Die Liebe tanzt barfuß am Strand - Gabriella Engelmann - E-Book
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Die Liebe tanzt barfuß am Strand E-Book

Gabriella Engelmann

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Beschreibung

Wellenrauschen mit Herzklopfen: In ihrem Wohlfühlroman »Die Liebe tanzt barfuß am Strand« entführt Bestseller-Autorin Gabriella Engelmann an die Nordsee in die zauberhafte Kleinstadt Lütteby.   Idyllisch, charmant und ein bisschen aus der Zeit gefallen – das ist Lütteby an der Nordsee. Hier wohnt die 35-jährige Lina Hansen zusammen mit ihrer sagenkundigen Großmutter Henrikje in einem hyggeligen Giebelhäuschen am Marktplatz. Linas beste Freundin, die lebhafte Sinje, ist Lüttebys Pastorin – und verwickelt Lina gern in schräge Abenteuer, vor allem, wenn es um die alte Kapitänsvilla am Waldrand geht, in der es angeblich spukt. Eine historische Fehde entzweite einst die Kleinstädte Lütteby und Grotersum, und es geht die Legende, dass Liebende aus den beiden Orten niemals zueinander finden werden. Doch was bedeutet das für Lina, deren attraktiver neuer Chef Jonas Carstensen ausgerechnet aus Grotersum entsandt wurde? Richtig trubelig wird es, als Lina ein Glückstagebuch ihrer Mutter Florence findet, die als junge Frau einfach verschwand und Lina als Baby bei der Großmutter ließ. Und als dann auch noch Linas alte Liebe Olaf auftaucht und ihr Avancen macht, ist das Gefühlschaos perfekt.   »Die Liebe tanzt barfuß am Strand« ist der erste Band der Wohlfühlroman-Serie »Zauberhaftes Lütteby«. Wie es mit Lina Hansen, Jonas Carstensen und den anderen liebenswert-eigenwilligen Bewohnern der Kleinstadt an der Nordsee weitergeht, erzählt Gabriella Engelmann in »Das Glück kommt in Wellen«.

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Seitenzahl: 359

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Gabriella Engelmann

Die Liebe tanzt barfuß am Strand

Roman

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Idyllisch, charmant und ein bisschen aus der Zeit gefallen – das ist Lütteby an der Nordsee. Hier wohnt die 35-jährige Lina Hansen zusammen mit ihrer sagenkundigen Großmutter Henrijke in einem hyggeligen Giebelhäuschen am Marktplatz. Linas beste Freundin, die lebhafte Sinje, ist Lüttebys Pastorin – und verwickelt Lina gern in schräge Abenteuer, vor allem, wenn es um die alte Kapitänsvilla am Waldrand geht, in der es angeblich spukt. Eine historische Fehde entzweite einst die Kleinstädte Lütteby und Grotersum, und es geht die Legende, dass Liebende aus den beiden Orten niemals zueinander finden werden. Doch was bedeutet das für Lina, deren attraktiver neuer Chef Jonas Carstensen ausgerechnet aus Grotersum entsandt wurde? Richtig trubelig wird es, als Lina ein Glückstagebuch ihrer Mutter Florence findet, die als junge Frau einfach verschwand und Lina als Baby bei der Großmutter ließ. Und als dann auch noch Linas alte Liebe Olaf auftaucht und ihr Avancen macht, ist das Gefühlschaos perfekt.

»Die Liebe tanzt barfuß am Strand« ist der erste Band der Wohlfühlroman-Serie »Zauberhaftes Lütteby«.

Inhaltsübersicht

Vorspann

Prolog

Motto

1. Kapitel

2. Kapitel

Motto

3. Kapitel

4. Kapitel

Motto

5. Kapitel

6. Kapitel

Motto

7. Kapitel

8. Kapitel

Motto

9. Kapitel

10. Kapitel

Motto

11. Kapitel

12. Kapitel

Motto

13. Kapitel

14. Kapitel

Motto

15. Kapitel

16. Kapitel

Motto

17. Kapitel

18. Kapitel

Motto

19. Kapitel

20. Kapitel

Motto

21. Kapitel

22. Kapitel

Motto

23. Kapitel

24. Kapitel

Motto

25. Kapitel

26. Kapitel

Motto

27. Kapitel

28. Kapitel

Motto

29. Kapitel

30. Kapitel

Rezepte

Heiße Glücklichmacher

Glückstee zum Selbermachen

Süß & cremig

Schnüüs – Glücklich machender Gemüseeintopf mit regionalen Köstlichkeiten vom Markt, neudeutsch SOULFOOD genannt:

Oma Henrikjes Hühnersuppe mit Herz-Nudeln

Es war einmal eine kleine Stadt am Meer.

Ihr Kirchspiel trotzte tapfer der großen Sturmflut von 1634 und blieb wie durch ein Wunder unversehrt, genau wie die Bewohner.

Der benachbarten Stadt, größer an Fläche und Zahl der Einwohner, spielte das Schicksal jedoch übel mit.

Viele Menschen fanden den Tod, die Kirche wurde bis auf die Grundmauern zerstört.

So manch einer munkelte, Gott hätte diesen Ort für immer verlassen.

Nach jener Katastrophe entbrannte eine Fehde zwischen den einst befreundeten Orten und bedrohte eine große Liebe, deren zarte Bande am Marktplatz der kleinen Stadt geknüpft wurden.

 

Die Legende besagt, dass die jahrtausendealte Feindschaft erst endet, wenn die Seelen der beiden Liebenden ewige Ruhe gefunden haben.

Dann wird endlich Friede sein zwischen Lütteby und Grotersum, und Liebespaare aus beiden Ortschaften können wieder glücklich zusammenfinden.

Prolog

Der Ausblick vom Kirchturm auf einen kleinen, magischen Ort irgendwo in der Nähe der Nordsee ist so ziemlich der schönste, den ich kenne.

Dieser Turm ist allerdings nicht für jeden zugänglich.

Auf seine Plattform dürfen eigentlich nur meine beste Freundin, Pastorin Sinje Meyer, der Mann, der das Glockenspiel wartet – und freche Möwen. Doch heute brauche ich dringend einen Perspektivwechsel und Ruhe zum Nachdenken, deshalb bin ich ausnahmsweise zu Gast auf diesem Logenplatz.

»So, ich lass dich jetzt allein«, sagt Sinje, nachdem wir beide zahllose Treppenstufen erklommen und eine ganze Weile Seite an Seite in den blitzblauen Himmel geschaut haben.

Mit den Worten »Komm einfach wieder runter, wenn du so weit bist, und schließ dann hinter dir ab, ja?« reicht sie mir den Schlüssel, drückt mich und sagt: »Alles wird wieder gut, du musst nur fest daran glauben. Und egal, was auch passiert, du bist nicht allein. Aber das weißt du ja.«

Kaum ist Sinje gegangen, verliere ich mich im Ausblick auf einen Ort, an dem sich immer wieder Wunder ereignen – sofern man offen für sie ist und auch selbst etwas dafür tut, dass solche Wunder geschehen können.

Schaut man von der umlaufenden Galerie auf den Platz inmitten unseres Städtchens hinab, den wir den kleinen Marktplatz am Meer nennen, wird einem warm vor Glück und Freude.

