Die Liebe kommt an Regentagen - Karin B. Holmqvist - E-Book
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Die Liebe kommt an Regentagen E-Book

Karin B. Holmqvist

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Beschreibung

Frosch zum Wachküssen gesucht! Der warmherzige Roman »Die Liebe kommt an Regentagen« von Karin B. Holmqvist jetzt als eBook bei dotbooks. Mit 30 noch ungeküsst? Höchste Zeit, nach den Sternen zu greifen! Erna ist ihren Eltern auf dem kleinen schwedischen Bauernhof die einzige Stütze, für Träumereien oder gar die Liebe blieb ihr bisher keine Zeit. Doch als sie auf einer Nachlassauktion ein altes Buch ersteigert, ändert sich ihr Leben schlagartig: es enthält Briefe voller romantischer Abenteuer – aber wer war das geheimnisvolle Liebespaar? Gemeinsam mit dem charmanten Künstler Börje macht sich Erna auf die Spurensuche – und folgt dem Flüstern des Schicksals, das sie geradewegs in die Arme ihrer großen Liebe führen könnte … »Eine liebevolle und warmherzige Geschichte.« Die schwedische Tageszeitung Ystads Allehanda Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der charmante Liebesroman »Die Liebe kommt an Regentagen« von Karin B. Holmqvist. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 258

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Über dieses Buch:

Mit 30 noch ungeküsst? Höchste Zeit, nach den Sternen zu greifen! Erna ist ihren Eltern auf dem kleinen schwedischen Bauernhof die einzige Stütze, für Träumereien oder gar die Liebe blieb ihr bisher keine Zeit. Doch als sie auf einer Nachlassauktion ein altes Buch ersteigert, ändert sich ihr Leben schlagartig: es enthält Briefe voller romantischer Abenteuer – aber wer war das geheimnisvolle Liebespaar? Gemeinsam mit dem charmanten Künstler Börje macht sich Erna auf die Spurensuche – und folgt dem Flüstern des Schicksals, das sie geradewegs in die Arme ihrer großen Liebe führen könnte …

»Eine liebevolle und warmherzige Geschichte.« Die schwedische Tageszeitung Ystads Allehanda

Über die Autorin:

Karin B. Holmqvist, geboren 1944 im südschwedischen Simrishamn, machte eine kurze Karriere in der Kommunalpolitik und arbeitete anschließend als Sozialarbeiterin. In ihrer Freizeit ist sie Kabarettistin und schreibt Romane sowie Gedichte.

Bei dotbooks veröffentlichte Karin B. Holmqvist bereits die Romane »Schwedisches Glück«, »Villa mit Herz« und »Das fabelhafte Haus des Glücks« – auch als Sammelband unter dem Titel »Schwedische Küsse« erhältlich – sowie »Schwedischer Sommer« und »Schwedische Herzen«.

***

eBook-Neuausgabe März 2019

Dieses Buch erschien bereits 2012 unter dem Titel »Ungeküsst« bei Piper

Copyright © der schwedischen Originalausgabe 2010 by Karin Brunk Holmqvist, Kabusa Böcker

Die schwedische Originalausgabe erschien 2010 unter dem Titel »Stenhimlen« bei Kabusa Böcker, Göteborg

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2012 by Piper Verlag GmbH, München

Copyright © der Neuausgabe 2019 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Slava Galaka

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-96148-710-3

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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blog.dotbooks.de/

Karin B. Holmqvist

Die Liebe kommt an Regentagen

Roman

Aus dem Schwedischen von Holger Wolandt und Lotta Rüegger

dotbooks.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Lesetipps

Kapitel 1

»Schwachkopf, Schwachkopf!« Die Worte bohrten sich wie Messerstiche in Ernas Herz. Tränen sammelten sich unter ihren Lidern, und wie so oft bei ihr brachen die Dämme, und die Tränen strömten über ihre Wangen.

»Es ist eine Gabe, weinen zu können«, hatte Pastor Ingvarsson gesagt, als Olle Berg seinen Sohn zu Grabe trug, und Erna war dankbar gewesen für diese Gabe. Aber dass die Tränen so oft und so heftig kamen wie jetzt, war wohl doch nicht Sinn der Sache.

»Schwachkopf, Volltrottel«, hallte es noch einmal zwischen den Häusern wider, dann rannten die beiden Jungen davon.

Gott war nicht gerade barmherzig gewesen, als er das Aussehen erschaffen hatte, das Erna mit sich durchs Leben tragen musste. Sie war per Zangengeburt auf die Welt gekommen, und die Hebamme hatte gesagt, dass sich ihr spitzer Kopf im Laufe der Jahre schon zurechtwachsen würde. Aber es war eher umgekehrt gewesen.

Als sie in die Schule kam, hagelte es Spottnamen: Schwachkopf und Volltrottel. Erna hätte sich gewünscht, dass ihre Eltern wenigstens einmal ein Wort darüber verloren hätten. Stattdessen hatte ihre Mutter Viola eine seltsame Mütze nach der anderen gestrickt, und Erna hatte sie aufsetzen müssen.

