, und setzte sich zu ihr. Normalerweise fand ihr gemeinsamer Film- und Fernsehabend freitags statt; da Emma jedoch am nächsten Morgen ihre Stufenabschlussfahrt nach London antreten würde, hatten sie ihn kurzerhand einen Tag vorgezogen.

»Und? Hat sie was gefunden?«

»Nee.«

Im Fernseher wurde gerade einem halb nackten Mädchen eine Schlange um die Schultern gelegt. Sie trug nur Unterwäsche und Stöckelschuhe, und ihr war anzusehen, dass eine instinktive Angst sie vor der Schlange warnte. Trotzdem zwang sie sich zu einem unsicheren Lächeln, während das Tier auf ihr drapiert wurde. Nun winkelte das Mädchen ein Bein an, bog den Rücken durch und streckte dabei den Hintern und die Brüste heraus. Eine Jury, die zu Lillis Ekel mehrheitlich aus Frauen bestand, beäugte sie kritisch, verlangte mehr Sexyness.

Emma nahm ihren Teller entgegen und begann zu essen, ohne den Blick von dem flimmernden Bildschirm zu lösen. Lilli zögerte.

»Geht dein Freund eigentlich zu dir auf die Schule?«, fragte sie vorsichtig.

Emma kaute ein wenig langsamer. »Klar.«

»Was habt ihr so für Kurse zusammen?«

»Eigentlich nur Bio.«

»Und, was hat er so für Leistungskurse belegt?«

»Keine Ahnung. Warum fragst du?«

»Ach, nur so.«

Das Mädchen posierte jetzt für einen Fotografen. Mal schaute sie mit gesenktem Kopf und großen Augen von unten in die Kamera, mal kalt und herrisch von oben herab. Lilli drückte auf dem Rand ihres Pizzastücks herum.

»Wie kann es sein, dass du nicht weißt, welche Leistungskurse er besucht?«, fragte sie.

»Ey, im Ernst. Können wir bitte nicht darüber reden?«

»Ja, natürlich. Nein. Wir müssen nicht über ihn reden. Es ist nur … Er sah etwas älter aus …«

Emma sah Lilli erst überrascht und dann wütend an. Sie öffnete den Mund zu einer Erwiderung, als die Klingel an der Haustür betätigt wurde.

»Ich gehe schon«, sagte Lilli.

Draußen wartete ein schmächtiger Mann in einem maßgeschneiderten Anzug. Die künstlich grau gefärbten Haare fielen in einer einzelnen großen Locke seitlich an seinem Gesicht hinab. Er schüttete sich gerade ein paar Lutschpastillen in die Hand.

»Steffen! Was tust du hier?«

»Ich habe deine Nachricht auf dem Anrufbeantworter gehört. Du sagtest etwas von Polizei und hast mich nach irgendeinem Manuskript gefragt. Da habe ich mir Sorgen gemacht.«

»Danke, dass du vorbeigekommen bist. Warte kurz.«

Lilli holte die erste Seite des Manuskripts und faltete sie so, dass nur die ersten Absätze zu lesen waren. Sie vergewisserte sich unauffällig, dass Emma nach wie vor im Wohnzimmer fernsah, bevor sie an die Tür zurückkehrte.

»Hast du das schon einmal gesehen?«

Während er das Blatt überflog, nahm Lilli den Duft seines Aftershaves wahr. Er musste es wohl im Lauf des Tages regelmäßig nachlegen, um selbst zu dieser Zeit danach zu riechen.

Er runzelte die Stirn. »Nein. Was hat es damit auf sich?«

»Heute ist jemand bei uns eingebrochen, und ich habe dieses Manuskript erhalten. Der Absender hat es mithilfe einer falschen E-Mail-Adresse unter deinem Namen eingereicht. Hast du eine Idee, wer das gewesen sein könnte?«

»Na ja, jedenfalls kein Poet.«

»Witzig, dass du das sagst.«

»Warum?«

Lilli schaute kurz über die Schulter Richtung Wohnzimmer und sprach mit gesenkter Stimme weiter. »Weil die Polizei Daniel verdächtigt.«

»Tatsächlich?«

»Ich weiß.« Sie nahm das Manuskript, das er ihr hinhielt. »Hat in letzter Zeit vielleicht jemand eine seltsame Anfrage an deine Agentur gestellt? Oder hat sich jemand über Daniel und mich erkundigt?«

»Daran würde ich mich erinnern.«

»Na gut. Danke, dass du extra da warst. Das weiß ich zu schätzen.«

»Ist doch selbstverständlich. Ich hoffe nur, dass niemand verletzt wurde.« Er stellte sich kaum merklich auf die Zehenspitzen. Seine Augen huschten in den Flur hinter Lilli.

