Die Macht des Handels - Kim Leopold - E-Book

Die Macht des Handels E-Book

Kim Leopold

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Beschreibung

Am Palast der Träume tritt zum ersten Mal nach dem Angriff der große Rat zusammen. Emma jongliert zwischen Wahlen und Katastrophenmanagement und versucht nebenher, auch einen Weg für ihre Freunde zu ebnen. Währenddessen kümmern sich Alex und Lotta um ihre Liebsten, doch schon bald bemerken sie, dass der Rat ihnen einen Strich durch die Rechnung machen könnte ... Kim Leopold hat eine magische Welt mit düsteren Geheimnissen, nahenden Gefahren und einem Hauch prickelnder Romantik erschaffen, bei dem Fantasy-Lover voll auf ihre Kosten kommen. Die Macht des Handels – Band 12. der Urban Fantasy Serie Black Heart!

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Black Heart 12

Die Macht des Handels

 

 

Kim Leopold

 

[was bisher geschah]

 

1448 - Nachdem die Hexe Ichtaca ihren Vater von seiner tödlichen Krankheit geheilt hat, holt man sie in den Tempel, wo sie bald einem Gott geopfert werden soll. Dort trifft sie auf eine andere Hexe und geht mit ihr einen Handel ein.

 

2018 - Mikael lernt sein Team in der Toskana kennen und verbringt mehr Zeit mit seiner alten Freundin Farrah. Die beiden kommen sich näher, während sie gespannt auf die Nachrichten aus dem Palast bezüglich der Wahl zum großen Rat warten. Bei Farrah stoßen Willem und er auch auf Emma, die immer noch nicht fassen kann, dass ihre Freunde aus Frankreich noch leben.

 

Im Palast der Träume verschlimmert sich Ivans Zustand und Alex sucht Hilfe bei Adele Bonheur. Sie gibt ihm den Tipp, dass Ivan durch seinen Tod in die Zwischenwelt gelangen kann, in der auch Louisa feststeckt. Daraufhin entwickeln die beiden einen gefährlichen Plan, mit dem insbesondere Lotta nicht einverstanden ist.

 

Währenddessen ist Hayet in Mikaels Auftrag unterwegs, um sein Herz aus Freyas Quartier zu holen, bevor es jemand anders findet. Außerdem träumt sie wieder mit Moose und traut sich, ihn um ein Treffen zu bitten. Dabei stellt sich heraus, dass nicht nur Hayet eine Black Heart ist.

 

[prolog]

Nanauatzin

Mechtatitlan, 1448

 

Zusammen mit Izel marschiere ich durch Mechtatitlan, den Speer im Anschlag, die Augen wachsam. Wir streifen durch die Gassen, begrüßen Familie und Freunde mit einem knappen Nicken, denn etwas anderes wäre zumindest während unserer Arbeit unangemessen, und sehen überall nach dem Rechten. Es sind die Abendstunden, in denen sich die Gauner der Stadt aus ihren Löchern trauen. Nicht, dass wir viele davon hätten, aber falls uns einer über den Weg läuft, sind wir bestens vorbereitet.

»Hast du schon von der hellen Frau gehört?«, fragt mich Izel. »Sie soll Haare haben, so silbrig wie der Mond, und doch ist sie kaum älter als wir.«

Ich lache leise auf. »Hast du gestern Abend zu tief in den Becher geschaut? Silbrige Haare? Wenn sie so jung ist?«

»Und ganz helle Haut.« Er hebt vielsagend eine Braue. Da er nicht auf seine Abendbeschäftigung eingeht, nehme ich an, er sagt die Wahrheit. »Man sagt, sie sei aus dem Norden. Eine Händlerin, die sich nach Mechtatitlan verirrt hat.«

Ich runzle die Stirn. »Und was macht sie hier?«

»Das weiß ich nicht. Vielleicht ist sie auf der Durchreise.«

»Was bietet sie denn an?« Irgendetwas an seinen Worten macht mich neugierig. Vielleicht, ganz vielleicht, trägt die Frau etwas bei sich, das mir dabei helfen kann, Ichtaca aus den Klauen der Priester zu befreien. Mit meinen eigenen Ideen komme ich nämlich nicht weiter.