Mittlerweile war Erna vierunddreißig und wohnte immer noch in ihrem Elternhaus. Die meisten Gleichaltrigen waren in die Stadt gezogen, um zu studieren oder zu arbeiten, aber Erna half ihren Eltern auf dem Bauernhof. Ihr Vater Ernst war an Parkinson erkrankt und schaffte die schwere Arbeit nicht mehr allein. Seine Krankheit hatte zur Folge, dass er manchmal wie betrunken wirkte, wenn er mit unbeholfenen Bewegungen versuchte, seine Aufgaben zu verrichten. Mutter Viola arbeitete ebenfalls auf dem Hof. Außerdem erledigte sie Näharbeiten und verkaufte Eier und Gemüse an den Lebensmittelladen.

Der Hof der Familie lag außerhalb von Kivik, einem kleinen Ort im Süden Schwedens. Bei Ostwind fraß sich das Meer immer mehr ins Land hinein.

»Bald haben wir ein Haus mit direktem Meerblick«, hatte Ernst einmal im Scherz gesagt, obwohl ihr Hof ein paar Kilometer von der Küste entfernt lag. Von . ihrem Fenster aus konnte Erna Stenshuvud sehen, die charakteristische Erhebung, die außerdem zum Nationalpark erklärt worden war. Sie genoss es, wenn die Sommergäste in den kleinen Küstenorten einfielen und Künstler und Schriftsteller die kleinen Häuser bevölkerten. Sie bewunderte diese kreativen Menschen und träumte davon, selbst zu malen, etwas zu erschaffen und dem, was in ihr steckte, freien Lauf zu lassen. Doch sie traute sich nicht, ihre Träume in die Realität umzusetzen, denn sie hatte Angst zu versagen.

Wie die meisten jungen Frauen hatte auch sie von einem Mann und einer eigenen Familie geträumt, war sich aber bewusst gewesen, dass ihr Schicksal sie an ihr Zuhause und ihre Eltern fesselte. Als die anderen jungen Leute tanzen gegangen waren, hatte Erna sich in ihrem Zimmer eingeschlossen, hatte gelesen und Radio gehört, denn dumm war sie nicht, ganz im Gegenteil. Nur hatte sie nie zeigen dürfen, was sie konnte.

Sie hatte sich in der Schule nie gemeldet, weil sie Angst gehabt hatte, dass sich die Blicke der anderen auf sie richten könnten. Doch sie hatte immer die richtigen Antworten auf alle Fragen gewusst, und abends stellte sie sich manchmal vor, wie es gewesen wäre, wenn sie aufgestanden wäre und die Fragen des Lehrers klar und deutlich beantwortet hätte.

In der Schule war Erna eine Außenseiterin gewesen und hatte immer davon geträumt dazuzugehören. Nur in der dritten Klasse hatte sie eine Zeit lang eine Freundin gehabt: Alva aus dem Nachbarhaus. Sie und ihre Familie mussten ständig umziehen, wenn ihnen der Gerichtsvollzieher mal wieder auf die Spur gekommen war. In der Schule hatten die anderen sie Pipi-Alva genannt, weil sie nach Urin roch, was an einer zu schwachen Blasenmuskulatur gelegen hatte.

Alva und Erna hatten oft zusammengesessen und einander ihre Träume anvertraut, die einander sehr ähnelten. Darüber war eine herzliche und innige Beziehung zwischen ihnen entstanden. Erna erinnerte sich noch mit Grauen an den Herbstmorgen, an dem sie Alva abholen wollte und das Haus leer gewesen war. In der Nacht war die Familie ein weiteres Mal aufgebrochen, und die beiden Mädchen hatten sich nicht einmal voneinander verabschieden können. Nach Alvas Umzug war Erna noch schüchterner geworden. Sie schloss sich in ihrem Zimmer ein, weinte, las und verlor sich in ihren Gedanken.

Das einzige Andenken, das Erna an Alva hatte, war ein Zettel, den diese ihr in ihren Schulranzen gesteckt hatte. Auf diesen Zettel hatte Alva ein Herz gemalt, das von einem Pfeil durchbohrt wurde. Darunter stand: »Erna und Alva, Freundinnen für immer«, und darunter ein Gedicht:

Freunde sind füreinander da,Wir kümmern uns umeinander.Erna und Alva für immer –Freundinnen durch dick und dünn.

Erna hatte den knittrigen Zettel mit dem einfachen Text, der ihr so unerhört viel bedeutet hatte, oft hervorgezogen. Für sie war er das schriftliche Zeugnis der einzigen Freundschaft, die sie je erlebt hatte.