Er ist kugelrund wie die Sonne und das Herzstück von Lütteby, einer winzigen Stadt mit 3365 Einwohnern, die sich durch Eingemeindung offiziell »Kleinstadt« nennen darf.

Hier begrüßen wir einander freundlich, tauschen Neuigkeiten oder Geschenke aus und schimpfen auch mal wie ein Rohrspatz, wenn es etwas zu schimpfen gibt.

Der Marktplatz wird umsäumt von hübschen, teils windschiefen Giebelhäuschen, einige von ihnen hellgelb getüncht, andere blassrosa, weiß oder hellblau.

Im Winter, wenn der Schnee auf den Dächern liegt wie Schlagsahne auf der Friesentorte, ähnelt dieser Anblick einem Adventskalender. Im Sommer schützen bunte Markisen und Schirme die Auslagen der Lädchen, des französischen Cafés und des italienischen Restaurants vor der prallen Sonne.

An diesem zauberhaften Ort kaufen wir duftende Blumen, knackfrisches Baguette, aromatisches Obst und Gemüse, trinken köstlichen Kaffee, plaudern mit dem Fischverkäufer über den catch of the day und probieren am Käsestand neue Köstlichkeiten.

Verliebte treffen sich zu einem Rendezvous auf der Bank. Menschen, die sich spinnefeind sind und einander nicht begegnen wollen, verstecken sich hinter der Tageszeitung oder einem aufgespannten Regenschirm.

Wie kann ich ihm nach all dem, was geschehen ist, überhaupt noch begegnen?, frage ich mich, während ich grüblerisch in den tiefblauen Himmel schaue. Wie soll ich mich jemandem gegenüber verhalten, der alles verraten hat, was mir lieb und teuer ist?

Der mir so wehgetan hat, dass ich kaum noch atmen kann.

Bevor ich jedoch eine Entscheidung treffe, die weitreichende Konsequenzen hat, lasse ich die vergangenen Wochen Revue passieren wie einen Film, von dem ich nicht weiß, ob er ein Happy End haben wird, auch wenn ich es mir so sehr wünsche …

»Soll ich deinen armen, kranken Chef mit einem meiner Wundertees heilen?« Die Augen meiner Großmutter Henrikje funkeln abenteuerlustig, als wir nach Geschäftsschluss gemeinsam alles ins Innere ihres Lädchens am Marktplatz räumen, was auf dem Kopfsteinpflaster steht: den Postkartenaufsteller, ein Regal voller Plüschtiere, den Ständer mit Keramikbechern sowie einen geflochtenen Korb, in dem Regenschirme, Windräder mit Flügeln aus buntem Sperrholz und Fackeln stecken.

»Nette Idee«, sage ich schmunzelnd. »Aber lass mal lieber erst die Ärzte ihren Job machen und Thorstens gebrochenes Bein behandeln. Danach kannst du den Genesungsprozess immer noch mit Räucherritualen und Aromasalben unterstützen.«

»Schade, ich hätte so gern mal wieder ein bisschen mit meinem Kräuterwissen geglänzt und mit weißer Magie experimentiert«, erwidert Henrikje enttäuscht. »Aber was soll’s, vielleicht versuche ich stattdessen lieber, Thorstens Krankheitsvertretung in der Touristeninformation wegzuzaubern. Ich bin nämlich der Ansicht, du könntest die Zeit, in der Thorsten ausfällt, auch ohne zusätzliche Hilfe bewältigen, so gut, wie du deinen Job machst, Lina Lieblingsenkelin Hansen.«

»Danke für das Kompliment, Henrikje Lieblingsoma Hansen«, erwidere ich gerührt. »Darf ich dich daran erinnern, dass du nur die eine hast?! So, jetzt aber Schluss mit dem Job-Thema. Lass uns lieber mit den anderen was Nettes trinken und ein bisschen über den heutigen Tag plaudern. Habe ich dir eigentlich schon mal gesagt, wie sehr ich es liebe, wenn wir uns alle treffen?«

»Nur ungefähr zweitausendeinhundertneunzig Mal, seit du wieder aus Hamburg zurück bist«, entgegnet Henrikje augenzwinkernd. »Also beinahe täglich seit sechs Jahren.«

»Wie gut, dass du so super rechnen kannst«, erwidere ich schmunzelnd und erspähe durch die Fensterscheibe die ersten Ladenbesitzer, die sich an einem der beiden hohen Bistrotische versammeln. Die Tische sind, je nach Saison, mit Vasen voll duftender Blumen oder blühender Zweige dekoriert und stammen allesamt aus Violettas Blumenladen am Markt. Wer nicht stehen möchte, setzt sich auf die aus Eisen gedrechselte Bank vor dem Lädchen mit den farbenfrohen Kissen, selbst genäht von Henrikje.

»Eis oder Kaffee?«, fragt Amelie Bernard, als Henrikje und ich alles weggeräumt haben. Die Französin arbeitet in dem Café zwei Häuser neben dem Lädchen und sorgt bei den Treffen am Markt üblicherweise für unser leibliches Wohl. »Oder ’ättest du lieber selbst gemachte Limonade?« Ich schüttle den Kopf und bitte um Schokoeis, denn heute brauche ich es süß und cremig.

»Freust du dich auf deinen neuen Chef?«, fragt der soeben eingetroffene Ahmet Coskun aus Ankara, Besitzer des Lotto-Kiosks. Der Kiosk ist im Erdgeschoss des übernächsten Hauses untergebracht, links vom Lädchen. Dort kaufen die Bewohner Lüttebys Mode- und Wohnzeitschriften, Rätselhefte und die Lokalzeitung Unser kleiner Marktplatz.

Und schon biegt noch jemand um die Ecke, sichtlich abgehetzt. »Wie ich hörte, bekommst du einen neuen Vorgesetzten. Was ist denn mit Thorsten? Geht er etwa endlich in Rente?«, fragt Sinje schwer atmend. »Und wieso erfahre ich das nicht direkt von dir, sondern nur, weil die Möwen es von den Dächern kreischen? Sorry übrigens, dass ich so schnaufe, aber ich habe es nur mit Müh und Not geschafft, mich von der Besprechung mit dem Vikar loszueisen, und bin gerannt. Puh, ich muss unbedingt wieder trainieren, damit ich ins Brautkleid passe. Was für eine elende Schinderei.«

Für gewöhnlich ist Sinje – neben Henrikje – eine der Ersten, denen ich Neuigkeiten anvertraue, doch heute war in der Touristeninformation ungewöhnlich viel zu tun.

»Ich hatte leider noch keine Zeit, mich bei dir zu melden«, erwidere ich. »Thorsten ist für eine Weile krankgeschrieben, aber keine Sorge, es ist zum Glück nichts Schlimmes. Er ist sicher bald wieder zurück im Büro.«

Ich bekomme sofort wieder Gänsehaut, wenn ich an die Nachricht denke, die mir am Sonntag einen ganz schönen Schrecken eingejagt hat. »Moin, Lina«, tönte es mit gepresster Stimme, die ganz nach Thorstens Frau Irmel klang, durchs Handy. »Thorsten is’ vom Baum gefallen und wird jetzt im Krankenhaus zusammengeflickt. Kann ’ne Weile dauern, bis er wieder fit ist. Am Mittwoch kommt jemand aus der Stadt, der ihn vertritt, soll ich dir bestellen.«

Ich wollte wissen, ob er lieber Erdbeerkuchen möchte oder Zimtschnecken, wenn ich ihm einen Krankenbesuch abstatte.