Izel bleibt stehen und sieht mich ernst an. »Das ist es ja. Sie ist ohne Karren gekommen, ohne Esel … anscheinend trägt sie nichts bei sich. Und doch suchen die Leute sie auf, um mit ihr zu handeln.«

Ich schnaube auf. »Hört sich an, als hättest du gestern doch zu tief in den Becher geschaut.«

Er lacht auf, nicht so, als ob ich recht hätte, sondern als ob er es lustig findet, dass ich ihm nicht glaube. Wir wechseln das Thema, sprechen über Izels Bruder und seine Erkrankung, und ehe ich mich versehe, ist die Sonne komplett untergegangen.

Wir gehen zurück zur Kaserne, um unsere Speere abzulegen und die eigenen Sachen zu holen. Jetzt ist die Nachtwache an der Reihe, die sich bereits für ihren Dienst fertig gemacht hat. Der Gedanke an die helle Frau lässt mich nicht mehr los, und ich stelle überrascht fest, dass Izel nicht der Einzige ist, der über eine mysteriöse Händlerin spricht. Also beschließe ich, mich auf die Suche nach ihr zu machen. Daheim würde ich sowieso nur in Panik geraten, weil die Opferzeremonie immer näher rückt, und ich immer noch nicht weiß, wie ich Ichtaca befreien soll.

Sie muss so wütend auf mich sein. Die letzten Male, die ich bei ihr gewesen bin, hat sie kein Wort mit mir gesprochen. Ich wünschte, sie wüsste, wie weh es mir tut, dass man ausgerechnet mich dazu auserkoren hat, sie abzuführen. Aber diesen Vertrauensbruch machen Worte auch nicht wieder gut, nein, ich muss handeln. Ich muss sie befreien und in Sicherheit bringen. Nicht nur um ihretwillen, sondern auch meinetwegen. Ich könnte mir niemals verzeihen, wenn meine geliebte Ichtaca am morgigen Abend den Göttern geopfert würde.

Tief in Gedanken versunken bemerke ich erst am Marktplatz, dass ich keine Ahnung habe, welchen Weg ich überhaupt gewählt habe. Aber das macht nichts. Hauptsache, ich finde, wen ich suche. Die Erfahrung hat mich an den richtigen Ort geführt. In der Taverne tummeln sich normalerweise nur die Stadtbewohner, die um diese Zeit nicht mit ihren Familien beim Abendessen sitzen, doch heute kann man sich in dem großen Raum kaum bewegen.

Ich dränge mich mühsam durch die Menge und stelle schnell fest, dass die, die nicht immer hier sind, sich um einen der Holztische gesammelt haben. Glücklicherweise bin ich groß genug, um über viele der Köpfe hinwegzusehen, und so entdecke ich tatsächlich einen Schimmer silbrigen Haares.

»Nanauatzin.« Jemand legt mir seine Hand auf die Schulter. Es ist Yaotl, einer der anderen Krieger, mit denen ich regelmäßig zusammenarbeite. »Du auch hier?«

»Gelegentlich«, erwidere ich mit einem vorsichtigen Lächeln. »Was ist denn hier los?«

»Die helle Frau ist hier.« Er grinst über beide Wangen. »Die Leute behaupten zwar alle, sie wollen handeln, aber ich glaube, die meisten sind bloß neugierig, wie sie aussieht.«

»Und wie sieht sie aus?«

»So etwas Schönes hast du noch nicht gesehen«, erwidert er ernst und wirkt dabei seltsam entrückt auf mich. »Ihre Haut ist so rein, und die Haare gehen ihr bis hier», er zeichnet die Länge mit seinen Händen nach, »und sie sind silbern. Wie der Mondschein.«

»Das hört sich … besonders an. Mit was handelt sie denn?«

»Nun, Itotia hat ihren schönsten Schmuck für einen Rat gegeben.« Er hebt die Schultern und lässt sie ernüchtert wieder sinken. Ich kann mir vorstellen, dass es für ihn kein besonders schönes Gefühl ist, wenn seine Frau den Schmuck weggibt, den er ihr durch sein mühsam Erspartes geschenkt hat.