Genau genommen hatte Erna noch ein Andenken an Alva: eine Pflanze, die sie hegte und pflegte. Es war ein Setzling, den sie von ihrer Freundin bekommen und in einen Blumentopf gepflanzt hatte. Berührte man die Blätter, verbreitete sich ein wunderbarer zitronenähnlicher Duft. Die Pflanze war prächtig gediehen. Alva hatte gesagt, dass ihre Freundschaft bestehen würde, solange die Pflanze lebte. Erna hatte sie deshalb besonders gut gepflegt.

»Schwachkopf, Schwachkopf.« Erna richtete sich im Bett auf. Da war er wieder, dieser Traum. Ihr Herz pochte, und sie wischte sich die Tränen ab, die ihr die Wangen herunterliefen. Diesen Traum hatte sie schon so oft gehabt. Das höhnische Lachen der Jungen, das zwischen den kleinen Häusern widerhallte, die Erniedrigung, das Gefühl, nicht dazuzugehören.

Eigentlich wäre sie am liebsten wieder unter die Decke gekrochen, um der Wirklichkeit zu entfliehen, die ihr so zusetzte. Aber sie hatte nicht die Kraft, ihren Eltern ihre Empfindungen zu erklären, und sie wollte sie auch nicht mit ihren Problemen belasten.

Ernst und Viola Henningsson saßen an diesem Samstagmorgen schweigend in der Küche. Sie hatten sich nie viel zu sagen gehabt, und im Laufe der Jahre hatte die Stille immer mehr überhandgenommen.

»Warum bist du so schweigsam?«, wollte Viola vorsichtig wissen.

»Was gibt es schon zu sagen, verdammt«, antwortete Ernst. »Worte sind überflüssig, ich hasse es, wenn die Leute drauflosschwatzen.«

»Man muss doch nicht drauflosschwatzen, es gibt auch interessante Dinge, über die man sich unterhalten kann.«

»Und zwar?«, fragte Ernst übellaunig, und plötzlich fiel auch Viola nichts Interessantes ein.

Als Erna in die Küche trat, lauschte sie der einsilbigen Unterhaltung ihrer Eltern. Sie sehnte sich so sehr danach, all die Wörter zu verwenden, die sie in ihren Büchern gelesen hatte.

»Beeilt euch«, sagte Ernst, erhob sich und zog seinen handgestrickten Pullover an.

Viola räumte den Tisch ab. Sie legte die Wurst in eine Tupperdose und schob das Brot in eine Plastiktüte. Die alte Pendeluhr über der grün gestrichenen Sitzbank tickte, und es klirrte, als Murran, die alte Hauskatze, aufs Fensterbrett sprang und es sich zwischen den beiden Geranien bequem machte, die sich nach dem Blumenkasten auf der Küchentreppe sehnten. Dafür war es allerdings zu früh. Die Frühlingssonne schien zwar schon, aber die Nächte waren kalt, und in der letzten Woche hatte es einige Male beinahe Frost gegeben.

Erna saß wie immer gedankenverloren da und zuckte zusammen, als ihr Vater mit lauter Stimme sagte: »Kommt ihr jetzt mit oder nicht?«

Viola ließ die Tassen im Spülbecken stehen und trocknete sich rasch die Hände an ihrer karierten Schürze ab.

»Wir sind so weit ...«

»Und du, Erna?«, fuhr Ernst fort.

Erna erhob sich hastig. »Ich bin auch fertig, Vati ...«

»Auf Frauenzimmer und Selbstgebrannten muss man wirklich immer warten«, fuhr Ernst fort und ging zum Telefontisch, auf dem neben einem alten Foto des Hofhunds Laika seine Brieftasche lag. Laika war im vergangenen Frühjahr unter dem Vorderrad des Traktors zu Tode gekommen.

»Können wir auf dem Heimweg am Friedhof anhalten?«, fragte Viola nachdenklich. »Ich könnte im Garten noch ein paar Blumen pflücken.«

Ernst sah sie finster an.

»Ich könnte sie solange im Kofferraum in einen Eimer Wasser stellen.«

»Klar, nur zu. Ihr könntet auch gleich noch die Gartenstühle mitnehmen, falls es bei der Versteigerung nicht genügend Sitzgelegenheiten geben sollte. Wie wäre es mit der Zinkwanne aus dem Stall? Da gehen zwar nur fünfundzwanzig Liter rein, aber ich kann ja in den Kurven langsamer fahren, dann bleibt möglicherweise sogar was übrig vom Wasser. Vielleicht sollten wir auch noch etwas Blumendünger reintun, dann halten sie besser.«

Erna und Viola gingen auf die Küchentür zu.

»Falls du noch eine Karte zwischen die Blumen stecken willst, in der obersten Schreibtischschublade liegen noch welche.«

Viola wusste genau, worauf er anspielte. Manchmal, wenn er schlechte Laune hatte, verglich er sie mit Asta Olsson, die unten am Sumpf wohnte. Asta war nicht die Hellste und tat oft verrückte Dinge. Einmal hatte sie zu Ostern Blumen auf das Grab ihrer Eltern gestellt und eine hübsche Karte in den Strauß gesteckt, auf der »Frohe Ostern« stand. »Hast du das von Asta Olsson gelernt?«, pflegte Ernst zu sagen, wenn Viola wieder mal etwas Verrücktes getan hatte.

