Die Liebe der Zuckerbäckerin - Katryn Berlinger - E-Book
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Die Liebe der Zuckerbäckerin E-Book

Katryn Berlinger

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Beschreibung

Süß und unwiderstehlich wie eine Praline: Der historische Roman »Die Liebe der Zuckerbäckerin« von Katryn Berlinger jetzt als eBook bei dotbooks. Riga, 1902: Als »Schokoladenmädchen« ist sie berühmt geworden, nun reist Madelaine als stolze Braut an der Seite des Grafen András Mazary in dessen Heimat Ungarn. Voller Anspannung hofft die bürgerliche Zuckerbäckerin auf einen herzlichen Empfang. Doch der alte Graf hat andere Pläne mit seinem einzigen Sohn und Nachfolger … Als Madelaine auch noch der erhoffte Nachwuchs versagt bleibt, begeht sie einen schweren Fehler, der sie und András entzweit! Verzweifelt kehrt sie in ihre Heimatstadt Hamburg zurück. Ist nun ihr Traum vom großen Glück für immer verloren – oder gibt es noch Hoffnung? Der Bestseller »Der Kuss des Schokoladenmädchens« in neuem Gewand: »Spannend, kurzweilig und mitreißend wird der Leser in die Zeit der Jahrhundertwende entführt.« Wochentipp Lippstadt Jetzt als eBook kaufen und genießen: »Die Liebe der Zuckerbäckerin« von Katryn Berlinger. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 617

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Über dieses Buch:

Riga, 1902: Als »Schokoladenmädchen« ist sie berühmt geworden, nun reist Madelaine als stolze Braut an der Seite des Grafen András Mazary in dessen Heimat Ungarn. Voller Anspannung hofft die bürgerliche Zuckerbäckerin auf einen herzlichen Empfang. Doch der alte Graf hat andere Pläne mit seinem einzigen Sohn und Nachfolger … Als Madelaine auch noch der erhoffte Nachwuchs versagt bleibt, begeht sie einen schweren Fehler, der sie und András entzweit! Verzweifelt kehrt sie in ihre Heimatstadt Hamburg zurück. Ist nun ihr Traum vom großen Glück für immer verloren – oder gibt es noch Hoffnung?

Der Bestseller »Der Kuss des Schokoladenmädchens« in neuem Gewand: »Spannend, kurzweilig und mitreißend wird der Leser in die Zeit der Jahrhundertwende entführt.« Wochentipp Lippstadt

Über die Autorin:

Katryn Berlinger arbeitete lange Zeit als Direktionsassistentin, entschied sich dann aber für ein Studium der Literaturwissenschaften und Systematischen Musikwissenschaft. Nach ihrem Abschluss war sie in einem Hamburger Schallplattenunternehmen erfolgreich tätig. Für einige Jahre tauschte sie dann den Beruf gegen die Familie ein. Heute lebt und arbeitet die Autorin in Norddeutschland.

Bei dotbooks sind von Katryn Berlinger bereits »Die Zuckerbäckerin von Riga« und »Die Liebe der Zuckerbäckerin« erschienen.

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Aktualisierte eBook-Neuausgabe Mai 2020

Dieses Buch erschien bereits 2009 unter dem Titel »Der Kuss des Schokoladenmädchens« bei Knaur und 2016 unter demselben Titel bei dotbooks

Copyright © der Originalausgabe 2009 Knaur Taschenbuch

Copyright © der Neuausgabe 2016 dotbooks GmbH, München

Copyright © der aktualisierten Neuausgabe 2020 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung verschiedener Bildmotive von © shutterstock/Lepas, Olga Mazina, faestock, embeki

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)

ISBN 978-3-95824-648-5

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Katryn Berlinger

Die Liebe der Zuckerbäckerin

Roman

dotbooks.

Kapitel 1

Juli 1902

Madelaine stand an der Reling des schlanken Segelschiffes und beobachtete, wie die brasilianische Küste im feinen Dunst des Meeres versank. Längst lagen die breiten, dicht mit Palmen gesäumten Sandstrände hinter ihr. Und die Erinnerung an das, was sie als Letztes gesehen hatte, verblasste mit jeder Seemeile schneller, als sie es für möglich gehalten hatte: Salvadors Altstadt mit den vergoldeten Barockkirchen und kolonialen Prachtbauten, das Lachen, die Rufe der Fischer und Händler im Getümmel des betriebsamen Hafens.

Nur das Gesicht ihres Vaters blieb ihr treu, sein leuchtender, zuversichtlicher Blick. Noch immer spürte sie seine feste Umarmung, so als wollte er nicht zulassen, dass die Entfernung zwischen ihnen unerbittlich größer wurde. Ich werde kommen, hörte sie seine Stimme, ich werde kommen. Allein dieser Klang tröstete sie, denn er blieb unberührt von Wind und Wellenschlag.

Für einen kurzen Moment verweilten ihre Gedanken bei ihm. Sie hatten im Laufe des letzten Dreivierteljahres ausreichend Zeit gehabt, miteinander zu sprechen und sich wieder wie in alten Kindertagen anzunähern, beinahe so, als sei nie etwas geschehen. Nun, da alles gesagt und für die Zukunft geplant war, hatten sie beschlossen, die Vergangenheit ruhen zu lassen und nach vorn zu schauen. »Man muss die Zukunft im Sinn haben und die Vergangenheit in den Akten«, hatte er gemeint und sie fühlen lassen, wie stolz er auf sie war.

Aber es war merkwürdig: Je mehr sie seine Bewunderung genossen hatte, desto unruhiger war sie geworden. Sie wusste, sie brauchte sich keine Sorgen um Billes Kinder zu machen, die noch immer in Urs Martielis Obhut in Riga lebten. Doch fern von ihnen Bahias Schönheiten genießen zu können, ohne das zu tun, was sie für noch wichtiger hielt, hatte sie zusehends gequält. Sie wollte zurück nach Europa, um endlich in András’ Heimat Wurzeln schlagen zu können.

Noch vor wenigen Tagen hatte sie mit ihm darüber gestritten, mit welchem Schiff sie heimreisen sollten. Er war zur Hafenkommandantur gegangen und hatte erfahren, dass erst vor Kurzem eines der luxuriösen Passagierschiffe der von Albert Ballin geführten Hamburg-Amerikanischen-Paketfahrt-Actien-Gesellschaft aus Buenos Aires eingetroffen war und am übernächsten Tag gen Hamburg abfahren würde. Ohne sie zu fragen, hatte er sofort eine Suite in der ersten Klasse reservieren lassen, doch sie hatte sich geweigert: »Und wenn es auch die berühmteste Linie der Welt ist«, hatte sie ihm gesagt, »ich werde nicht mit ihr fahren! Niemals. Ich habe keinerlei Lust, wieder an das erinnert zu werden, was ich vor sechs Jahren erlebt habe!«

»Du denkst an den Untergang …«

»Nein, nein!«, hatte sie ihn hektisch unterbrochen. »Sprich mich nie darauf an!«

»Ich weiß, verzeih. Aber schneller als mit der Ballin-Linie ginge es wohl kaum …«

»Das ist mir gleich!«

»Wieso?«

»Ja, weißt du denn nicht, dass die Ballin’sche Reederei im Laufe der letzten Jahre durch das Schicksal all jener reich geworden ist, denen es so ging wie mir und meinen Eltern? In all der Zeit ist der Zustrom deutscher und russischer Auswanderer nie abgerissen. Albert Ballins Idee, eigens für diese Armen Zwischendecks zu bauen, hat sich mehr als gelohnt. Zwischendeck! Ich kann dieses Wort nicht mehr hören. Ich werde niemals das Grauen auf den Pritschen in dieser stinkenden, lichtlosen Hölle vergessen! Und du verlangst von mir, wieder ein Passagierschiff zu betreten? Niemals!«

»Aber dies ist ein Luxusliner, Madelaine, kein Auswandererschiff.«

»Dass es ein Zwischendeck hat, reicht mir, um an Land zu bleiben!«

»Dann werden wir hier noch länger warten müssen, bis sich ein geeignetes Schiff für dich gefunden hat.« Sie erinnerte sich noch deutlich daran, dass der Ärger in seiner Stimme sie irritiert hatte. András hatte ihr noch nie eine Meinung oder eine Stimmung übel genommen.

»Hast du einen Grund, sofort abreisen zu wollen?«

»Ich habe nur an dich gedacht«, hatte er knapp geantwortet.

»Dann tue es bitte auch jetzt. Es ist mir wichtig.«

»Aber ja, mein Liebes.«

»Mein Liebes – András, du weißt, dass ich es nicht mag, wenn du das sagst. Das klingt, als sei ich schwindsüchtig und brauchte Trost.«

»Den gebe ich dir, wenn wir wieder in einen Sturm geraten.«

»Willst du mir etwa Angst machen?«

»Ich würde mich gern von deiner Furchtlosigkeit überzeugen lassen, Madelaine.«

»Nur auf dieser Fahrt oder für alle Zeit?«

»Hm.« Er hatte nichts weiter gesagt, nur dieses »Hm«. Sie fand es sehr merkwürdig, doch bevor sie noch weiter in ihn dringen konnte, hatte sich ihr Vater eingemischt.