»Und hat ihr Rat geholfen?«

»Das werden wir sehen.« Jetzt lächelt er wieder. »Sie hat sie gefragt, warum es bei uns noch nicht mit dem Kind geklappt hat und was wir dagegen tun können. Die helle Frau hat ihr eine Kräutertinktur gegeben, die helfen soll.«

»Dann hoffe ich für euch, dass ihr bald euren ersten Sohn erwartet.« Ich klopfe ihm auf die Schulter und überblicke noch einmal die Menge, die einfach nicht weniger werden will. »Hast du eine Idee, wie ich mit ihr reden kann, ohne mich drei Sonnen in die Schlange zu stellen?«

»Irgendwann wird sie wohl müde werden«, meint Yaotl. »Sie schläft drüben bei Nenetl. Vielleicht kannst du sie dort erwischen.«

 

 

Daheim wartet bereits ein Teller Eintopf und ein großes Stück Fladenbrot auf mich. Ich begrüße meine Schwestern mit einer Umarmung und meine Mutter mit meinem Kuss auf die Wange. Sie stellt keine Fragen, wo ich so lange gewesen bin, weiß sie doch, dass wir nach dem Dienst schon mal gerne noch eine Weile reden oder etwas trinken gehen.

Ich setze mich mit meinem Abendessen vor das Feuer und sehe meinen Schwestern eine Weile dabei zu, wie sie einander die Haare flechten. Mutter gesellt sich bald darauf zu mir, in ihrem Schoß ein Kleid, das geflickt werden muss.

Ich lobe sie für den Eintopf, bevor ich sie nach der hellen Frau frage. Mutter weiß alles. Sie arbeitet schon lange als Waschfrau, und deren wachsamen Augen und Ohren entgeht nichts. Oft erzählt sie mir Dinge schon viel früher als die Männer in der Kaserne. Und so ist es auch bei der hellen Frau.

»Du meinst Meztli?«

»Heißt sie so?«

»Man nennt sie so. Ich wage allerdings zu bezweifeln, dass sie dort, wo sie herkommt, ebenso genannt wird.« Mutter legt den Kopf schief. »Warum interessierst du dich so für sie?«

»Bin bloß neugierig«, erwidere ich und breche etwas von dem Fladen ab, um den Mund voll zu haben und nicht auf ihre Fragen antworten zu müssen. Wenn sie erfährt, dass ich plane, Ichtaca zu befreien und meine Familie dafür im Stich zu lassen, wird sie mich eigenständig an unser kleines Haus ketten und mich so lange mit einem Stock verprügeln, bis ich wieder vernünftig geworden bin.

»Sie kommt irgendwo aus dem Norden, glaube ich, aber man sagt, sie spricht alle Sprachen. Wenn du mich fragst, sollte man lieber einen Bogen um sie machen.« Sie zuckt mit den Schultern und widmet sich ihrer Näharbeit. Fast denke ich, das ist alles, was sie über die fremde Frau zu sagen hat, doch dann hält sie noch mal inne. »Ich verstehe nicht, warum die Menschen glauben, sie könnten ihr Schicksal mit Hilfe einer Magica bezwingen. Aber was weiß ich schon.«

»Hm«, mache ich. Mehr fällt mir dazu nicht ein. Ich will keine Diskussion mit ihr vom Zaun brechen, die sie nachher nur argwöhnisch macht.