Und natürlich, was da genau passiert war.

Doch die Leitung war tot, ehe ich Fragen stellen konnte.

Für eine wie Irmel waren das schon ziemlich viele Worte.

»Wer hat dir denn die Neuigkeit aus unserem Büro gesteckt, Ahmet?«, frage ich, stets erstaunt über die Geschwindigkeit, in der sich alles in Lütteby verbreitet. Begriffe wie »Lauffeuer« und »Windeseile« sind geradezu lahm gegen unsere »Stille Kleinstadt-Post«.

Ahmet schmunzelt. »Ich weiß es, weil ein gewisser Jonas Carstensen eine Ferienwohnung bei meinem Schwager gemietet hat. Er wird für die Dauer der Zeit hier wohnen, in der er Thorsten im Bereich Touristeninformation und Stadtmarketing vertritt, wie er sagte, als Cem ihn nach dem Grund für seinen Aufenthalt gefragt hat«, erklärt der Kioskbesitzer.

»Wo hat er denn vorher gearbeitet?«, fragt Sinje zu mir gewandt. Auch sie will immer alles ganz genau wissen. Vor allem, wenn es um die Schäfchen in ihrer Gemeinde geht.

Ich erwidere: »Jonas Carstensen war bis zum Wintersemester letzten Jahres an der Hochschule in Luzern als Dozent für den Fachbereich Business Administration Tourism tätig, viel mehr weiß ich leider auch nicht.«

Ahmet ist offenbar genauso begierig, möglichst viel über den Neuen zu erfahren, wie Violetta Enzmann aus dem Blumenladen, Apotheker Kai Bredow und Michaela Pohl aus dem Modestübchen. Die Luft vibriert förmlich vor Spannung, weil in Lütteby nur selten etwas wirklich Aufregendes geschieht. Einzige Ausnahme: die durchtriebenen Ränkespiele des Bürgermeisters, Liebschaften, Geburten und Trennungen. Und natürlich das Auftauchen von Neuankömmlingen, über die jeder hier am liebsten alles sofort und bis ins kleinste Detail wissen möchte, weshalb auch ich natürlich sofort gegoogelt habe.

Laut Bewertungen im Netz durch Studenten scheint mein künftiger Vorgesetzter äußerst kompetent zu sein, aber auch ein tougher, strenger Lehrer.

Insbesondere jemand namens Cinderella lässt kein gutes Haar an ihm und ätzt, man könne nichts von Carstensen lernen, weil er inkompetent, selbstverliebt und arrogant sei.

Doch sollte man anonymen Bewertungen Glauben schenken?

Wohl besser nicht.

»Was will so einer denn bei uns? Ist es hier für ihn nicht ein bisschen zu … provinziell …?«, fragt Kai.

Unser Apotheker hat mal wieder vergessen, den weißen Kittel auszuziehen, der über seinem wohlgerundeten Bauch spannt. Kais Gesicht ist ebenfalls rund, und er hat fast immer eine rote Nase. Hoffentlich misst er regelmäßig seinen Blutdruck.

»Schaffst du die zwei bis drei Wochen in der Touristeninformation denn nicht zusammen mit Rantje?«

Das habe ich mich allerdings auch schon gefragt, denn es ist ziemlich viel Aufwand, jemanden einzuarbeiten, der nicht mit den Besonderheiten dieses Ortes vertraut ist. Und es gibt meinerseits auch ein kleines Hindernis. »Das ginge nur, wenn ich Henrikje in dieser Zeit nicht im Laden helfen würde«, erwidere ich, und Kai wiegt den Kopf hin und her – seine spezielle Art zu zeigen, dass er darüber nachdenkt, was der andere gerade gesagt hat.

»Ich würde dir natürlich freigeben, Liebes«, mischt sich meine Großmutter ins Gespräch, »aber dann müsstest du sechs Tage die Woche die Urlauber betreuen und parallel den Trachtentanzwettbewerb organisieren, wie mir gerade eben eingefallen ist. Das ist zwar machbar, aber auch ganz schön viel Arbeit, also ist es vielleicht doch ganz gut, wenn ihr Ersatz für Thorsten bekommt. Außerdem schadet ein bisschen frischer Wind im Gäste-Service ja auch nicht, oder? Wie heißt es doch so schön? Neue Besen kehren gut – oder zumindest anders. Wer weiß, was man da so alles lernen kann.«

»Diesen Satz würde ich niemals einfach so unterschreiben, es sei denn, ich habe besagten Besen zuvor getestet«, gebe ich zurück. Seltsam zu wissen, dass ab Mittwoch ein Fremder im Büro auftauchen und mir vermutlich Vorschriften machen wird. Aber das lässt sich jetzt nicht mehr ändern, also zerbreche ich mir vorher besser nicht den Kopf. Es kommt ohnehin, wie es kommen soll.

»Ist er womöglich arbeitslos, hat eine Familie zu ernähren und muss nun nehmen, was er kriegen kann?«, mutmaßt Michaela aus dem Modestübchen, das neben dem gängigen Sortiment auch große Größen führt. Wenn man ein Kleid oder eine Hose bei ihr kauft, kommt man nicht nur mit einer Einkaufstüte nach Hause, sondern mit einem Haufen an Informationen, die man vielleicht gar nicht haben wollte.

»Sieht er gut aus?«, fragt Violetta, nestelt an der Deko herum und hat ihre Frage im selben Moment schon wieder vergessen, weil sie mit den Blumen beschäftigt ist. »Kann es sein, dass du die Stängel gestern nicht angeschnitten hast?«, fragt sie und wirft Henrikje einen vorwurfsvollen Blick zu. »An warmen Tagen verwelken die Blumen schnell, wenn du ihnen keine Aufmerksamkeit und Liebe schenkst.«

Violettas Tadel steht in völligem Kontrast zum lieblichen Trällern der Vögel in den hohen Kastanien und dem sanften Plätschern des Wassers im Brunnen, umgeben von einem Rundbeet und Holzbänken. Violettas zehnjährige Tochter Mathilda macht große Kulleraugen, es passiert schließlich nicht häufig, dass Erwachsene in ihrer Gegenwart »Schimpfe« bekommen.

»Tut mir leid, ich hab’s vergessen«, murmelt Henrikje schuldbewusst und trinkt das Glas Ingwerlimonade aus.