»Madelaine braucht frischen Wind, András. Das ist alles. Fahrt noch ein wenig spazieren, ruht euch aus. Ich werde zum Hafen gehen und mich nach einem Schiff erkundigen, das ihr weniger Angst macht.«

Damit war die Missstimmung behoben. Sie waren in die Stadt gefahren und hatten Souvenirs eingekauft. Am Abend überraschte sie ihr Vater mit der Nachricht, er habe auf dem Weg zur Hafenkommandantur zufällig einen alten Bekannten getroffen, der Heizer auf einem Hamburger Postschiff sei. Glücklicherweise hatte dieser gerade Landgang, und so seien sie in ein Hafen-Café gegangen, um Erinnerungen auszutauschen. Währenddessen sei eines der schnellen, zuverlässigen Flying-P-Liner der Hamburger Reederei Laeisz eingelaufen. Das hätte ihn auf eine Idee gebracht. Noch ein wenig zu plaudern, den Kapitän abzufangen und zu fragen, ob er auf seiner Rückfahrt außer Kaffee und Baumwolle auch zwei heimwehkranke Passagiere mitnehmen könne, habe kaum eine Zigarettenlänge gedauert.

Madelaine lächelte. Nun segeln wir also heim, dachte sie freudig, wie die Möwen, im Auf und Ab des Windes.

***

Sie hielt ihr Gesicht dem Wind, der Sonne entgegen, holte tief Luft. Nichts als lichtbesprenkeltes Blau um sie herum. Keine malmenden Schiffsschrauben, kein Rauch, kein Lärm, kein Gestank. Nur Licht und Wärme: Herrlich!

Aus dem Augenwinkel nahm sie wahr, wie sich zwei Männer dem Hochdeck in der Mitte des Schiffes näherten, wo die Kommandobrücke untergebracht war. Sie beschattete ihre Augen mit der Hand und erkannte András an der Seite eines Schiffsoffiziers. Er erwiderte ihren Blick, grüßte. Lächelnd winkte sie zurück. Wie immer, wenn sie ihn sah, klopfte ihr Herz ein wenig heftiger.

Sie beobachtete, wie der Offizier ihm die schmale weiße Tür der Kommandobrücke aufhielt und András seine hohe Gestalt beugte, um hindurchzutreten. Er wird sich nie an die Enge gewöhnen können, dachte sie, genauso wie ich. Und auch wenn er es nicht zeigt: Ich weiß, wie sehr er die Weite seiner Heimat vermisst, von der er mir so viel erzählt hat – und ich bin sicher: Ich werde mich dort mit ihm wohlfühlen.

Eine plötzliche Böe riss dem Offizier die Tür aus der Hand. Mit einem lauten Knall schlug sie hinter den beiden Männern zu.

***

Madelaines Geduld wurde in den nächsten Stunden auf eine harte Probe gestellt. Die Überquerung des Atlantiks zog sich trotz stetig geblähter Segel hin, und nach dem 40. Tag setzte das ein, was sie die ganze Zeit über verdrängt hatte: ein Sturm, der alle in Atem hielt.

***

Von Deck hörten sie die gebrüllten Befehle des Kapitäns und die Rufe der Mannschaft, das Flattern des Kleinsegels und Knarzen der Maste. Ihre leeren Champagnergläser rollten klirrend über den schwankenden Boden, der Eiskübel war umgestürzt, und die immer kleiner werdenden Eisstückchen rollten im Raum umher, schlugen leise gegen Stuhl- und Tischbeine. Madelaine hielt die Augen geschlossen. Sie war benommen von Lust und Angst zugleich. Sie sog sich an András’ Lippen fest, hielt ihn an den Schultern, umklammerte seinen Rücken mit ihren Beinen, schob sich vor und glitt zurück, um sich seinen Bewegungen anzupassen. Kein Wellental konnte tief genug sein, um ihn ganz in sich aufzunehmen. Kein Wellenkamm so hoch, um ihn noch weiter zu reizen. Und sie hoffte, ihre Lust würde nie mehr aufhören.

***

Der Rausch verflog, als der Sturm nach mehreren Stunden und einer kurzen Pause noch einmal auflebte. Schlagartig änderte sich Madelaines Befinden. Sie bat András, sie allein zu lassen. Mehrmals ging sie trotz des heftigen Wellenschlages hinaus an die Reling, schaute in Richtung französischer Küste. All die entsetzlichen Bilder vom Untergang der Eleonora tauchten wieder in ihr auf. Der Puls des Meeres … die Strömung des Ärmelkanals, der Wellenschlag, die Dunkelheit, der Tod. Es war schwierig, den Schmerz auszuhalten. Um ihn zu bekämpfen, rief Madelaine sich immer wieder den Moment ihrer Rettung und das erste Gespräch mit Urs in Erinnerung. Hatte er nicht gesagt: »Der Zauber von Schönheit, Wahrheit und Süße ist immer stärker als das Böse, das Feuer und der Sturm«? Nie hätte sie András sagen können, wie viel Kraft es sie kostete, ihre Erinnerungen zu ertragen, nie hätte sie sie in Worte fassen können.

Das Schwanken des Bodens unter ihren Füßen hatte zwar im Laufe der letzten Stunden nachgelassen, doch noch immer schien es ihr, als schlüge in ihr der fremde Puls des Meeres. Am frühen Abend kam András zu ihr und bat sie, sich anzukleiden.

»Warum? Ich fühle mich nicht wohl.«

Prüfend musterte er sie.

»Du siehst gut aus, Madelaine, wenn auch erschöpft. Ich glaube, du brauchst ein wenig Ablenkung.« Er hob den Arm und schwenkte ein seidenes Tuch. »Hast du Lust?«

»Jetzt?«

»Ja, aber nicht hier.«

Fragend sah sie ihn an. Er sagte nichts, lächelte und spielte mit dem Tuch. Sie wurde schwach. Wieder einmal gelang es ihm, sie zu verführen. Sie atmete auf. Ja, es wurde Zeit, die bittere Erinnerung der letzten Stunden zu vergessen. Sie schlug ihr Seidenbett beiseite und ließ sich von ihm die Augen verbinden.

***

Sie ging, ihren Unterarm auf den seinen gelegt, mit ihm durch die Gänge des Oberdecks. Von irgendwoher erklangen Stimmen und Pianomusik. Sie erinnerte sich daran, im Salon einen kleinen Stutzflügel gesehen zu haben, und zwang sich, nicht weiter darüber nachzudenken. Es hätte nur schmerzliche Erinnerungen heraufbeschworen. Wie gut, dass András sie jetzt fest um ihre Taille fasste.

»Bleib bitte stehen, Madelaine«, flüsterte er in ihr Ohr. »Komm, eine Stufe, noch eine …«

Bereitwillig folgte sie ihm. Mit sanftem Druck schob er sie weiter, bis vor ihnen knarrend eine Tür aufging. Madelaine roch Blumen, Pfeifenrauch und den Duft frischherben Eau de Toilettes. Sie hörte Wispern, Tuscheln, unterdrücktes Lachen und stellte sich die Gesichter vor, die sie neugierig und amüsiert zugleich musterten: Kapitän, Offiziere, der britische Botaniker Hermes, der deutsche Holzhändler Grämmel, die beiden katholischen Priester Bruder Ambrosius und Bruder Martinus sowie Leonardo, der reiche Sohn eines Fazendeiros, eines Kaffeebarons, aus São Paulo, mit seinem mulattischen Freund und Diener Gilberto.

Im ersten Moment war es ihr peinlich, doch dann, als ein Wiener Walzer einsetzte und András dicht hinter sie trat, wurde sie kribbelig vor Aufregung.

Vor ihrem inneren Auge sah sie, wie er seine Hände über ihre Schultern zu ihrem Kopf emporhob. Und obwohl er sie nicht berührte, hatte sie das Gefühl, die Hitze seiner Hände auf ihrer Haut zu spüren. Am liebsten hätte sie sich rücklings an ihn gelehnt, wären da nicht die zahlreichen Zuschauer gewesen. So richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf die Bewegung seiner Fingerspitzen, mit denen er den Knoten des Seidentuches löste, mit dem er vor wenigen Minuten ihre Augen verbunden hatte.

Sie schaute auf. Sie stand auf einem kleinen Podest, vor ihr ein runder Tisch, daneben zwei Stühle. Im Halbkreis um sie herum, stehend oder mit übereinandergeschlagenen Beinen in Sesseln sitzend, all die anderen. Ihr wurde heiß, und sie fragte sich, was das alles zu bedeuten hatte.

»Bitte, setz dich, Madelaine.« András rückte einen der Stühle für sie zurecht, dann nahm er ihr gegenüber Platz. »Ich habe die tapferste Frau geheiratet, die ich mir je hätte wünschen können«, begann er und legte ein dunkelblaues Samtkästchen in die Mitte des Tischchens. »Als Dank für deine Liebe und den Mut, den du bewiesen hast, diese Reise zu machen. Ich war mir immer bewusst, dass sie alte Schmerzen in dir aufreißen würde. Umso mehr freue ich mich, dass sie dich nicht überwältigt haben. Ich liebe dich, Madelaine … und bitte dich, dieses Geschenk anzunehmen.«

Sie zögerte, hörte leises Tuscheln. Irgendwo knallte ein Champagnerkorken. Einen Moment lang wusste sie nicht, ob sie sich ärgern oder freuen sollte. Warum musste András ihr seine Gefühle vor Publikum offenbaren? Das hatte er noch nie getan. Sie suchte seinen Blick.

»Frankreich liegt also hinter uns?« Sie wagte nicht, den Namen der bretonischen Hafenstadt auszusprechen, in der sie nach dem Untergang der Eleonora vor sechs Jahren wieder zum Leben erweckt worden war.

»Ja, seit genau einer Stunde und 46 Minuten. Du hast es doch geahnt, oder nicht?«

Sie nickte, bildete sich sogar ein, den markanten bretonischen Küstenstreifen von damals wiedererkannt zu haben. Sie beugte sich vor.