»Wobei ich mich schon frage, wie sie es geschafft hat, so jung zu bleiben.« Sie schüttelt den Kopf und legt die Nadel zurück in ihren Schoß. »Meztli war vor einiger Zeit schon einmal hier«, fügt sie erklärend hinzu. »Da war ich noch nicht einmal so alt wie du heute. Und ich könnte schwören, dass sie keinen Tag gealtert ist.«

»Vielleicht ist ihre Magie realer, als du glaubst«, antworte ich und denke an Ichtaca, deren strahlendes Leuchten kaum mehr zu übersehen ist. Ich bin mir sicher, dass Magie existiert und nicht nur Meztli eine Magica ist. Ich hoffe nur, diese Magica ist bereit, einer ihresgleichen zu helfen.

 

 

Nachdem Mutter und meine Schwestern sich zum Schlafen gelegt haben, suche ich mein Erspartes zusammen und lege einen Teil davon auf den Küchentisch. Ich weiß nicht, was heute Nacht geschieht, also will ich vorbereitet sein – und das schließt ein, dass sie eine Weile lang ohne mich auskommen können. Auf diesen Tag habe ich schon hingearbeitet, seit ich Ichtacas Leuchten zum ersten Mal gesehen habe. Ich wusste direkt, dass wir eines Tages fliehen müssen, weil sie hier nicht mehr sicher sein würde.

Aber ebenso konnte ich mir noch nie vorstellen, sie allein zu lassen.

Dafür liebe ich diese Frau mit dem tiefen Blick und dem reinen Herzen viel zu sehr. Und heute Nacht werde ich sie befreien und von hier fortbringen.

Ich stecke das übrige Fladenbrot in meine Tasche und schultere sie, bevor ich noch einen letzten Blick zurück auf meine Familie werfe, die seelenruhig und nichtsahnend weiterschlummert.

»Ich liebe euch«, flüstere ich. Dann nehme ich einen tiefen Atemzug und trete in die Nacht hinaus. Ich kenne die Wege der Nachtwachen und gehe ihnen aus dem Weg. Besser, wenn mich keiner sieht und Fragen stellt.

Bei Nenetl klopfe ich leise an die Tür. Es dauert einen Moment, aber dann öffnet mir die alte Frau. Sie sieht überrascht aus. »Nanauatzin? Was führt dich so spät noch hierher?«

»Ich brauche Hilfe. Man hat mir gesagt, hier finde ich sie.«

Nenetl wirft einen nervösen Blick über ihre Schulter und zögert.

»Schon gut. Lass ihn hinein«, höre ich da eine andere Stimme. Eine sanfte, melodische, die mich sofort in ihren Bann zieht. Nenetl lächelt mir zu und tritt zur Seite, um mir Einlass in ihr Haus zu gewähren. Es ist unserem ganz ähnlich geschnitten, und am Feuer sitzt die helle Frau.

Ihre silbernen Haare fallen ihr offen über den Rücken, den sie mir zugewandt hat. Ich trete nervös näher. »Ich danke dir für dein offenes Ohr.«

»Setz dich, Nanauatzin, und erzähl mir von deinem Leid«, erwidert sie und dreht sich um. Ich weiß nicht, was mich mehr schockiert: Die Tatsache, dass sie meinen Namen kennt oder dass sie so schön ist. Wie eine Göttin.

Mein Gesichtsausdruck lässt sie schmunzeln, und das macht sie irgendwie realer. Ich lasse mich vor ihr auf dem Boden nieder. Nenetl gewährt uns Privatsphäre und verlässt den Raum.

»Es geht um meine Freundin Ichtaca.«

»Du meinst, deine Geliebte?«, unterbricht sie mich und lächelt nur noch mehr.

Ich schlucke. Ist es so offensichtlich?