Mathilda grinst und zeigt dabei eine Zahnreihe mit einer Lücke. Offenbar hatte sie gerade Besuch von der Zahnfee. »In letzter Zeit passiert mir das leider öfter, weil mein Kopf so voll ist. Aber schön, dass du so ein Händchen für Blüten hast, Vio. Ich finde, dass der Marktplatz seit der Aussaat von Wildblumensamen in den Beeten um den Brunnen sehr gewonnen hat. Diese Mischung aus Kornblumen, Klatschmohn und Zwergstorchschnabel ist wirklich wundervoll. Wobei das Wort ›Zwergstorchschnabel‹ ein ziemlicher Zungenbrecher ist.«

Mathilda nimmt Henrikjes Hand und fragt besorgt: »Hast du Kopfweh? Das ist doof, das hab ich auch manchmal.«

»Keine Sorge, Matti, bei Henrikje ist alles in Ordnung«, entgegnet Violetta ungerührt. Zu ihr gewandt, sagt sie: »Lenk nicht ab, denn ich falle nicht mehr auf deine taktischen Manöver herein. Gib den Blumen einfach jeden Morgen frisches Wasser, bevor du den Laden öffnest, und schneide die Stängel an, dann hast du das aus dem Kopf. Oder möchtest du die Deko lieber drüben in Grotersum kaufen und ein Vermögen dafür ausgeben?«

»Möchtest du die Kräuter für deine speziellen Teemischungen lieber selbst im Wald pflücken?«, pflaumt Henrikje zurück.

Mathilda hält sich beide Ohren zu und verzieht gequält ihr süßes Gesichtchen.

»Schluss jetzt, ihr beiden, ihr macht Matti Angst. Wenn man euch so reden hört, könnte man meinen, ihr mögt einander nicht«, mischt Sinje sich in die Zankerei zwischen Henrikje und der Mitte vierzigjährigen Floristin. »Dabei liebt ihr euch doch heiß und innig. Sollte ich mich allerdings irren, und das ist nicht mehr der Fall, kommt gern zu mir ins Pastorat, dann nehme ich euch beide mal gehörig ins Gebet. Ich dulde in meiner Gemeinde keine Missstimmung.«

»Alles gut, wir flachsen nur«, sagt Violetta und streichelt ihrer Tochter beruhigend über die schwedischblonden Korkenzieherlocken. Für eine Frau ist sie äußerst groß und hat ebenso große Füße, was es nicht leicht für sie macht, nach dem Tod von Mattis Vater einen Mann zu finden, dem sie nicht auf den Kopf spucken kann. »Also, Lina, zurück zu deinem neuen Chef: Wie sieht er aus? Ähnelt er irgendeinem Schauspieler?«

Diese Frage bringt mich ins Schleudern. Es ist mir vollkommen egal, wem dieser Mann womöglich ähnlich sieht, denn er ist bald mein Vorgesetzter.

»Eine Mischung aus Alexander Skarsgard und Gabriel Macht aus der Serie Suits«, sage ich nach einer Weile des Grübelns, weil ich weiß, dass Violetta sonst nicht lockerlässt. »Am besten googelst du ihn selbst.«

»Meghan Markle finde ich sooooooo toll«, schwärmt Mathilda. »Sie ist wunderschön und eine echte Prinzessin. Ich möchte auch mal eine Prinzessin werden oder Anwältin, wie in der Serie, oder eine Meerjungfrau.«

»Der Typ klingt super, hoffentlich ist er Single«, erwidert Violetta vergnügt, nachdem sie ihr Handy mit der Blumenhülle gezückt hat. Doch dann runzelt sie die Stirn. »Aber wieso kennst du die Serie Suits, Matti? Schaust du heimlich Netflix? Darüber reden wir aber nachher noch, mein Fräulein. Ich fass es nicht.«

Amelie, bislang sehr still, schaut ebenfalls auf Violettas Display, Kai rollt mit den Augen, Ahmet träumt mal wieder vor sich hin. Auch Sinje wirft einen kurzen Blick aufs Handy. »Nischt schlescht«, sagt Amelie schließlich und schnalzt mit der Zunge.

»Glaubst du, er ist über eins neunzig?«, fragt Violetta hoffnungsvoll. »Oder womöglich noch größer? Ich finde, er sieht aus wie ein Basketballer. Ich hätte so gern mal wieder ein Date, aber hier in Lütteby laufen ja keine anständigen Männer mehr frei herum.«

»Ach du je, wenn man euch so reden hört, könnte man meinen, ihr seid alle mannstoll«, sagt Henrikje seufzend. »Es gibt doch weitaus Wichtigeres im Leben, findet ihr nicht?«

»Das stimmt, und zwar Freundinnen-Plaudereien am Meer«, sagt Sinje und hakt sich bei mir ein. »Wollen wir nachher an den Strand, Lina? Ich habe heute keine Termine mehr, und Gunnar spielt mit seinen Kumpels Fußball.«

Mittlerweile ist es Zeit fürs Essen und Zeit, sich daheim mit den Liebsten darüber zu unterhalten, was einem gerade auf der Seele lastet oder am Herzen liegt. Die Markisen sind eingerollt, die Sonnenschirme zugeklappt, die Außendekoration in die Läden geräumt, das Geschlossen-Schild an die Tür gehängt. Nach und nach wird es still und leer auf dem kleinen Marktplatz, von dem die Straßen strahlenförmig abgehen.

»Sehr gern«, stimme ich begeistert zu, denn ich liebe die Abendstimmung am Meer. Der Tag klingt allmählich aus, es ist wunderbar ruhig, und es liegt eine ganz besondere Atmosphäre in der Luft. Beinahe wie ein Digestif nach einem besonders köstlichen Essen.

»Fein, dann packe ich uns was zum Picknicken ein«, sagt Sinje. »Wir treffen uns in zwanzig Minuten am Brunnen.«

 

Vom Glück einer glücklichen Kindheit

Um ein Kind großzuziehen, braucht es ein ganzes Dorf –

oder eine zauberhafte Kleinstadt wie Lütteby

1

Habt einen schönen Abend, ihr zwei, und ganz viel Spaß«, sagt Henrikje, nachdem wir gemeinsam ins Haus gegangen sind.

Sie selbst bewohnt das Erdgeschoss und den ersten Stock über dem Lädchen, ich den zweiten, direkt unter dem Giebeldach des hellblau getünchten Häuschens aus dem Jahre achtzehnhundertfünfzig.

»Solltest du noch wach sein, wenn ich heimkomme, könnten wir zusammen einen Schlummertee trinken«, schlage ich vor, während wir beide auf dem Treppenabsatz stehen, wo es nach jahrhundertealten Geschichten, Kräutern und warmem Holz duftet.

»Lass nur, das machen wir ein andermal«, winkt Henrikje ab. »Bleibt lieber so lange draußen, wie ihr könnt, und genießt die laue Frühsommernacht. Wer weiß, ob es die nächsten Tage auch so schön bleibt. Also, Liebes, ich sag dann schon mal Tschüss, bis morgen. Amüsier dich.«

Mit diesen Worten verschwindet sie in ihrer urgemütlichen Wohnung, die schwere Tür aus Eichenholz fällt ins Schloss.

Auf dem Weg nach oben knarzen und ächzen die Stufen unter mir.

Ich liebe dieses Geräusch, denn es erinnert mich daran, wie Oma sich von jeher auf kleinen Füßen, jedoch energischen Schrittes durch das alte Haus bewegt. Henrikje ist auch mit vierundsiebzig Jahren bewundernswert fit und agil, ein Vorbild für mich, seit ich denken kann. Und alles, was mir an Familie geblieben ist …

Nachdem ich die Tür zu meiner Wohnung geöffnet habe, halte ich einen Moment inne.