»Warum hier, vor aller Augen? Warum jetzt?«, flüsterte sie vorwurfsvoll.

Er riss die Augen auf, als verstünde er ihr Unbehagen nicht.

»Warum nicht?«, entgegnete er ebenso leise. »Du bist es mir wert, vor aller Augen gefeiert zu werden. Du bist schließlich eine besondere Frau. Meine Frau.«

Madelaine bemühte sich zu lächeln. Sie griff zum Kästchen, öffnete es und stieß einen leisen Schrei aus.

»Gefällt er dir, Madelaine?«

Sie begegnete seinem Blick, nahm den Doppelring, den Diamanten und Perlen verzierten, drehte ihn hin und her. Sie suchte nach den passenden Worten.

»Ja, András, er ist herrlich … weiß wie Schaumkronen und glitzernd wie die Sonnenflecken auf dem Meer.«

András lächelte. »Genau darauf habe ich angespielt: auf deinen Mut, dem Meer zu trotzen.«

Er hob seine Hand, woraufhin ein Steward herbeigeeilt kam und Champagner ausschenkte. Madelaine fühlte sich nicht wohl dabei, dass András sie auf diese Art und Weise zu dieser Stunde an das erinnerte, wogegen sie die letzten Tage angekämpft hatte. Da sie ihn aber nicht enttäuschen wollte, und zudem aller Augen auf ihr ruhten, blieb ihr nichts anderes übrig, als das Spiel mitzumachen. Sie ließ sich von den Anwesenden beglückwünschen und beschloss, ihre trüben Erinnerungen für den Rest der Nacht fortzutanzen.

Als András sie zu dem Takt eines Wiener Walzers herumschwenkte, sagte er unvermittelt: »Mein Vater erwartet uns sehnlichst. Er ist sehr neugierig auf dich.«

Sie wandte ihm ihr Gesicht zu.

»Hat er dir geschrieben?«

»Er sagte es mir schon in seinem letzten Brief nach Riga.« In ihren Ohren klang seine Antwort seltsam hohl, doch in diesem Moment verspürte sie kein Verlangen, darauf einzugehen. »Wie kann ich ihn ansprechen? Mit seinem Vornamen – Imre?«

»Ich empfehle dir, ihn zunächst einmal mit seinem Titel anzusprechen. Du hast es dadurch etwas leichter.« Er lächelte aufmunternd.

»Wie meinst du das?«

»Es ist so üblich«, entgegnete András und hielt in der Bewegung inne, um Madelaine kurz darauf links herumzuschwenken.

»Du meinst, ich soll mich an die Konvention halten?«

»Ja, mein Liebes.«

Sie drohte ihm mit dem Finger.

Lachend tat er, als wolle er nach ihm schnappen. »Du siehst süß aus, wenn du so zornig guckst.«

»Ich hoffe, das sieht dein Vater ebenso, wenn es mir bei ihm nicht gefallen sollte.«

»Bestimmt«, gab András zurück, doch ihr entging nicht, wie sein Blick flackerte.

»Du klingst nicht sehr überzeugt, András. Er wird mich nicht mögen, hab ich recht?«

»Du wirst ihn überzeugen, auch ohne einen einzigen Tropfen blauen Blutes.« Er drückte sie kurz an sich. »Ich wünsche mir, wir würden unsere Reise irgendwann mit einem Spiel würzen.«

Fragend sah sie ihn an. »Was meinst du damit?«

»Nun, damit es dir nicht langweilig wird … Außerdem möchte ich dich ein wenig mit meinem Land vertraut machen. Natürlich nur, wenn es dich wirklich interessiert.« Forschend sah er ihr in die Augen, hielt sie einen Moment lang im Wiegeschritt. »Und? Was meinst du dazu?«

»Aber ja, natürlich, András. Aber bitte, tu es auf deine Weise, amüsant, ja?«

»So wie heute Abend? Lustvoll und mit Qualen?«

Madelaine lachte. »Warum nicht?«

»Gut, das hatte ich eigentlich auch vor. Ich weiß nur noch nicht genau, wo und wie.«

»Überlegen Sie es sich, Graf«, gab sie schelmisch zurück, während einer der Offiziere an sie herantrat und um den nächsten Tanz bat. Als Madelaine nach einer Polka und einem langsamen Walzer wieder bei András war, sagte sie: »Ich würde gern noch ein paar Tage in Hamburg bleiben. Mich interessiert, wie sich die Stadt seit meinem letzten Besuch verändert hat. Außerdem hätte ich Lust, Ausschau nach einem Haus für meinen Vater zu halten.«

»Glaubst du, er wird wirklich sein Versprechen halten, innerhalb eines halben Jahres seine Tabakplantage aufzulösen? Es wird nicht ganz einfach sein … vielleicht dauert es länger. Wir haben offen darüber gesprochen, wie du weißt.«

»Was er verspricht, wird er halten.«

András bedachte Madelaine mit einem zweifelnden Blick. »Das hat er dir und deiner Mutter schon einmal gesagt, und es kam anders, wie du dich erinnern kannst. Aber wie dem auch sei: Mein Vater erwartet uns. Und wir sollten uns beeilen.«

Madelaine spürte den festen Druck seiner Hand in ihrem Rücken und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Er machte sie besinnungslos vor Begehren, und es schien ihr unvorstellbar, dass ihr Glück jemals an den Klippen des Schicksals zerschellen könnte.

***

Spät in der Nacht wachte sie auf und ließ die letzten Stunden Revue passieren. Ihr Champagnerrausch war verflogen, stattdessen hatte sie Durst. Doch obwohl ihr Kopf ein wenig schmerzte, schossen ihr mit gleißender Klarheit Fragen ins Bewusstsein. Warum, fragte sie sich, hatte ihr András diesen kostbaren Ring nicht schon am Tag ihrer Trauung an Bord, auf der Hinfahrt nach Brasilien, geschenkt? Warum erst heute? Warum war es ihm so wichtig, sich von ihrem Mut zu überzeugen? Was, fragte sie sich mit zunehmender Beklemmung, erwartete sie in Ungarn, und warum war es ihm so wichtig, sie auf den alten Grafen vorzubereiten? War ihre Entscheidung richtig? Wäre es nicht doch besser, András’ Widerstand zu ignorieren und in Hamburg auf die Ankunft ihres Vaters zu warten?

Es waren zu viele Fragen, zu viele in einer Nacht wie dieser. Vorsichtig erhob sie sich, trat ans Bullauge und schob die schweren Brokatgardinen beiseite. Der Himmel über dem Meer füllte mal ein Viertel, dann wieder ein Drittel der Aussicht. Unter ihm wogten die Nordseewellen ruhelos auf und ab wie das Raunen eines unberechenbaren Schicksals. Plötzlich verspürte sie Angst. Dieses Mal hatte sie nicht Angst vor der Gegenwart wie vor sechs Jahren, sondern vor der Zukunft.

Im Halbdunkel der Kabine entdeckte sie auf dem Fußboden neben András’ ungestüm abgestreiften Frack etwas Helles. Sie bückte sich und hob es auf. Es war ein zusammengefaltetes Stück Papier. Sie erkannte, dass es sich um eine Depesche handelte, die in Salvador sechs Tage vor ihrer Abreise eingetroffen war:

Erwarte dich. Dringende Unterredung erforderlich.

Mazary

Madelaine fühlte Kälte in sich aufsteigen. András hatte sie an diesem Abend belogen: Der alte Graf hatte ihm doch geschrieben. Deshalb hatte er also in Salvadors Hafen sofort auf dem nächstbesten Passagierschiff Plätze reserviert. Ihr Gefühl hatte sie also doch nicht getrogen: Er wollte noch schneller heimkehren als sie! Viel schlimmer aber war es, dass sie erkennen musste, dass nicht sie von Imre Graf Mazary erwartet wurde, sondern András allein. Dabei hatte er ihr noch in Riga versichert, dass sein Vater ihm vergeben hatte und sich auf die Frau freue, die er – András – aus tiefstem Herzen liebe.

Sie war geschockt: András hatte sie noch nie belogen. Doch da sie ihm vertraute, sagte sie sich, dass er dafür einen wichtigen Grund haben musste, den er ihr aus Rücksicht auf ihre Gefühle verschwieg. Irgendetwas musste seit seinem letzten Brief vor mehr als einem Jahr geschehen sein, das den Stimmungswechsel seines Vaters bewirkt hatte. Nur was? Und würde sie dem, was sie erwartete, gewachsen sein?

Hinter ihrem Rücken raschelte es. Sie drehte sich um. András hatte sich auf den Rücken gewälzt, ein Zipfel des Betttuches lag quer über seinem Bauch, sein rechter Arm ruhte neben seinem Kopf, das linke Bein war leicht angewinkelt. Er war nackt. Selbst jetzt noch, kurze Zeit nach ihrer letzten Liebesstunde, sah er verführerisch und provozierend männlich aus.

Madelaine verschränkte die Arme und betrachtete ihn, hin- und hergerissen zwischen Besorgnis und Sehnsucht. Schließlich hielt sie es nicht mehr länger aus. Sie ging zum Schrank, zog ihre Reisetasche heraus und holte das Abschiedsgeschenk ihres Vaters hervor: Es war ein Paket, das ein mit einem Brief begleitetes Buch und ein Blechkästchen enthielt. Er hatte es ihr am Vorabend ihrer Abreise gegeben, als András ausgeritten war. »Versprich mir, dass du das, was ich dir sage, für dich behältst, Madelaine. Und öffne das Buch erst, wenn du in Ungarn bist.« Vaters Worte. Ihr Geheimnis. András wusste nichts von diesem Abschiedsgeschenk, oder doch? Selbst wenn er in ihre Reisetasche gesehen haben sollte, hatte er sie nie auf das Paket angesprochen.