Der Friedhof lag ein Stück entfernt, und Viola nutzte die Gelegenheit, ihn zu besuchen, wenn Ernst ohnehin mit dem Auto unterwegs war. Meist fuhr er jedoch mit dem Traktor, wenn er etwas zu erledigen hatte.

»Ich kann auch ein andermal mit dem Fahrrad zum Friedhof fahren«, sagte Viola.

Schweigend gingen die drei zu dem alten Volvo, der in einem baufälligen Schuppen stand.

»Knall die Tür nicht so zu, verdammt!«, brüllte Ernst seine Tochter an, als sie die hintere Autotür von innen zuzog.

Nachdem Erna Platz genommen hatte, erhob sie sich noch mal kurz, um ihr Baumwollkleid glatt zu ziehen, damit es beim Sitzen keine Falten bekam.

Ernst fuhr ruckartig und schaltete häufiger als nötig. Viola saß schweigend auf dem Beifahrersitz und drückte ihre Handtasche aus schwarzem Lederimitat so fest an die Brust, dass auf ihrem selbst genähten Polyesterkleid ein feuchter Fleck entstand. Automatisch klappte sie die Sonnenblende herunter, um sich im Spiegel zu betrachten, klappte sie aber rasch wieder hoch, als ihr einfiel, dass nur das letzte Auto einen Spiegel in der Sonnenblende gehabt hatte.

»Vielleicht sollten wir uns ein neues Auto zulegen, damit du dich wieder im Spiegel angucken kannst«, meinte Ernst mit harter Stimme. »Oder wir hätten den alten Wagen behalten sollen. Ist doch egal, wenn das Fahrgestell durchgerostet ist und der Kühler ein Loch hat – Hauptsache, es gibt einen Spiegel.« Viola und Erna schwiegen, zum großen Verdruss von Ernst. Er schaltete, ohne die Kupplung ganz durchgetreten zu haben, und es krachte im Getriebe.

»Verdammter Sonntagsfahrer!«, fauchte er und, bremste so abrupt, dass Violas Handtasche runterfiel. Er deutete auf den Wagen vor ihnen.

Schweigend fuhren sie die Landstraße nach St. Olof weiter, wo der Nachlass von Rektor Påhlsson versteigert werden sollte. Während der Fahrt dachte Viola an ihren ehemaligen Schuldirektor, bei dem sie ein Halbjahr Vertretungsunterricht gehabt hatte. Ihr war die Schule immer leichtgefallen, und sie war bei ihren Mitschülern beliebt gewesen. Als sie die weiterführende Schule besuchen wollte, hatten ihre Eltern sie dazu ermutigt. Påhlsson war ein guter Lehrer gewesen. Die Fächer, an denen Viola bislang nicht interessiert gewesen war, füllte er mit Leben, und sie hatte von sich aus in den Schulbüchern weitergelesen, auch wenn das gar nicht ihre Hausaufgabe gewesen war. Sie war sich sicher, dass Påhlsson einen guten Teil dazu beigetragen hatte, dass sie weiter zur Schule gehen wollte.

Am Tag des Wechsels von der Volksschule auf die Realschule hatte sie eine neue Schultasche bekommen, ein Federmäppchen und zum ersten Mal gewachstes Einschlagpapier für ihre Schulbücher. Sie hatte sich morgens unwohl gefühlt, doch ihre Eltern hatten das auf die Aufregung geschoben, weil Erna künftig in die Stadt Simrishamn fahren musste, um zur Schule zu gehen. Viola versuchte die Gedanken an den Abend zu verdrängen, an dem sie mit Ernst in Kulla zum Tanzen gewesen war. Er war ziemlich betrunken gewesen und hatte sie in einem Gebüsch dazu gezwungen, mit ihm zu schlafen. Viola hatte einen großen Widerwillen empfunden und anschließend versucht, den Vorfall zu vergessen. Doch als die Regel ausgeblieben war, hatte sie einsehen müssen, dass das gewachste Einschlagpapier nicht zur Anwendung kommen würde.

Ihre Eltern hatten eine kleine Landwirtschaft betrieben und fleißig gespart, damit sie die weiterführende Schule würde besuchen können. Sie waren gutmütig und liebevoll, und nicht einmal an dem Abend, an dem sich Viola gezwungen sah, ihr Geheimnis preiszugeben, hatten sie ein böses Wort gesagt. An jenem Abend hatte Viola durch die Wand ihres Zimmers das Weinen ihrer Mutter und die unruhigen Schritte ihres Vaters gehört. Am nächsten Morgen hatte sie sich beim Anblick der rot geränderten Augen ihrer Mutter geschämt. Die Schule war nie mehr erwähnt worden, und die Tasche und das Einschlagpapier waren im Schrank verschwunden. Stattdessen wurde die Hochzeit vorbereitet. Ernst hatte getan, was sich gehörte, und sie geheiratet, und sie war zu ihm auf den Hof seiner Eltern gezogen.