Früher waren die fünfzig Quadratmeter der Dachboden, und so, wie Dachböden meist sind: vollgerümpelt, ein bisschen muffig, im Sommer brütend heiß, doch auch geheimnisvoll und magisch. Als Kind habe ich kaum etwas mehr geliebt, als mit Sinje und anderen Freundinnen inmitten antiken Trödels, Spiegeln, Bildern und allerlei Krimskrams Verstecken zu spielen oder mich zu verkleiden.

In Henrikjes alter Schiffstruhe befanden sich Kostüme und sogar ein Ballkleid, nämlich das meiner Mutter. Natürlich alles viel zu groß, doch das war mir egal, es zählte allein der Spaß an der Kostümierung – auch wenn das Ballkleid mich stets schmerzlich an den Verlust meiner Mutter erinnert.

Wehmütig versunken in Gedanken an frühere Zeiten sage ich: »Hallo Mama«, und nehme ein Foto zur Hand, das auf der selbst gefertigten Wandleiste aus Treibholz im Flur steht.

Das Bild zeigt meine Mutter Florence, die einen französischen Vornamen hat, weil ihr Vater (in den Henrikje sich damals verliebt hatte) Franzose war. Die gerahmte Aufnahme ist eine der wenigen, die von uns beiden existieren. Ich bin darauf etwa eine Woche alt, immer noch ein wenig zerknautscht, aber zufrieden lächelnd. Diese Freude verließ mich jedoch einige Wochen später, als meine Mutter mir nichts, dir nichts spurlos verschwand und bis heute nicht wieder aufgetaucht ist. Es gibt Zeiten, in denen ich es immer noch nicht fassen kann, und dann wiederum solche, in denen dieses Gefühl des Verlassenseins so selbstverständlich für mich ist wie meine Tasse Guten-Morgen-Tee.

Als ich alt genug war, um Fragen zu stellen und zu realisieren, dass ich – im Gegensatz zu meinen Freundinnen – nicht in einer klassischen Mutter-Vater-Kind-Familie aufwuchs, war es mir zunächst schier unmöglich zu verstehen, wieso meine Situation völlig anders war als in meiner nahen Umgebung. Wenn Freundinnen sich darüber beklagten, dass ihre Mütter viel zu besorgt um sie waren, ihre Väter womöglich zu streng und ihre Geschwister nervig, beneidete ich sie glühend um diese »Probleme«. Wie gern wäre ich Seite an Seite mit meinem Vater durch den Gespensterwald von Lütteby gestreift oder hätte meiner Mutter von meinen Erlebnissen, Ängsten und Träumen erzählt. Von den Schwierigkeiten in Mathematik, dem ersten Streit mit Sinje und der Schwärmerei für einen Jungen.

Ich rechne es Henrikje hoch an, dass sie mich so liebevoll und behutsam durch diese Zeit geleitet und mir immer das Gefühl gegeben hat, dennoch nichts an Geborgenheit, Rückhalt und Unterstützung missen zu müssen.

Irgendwann habe ich eine Art Scheinfrieden mit mir geschlossen, der bis heute darin besteht, die Dinge so zu akzeptieren, wie sie sind, und dennoch auf meine Art Kontakt zu meiner Mutter zu halten. »Ich hatte heute einen guten, ereignisreichen Tag«, erzähle ich Florence, so wie ich es beinahe immer mache, um in Verbindung mit ihr zu bleiben, auch wenn ich nur mit ihrem Foto spreche. Es ist schließlich schwierig, die gefühlsmäßige Bindung an jemanden lebendig zu halten, den man nicht kennt und von dem man zuweilen glaubt, er hätte niemals wirklich existiert.

Da ist die Sache mit meinem Vater fast schon ein bisschen einfacher. Keiner weiß, wer er war, und ich bin mit dem Gefühl aufgewachsen, dass es ihn nie gegeben hat. Ich habe es schon seit Langem aufgegeben, Henrikje weitere Fragen zu stellen, denn ich bekomme ohnehin keine Antwort – weil sie selbst zu ihrem großen Kummer keine hat. Aber vielleicht ist das auch ganz gut so. Wer weiß schon, was ich erfahren würde, das ich besser gar nicht wissen sollte. »Ich bekomme wegen Thorstens Unfall vorübergehend einen neuen Chef, und alle sind schon ganz aufgeregt deshalb, ich natürlich auch. Aber ich lasse mich überraschen und fahre gleich mit Sinje ans Meer, habe also leider keine Zeit, lange zu plaudern. Bis später.« Ich küsse meine Fingerspitze und drücke den Finger auf Mamas Wange. Wo auch immer sie ist, ich hoffe, sie kann diesen Tochterkuss spüren.

Dann gehe ich in die winzige Küche mit den schweren Dachbalken, die ich gemeinsam mit Sinje weiß lasiert habe, trinke ein Glas Wasser und schaue aus dem Fenster auf den Marktplatz, voller Vorfreude auf die Verabredung am Meer.

Dieses Meer schwappt natürlich nicht bei Flut über die Treppenstufen unseres Giebelhäuschens, und man kann auch nicht von hier mit dem Kutter zum Krabbenfischen rausfahren. Aber es ist tatsächlich nur eine zehnminütige Autofahrt, fünf Minuten mit dem Fahrrad quer über die Felder, zwanzig Minuten Fußweg mit einem schwer beladenen Bollerwagen oder eine Dreiviertelstunde entfernt, wenn man verliebt in Richtung Deich schlendert und sich bei der Überquerung des Koogs andauernd küsst.

Doch jetzt bloß nicht über die leidigen Themen Liebe und Einsamkeit nachdenken, sondern ab ins Schlafzimmer zum Umziehen. »Ich habe schon lange niemanden mehr geküsst«, murmle ich, während ich in eine Jeans, ein T-Shirt und einen Hoodie schlüpfe. Das Kleid von heute Morgen landet inmitten meiner zahllosen Kissen auf dem Bett. »Und ich weiß wahrscheinlich auch gar nicht mehr, wie das geht.« Den letzten Teil des Satzes sage ich zu dem Bild, das der ovale Spiegel meines antiken Schminktisches zeigt, der meiner Mutter gehört hat und bis vor Kurzem ein Geheimnis in sich barg, wie ich neulich zu meiner großen Überraschung festgestellt habe.

Oje, ich muss mir diese Selbstgespräche dringend abgewöhnen, dazu bin ich mit fünfunddreißig eindeutig zu jung.

Offensichtlich wohne ich schon viel zu lange hier oben unterm Dach von Henrikjes Haus, nicht gerade passend für eine Frau meines Alters. Doch es war praktisch, nach der Rückkehr aus Hamburg und dem Abbruch meiner Laufbahn als Grundschullehrerin wieder hier einzuziehen, nachdem Henrikje sich entschieden hatte, den Dachboden zu einer Wohnung umbauen zu lassen. Außerdem glaube ich, dass es ihr guttut, nicht mehr allein leben zu müssen. Schließlich hat sie mich nach Mamas Verschwinden großgezogen, und wir bilden seitdem eine innige Einheit – nicht nur in der gemeinsamen Trauer über die Abwesenheit von Florence.

