Die Letzten - Rainer Maria Rilke - E-Book

Die Letzten E-Book

Rainer Maria Rilke

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Beschreibung

Die Letzten ist eine Geschichte von Rainer Maria Rilke. Reinlesen: Der Tag wird immer verlegen in der kleinen Mietswohnung, in welcher so schwere, unverständliche Möbel stehen. Aber die Dämmerung begreift alles. Sie weiß, daß das Vergangenheit ist, was da in Stühlen und Schränken und Bildern sich erhält, und daß die engen Stuben, drei Treppen hoch, schuldlos sind an dieser fremden Vergangenheit, wie Menschen, deren Gesicht von irgend einem Vorfahr den Namen eines Gefühls geerbt hat, das sie mit ihren eigenen schwächeren Herzen gar nicht zu tragen vermöchten. Die beiden Fenster führen den roten Abend herein, der über die Dächer kommt und leise zu den wartenden Dingen tritt, welche ihn schweigend empfangen. Am freudigsten nimmt ihn die schmale, mit Säulen geschmückte Kommode auf, die wie ein kleiner Altar ist: mit all dem Silber und Glas auf ihr lächelt sie ihm zu.

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Seitenzahl: 39

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Die Letzten

Die LetztenAnmerkungenImpressum

Die Letzten

Der Tag wird immer verlegen in der kleinen Mietswohnung, in welcher so schwere, unverständliche Möbel stehen. Aber die Dämmerung begreift alles. Sie weiß, daß das Vergangenheit ist, was da in Stühlen und Schränken und Bildern sich erhält, und daß die engen Stuben, drei Treppen hoch, schuldlos sind an dieser fremden Vergangenheit, wie Menschen, deren Gesicht von irgend einem Vorfahr den Namen eines Gefühls geerbt hat, das sie mit ihren eigenen schwächeren Herzen gar nicht zu tragen vermöchten.

Die beiden Fenster führen den roten Abend herein, der über die Dächer kommt und leise zu den wartenden Dingen tritt, welche ihn schweigend empfangen. Am freudigsten nimmt ihn die schmale, mit Säulen geschmückte Kommode auf, die wie ein kleiner Altar ist: mit all dem Silber und Glas auf ihr lächelt sie ihm zu.

Marie Holzer steht gerade vor dieser Kommode. Sie hält von den kleinen Miniaturen, welche da neben den massiven Armleuchtern aufgestellt sind, eine nach der anderen in den Abend und betrachtet jede aufmerksam. Dabei ist ihr junges, helles Gesicht ernst und nachdenklich. Für eine Weile wendet sie es einer Dame in Schwarz zu, die, nah bei ihr, auf dem Fensterplatze sitzt und vor sich hinsieht, ohne daß ihre großen Augen etwas halten. Und so kann Marie Holzer sie ruhig anschauen, als wäre auch das ein Bild: dieses Gesicht, dem man kein Alter zu geben wagt, obwohl es nicht jung ist, diesen feinen Mund, der, von wehen Erinnerungen bewegt, ein unsichtbares Leiden überwindet, und dieses Haar, von dem man zu wissen glaubt, daß es schwer ist. Und vor allem die Vornehmheit dieser zarten, stillen Gestalt, die geduldige Ruhe dieser schwarzen Schultern, auf denen das schlichte Nutzkleid wie eine Würde liegt.

Jetzt erhebt die schlanke Uhr, die fast verheimlicht zwischen den Fenstern steht, ihre zitternde Stimme und sagt feierlich sechs Schläge, von denen sie jeden anders betont; Marie Holzer läßt sie ganz ausreden und wartet auch noch das Geräusch ab, mit welchem die geteilte Stille sich hinter dem letzten Schlage wieder schließt. Dann sagt sie: »Merkwürdig.« Und nimmt wieder ein Bild von der Kommode und wiederholt: »Merkwürdig.« Da erschrickt die Frau am Fenster: »Sie haben etwas gesagt, Marie?« Das Mädchen stellt zuerst die Miniatur wieder an die alte Stelle, ehe es antwortet. »Gesagt? – Eigentlich nicht. Es ist nur so seltsam.« Die Dame sieht flüchtig über den Abendhimmel hin und fragt leise: »Was denn, Kind?«

»Daß man hier bei Ihnen immer so anders wird. So eigentümlich fromm. Man ist immer wie zum allererstenmal hier. Man kann das Staunen nicht verlernen.« Pause. Sie biegt die Arme in jungmädchenhafter Art hoch zurück und bettet den Kopf hinein, wie man es wohl während eines leisen Traumes tun mag, den man tief, mit allen Sinnen genießt. Ihre Augen sind auch geschlossen, als sie fortfährt: »Und das giebt es hier, mitten in der Stadt, hoch in diesem lauten, alltäglichen Zinshaus, in dem nüchterne, unwichtige Menschen wohnen. Über ihnen ist dieses Seltsame. Sie tragen es gleichsam auf ihren Köpfen und ahnen nichts davon.« Sie läßt die Arme fallen. »Nein, sehen Sie, Frau Malcorn, daß es so etwas giebt! . . .«

»Aber was denn eigentlich, Kind?«

»Alles das: diese Bilder und diese Dinge und Sie, Frau Malcorn, und Harald – ja, auch Harald.«

Frau Malcorn schüttelt leise den Kopf. »Sind denn einsame Menschen so anders als –«

»Einsame Menschen? – Ja. Vielleicht. Aber das ist es nicht allein.« Marie Holzer geht zu dem anderen Fenster hin. Und dann: »Sie sind nicht einsam eigentlich. Sie leben unter vielen, bloß nicht unter uns, nicht unter uns Heutigen. – Sie haben so viel Bilder hier. Sie haben mir ja schon oft gesagt, wer alle diese Menschen waren. Diese traurigen Frauen alle und diese feierlichen Herren. Und ich weiß auch, daß sie längst gestorben sind. Manche vor zweihundert Jahren, manche noch früher. In Frieden gestorben, – aber – wissen Sie auch wirklich, daß das alles nur Bilder sind?«

Wie beunruhigt durch die leise Furcht, die diese Frage des Mädchens vor sich herjagt, steht Frau Malcorn auf und kommt zu Marie. Und während sie eine Hand auf Mariens Schulter legt, streichelt diese leise die andere Hand. »Sie sind so zart, so blaß. – Als ob viele Menschen von Ihrem Leben mitlebten.« Pause. »Alle diese . . .«

Man erkennt schon kaum mehr die furchtsame Bewegung, mit welcher Marie in das Zimmer weist. So dunkel ist es geworden. Und in das Schweigen wirft sich von draußen der Sturm.

Aber da beginnt Marie Holzer laut und in anderem Ton:

»Sie müssen sich schonen, Frau Malcorn. O, verzeihen Sie, wenn ich so spreche. Ich fühle mich manchmal älter – wie Ihre ältere Schwester.«

»Und sind doch so jung?« lächelt Frau Malcorn und küßt sie auf die Stirn.

»Ja, ich bin jung. Und ich bin dessen froh. Ich fühle so viel Kraft in mir. Ich möchte so vieles tun.« Und da ist eine Ungeduld in ihren Händen, als ob sie sie gleich an alles Werden legen wollte, das zu langsam geht.

Dabei erinnert sich Frau Malcorn: »Das hat Harald auch immer gesagt: Ich habe so viel Kraft in mir.«

»Das hat