Von Liebe war nie die Rede gewesen. Wenn Ernst bisweilen in ihr Bett gekrochen war, hatte sie ihn empfangen, leer und kalt, und dabei versucht, an etwas anderes zu denken. Eines Nachts war ihr mangelnder Enthusiasmus zum Vorschein gekommen, als Ernst voller Ekstase kurz vor dem Höhepunkt gewesen war und sie plötzlich gefragt hatte: »Hast du eigentlich die Tür vom Hühnerstall zugemacht?«

Ernst war in seine Betthälfte gerollt, und Viola hatte gehört, wie er mit den Zähnen geknirscht hatte, bevor er das Zimmer mit seinem Schnarchen füllte.

Sie hatte sich auf ihr Kind gefreut. Hatte geglaubt, dass dadurch Ernsts Launenhaftigkeit besänftigt würde. Außerdem würde sie viel zu tun haben, was sie auf andere Gedanken bringen würde. Die Geburt war schwer gewesen, und nicht einmal die Versicherung der Hebamme, dass sich Ernas unförmiger Kopf zurechtwachsen würde, hatte Viola trösten können. Ernst hatte keine Freude über seine Tochter erkennen lassen, und erst mehrere Monate nach der Entbindung hatte er sie zum ersten Mal in den Armen gehalten. Nicht liebevoll, sondern mehr wie eine Last, die jemand auf ihn abgewälzt hatte.

Der Parkplatz war fast voll, als sie bei der Versteigerung ankamen. Schweigend stiegen sie aus, und Ernst schloss sorgfältig ab. Wie immer ging er um das Auto herum und prüfte, ob alles abgeschlossen war, selbst der Kofferraum. Erna wusste, dass er gleich noch einmal die Fahrertür öffnen würde, um sich davon zu überzeugen, dass die Handbremse angezogen war, und anschließend, dass das Licht nicht mehr an war. Dann wiederholte sich dieselbe Prozedur bei den Türen, erst dann konnten sie sich auf den Weg zum Auktionssaal machen. Erna strich ihr Kleid glatt und fuhr sich mit der Hand übers Haar.

»Kauft jetzt bloß keinen Plunder, davon haben wir schon genug«, sagte Ernst.

Der Besuch von Versteigerungen war für sie zu einem beliebten Zeitvertreib geworden. Dabei kauften sie nie etwas, sondern sahen sich nur alles an und unterhielten sich mit Bekannten. Das waren Tage, auf die sich Viola und Erna freuten. Insbesondere im Frühling fand Erna solche Veranstaltungen sehr aufregend, weil allmählich die Sommergäste eintrudelten und es viele neue Leute zum Betrachten gab.

Ernst unterhielt sich meist nur mit den anderen alten Männern, während Erna und Viola die Gegenstände unter die Lupe nahmen, die unter den Hammer kommen würden. Wenn sie sich in einen Gegenstand verguckten, spürten sie Ernsts Blick im Nacken, und es war kaum jemals passiert, dass sie auf etwas geboten hatten, ohne erst Ernsts Genehmigung einzuholen.

Einmal, als Erna noch klein gewesen war, hatte ihre Mutter ihr allerdings einen Überraschungskasten ersteigert, der jede Menge Krimskrams, aber auch einen großen Block mit festem Papier und einen Kasten Stifte enthalten hatte. Ernst war eine ganze Woche lang eingeschnappt gewesen, aber Erna hatte ein unbeschreibliches Glücksgefühl über dieses unerwartete Geschenk empfunden.

Eigentlich stand sie ihrer Mutter sehr nahe, aber man hatte den Eindruck, als wagte keine von ihnen, sich richtig zu ihren Gefühlen zu bekennen. Als Erna den Malblock und die Stifte bekommen hatte, war sie ihrer Mutter ganz spontan um den Hals gefallen, und Viola hatte sie lange ganz fest in den Armen gehalten, als hätte sie sie nie mehr loslassen wollen. Sie hatten mitten in der Küche gestanden und gespürt, wie sich die Wärme in ihnen ausbreitete.

»Was zum Teufel tut ihr da? Seid ihr nicht ganz bei Trost?«, hatte Ernst gefaucht. Mutter und Tochter hatten sich losgelassen und sich einen Augenblick lang in stillem Einvernehmen angesehen. Erna hatte so oft an diesen Moment gedacht und sich zu ihm zurückgesehnt.

Jetzt sahen sie sich den Nachlass von Rektor Påhlsson an, und Erna empfand dieselbe Zusammengehörigkeit mit ihrer Mutter wie damals. Sie interessierten sich beide für Bücher, und bei dieser Versteigerung gab es jede Menge Kartons, die bis zum Rand mit Büchern und Zeitschriften gefüllt waren.