Versonnen nehme ich die Aufzeichnungen meiner Mutter zur Hand, die in einer Art Geheimfach des Schminktisches versteckt waren, und überfliege sie zum wiederholten Male, als sei in ihnen eine versteckte Botschaft enthalten, die entdeckt und entschlüsselt werden will. Ich wäre dann jetzt bereit, abgeholt zu werden und ans Meer zu fahren, steht dort in großer, schwungvoller Handschrift, die leicht nach rechts geneigt ist. Grafologen sprechen Menschen, die so schreiben, Großzügigkeit, Kontaktfreude und Impulsivität zu. Hat das plötzliche Verschwinden von Florence mit dieser Impulsivität zu tun? Wann immer ich mir Fragen dieser Art stelle, keimt auch Wut in mir auf: Wenn es eine ganz bewusste Entscheidung war, mich zu verlassen, ist es das Schlimmste, was eine Mutter ihrem Kind antun kann, und damit schier unvorstellbar.

Vielleicht ist ihr aber auch etwas Schreckliches zugestoßen, und ich klammere mich umsonst an die Hoffnung, sie könnte eines Tages wieder auftauchen und mich in ihre Arme schließen? Werde ich jemals die Antwort auf meine zahllosen, quälenden Fragen bekommen?

Ich glaube nicht mehr recht daran …

2

Da bist du ja«, sagt Sinje fröhlich, als ich mit fünfminütiger Verspätung am Brunnen ankomme. »Kann’s losgehen?«

Das Wetter ist frühsommerlich warm, und die Luft duftet nach Flieder, als wir mit den Rädern in Richtung Meer fahren. Kurze Zeit später haben wir unser Ziel – einen der beiden entgegengesetzt liegenden Sandstrandabschnitte von Lütteby – erreicht.

»Also, was weißt du wirklich über diesen Jonas Carstensen? Du hast ihn doch bestimmt schon mehrfach gegoogelt, seit du erfahren hast, dass er Thorsten vertritt«, sagt Sinje, während wir in trauter Eintracht das Essen, Kissen, eine Decke und Windlichter am Rande des Wassersaums drapieren.

Kaum jemand kennt mich so gut und lange wie Sinje Ella Meyer und umgekehrt. Unsere Bettchen standen nach der Geburt nebeneinander im hiesigen Kreiskrankenhaus, und seitdem sind nur wenige Tage vergangen, an denen wir uns nicht gesehen haben, bis auf unsere Studienzeiten. Sie ist einer der einfühlsamsten Menschen, die ich kenne, und in Momenten von Kummer und Trauer eine zuverlässige Stütze. Doch sie braust leider schnell auf und kann dann ganz schön viel Wirbel verursachen. In solchen Momenten nenne ich sie Brausella. Wahrscheinlich hat sie als Kind zu viel Brausepulver genascht, anders kann ich mir dieses überschäumende Temperament nicht erklären.

»Carstensen ist, wie du vorhin auf Violettas Handy gesehen hast, groß, schlank und hat dunkelblonde Haare. Außerdem Mund, Nase und Ohren«, erwidere ich auf Sinjes Frage.

Schluss mit den unwichtigen Äußerlichkeiten.

Mich interessiert viel mehr das spontane Gefühl, das ich habe, wenn jemand den Raum betritt. Ob er durchtrainiert ist, schlank oder rundlich, sagt doch nur wenig über seinen Charakter aus. Henrikje meint, ich reagiere auf die Aura der Menschen, ich nenne das eher Intuition.

»Ihm fehlen aber demnach Augen im Kopf, das ist ja doof«, sagt Sinje und verzieht den ohnehin schon unfassbar großen Mund zu einem breiten Lächeln. Ihre strohblonden Haare trägt sie heute zu einem Pferdeschwanz, die Augen blitzen hellblau aus dem ebenmäßigen Gesicht. Sie wäre geradezu ekelhaft perfekt, hätte sie nicht leicht abstehende Ohren und ein kleines Muttermal auf der rechten Wange, welches sie überschminkt.

»Augen, wieso Augen?«, frage ich verwirrt. Einen Moment lang stehe ich auf dem Schlauch, doch dann fällt der Groschen, und wir prusten beide wie auf Kommando los.

Sinje zückt ihr Handy, offensichtlich googelt sie Carstensen, um ihn sich noch genauer anzuschauen. »Ich würde sagen, er ist echt heiß und mit siebenunddreißig im besten Alter«, sagt sie schließlich, steckt das Smartphone wieder in die Tasche und lässt dann den Korken des Proseccos knallen. »Ich wünschte, ich könnte von Gunnar sagen, dass er immer noch so gut aussieht wie bei unserem Abiball.«

Sinjes Freund ist, wie schon Generationen seiner Familie zuvor, in Lütteby für alles zuständig, was im weitesten Sinne mit Wasser zu tun hat, und Mitglied bei der freiwilligen Feuerwehr. Er liebt es, »Wasser marsch!« zu rufen. Allerdings sagt er noch lieber: »Bier marsch!«, was Sinje manchmal nervt.

»Wir verändern uns doch alle im Lauf der Zeit und sehen beide nicht mehr aus wie vor siebzehn Jahren. Zum Glück, denn wir hatten damals megapeinliche Frisuren, und das Outfit würde heute jedem Designer Tränen in die Augen treiben«, sage ich, um Sinje zu trösten, aber auch, um Gunnar in Schutz zu nehmen. Dann fasse ich mir in die wirren Haare. »Meinst du, es liegt an der damaligen Blondfärbung, dass die Dinger da oben strohig geworden sind, egal, wie häufig ich Kurspülungen benutze?«

»Gesund war das auf alle Fälle nicht«, stimmt Sinje mir zu und mustert mich. »Ich finde, dass dir der natürliche, warme Rotton viel, viel besser steht. Deine Sommersprossen vermehren sich zurzeit rasant, vor allem auf der Nase und deinem Dekolleté, aber ich finde das toll. Du erinnerst mich immer mehr an eine irische Elfe.«

»An eine pummelige, irische Elfe«, knurre ich unwirsch, beiße aber trotzdem genüsslich in das Panino mit Tomate, Mozzarella und frischem Basilikum. Dabei läuft mir ein wenig von Sinjes selbst gemachtem Pesto am Kinn herunter.

Gut, dass wir Servietten dabeihaben.

»Das Wort ›pummelig‹ habe ich überhört, denn das ist totaler Quatsch, aber das weißt du ja selbst«, erwidert Sinje und tippt sich an die Stirn. »Wenn hier eine von uns ein paar Pfunde leichter werden sollte, dann ich. Bis zur ersten Anprobe des Brautkleids muss ich mindestens drei Kilo abspecken, andernfalls bin ich gezwungen, das Outfit bei Michaela zu kaufen oder es maßschneidern zu lassen.«

»Du hast definitiv einen an der Waffel«, protestiere ich, denn Sinje ist genau richtig, so wie sie ist. »Erzähl lieber, wie es mit dem Spendensammeln für das neue Glockenspiel läuft.«

Seit Beginn des Jahres ertönt kein Geläut mehr in unserer kleinen Stadt, weil die Glocken derart verstimmt waren, dass es in den Ohren wehtat. Der Transport zur Gießerei erwies sich als schwieriges Unterfangen, und als sich zu allem Überfluss auch noch herausstellte, dass zwei Glocken kaputt waren, war Sinje am Ende mit ihren Nerven.