Ob er ahnte, dass sie etwas vor ihm verbarg? Nahm er es hin, weil er selbst ein Geheimnis mit seinem Vater teilte? Madelaine seufzte. Und wir dachten, wir wären frei, zu lieben, wen wir wollten. Dabei können wir beide unsere Herkunft nicht abschütteln wie einen alten Mantel. Und wir tun alles, um unsere Väter zu schützen, sie nicht zu verletzen … Aber was nützt mir das Grübeln? Nichts, gar nichts.

Sie drehte den Brief in ihren Händen, sie hatte ihn schon so oft gelesen, dass sie jede Zeile hätte aufsagen können. Er hatte sie sehr berührt, doch sie musste darüber schweigen. Sie wusste nur, dass es andere Gründe gab als die, die András kannte, die darüber entscheiden würden, wann ihr Vater nach Hamburg zurückkehren würde.

Sie wandte ihren Blick von der Handschrift mit den weiten Bögen und Schleifen, legte den Brief zurück in das Buch und stellte sich vor, wie sie es eines Tages in Ruhe studieren würde. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt. Jetzt wollte sie etwas anderes. Sie schob das Buch zurück in die Reisetasche und setzte sich mit dem Blechkästchen in einen Sessel.

Sie ahnte, was es enthielt. Vater würde sie sicher nicht enttäuschen.

Und das, was es enthielt, war das, was sie jetzt in dieser Stunde am meisten brauchte.

Es würde ihre Seele wieder beruhigen, ihr Trost spenden und neue Kraft geben.

Vor allem würde sie wieder lachen können.

Sie war sich vollkommen sicher, schließlich kannte sie sich ja mit dem Wundermittel aus …

Ungeduldig versuchte sie, den Deckel an zwei Ecken gleichzeitig anzuheben. Vergebens. Sie versuchte es Ecke für Ecke, doch sobald sich der Deckel an einer Stelle ein winziges Stückchen lupfen ließ, klemmten die anderen drei Ecken umso fester. Doch Madelaine gab nicht auf. Erst nachdem ihr ein Fingernagel abgebrochen und ein weiterer schmerzhaft eingerissen war, gelang es ihr endlich, das Kästchen zu öffnen. Darin ruhte eine marmorierte Pappschachtel und darin …

Sie hatte es gewusst!

Dutzende von dunkel glänzenden Pralinen mit blassrosa, hellgrünen und orangenen Zuckerblüten! Sie beugte sich über die Schachtel. Ein verheißungsvolles Bouquet kostbarer Kakaoaromen strömte ihr entgegen, dazu zartfruchtige Duftfäden. Sie schloss die Augen. Es war, als ob sich ein Fluss über verdurstende Erde ergoss, sich in Rinnsalen verästelte, die überschwappten, sich ausdehnten, die Erde in Besitz nahmen.

Madelaines Sorgen verschwanden. Ihr Kopf wurde frei, frei und zugleich besetzt von der Sehnsucht, zu schmecken, zu genießen, beruhigt zu werden von sinnlichem Begehren. Ihr lief das Wasser im Munde zusammen, und sie öffnete wieder ihre Augen.

Sie trat zu András ans Bett, beugte sich über ihn und sog seinen herbsüßen Körpergeruch ein. Wie gut, dass du ein sich ständig erneuernder Genuss bist, dachte sie belustigt, und kein Praliné … Am liebsten hätte sie den Bettzipfel hochgehoben, um seinen Bauch zu liebkosen, doch das, dachte sie schelmisch, hatte noch Zeit.

Zuerst wollte sie genießen.

Sie nahm eine Praline mit blassrosa Zuckerblüte zwischen die Lippen, betrachtete versonnen András’ Gesicht, kostete das warme Dahinschmelzen der Schokolade und wartete auf den Moment, an dem die lachsrosa Zuckergussmasse ihr Geschmacksgeheimnis offenbaren würde. Madelaine hob ein wenig ihren Kopf, schlürfte die nun beinahe flüssige Schokolade in den Mund, sog dazu ein wenig Luft ein und biss zu: süß-säuerlich, exotisch-fruchtig. Erdbeere … Erdbeere? Guave! Die Erdbeere der Tropen! Sie schloss die Augen. Es schien ihr nun, als genösse sie doppelte Lust: Sie bildete sich ein, die Nöppchen und Härchen einer festen Walderdbeere reizten raspelnd Zunge und Gaumen, gleichzeitig fühlte sie, wie der schmeichelnde Schmelz der dunklen Criollo-Schokolade sie besänftigte. Es war fantastisch!

Madelaine lächelte, schluckte und probierte nun auch noch eine grün geschmückte Praline, die nach Minze, und eine orangene, die nach reifen Orangen schmeckte. Lustvoll und provozierend zugleich stieß sie einen kleinen Schrei aus. Wie beabsichtigt reichte er aus, um András aus seinem tiefen Schlaf zu reißen. Er schmatzte leise, röchelte ein wenig und rollte sich auf die Seite, sodass die Decke seinen festen Po und die breiten Schultern freigab.

Ein rascher Blick in die Schachtel bewies Madelaine, dass hemmungslose Genussgier unangebracht war. Man hatte sie zwar großzügig beschenkt, doch wäre es nach ihr gegangen, wäre die Schachtel innerhalb der nächsten Stunde leer gewesen. Sie musste sich also beherrschen – und klug handeln …

Ein letztes Mal griff sie zu der Praline mit rosa Blüte, wärmte sie zwischen ihren Lippen, kitzelte András im Nacken, woraufhin er sich wieder auf den Rücken drehte. Zart küsste sie seinen Hals, die Innenseite seines Oberarms, dann tupften ihre Lippen über seinen flachen Bauch, hinunter zur muskulösen Rundung seines Oberschenkels und mit aufreizenden Zungenstupsern zurück zu seinen Lenden …

Noch im Halbschlaf nahm er verwundert wahr, wie ein süßer heißer Mund seine Sinne weckte. Vergnüglich schmeckte Madelaine seine erwachende männliche Lust, die Guave, Minze und Orange so lange reizten, bis András es nicht mehr aushielt und Madelaine mit festem Griff auf sich setzte, damit sie einander erlösten.

Kapitel 2

Das Schild war nicht zu übersehen. Es tanzte über Zylindern, ausladenden Damenhüten mit Feder- und Blumenschmuck und schmuddeligen Schirmmützen auf und ab. Madelaine starrte wie gebannt auf ihren eigenen Namen, der sie hier im belebten Hafen ihrer Heimatstadt Hamburg begrüßte. Wer mochte sie suchen?, fragte sie sich aufgeregt. Wer wusste, dass sie heute, zur Mittagsstunde des 6. Juni 1902, an Bord eines Flying-P-Liners einlaufen würde, der doch Frachtgut wie Hölzer, Salpeter oder Tabak transportierte? Ihr Lehrmeister Urs? Nein, denn er hatte ihr versichert, so lange die Konditorei in Riga zu führen und für die Kinder ihrer verstorbenen Cousine Bille zu sorgen, bis sie ihm die Nachricht zukommen lassen würde, dass sie in András’ Heimat Wurzeln geschlagen habe.

Ihre Gedanken glitten zu den einzigen Verwandten zurück, die sie in Hamburg gehabt hatte: Tante Marie, die Schwester ihrer Mutter, und Bille, ihre Cousine. Beide lebten nicht mehr, und einen Moment lang verspürte Madelaine Bitterkeit darüber, dass Armut und Leid ihnen einen so frühen Tod gebracht hatten.

Sie ließ ihren Blick über die aufgeregt winkenden Menschen am Landungssteg schweifen, die erwartungsfroh zu einem britischen Passagierschiff hinaufsahen, das vor ihnen eingelaufen war. Angestrengt versuchte sie, den Träger des Schildes ausfindig zu machen, doch er war im Gewimmel nicht zu erkennen.

»Madelaine, bist du bereit?«

Sie zuckte zusammen. András kam atemlos über das Deck gelaufen und schwenkte etwas in der Hand, das wie ein Kuvert aussah.

»Ja, natürlich, warum fragst du?«

»Ich habe gerade mit dem Kapitän gesprochen. Er hat für seine Passagiere stets die wichtigsten Fahrpläne an Bord. Und hier habe ich unsere Reiseroute: Wir nehmen noch heute den Zug um 13 Uhr 10 nach Wien, dann geht es morgen um 9 Uhr 35 nach Budapest, wo wir ein wenig bleiben werden. Von Budapest aus fahren wir per Bahn weiter bis nach Szolnok und weiter auf der Theiß bis Szeged …« Er unterbrach sich. »Was hast du? Warum hörst du mir nicht zu?«

Er folgte ihrem ausgestreckten Arm und zuckte verstimmt zusammen. »Es wird dich doch wohl niemand erwarten, oder?«

Ihre Blicke trafen sich.

»Bestimmt nicht«, gab sie ein wenig verärgert zurück. »Du brauchst nicht zu befürchten, dass mich hier jemand aufhalten könnte. Sicher wartet hier jemand auf eine britische Madelaine …« Sie machte eine dezente Kopfbewegung in Richtung des britischen Schiffes.