»Schau mal, Mutti«, sagte Erna plötzlich und zeigte auf die Jahrbücher des Heimatvereins aus den Jahrgängen 1949 bis 1967. Viola fand auch, dass sie in gutem Zustand waren. Sie blätterten eine Weile interessiert darin herum.

»Hier steht was über das Königsgrab und über Stenshuvud«, meinte Viola, und Erna war immer überzeugter davon, dass sie diese Bücher ersteigern musste. Sie wusste, dass ihr Vater vor Wut außer sich sein würde, aber sie hatte ihr Geld sauer genug verdient. Frühmorgens hatte sie die Kühe gemolken und unter der glühenden Sonne Futterrüben gehackt, und das für ein paar elende Hundertkronenscheine im Monat zuzüglich freier Kost und Logis, wie ihr Vater gerne betonte.

»Ich glaube, ich kaufe diese Bücherkiste«, sagte Erna vertraulich zu ihrer Mutter.

»Erna, ich weiß nicht ... wobei ... interessant sind sie schon, und du liest ja auch gern ... aber Vater wird das nicht gefallen.«

»Das ist mir egal«, antwortete Erna mit lauter, klarer Stimme, »diese Bücher muss ich haben.«

»Mach, was du willst«, entgegnete ihre Mutter, und Erna meinte, einen warmen Schimmer in ihren Augen zu sehen.

Zusammen gingen sie durch den Auktionssaal und sahen sich Möbel und Hausrat an. Dabei grüßten sie immer wieder irgendwelche Bekannten, die sie dort trafen. Am Ende schlossen sie sich wieder Ernst an, der eingeschnappt am Kaffeestand wartete.

»Hast du noch mehr Blöcke und Stifte gefunden?«, fragte er seine Frau. Er konnte einfach nicht vergessen, wie sie sich seinerzeit seinem Willen widersetzt hatte.

»Nein, habe ich nicht«, sagte Viola mit ungewöhnlich selbstbewusster Stimme, »aber Rektor Påhlsson hatte wirklich viele schöne Bücher.«

»Bücher«, schnaubte Ernst, »als hätte man nicht in der Schule genug davon gehabt!«

Der Auktionator schlug dreimal mit dem Hammer auf den Tisch. Die Gespräche verstummten allmählich, und es war nur noch das leise Klappern vom Kaffeestand zu hören.

»Herzlich willkommen. Heute wird der Nachlass von Rektor Påhlsson versteigert. Wie immer gilt Barzahlung. Beim Kauf fallen zehn Prozent Provision einschließlich Mehrwertsteuer an. Die Gegenstände werden in dem Zustand verkauft, in dem sie sich befinden. Erwünscht sind Gebote so hoch wie der Hörbyer Sendemast«, scherzte er, »und so schnell wie der Blitz.«

Es wurde gelacht, und der Hammer schlug weitere drei Male auf den Tisch. Neben dem Versteigerer saß geduldig seine Frau, die alle Gebote aufschreiben und den Überblick über die Auktionsgegenstände behalten musste.

»Ein Rauchtisch mit Kupferplatte und Aschenbecher. Na, wie sieht es mit einem Gebot aus?«

Artur Andersson, der Sohn des Tischlers, hielt die zu versteigernden Gegenstände in die Höhe. Er war ein Sonderling, schüchtern und einfältig, aber bei den Auktionen wuchs er über sich hinaus. Vorsichtig hob er die Stücke hoch, trug stolz die alte Schaffnertasche auf dem Bauch herum und kassierte das Geld für den verkauften Trödel ein. Rechnen konnte er, aber im Übrigen war er im Kopf nicht sonderlich fix.

»Vierhundert da hinten bei der Säule, los jetzt, etwas mehr darf es schon sein. Vierhundert, vierhundert zum Ersten ... Vierhundertfünfzig zum Ersten, zum Zweiten ...« Der Versteigerer ließ seinen Hammer auf die Tischplatte sausen. »Wirklich billig.« Er wandte sich an Artur, der bereits den nächsten Gegenstand hochhielt. »Hier haben wir den ersten Karton mit Büchern. Na, kriege ich ein Gebot? Wunderbare Bücher, Halblederbände. Beeilt euch, das Eishockeyspiel fängt um acht Uhr an. Und, wie sieht es aus?«

»Hundert Kronen.«

Die Stimme war die eines Mannes, der hinter Erna stand. Sie drehte sich um und wurde etwas verlegen, als er ihren Blick erwiderte. Rasch drehte sie sich wieder nach vorn.

Hundert Kronen! Mehr nicht. Der Hammerschlag hallte, und Artur bahnte sich einen Weg durch die Menge, um dem Mann die Kiste zu überreichen. Erna hörte, dass der Fremde einen mittelschwedischen Dialekt sprach.

Der Hausrat wurde Stück um Stück in alle Winde zerstreut, und mit der Zeit zerstreute sich auch die Menge. Erna und ihre Eltern pflegten nach der Halbzeit eine Tasse Kaffee zu trinken und eine Zimtschnecke zu essen. Das war etwas Besonderes, weil sie sonst nie auswärts aßen oder tranken. Bei einer Versteigerung gönnten sie sich jedoch diesen Luxus.