Also habe ich Anfang März kurzerhand den Frühlingszauber ins Leben gerufen und anlässlich dieses Stadtfests um Spenden für die Reparatur gebeten.

»Es fehlen noch etwa fünfzehntausend Euro, aber die kriegen wir auch noch zusammen. Spätestens bis Ende des Jahres, wenn die Leute in vorweihnachtlicher Spendenstimmung sind«, sagt Sinje und seufzt tief. »Zumindest hoffe ich das. Denn was ist eine Kirche ohne Glockengeläut? Ich bin schon gespannt, was unser neuer Tourismusminister dazu sagt, beziehungsweise ob ihm das überhaupt auffällt. Mal schauen, ob er mir einen Antrittsbesuch im Pastorat abstattet.«

»Tourismusminister«, giggle ich, bereits leicht angeheitert. Es gibt Tage, da genügt ein winziges Schlückchen, und ich bin nicht mehr ich selbst. »Das lass mal lieber nicht Thorsten hören, der wäre tödlich beleidigt, dass du dem Neuen jetzt schon mehr Macht und Kompetenz einräumst als ihm. Und was macht die Suche nach dem gemeinsamen Zuhause mit Gunnar?«

»Irgendwie ist da gerade der Wurm drin«, erwidert Sinje seufzend und bohrt ihre nackten Zehen in den schneeweißen, pudrigen Sand. Wenige Meter von uns entfernt rollen Wellen sanft auf den Strand und spülen Muscheln, Algen und kleine Steinchen an den Ufersaum. Über uns ziehen Wasservögel ihre Kreise, nicht lange, dann wird eine der Möwen versuchen, sich etwas von unserem Picknick zu stibitzen. »Gunnar wünscht sich kategorisch einen Neubau, und ich liebäugle nach wie vor mit der alten Villa oben am Wald«, sagt Sinje mit Blick aufs Meer, das sie ebenso sehr liebt wie ich. »Wenn man da ein bisschen Liebe und Arbeit reinsteckt, könnte das ein echtes Schmuckstück werden. Und würde nebenbei ein tolles, neues Pastorat abgeben. Das bisherige muss dringend saniert werden, wie ich dir schon mindestens fünfhunderttausendmal erzählt habe.«

»Du hängst also immer noch an diesem Haus«, sage ich kopfschüttelnd. Wir sind nicht nur beste Freundinnen, sondern träumen und fantasieren beide gern. Vor allem in sternklaren Nächten, wenn wir am Wasser sitzen und alles möglich zu sein scheint. Doch dann kommt ein neuer Tag, und die Fantastereien des Vorabends erlöschen leider meist schneller als eine Sternschnuppe im August.

»Es steht jetzt seit fast zehn Jahren leer, und das aus gutem Grund. Willst du dir das wirklich antun? Gunnar und du habt doch schon genug Arbeit am Hals. Dazu kommen noch die Hochzeitsvorbereitungen, die auch nicht ohne sind. Zudem kostet das Ganze ein Vermögen. Genießt doch lieber eure ohnehin schon spärliche Freizeit, und freut euch darüber, dass ihr einander habt.«

Obwohl sich angesichts von Sinjes Plänen mein Herz gerade zusammenrollt wie ein Igel bei Gefahr, setze ich tapfer das »Ich-bin-Single-und-das-ist-auch-gut-so«-Gesicht auf. Manche Wünsche gehen eben nicht in Erfüllung, egal, wie sehr man sich etwas wünscht, das weiß jeder. Besser, man freundet sich mit dem Gedanken an, sonst ist man den Rest seines Lebens kreuzunglücklich. Und das wäre doch wirklich jammerschade.

»Oje, du guckst so komisch. Denkst du gerade an Olaf?«, fragt Sinje mitfühlend, und ich nicke stumm. »Ach, menno, ich wünschte, ich könnte dir die Erinnerung an ihn endlich austreiben. Wie lange ist es her, seit er dich kurz vor der Hochzeit hat sitzen lassen, weil er unbedingt in Hamburg bleiben und seine Freiheit haben wollte? Fünf Jahre? Die Zeit verfliegt so schnell, dass ich sie aus dem Blick verliere.«

»Sechs«, erwidere ich, beinahe tonlos.

Für gewöhnlich bevorzuge ich es, weder an Olaf zu denken noch über ihn zu sprechen, und auch keine Fotos von ihm anzuschauen – mit einer einzigen Ausnahme: Einmal im Jahr krame ich unser Fotoalbum heraus, und zwar an dem Tag, an dem wir im Schobüller Kirchlein am Meer geheiratet hätten. Dann heule ich wie ein Schlosshund, Henrikje kocht Kakao mit einer Extraportion Schlagsahne, und Sinje sagt Dinge wie: »Der Idiot«, »Hast echt was Besseres verdient« oder »Mach doch Online-Dating«.

»Sechs«, wiederholt Sinje, als könne sie es nicht fassen. »Unglaublich, wie die Jahre dahinrasen.«

»Das kannst du laut sagen«, stimme ich seufzend zu. »Sechs Jahre, die ich in Sachen Lebensplanung in den Sand gesetzt habe. Kein Partner, kein großes Haus voll lachender Kinder und auch keine nennenswerte Karriere. Ich bin fünfunddreißig, mir läuft allmählich die Zeit davon, wenn sich nicht bald etwas ändert.«

»Sei nicht traurig«, sagt Sinje und drückt meine Hand. »Ich weiß, dass du manchmal das Gefühl hast, seit deiner Rückkehr nach Lütteby in einer Sackgasse zu stecken. Aber das stimmt nicht. Du hast einen Beruf, für den du brennst, Henrikje, mich und all die Menschen, die dich seit deiner Kindheit lieben und für dich da sind. Außerdem wirst du Patentante, sobald ich schwanger bin beziehungsweise mich endlich entschließen kann, schwanger werden zu wollen. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass sich deine Träume erfüllen. Du musst nur ein bisschen Geduld haben.«

Geduld gehört leider so gar nicht zu meinen Stärken, und das weiß Sinje auch. Trotzdem ist es süß von ihr, mir immer wieder Mut zuzusprechen, auch wenn sich diese Art von Gesprächen meist im Kreis drehen.

»Übrigens hat Gunnar seinen ursprünglichen Trauzeugen gefeuert und sich jetzt für jemand anderen entschieden«, sagt Sinje unvermittelt und lässt meine Hand los. »Sagt dir der Name Bengt etwas? Er stammt aus Norderende und geht manchmal mit Gunnar angeln.« Bengt? Ich krame in meinem Gedächtnis, doch irgendwie klingelt da nichts.