András trat sichtlich nervös an die Reling. »Das hoffe ich, das hoffe ich sehr. Lass uns warten, bis alle von Bord gegangen sind, vielleicht hat sich dann das Problem von allein gelöst.«

Madelaine war sich bewusst, wie unangenehm dieses Schild auf ihn wirken musste. Sie selbst aber gestand sich ein, dass sie sich gefreut hätte, von jemandem begrüßt zu werden, der sie aus alter Zeit kannte. Und wenn es Alma Pütz, die Backgehilfin aus der Eppendorfer Konditorei, wäre! Nach all den Jahren in ein vertrautes Gesicht zu schauen und ein wenig länger hierbleiben zu können, das wäre wirklich schön gewesen.

Schweigend harrten sie aus. Vor ihren Augen strömten unablässig die Neuankömmlinge in die große Menschenmenge der Wartenden, die Taschentücher und gerüschte Sonnenschirme schwenkten. Lange Zeit nahmen Rufe und Jubelschreie kein Ende. Schließlich waren auch die letzten Passagiere beider Schiffe an Land gegangen. Als Madelaine und András sich zum Gehen wandten, hatten sich die Menschen bereits nach allen Richtungen hin verteilt. Erleichtert stellten sie fest, dass das Schild verschwunden war. Am Ende der Gangway bot ihr András seinen Arm und strebte mit ihr auf einen der Ausgänge zu. Den Arbeiter auf der Bank beachteten sie nicht.

»Madelaine Gürtler?« Der Mann hob seinen Kopf, schielte unter dem Schirm seiner fleckigen Schiebermütze eher beiläufig zu ihnen hoch, wobei sich seine Stirn in ziehharmonikaähnliche Falten legte.

Widerwillig blieben sie stehen. Da beugte er sich vor und zog einen Stab mit Pappschild unter der Bank hervor. Madelaine erschauerte. Bevor sie etwas sagen konnte, zischte András: »Wer sind Sie? Was wollen Sie?«

Der Mann lehnte das Schild mit ihrem Namen an die Bank und erhob sich. Nie zuvor hatte ihn Madelaine gesehen, und sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wer er sein könnte und was er von ihr wollte. Er war von schwerer Arbeit und ungesundem Leben gezeichnet. War er von Rudolph Terschak, ihrem sozialistischen Lebensretter, zu ihr geschickt worden? Ihr graute bei dem Gedanken. Doch wer immer er auch war, ihm zu begegnen, entsprach nicht ihrer Vorstellung eines freudigen Empfangs in ihrer Heimatstadt Hamburg. Und ganz gewiss war er kein gutes Omen.

Sie zögerte, als er einen Schritt auf sie zuging und ihr seine schwere Hand entgegenstreckte.

»Schlür, mein Name ist Gustav Schlür.«

Ihr schwindelte, und sie klammerte sich an András’ Arm. Nein, schrie es in ihr, bitte nicht … Gustav Schlür war Billes Mann. Der Säufer, Schwängerer, Schläger. Vater von Karl, Nikolas und Svenja. Das musste Probleme bringen. Doch warum holte sie ausgerechnet jetzt die bitterste Seite ihrer Herkunft ein? Vor den Augen ihres Mannes, der sie in den Adelsstand erhoben hatte? Madelaine wurde beinahe schwarz vor Augen.

»Was willst du, Gustav?«

»Das weißt du nicht?« Sein Blick glitt über ihre Schulter, dann über András’ elegante Erscheinung. Er spuckte zur Seite. »Du hast mir meine Kinder genommen, Lene Gürtler. Hast du sie in Amerika ausgesetzt? Oder verkauft?« Von einer plötzlichen Wut ergriffen, stürzte András vor, Madelaine konnte ihn gerade noch rechtzeitig zurückhalten. Dieses hier war ihre Angelegenheit, und sie würde damit allein fertigwerden.

»Deinen Kindern geht es gut«, sagte sie energisch. »Bevor Bille starb, gab sie sie in meine Obhut. Auf dich konnte sie sich ja nicht verlassen. Du hattest ja Besseres im Kopf, als dich um deine Familie zu kümmern, Gustav Schlür. Die Kinder haben sich bei mir gut erholt, von deinen … Verhältnissen. Ich will nur eines wissen: Woher wusstest du, dass ich heute in Hamburg eintreffe? Bist du unter die Spione gegangen?«

Schlür lachte lautlos, wobei er sein lückenhaftes Gebiss in vollem Tabakgelb zeigte, ohne sich dafür zu genieren. Es schien Madelaine, als ob er es bewusst darauf abgesehen hatte, sie zu provozieren.

»Man hat so seine Kontakte, Lene. Wir Hafenarbeiter halten zusammen.«

»Jaja, das ist mir nicht neu. Aber was willst du mir damit sagen?«

»Das willst du wissen? Feine Dame, die du jetzt bist?«

»Du wirst es mir jetzt sagen, Gustav Schlür. Jetzt, ohne Lug und Trug!« Sie stieß ihm den Zeigefinger gegen die Brust. Drohend bohrte sich ihr Blick in seine Augen. Er verstand.

»Ein Freund von mir ist Heizer auf einem der Postschiffe, die zwischen Hamburg und Südamerika hin- und herpendeln. Er versteht sich gut mit einem der Matrosen, dessen Bruder in Salvador verheiratet ist. Er hat damals deinem Vater geholfen, Arbeit zu finden. Als er von ihm hörte, du würdest ihn besuchen kommen, wusste ich Bescheid. Ich musste mich einfach nur gedulden. Ich sprach meine Freunde darauf an, die redeten mit anderen, jeder hielt Ausschau. Wie das so ist. Eine Hand wäscht die andere. Nach Ankunft des letzten Postschiffes erfuhr ich, dass Thaddäus Karten für dich und deinen Mann besorgen wollte. Das war deutlich genug. Reicht dir das?«

»Ja, völlig. Widerlich, wie du mir hinterherspioniert hast! Komm mir nur ja nie wieder vor die Augen!«

Er errötete vor Zorn. »Sutje, sutje, Lene! Ich will wissen: Wo sind Karlchen, Nikolas und Svenja? Bevor du mir nicht sagst, was du mit ihnen getan hast, weiche ich keinen Schritt. Ich glaub dir gar nichts. Du siehst nicht so aus wie eine Ziehmutter. Du doch nicht! Und dass Bille einer solchen wie dir meine Kinder gegeben haben soll, das kann ich schon gar nicht glauben!«

»Meinst du?« Madelaine musterte ihn mit hochgezogener Augenbraue. »Hast du vergessen, wie Bille und die Kinder unter dir gelitten haben? Du hast doch Bille auf dem Gewissen!«

Gustav wischte sich über die Augen, dann schob er trotzig sein Kinn vor. »Red nix mehr. Ich will nur meine Kinder zurück. Siehst du nicht, wie ich aussehe? Ich bin krank, und Svenja ist alt genug, um zu arbeiten.«

Vor Madelaines innerem Auge erschien das Bild fröhlich spielender Kinder am Strand in Jurmala. »Du musst verrückt sein. Alle drei sind noch Kinder. Ich werde sie schützen, sogar vor ihrem eigenen Vater schützen müssen, bis sie volljährig sind. Geh lieber betteln, Gustav Schlür. Das Trinken wirst du wohl nicht verlernt haben. Mehr brauchst du doch nicht, oder?« Sie wandte sich angeekelt von ihm ab.

»Haben Sie nicht verstanden?« András’ Stimme klang wie ein Befehl, nicht wie eine Frage. Drohend hob er den kupfernen Knauf seines Spazierstockes.

»Das wird sich zeigen, ob ich verstanden habe«, murmelte Gustav Schlür grimmig. Mit einer raschen Bewegung drehte er sich zu dem Pappschild um und zerschmetterte es an der Bank. Fetzen und Holzsplitter flogen auf. Dann eilte er davon, die Fäuste an die Hosennaht gepresst, die Schiebermütze tief im Nacken. Entsetzt blickte ihm Madelaine nach.

Kapitel 3

Am Wiener Hauptbahnhof stiegen sie um in einen Zug Richtung Budapest.

»Du erinnerst dich an mein Versprechen, dir mein Heimatland schmackhaft zu machen?«, fragte András sie, nachdem sie ihre Plätze eingenommen hatten.

»Ach, die Lehrstunde, ja, ich erinnere mich«, log sie, denn in Wahrheit hatte sie gehofft, er würde sie verschonen.

»Ich habe mir ein Spiel überlegt«, fuhr András heiter fort. »Wir werden drei Tage in Budapest bleiben, sodass du ausreichend Zeit hast, dich an die ungarische Luft zu gewöhnen.«

»Und worin besteht das Spiel? In Atemübungen?«

Er lachte. »Ja, so könnte man es sagen. Das Wichtigste aber ist, dass ich dich mit Daten der ungarischen Geschichte füttern werde. Ich werde dich bis an deine Grenzen führen, du wirst dich anstrengen müssen, um durchzuhalten. Und dann …«

»Und dann? Dann setzt du mich auf eines dieser heißblütigen Pferde und lehrst mich auch noch Reiten?«

»Wenn du das könntest, meine Liebe, wäre das natürlich fantastisch.« Lachend wehrte er ihre Hände ab und fuhr rasch fort: »So aber bleiben wir beim Mittelmaß, ja? Du tust, was ich von dir erwarte, ohne zu klagen, und wirst mit Genuss belohnt.«

»Du gibst mir Rätsel auf, András, sag mir wenigstens: Was soll ich wirklich tun? Und worin besteht die Anstrengung? Und womit willst du mich belohnen?«

»Warte es ab.«

»Nein, du musst mir erst sagen, was du mit mir vorhast.« Er schüttelte lächelnd den Kopf – und schwieg.