Erna fiel es schwer, sich zu konzentrieren. Sie behielt die ganze Zeit die zu versteigernden Gegenstände im Auge, denn sie hatte Angst, den Karton mit den heimatkundlichen Büchern zu verpassen. Auch Viola wirkte nervös, vielleicht weil sie wusste, dass ihre Tochter mitbieten wollte. Gerade als ihnen die Kellnerin das Tablett hinstellte, hielt Artur den Karton mit den Büchern in die Höhe.

»Hundert Kronen«, rief Erna, noch ehe der Auktionator etwas gesagt hatte.

»Hundert Kronen sind von Ernst Henningssons Erna geboten. Dann sollst du sie auch haben, Mädchen«, sagte der Versteigerer, noch ehe jemand mitbieten konnte. Erna wagte es nicht, ihren Vater anzusehen. Sie zog ihr Portemonnaie aus der Tasche und reichte Artur fünf Zwanzigkronenscheine.

»Ist das dein Beitrag zur Altpapiersammlung?«, fragte Ernst mit harter Stimme und deutete auf die Bücher. Erna sah sich verlegen um, um sich zu vergewissern, dass ihn niemand gehört hatte.

»Das sind schöne Bücher. Ich habe sie mir auch angesehen«, warf Viola ein und starrte auf die Tischplatte.

»Wie nett«, meinte Ernst säuerlich. »Dann können wir uns ja bald die Fernsehgebühren sparen. Stattdessen können wir abends lesen.« Er biss in seine Zimtschnecke und schmatzte laut. Als sie fertig waren, standen Ernst und Viola auf, während Erna sitzen blieb, weil sie ihre Bücher nicht unbeaufsichtigt lassen wollte.

»Ist hier noch frei?«

Erna drehte sich um. Vor ihr stand der Mann, der auf die anderen Bücher geboten hatte.

»Natürlich. Bitte schön«, sagte sie freundlich und schob die Krümel von den Zimtschnecken zu einem kleinen Haufen zusammen.

»Sie interessieren sich also auch für Literatur«, stellte der Mann fest und deutete auf Ernas Karton.

»Ja«, antwortete Erna und dachte plötzlich an ihren Kopf und ihr seltsames Haar. Sie bereute es, nicht, wie sie es vorgehabt hatte, ein Tuch umgebunden zu haben. Aber dafür war es zu spät, und sie hatte das Gefühl, dass ihr Kopf irgendwie immer größer wurde, aber vielleicht lag das auch daran, dass ihr Herz so heftig pochte. Die Stimme des Mannes war so warm und herzlich. Wann hatte sie schon mal jemanden im Dorf von Büchern als Literatur sprechen hören?

»Ja, ich lese viel.«

Sein Blick wich ihr nicht aus, als sie ihn betrachtete. Sie war es gewohnt, dass ihr Aussehen die Leute in Verlegenheit brachte und dass sie den Blick abwandten.

»Schauen Sie mal, was für ein Schnäppchen ich gemacht habe!«, fuhr er stolz fort. »Die Grundlagen der Archäologie. Sieben Bände ... illustriert.«

»Wie interessant. Ich habe ein paar heimatkundliche Bücher ersteigert.« Erna schaute nervös nach ihren Eltern.

»Erwarten Sie jemanden?«

»Nein, nein.«

Gerade als Erna ihre Bücher aus dem Karton nehmen und vorführen wollte, trat Ernst an den Tisch. Er grüßte nicht, sondern zerrte Erna einfach nur unwirsch am Arm.

»Wir fahren!«

Sie legte die Bücher in den Karton zurück. Erhob sich verlegen und schob dann die Krümel ein weiteres Mal zusammen.

»Nett, Sie kennengelernt zu haben«, sagte der Fremde.

Sie lächelte verkrampft und hob die Bücherkiste hoch. Er stand auf, als wollte er sie am Gehen hindern.

»Wir sollten vielleicht mal ...«

Erna hörte die Fortsetzung nicht mehr, denn sie war schon auf dem Weg nach draußen zum Auto. Ihre Mutter saß bereits auf dem Beifahrersitz. Verärgert öffnete Ernst den Kofferraum.

»Mit etwas Glück passt die Büchereifiliale Kivik hier hinten tatsächlich noch rein«, meinte er mürrisch.

Erna antwortete nicht, sondern stellte den Karton in den Kofferraum und nahm dann schweigend auf dem Rücksitz Platz.

Sie fühlte sich innerlich ganz leer, und plötzlich überkam sie dieses merkwürdige Empfinden, das irgendwo in der Mitte zwischen Lachen und Weinen lag. Zum ersten Mal hatte sie es bei ihrer Konfirmation erlebt. Als sie vor dem Altar gestanden hatte und das Brot hatte empfangen sollen, hätte sie sich fast vor Lachen geschüttelt. Sie hatte nicht gewusst, warum, schließlich war sie ja innerlich vollkommen ernst gewesen, ja, ergriffen von der Feierlichkeit des Augenblicks, aber die Anspannung hatte irgendetwas in ihr zum Kippen gebracht.