»Bengt ist ein echt netter Kerl, sieht sympathisch aus, kann gut zuhören und fantastisch kochen. Außerdem hat er ein schönes Reetdachhaus am Rande des Koogs mit einem riesigen Garten und ist …«

»… lass mich raten, Single, nicht wahr?«

Sinje lacht auf, denn sie liebt es, die Kupplerin zu spielen. Ein weiterer Spruch aus Sinjes Trost-Repertoire lautet daher folgerichtig: »Andere Mütter haben auch schöne Söhne.« Letzteres stimmt natürlich, doch das Problem bei einer winzigen Stadt wie Lütteby ist, dass sie eben sehr klein ist und nicht so viele Menschen dort wohnen. Man kennt sich, bisweilen zu gut. Und es kommen nur ganz selten neue Menschen dazu.

Außer wenn bei Hochzeiten der eine Trauzeuge gegen den anderen ausgetauscht wird – oder wenn sie einen neuen Job in Lütteby antreten.

 

Nachdem ich wieder daheim bin, beschließe ich spontan, statt zu lesen noch eine Folge einer Serie zu schauen, damit ich später gut schlafen kann. Auch wenn die meisten streamen, besitze ich immer noch eine beachtliche Sammlung toller Filme und Serien auf DVD. »Könnte ich tatsächlich mal wieder schauen«, murmle ich, nachdem ich bei der Suche auf die Staffeln der Serie Suits gestoßen bin. Schon nach dem Vorspann bin ich wieder verliebt in die Helden einer Anwaltskanzlei in Manhattan, allen voran in die Figur des Harvey Specter. Trotz aller Coolness und Arroganz hat der Anwalt etwas Verschmitztes, Jungenhaftes an sich und so viel Charme, dass es beinahe beängstigend ist. Ich ziehe mir die Kuscheldecke bis tief unters Kinn und versinke schon bald in der Liebesgeschichte zwischen Harvey und seiner Top-Sekretärin namens Donna. Bis zum Happy End in der letzten Staffel haben sie so manche Hürde zu bewältigen, doch dem Zuschauer ist trotz allen Bangens von der ersten Sekunde an klar: Das mit den beiden ist für immer. Es gibt Paare, die sind füreinander bestimmt. Für den Rest ihres Lebens. Und genau das wünsche ich mir für mich selbst.

Mai 1634

 

»Ihr seid zart wie eine Weidengerte«, sagte die Amme, die das junge Mädchen seit deren Geburt betreute und über alles liebte. »Ihr solltet ein wenig mehr essen, damit der Winterwind Euch nicht umpustet und Ihr krank werdet.« Ineke stemmte die Hände in ihre molligen Hüften, auf dem rundlichen Gesicht standen bekümmerte Sorgenfalten.

»Ach was, mir kann nichts und niemand so schnell etwas anhaben«, erwiderte Algea und gab Amme Ineke lachend einen Kuss auf die Wange. Dann drehte und wendete sie sich, sodass das Kleid sich aufbauschte und ihre Hände den Samt berührten. Der Vater, Kommandeur eines Handelsschiffes, hatte ihr von der letzten Fahrt über das weite, stürmische Meer neuen Stoff mitgebracht, den die Mutter, des Nähens kundig, in ein wunderschönes Kleid verwandelt hatte. Es war dunkelblau und mit kleinen silbernen Sternen besetzt, die im Kerzenlicht so stark funkelten, dass Algea ihren neuen Schatz am liebsten jeden Abend getragen hätte.

»Wollt Ihr etwa so mit mir auf den Marktplatz gehen?«, fragte die Amme und betrachtete ihren Schützling eingehend, so wie jeden Tag seit der Geburt Algeas vor beinahe sechzehn Jahren.

»Wieso nicht?«, fragte Algea mit diesem Blitzen in den hellblauen Augen, das sehr anziehend war, aber gleichzeitig auch ihren starken und widerspenstigen Charakter unterstrich. »Oder hast du Angst, dass ich mich schmutzig mache, wenn du mit den Bauern um den Preis für die Kartoffeln, Mehl und Eier feilschst wie eine Köchin?«

»Es wäre nicht das erste Mal, dass Ihr mir ausbüxt und ich Euch an einem Ort wiederfinde, wo Ihr Euch Flecken auf Euer Gewand geholt habt«, erwiderte die Amme und reichte Algea eine schlichte Kittelschürze. »Das Kleid könnt Ihr beim Abendessen zu Ehren Eures Vaters tragen, der schon bald wieder in See stechen wird. Doch jetzt zieht Euch bitte um, und dann gehen wir auf den Marktplatz.«

Nachdem sich die Tür hinter der Amme geschlossen hatte, blickte Algea aus dem Fenster ihres Schlafgemaches und verlor sich für eine Weile im Anblick der Nordsee zu Füßen der waldigen Anhöhe, auf der die Kapitänsvilla thronte. »Du Schöne«, murmelte sie, öffnete das Fenster und atmete die frische Seeluft ein, während ihre Augen das Spiel der Wellen verfolgten und den Flug der Seeschwalben und Möwen, die dicht an ihrem Fenster vorbeizogen. »Ich möchte nirgends anders sein als an deinen Gestaden und hier in Lütteby.«

Nachdem sie das Fenster wieder geschlossen hatte, legte sie die nachtblaue Robe ab und schlüpfte in den einfachen Kittel, der keinen Rückschluss darüber zuließ, dass sie aus gutem Hause stammte. Doch das war ihr nur recht, denn sie verabscheute Standesdünkel und Engstirnigkeit aller Art.

Daher mangelte es ihr auch an Verständnis für die Unstimmigkeiten, die seit jeher zwischen Lütteby und dem nahe gelegenen Ort Grotersum herrschten. In ihren Augen und auch in denen Gottes waren alle Menschen gleich und würden es immer bleiben …

Glücklich machende Orientierungshilfe

Links Wasser.

Rechts Wasser.

Dazwischen: trockener Humor

3

Haben Sie ’nen Vogel?«

Verwirrt schaue ich von meinem Computer auf und blicke in Augen in der Farbe von Waldmeister. Götterspeise habe ich schon als Kind geliebt und liebe sie immer noch über alles. Der Mann mit diesen wunderschönen grünen Augen ist einer von den Andere-Mütter-haben-auch-schöne-Söhne-Männern. Meint er etwa Abraxas, den weißen Raben, der zu Thorsten Näler gehört wie die Wellen zum Meer und gern bei uns im Büro ist? Abraxas schlägt mit den Flügeln und kräht empört Kraraa. Ich will gerade so etwas sagen wie »Unverschämtheit« oder »Der will doch nur spielen«, doch ich kann nicht. Wie gesagt: Es tauchen äußerst selten gut aussehende Männer meines Alters in unserem kleinen Städtchen auf, das kann einen schon mal durcheinanderbringen.

»Bitte entschuldigen Sie, das war nicht so unverschämt gemeint, wie es wahrscheinlich klang. Ich wollte nur fragen, was dieser Vogel hier macht«, erwidert der Mann im schicken Anzug. »Der gehört auf einen Baum oder aufs Feld, aber ganz bestimmt nicht in ein Büro. Ich bin Jonas Carstensen und ab heute Ihr Vorgesetzter. Sie sind Lina Hansen, nicht wahr?«

Mehr als ein »Ja« bringe ich nicht zustande.

Dieser Mann sieht in natura um Längen besser aus als im Internet und tatsächlich ein bisschen wie der Schauspieler, der Harvey Specter in Suits spielt.

»Ist das dort der Schreibtisch von Thorsten Näler?«