»Lock mich doch wenigstens mit den Genüssen! Womit willst du mich belohnen?«

Stumm erwiderte er ihren Blick.

Sie schüttelte ihn an den Schultern.

»So sag doch etwas! Ich erkenne dich ja gar nicht wieder, András!«

Er lächelte und schwieg weiter beharrlich.

»Du machst mich wahnsinnig!«

Er nickte, grinste.

Sie setzte sich auf seinen Schoß, zauste sein Haar. »Ich hasse Euch, Graf. Ihr seid grausam und gemein!«

Mit einer raschen Bewegung packte er Madelaine im Nacken und presste seine Lippen auf die ihren. Dann ließ er sie los. In diesem Moment fuhr die Dampflokomotive ruckelnd an, sodass Madelaine rücklings in den Sitz ihm gegenüber fiel. Auch jetzt lachte András nicht, sondern betrachtete sie nachdenklich, wobei er aufreizend sanft seine Unterlippe zwischen Zeigefinger und Daumen massierte. Er weiß, dass es mich erregt, dachte Madelaine aufgebracht, und er quält mich schon jetzt.

»Denk dir ja eine gute Belohnung für mich aus, András«, zischte sie ihm zu. »Sonst suche ich mir einen anderen Mann!«

Er wurde ein wenig blass, doch dann entspannte er sich wieder und begann, in einer Zeitung zu lesen.

Madelaine kämpfte gegen ihre Empörung an. Noch mehrmals während der Fahrt versuchte sie, ihn zum Reden zu bringen und mit Fragen aus der Reserve zu locken, doch sie bekam keine Antwort. Zwar blieb András die ganze Fahrt über freundlich und ruhig, doch sie konnte nichts dagegen tun, dass ihre Anspannung weiter zunahm, je näher sie Budapest kamen.

Als sie ihr Hotelzimmer im Nemzeti, einem feinen Hotel in der Jozsef-Korut-Straße in Pest, betraten, fühlte sich Madelaine von der Reise so erschöpft, dass sie am liebsten auf der Stelle in das seidige Daunenbett gefallen wäre.

»Unser Spiel beginnt, Madelaine. Denk daran: Bevor du genießen darfst, musst du dich anstrengen.« Widerstrebend ging sie ins Badezimmer und wusch Gesicht und Hände. Sie hatte die Herausforderung angenommen und musste sie nun durchstehen. Sie schaute in den Spiegel und stellte sich vor, was ihre ungeliebte Mutter wohl jetzt zu ihr sagen würde. Vielleicht: Du bist wie dein Vater, verwegen und dumm.

Madelaine spritzte Wasser auf das Spiegelglas und verließ das Bad. Soll sie doch auf dem Meeresgrund die Fische zählen, dachte sie verärgert. Die Vergangenheit ist vorbei. Was zählt, ist die Gegenwart.

Vom Hotel aus fuhren sie Richtung Donau, passierten die Kettenbrücke, folgten ein Stück flussabwärts der Uferpromenade und stiegen zu Füßen eines Hügels aus. »Zunächst dort hinauf, Madelaine!«

Entsetzt glitt ihr Blick zwischen ihren Seidenschuhen und dem gut 100 Meter hohen Hügel vor ihr hin und her. Ihr anfänglicher Mut schwand im Nu.

»Niemals!«, gab sie zurück.

»Doch, meine Liebe: Du musst.«

»Das kannst du nicht von mir verlangen.«

»Doch.«

»Warum?«

»Weil jeder es tut. Die Aussicht von dort oben auf beide Stadtteile – dem hügeligen Buda und dem flachen Pest – mit der Donau dazwischen ist großartig. Außerdem ist es Pflicht, dem Denkmal des heiligen Geliert einen Besuch abzustatten. Er hieß eigentlich Giorgio di Sopredo und wurde Bischof von Csanád. Er konnte so gut predigen, dass der erste christliche König Ungarns, Stephan I., ihm die Erziehung seines Sohnes übertrug. Bei einem Aufstand der Heiden im 11. Jahrhundert wurde er aber in ein mit Nägeln gespicktes Fass gesperrt und diesen Hügel hinabgestoßen.«

»Barbarisch«, entfuhr es Madelaine, während sie nicht an die Fußschmerzen, die sie selbst bald haben würde, zu denken versuchte.

»Im Übrigen bist ausgerechnet du besonders verpflichtet, dich nicht vor dem Aufstieg zu drücken.«

»Ich? Wieso ich?« Madelaine spürte, wie die warm-feuchte Luft, die von der Donau aufstieg, sich wie eine Haube um ihren Kopf legte.

»Dein Kaiser besuchte Budapest vor einigen Jahren und kam auf die glorreiche Idee, höchstpersönlich Geld zu spenden, damit so viele Denkmäler wie möglich errichtet werden sollten. Als seine Untertanin musst du das doch gebührend würdigen, Madelaine.«

»Du bist heute sehr ironisch, András. Wieder eine neue Seite an dir.«

Er lachte leise auf. »Das gehört zum Spiel, meine Liebe.«

»Wie willst du es denn eigentlich nennen, dein Spiel?«

Er küsste sie zart. »Um mit deinen Worten zu sprechen: Es ist ein Spiel zwischen Zucker und Salz.«

Madelaine kräuselte die Lippen und wies auf die Zitadelle über ihnen. »Die Anstrengung, dieses Ziel dort oben zu erreichen, symbolisiert also das Salz?«

András wiegte den Kopf hin und her.

»Ja und nein. Erst ein Zipfelchen alter Geschichte, ein Zipfelchen neuer Geschichte. Du wirst sehen, es lohnt sich.«

Sie verschränkte die Arme. »Könntest du mir das jetzt etwas genauer erklären? Muss ich also zweimal Salz zu mir nehmen?«

»Sehr schön formuliert.« Er grinste. »Pass auf: Dort oben steht die Zitadelle. Sie erinnert an den Schmerz der Vergangenheit, an die habsburgische Unterdrückung vor dem Unabhängigkeitskampf 1848/49. Du weißt, unsere Rebellion kostete vielen guten Männern den Kopf. Und nun schau nach rechts, ein Stückchen flussaufwärts. Die alte Burganlage repräsentiert ebenfalls ein Stück Vergangenheit: Sie stammt aus dem Mittelalter, aber von ihr aus blicken wir in die Zukunft.« Er zeigte mit ausgestrecktem Arm auf das gegenüberliegende Donauufer, wo ein riesiger Gebäudekomplex mit unzähligen spitzen Türmchen kurz vor seiner Vollendung stand.

»Du sprichst wirklich in Rätseln, András«, empörte sich Madelaine. »Wegen deiner Heimatliebe soll ich mir also die Füße wund laufen?«

Er zögerte. »Du magst also nicht aus Liebe zu mir leiden?«

»András: Was soll das? Was ist in dich gefahren? Du … du bist so seltsam, seit wir hier sind. Weder in Riga noch in Brasilien hast du dich mir so gezeigt.«

»Kannst du dir den Grund nicht denken?«

»Lust und Schmerz als Spiel, nur wofür?«

»Willst du die Wahrheit hören?«

»Wenn es Euch nicht gegen die Ehre geht, Graf«, gab sie spöttisch zurück.

Seine Miene wurde ernst.

»Wenn du das hier überstanden hast, wirst du meinem Vater noch besser gefallen.«

Empört sah sie ihn an. »Ich bin erst präsentabel, wenn du mich mit Wissen vollgestopft hast? Weißt du, wie verletzend das für mich ist?«

»Ich dachte, du seiest an unserer Geschichte wirklich interessiert, Madelaine. Habe ich dich da auf dem Schiff falsch verstanden?«

Sie schüttelte schwach ihren Kopf.

»Na also. Ich könnte dir einen Vortrag halten oder dir den Baedeker geben. Beides würde dir nicht gefallen, oder?«

Sie rang um Worte. »Sei ehrlich, András, dein Vater erwartet dich. Er schickte dir eine Depesche. Ich verzeihe dir, dass du mir nichts davon erzählt hast. Schlimm ist nur, dass du jetzt anscheinend Angst hast, ich könnte ihm nicht gefallen. Warum?«

»Es gibt keinen Grund.«

»Aber du hältst es für besser, mich vorsorglich mit Wissen vollzustopfen. Das hätte ich dir nie zugetraut!«

»Das verstehst du falsch, Madelaine. Du machst dir unnötige Gedanken. Glaube mir, du bist wunderbar, so wie du bist, und mein Vater freut sich darauf, dich kennenzulernen. Natürlich hat ihn der Schlaganfall vor einem Jahr etwas mitgenommen, doch du wirst ihn bestimmt bezaubern, nicht nur mit deiner Schönheit.«

»Das ist alles, was dir dazu einfällt?«

In ihrem Hals machte sich ein Kloß bemerkbar, der vorher noch nicht da gewesen war.

»Vielleicht, vielleicht auch nicht.« András drehte sich um und ging langsam voraus.

Erst nachdem sie wieder zu sich gekommen war, folgte sie ihm. Ihr Verstand stimmte ihm zu, ihr Herz aber klopfte in wildem Aufruhr. Hatte András solche Furcht vor seinem eigenen Vater? Warum nur?