»Ich habe bereits ihre Bekanntschaft gemacht.« Sie hebt einen Arm, an dem zahlreiche Armbänder klimpern, und ich entdecke dort jenes, welches ich Ichtaca gestern erst mitgebracht habe. »Eine herausragende Frau. Eine Magica, aber das weißt du sicher, sonst würdest du nicht zu mir kommen.«

Ich nicke, verblüfft darüber, dass sie so viel über uns weiß. Ich wage nicht nachzufragen, sondern komme lieber gleich zur Sache. »Kannst du sie aus ihrem Gefängnis befreien, bevor sie morgen geopfert wird? Man sagt, du könntest Dinge, die niemand sonst kann. Und ich liebe sie wirklich. Ich will sie nicht verlieren.«

Meztli neigt den Kopf zur Seite und betrachtet mich eine Weile ausführlich, bis ich mich unter ihrem Blick am liebsten winden würde. »Ein so großer Zauber hat seinen Preis, Nanauatzin, aber dessen bist du dir bewusst.«

Eilig ziehe ich meinen Geldbeutel hervor. »Ich gebe dir alles, was ich habe.«

Sie lacht hell auf. »Dein Geld kannst du behalten«, erwidert sie. »Ich befreie Ichtaca und bringe sie und dich an einen anderen Ort. Dort könnt ihr in Sicherheit leben und müsst nie wieder fürchten, dass sie für ihre Magie verfolgt wird.«

Ich nicke begierig. Nichts wünsche ich mir sehnlicher.

»Was ich dafür verlange, ist euer Erstgeborenes. Überlege es dir gut, Nanauatzin. Einmal den Weg eingeschlagen, gibt es kein Zurück mehr.« Ihre Stimme ist so ernst, dass sich mir die Nackenhaare aufstellen.

Entsetzt von ihrem Preis lasse ich die Hand mit den Münzen sinken. Unser Erstgeborenes? Wie könnte ich jemals ein Kind aufgeben? Meine Gedanken rasen, und mir bricht der Schweiß aus. Wenn ich es nicht tue, wird Taca sterben. Wenn ich sie dagegen rette, … Wir könnten auf ein Kind verzichten. Ein Leben in Freiheit, miteinander, ist wichtiger als ein Leben mit Familie.

Oder?

Entschlossen nicke ich. »Das Erstgeborene soll deines sein, wenn du uns hier wegbringst.«

Meztli lächelt zufrieden und greift in den Ausschnitt ihres Kleides, um eine Kette hervorzuholen, an der ein Edelstein baumelt. Dann streckt sie mir ihre Hand entgegen.

»Am besten schließt du die Augen«, gibt sie mir noch den Ratschlag, bevor meine Welt einem Strudel aus Farben weicht und mein Leben nie wieder so sein wird, wie es einmal gewesen ist.

[1]

 

Mikael

Italien, 2018

 

Ihr Preis wird hoch sein. Farrahs Worte klingeln mir noch in den Ohren, während ich mir von Antonio einen Rucksack ausborge. Es wird dringend Zeit, dass ich ein paar Kleidungsstücke einkaufe. Durch meinen Rauswurf aus dem Palast der Träume habe ich nun gar nichts mehr bei mir. Vorher hatte ich wenigstens die Sachen, die mir als Aslan gepasst haben. Jetzt laufe ich in geliehener Kleidung von jemandem herum, der etwa meine Größe hat.

Nicht, dass ich das nicht schon gewöhnt wäre. In meinem langen Leben als Gestaltwandler habe ich schon oft genug die Kleidung Fremder getragen, weil meine eigene gerade nicht griffbereit war. Deswegen reise ich meistens mit leichtem Gepäck.

»Danke nochmal für das großzügige Angebot«, meint Antonio plötzlich. »Ich freue mich sehr darüber, dass ihr mich als Anführer für das Sondereinsatzkommando in Betracht zieht. Ich hab Farrah schon mitgeteilt, dass ich die Position gerne übernehmen würde.«

»Das freut mich.« Ich klopfe ihm auf die Schulter und wundere mich darüber, dass er sich doch so schnell entschieden hat. Bei den Blicken, die er Farrah immer hinterherwirft, hätte ich damit gerechnet, dass er lieber bei ihr bleiben würde. Vielleicht ist ihm aber auch bewusst, dass Farrah sich nicht auf diese Art für ihn interessiert. »Du bist perfekt dafür geeignet. Ich denke, wir regeln alles Weitere, wenn wir wieder hier sind. Unser Besuch beim Cirque sollte ja nicht allzu viel Zeit in Anspruch nehmen.«