»Emma geht es gut. Wir waren zum Glück beide außer Haus, als es passierte.«

»Wenn ihr jemanden … Also, wenn ich irgendetwas für euch tun kann, lass es mich wissen.«

Lilli verabschiedete sich von ihm, schloss die Tür und verharrte nachdenklich mit der Hand am Rahmen. Sie fuhr herum, als sie Emmas Stimme hinter sich hörte.

»Der Typ ist ein Creep.«

»Sag so was nicht. Du kennst ihn kaum.«

Emma zuckte mit den Schultern und kam näher. »Verdächtigt die Polizei wirklich Papa?«

Lilli erstarrte. Sie ließ geräuschvoll den Atem entweichen und schob sich an ihrer Tochter vorbei zurück ins Wohnzimmer.

»Das ist totaler Schwachsinn!«, rief Emma. »Was sollte Papa mit meinem Tagebuch wollen?«

»Die denken das nur, weil er als Einziger außer dir und Theo einen Schlüssel fürs Haus hat.«

»Ich wette, die Scheißpolizistin hat einfach irgendwas übersehen.«

»Es ist nur eine Vermutung, weiter nichts. Nimm dir das nicht zu sehr zu Herzen, und erwähn das bloß nicht Daniel gegenüber.«

»Und was jetzt?«

»Morgen früh tauscht jemand die Schlösser aus, und damit ist die Sache erledigt.«

In den nächsten Minuten sahen sie schweigend fern. Lilli hätte sich gerne ein wenig unterhalten, aber ihr Kopf war voll von Dingen, die sie nicht sagen durfte. Sie dachte an Tausende kleine Streitereien mit Daniel und an das Misstrauen, das die Polizei in ihr geweckt hatte. Sie dachte an ihre Jugendliebe Kasper Adams, fragte sich, was aus ihm geworden war. Und sie dachte an all den Mist, dem ihre Tochter durch das Fernsehen und das Internet ununterbrochen ausgesetzt war. Es war, als würde sich Emma zielsicher immer von den schädlichsten Ideen angezogen fühlen.

»Wir könnten«, sagte Emma, »die Sache auch überprüfen, wenn du mitspielst.«

»Wie bitte?«

»Wenn wir Papa nichts von dem Einbruch erzählen, sollte er gar nicht bemerken, dass sein Schlüssel nicht mehr funktioniert.«

Lilli hob eine Braue. »Und falls er uns doch darauf anspricht, ist das wie ein Schuldgeständnis, meinst du?«

»Was haben wir zu verlieren?«

»Ich fühle mich nicht wohl dabei, ihm so etwas vorzuenthalten. Falls er es nicht war, kann sich ein Fremder irgendwie Zugang zu unserem Haus verschaffen, und er ist immerhin dein Vater. Er wird bestimmt auch Angst um dich haben, wenn er davon hört. Das erinnert mich übrigens an etwas.« Lilli ging zu ihrer Tasche und kehrte mit zwei kleinen schwarzen Dosen zurück. »Hier, nimm.«

»Was ist das?«

»Pfefferspray. Ich habe für jede von uns eine Flasche besorgt.«

»Ich glaub nicht, dass ich die brauchen werde.«

»Natürlich nicht. Nur zur Sicherheit. Jedenfalls werde ich mit Daniel ganz offen über alles sprechen. Ich würde mir andersherum dasselbe Vertrauen von ihm wünschen.«

Als Lilli einige Stunden später allein im Wohnzimmer saß und das Haus um sie herum in angenehmer Stille lag, schwebte ihr Daumen über der Hörertaste. Vor ihr lag das unheimliche Manuskript. Etwas in ihr wehrte sich gegen die Vorstellung, Daniel könnte ihr so etwas geschickt haben.

Es klingelte. Nur der Anrufbeantworter. Um diese Uhrzeit hatte sie wohl nichts anderes erwarten können.

Sie starrte unentschlossen auf ihr Handy, bis sie schließlich ihren Laptop aufklappte. Lilli tippte, die flache Computertastatur klickte leise. Vor ihren Augen flimmerten Bilder von Sicherheitskameras, Abhörgeräten, Lasersensoren. Sie fand Videos von Polizisten, die mit Schraubenziehern Fenster aufhebelten. Da waren Männer, die mit Dietrichen Schlösser knackten. Und dann war da ein Name. Eine Telefonnummer.

Lilli lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Mit den Fingerknöcheln massierte sie sich die Schläfen. Das war unmöglich.