Was immer ihre Belohnung sein würde, in diesem Moment zweifelte sie daran, dass sie groß genug wäre, um die Anstrengungen dieses Spiels hier vergessen zu machen. Sie zwang sich, auf jeden ihrer Schritte zu achten. Je besser es ihr gelang, desto weniger dachte sie nach. Tatsächlich fand sie die Kolonnade hinter dem Denkmal des Märtyrers sehr schön. Dort ruhte sie ein wenig aus, genoss das Rauschen des Wasserfalls, der sich unterhalb des Denkmals in die Tiefe ergoss. Dann ging es weiter zur Zitadelle hinauf. Es war mühselig genug. Ihre Füße brannten, ihr Hals tat weh, aber als sie oben angekommen war, musste sie András insgeheim zustimmen: Das Panorama war atemberaubend.

Erst als sie neben ihm auf einer Bank niedersank, machte sich der Schmerz über seine Antwort wieder in ihrer Seele bemerkbar. Und plötzlich durchfuhr sie trotz der herrlichen Aussicht der entsetzliche Gedanke, ob es richtig gewesen war, ihm nach Ungarn zu folgen. Sie sah ihn von der Seite her an. Auch er schwieg. Madelaine fragte sich, ob er es bereute, ihr die Wahrheit so ungeschönt ins Gesicht gesagt zu haben. Sie wagte nicht zu sprechen, und da auch er keine Anstalten machte, sich ihr zu erklären, erhoben sie sich beinahe gleichzeitig und stiegen den Gellert-Hügel hinab.

Erst jetzt, während des Abstiegs, bemerkte Madelaine, dass Blut durch ihre rechte Schuhspitze drang. Und nach einigen Metern riss eine Blase an der Ferse ihres linken Fußes auf. Sie versteckte sich hinter einem Busch, damit András sie nicht beobachten konnte, zerriss ihr Taschentuch, spuckte darauf und wickelte es um ihre blutenden Zehen. Die andere Hälfte legte sie über die nässende Wunde an ihrer linken Ferse. Verärgert fragte sie sich, warum sie nicht ihre schwarzen Lederstiefeletten angezogen hatte. Weil ich in Wahrheit am liebsten im Hotel geblieben wäre, gab sie sich selbst die Antwort.

Sie biss die Zähne zusammen und nahm sich vor, ja nicht zu humpeln. András aber war stehen geblieben und sah ihr lächelnd entgegen.

»Du wirst durchhalten, nicht wahr, Madelaine?«

Sie nickte nur.

»Dort ist der Burgberg. Es ist nicht mehr weit.«

Sie holte tief Luft, um ihrer unterdrückten Wut Ausdruck zu verleihen. »Ich werde deinen Ring höchstpersönlich ins Pfandhaus bringen und nie wieder auslösen, wenn du dein Versprechen nicht hältst, András.«

»Die Belohnung durch Zucker?« Er lächelte verschmitzt. »Du wirst in Zucker baden, Madelaine Elisabeth Gürtler …«

Sie errötete wider Willen.

Rasch fuhr er fort: »Bist du einverstanden, wenn ich dir ein wenig erzähle? Es wird dich bereichern und von deinem Leiden ablenken.«

»Jaja, nur zu«, murmelte sie, bemüht, ihren Zweifel nicht allzu deutlich zu zeigen.

Er betrachtete sie mit einer Spur von Misstrauen. »Nun gut. Diese Mauern, die du dort siehst, stammen noch aus dem Mittelalter.«

»Welche?«, stammelte sie, während sie auf ihre Schuhe schaute, an denen eine Naht aufgeplatzt war.

»Komm!« Energisch nahm András sie an der Hand und zog sie hinter sich her den Burgberg hinauf. Oben angekommen, passierten sie ein steinernes Tor, hinter dem sich die große Palastanlage erstreckte. András wollte etwas sagen, doch da wehte ihnen plötzlich von irgendwoher eine gewaltige Staubwolke entgegen. Sie duckten sich und liefen, so gut es ging, durch sie hindurch. Hustend und schwitzend standen sie inmitten gewaltiger Prachtbauten. András drehte sich auf der Stelle, er schien vor Begeisterung zu glühen.

»Hier stand einmal ein Königspalast. König Béla IV. ließ hier an der Südwestspitze eine Festung mit Bergfried bauen, kurz nachdem die Tataren vertrieben worden waren … Gerade noch rechtzeitig, denn Mitte des 13. Jahrhunderts fielen die Mongolen ins Land ein. Binnen Kurzem verwüsteten sie alles, was ihnen in die Hände fiel. Der Königspalast versank Ende des 17. Jahrhunderts in Schutt und Asche. Ein knappes Jahrhundert später baute man den Südflügel mit über 200 Sälen. Und seit zwölf Jahren werkelt man erneut an ihm herum, wie du siehst.«

Madelaine überhörte seine letzten Worte. Stattdessen versuchte sie, sich wilde Horden mit Streitäxten und Schwertern vorzustellen, die den frühmittelalterlichen Palast bestürmten, doch es gelang ihr nicht. Zu groß war der Lärm um sie herum: Hammerschläge aus allen Richtungen, Knirschen von Sand und Mörtel, Rufe der Arbeiter, Scheppern von Metall und Knarren der Baugerüste. In der Nähe schaufelten Männer Schutt auf eine Karre, ein paar Meter weiter rannte ein Bauarbeiter mit einer übervollen Karre auf einen Haufen Baumüll zu und kippte die Karre mit großem Schwung aus. Wieder stob Staub auf. András zog Madelaine weiter, bis sie in einer Gebäudenische Schutz fanden.

»Vater hat nicht übertrieben. Er schrieb mir, dass nicht allein der Palast, sondern das ganze Burgviertel ins Visier der Architekten und Stadtplaner geraten ist. Ein neues, prächtiges, repräsentatives Alt-Buda soll wiedererstehen, im Zeichen des Friedens und der Aussöhnung mit der Vergangenheit. Bald soll alles fertig sein. Komm.« Er wartete einen Moment, bis sich die Staubwolke gelegt hatte. Dann nahm er Madelaine bei der Hand, lief an der der Donau zugewandten Rückseite der Matthiaskirche entlang. Eine Baustelle voll weißer Sandsteine bot sich ihnen, mit herrlichem Blick über Donau und Pest hinaus.

»Ja«, sagte András, »hier befand sich im Mittelalter der Fischmarkt. Plan ist es, die frühere Schutzbastei der Fischer umzuwandeln in eine romantische Anlage mit Ritterburg und Klosterhöfen. Und im Mittelpunkt des Ganzen wird das Reiterstandbild König Stephans, unseres Staatsgründers, prangen. Vater kennt übrigens den Bildhauer, er heißt Alajos Strobl. In ein paar Jahren müssen wir wiederkommen, Madelaine, dann soll auch dieser Platz fertig sein.«

»Gerne, András«, gab sie ironisch zurück und wischte sich Tränen aus den Augen, weil der weiße Sandstein sie blendete. András schien ihren Ton nicht wahrzunehmen. Begeistert fuhr er fort:

»Und jetzt kommen wir zum Symbol von Ungarns Zukunft, wie ich es dir vorhin angekündigt habe. Siehst du den riesigen Gebäudekomplex dort drüben am anderen Ufer?«

»Er ist nicht zu übersehen«, gab Madelaine spöttisch zurück. Vor ihrem tränenverschleierten Blick schoben sich die gewaltigen Gebäudemauern zu einem wackeligen Steinmassiv zusammen.

»Fast 300 Meter Länge, fast 700 Räume. Das ist das Wahrzeichen unserer neuen Hauptstadt Buda-Pest: unser Parlament, Sitz der nationalen ungarischen Regierung. In zwei Jahren soll das Gebäude fertig sein.«

Sie schnäuzte sich und wischte über ihre Augen. »Ich hätte nie gedacht, dass du so stolz auf dein Land sein könntest.«

Überrascht wandte er sich ihr zu. »Stolz? Ja, warum nicht? Sollte nicht ein jeder stolz auf sein Land, seine Heimat sein?«

»Du führst mich auf Baustellen, die eure Zukunft symbolisieren. Hättest du damit nicht warten können, bis alles fertig und schön ist?«

»Wir haben keine Zeit, Madelaine«, entgegnete er kurz angebunden. Bevor sie fragen konnte, was er damit meinte, wurden sie vom Herannahen eines mit weißen Sandsteinen beladenen Fuhrwagens unterbrochen, den zwei kräftige Pferde über das Pflaster zogen. Es war so laut, dass Madelaine sich instinktiv von András ab- und ihren schmerzenden Fußgelenken zuwandte, um sie zu massieren. Dabei durchzuckten sie Stiche im Kopf. Sie schreckte wieder hoch. Ihr wurde schwarz vor Augen, und sie lehnte sich gegen die Steinmauer in ihrem Rücken.

»Was hast du?«, fragte András.

»Ich leide«, stöhnte sie.

»Das seh ich«, entgegnete er mit einem Anflug von Ungeduld, »doch du musst noch durchhalten, sonst wirst du das, was danach kommt, nicht genießen können.«

»Erwartest du von mir, dass ich unter diesen Umständen glaube, was du mir da versprichst?«, wisperte sie.

»Tu es. Tu es einfach«, erwiderte András knapp, da sich ihnen gerade eine Schulklasse näherte und sie ihr ausweichen mussten. »Da vorn ist die Matthiaskirche, du musst sie dir noch ansehen, schließlich wurde sie ursprünglich Mitte des 13. Jahrhunderts für die deutsche Bürgerschaft gebaut.«

Madelaine warf ihm einen wütenden Blick zu, den András ungerührt ignorierte. »Später nutzten die Türken sie sogar als Moschee. Man sieht es ihr kaum an, oder?« Madelaine reagierte nicht »Die Schulkinder wissen alle: Hier wurden Ungarns Könige gekrönt, und die königlichen Mitglieder des Arpáden-Hauses sind alle an der Nordseite …«

»… in Kapellen begraben, jaja, so wird es wohl sein«, ergänzte Madelaine missmutig. András starrte sie an. Mit einem Anflug von Ärger folgte er ihrem Blick zum Turmdach mit seinen bunten Majolika-Ziegeln.