»Klasse.« Antonio grinst, und ich bedanke mich noch einmal für den Rucksack, bevor ich mich verabschiede, um meine Habseligkeiten darin zu verstauen. Viel ist es nicht. Ein neues Handy, meine Geldbörse, die Kette von Freya. Alles andere befindet sich immer noch im Palast, mittlerweile vielleicht von den Wächtern entdeckt und weggeräumt.

Anschließend gehe ich zurück in die Küche. Farrah ist noch nicht wieder da, aber Willem sitzt immer noch an der Theke und klammert sich an seine Tasse Kaffee, als wäre die Flüssigkeit sein Lebenselixier.

»Hast du letzte Nacht überhaupt geschlafen?«, frage ich ihn und stelle den Rucksack neben einen der freien Hocker, bevor ich mich darauf niederlasse.

»Nicht wirklich.« Er seufzt. »Es nervt mich, dass Emma nun im Palast ist und ich keine Chance habe, zu ihr zu gelangen. Ich mein, sie sagt zwar, dass sie den Bann lösen will, aber was, wenn sie es nicht schafft?«

»Du kennst doch Emma«, erwidere ich, aber dann wird mir bewusst, dass er Emma nicht mehr auf die Weise kennt, wie ich sie kenne. Das scheint ihm auch sofort aufgefallen zu sein, denn er blickt mich über den Rand seiner Tasse hinweg genervt an. Ich hebe entschuldigend die Schultern. »Sie ist eine verdammt gute Hexe. Wenn sie es nicht schafft, schafft es vermutlich niemand.«

»Ich frag mich, wie das mit uns weitergehen wird«, wechselt Willem das Thema. »Ich meine, sie ist am Palast. Sie wurde wieder in den Rat gewählt. Und ich? Führe ich weiterhin ein Leben im Schatten?«

Ich habe geahnt, dass dieses Gespräch irgendwann auf mich zukommen würde, und doch wirft es mich aus der Bahn. Irgendwie bin ich nicht davon ausgegangen, dass seine Zuneigung zu Emma zu einem Problem für unsere Sache werden könnte. Immerhin ist er so was wie mein Vertreter. Der zweite Mann in unserer Organisation.

Wenn er geht, wer sind wir dann noch?

Ich fahre mir durchs Haar, atme lautstark aus und drehe mich zu ihm. »Wir finden eine Lösung, mit der alle zufrieden sind, Willem. Aber bitte, lass uns jetzt nichts überstürzen. Ein Schritt nach dem anderen, ja?«

Er nickt abwesend. »Klar. Erst dein Herz, dann die Hexenjäger, und wenn dann Zeit ist …«

»Das ist nicht fair. Wenn ich damals gewusst hätte, dass sie überlebt hat, hätte ich alles daran gesetzt, sie zu finden.«

Willem seufzt erneut. »Ich weiß. Ich hab einfach nur einen schlechten Tag. Lass uns reden, wenn du zurück bist.« Er leert seine Tasse in einem Zug, steht auf und räumt sie in die Spülmaschine. »Viel Erfolg in Lille.«

»Willem …« Ich will ihn zurückhalten, denn seine Worte haben einen bitteren Nachgeschmack bei mir hinterlassen. Aber in dem Moment kommt Farrah die Treppe hinunter, und damit ist die Zeit für klärende Gespräche vorbei.

Farrah lächelt Willem zu, bevor er aus dem Raum verschwindet und wir allein sind. Dann erst wirft sie mir einen neugierigen Blick zu. »Was ist denn mit ihm los? Ist er immer so ein Morgenmuffel?«

»Die Sache mit Emma hat ihm etwas die Laune verdorben.« Ich zucke mit den Schultern, aber sie sieht mir wohl an, dass mich das Thema mehr bedrückt, als ich zugeben würde.