»Mama, wach auf.«

Lilli gähnte verschlafen. Ihre Tochter nahm die Hand von ihrer Schulter und ging in die Küche. Auf dem Wohnzimmertisch vor ihr lief leise ihr Rechner, das Manuskript lag daneben. Sie hörte Emma mit Geschirr klappern.

»Ich weiß nicht, wie du auf der Couch schlafen kannst«, sagte Emma. »Ich hab bei mir oben die Tür verrammelt.«

Im nächsten Moment kehrte sie mit einem großen Tablett zurück und deckte den Wohnzimmertisch.

»Danke, Schatz. Du bist ein Engel. Hast du alles gepackt?«

»Jap. Meine Tasche steht im Flur. Nach dem Frühstück bin ich weg.«

»Vielleicht sollte ich dich besser hinbringen. Nach dem, was gestern …«

Emma warf ihr einen vielsagenden Blick zu.

»Schon gut, schon gut«, lenkte Lilli ein. »Du rufst an, wenn ihr angekommen seid?«

»Versprochen.«

Kurz darauf erschien der Schlosser, der still seine Arbeit an der Haustür verrichtete, während sich Lilli von ihrer Tochter verabschiedete. Anschließend sprang sie unter die Dusche, zog sich an und packte ihre Arbeitstasche. Auf der Türschwelle hielt sie inne. Sie ging zurück ins Wohnzimmer, nahm das Manuskript in die Hand und wollte es einstecken, als ihr auffiel, dass die Überschrift eine andere war.

Ihr Kopf fuhr herum, ihr Blick huschte durch den Raum, suchte die Fenster ab, den Garten. Obwohl sie nichts Verdächtiges erkennen konnte, fühlte sie sich beobachtet. Er musste in der Nacht wieder da gewesen sein.

Ihr Herz tat einen schmerzhaften Sprung. Emma! Nein, Emma ging es gut. Sie hatte erst vor wenigen Minuten gesund und munter das Haus verlassen. In England inmitten ihrer Schulkameraden wäre sie sicher. Lilli musste sich vorübergehend nicht um sie sorgen.

Sie legte die Tasche ab und setzte sich aufs Sofa. Vom ersten Manuskript war keine Spur mehr.

Kapitel 2 – Entscheidungen

Is irgendwie komisch, die jetzt so zu seh’n. Ich mein, ich hab die ja schon oft ess’n und schlaf’n geseh’n, doch das is anders. Wie die da vor mir liegt, so ganz schlaff und mit ’m Kopf nach hinten und Mund offen und so. Als ob ich ihr in den Schädel geschoss’n hätte.

Der Laptop zeigt die ganze Zeit weiter Videos, das geht ja heute alles von allein. Das sin’ so Dokus über Einbrecher und darüber, wie man die abwehr’n kann. Ich mach das Zeug mal klein und guck, was die sich sonst so reingezogen hat. Ganz viel über so ’nen bestimmten Typen. Das is ja int’ressant.

Aufm Tisch liegt mein Text. Find ich irgendwie aufregend, dass die da vorm Einschlaf’n drin geles’n hat. Ob die ’ne Ahnung hat, wer ich bin? Kann sein. Weil so ’ne Dumme is die ja nich. Nene, das nich. Die will immer alles ganz genau halt’n, so nach Vorschrift und so.

Emma is da ja ganz anders drauf. Das kleine Flittchen. Grade mal achtzehn Jahre alt und wird ganz nass, wenn die ohne Höschen zu ’ner Party geht. Von ihrer Mutter hat die das bestimmt nich. Lilli hat sich nie aufm Klo von ’ner Schule fick’n lassen, wenn die eigentlich im Unterricht sein sollte, da würd ich drauf wett’n. Und dann zieht die das auch noch einfach so ohne Tüte durch, nur weil die sich denkt, dass es ja geil is, weil der Typ ’ne Freundin hat. Was is das bitte?

Da muss die Mama mal ’ne Ansage bring’n, damit das aufhört. Is ja schlimm, so was. Da muss man sich schäm’n als Eltern, und Emma is ja auch nich doof. Die weiß, wie ihre Mutter tickt. Die würd die direkt als Schlampe abstempeln, aber nich offen, sondern so heimlich, so hintenrum. Immer schön auf lieb tun und sag’n: »Du bist ’ne ganz Tolle«, und dann in Wahrheit Nutte denk’n, jaja, so is die.

Lilli schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Das stimmt doch so alles nicht! Ich …«

Sie unterbrach sich, als ihr bewusst wurde, dass sie ein Blatt Papier anschrie.