»Versprich mir, dass ich mir Budapest nicht von oben ansehen muss, András.« Ihr Blick kehrte zu ihm zurück.

»Oh, der kleine Bela-Turm reizt dich?«, erwiderte er in einem Ton, als verstünde er sie nicht. »Ich würde vorschlagen, wir versuchen es lieber mit dem Matthiasturm, 80 Meter Höhe sind lohnenswert …«

»Wenn du das von mir verlangst, werde ich mich hinabstürzen«, entgegnete sie wütend.

Er setzte eine bekümmerte Miene auf. »Das würdest du mir antun, Madelaine? Wirklich?«

Sie schaute ihm in die Augen. Trotz seines Spiels erkannte sie eine Spur echter Furcht in seinem Blick.

»Mein Schmerz ist dir also gleichgültig?«

Ihre Wangen glühten, und in ihren Schläfen pochte der Schmerz. Niemals werde ich dir wehtun, niemals, rief sie ihm im Geiste zu, doch ihre Lippen blieben stumm. Ich sollte das Spiel beenden, dachte sie, aber ich kann es nicht. Es geht nicht.

»Du lässt mich doch heute auch leiden, András.« Endlich hörte sie sich wieder sprechen.

»Ja, aber nur für eine begrenzte Zeit, und außerdem breche ich dir dabei nicht das Herz, Madelaine.«

Aufmerksam musterten sie einander. Wo fand dieses Spiel ein Ende? Wo lag der Ernst? Gab es ihn überhaupt?

»Also gut, lass uns gehen«, beschied sie müde und nahm seinen Arm.

Er sah ihr fragend in die Augen. »So rätselhaft habe ich dich noch nie erlebt. Du bist mir noch eine vernünftige Antwort schuldig, nicht?«

»Ach, lassen wir das, András. Du weißt doch, wie sehr ich dich liebe.«

»Ja, das weiß ich. Aber komm nie auf die Idee, mir das Herz zu brechen, so, als sei es aus Schokolade.«

Er versuchte, scherzhaft zu klingen, doch es gelang ihm nicht.

Madelaine seufzte. »Wie kommst du nur auf solche Gedanken. Lass uns also gehen. Ich möchte diese Qualen hinter mich bringen. Schau dir nur meine Schuhe an.«

»Du kannst dich gleich ausruhen.«

Die letzten Meter bis zur gewaltigen Matthiaskirche verbrachten sie schweigend. Hinter dem Eingang hatte sich die Schulklasse um ihren Lehrer versammelt und lauschte seinen Erklärungen. Aus dem Kirchenraum erscholl Orgelspiel, das mittendrin abbrach, um kurz darauf wieder von vorn zu beginnen. András näherte sich Madelaines Ohr. »Versuch einfach, dir vorzustellen, dass hier am 8. Juni 1867 Kaiser Franz Joseph zum ungarischen König gekrönt wurde«, nahm er den Faden wieder auf. »Während der Zeremonie berührte die Stephanskrone die nackten Schultern von Sissi. Jeder von uns fasste das sofort als Symbol auf: Es war, als würde Sissi dafür geehrt, dass sie wesentlich zum Ausgleich zwischen Österreich und unserem Land beigetragen hatte.«

Vor Madelaines innerem Blick kam ihr das schöne Antlitz der hoch zu Ross sitzenden Kaiserin entgegen. Einen kurzen Moment lang bildete sie sich ein, das Raunen der Menschen in dieser Kirche zu hören. Dann verwandelte sich plötzlich vor ihrem inneren Auge das Bild von der Berührung durch die Krone in den Stoß, mit dem der italienische Anarchist Luigi Lucheni vor vier Jahren seine Feile in Sissis Körper gejagt hatte. Madelaine fühlte Übelkeit in sich aufsteigen und sank auf eine Kirchenbank.

»Lass mich einen Moment allein«, hauchte sie.

András strich ihr über die Schulter. »Gut, ich lasse dich in Ruhe.«

Er wandte sich ab. Sie hörte, wie er ein paar Bankreihen hinter ihr Platz nahm.

Madelaine indessen zwang sich, ihren Blick auf den Altar zu konzentrieren. Langsam verblasste die Erinnerung an die Geschichte, und sie kam wieder zu sich. Sie drehte sich nach András um. »Können wir gehen?«

Er nickte und beugte sich vor. »Das Spiel ist gleich beendet, ich verspreche es dir.«

»Welches Spiel?«, gab sie zurück.

Er erhob sich und kam zu ihr zurück. Als sie die Kirche verlassen hatten, merkte Madelaine, wie ihre Kopfschmerzen im hellen Licht wieder stärker wurden. Sie stützte sich auf András’ Arm.

»Können wir uns nicht irgendwo hinsetzen, ausruhen und etwas essen? Ich sterbe fast vor Hunger, und mein Kopf fühlt sich an, als hinge ich in einer dieser Glocken dort im Matthiasturm«, stöhnte sie.

»Den Abstieg in die Unterstadt musst du noch durchstehen. Dann hast du es geschafft.«

»Mein mehrmaliges Bad in Salz, nicht wahr?«

»Genau. Ich verlange doch nicht zu viel, oder? Ich dachte mir, wer einen Schiffsuntergang übersteht, wird doch vor diesem Spaziergang nicht zurückschrecken. Ich darf dich daran erinnern: Du musst den Schmerz auskosten, damit du umso eher genießen kannst, was ich dir versprochen habe. Glaube mir, es dauert nicht mehr lange, und du wirst auf die bekömmlichste Art und Weise von deinem Leiden erlöst.«

»Mein Schwiegervater wird mich lieben …«

András nickte schweigend.

»Du wirst mich bewundern …«

Er nickte, eine Spur heftiger.

»Ach, András, so hilf mir doch.« Seufzend rieb sie sich die Schläfen.

»Gut, aber nur dieses eine Mal.«

Er sah sie gespielt mitleidig an, zog ein sauberes Taschentuch hervor, betupfte es mit etwas Eau de Cologne und fächelte es vor ihrem Gesicht hin und her.

»Denke an die Lust, die dich gleich erwartet«, raunte er. »Komm, verlass dich auf mich, so wie du es immer getan hast.«

Über ihren Köpfen begannen Bauarbeiter auf einem der hohen Gerüste zu hämmern. Hastig eilten sie zur nächsten Treppe, die bergab führte.

»Was hast du mit mir vor?«

»Ich will dich wie eine Schokoladentrüffel in den heißen Karamell dieser Stadt eintauchen«, gab er belustigt zurück.

***

András enttäuschte sie nicht. Er winkte eine Kutsche herbei, hob Madelaine hinein. Er gab dem Kutscher eine kurze Anweisung, woraufhin dieser auf einer breiten Straße, die András ihr als »Blutwiese« benannte, am Gellert-Hügel entlangfuhr, ihn schließlich umrundete, um dann entlang der Uferpromenade stromaufwärts zu fahren. Madelaine verdrehte die Augen, als András ihr sagte, ihr Ziel sei jener Hügel linker Hand, den man nach dem Derwisch Gül baba benannt hatte, der in der türkischen Besatzungszeit die Rosenkultur ins Land gebracht haben solle: Rosenhügel. Er legte ihr seinen Zeigefinger auf die Lippen.

»Psch, keine Angst. Ein Stück weit stromabwärts begann unser Tag, und hier wird er ein zweites Mal beginnen. Nur unter anderen Vorzeichen.«

Fragend sah sie ihn an.

»Nein, ich verrate dir nichts.«

Die Kutsche hielt vor einem Gebäude aus Glas und Stein. »Komm, steig aus, Madelaine!«

Ohne dass sie hätte Luft holen können, schleppte er sie ins berühmte Lukács-Bad.

»Hier kannst du dich, solange du willst, von deinen Strapazen erholen und entspannen, so wie es früher einmal die römischen Soldaten taten«, erklärte er ihr schmunzelnd. »Außerdem wirst du hier den nötigen Appetit für später bekommen.« Mit diesen Worten überließ er Madelaine in der Eingangshalle der Fürsorge herbeigeeilter Bademädchen.

Benommen vor Überraschung und Erleichterung, tauchte sie wenig später in das warme, sprudelnde Heilwasser ein. Mit jeder Bahn, die sie schwamm, wuchs ihre Begeisterung, denn sie bewegte sich zwischen Reihen glänzender Goldsäulen und palmengeschmückter Jugendstilbalkone.

Über ihr wölbte sich ein hohes Glasdach und tauchte Gold und Marmor, Wasser und bunte Majolika-Fliesen in weiches Licht. Es war einfach fantastisch.

Später überließ sie sich der Massage und sorgfältigen Körperpflege. Im Ruheraum für die Damen nickte sie sogar für eine Weile ein.

Das Knurren ihres Magens weckte sie. Trotzdem fühlte sie sich wie neugeboren. Sie ließ sich frisieren und trat András wenig später erwartungsfroh entgegen. Er hatte sich ebenfalls erholt: im Thermalbecken und türkischen Dampfbad.

»Ich brauche noch ein frisches Kleid!«

»Was immer du möchtest: Du bekommst es jetzt!«

»Das Süßeste zum Schluss?«

»Das Süßeste zum Schluss!«

»Drei Tage lang?«

»Drei Tage und zwei Nächte lang!«

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