»Wenn wir zurück sind, kümmern wir uns darum, eine Lösung zu finden«, beruhigt sie mich und legt ihren Rucksack neben meinen. Sie hat in dunkle Jeans und einen schwarzen Pullover gewechselt. Darüber trägt sie eine graue Lederjacke und wirkt, als wäre sie bereit, ein paar bösen Jungs die Köpfe einzuschlagen.

»Sicher.« Ich versuche ein Lächeln und stehe auf. »Also, wir benutzen deine Kette …?«

Ich kann immer noch nicht glauben, dass wir gleich einen Sprung durch die Welt machen werden. Auch wenn ich schon so lange mit Magie in Kontakt bin, teleportieren gehörte zu den Dingen, von denen ich dachte, sie seien unmöglich. Bis ich Farrah kennenlernte.

Farrah grinst. »Mach dir keine Sorgen. Wenn dir beim Achterbahn fahren nicht übel wird, wird dir auch dabei nicht schlecht.«

Trocken lache ich auf. »Mir wird sogar beim Serpentinen fahren schlecht. Ich fürchte, mein Magen ist nicht für solche Abenteuer gemacht.«

Nun grinst sie noch mehr, fast so, als würde es ihr Spaß machen, mich zu quälen. Das traue ich ihr sogar zu. »Wir können auch das Auto nehmen, aber dann brauchen wir sehr viel länger als ein paar Stunden.«

»Ich komm schon klar. Lass uns loslegen.« Kopfschüttelnd über ihre Freude schultere ich meinen Rucksack und folge ihr hinaus auf die Terrasse. Es ist warm draußen, was aber eindeutig an der Magie liegt. In der Ferne sind die Felder mit Schnee bedeckt. Gut, dass mir Antonio auch eine seiner warmen Jacken geliehen hat.

Ich ziehe den Reißverschluss zu und beobachte Farrah dabei, wie sie ihre Kette unter dem Stoff ihres Pullovers hervorholt und mit einer Faust umschließt. Dann streckt sie ihre Linke aus und wartet darauf, dass ich meine Finger mit ihren verschränke.

Zu gerne.

Jetzt gelingt mir auch ein echtes Lächeln.

»Bereit?«

»Bereit, wenn du es bist«, erwidere ich entschlossen.

»Mach die Augen zu und erst wieder auf, wenn ich es dir sage«, rät sie mir, bevor sie ihre verschließt und leise Worte einer entfernten Sprache murmelt. Ich bin so fasziniert von ihrem Anblick, dass ich es verpasse, die Augen zuzumachen, während sich die Welt verändert.

Alles um uns herum dreht sich schneller und schneller und schneller, bis ich nur noch Farben sehe. Farben, die so um uns herumsausen, dass mir davon schwindelig wird. Ich klammere mich an Farrahs Hand, denn irgendwie fühlt es sich an, als würde mich eine unsichtbare Macht von ihr fortreißen wollen. Ich will mir gar nicht ausmalen, was geschieht, wenn ich sie jetzt loslasse.

Und dann ist es vorbei. So schnell wie der Wirbel gekommen ist, legt er sich auch wieder. Farben werden zu Formen, und Formen werden zu Gebäuden. Meine Ohren rauschen, meine Augen haben Schwierigkeiten, einen Fixpunkt zu finden. Mein Magen hebt sich, und ich beuge mich zur Seite, weil mir so übel ist, dass ich befürchte, mein Frühstück will wieder heraus. Doch Fehlalarm. Bis auf ein bisschen trockenen Husten bleibe ich vorerst verschont.

Farrah grinst über beide Wangen. Ich wusste, sie erfreut sich an meinem Leid. So ein Biest. Ein so hübsches Biest. »Und? Freust du dich schon auf die Rückreise?«

»Hm«, brumme ich. Zu mehr bin ich gerade nicht in der Lage.

---ENDE DER LESEPROBE---