Vielleicht is es Lilli auch lieber, wenn ich mal mit ihrer Tochter über die ganzen Typen quatsche, weil Lilli ja keinen Plan von so Sachen hat. Lutschen oder Arschfick is nich mit der. Die is sich überhaupt für alles zu schade. Die macht sich ja schon ’nen Kopf, wenn man ihr in ’nem Restaurant oder so an den Arsch packt. Die is sogar stolz drauf und tut so, als ob alle um die rum wie Tiere wär’n. So geht das bei der, immer schön die Nase hoch.

Daniel muss sich mit der auch gedacht hab’n, dass er voll der Perversling oder so is. Versteh ich gar nich, was er an der gefund’n hat. Er hätt’s die ganze Zeit viel besser hab’n könn’. Stattdessen spielt er brav den Ehemann, und Emma spielt die Tochter, und alle sag’n Lilli immer, was die hör’n will, und sin’ dauernd nur am Lüg’n. Die ganze Familie immer nur am Lüg’n.

Na ja, Hauptsache, jetzt is er da raus. Und Emma is ja auch erwachsen inzwischen. Dann kann die auch bald weg, und dann is Lilli allein. Die will bestimmt keiner mehr besuch’n.

Ich geh nach oben. Da is alles dunkel, außer bei Emma. Unter der Tür von der is Licht. Ich geh hin und hab die Hand auf der Klinke. Muss mich ganz schön zusammenreiß’n, damit ich da nich reingeh. Ich will ja eigentlich, aber noch darf ich nich, das wär sonst unfair, also nehm ich die Hand wieder weg.

Lilli atmete geräuschvoll aus. Sie zog eine Schachtel Zigaretten aus ihrer Tasche, steckte sich eine an und rieb sich mit geschlossenen Augen über die Stirn. Die Zigarette war bereits zur Hälfte aufgeraucht, als sie sich zum Weiterlesen zwang.

Im Wohnzimmer pennt Lilli immer noch. Aus ihrer Jackentasche hängt ’ne Ecke von ’nem Foto raus. Ich nehm es so, dass die nix davon merkt, ganz vorsichtig. Es is das, was ich geschrottet hab. Das trägt die jetzt also mit sich durch die Gegend, weil die denkt, das hätte ’ne besond’re Bedeutung. Irgendwie aufregend. Die macht sich über alles, was ich so tu, voll die Gedanken. Find ich gut, dass die mich ernst nimmt. Das sollte die auch.

Ich guck auf den ersten Teil von meinem Manuskript. Es wird Zeit, dass Lilli mal zeigt, wie die in Wahrheit so drauf is. Nich immer nur so tun, als ob, und sich dann rausreden. Nee, heute muss die mal echt ran und einen bestimmen, der für ihren ganz’n Scheiß den Kopf hinhält.

Wenn die zwischen 17:00 und 17:05 Uhr da am Haupteingang von ihrem Verlag rauskommt, sagt die damit, dass es Daniel sein soll. Zwischen 17:05 und 17:10 is es Theo und zwischen 17:10 und 17:15 Emma. Und wenn die meint, die muss nich und kann tun, was die will, so auf die Tour, dann entscheid ich das halt, oder ich werf ’ne Münze oder so. Is die dann selber schuld.

Sie las das Manuskript ein zweites Mal, die Hände zu Fäusten geballt. Zähneknirschend griff sie nach ihrem Mantel. Das Foto von Theos Abschlussball war noch da. Lilli stand auf und ging im Zimmer umher, während sie vor sich hin murmelte.

»An Ihrer Stelle würde ich den Wisch ignorieren.«

Sie schüttelte den Kopf und pfefferte ihren Mantel auf die Couch. Ihre Stimme wurde lauter, ihre Bewegungen energischer.

»Ich kann hier beim besten Willen keine Bedrohungslage erkennen.«

Lilli hob eines der Sofakissen hoch und krallte sich mit ihren Nägeln hinein.

»Keine verdammte Bedrohungslage!«

Sie drückte ihr Gesicht in das Kissen und schrie sich die Lunge leer, bevor sie es an seinen Platz zurückfeuerte.

»Polizeioberkommissar Gerber hat heute Streifendienst«, sagte der junge Polizist auf dem Revier. Seine dünnen Haare teilten sich in einen Seitenscheitel. Er streckte die Brust heraus, als hielte er ununterbrochen die Luft an. »Ich werde ihn über alles informieren, was Sie mir gerade erzählt haben, dann werden wir entscheiden, wie wir vorgehen.«

»Was heißt das?«

»Diese Manuskripte, die Sie da erhalten, sind nicht ohne. Dabei umgeht der Verfasser allerdings zu direkte Formulierungen. Er schreibt zum Beispiel