Sie hatte oft über diesen Vorfall nachgedacht. Sie mochte gar nicht daran denken, was ihre Eltern gesagt hätten, wenn sie ihnen beim heiligen Abendmahl die Schande bereitet hätte, in lautes Gelächter auszubrechen. Es wäre zwar kein normales Lachen gewesen, das wusste Erna, aber sie schämte sich trotzdem. Während der darauffolgenden Wochen meinte sie zu spüren, dass Gott irgendwie Genugtuung von ihr verlangte. Zum ersten Mal hatte sie seine Stimme in der Schule in einer Geschichtsstunde gehört.

»Lies den Katechismus, lies den Katechismus«, hatte sie über ihrem Kopf gehört. Es war ein schreckliches Erlebnis gewesen. Am selben Tag hatte sie ihre Menstruation bekommen, und sie hatte gespürt, wie das Blut förmlich aus ihr herausgeströmt war. Ich muss Gottes Mahnung befolgen, sonst verblute ich, hatte sie gedacht. Stina aus Kulladal hatte nach der Schule mit ihr spielen wollen, aber Erna hatte gelogen und behauptet, sie müsse im Stall mithelfen. Wie eine Wahnsinnige war sie nach Hause geradelt. Sie hatte Angst gehabt, dass Gott sie ein weiteres Mal anrufen würde. Gerade als sie die Einfahrt zum Hof hinaufgekeucht war, hatte sie die Stimme erneut vernommen: »Lies den Katechismus, lies den Katechismus, jeden Mittwoch ...«

Erna spürte, wie ihr Herz schlug. Selbst ihre Mutter, die ihre Gemütsverfassung stets so gut zu deuten wusste, sah erstaunt aus, als ihre Tochter atemlos ins Haus rannte. Erna warf ihre Schultasche in der Diele ab, stürmte auf ihr Zimmer und schloss die Tür hinter sich ab, was sie noch nie getan hatte.

»Erna, Erna«, hörte sie ihre Mutter vor der Tür flüstern. Doch sie antwortete nicht, sondern suchte im Schrank nach dem kleinen Katechismus, den sie zur Konfirmation bekommen hatte. Dann setzte sie sich und begann zu lesen. Erst nach einer Stunde begann sie einen gewissen inneren Frieden zu empfinden. Jetzt ist Gott vermutlich zufrieden, dachte sie und legte das Buch wieder in den Schrank. Fast ein Jahr lang las sie jeden Mittwoch im Katechismus, wie Gott es ihr aufgetragen hatte. Sie hatte Angst, Gottes mahnende Stimme wieder hören zu müssen, erzählte aber niemandem von dieser merkwürdigen Offenbarung.

Ein zweites Mal überwältigte Erna dieses seltsame Gefühl, dass sich die Grenze zwischen Lachen und Weinen verwischte, bei der Beerdigung ihrer Tante. Als der Pfarrer sagte: »Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden«, meinte sie von einem hysterischen Lachen zerrissen zu werden. Sie presste die Hände so fest zusammen, dass sie fast die rote Nelke zerdrückt hätte. Sie schaute auf ihre Mutter, die die ganze Zeit weinte, und hatte auf einmal das Gefühl, dass gleich alle Dämme brechen würden. Die weitere Rede des Pfarrers war völlig an ihr vorbeigegangen.

Viola hatte ihre Tochter damals anstoßen müssen, damit diese aus ihren Gedanken aufschreckte und wieder zur Beerdigung ihrer Tante zurückkehrte. Das unangenehme Gefühl, in Lachen ausbrechen zu müssen, war in aufrichtige Wehmut umgeschlagen. Erna wusste, dass ihre Tante ihrer Mutter sehr viel bedeutet hatte. Sie hatte oft gehört, wie sie sich vertraulich am Telefon miteinander unterhalten hatten. Und schließlich hatte ihr Mitgefühl mit der Mutter den Tränenfluss ausgelöst.

Erna zuckte zusammen und kehrte in die Gegenwart zurück. Sie sah ihren Vater an und begegnete für einen kurzen Moment seinem Blick im Rückspiegel. Die Augen waren kalt und hart. Er sah erschöpft und alt aus, sein Gesicht war zerfurcht und seine Haut gerötet. Sein Haar war fettig von zu viel Pomade, und er hatte ein paar längere Haarsträhnen über seine Glatze gekämmt. Erna hatte diese seltsame Frisur immer abstoßend gefunden und nicht verstanden, dass er seine Glatze nicht einfach akzeptierte, da er es ja auch im Übrigen mit seinem Äußeren nicht so genau nahm.

»Rut Assarsson hat sich eine schöne Lampe gekauft«, sagte Viola plötzlich, weil ihr die Stille offenbar .zu lang dauerte.